Google
This is a digital copy of a book that was preserved for generations on Hbrary shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world's books discoverable online.
It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we liave taken steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's system: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can't offer guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
About Google Book Search
Google's mission is to organize the world's information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world's books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web
at|http : //books . google . com/|
Google
IJber dieses Buch
Dies ist cin digitalcs Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den R^alen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mil dem die BLicher dieser Welt online verfugbar gemacht weiden sollen, sorgfaltig gescannt wurde.
Das Buch hat das Uiheberrecht uberdauert und kann nun offentlich zuganglich gemacht werden. Ein offentlich zugangliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch offentlich zuganglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Offentlich zugangliche Bucher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kultuielles
und wissenschaftliches Vermogen dar, das haufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit offentlich zugangliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zuganglich zu machen. Offentlich zugangliche Bucher gehoren der Offentlichkeit, und wir sind nur ihre HLiter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfugung stellen zu konnen, haben wir Schritte untemommen, urn den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehoren technische Einschrankungen fiir automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nuizung derDateien zu nkhtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tiir Endanwender konzipiert und mochten, dass Sie diese
Dateien nur fur personliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Siekeine automatisierten Abfragen iigendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
Liber maschinelle Ubersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchfuhren, in denen der Zugang zu Text in groBen Mengen
niitzlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fordem die Nutzung des offentlich zuganglichen Materials fur diese Zwecke und konnen Ihnen
unter Umstanden helfen.
+ Beihehallung von Google-MarkenelemenlenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei fmden, ist wichtig zur Information iibcr
dieses Projekt und hilft den Anwendem weiteres Material Liber Google Buchsuche zu fmden. Bitte entfemen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalitdt Unabhangig von Ihrem Ver wend ungsz week mussen Sie sich Direr Verantwortung bewusst sein,
sicherzu stellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafurhalten fur Nutzer in den USA
offentlich zuganglich ist, auch fiir Nutzer in anderen Landem offentlich zuganglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir konnen keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulassig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und iiberall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
tJber Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten In form at ion en zu organisieren und allgemein nutzbar und zuganglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesem dabei, die BLicher dieser Welt zu entdecken, und unterstLitzt Autoren und Verleger dabci, neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext konnen Sie im Internet unter|http: //books . google .coriil durchsuchen.
5
oc. 3
^7^ "^ V!
u
i
I - * '
A re hi V
■r
fur
wissenschaftliche Kiuide
von
R u s s I a n d.
• . •
Herausgegeben
▼on
A« K r m a n»
Elfter Band.
Mit fdnf Tafein.
Berlin,
Veriag von Georg Reimer.
1852.
Archiv
far
wissenschaftliche Kunde
von
R u s s I a n d.
Herausgegeben
von
A. E r
Elfter Band.
¥ierte« Heft.
Mit einer Tafel.
Berlin^
Yerlag von Georg Reimer.
1852.
Inhalt dies Elften Bandes.
^1 Pliyslkall«eli-niatlieiiiati«elie mfc'iiMieiiMeliafUeii.
r
L
Seile
Nachricbten uber drei pharinakologisdi - wichtige Pflanzen und iiber
die grofse Salzwuate in Persien. Von Herrn F. A. Bulise. . 1
Ucber die Kntwickelung der Cosmelia Hydrachnoi'des aua deni Dot-
ter des Tergipes. Von Professor Nordmann 13
Jagd and Fischfang der Syrjanen im Goaverneoient Wologda. . . 28
fiine Englische Kxpedition ziim Sibiriscben Kisnieer 98
Ueber die verschiedene KnUtebung der Steinsalzablagernngen in
den Karpatben und in den Salzburger A^ien. Von Herrn
Zeascbner in Krakau 129
Ueber den Kinflols der in dem Acl^ecboden entlialtenen Eisenoxyde
und Thonarten auf die Absorption des Ammoniaks durch den-
I selben. Von Herrn A. Giedwillo. 141
Lieutenant Pirns Reise. ...'....) . <. 166
Hulfsleistung der russiscb-amerikanischen Compagaie bei den Eng-
liachen Kxpeditionen zur Aufsacbong Franklin's 175
VI
Seite
Ueber die nationalen Kraifkheiten in Russiand. Von Dr. E. Ruaa-
dorf. 194
Reiaen der Finnlandischen Scbiffe Atcba and Freya am die Welt 227
Ueber eine ini Jahre 1850 ausgefabrte bergmanniacbe Expedition in
das Wercbojaner Gebirge. Hierza Taf. 1 — 4 292
Geognoatiscbe Benierkangen iiber das Wercbojaner Gebirge. Nacb dem
Rassiscben von Herrn Meglizkji 317
Die Stadt Turucbansk 337
Arbeiten der Rassiscben Geograpbiscben Gesellschaft iin Jabre
1851 378
Versacbe iiber die Anwendung der Bikfordscben Zandrobren beim
Scbielsen in den Bergwerken. Vod Hrn. Mikiaschewakji. 491
Uebersicbt der Bergwerksindustrie in Rnssland. Nacb dem Rassiscben
der Herren Tscbewkin und Oserskji 509
Die Halbinsel Mangyscblak. Nacb dem Rassiscben von Herrn I. M.
Iwanow. Hierza Tafel 5 642
HlMt^rUielt-llnsulatlsclie l¥la«en«cliiiileit*
Einige Worte uber den Boddbismiia. Von Herrn C. F* Koppen.
51, 250, 450
Scenen aus dem Leben in Grusien 167
Die innere Einricbtang der Goldnen Orda. Nacb deoi Rassiscben
von Herrn Bargain 181
Ein Jarlyk des Tochtaroysch in altmongoliadier Scbrift 185
VII
Wallfalirt z« den KlMtern des Ladoga-Sees. Von Dr. K. MiiraU. 232
Ueber die Bedentung der Altelawisclion Gbtzenbiider welclie Wla-
dimir in Kiew anfstellte. Nacli dem Rnssisclien 279
Haltische Skizzen oder Yor funfzig Jaliren 365 and 476
Ai'beiten der Rnssischen Geograpliiacben Geaelltchaft im Jahre
1851 378
Nachrichten iiber die sogenannten Schwarzen Kirgiaen 401
Ein tartarisches Lustspiel 415
Nicolai Tornau*t Werk liber die Grandsatze der miiselmanniachen
Reclitswistenscliaft. Nach dem Rnssischen '. 561
Bericht eines Rnsaiscben Handelareisenden iiber Taschkent . . . 570
Das Reich Kokand in teinein beutigen Znstand 580
Scbreiben eines Rnssen a us Californien 628
Die Halbinsel Mangyscldak 642
Rrinnernng an die Kisten 684
Industrie nnd Handel.
Jagd und Fischfang der Syrjanen im GoaVernement Wologda. . . 28
Ueber den Jahrmarkt zn frbit im Permscben GonTernement. . . . 108
Die Stadt Torocbansk 337
Die Flachsbaamwolle anf der Londoner Aassteliong. Ein Vortrag
des Petersbarger Akademiker Ham el 347
Kin Rnssisdies Urtbeil iiber die Russiscbe Abtheilnng der Londoner
Aasstellung. , . 384
Uebersicht der Bergwerksiildiistrie inRossland. Nach dem Rossischen
der Herren Tschewkin and Oserskji 509
vni
Seite
Ans dem Bericht der Ruwisch-'AnierikMiiclien Handebcompagftie flir
das Jahr 1850 «- 1851 621
Allffcmein liittorariseliefl.
Typographische Seltenheiten der Oeffentlichen Bibliothek za St.
Peteraburg. 22
Die Litteratur' in Kasan. Nach dem Roasischen 341
Archiv
far
wissenschaftliche Kiinde
von
Russian d.
Herausgegeben
▼on
A« K r WKk m Urn
Elfter Band.
r«te« Heft.
Berlin,
Yerlag tod Georg Reimer.
18 52.
Nachrichten liber drei pharmakologisch-wichtige
Pflanzen und uber die grosse Salzwuste in
Von
Herrn F. A. Buhse*).
W lihrend meines Aufenthalts in Persien bemtihte ieh mich,
die bisher wenig oder gar nicht bekannten Mutterpflanzen
mehrerer seit Alters gebrauchlichen Gummiharze kennen zu
lemen. Dies gelang mir insbesondere mit der das Gaibanum
liefemden Pflanze. Ich bin daher im Stande die friihern An-
sichten iiber dieselbe, welche sich lediglich anf die Untersu*
chung der dem kauflichen Stoffe beigemengten Friichte sltitz-
ten, zu berichtigen, und die wahre Mutterpflanze, deren n&here
Beschreibung ich roir far eine spatere Gelegenheil vorbehalte,
mit Sicherheit nachzuweisen.
Am Fufse und an den Abhangen des Demawend fand ich
im Juni 1848 auf felsigen Stellen eine Umbellifere, zur Gal*
tung Ferula gehorig, welche mir durch eine eigenlhiimlich
riechende, reichlich am Stengel austretende Fliissigkeii auffiel.
Die Fuhrer bestatigten sogleich einstimmig meine Vermuthung,
dafs diese letztere Gaibanum sei. Diese Pflanze erreicht eine
Hohe von 4 bis 5 Fufs. Die Wurzel isl grofs, oberhalb ver-
*) A 08 dem Balletin der Moskaaer Natorfonchenden Geselltchaft 1850.
No. IV Hiid daMlbst nach einer Mittbeilavg aas Riga Ang. 9 1850.
Ermans Rass. Archiv. Bd. XI. H. 4. 1
2 Physikalisch - niathematische Wissenscbaften.
dickt, iistig, und enthalt wenig harzigen Saft. Der Sleng€
am Grunde einen Zoli und dariiber dick, mit weissem Mai
angefiillt, ist stielrund und oberhalb verzweigt. Die Blatte
weiche mit einem an der Basis scheidig erweiterten Biattstie
versehen sind, haben eine im Umriss raulenformige oder ianj
lich elliptische Form; die untern 1^ bis 2 Fufs lang, iiber
Fufs breil, die obern viel kleiner. Sie sind vierfach-fiede
^ehftilHg un4 die AbsrohnilUe lettief Ordining eifdrmig od
oblong, sehr klein^ 5 bis 7 lappig, elvvas (leischig. Die gc
' ben Bliilhen sind zwitterig oder durch Fehlschlagen mannli<
(besonders an den seitlichcfA DDlden); sie slehen in zusamme
gesetzlen, gestielten Dolden, deren Hiillen und Hiillchen a
die Scheiden reducirt sind, und friih abfallen oder ganz fe
len. Die 5 Kelchzahne undeutlich. Die 5 Kronenblalt
schmal-lancetlformig, an der Spitze eingebogen. Die Stau
gefasse mit verliingerten Staubfaden und in der Mitte an^
be^eten> fast eiformigen Skaubbeuteln. Die Griffelpolster si
mehrfach kleiner als die in der Biiithe aufrechten, spal
auriickgekrummten Griffel. Die Narben kopfformig. E
Friichte 5 bis 6 Linien lang, 2 bis 3 Linien breit, sind ell
tischi vom Riicken her zusammengedriickt. Die TheilfriicJ
mit 3 bis 4ladenfarmigeQ Riickenriefen und 2 in den eingel
genen Rand iibergehenden Seitenriefen. Die Thalchen e
«lrtemig mit zusammenfliefsenden Striemen^ die reich gefi
mit Gummiharz sind. Die Commissur ist striemenlos.
Die so beschaffene Pflanze scheinl von Ferula erubesc<
Boiss. Boissier in annaies des sciences III. Ser. 1844. p. «^
hauptsachlich durch das Fehlen der Commissuralstriemen v
schieden. Indess, abgesehen noch von einigen andern unt
^cheidenden Merkmalen (wie die Grofse der Friichte,
Form der Blatter), wird weder von Aucher-EIoy, noch i
Kotschy, die Beide die Ferula erubescens Bois. gesamn
haben^ ak)gegeben, dass sie Galbanum erzeugt; was, wenn
der Fall gewesen, ihnen schwerlich hatte entgehcn konn
Ob nun beide Pflanzen str^ig geschiedene Arten oder t
Varietaten derselben Art eind, wage ich noch niehl zu <
Nacbricbten iiber drei pbannakoiogwcb-wlcbtige Pianxen etc. 3
sdieiden. Gewias ist aber, dass die von Don aufgestfUte
Gaitung GalbanuiDy welche er ziir Tribus di^r Silerioeae bringt,
unhallbar i^t; und dafs wahrscheinlich die Lindleysche GaUung
Opoidia (in die Tribus der Smyrneae eingereibt) ebeoao*
W^nig als MuUerpflanze dea Galbanum gelten kann; es aei
doqn, d^& dieselbe auch von andern Pflanzeni ala der von
fnir entdeckten Ferula hervorgebracht wurde, oder aber beide
Mtoren nach verstuaimelien Frucht^n ihre Diagnosen aufge-
^itellt hallen.
Di^set Pflanze, welche in einigen Gegenden Persiens
Khassuih (zu unterscheiden von: Kasneh s= Cichoriurn Inty-
bus und Gasehnis =- Coriandrum sativum) in anderen Borid*
scheh genannt vvird, scheint zwar in dem ganzen Reiche vor*
zukommen, ist jedoch auf gewisse Lagen beschrankt. So
sab ich dieselbe im ganzen grofsen Gebiete der Elbura*Kette
(und zwar in der weilesten Ausdehnung dieses Namens, d. b.
vom sudoslliohen bis zum siidwestbchen Winkel des Caspi-*
9chen Meeres) nur auf die Gegend des Demawend beschrankt|
dori aber freilieh in grofser Haufigkeii und auf einer H5he
voj^ etwa 4000 Fufs bis hinauf zu mindestens 6000 Fufs (am
Abhange des Demawend - Gipfels selbsl). In dem Talyschge-
birg^) das, als unmittelbare Fortset^ung des Clburs, diesem
ahnliche T^rrainverhaltnisse zeigt, und das ich in den ver-
sphiedensten Richlungen durchkreuzt babe, fehlt sie ganz*
Ebftnso bei Tabris und in der Landschaft Karadagh. Dagegei)
versiqh^rie n)an mich, dafs sie sebr haufig an^ Alwend*Berge
bei Harnadan, ^ wie slellenweise in der Nachbarschaft der
grofsen JSaJUwQste sei. An jenem Orte (bei Hamadao) sam-
9Klte auch Aucber-Eloy die Ferula erubescens Boiss, Daher
Ikgt 4i^ Vcirmutbung irot^ dem oben ^ausgesprochonen Be-
d^riu^n n^bei dass meine und Aucher*s Pflanze gleichen An-
tbeii an der Galbanuinproduktion haben. Ich |raf sie auf den
von mir berei$ten Theile der $alzwuste nicbt. Die Bewoh-
n^r 4er Gegend um die DeAtaweiidspitze verschaffen ^ch das
Gumipik^rst ein£ach durch EinsapiQ^eln de^ Ireiwillig a|i dctr
Oberflache des Stengels, besonders an seiijii&m onJL|^^ Theile
1*
♦ . ...
4 PhysikalSsch - mathematische Wissenschaften.
und an der Basis der Blatter, hervortretenden Stoffes. Das
'Vehvunden der Pflanze, um ein reichlicheres Ausfliefsen des-
selben zu bewirken, ist bei ihnen meines Wissens ungebrauch-
lich. Auch wird daselbst keine besondere Industrie aus sei-
ner Gewinnung gemacht Diese soil aber an deQ beiden
andern obenerwahnten Standorten ausgeiibt werden. Das
Gummiharx ist im frischen Zustande milchweiss, fltissig und
etwas klebrig, wird aber durch Einfluss von Liift und Licht
rasch gelb und zah, endlich fesL Der Geruch ist ziemlich
schwach, aber unangenehm, sehr ahnlich demjenigen, wie er
sich an dem durch deir Handel zu uns gelangenden Galba-
num erweist
Eine andere, nicht minder ausgezeichnete, wenn schon
bekanntere, Pflanze, welche ich an Ort und Stelle beobach-
tete, ist aller Wahrscheinlicbkeit nach die Ferula Assafoetida
Lin., dieselbe, die von Kampfer (in den Amoenitates exoticae)
so ausfuhrlieh nnd getreu beschrieben, nach ihm aber von
Keinem der Reisenden in Persien berucksichtigt worden ist. Lei«
der war diese Pflanze im April, wo ich sie sah, zu wenig
entwickelt, um iiber ihre Identitat mil der von Kampfer beob-
achteten ein vollgiiltiges Urtheil fallen zu konnen. Denn es
batten sich eben erst die Wurzelblatter enlfallet und an den
Dolden der vorjahrigen, vertrockneten Stengel (die hochsten
hatten 3 bis 5 Fufs; Stengel von 1 bis 2 Klafter, wie Kam-
pfer angiebt, kamen mir nicht zu Gesicht) waren nur selten
einige verkiimmerte und unvollstandige Fruchte stehen geblie-
ben. So viel an ihnen zu erkennen war, tru^en sie nach
meiner Ansicht den Charakter der Gattung Ferula an sich.
Bei einer Vergleichung dieser Wurzelblatter mit derBeschrei-
bung, welche Kampfer von den Blattern giebt, ergiebt sich
eine so grofse Uebereinstimmung, dass, nimmt man hierzu
die Gestalt der Wurzel und des Stengels, die Dolden -Ver*
zweigung und die Form derFriichte, man ihre Identitat kaum
mehr bezweifeln kann.
.*■*
Nacbrichten uber drei phacmalM»lagJicli'«wichlige Pflanzen etc 5
Und wenn Kaoapfer, was alleio wider^prechend scheinen
konnte, sagt, Amoen. exotic, p. 537 : dab die Blatter spat im
Herbste aus der Wursel zu spriefsen beginnen, so ware ich,
ohne Kampfers Glaubwiirdigkeit verdachtigen zu wollen, ge-
neigt, diese Angabe ais einen Scbreibfehler zu bezeichnen.
Es sind aber die von mir gesammelten Wurzelblatter folgeur
dermaaisen bescbaffen: bei dem ersten Hervorspriefsen, wo
sie nocb sebr klein und zusammeDgefaltet sind, zeigeo sie sich
durch eine sehr kurze, dichtei flaumige Bekkidung vollig
weissgrau. Die ausgewachsenen Wurzelblatiter sind im Um-
risse fast rautenfomug, breiter als laog (bei circa 17 ZoU
Breite, circa 13^ Zoll Lange); dunkelgriin, mit eineln eigen-
thiinilichen matten Fettglanz, hervorgebracht durch jenen,
nunmehr minder dicht stehenden Flaum. Dieser ist am
staiksten gegen den Blattrand bin, und auf der Oberseite
starker, als auf der Unterseitef. Die Blatter sind doppelt ge*
fiedert; die 4 bis 5 Fiederpaare h Ordnung steben in ver-
schiedenen Abstanden am Blattstiel, so namlich/ dass vom
ersten Fiederpaar, welches dem Anbeftungspunkte des Blatt-
stiels etwa bis auf 1^ Zoll genlihert ist, das zweite Paar dop-
pdt so weit entfernt ist, ebensoweit von diesem das 3.; das
4. Paar aber ist vom 3. nur urn das Anderlhalbfache dieser
•
Entfernung abgeruekt; das 5. wo es' vorhanden, nocb weni-
ger vom 4. entfernt An den Fiederpaaren .3. Ordnung wie*
derholt sich dies in abnebmendem Mafsstabe, und zwar immer
so, dafs das 3i Fiederpaar weiter absteht vom !«, als dieses
vom Blattstiele erster Ordnung. Die Abschnitte letzter Ord*
nung (circa 1 bis H Zoll lang und ^ ZoU breit) sind fieder*
spaltig oder fiederlappig nnt 3 bis 5 Lappen, die ungleichsei-
tig-rautenformig, an ihrem vordem, der Blattspitze zugewen*-
deten, Rande meist ganz an ihrem hintem Rande und an der
abgestumpften Seite hie. und da stumpf-gezahnt oder einge-
schnitten sind; oder sie. sind fast umgekehrt verlangert-eifor-
mig, an der abgestumpften Spitze tief und ungleich gekerbt;
immer aber laufen sie mit dem hinteren Rande langs dem
Blattstielcben herab. Das Herablaufen ist bald starker, bald
&fchH^9ctseh tttid deitmach %dld das Bkttstielohen fcwisehen den
dnz'etfren Abschtiitte^ IheHv^eise nackt, bald breit geflllgelt*
Zuweilen, besohders gegen die Spitse bin, fliefsen die Ab-
schniHe do stark in einander, dafs sie ein fast leierfck'iniges
Blalt darslell^n. Der Nerv liegl nichl in det Mitle der Ab-
schnitte =und Lappen^ sondem isl dem vbrdei'n Rande gena*
herl, ja selbst oft demselben dfchl anbegend. Die Nerven
treten auf der Unterseite des Blaftes stark rippenartig hervor.
De)* Blattstiel ist gefurcbt und kantig nvt einetn ^erslrc^uten,
Si^hr knrzeh Flaum bedeckt. Gegen die -Ba^is ^es Blatlstiels
vermindert sich der Flaum, und an dem Anbeftungspunkte
wo ^r gegen ^ Zoll dick ist, fehlt er gane. Diese specieilen
Angaben iiber das Blatt der seltenen Fflanze werden um so
Weniger tiberflussig erscheinen, als wir noch nichts welter be-
'sitzeh, 'urn (iber die Natur der ganzen Pflanee in8 Reine asa
ktftnm^n* In einem Briefe theiit mir Herr Boissier, nach An*
"si^ht 'die&^s Blattes, die IVleinung noit, es sei keiner Ferala arn*
gehbrfg. leh giaube dennocb bei meiner Ansieht beharren su
konnen.
Ueber das Eins^ammeln der Assafoiicla und die Bescbaf«-
fenheit derselben, so wie der sie bervorbringenden Wurzel^
hat KMmpfer so gefnaue und voUstandige Nacbrichlen mir-
getheilt, dass ich dariiber nicbis Neues binzufiigen kann.
Das Verfahren ^hat mch seit kuebr ab 160 Jahren nicbt ge^
Mndert.
Was das VoAdmmen der Ferula Assardtida Lin. (?), be-
trifft, so babe ieb sie selbst in den felsigen , dtirren Gebirgen
bei Dsebeuda^k und Jesd baufig angetroffen. -Sie lii^bt be-
90nd<^rs sonnige Abhange und sebeint nicbt zu bedeutender
Hdhe binanzusteigen. Ausser den von Klimpfer bezeichneten
Standorten, findel sie sich nocb, nach mehrfachen vott mir
neingezogenten Erkundigungen, in der Provinz Chorasan, vor-
^gbch bei Nischapur und Sebsewar, wo die jungen Blatt^
triebe genossen werden soUen, wabrend in der von mir be-
•sueblen 'Gegend diese Nahrung verabscbeut wurde. Der<H5-
henzug wSiokub, am Rande der Wuste zwiscben Kaschan und
Naclirichten iibef drei pUariiuikolagiacb-iriclitif* PHanzen. 7
Semnan scheint lier ieli^te Punkt gtgtn Norden uad We^ten
zu sein, wo sie noch wiichst Jm ganxen Wiistengebiet, wie
bei Tabbas, bei Kerman, soil sie sehr verbreitet seiii. Ihren
Namen horte ich iiberall „Anguseh" aussprechen und demge-
mass schreibt man ihn auch, wabrend Kampfer ,,Hingi8elr'
sebreibL
Von der Gummi- Ammoniak-Pflanze, die von Aucber-
Eloy und Kotschy schon nach Europa gebrachl worden, will
ich nur in der Kijrze ihres Vorkomtnens erwahnen.
Ich /and bei dem Uorfe Rischm, das barl am Nprdrande
der Sal^wuste, siidlich von Darogan, am Fufse dea Gebirgs*
zi^es Kuhi-Rischm, nach meiner Vermuthung 3000 bis 3500
Fufa tiber dem Meere liegt. Auch von ibr konnle ich nur
Warselblatler und einige Friicbte von den vorjabrigen, ver-
donrten Pflanzjen sammeln* So weit $ich aus die$en schlies-
sen lassty ist es Dorema Aucheri Boiss. und nicbt das ibm
ahnliche Dorema ammoniacum Don. Die Eingebornen nann*
ten es Weschach und oicbti wie gewohnlicb angegeben wird,
Oaehak. Das Gummiharz sammeln sie vielfacb und briogen
es zam Verkanf. — In der Nabe von Jesd kommi es nicbt
Tor, in der Gegend von Tabbas aber soli es rechi eigentlich
zu Hause sein und die Gewinnung des Gummiharzes daraus
ein bedeuiender Industriezweig sein. Das Dorema Aucheri
Boiss. (?) wachsl an ahnlichen Orlen» wie die Assafotida-Pflan^,
d. L an dtirren, fekigen Abbangen; und der StengeJ erreicht
eine gleiohe Hdbe, EinGenaueres tiber seiaen Verbreiiuiigs-
besirk vei'mag ich nichi aozugeben, indem ieh es nirgend wei^
ter als bei Bischm, und dort nur in geringer Haufigkeit sab.
Dass es ubrigens auch auf hdherem Gebirge wachst, beweisi
die Angabe Erasers (in dessen Narrative of a Voyage into
Khoms^an elc^), welcber die Pflanze (ob D. Aucheri oder
ammoniacum iat aber fraglich) bei Jesdichost bemerki hat;
und dieser Gebirgsort liegt 5916 Fufs iiber dem Meere zu-r
8 JPhyftikftUteh-matbeinatUGbe WiMensebaften.
folge Frasers Messung, bericbtigt durch Oltmanns und Kitorr
(Ritter Erdkunde von Asien VI, 1. p. 9).
Einige Bemerkungen iiber die noch wenig bekannle Salz-
wiiste, deren ofters im Vorstehenden Erwahnung geschieht^
mochten bier urn so mehr an ihrer Stelle sein, als gerade der
von mir gesehene Stricb derselben nie zuvor von einem Euro-
paer ber4]brt war.
Die bedeutende, anunlerbrochene Wiistenflacbe, deren
Lange von W. nacb 0., zufolge einer ungefahren Schatzung,
800 Wer«t, deren Breite, wo icb sie passirte^ 129 Wersl be-
tragt, wird gegen N. begrllnzi von den Gebirgen welche als
Vorberge des Elburs und seiner ostlichen Forlsetsung betrach-
tet werden konnen, und eines Theils den Provinzen Seninan
und Schahrud-Bosfam (auf den Karten meist als 'ITaberistan
bezeichnet), andemtheils dem Gebiete von Chorosan angeho-
ren. Sie bilden einen Bogen> dessen Endpunkt im W. bei
Teheran, im O, bei Turschis zu liegen scheint, und dessen
Wolbung bei Damgan oder Meiomei ihren Hohepunkt baben
mochte. Im W. lauft die Wiistenebene in eine sich allmalig
versehmalemde Spitze aus, welche bis jenseit derStadteKum
und Kasehan vordringt Im S. mochie ihre Granzlinie (von
Kaschan aus gegen O.), eine nahezu gerade sein bis in die
Gegend von Tabbas. In 0. wird sie, zufolge der Berichte
friiherer Reisenden (wie Capt. Christie), durch von SW. nach
NO. verlaufende, niedrige Gebirge, bis Turschis hiri, begranzt
oder doch unterbrochen (denn dass das Land weiter ostlich
von Tabbas bis zur Afghanischen Grenze mit wenig Unter-
brechung ebenfalls Salze oder doch Sand-Wiiste ist, erscheint
nach mehrfachen Nachrichten als unzweifelhaft).
Das eigentliche Persische Salzwiistenland, diese gegen
den Siidrand (wie ich unten wahrscheinlich mache) geneigte
Ebene kann man somit als ein, mit dem Langsdurchmesser
nach W. und Ost gerichietes Oval betrachten. Dass es mcht
Nachrichten iber 4rei phamiftkologiiQii-wiehti^ Pflftnten •te« 9
voUbommen darch die angegebenen .Gransen abgeschiossen
ist, babe ich fiir sein ostlicbes Ende eben bemerkt. Nicht
minder finden Uebergange gegen N. nach der, die Provini
Chora«an durchsiehetoden , Wiiste; gegen S. wie su vermu*
then, nach deijenigen von Kerman Statt — Die senkrechte
Erhebnng mttchie vielleicht wenig von derjenigen der benach^
barten Ortsibbaf ten , die gemessen worden, abweiehen. Nach
Fraser (s. Ritter Erdkunde Asien VI, 1. p. 11) liegen Dam*
gan 2898 F., Seaman 3504 F., Teheran 3786 F., Kum 2046
F., Kaschan 2508 F. iiber demMeere. Die tiefele Einsenkung
des Plateaus bei Kum und Kaschan stimmt, der geographic
schen Breite nach, iiberein mit der Lage eines Sahsees in
der Wuste, der &ich bandartig durch ibre Langsrichtuhg fain-
zieht, und dessen Breite ich auf H Phar. (circa 9 Werst)
^chatite. (Seine Lange ist ungemessen; und seibst die Ein*
gebornen wussten mir dartiber nichts anzugeben. Davon aber
habe ich mich iiberzeugt, dab sein wesUiches Ende nicht bis
Kaschan reicht.) Sehen wir in diesem Salzsee den Ueberrest
eines vorweltlichen Binnen-Meeres (eine Vermuthung, fitir
welche sich noch Manches anfiihren iiefse), so miissen wir
annehmen, dafs, bei dem Schwinden der Gewasser, ein Ueber-
rest derselben an der tiefsten Stelle des Grundes sich ansam-
melte und hieraus sich in der Folge der Salzsee biidete. Da
nun aber das Land siidlich von der Salzwiiste sich, g^en
Jesd bin, offenbar erhebt (Jesd seibst mochte in gleieher
H6he mit Isfahan, also iiber 4000 Fufs gelegen sein), so ist
diese tiefste Stelle mit Reeht in der G^end des Salzsees zu
suchen.
Dieser See ist mit einer Kruste. reinen Salees, das auf
der OberflSche durch eine diinne Schicht dunkelgrauen San-
des verdeckt wird, fufsdick belegt; und unter ibr findet sich
ein triibes , schlammiges Wasser. Soweit ich mich , durch
eigene Versuche iiberzeugen konnte, ist die Tiefe gering; doeh
versicberten mich meine Fiihrer, dafs sie stellenweise bedelu-
tend sei, und dafs durch die zahlreich in der Salzdecke vor-
handenen Oeffnungen oft Ungliicksfalie vorkommen. Unsere
to PhytikaHtob-nifttheinatitche WiMeiudialleii.
Ricbtung war, wie auch in dem librigen Tbeil der uuwirtii*
baren Bbene, durcb Stekihaufcben, Knocben u. s. w. bezeicb*
net. Haufig sieht man auf der gansen Slrecke Leicbname
von Kameeien; and meine Begleiter wussten viele Schr^k^
kenfigescfaicbten zu erzablen von Reisenden, die sich bier im
Scbneegestober verirrt und verungliickt; von Garawanen, die,
weil das Kameel bei Regenwetter auf dem auberSt sqhlupfri*
gen und durcb ScboUen unebenen, Boden nicbt foHkoiunien
kann, liegen geblieben, und arge Drangsal ausgestandeOi.
Selbat die nicbsieti Anwobner der Wiiste wagen sich nur
wenn giinslige Witterung vorauszuseben ist, biniiber, und aucb
dann nicbt ohne alle moglicben Vorsicbtsmaafsregeln. „Wehe
dem Ungliicklicben'', sagten sie, »,den mitten in dem ,Kewir'
(Salzwiiste) Unwetter uberfallen: er muss Tbiere und alles
fiigentbum ini Siicbe lassen und nur das nackle Ljeben zu-
Fufs zu retten suoben". Minder Gefabr bat die Reise zu
Pferde; aber nur wer gar kein Gepack mil sicb fiibrl und
aich mil einem kleinen Scblaucb Wasser fur sicb und seio
Thier, einem Bissen Brod und einer Handvoll Geraie ftir's
Pferd, weicbes das erprobteste s^in muss, begnugen kann,
darf sicb auf diese Weise biniiberwagen.
Im Siiden scbliefsi sicb an die Salzeb^ie ein Bergland,
das sicb bi$ zu der Wiiste von Kerman ausdehnl und die
Provtnz Jesd in sicb begreift Das Gebirge, meist von un-
bedeutenderildbe, besonders in dem nordlicben Tbeil, erreicbt
mir bei Jesd die Scbneegranze, wodurcb es aber dieser Pro<-
vinz einiger Cullurfabigkeit verleibt. Nimrot man die Strafs.e
von Kaschan nach Jesd und von bier nach Tabbas als be^
granzende Culturstreifen, durcb wenige bewobnle Orte be-
^eichnet, an, so befinden sicb innerbalb des ganzen, zwiscben
4ie8em Streifen und der nordlicben, oben bescbriebnen Wiisten*
«ben!e, gelegenen Landstricbes nur 4 bewobnte Orte, namlicb:
Dscbendack, Enareck, und die von mir nicbt beriibrten Orte
Biabuneck und Cbor. Die beiden ersten besitzen siifse Quel*
len; die lelzlen nur salzige.
Aber so viel Wiislennalur auch dieses Bergland nocb an
Nachrichteli 'fiber -Atvi ^ffitMAoivgilfdi-wleMi^e MAnzen etc. H
sidh hfft, 00 iiles dochvoi^ der 'dgeoUacheoi ^bcmen Wwte^
eben^o ^ehr verdchiedeif, als 69 'die Surfrnssmohe Steppe Tod
eiuer Nord-Abirischen E^node ist. Deno jene Ebene ist alles
LebeiM beraubt; ketn Grofthahn wUchst au( ihrein, mit Sub
impragnirten Boci^n, vnier 'deersen Obenflacke selbst 'stelKveise
reines krystallinisebes Salz lie^i. Tint einie, noch uwbeschra&o
bene, Haloph'yte (erne Halimocnemis?) erblkkt'e ieh auf einem
kleitien Ftecke tiahe dem Nordramde als einsanMn und einai*
geh vegetabilischen Betvohner. Kein Tbier vermag auf ihr
zu leben, und die beiden von mir angelroffenen, eine £ideokBe
irnd ei-ne Heuschreeke, waren skher nur verilrte Fretndrmge.
An ti^inkbarem Wasser febll es ifair vdllig* Dag«egen «ind in
den ThMiern des Berglande^ aafser den 4 genannten, mit
Queilen begablefi Oiten, an vemchiedenefn Stellen firuntKen
gegraben worden, den*n Wasser, vrenn auoh sehen von m*
nem Geschttiack, doeh nrindesteiiB fUr die Laelthiere geniess*
bar ist. Die Thalhohen, deren Boden steinig ist oder, ghieh
vielen Thalebenen, des fruchtbaren Persiens, thonig salzhaltig
sind meist mit geselligen strauchartigen Gewachsen bestanden.
Unter diesen herrscht eine Abart des Saxaul, Anabasis Ammo-
dendrom C. A. Meyer, oder eine dieser sehr nahe stehende
neue Art (worauf mich Professor Bunge vorKurzem brieflich
aufmerksam gemacbt) vor. Im Persischen heifst diese Pflanze
Togh. Diese, nebst zwei Calligonum-Arten und einer Gra-
minea gedeihen sogar auf den diinenartigen Sandhiigeln zwi-
schen Dschendack und Emareck. Die felsigen, kahlen Berg-
abhange sind reich an Assafdtida-Pflanzen, einer fast baum- ,
artigen Pistacia (vielleicht vera) dem sonderbaren Strauche
Amygdalus scoparia, Gymnocarpus tetraphyllus und zahlrei-
chen anderen, meist niedrig strauchartigen und dornigen Ge-
wachsen, die zum Theil auch im iibrigen Persien vorkommen.
An dem schmalen VVestende der Salzwiiste zeigt sich
dieselbe Bodepbeschaffenheit zwischen Kaschau und Semnan,
wie zwischen Rischm und Dschendack, mit dem {Jnterschiede
bios, dafs am Sudrande ein ebener Sanddistrikt auflritt, wel-
cher einige Pflanzen tragi, wie z. B. einen Cyperus, eine Gra-
12 Pbysikaliidi-matheniatische WitMBiduifteB.
minea, ^en Convolvulus^ nebsl den weilverbrateten Pegimum
Harmala, Alhagi Camelorum etc. Der Siokuh giebi bier die
nordliche Grenze ab^ gleich wie sie dort durch den Kuhi-
Rischm gebildel wird. Doch ist die Gegend zwischen leUte-
rem und Damgan noch bdchsi unwirthbar, wahrend man sich
nach Ueberschreitung des 5iokuh bald auf eine iippige Gras-
ebene versetzt siehl, ein uberraschender, weil so' seltener An«
blick auf dem Persischen Plateauiande. Dieses Wiesenland
reicht bis an den Fub des Elburs und wird von seinen Was-
sern ilberrieselt.
„So ergiebt sich auch fur diese einfSrmige eigenthiimlich
asiatische Flachenbildung manche Verschiedenheit in ihrer Er-
scheinung an gewissen Punkten, und dem aufmerksamenAuge
bieiet sich auch an ihr manche Gelegenheit zur Beobachtung
dar^ die nicht zu unwicbtig ware zu einem Beitrag fiir den
groben Vorwurf einer allgemeinen Beschreibung unseres Pla-
nelen."
1st die aus dem Dotter des Tergipes, unbescha-
det dem Tergipes- Embryo si€h Mitwickeliicte
Cosmelia Hydrachncndes ein selbstst&ndiges
Thier?
Von
Dr. Alexander v. Nordmann,
Prof. ZQ Helsingfon in Finnland*).
Jl ei Gelegenheii der Darlegung der Entwickelungsgeschichte
eines Nacktkieixiers machte ich die gelehrten Fachgenossen
auf eine von mir wiederholte Beobachtung aufmerksaoi,
welche mich wahrend der Untersuchung in grossem^ Grade
iiberraschte, und die ich mich jetzt veranlasst fiihle^ noch ein-
mal su besprechen. Es handelt sich dabei namlich um nichts
weniger, als um die Frage^ ob und in wie fern aus den Ele-
mentartheilen des Eies eines gewissen Thieres, zugleich zwei
verschiedene Geschopfe entstehen konnen. Um ganz sicher
zu gehen wird eine Recapitulation entschuldigt werden.
Pag. 76. §. 38 in meinem Versuche einer Monographie
des Tergipes Edwardsii, St. Petersburg 1843 **) heisst es
namlich:
^,Kurz bevor die bekannte Dotterspaltung anfangt, und die
erste Furche entsteht, bemerkt man etvvas ganz besonders
*) Balletin der Moskaaer Natarforschenden Gesellsch. 1850. No. II.
"**) In den M^moires de TAcad. Imp^r. d. Sciencei, par divers sayants
Strangers, T. IV«
14 Physikalisch - mathematiscbe WiMtnischaileii.
MerkwiirdigeSy welches indessen mit der Entwiekelung des
Embryo niir einen miltelbaren Zusammenhang hat. Wahrend
nainlich das Chorion sich ausdehnt, findet man nun in dem
entstandenen Kaume, zvvischen dem Dotter und dem Chorion,
wie ich bereits erwahnt habe, nur eine durchsichtige eiweiss-
artige Flussigkeit, und von anderen etwa darin enthalte-
nen. Partikelchen isi durghaus keine Spur zu entdeckep. 1st
die Auflbckerung dcs Dotters aber vor sich gegangen und
§irtdl di^ DcrUer^onlurefi i^nsKcdii gewcnrdb^jk, sa trent>«n sick
2-^% sii^wdkn ?Mc&^nijel| Oftthl0«.K|«iHP^il v^ii^^yjjolter.
masse, kleben zwar anfang^ noqhan der Oberflache, werden
aber bald ganzlieh ausgesehieden und liegen nur an verschie-
denen Stellen in der Eiweissfltissigkeit. Genau untersucht er-
gab sich, dass diese Rlumpen nicht verschieden von den iibri-
gen Bestandtheilen des Dotters waren und immer einige
grossere, runde, belle Zellen enthielten, in welchen kleinere
eingeschachtelte (?) Zellen mit Kernen sich befanden. Neu-
gierig zu erfahren, was aus diesen Korperchcn werde, babe
ich mir Miihe gegeben, die mit denselben vorgehende Ver^
anderung zu verfolgen, bin damit auch vollkommen im Rei-
nen. Diese vom Dotter sich'trennenden Theilchen bilden sich
2;u bestimmten, ganz eigenthiitnlich geformten parasitischen
Thieren aus; gewis^ einemerkwiirdige und sonderbare That-
sache, welche zu vielen Pragen, Hypolhesen \ind Voraus-
setzungen Veranlassung geben kann.
Es fragl' sich zun^chst, isl die so efoen atigegebene Beob-
nchtung auch richtig? babe ich mibh nicht vielieicht dabei
tauschen lassen? rlihreri die abgelrennten Eorperchen auch
wirklich vom Dotter her? Ferner waren die doppelten Um-
hiiilungen des Dotters, namlich das Chorion und die Membra-
nen der gemeinschaftlichen Eierhulse, auch wirklich unverlezt
iind ist es iiberhaupt moglich, die Entwiekelung dieser kleinen
parasitischen Thierchen zu verfolgen?
Auf diese Einwendungen liisst sich folgendes antworten:
die Mollusken gehoren bekannllich zu denjenigen Thieren, in
deren inneren Theiien eine Unmasse von Par^siteo vorkom-
hi die aas dem Dotter des Tergipes ein selbAtsUMIges Thier? 15
men; dafs die Beobachlung keiner Tauscbung unierliegt, da**
fiir spricht schon der Umstand, dafs die Erscheinung der sich
trennenden DoUerkJumpen zu den haufigsten gehort, denn von
der grofsen Menge der Cier des Tergipes, welche &u ver-
sehiedenen Jahreszeilen unter meinen Augeii sich entwickel**
ten, waren nur sehr wenige Rier, an welchen solches nichi
beobachlet worden ware. VVenn die Umhiillungen des Dot*-
ters kunstlich oder durch Zufall eine Beschadigung erlitten
halten und das Wasser freien Zulritl zu dem Dolter erhielt^
so erfolgte weder eine Entwickelung des Embryo, noch der
erwahnien Parasiten; die ganze Masse ging vielmehr in Faul«-
niss ilber. Dafs Parasilenkeime in dem Stratum der Eierslocke
eben so gut, wie in jedem anderen Organe vorkommen und,
einmal daselbst vorhanden, auch von den sich bildenden Eier-*
hiillen des sie beherbergenden Thieres umgeben werden kdn-
nen, dngegen liifst sich niehts einwenden, auch habe ich schon
friiher Beobachtungen der Art mitgelheill. Der innige Zu-
sammenbang der sich trennenden Dottertheile mit der iibrigen
Dottermasse und ihre Entwickelung innerhalb des Chorions
bleibt indessen immer iiberraschend, ja wenn wir im Stande
waren an den Eiern des Tergipes eine eigene Dolterhaul
nachzuweisen *), so miissten diese Parasilenkeime auch von
ihr eingeschlossen gewesen sein. Die Beslaligung von ande*
ren Naturforschern wird gewiss nicht lange ausbleiben, vor«
ausgeselzt, dass verwandte Nacktkiemer oder andere MoUuskeii
Aehnliches darbieten. Die Umwandlung der sich trennenden
Dottertbeilchen in seibslstandige Geschopfe ist, so klein die
letzteren auch sind, und wenn man die Detailangaben de»
Hergangs nicht fordert, nicht schwierig zu verfolgen."
Und ferner p. 95.
„ln der ersten Zeit bemerkt man an diesen Korpercheti
keine Veranderung. Wahrend aber die Embryonen des Ter*
gipes in ihrer Entwickelung so weit vorgeschritten sind, dass
*) Spattire Untersuchangen haben^ die Gegenwart einer zarten Dotterbaut
als yorhanden erwiesen.
16 Piiysikalisch-inathematiBche WiMenschaften.
die Eingeweide sich einigermaafsen erkennen lassen, nehmen
die jeUt zwischen der Conchylie und der Eischale umherflot-
drenden DoUerkliimpthen an Umfang ein wenig zu. DieZel-
lenmembranen verschmelzen und bilden grofsere blasenahnliche
Gebilde von rundlicher oder ovaler Gestalty in deren Mitie
man einen helleren Raum erblickt Bald darauf entsteht auf
der OberflSche der Blase eine kleine Hervorragung, aus wel-
cher feine Faden sichlbar werden, die sich um die Peripherie
der Blase legen und sie umfassen. Nach und nach werden
diese Faden immer langer, ragen mit ihren Enden immer
deutlicher hervor und erreiehen zuletzt eine Lange^ welche
um 7 bis 9 Mai den Durcbmesser des Blaschens iibertrifft
Indem sie alle nach einer Seite geschlungen, sich allma-
lig facherformig auszubreiten anfangen und so ungefahr das
Bild eines Vogelschweifes darstellen, bemerkt man an jedem
einzelnen Faden ein schwaches Zittern. Die Blase gerath nun
auch inBewegung und dreht sich wie einFeuerrad imKreise
herum. Bald darauf Ireten die Faden vollends aus einander,
iheilen sich in zwei einander gegeniiberstehende Buschel,
worauf das sonderbare Geschopf mit den langen ausgespreiz-
ten Beinen, langsam wie eine Spinne, einherschreitet oder
auch um die Achse kreist, oder endlich sich schnell hin und her
schleudert. In der Kegel kommen anfangs 4 — 8 dieser Pa-
rasiten in einem Eie vor, gegen das Ende des Embryonalzu-
standes der Tergipes-Larve vermehren sie sich durch Thei-
hing, d. h. der blasenformige Korper spaltet sich der Langs-
achse nach, in zwei Theile, wahrend unten neue Faden
hervorwachsen , die sich ebenfalis iru zwei facherformige Bii-
schel ausbreiten.
Man sieht dergestalt oft zwei noch an einander klebende
Obertheile mit vier Fadenbiischeln sich wunderbar umher-
schleudern. Jeder Biischel besteht aus 6 — 8 Faden und die*
ses schwankende Zahlenverhaltniss kommt daher, weil es sehr
hinfallige Organe sind, die von selbst abg^orfen werden,
worauf der blasenahnliche Korper ohne Bewegung liegen
bleibt.
Entbalt der Dotter dei Tergipet einen telbitstindlgeA Paratitent 17
Traf es sich, dass einer dieser Parasiien, ergriffen von
dem Strudel der Segel> zur Mundoffnung der Tergipes-Larve
getrieben wurde, so zog sich diese in das Gehause hineini
worauf jener mit Verlust einiger Beine sich wieder heraua-
arbeitete.
Hinsichtlich ihrer Organisationsverhaltnisse bemerke ich,
dass mir im Innern nur einige hellere Blaschen, suweilen auch
ein zugespitzter, zapfenformiger Theil an der Korperoberflache
sichtbar geworden sind. Die Grofse des blasenahnlichen
Theils betragt nur 0,009 Linien. In ihrem Wesen und den
Bewegungen stimmen diese sonderbaren Geschdpfe mil eini-
gen Cercarienformen iiberein, von welchen ein ganzes Heer
die verschiedenen Organe der MoIIusken bewohnt, und deren
wunderbare Entwickelung, Verpuppung und Umwandelung
so viel Neues und Ueberraschendes darbietet, wie es unsBo*-
janus, Nitzsch, Bar, Siebold und Steenstrup gelehrt
haben."
Einige Zeit darauf hatte mein geehrter Freund Professor
Milne Edwards die Gefalligkeit die von Herrn Carl Vogl im
Auszuge veranstaltete franzosische Uebersetzung der Ab-
handlung*) mir nach Odessa zu schicken, in welcher der
Uebersetzer hinsichtlich der mitgetheilten Beobachtung iiber
die Cosmella folgende Anmerkung macht. „I1 n'est pas rare
de voir se desagreger certaines parlies dans les embryons
des animaux inferieurs, qui n'en continuent pas moins de se
developper. Les parties desagregces elles-mSmes jouissent
pendant quelque temps d'une vie en quelque sorte indepen-
dante.
J''ai observe y sur des embryons d^Acteons, que les oils
voiles (pour me servir des expressions de Ms. Nordmann)
se detachaient souvent lorsque Tanimal commen9ait a souffrir:
les cils detaches presentaient absolument les memes formes,
les memes mouvements que les pretendus parasites de Mr.
Nordmann. La seule difference qui existe entre mes obser-*
*) Annates det Sciences natiirelles 3. s^rie. Zool. T. V. 1846.
Ermans Russ. Arcblv. Bd. XI. B. I. 2
"i^:.. fbytUnlisch^matbematische Wissensch«fl«ii*
^^alions el Ifs ^ieitneS) c'est que dans I^ Acteons les cils ne
^e deiacheni qu*accidenlelleinept apres leur developpemeiii
.accomplh, landis que dans ]e commencement du developpe-
meni embryopnaire qui se developperaient pour former des
cellules vibratiles completes.
Ce fait est certainement une belle confirmation de la
:doctrine qui veut que ies elements cejlulaires des embryons
jQuissenl d^une certaine independance de developpement;
;maia il ne me parait pas prouver d'avanlage, et je ne crois pas
que Mr, Nordmann soil dans le vrai en pretendant que ces
<;ellules vibratiles detacbees sont des animaux parasites for-
nsea aux depens de la substance vilellaire.''
Einerseits war es- von Herrn Vogl nicht artig mir zuzu-
muthent dafs ich gewisse zufallig abgelrennte bewimperte Par-
cellen dea Tergipes- Embryo fiir selbststandjge Thiere ange-
liommen batte, eine Zumuthung, .welche man altenfalls einem
Anfanger machen kann, denn wer kennt nicht das allbekannte
Pfaanomen, welches ein abgerissenes Sliickchen irgend eines
WeichthiereS' unter dem Mikroskop darbietet; von der anderen
Seite scheint aber Herr Vogt den Unterschied meiner Beob-
nchtung im GegeosaUe su der seinigen beachtet zu baben,
Wenn er jedoch sagt, dass Jes Elements cellulaires des em*
bryons jouissent d^une certaine independence de developpe-
ment,** so ist solches, wenn man es auf den vorliegenden Fall
anwendety vor alien Dingen so zu verstehen, dass der Anfang
der Entwickelung der Cosmella friiher als die Dotterspaltung
v«r sich geht. Das parasitische Geschopf entsteht demnach
nicht aus dem Embryo, sondern aus den Elementen der sich
vorher abgetrennten Dotterkugeln, und eben darin liegt eine
Kluft zwischen meiner Angabe und der aiigeblich ahnlichen
von Vogt, welche demnach auch nicht verwechselt werden
durfen. .
.:' Nachdem iqh den Einwurf von Vogt gelesen, hatte ich
niohts eiligeres zu thun als die Untersuchung noch einmal
vorzunehmen und gliicklicherweise fand ich audi mehrere
Campanularien-Basche, an welchen die beiden Tergipes-Arten
Eathait derDdtter dks Teii^ eineti MlbMillMifM P«ntiten?T|9
ihreHofaen imtBtdrn a%esetst haUeti. Die gte4u«ate Uateff-
sQchuDg hestatigte in jeder Hinsidiift meine froheren Angabaiy
<i]iid diese kimnen, wobei WiederholuDgen freilich imv^madliBh
sind^ ubersichtlich eiwa so luaammengestellt werdcn.:.
1. Die Abtrennung der kleinen Dotferhaufen, aus wel-
xhen die Cosmella fiich spaier entwickelii findet, witi gaaagl,
vor dem begimienden Famboi^sproscsic^ imd oamtndieh ito-
fort nachdem ilas Ei des Tergipea durch WaaaeranfiiehiMn
attfgeqaollen ist, stall, und sleht tnit deia von Fr. M&ller a4^
genannten Richlungsblaschen in keinem anderen VefhSltoisaa^
als das8 das E^scbeinen dieser beidcn Gebilde sewobl g^eich-
zeitig als auch kurz auf einander erfolgen kann.
2. Die .Entwickelung der Cosmella lasst skk^ viie :idi
schon friiher erwahnte, slufenweise verfolgen, wobei das Zu-
-sammenscfamelzen der anfangs scheinbar nur lose an etnander
'klebenden Dotterpaitikeln in ein regelmassiges rundlichea Ger
bilde, dessen allmahliges Durchsichtigwerden, das Hervortrei-
ben eines erhobten Theils der Blasenperipberiey aus welcbftm
die Wimperhaufen hervorwachsen , ihr anfangiicbes ZiUerta,
die Trennung der nun langen Winiper in swei Btischeli das
Drehen, Sichscbieudem und endlich das Sebceiten dea curio*
sen Gesehopfsy vortrefflicbe Anhaltspuncte geben.
3» Bevor noeh die im nwitilttsahnlicben Gehauae stek*
kende Tergipeslarve die Eischale sprengt, baben die Coamel'^
len ihre voUstMndige Entwiekeiung erlangt> und pflaiizen sich
dufch Langstheilung fort^ indem ku den scbon vorbandenea
Wimpern eine Anzabl neuer hinzowSebst; in wie fern aber
der schnabelabnKcbe Tbeil des Tbieres sicb auch tbeilt , iat
mir nicht klar geworden*
4. Nacbdem der junge Tergipes die Eischale gesprengt
und die iiussere Eierhiilse durch das Klaffen ihres Deckels
denAustritt der Tergipesjungen in*s Wasser gestatteti sind die
Cosmellen auch frei geworden, drehen und schleudern sich
im Wasser umher^ wahrend ibre Vermebrung durch Theilung
auch bier vor sich gehL
5. Naqbden* einige Individuen 3 — 4Tage in einemlJhr-
^2(0 Phyiikatiteh-niatlwroatiiche WifMmelttften.
glase sich befunden hatten, und wahrend dessen einer fort-
wShrenden Beobachlung unterlagen, setzten sie sich, ohne
einen Apparat zum Ansaugen zu zeigen, am Boden des Glases
festy und warfen ihre Wimpern, indem diese in einer geordne-
ten Reihe um die Peripherie desKSrpers sich legteni ab. Der
blasenfSrmige Kdrper des Thieres quoU auf, die inneren lich-
ien Stellen verschwanden , statt dessen machte sich aber in
der Milte des KSrpers ein dunkleres feinkorniges Gebilde
merklich, worauf aber auch die AuflSsung und der Tod des
.Geschopfes jedesmal erfolgte.
Kann es nun wohl einem Zweifel unteriiegen, dass wir
ein selbsistandiges Geschopf vor uns haben und ist auch nur
ein Grand vorhanden, das sonderbare VVesen fiir ein abgeris-
senes Stiickchen der Segelwimper der Tergipes*Larve zu hal-
ten, viie Herr Vogt es will? Dazu kommt, dass meineSeob-
achtung jetzi nieht mehr isolirt dastebt, denn in einem AufsaUe
„Zur Kenntniss des Furcfaungsprozesses im Schneckeneie von
Dr. Fr. Miiller''*), hat der Beobachter bei Gelegenheit der
•Uniersuchung eines dem Tergipes nicht fern stehenden Ge-
sch5pfs der Fasciola capitata O. F. MiiUer =: Planaria lima-
cina, O. Fabr. j= Pontolimax varians Creplin, gewisser lang
bewimperter Blaschen Erwahnung gethan, welche einmal im
Eie des genannten Thieres die benachbarten Eiweisszellen in
einen lebhaften Strudel versetzte, ein andermal in grober
Menge in dem Geschlechtsapparate der Fasciola vorkamen.
Ueber die Natur dieser Gebilde ist zwar Miiller in Unkennt-
niss geblieben und lasst es unentschieden, ob nicht dieses be*
wimperte Blasch^ ein friiherer Entwickelungszustand des
Richtungsblaschens gewesen sein konne**). Dannsagt er aber
wieder: ^^Es liegt nahe bei den langen Wimperfaden dieser
*) Archi? Ton Wiegtnann 1848, Heft 1.
**) Beilaofig will ich biebei erwabnen, dass Ton dem trefflicben Beob-
acbCer, Professors S. Lo?i^n korzlich ein Aa£Hitz aber die fintwicke-
long der Acephalen erscbienen ist, K. Wet. Akadem. Forbandlingar;
Dec. 1848. Stockholm 1849. welcber iiber das Verbalteo des Keim-
EnthllC der I>oUer dat Tergtpet ein«ii MiUtotSadigen Parulton? 21
„Bl^schen an die bei unseren Schnecken einfach fadenfSrmi-
,,gen, freilich mindestens noch 3— 4mal so langen Spermato-
„zoiden xu denken.*' Die erate VorausseUung ist offenbar
ganx uDstatthaft, und die. leizte Combination , wenigsiens mir,
voUends unverstandlich. Vielmehr w8re ich sehr geneigt tu
glaubeni dass Dr. Miiller auf dem Wege war, ein unaerer
Cosmeb'a aholiches GeschSpf zn belauschen. . Um so mebi;
ivare es su wtinschen gewesen, dass er meine Abhandlimg
fiber die Entwieklungsgeschichte des Tergipes gekannt hStte.
blaschens nnd Keimflec&et wabrend des Farcbang^sproEesMt tea
groiser Wicbtigkeit ist Lof^n iheitt die Meimmg Fr. Mttlert ia
Betreff der Deotaiigf det RiehtiBetblStebeu, idmlifidrl diesM Ge^
bilde mift dam Keimilecke, mid besebreibt sas/iibriieb desseit yerbsl<^
tea M den Eiern toa ModioUria nnd Cardiam.
TypographiscIiQ Seltenheiten der Kaii^erlichen
Oeffendlcheii BMothek m St Petersburg *3.
Jci9 gifbt. keinw Bibliographen und selbsl keineo Biicher-
freand ¥«n eitiiger GrfahruBg, ui dem der Ruf 4e6 Pastissier
fran^ois, Amsterdam, Louts et Daniel Eizerier, 1665 in 12°,
nicht gedrungen wSre; aber nur aufserst Wenige haken ihn
mit eigenen Augen gesehen. Herr A. de Reume, Verfasser
einer gelehrten Abhandlung liber die Elzevire, die vor nicht
langerZeit zu Briissel erschienen ist, spricht sich iiber diesen
Gegenstand folgendermafsen aus:
,J)as seltenste und merkwiirdigste Stiick der ganzen El-
zevir-Sammlung ist der Pastissier fran^ois. Die Liebhaber
finden ein solches Gefallen daran, dafs man fiir dies diinne,
mit schleehten Charakteren gedruckte Duodezbandchen, das
Daniel Elzevir im Jahre 1675 fiir zw5lf hollandische Groschen
feiibot, 250 Franken bezahlt hat. Die namhaftesten Bibliophi-
len: Berard, Motteley, Durier, Charles Nodier, Bruyeres-Gha-
labre, Baron Marchaud, Fiirst Massena etc. besafsen es nicht
Haben sie den Pastissier? ist gewohnlich die ersle Frage, die
man an einen Liebhaber Elzevir'scher Drucke richtet, und wenn
er das unaussprechliche Vergniigen hat darauf antworten zu
konnen mit jenem ich habe ihn! in welches der unnach-
ahmliche Van Hulthem einst so viel Ausdruck zu legen
wufste, so erklart sich schon aus der blofsen Vorstellung von
einem solchen Vergniigen die ausgezeichnete Gunst, deren
sich das Bilchlein erfreut.
*) Aus der Petersbnrger Akadem. Zeitung abgedrackt.
Typographiiche Seltenheiten der Petertborger Kaiserl. Bibliothek. 23
„Der gelehrte Herr Ch. Pietero weisel die ExisteDx vbli
fiinf Exemplaren desselben nach, namlicb:
,,Das erste Exemplar, welches er, nach den von Briinet
und Berard besprochenen, zum Verkaufe kommen sab/ war
verzeichnet unter No. 281 im Kataloge des Herrn Sensier,
eines Mitgb'edes der Gesellschafl der franzosiscben Bibliopbilen,
dessen Bucber-Sammlung im April 1831 versieigert wurde.
Es ist als schones Exemplar angezeigt und war in der *thal
rein, in seinem ursprunglicben Pergameht-Eiobande und 4
ZoU 9 Linien hoch. Es wurde fiir 128 Franken erslanden.
Neun Jahre spater, im April 1837 , erscbien das namliche^
Exemplar^ in unveranderlem Zusiande, in der Bignon'schen
BUcher-Auktion und wurde fiir 201 Franken sugesprochen.
Es blieb in Paris und mufs sich gegenwartig in Herrn Miiioto
Kabinet befinden.*'
Das Bulletin du Bibliophile von Teschener (Paris, Jabr-
gang 1848) tbeilt mil, dafs Herrn Milloi dies scbone Exern*
plar, nacbdem er es bei Niedren vortrefflich einbinden lassen
(roth Saffian au(sen und innen), 1846 an den Marquis de C«
verkauft, der es wiederum einem Herrn B. D. uberliefs. Von
dem letzteren kaufte es Herr v. Montesson fiir 450 Franken^
um es seiner kostbaren Elzevir- Sammlung beizuzablen.
„Das zweite offentlich verkaufle Exemplar gehorle Herrn
G. de Pixerecourt (s. No^ 337 seines gescbalzten Kalalogs).
Es isl von Bauzonnet in blau SafGan gebunden. Auf die Be-
zeichnung sebr selten, folgl im Kataloge eine Anmerkung
von Paul Lacroix (Bibliophile Jakob) und der Herausgeber
des Verzeichnisses fugt hinzu: das Exemplar welches 1827
fiir mehr als 200 Franken verkaufl wurde (das Btgnonsche)
stehi dem unsrigen weit nach: dies ist seit vierzig Jahren
das zweite offentlich zum Verkauf kommende Exemplar. —
Seit zwanzig Jahren hatte es beilsen mussen. Dies zweite
Exemplar wurde 1839 fiir 221 Franken erstanden: mit Ein*
reehnung der &% betragenden Auktions - Gebiihren kostete es
demnacb 232 Franker » bhne die KommiiBsioD in Anschlag w
24 AlIgemeiB Literaritches.
•
bringen. Herr Beaujoie in Nancy befindet sich gegenwartig
im Besitz desselben."
„Das dritte Exemplar, wurde unter No. 1795 im zwei-
ien Theile des Lammens^schen Kataloges, zu Gent, aufgefiihri
mil folgender Bemerkung: vorliegendes Exemplar dieser aus-
serst seltcnen Ausgabe, der kostbarsten in der ganzen Elzevir-
Sammlung, ist vortreSlich erhalten und noch in seinem ersten
Einbande. — Es war in der That ein fleckenloser Pergament-
band von 4 ZoU 10 Linien Hohe. Man uberliefs ihn, W^
Aukiions-Gebuhren mitgerechnet, fiir 220 Franken Herrn Van
Gobbelschroy, ehemaligem Minister des Konigs der Nieder-
lande und Besitzer einer grofsen Anzahl schoner Elzevire.
Dies Exemplar ist seitdem von dem geschickten Bauzonnet in
Saffian gebunden worden. Der Einband hat 25 Fr. gekostet/'
y,Das vierte Exemplar gehorte unlangst zu der Samm-
lung des Herrn Barrois, Verfassers der interessanten Biblio-
fheque prototypographique des fils du roi Jean. Das in
Kupfer gestochene Titelblatt fehlte und war, tauschend ahn-
lich, durch eine Federzeichnung des Genter Kupferstechers
Ch« Oughana ersetzt worden.^* Dies Exemplar war in den
Besitz des Marquis de Noure iibergegangen und wurde mit
dessen Biichern 1848 zu London versteigert. Herr Jeannel
erhielt es fiir 171 Franken."
„Das fiinfte Exemplar endlich besitzt Herr Cb. Pieters.
Dasselbe ist kunslmafsig gewaschen und scheint, vor eben
nicht langer Zeit, aus zwei unvollstiindigen Exemplaren ge-
bildet worden zu sein; ubrigens befriedigt es alien Anforde-
rungen, hat 4 Zoll 7^ Linien Hohe, gute und gleiche Kinder
und ist von Niedren sehr zierlich in roth Saffian gebunden.
Der thatige Buchbandler Teschener hat dies Exemplar seinem
gegenwartigen Besitzer verschafift."
„Das waren also fiinf Pastissiers fran9ois von denen
sich zwei in Paris, zwei andere in Belgien und der fiinfte zu
Nancy befinden/' ,
Das Bulletin du Biobliophile fugt hinzu: „Es hat sich
noch ein den Bibliophilen bisher unbekanntes Exemplar des
Typographisclie Seltenhelteii der Peteriburger Kaiserl. Bibliothek. 25
Pastissiers gefiinden, namlich unler den Btichern des Grafen
de L . . ., die im April 1846 versteigert wurden. Das In-
nere des Biindchens war schon, der Einband mittelinarsig,
Herr Yemeniz kaufte es fur 300 Franken. Es giebt also ge-
genwartig sechs bekanhle Exemplare.''
Wir konncQ unsererseits hinzufiigen, dafs es deren sie-
ben giebl und dafs das siebenle so frisch und rein wie es
aus der Presse hervorgegangen, sich seit einem halben Jahr-
hunderte in der Kaiserlichen Oefrentlichen Bibliothek zu St.
Petersburg befindet. Erst im vorigen Jahre jedoch wurdc
diese koslbare kleine Scharteke aus dem Inkognilo hervorge-
zogen, in das sie sich so beharrlich gehiilll hatle. Damala
trug der gegenwartige Direkfor der Bibliothek eineiu der
BibJiothekare auf, die zahlreichen typographischen SeJtenheilen,
auf welche Russland Ursache habe slolz zu sein (?), zu ordnen
und autorisirte ihn unler andern eine Elzevirsammlung zu bilden.
Es ist bekannt, dafs die schonen Elzevire des Grafen v!
Suchtelen, rait der ganzen Bibliothek dieses teruhniten Samni-
lers, durch die Munificenz Sr. Maj. des Kaisers der Kaiserl.
Oeifentlichen Bibliothek «inverleibt worden. In ihrcr Zahl fin-
det man Alles was sich die Liebhaber dieser Spezialitat nur
irgend wunschen konnen : den Charron de Sagesse ohne Jahr-
zahl, die gleichfalls undatirte Ausgabe der Imitation de J&us-
Christ, die Colloquia Erasmi von 1636, ein unbeschniltenes
vollstandiges Exemplar der Republiken, die kolossale hoUan-
dische Bibel, geheflete und noch nicht aufgeschniltene Bande
U.S.W. Aber ach! Graf Suchtelen gehSrte nicht zu der Zahl
der Glucklichen, die einen Pastissiers fran9ois den ihrigen nen-
nen und ist gestorben ohne ihn jemais erblickt zu haben.
Ohne die entfernteste Hoffnung stellte man daher Nachsuchun-
gen in der Abtheilung der Kiinste und Gewerbe an und —
man denke sich die allgemeine Freude der Konservatoren,
als dieser PhSnix der Elzevire zwischen zwei vollkommenen
Kochinnen der trivialsten Gattung zum Vorschein kam, wo
er bescheidenUichst den grofcen Tag semer Entdeckung cr-
wartet hatte!
26 AUgemein Litenrisches.
Es hi ein schSnes Pergament-Bandchen, auf voitreJ91ichei»
fransdsisches Papier gedruckt (die grofse Lilie, als Wasser-
xeichen, ist u. a. in der obern Ecke des lelzten Blattes der
Vorrede sichtbar) und 5 englische Zoll hoch. Von der Mi-
nerva und dem Oelbaume des Titelblattes bis zu den Oeufs
a la Hugenotte, womit das Werk schliefsty kein Flecken; nur
hat ein friiherer Besitzer, indem er die bezeichnenden Worle
des Titels mit demBleistifte unterstricfai das ersle s des Wor-
ies Pastissier leicht durchstrichen, um seinen Kopisten die
modeme Schreibart begreiflich zu machen, und am Ende des
Bandes den Standort angedeutet (In ordine 2do Sub L. M.
No. 24) worunter also die Abtheilung der Kochbiieher zu ver-
stefaen war. Auf der Stirnseite des zweilen Bogens (S.25)
ist unten mit trockenen Steinpel das Wort AZEC aufgedruckt,
d. h. Andreas Zaluski Episeopus Cracoviensis. Man mufs
demnach annehmen, dafs dieser grofse und gelehrte Biicher**
Ireund diesen seinen Pastissier zu einer Zeit erworben, als
die Elzevirschen Brucke noch nicbt zum Gegenstande der be**
sonderen Vorliebe auf dem Buchennarkte geworden waren;
daher dies beharrliche Inkognito, dem man iibrigens die so
flchatzenswerthe Erhaltung des Exemplares in seiner primiliveii
Gestalt zu verdanken hat Was ware aus ihm unter den Han^
den eines ungeschicktenBuchbindersgeworden^ der ihn vergol-:
det hatte^ nachdem er ihn tiichlig beschnitten, wie es so of(
mit den kostbarsten Banden gescbehn! Um den Pastissier fiir
immer vor einem ahniichen Schicksale zu bewahren, hat der
Bibliothekari der so gliicklich gewesen, diesen vergrabeneif
Schatz ans Tageslicht zu fordern *) um die Eriaubnifs gebeten
auf eigenei Kosten ein reichverziertes Kastchen anfertigen su
hissen, worin das kostbare Buchlein wahrend des dritten und
der folgenden Jahrhunderte seiner Existenz auf angemessenere
Weise ruhen wird.
I%e typograpbisehe Ausstattung des Pastissier verdienl
*) Der mit der Redaktion des Kataloges der typcigrapfaiichen Setteirhei-
ten beaoftragte Dr. Minzloff. . . /
Typographiicbe S«Itenh6iten der Petertkurger Kaiierl. Bibliothek. 27
noch einige Bemerkungen. Die Bibliographen nennen sie
gradezu miltelmafsig und Brunei findet die Typen schlecht
AUerdings ist es nicht die kleine sierliche Schrift, wodurch
sich die anderen Duodez-Ausgaben der Elzevire auszeichneDi
abet wohl dieselbe, deren sie sich sum Drucke ihres Quart-
und einiger Oktavausgaben bedient. Die Exemplare welche
dies ungiinslige Urlheil hervorgerufen, sind wahrscheinlich auf
scfalechtes Papier abgesogen und mit Typen , die bereits ab-
genutzt waren durch eine Auflage, welche , nach der Beatim-
mung des Werkchens zu urtheilen *) iiberaus stark gewesen
sein mufs. Das fixemplat der Kiiisarl. Oeffentliehen Btbfiollieic
ist im Gegenlheile bamerkaniweftii ebtnsowohl wegen der
Qualitat des Papieres, als wegen der untadeihaften Scharfe
und Reinheit der Typen.
Zum Schiusse miissen wir noch hinzurugen, dafs eines
der oben nach dem Bulletin du Bibliophile aufgezKhlten Exem-
plare, das unter No. 4 genannte, jetzt einem Ehreomiigliede
der KaiserL Oeffenilicheii KbUothek, Herrn iSobolewski^
gehorty so dafs sich nunmehr von den sieben Pastisaiers
fran^ois, die man iiberhanpt kennt^ swei in Russland befindan*
*) Ber Ueraasgeber sagt in der Torrede ifid^m er Yon ganz Europa
apricht: „qii'il n^y aura doreanatant villes. Tillages, chaateanx, ny
maisons cbampestrea, od on tie se pniaae traiter trds-deliciaoaemeiit,
en tootes lea aaiaoaa de Tann^e tant en ettat de ^aat^, qa^en celui
. de mabdie*^ etc.
Jagd und Fischfang der Syrj&nen iin Gouver
nement Wologda.
Bei dem Reichthume an Naturgaben ihres Landes aind die
Jagden der Syrjanen in den Bezirken Uttayaol und Jarentk
aehr vielgestaliig; allein ihr mehr oder minder wohlthStiger
Einfluss auf die Existenz des Volkes hangt ab von der Jab-
reszeit, der Oertlicbkeit und gewissen NebenumaUinden.
Der Winter hat in diesem Bezuge unbeslreitbare Vor-
ziige vor den iibrigen Zeiten des Jahres : alsdann schieben die
Syrjanen Haselhiibner, jagen Eichhomchen, Hermeline, Ottem,
Marder und andere Pelzlhiere, und verkaufen sie vortheilhaft;
sie zimmem Barken und kleine Schiffe in den Hafenplatzen,
gewinnen Eisenerz und Schleifsleine, sieden Salz, fallen Holz
fUr die Hiittenwerke, und sind zum Theil auch als Fuhrleute
thatig. Im Friihling saubern sie Felder und Wiesen, saen
Sommerkom und treiben Fischfang. Den Sommer und Herbst
verbringen sie mil Feldarbeiien, Schiffahrt, Vogelfang, und in*
sonderheit mit Fischerei. Wenn ein reiches Gedeihen der
Cedemiisse bemerkt wird^ so gehen sie in die tiefen Walder
an den Fliissen Wyischegda, Wischera und Petsehora^ und
holen von dort noch im Winter tausende von Pud dieser
NUssOi die sie in Gruben woi zu verwahren wissen. Endlich
aammein sie Heilkrauler und Farbekrauter, z. B. die Stein-
Jagd ond Flfchlmg der SjrjfineD im GoaTwaemeBt Wologda. 29
beere (arbutus uva ursi), *) welche in Fahraeugen auf dem ehe-
maligen Nord- Jekaterinischen Canale, nachKasan und anderen
Stadten versandt wird.
Der Schiffbau und die Erbeutung des Erzes und Schleif-
steins sind nur denjenigen Bauern mSgiich, in deren Nach*
barschaft Landungsplatze, Hiiitenwerke oder solche Quellen
des Wohlstandes sind, die, gieich dem Schleifstein und Eisen*
erze, nur das Eigenthum gewisser Gesellschaften ausmachen.
Daher konnen die Gewerbe der Syrjanen in ortliche und all«
gemeine eingetheilt werden. Wir handeln hier nur von den
leta&teren, welche sind: Jagden, Vogelfang und Fischfang.
1. Jagden.
Diese werden im grofsesten Malsstabe angesielU, da ihr
Ertrag das vornehmste Mittel der Emahrung in Gegenden ist»
wo die Natur die Miihe des Landbauers karglich lohnet. Der
Syrjane jagt Baren, Wolfe, Vielfrabe, OUern, Marder, Zobel,
schwarze und rothe Fiichse, Elenthiere, Hirsche, Hermeline
und Eichhornen Ehemals gab es im Bezirke U«t«ysol auch
Biber, die aber jetzt voilig verschwundensind; sie baben^ wie
der Syrjane sagt, „jenseii der Felsen'\ d. i, jenseit des Ural,
eine neue Heimat gesucht.
Baren eriegt man zumeist um den 17ten Februar,
wann sie sich paaren und truppweise ziehen. Dann gehen
mehrere Jager, nach getroffener Abrede, auf Scbneeschuhen
in den Wald, Flinien, Jagdspiese und Pfahle mit sich fuh*
rend, und folgen der Spur des Thieres. Sie gehen AUe zu-
sammen, sehr wenig von einander sich entfernend, um den
Unvorsichtigen beschiitzen zu konnen, der, ohne das verabre*
dete Zeichen gegeben zu haben, in eine Heerde feuerte oder
unerwartet von dem furchtbaren Thier iiberfallen wiirde. Die
Beule ist Gemeingut; nur derjenigp erhSlt keinen Aniheii, der,
einen Genossen in Gefahr sehend, ihm nicht zu Hiilfe gekom-*
*) Rechnet d«r Verf. die Steinbeere (toloknSnka) aa d«a Heil- od«f
FSrbekraotern?
go MIoirtrie Qmi HsnM.
liien, (fier^ der^ wefin er einen Fehlschuss geihan,* nichi dchnell
seine Flinle ivieder ladet und ein sweites Mai scUefat, son*
dern davonlauft und seinen Gefahrten dem wiitenden Thiere
Preis giebt. Auf ihren Barenjagden wissen die Samojeden
atich aus der Unbesonnenheit und Gefra&igkeU des Thieres
Yortheil zu Ziehen : sie fangen viele Biiren mittelsi kiinsllicher
Fallen, Selbgtschiisse , und aufgesteilter Baume oder Balken,
welche, wenn das Thier daran 8to£st, plotzlich niederfallen
tmd es niit ihrer Wucht erdriickem Unlangsl haben sie den
Anfang gemacht, nicht bios Baren, sondern auch andre nasch-
hafte Thiere mit sogenannten „Angeln" su fangen, an welchen
ein Stiick Flejsch von crepirtem Vieh alsKoder steckt Wenn
ein Bar die Gewohnheit hat, auf eine Trift zu gehen und Kiihe
zu zerretssen, so beobachtet man seine Spur, gehi bis za sei-
ner Lagerstatte und bringt die Ueberbleibsel des von ihin zer-
rissenen Thieres dabin^ dann baut man eine Art Geriisle oben
auf einem Baume, erlauert von da das Thier, und schieCsl es
hieder. Alie diese, auf List gegriindete Arten von Jagd
sind aber nicht sehr naeb dem Sinne des Syrjanen: bei sei*
ner angebornen Furchtlosigkeit versteckt er sich nicht gern
Tor dem Baren, sondern gehi, seiner Kraft and Gewandtheil
vertrauend, gerade auf den Gegner los, und i8sst es zum
Kampfe kommen, vrenn er ibn in seiner Hohle vorfindet Der
Jager lockt den Baren heraus, mit seinem Jagdspiese ihn
neckehd, ohne ibn jedoch zu stechen , damit der Pelz nicht
Schaden leide, und st6(st ihm dann ein langes spitziges Mes-
der gut gezielt in die Weiehen. Um junge Baren zu bekom-
men, begeben sich drei> mit Lanzen und Jagdspiesen be*
waffnele Jager nach der Hdhle ; zwei von ihnen verstecken
sich in der Nahe hinter aufgeworfenem Reisig, wahrend der
dritte, die Barin neckend, sie aus der Hfihie lockt: das erbit«.
terte Thier springt auf den Verwegenen los, der seine Rube,
gestdrt hat; dieser lauft davon, damit die Barin, ihm n«ich-
eilend, von ihren Kindem sich entfeme; mittlerweile aber
sliirzen seine Kameraden in die Hohle und rauben die Jun-
lagd und Fischfang *d«r Sytjimen im GooTernement Wologda. 8t
gen* Die bestenBSraipelze wo'den fiir 6 — 7 Silberrubel das
Stuck veri^aufl,
Wolfe 8chiefst man selten ; dafiir werden sie oft in FaUea
gefangen. Dieses in anderen Gegenden so rSuberische Thier
ttiut biersulande weder Menscben noch Hausthieren erbebli-
chen Schaden; c^ lafst sich auf Heerstrafsen, bei Wohnbiiu-
sern, sogar in St&dten seheii, und lauft nicht selten ganz ru*
big mit dem Yieh berum. Mit dem Leben biifset nur ein
allzu frecher Wolf, wenn er ungebeten in den Heuschuppeni
oder auf den Yiehbof scbleicht. Die besten Wolfsfelle wer-
den fiir 2 oder 3 Silberrubel das Stiicic verkauft
Die Jagd der Vielfrabe gilt, weil ihre Pelze sebr tbeuer,
fiir hochst eintraglich. Zuweilen treffen die Jager in den
Waldem ganze Heerden dieser Thiere, die rauberiscber als
die Wolfe sind. Wenn der Vielfrafs-von einem Jager iiber*
rumpelt wird, flieht er nicht, sondern springt seinem Feinde,
ehe dieser noch schiefsen kann, ins Gesicht und ricbtet ibn
mit seinen scharfen Klauen so arg zu, dafs der Jager oft geno--
thigt ist, dieBeute fahren zu lassen* Ein erfahrner Jager schiitzt
sich gegen solche Anfalle mil seinem Jagdspiese: das Gewehr
an die Seite legend, liisst er das Thier nicht aus den Augen;
er beobachlet jede seiner Bewegungen, neckt es mit der
Stimme, slpfst mit Hand oder Fufs. an den Baiim ; und wenn
derVielfrafs eben eine letzte Anstresgung macht, um sich auf
ibn zu stiirzen, spiefst er ibn. Zur Winterzeit gerathen die
Vielfrafse in Fallen oder werden von aufgestellten Baumen
erschlagen; im Sommer aber fangt man sie lebendig in Gru-
ben, die leicbt mit Reisig iiberdeckl sind, auf welches man
Fleisch irgend eines kleinen Thieres legt, das die gewohnliche
Speise der Vielfrafse ist. Yon dem Geruche angelockl, eilt
der Vielfrafs herbei und stiirzt mit dem Fleisch in die Grube.
Zuweilen fdgen noch mehrere dem Beispiele ibres Kamera-
den, um an seinem Schmause Theil zu nehmen, so dafs der
gliickliche Jager wol fiinf dieser Thiere gefangen kriegt* Der
auigeftttterte Vielfrafs steht dem wilden an Giite des Pelzes
^H nach; daher nehmen die Jager niemals einem Weibchen^
SS Indiuitrie ttad Handel.
seine Jungen. Das Haar des aufgefulterien Thieres isl kUr*
ter und von rothlich schwarzer Farbe; das des miden aber
^^^Ki glantend und von dunkler Zimlfarbe. Am hochslen
schaist man solche Pelse, an welchen die Aasseite (mesdra)
sehwan ist, der Riicken selbst aber dunkel zimtfarben und
glSniend. Fiir BSlge dieser Art bezahU man 4 bis 4y^, fur
die von mitUerer Gute aber 2'/, bis 3 und 3% Silberrubei.
OUern erlegt man hauptsachlich milFlinten und gezoge-
nen Kugelbuchsen von kleiner Ladung; auf kiinslitche Weise
aber fangt man sie selten. Dieses in kleinen Fliissen,. Bachen
und See'n wohnende, von Fischen sich nahrende Thier er-
scheint nur an heissen Tagen, oder wenn das Wasser sehr
unruhigy auf dem Trocknen. Aisdann erholt es sich gewohn-
lich in Gestrauchen am Ufer, unter Baumwurzein oder hohen,
mil Rieihgras >uberwacbsenen Erdhiigeln, so dads der Jager
es miihsam aufspiirt, wenn er keinen Hund zum Begleiter hat.
Da die Otter auf die Schnelligkeit ihres Laufes sich nicht ver-
lassen kann, so leistet sie dem Hunde hartnackigen Widerstand,
wahrend der Jager ihr gerade auf die Stirn zielt. fst der
Schuss gefallen, so zerrt der Hund das gelodtete Thier unter
dem Erdhugel hervor und bring! es schmeichelnd seinem
Herren. Um den Pelz dieses sehr werthvolien Thieres nicht
zu verderben, nimmt der Jager immer nur seinen Kopf aufs
Korn, auch thut er nie einen Fehlschuss. Die Otter schwimmt
gem und taucht gem unter: wenn der Jager sie im Wasser
bemerkt, so kommt er behutsam hinter den Strauchern her-<
vor, beobachtet alle ihre Bewegungen, und ergreift einen giin--
sligen AugenUicky um das schwimmende Thier zu erlegen.
Zur Winterzeit versteckt sich die Otler bestandig unierm
Eise; nur selten kommt sie hervor und tummelt sich etwas
auf dem Schnee; ihr Lager verlassend, bahnt sie sich ihren
Weg nicht gerade , sondem mehrentheiis im Zigzag, damit
der Hund sie nicht plotzlich erfassen kSnne. Ottern verkau-
fen die Jager zu 7, 10 und 12 Silberrubei das Stuck. Die
Giite des Pelzes hangt von der Jahreszeit ab; Ottern die im
Februar, Marz oder April geschossen worden, schatzt man anf
Jagii und Fischfang d«r 8yiji«e» Im Goofernenwiit Wologda. ^
hochslen: alsdann ki Skkt H»ar glatt, glameBd und difli-^
k€%rau.
Die Jagd auf Fiidise lat ebenso att8g«breit«t ala ergiebig.
Dieser Thiere betneisteri man sich mit alleit Kunslgriffen die
der crfinderische G«st des 6yrjani3cbeB Jflgers nur erainnen
kann. DerTucfas ist swar sellMrr lialig, aber selteo iiberliatet
er den Jager^ selten eni&chlupft er ihm. Ueberall warden die
Fiichse aiis kJeinen Hauschen und Strahhuilen geschossen^ die
eigens zu diesem Zweck erbnut sind. Nioht weit von aolch
einer Hiille legt man an verschiedoen Stellen kleine Sliicke
Fteisch von gefallenem Vieh auf die Erde, wekbea den Raub*
thieren als besle Lockspeise dient Die Jager tbeilen seiches
Fleisch unter sich, und jeder legt das ihm xugefallene Stiick
ver die HiHle, in welcher er seine Beute eriauerL Besonders
merkwiirdig und dabei von grofiier Gescbiekliehkeil der Jager
zeugend, isi folgende Art Ftiebse su schielsen, Wenn auf
Feidern und andereii ebenen Grtinden der Scbnee Hiigel bil-
dety die zuweilen ein halbes Klafler hech sind, so legen die
syrjanischen Jager Stiicke gefallenen Viehs urn einen seicheii
Hiigel herum. Dann kommen sie in Scbneeschuhen und .auf
engem Pfade, ihre Spur wieder %uschQttend| heran, .und grfir
beo sich bis an die Erde in den Sehneehjligel, um mit \yaffen
und Prof^iant^ darinnen Platz au haben* Sie Mubern. eine vipr^^
eckige Stelie^ trelen den Sichnee hart, bi:ei|en das mitgenomr
mene Heu aus^ mapben obeto und an den Seiien gewisse Be^
fesligungen, damit der Schnee sie. nicht verscbutte^ bohren in
der Richiung jedes Stiickes der Lockspeise, Oeffnung^n fiir
die Gewehrlaufe, verslopfen den Eingang, und begraben sich
voUkommen in^ den Hiigel In der Nacht kommen die Fiichse/
vom Geruch des Fleisches angelockt; die Jager aber, durch
ihre re^peciiven Oeflnungen, bei Mondschein, jeden Fuchs. ins
Auge fassendy schief^en nur auf diejeoigen, deren Fell kostba^
rer ist Die erlegten Thiere lassi man so lange liegen, bis
sammtlichey als Lockspeise gebrauchte StUcke Fleiscli. ver-?
schwunden sind, oder doch sehr wenig d^von iibrig UeiMi
34 IndotCrie Olid Hamdel.
^tsdanti arb«ilen sich die Jiiger wieder aus dem Hiigel ins
Freie und sammein ihre Beute ein, welche alle ausgesUndnen
Miitven und Entbehrungen reichlich aufwiegt Schwanbraune
Fficlise Irifft man haufiger bei den Niederlassungen an der
Udora und der Petsehora. Man fangt sie mil Lockspeisen,
denen irgend ein Gift beigemischt wird. Junge, im Walde
gefundene Filchschen werden aufgefiiitert; aber ihre Peke
srehatoi mkn im Handel gering, da das Haar an solchen ins
Graue spielt, uiidicht sleht und bei leichtem Anstofsen aus*
fHilt. Die Preise der Fuchsfelle sind verschieden und richten
sich nach Giiie, Farbe und Lange des Haars, wie nach der
^Jahreszeit, in der sie erbeutet sind. Die rothen Winterfiichse
iithi man den Ubrigen vor; man kaufl lehn Stiick eu 30 bis<
35 R. S. und, ivenn sie raittlerer Giiie sind, eu 25 — 3QL Die
besien schwarzbraunen Fiichse kosten 35 — >40, und, wenn sie
von mittlerem Werthe, 20—25 R. S. das Stock.
Di6 Harder fangt man ebenso wie die Ottem. Die Le*
bensWeise dieser kleinen Raubthiere ist gleichartig; nur ist
der Marder nnbesonnener als die Otter, und gerSth haufiger
in Schlingeh und Fallen. Ein guter Marder kostet 2 — 3^ ein
mHtelmtfsiger 1%— 2 R. S.
Zobel jagt man an der Petsehora und Udora. Die Jin
ger der Petsehora finden isie meist in den Waldem am Ural:
auf Schneeschnhen den Zobebi nachjagend, steigen sie liber
das Gebirg, j^gen an dessen sibirischer Seite, und kehren mil
i'eicher Beute beladen heim. Man sahlt ftir einen Zobeipek
10— 15R.S.
Elenlhiere und Hirsche jagt man vorzugsweise im Gc'^
biete Ust^yvol: die ersteren an den FlIissenLusa und Sysola^
die letEle^en an der Wytschegda, Tscherja und l;ma. Zur
SomnierKeit faMen sie in Gruben, in Schlingen aus Stricken,
die swischen Baumen befesligt sindj und die sie selbst mit
iht*eD Hdrnefn zuziehen, endlich in Netzef, an den Boren au8«>
gebreitet, wo das Wild sich Fuller sucht. Im Winter wer*
den Treibjagden auf Schneeschnhen angesiellt; das zur Ver-
zweiflung gebrachte Elen stiirzt sich ofter auf den JSger, um
Jagd and Fisdiiang der Syrjaaen im Gonvernement Wologda. 95
ihn mil seiner WuchI zu erdriieken ; aber die Gewandth^ili wo-
mii der Angegriffene sdne .Lanze (Uhrt und die Sicherheit
des Stofses befreien ihn aus. der dringenden Glefafar. Wean
die Jager Elenlhiere und Hirsche jagen, so nehmen sie einige
Hunde i»it sioh , welche die Spur dieses Wildes gut willem
und es rastlos verfolgen. Das Fell eines grofsen EUeDs kostet
2% ^-3%, das eines miUleren 2 — 3 R. S.; Hir3chfelle ver*
kauft man um 1/4"^^ ^« *^* 1^^^ Fleisch der Hirsche und
Elentliiere ist fur die Syqanen ein Leckerbisaen.
Die HeitaaeUne, wie anch die BiehhiNmckeii^ sohierst man
aus gezogenen Rohren (wintowki), nur V4 Solohuk Pid»
ver*) auf die Ladung verwendend, sa dafs ein Pfond iiber
300 voile Ladungen giebt. Die syijanischen Jagdliebhaher
kennen den Schrot nichi: sie ersetzen ihn durcb diinpf Stab*
ehen aus Bid, die Jeder von ihnen uber der Schulter ban*
gen hat Je naoh der Grofse des Thieres Jegt man ws.ldf
zehn solcher Stabchen oder Lamellen in das Rohr, Die Jagd*
zeit faltl meistens in Herbst und Winter; denn alsdann haben
die Hermeline einen dicbteren und glatteren Pelz und der
Balg. selbsi isl harler und starker. Im Herbst Tangt man si^
haufig in Schlingen aut Dreschiennen , Korndarrenj in der
Nahe von Miiblen und G'l^treideschobern. Das Zehent wird
fiir l—VA R. S. verkauft.
Die Jagd > auf < Eichhomcben niuunt unter den. iibrigen
Jagden der SyrjSnen beinahe.die eirste Stelle eiif; und zwar
ebeasoiin Ansehong ihrer Ergiebigkeiti: wie der Leichligkeiti
womit die Beute erlangt wird. Es giebt versiehiedne Arten
Eiehhorner, unter wekhen die Jager vornebo^ich zwei uii«*
terscheidea: die eine Art.wohnt ofler auf Baumen^ Uettert;
mil ungewShnlieher Schnettigkeit auf ihre Wipfel, undspring^
rasch von dnem zum •anderen, an. denZweigen sich anhto*
gend; die andere Art wohi^t m Mchem untc^r den Wurzeln.
derBaume und hupft am^pd^yp herun^ Ple allerbesteSprt^^
') Rill gafizes Solotnik ist '/^ Lo^h.
.V
'36 Indastrie ond Hand«l.
deren Balg dunkelbraun , heissl Knas^k^), wird aber selleD
gefangen. ZunSchst kommt dieLetjaga (das fliegende Eich*
horn), von brauner Farbe, welche so rasche Kreuib- und
Qoerspriinge macht und so blitzschnell aufwarts wie. ab warts
kleitert, dass nur der geiibte Blick des syrjanischen Jagers
alien ihren Evolutionen folgen kann^ ohne sie aas dem Auge
zu verHeren. Da$Sotnmereichhorn(]jelnaja bjelka) ist den
ersien beiden Arten weit untergeordnet und von graur5lhli-
cher Farbe. Die Eichhornchen leben immer heerdenweise,
ihsonderheit an Orten, wo es recht viele Cedem* oder Tan-
lienzapfen giebt.
Wenn der Syijane Klein wild jagt, ziehl er liber, seinen
Pelzrock oder Kaftan nochden leinenenLas, einen Halbkaftan
ohne Ermel, der gewis^ermafsen ein Sack heifsen kann, und
in welchen das geschossene Kleinwild auch gesleckt wird. —
Der Preis des Eichhombalges ist gewohnlich 1% R. S. filr
das Hundert.
Jetzt einige Worie iiber die Jagden ih Beziehung auf den
Character der Syrjanen und in Verbindung mit ihrer hMusli^-
chen ^xisienz. Wahrend die Jagd ; nachst dem GetreidebaHi
den vornehmsten Nahrungszweig bildel, ist sie auch ein zu-
verlassiges Forderungsmitlei des WoMstandes. Der Syij&ne
hal viele Ursachen, am gliicklichen Ertrage des Bodens zu
zweifeln^ den er im Schweisse seines Angesichts haul: ent-
w^der zerst5rt spater Frost zu Anfang des Sommers das Kom
in der Wurzel, oder friiher Reif zu Ende Sonsm^s das schon
fast reife Getreide ; in beiden F^len erhalt der Landmann
nicht einmal seine Aussaat zuriiek. Aus dieseil Griinden ver-
lasst sich der Syrjane weniger auf den Boden, ais auf sein
Jagdgewehr und seinen Hund, der zu keiner Zeit und an
k^inem Orte von des Herren Seite weicht Die Syrjanen
stehen nicht mit Unrecht in dem Rufe, treffliche Schiitzen zu
sein ; es giebt kaum em Dorf im Lande^ wo man junge Kna-
*) Dieses Wort bedentet sonst (im Rossischen) Blanmeisd (paras cae-
rulens).
Jagd and Flsebfang dto Syijinen im GotTernement Wologda. 3Z
ben fande, die nicfat sehoh sicber iind geaehickt lait deai
Schiefsgewdir um^Dgen. Bei seiner, so bu sagen, ahgebor-
nen Neigung zur Jagd, verlaogt das Kind voii seinen Ehern
^weder Feierkleider, noch y^stadtiache'' MuUen, sondern es biU
tet unter Thranen urn ein „laraiendes Spielzeug", d. i. eisk
Wintowka, mit der es dann zur Sommerzeit durch di^ be-'
iMchbarten Waider streifti Miltag* und Abendbrod vergessend,
wenn die Jagd ihoi niehts einbringt Unlangst gdiang es
einem elQahrigen Knaben an der PeUchora, mil seiner Kugel*
buchse einen ungi^heuren Baren zu erlegen. Von fern be^
merkend, dass der Bar einen steilen Berg hinabklettertey kam
er ihm auf Seilenwegen zuvor, und stellte sich dem Thier ge*
rade gegentiber. AIs nun der Bar auf den hinteren Tatzen
sieh aufrichtetey zielte der Knabe ihm sicfaer in die Weich^
und todtete das furchlbare Thier mil einem Schusse.
Ohne Biichse geht ein Syrjane niemala aus, er rniissU
dmin einen Nachbarn, oder, an Feiertagen, ein benacbbarlies
Oorf besucben, oder aueh seine Felder beslellen woUen. Hat
er sich miide gemaht, so sucht er im Walde Erholung, d. h.
er macht mit seiner Wintowka eine Exeur^oli von etwa 20
Werst, durch Moore undl^ckichie, batd springendi bald krioi-
cbend, und kehrt endlich frbch und kiihn an seine vorige Ar-
beit zuriick. Der Wald isl des Syrjanen Spaziergang undEr-
holung6ort: er fiirchtet wedei* sein nachtlicbed Dunkel^ noch
das Bviillen seiner blutgierigen Bewohner; und so oftdbe
Beslie nafae kommt, ist ihr die bleieme Begrilfiuoggevviss.
Nimm dem Syrjanen seinen Wald uiid das Sduefsgewehr -*
er wird sein Schicksal verwiinsoiken und vor Unlhatigkeit
slerben. Die Syrjanen sind^.so zu sagen,.mit dem Walde. und
seinen Schrecknissen geboreo: keb Wunder also, dass. sie AUe
geschidDte Schiitzen .yferden, « d^ss aie ein Eichhorlichen auf
zwanzig KlaAer Cntfemung in die Schftauze treffen ; demi haidi
dieser wird gezielL; damit der Peiz .unverletzt bleibe« Nadi-
dem sie wohl zwei Mkbaale ferri von jeder Wohhung zugi^
bracbty kehren sie, mit Pelswerir reoht etgetttlioh belMen,
3g ittduatrie Bud HanM.
keikn, und diese Beilte deckt nicht nur die jahrlichen Ausgs-
ben^ sie vergr&fserl auch das zuruckgeiegte CapilaL
Der Jagdbetrieb findet jetzl vortogsweise zweimal im
Jahre state ; dabei sind denn die Zuroslangen der Jager and
ilir wanderhdes Leben wahrend der Jagden besonders merkr
wiirdig.
Die erslen Jagden beginnen zu Ende Septembers, weon
die Feldarbeiten aufhoreii, und dauern bis in die Mitte De^
cembers* 1st das Getreide eingethaii, so giebt es ein Fesige^
lage^ wobei junges, aus dem neuenKorn gebrautes Bier eine
wichtige Rolle spieit; dabei verabredet man sich iiber das
ubi und qui bus auxiliis der bevorstehenden Jagden;. das
heisst^ es wird festgestellt, wo man jagen wilJ^ und was fiir
Leule zu dieser oder jener Jagdgeseilschaft zusammen treten.
Dann versorgen ' sich die Jager mit Blei, je fiinf Pfund aitf
den Marni, mit Puhrer, je drei Pfund, und mit Lebensmitteln,
die aus Zwieback, Butter und gedorrlen Fischen bestefaen.
Niiht mehrals z^n Mann bilden eine Jagdparlie. Wenn die
Fliisse noeh nicht mit Eis bedeckl sind, so fahrea die Jager
ill Lodka^s nacfa gewissen Piatzen, und begeben sich von da
zu FuTse, ibren ganzdn ProvianI aiif dem Riicken tragend, in
das Tcrabredete Jagdrevien Hier bauen sie vor Alleni eHUe
gerSumige Hiitte und awar in folgender Weise: lange Stan^
gMi-werden ichrage in den Schnee gesteckt^ uiid mit Haos^
iMiwand iiberspannt, die man zuersl mit Fichtennadebi
{ch'W6ja)/und' dann mit Birkenrinde iiberdeokt^ damit Nasse
und Feuchtigkeit mcht eindringen. Oben lasst man eine Oeff*
lattflg, Urn das Licht hineiln und den Ranch hinauszuiassen;
tiber derselben Oeffnung werden die Balge der erlegten Thiere
getrocknet. So lange die Jagd. dauert, liegt es jedem Theit-
nehmer der Reihe nach' ob, fiir; die ganze Gesellscbalt das
Mahl zu bereiten: gewohntich halten sie jeden Tag nur eine
Mahlzeit^ und. zwai^ am Abend. Nicht selten gerathen dieJ&-
ger so weit in den Wald, dass sit iiber 500 Worst von ibren
Wioliinungen' abkommen^ obne darum jemak den Weg jxt ver-
lieren: die erfahrenern orientiren sich nach der Rinde der
Jagd QRd FIschfang der SjijIuieD in G«overiMiiimit Wologda. 39
Baume, die iiaNord^if dicker him) griSber i$t, ala m SOdfO)
Neulinge aber fiihren bei solcber Gelegenfa^i die U^tka k^i
sichy eine kleine .Ar4 Conipasd, welche die Hioiinekgegeiideii
immer lichtig an&eigt* Wemi xwei Jagdpartieo aunaiatiWr'
treffen,. so jagea sie nicht geil»ein«chaftlich, sondern die. eine
raumt der anderen ihren PlaU, derjenigen namiich, die l#sf
friilier eine HtHte gebaut, oder der die HUUe niiher iat Im
letxteren Falie misst man den Absland oaeh TaebjSiii*ko«l
oder syrjanischen VVerslen, von denen aber die kleiaete 5
ruBsische WersI beiragi; derT8chj$m-koai isl eineSlr^ek^i
^e .ein Syrjane in einer besiipEiaiten Zeil auf Sehoeeaehtftieil
Knriicklegt
Die zweite Jagd, von geringerer Dauer, beginil Ende
Januars und eAdet um die NiUe des Mara. Nachdieai die.J^h
ger alles za einem weilen W^e notbwendige angesohafil bar
ben, verlassen sie alle Buaammen ihre Wohnungen, «nd twai:
auf Sofaneeschiihen mil uniernablem Balge von den FU£wa
des ElenSy so, dafs das Haar ab warts gekehrt ist^ una die
Berge bequemer besteigen und sich leichier von ihnen herab-
iassen zu konnen. Speisevon*ath und sonstige Bedurfnisse
fiihreB sie mil sieb in Nar4en, d« i. laogen und schiMien Schlit-
ten» mil dunnen und ovalen Kufen, welehe, gleich den) iibri-r
gen Zubebor der Nartai aiu durrem, Holse gemadil werdefl^
ao dafs der ganze Sehlillen nicht ilber «^hn Pfun4 megL
Vor )eden. ScMiiten werden Ewei Hunde gespanitt, diei neuni^
wenn sie ermiidet sind, duroh anderey nuran den SchliUfiB
gebundene Hunde : abldst. Das Fieiachides erlegten Wiidf^
isl der einzigeLohBy den dieae.Hunde fur. ihre lreuenXlei(|tllQ^
gen erwarien.'
Anf Jagden und . ioi bihislichen Leben schiitzt der Syr«-
jane nichla ao hoch wie.^ ^hicHspuLmnr : eber ^rd,.der Jli*
ger dir einen koalbamn .Balg aUassen^ ab eiA .Viertelpfr|il(i
Piilver. Ehe sie zum Jagea. ausueheOy berechneR aie« wieviftl
Ladungen cUe mitgeneiniiiene QuaotiUt Pnlver gebon wif<d,
und wenn der. Voiralb Einiger glinz ausgogangen , soi.borgen
ifanen awar ihre Kameradien elwas ,|Kraur, jedoeh.nur unter
4Cf InduBlrid ond HanM. ■
der Bi^dingungy' dass die Scbold in nights anderem als deoH
ariben Materiale swiickgesiaUel werde. Diese sehr slrenge
Oeconomie stamiht eben so sehr von der Schwierigkdt, in
der JugdperiodePulver zu bekommen, als auch von der gros-
aen Enlfemung der Stadt, wo das Pulver gewdbnlich verkauft
wird. Einige der ortliohen Kaufleule and sogar begliterte
Bauern haben den Verkanf desselben scfaon lange zu einer
fiif ' sich v.ortbeilhafien Speculation gemacbt: sie luiufen das
Pulver in Fasschen> flihren es auf den Dorfern henim, und
verlheilen es unentgelilich unler die Jager, jedoch mil der
B^dingung, dafs sie ihnen naehmals mil Balgen eriegten Wil*
des, insonderheit Hermelinen und Eichhornchen, zablen; aaf
diese Weise zahli man fiir ein Pfund S^hiefepulver zehn Her-
meline oder funfzehn Eicbhorncheny und dabei glauben die
Jliger nock grofsen Vorlfaeii zu haben. Wie uinfassend der
Jagdbettieb ist, kaim man daraus ermessen, dafs in dem usUyT
soischen Dislricle allein jahHicli Schiefspulver fiir lOOOO R. S;
verbl^aacht wird.
• \
2,. Fischfang.
Ehe wir zur Busdir^bung dieses Gewerbes iibengefaeiiy
sei ein fldchtiger Bliek auf die geograpbische Lage des Disiric*
les Otftsysol geworfen. Dieser DistricI, einer der grdfsesten
im europliischen Russiand, indem er eitien* Raum von unge-
fShr- 15 Million De^jatinen einschliefst, bestefal meistaussuni-
pfigien, mit diohter Waktung iiberdeckten^ Niederungen; und
mm Theile aus Anhdhen , die gegen Nordost immer bedeu**
tender werden, bis sie, mil dem Ural sioh vereinigend, eine
sehr ansehnliche Hohe erreichen und sogar mil ewigem Schnee*
sich bededken. Die Ufalkelte, deren Zweige in vdrsobfednen
Richiungen durch das gamse Gduvernement 'Woiogdaxiehen,
ti^nnt d^n nordostlichen Tbeil des DistridleSy' w^lcfaer beson*
dera hocb ist, von iSibtrien; bier erslreeken sich die Ber^e
Sabija-*is, Sclilschugor^is/ Tol-po^-is^Osch-kumoa-
parma, Torre-rPo-rre^ Brusjanaja^Gora, welche, wie
die underen Zweige unserer ndrdlichen Alpen,. viele scMfff-
Jagd und Fischfang 4ot Sgrrj&nen ii»- OoliTenieinent Wologda. 4,1.
bare Fliisee und kleine Bicht carseugtn, an dereA Fube abmt
wasser- und fischreiche See'n als eia laiiges Neto sich au»^
dehnen. Ueberhaupi ist der ganae* Dntriol so wasserreicfa^
dass man in selbigem bis 50 grobe und kleine bekannte Fldsae
tahlt, der See\i gar nicht itt gedenken; die in zalrlloaer Menge
da und dort verslreut sind, :atiter den^n vieb 30»««-.S0 Wen*
in der Lange haben, wie der 5l)I-iy, der Ljok<Ke/fi«-try|
der 5indor uild Andere. Unter den Fltiasen nenne iek liier
nur dtejeniigen, die besonderen Ueberfl&ss an Fisohen haben, aki:
GrofsePeiachora^ NordlioheMyiwa, Neoi, Pemoadin,
Pojeg»Wyl8chegda, Wiscbera^Syaola^ Wisenga, Kifi
bra, LjomjaundTscbjowja. IhreTiefebetraglimFriihling
von 7 bis 35 Fufs, und die Breile von 25 5a/en bis & Werst
Ausser Petscbora, Nem and Mylwa geh&ren alle erwohnten
Fliisse zum' Wassersysteme der. nftrdliohen Dwina: ihre Qewis^
aer empfangt eniweder unmiiteibary oder durch Seilenfluaaei
die reissende Wytsch^da, welelre in die Dnrina miindet.
In diesen Fliissen und Seen fiingt man nun folgefade
Fiscbe: den 5terljad, den Loch/) die Nelma <eine ArtLacb8)|
den Wjun (Scblambeiffker), Sig (salmo lavaretus), LescHtsoh
(Bracbsen), Hecht, Barsch,. die Aieadie, Qbappe, Karausche,
Rothfeder u. s. w. Der Haupifang derseiben findet im Friib*
ling und Herbste siaU. Im Frnhling wird die grdlsere Zahl
der gefangenen Fisebe ram Hausbedarfe verwendet^ die':kfei*
nere aber eingesaken und verkavft. Der Fiscb isi eine Liebr
iingsspeise der Syrjanen, ^ogar anhehen FeieriageUy dahet*
wobl drei Vierifaeile *der ii][i Friihling'gefangeneti im: Lande
verzehrt werd^i. Man: weidel den Fiseh aiis, sahei ihn e)n
wenig, und lasst ihn die Naefal: i;b6r im Ofen iiegen, dechi bei
freier Gitiih, damiter nic^i zu^aehrauaddrre. E^ also ^ube-
reiteter Fisch verdirbt nieinals and vertieri audi aeinen; G^
scfamack nicht; man kocht ihn, backt ihn, weicht iiMi:'ih"kd>-
chendem Wasser auf, und gebraucht ihn so als Fttltung in
*) Bine ArtLaetnf, dessen Oberlip|>e haken^mig g«kr«niDit ist and aaf
die nntere alcb stntzt
42 iadniArie aad HwiMb
Paste tou Die im Herbate gefange&ea Fkche aber werd^ea
sofort eingesalzen, so dass Jr-^2 Pud Sak auf 15 Pud Fisdbe
kommeiiy und dann in Tonnen gepresst^ die saan herroeiisch
verschliefsL
Die vornehmslieD Arlikel dieser Industrie bilden Lachae
und 5terljade. Besonders isl der Fluss Pelschora ob seines
Lachses beriihint) der bei Gastronomen und Liebhabern von
Fastenspeisen fur den besten gilt, sowohl ob der Zartbeit siei-
nes fetten FletscheSy als ob seines: liebUchen Gesehmacks. Die
Srilichen Preise dieses Fisches sind, besonders in den Dorfem
an der Petsohora, Ciberaus niedrig. Die sehr grofse Enifer-
nung der Petschora von Siadten und Handekpiatzen, und vot
Allem die Beschwerden der Reise dahin im Frubliog» Sooi*
mer und Herbste maehen es erklarlichy da(s der Fisch bier
nicht Kaufer genug findet, und also fiir Scbleuderpreise ab*
gehen muss. Nicht seilen bezahll man an der Petschora die
5emga (den eigenlKcfaen Ladts) mil 1 und 2 bis 3Rubel> die
Nelma mit 30 Kopeken bis IRubel, den iSig mil 50^80 Ko-
peken das Pud(!)9 wenn die Fische noch frisch. sind; im
eingesaiftenen Zustande wird ein PudSemga.far 1—2/4, ein
ditto Nelma fiir 80 Kopeken bis 1 Rubel, ein ditto 5ig fiir 40
Ins 50. Kopeken verkaufL Die moisten Fiscbe werden, we*
gen der Nachbarscfaaft des Dktrictes Tscherdyn^ von dorligen
Kaufleulen sum Verbraucbe im Gouvemement Perm aufger
kauft; die iibrigen von den Kaufleutea . aus Ustsysol und
Wjiitka. Der vornehmste Absats an Fischen ist auf den Jabr-
markten von Njobdin und Waschka : *) bier sleigern sich die
Preise^ tbeils ob des gro(seren Zusammenfluss^ von Kauferi^
ti^eils wegeA des. starken Begehrs.
Um amnaherungsweise einen Begriff von der. GrSise der
geCangenen Fische su.geben, bestimanen wir. sie naeh dem
Gewichfce:
*) Njobdin ond Waschka sind beide Dorfer: das erstere liegt 75 Werst
Ton U«Uy«oUk, and sein Jahrmarkt falU zwischen den 18. and 30.
Januar; das andere Uegt an der Udora, im Districle Jaren^k; sein
Jahrmarkt daaert vom 1. bis 10. Februar*
his 1% Pud
- 6 -
Barseh .
Rodtfedw
. 3 -
&g
Aesche
- 1
Karaasche
• SOPfund
Wjun
Kaulbars
> 30 .
Sordga
Jagd and Fiscb&ng der SOivj&iien ttt C^Teroement Wologda. 43^
5emga . . . -W» V/, INid Bawch j ^.^ ,q pj^^^
Loch . - . - B - RothfedM^ (
Hedit
Schip
Neima
Nalim
jlerljad . . - SOPfund Kaulbars } - 1
Leschtscfa
Der jShlrliehe Ertrag d«8 Fiacfafangs im Dialricle Uatoyaol
kotntnl, wie die Kaufleute vermulhen, eiwa 20000Q Pud gleioh.
Von dieser Mange warden swei DrilAeiie von den Eingeboiw
nen consumirly und da^ leizte Driilheil Jwird verkaufi i
Die l>rUiehen Geraihe auui Fisohfang sind sehr ▼ersehie*^
denartig: wir wollen aie hier unler ihren ayrjinisefaen Benen«
nungen aufafiblen:
Tyvy ein N<^ta ansf ddnnen aber slarken und gtobeilfiist
den. Man gebraucbl es \n Fiiissen und grofeen Seen.
KSvteniy ein Zugnalz aua dieken und groben Pdden.
Haufiger in Seen angewendeU : <
KulCm, eine laifge Merjo^a (ArlNelz) aus diinnen Ffi^
den, mil'engen'Oeffnungen. In der Breite halt ea bis 2y,
Ellen ; an sein Unterea Ende knOpfl man kleine runde FJiesen
(plilki), urid an das obere, ansiatt der sehwimmenden Hdla^
chen (p^piavki)^ RShrchen aua Birkenrindey Kwiachen • deneti
je ane Bile Raum kt Man fitigi mii diesem Nelae in ^deii
Buchlen der Fliisl^' und m Seen^ indem man es mitteii ih
die 6ucht oder den ^ee wirfl; alsdann^ Ireibt man von den
entgegengesetclen Eii'^n die Fische miltelal Siangan hinain;
indem man eog^eieh Steine aiuf den Grand wirft uild 'dins
Wasser Iriibe macht: die erscbrockenen Fische eilen von nK
len Setlen der Mitle des Sees aRi> und fangen aidr jii dem
Netze.
Trehuba^'')) dassei^e Kul6m, nur in grolsem Mafssfab^,
*) Der Terfasser bemerkt aasdruckiich, das (rnssMche) g werde in die-
sem Worfe wie lateinischei h ansgespTOciieii.
44 iiidaslrie and HttnM.
mil weiien Ueffnungen. Man fangt darin dia ^ewichligen Fiadia
in gfofsen Buchten und Seen.
Gymga, eineArt langen Kegels (von ^iner EUle bis ewei
Klaflern), mil weiler und runder Oeffnung (1 — 3 Ellen Durch-
messer), die sich am Oberlheile verengl, wo sie lail einiem
Thiirchen aus Birkenrinde (syrjanisch «fimedu«) verschlossen
wird. Dieses Geralh machl man aus diinnen Slaben Oder
Kienspanen, und befesligt ea mil einigen darum gelegien Rei-
fell aus Weidenzwdgen ; damil aber der Fisch nicht wieder
binaussbhliipfen kgnne, sind von jedem Reife schrag aufwarts
(bifr zur Mille des ^b^ands zwischen den Reifen) schmale^
ein halbes Werschok von eiDandef enlfer&le Spane angebracbl,
die kleine. runde Oeffoungen bilden. Durch die erste gehend,
schwimmt der Fisch auf die zwdile los, undkomml so zum
Oberlheile. Man senkl die Gymga ins Wasser, sie mil Slei-
neir beschwerend, zieht sie aber miUelsl .eines Krahns wieder
herauf, ^ffnet das Tburchen, und nimml die Fiscbe beraus.
Man bedieni sich dieses Geralbes in Fiiissen, breilen Buehlen
und Seen. In Fliissen stelll man die Gymga's ans Ufer, an
reiasende Slellen^ mil der weiien Oeffnung gegen das Wasser;
an. den Seilen, auf zwei £llen Enlfernung, machl man eine
hobe Yerzaunung aus Br eliern, damil der Fip^h aus der Falle
nicht enlkomme. In den Buehlen und Seen versenkt man,
ihrer Breite nacb> mehrere Gymga's t eine grpfse in, die Mille,
und ail beiden Seiften,^ bis an die Ufer bin, kldn^re. d^i^ei-
jchen> .AUe in gegen^diigea Abslanden von IV^ClleOi Der
Raum zwischen denselben . wird dujrch hotieBreller aus Ficb-
le^holz eii)gezauiity die miin lief in d)en Grund einrammeil,
und 80 g^alh der Fisch. unfehlbar in die eipe^oder di^ andere
Gymga. ...
Ky«naii::,ein'kiiiifillich.gearbeileleB melallenes Fiscbchex^
gewohnlich aus Blei oder Zinn, welches der Fischer, in einer
Lodka fahrend, an einen diinnen, funfzig Klaf^er langen Bind-
faden in den FIuss wirfl, das Ende des Bindfadens mil den
Zahnen hallend. Bei der Schnelligkeit, womil die Lodka auf
!,••
Jagd ond Fischfang der SyrfSpen im GonTernement Wologda. 46
dem Wasser hinflibrt, sinkt das FiscfacheB iriehi unter, sottdem
schwimmt an der Oberflfiche. Da sUirst aich bald ein gsfrfifsi^
ger Hechi auf dasselbe und verschlingt es; der Fischer aber
uebt ihn langsam au sich heran^ haki ihn mit dem Hamen
und wirft ihn in die Lodka; iat aber der Hecht zn groft; so
spies! er ihn mit der Fiscbgabei.
iSamolov: ein langer Biadfaden, desseo eines Bode an
einen Stein in den FIuss versenki wird, wafarend das andere
an einen Stock gebunden, auf dem Waastr acbwimmt An
den Bindfaden befesiigt man* mittelsk kleiner Ziigel (pow^day),
in Abstanden von andertbalb EUen, kleine HakcbeD» jedoeh
gans ohne Roder: damii di«.Hakchen sich gerade hallen,
werden, eine faalbe EIU von jeden^, KorkbSlzchen befesiigt
Indem der Aerljad mit diesen apiell, komml er an die flak*
chen and bleibt sleeken.
Oklymen isi der Hecht- und Quappenfang im Wioler*
mittelst Duvchhauen des* Eiaes. Man haul in der Cisdecke
des Flusses eine schmale Oeffnung von ungefahr 3 Klafter
Lange, und steckl an derselbfen Stangen in den Schnee, von
welchen diinne Bindfaden mit Hakchen, an denen kleine Fische
sleeken, ins Wasser hinabhangen.
Nalschkisny: das Betaubian derFjsche. We^n^in FIuss
mil dtinner Eisdecke siob bekleidet bat, so scbwimfuep 4|e
Fische (besonders die Qui^pen) aas Ufer, wo der si,e erwar*
lende Fischer mil hdlBernem Hammer a^s all^ Kraften, ge*
rade vor doi^Kopf des Fisohesy wfs. Eis schi^gt. Von deoi
Schlage belaubl, riihrl der Fisi^h sich nicht von seiner SielU;
da haul der Fischer das Eis durch und ergreift ihn.
Kybem oder kyboy: mit Fischgabeln slo&en, was in
dunkehi Nicbien des Friihlings und Herbstes beim Scheine
brennender und mil Hare b^strichener Spahne geschiehk
Rugsisch nehnl man. das lutffchitj. Mil ihrenGalieln (a si a-*
sen) verseben, fahren die Fischer in einer Lodka behuts^pt
den Flnsa entlang, und awar unfem dem Ufer, wo die Fische
zur Nachtseii gewobnlich sehlafen. Der h^lie Schein des in
der Lodka angezilndaten Harzes lasst den Fisch auch in be-
46 indostrio and Handel.
4euteiMl«r Tiefe seh^, von wo ihn der Fisch/er^ die Gabel
in Kopf oder Schwanz slofsend^ faeraufholi . und in die Ledka
vmti,
I}pyr»tywjaleay: mit Netzen unterm Eise fangeo.
Dies greschietvt in den ersten vier Monalen des Jahree. In der
ganzen Liinge eines Netzes haut man auf Fliissen, in breiten
Buchten und Seen, das Eis auf, und zwar an mebreren Slel-
len, die so weit von einander enifemt sind, als die Grofee
der Slangen an dem Gerailie betragt; darauf lassen sie das
Nelz in die erste Oeffnunghinab, sto&en aber die Stangen
untenn Eise vorwaris bis zur nachsten, und so weiter bis aos
Ufer, wo eine grdfsere Oeffnung gemacht wirdi in welche
man anch das Netz nnt den ge&Migenpen Fiseben zieht.
Witfken^ einenS^un aos Weidenstaben » welcbe tief in
den Grund gestofsen werden, quer iiber Buohken nod Seen
ftiehen, worauf man, bei hohem Wasserelandey die Fische mil-
leUl kleinen Zugnetzen, Trehubzy (a. oben) imd Gymga*s
sMSngt.
3. Der Vogeifang.
ft
Der Vogeifang verschaflt^ in Riicksichl des Verkaufes,
sicfherern Ertrag, und isl deshalb vorzugsweise das Augen«
merk der Syrjanen. Indem der Bauer mil Vogeifang sieh be^
sehaftigt, berecbnet er, dass er den Vogei ieicfaler verkaufien
kami, als den Fisch, und zwar so voriheiliMft, dass seine An-*
strengungen nicht umsonsi sein werden. Ausserdem hal er
mit Gefliigel weniger Plage, als mii Fischen : die Kaufer selbai
kommenum dieser Waarewillen^ und nehmen sie, (^ne zofeil-
schen, in grofsen Partieen ; denn je glucklieher d^Fang, desio
mHfsiger derPreis, welchen ein JSger fur seine Waare fordert
Der verstSndige Syrjine vertuhrt auch haufig selbat die von
ihm gefangenen V^gel nach den benachbarten Stadten, und
verkauft sie dorten vortheilhafter, als daheim. Die Kosten,
i^lche der SyrjSne auf diesen Erwerbszweig verwendet, sind
sehr unbedeutend: man fangt dieVdgel hauGger in ScMiAgen
Jagd and Fischfang dor Syijinen im Gou?ernement Wologda. 47
undNetzeti, als d<iss man sie schiebt; denn dasPuIver ist su
th«uer, um viel davon an Gefliigel xu verschwenden.
Die Vogelarten, welche diese Waider zahlreich bewoh-
nen, sind, ausser den SingTogein: Adier, Weihen, Kraniche,
Auerhahne, Birkhiihner, Rebhuhner, Haselhuhner, Schwaoe,
wilde Ganse und Enten u. dergL Auf der Jagd, wie im Han-
dei, nehmen Haselhuhner (rablsehiki) die ersie SUlle ein,
da sie ausserhalb sehr stark geaaebt werden. Man fangt ihrer
drei* bis fiinfhunderltausend Stiick jahrlich* Der reiehste Fang
ah Haselhuhnern findel zu Ende Herbstes und Anfang Win?
ters stall, wann sie partieenweise zur Versendung nach Pe*
tersburg, Moskau und anderen Stadten aufgekauft werden. Im
Friihling und Sommer dient der gefangene Vogel nur zum
baustichen Verbrauch und zum Verkaufe in der Stadt Daa
Federwildpret wird gerauchert: hat man den Vogel berupft
und ausgeweidet, so kommt er in einen Topf mit Wasser den
man eine Weile in den Of en ans Feuer steilt: dann nimml
man den Vogel wieder aus dem Topfe und legt ibn eine
Nacht liber in den Ofien, in freie Glut Der solcbergealalt
zubereilete Vogel verliert seinen Geschmack. nicht; damift er
aber nicbt verderbe, halten ibn die Syrjanen immer an einem
trocknen Orte, indem sie ibn an Faden um den Ofen und
unterm Dache aufhiingen. Ist nun dem Bauern seine iQ Mol*
ken gekochte Kohlsuppe mit Gerstengraupen iiberlastig ge«
worden, so nimmt er ein Stiick gerauchertes Geflilgei voaa
Faden, wascht den Staub ab, und kocht.sich eine andere
Sappe aus dem Gefliigel. Im Frbbling und Sommer siod dia
Preise des Federwildes sehr niedrig, well Kaufer fehlen: Ha-
selhiihner verkl^ufl nwin in diesen zwei Jahreszeitea zu 3 — 4%,
Birkhiihner zu Sy^ — 5, Enten zu 3— *6.Kopeken das Paar;
die Auerhahne wiegen bis. 25 Pfund, und ein so grofser Vogel
kostet nur 10 Kopeken Silber. Sobald aber die ersien Win-
terfahplen vor sieh gehen, steigen auch die Preise im Ver-
iKlltmss des wachsenden Begehrs von aussen; das Gefliigel^
insonderbeit die Haselhiihner, wird in den Slat thai terschaften
Wologda^ Wjatka und Perm an den betreffenden Qrten au(*
48 Industrie and HandeU
gekaufl) un<lindieiSiadtederselbeh verfiihri; ausserdetn schickt
die Kaufmdnnschaft: von U^Uyaol alljahrlich gegen 200000
Sltick/nach Petersburg. Der Kailfpreis der Haselhiihner be-
ttrigt alsdann 7, 10, ja 15 Kop. Silh. fiir das Paar; in gansen
Seiidubgen sind sie jedoch durchschnittlich viel wolfeiter, weil
tier Kiiufer, sie streng ausschiefsend, fiir eine besUmmte Zabl
Paare Zugaben verlangt, und die Vogelf anger ihm diese nie-
mals abschlagen. Beim Verkaufe eitTbr grofsen Anzahl Ge^
fiugels geben diese gewohnlich, auf je 100 Siiick, 10 Stuck
nu, so dass sie, statt des bedungenen Preises von 7 — 10 Ko-
peken, im Ueberschlage nicht mehr als 7 Kopeken fiir das
Paar bekommen. Der ergiebigste Fang der Haselhuhner, wie
tiberhaupt des wilden Gefliigels, ist an den Fliissen Petschora,
Wytschegda dnd Wischera: das Haselhuhn an der Petschora
ist besonders fleischig, und wiegt bis ly^ Pfund^ ausserdeiu
hat es ein ungewdhnlich zaries und weisses Fleisch,
Die Vogeljagd hat den Vorzug vor anderen^ dafs der
Bauer sich dabei nicht von seiner Wnbnung bu entfetnen
braucfai. AUes Geflilgel in benachbarten VViddem und an
Seem der U^gegend jagend, sind die Vogelfiiig^r den Miihen
urid Fntbebrungen ganzlich fremd, die mil auderen Jagdea
verbundeh sind, so dais bei der Leichttgk^t, womit die Yo-*
gel erfoeutet werden, und bei einigen einfachdn, $ebr geringe
Kosten erfordernden Mittehi ihrer Erbeutung, diese Jagd wo)
die -eintrltglichste heisseh kann. Die Mittel sind:
Pisehtschalj#n* kyeny . oder lyileny — mit der
Buchse jagen, oder otka puljaen lyileny — mit einer
Kugel, d. i. mit der Wintovka, jagen. Diese beiden Miltel
finden, da sie mit Verlust von Pulver und Btei verbunden sind,
nur Anwendung, wann der Vogel ins Dickicbt der Wilder
sich verbirgt, wo er sein Nest baut, oder wann das Gefliigei
in geringer Zahl ist.
Laikana-letsch(laikana biegaamer Baum, undletsch
Falle). Man biegt einen Baum mit dem Wipfel bis zur Erde
utid bindet ihn an die Wurzel einea anderen Baumes, An
den ersien Baum hangt man Schlingen, welche die £rde h^
Jagd and Fischfang der Syijanen im Goavernement Wologda. 49
riibren und legl allerlei wHde Beeren^ die gewohnliche Nah-
rung der Vogei, drum herum. Die Jager sehen am Morgen
und Abend nach diesen Schlingen und kehren immer mil
reicher Beute heim.
Letsch — die gewohnlichen Schlingen, womit man V8-
gel alter Art fangt. Man stellt sie zu Hunderten in Walder,
auf enge Pfade und zwisehen Baume, ((ir wilde Hiihner, in
die Nahe der Gevvasser aber, fiir Ganse und Enten. Das
Letsch ist nichts anderes als ein langes Seil, dessen Elnden
an zwei zur Erde niedergebogenen Slaben befestigt sind; von
diesem Seile hangen die Schlingen ziemlich dicht neben ein-
ander bis zur Erde, die mil Lockspeisen belegt ist. Ich muss
hier bemerken, dass die Jager immer doppelte Beute haben
wiirden, wenn sie jeden gefangenen Vogel ganz bekommen
konnten; allein die wilden Thiere rauben ihn wenigstens zur
Halfte. Dieser Verlust wiirde den Syrjanen an und fiir sich
kaum sehr (uhlbar sein, wenn er nicht mit den Vogein auch
seine meisten Letsche einbufsie, die das Raubthier entweder
fortnimmt, oder in kleine Stiieke zerreifsU
Tschjo* — eine Art Fallen fiir grSfsere V6gel, die be-
standig in Waldern wohnen, z. B. Auerhahne. Von der Wur-
zel eines Baumes gehen zwei Bretter aus: ein diinnes, am
Boden, oder ein dickes, ly^ Ellen iiber dem Boden. Das
obere Brett ist mittelst einer Schleife an den Wipfel des Bau-
mes befestigt, welche sich gleich lost, sobald das untere,
kiinstlich an der Erde aufgestellte Brett an das untere Ende
des oberen schlagt. Am Ende des unteren, nicht dicht am
Boden liegenden Brettes, liegt gewdhnlich die Lockspeise.
Der sie bemerkende Vogel fliegt schnell herab, selzt sich auf
das Brett, und beschwert also dessen eines Ende; sofort schlagt
es mit dem anderen gegen das obere Brelt, und dieses fallt
auf den Vogel nieder.
Sakdn«k(juoni: mit Netzen fangen. Diese Art Fang
findet im Herbste und Winter statt. Man breitet die Netze
im Walde, an ebenen Stellen, bei Flussen und Seen aus. Ein
Viertheil dieser, immer breiten Netze liegt mit den Enden
Ermans Russ. Archlv. Bd. XI. H. 4. 4
50 Industrie ond Handel,
dicht auf dem Schnee oder an der Erde; die mittleren Nelze
liegen zwei Ellen hoch iiber schwach eingesleckten Staben,
die iibrigen noch weit hoher, wenigstens 1/4 Kiafter iiber
der Erde. An das obere Ende der Netze wird ein Seil be-
festigt, mit welchem der in der Nahe verborgene Jager sie
anzieht; unter den niedrigt liegenden aber befindet sich aller-
lei Lockspeise.. Sogar lebende Vogei werden an Bindfaden
hineingelassen, die den voriiberfliegenden Vogel durch ihr Ge-
schrei aniocken. Uebrigens pflegt der Jager selbst bei soi-
cher Gelegenheit eine Pfeife aus Birkenrinde zu fiihren, niit-
lelst welcher er die Stimmen aller Arien Vogel so geschickt
nachabmt, dass er ganze Scbaren derselben in die Netze lockt.
Mit solchen Netzen werden meisl Hiihnerarten gefangen.
Ob einiger Besonderheit aierkwiirdig sind nur zwei Arten
des Ganse- und Entenfanges : die erste, wenn sie im Auffliegen
sindy die andere, wenn sie sich mausern. In beiden Fallen
zieht der Jager ohne alle Bewaffnung, nur von Hunden be-
gleitet, aus. Vermoge seiner scharfen Witterung erspiirt der
Hund das Gefliigel im Grase, an den Ufern der Seen, und er-
wiirgt es: der Jager braucht die Beute nur aufzunehmen. In
der Zeit des Mauserns zieben die Jager langs den Ufern der
Seen und den Sandbanken (otmeli) der Fliisse, nnd erschla-
gen vieie Ganse und Enten mil ihren Stocken.
Zum Schlusse bemerke ich noch, dass die Syrjanen grofse
Liebhaber der Eier des wilden Gefliigels sind. Um Eier zu
bekommen, stellen die Jager in die Walder und an die Seen
kleine Zober mit Oaunen, und die Vogel wahlen diese Zober
unbedenklich zuNestern. Wird aber der Vogel einmal in sei-
nem Neste gestort, so kehrt er, nachdem er weggeflogen, sel«
ten dahin zuriick; daher muss man genau die Zeit kennen,
wenn er Eier legU Der Syrjane irrt bei solcher Gelegenheit
niemals: nach der Zeit sich richtend, die ihm durch Berech-
nung bekannt ist, erscheint er nicht eher am Zober, bis der
Vogel gelegt hat.
Einige Worte iiber den Buddhismus.
Von
Herrn C. R Koppen.*)
Die Religion, welche vielleicht die meisien Bekenner unter
alien zahlt, jedenfalls die meisten nacbst dem Christenlhume,**)
*) Herr C. F. Koppen^ der den Historikern ond Ethnogrtiplien doroh
seine Abbandlong iiber nordisclie Mythologie und darch seine kriti-
scben Arbeiten bekannt ist, darf nicbt niit dem Petersbiirger Akade-
miker nnd Reisenden in derKrym yerwecbselt werden, Ton dem wir
schon friiher die in diesem Arcbiye Band I. S. 25 , Band III. S. 9 ah-
gedrnckten Beitrage erbielten. — An die rorliegende Abbandinng
yerspricht der Herr Yerfasser schon in einem der nSelisten Hefte
dieses Archiyes eine Fortsetznng iiber die Geschicbte des Baddbl4-
mns in Indien tind Qber den LamaisitiuB bei den BurSten nnd Kal-
maken anzuscbliefisen.
Sob.
**) Die gewobnlicben Angaben iiber die Gesammtzabl der Bekenner des
Bnddba sind meistens offenbar zn niedrig, wie z. B. die yon Klap-
rotb (190 Mil. N. Joar. As. ¥.307), yon Bohlen (295 Mil. Das
alte Indien h §.20) n. a., yrelcbe yielfacb in iinsere Compendien
nbergegangen sind. Wenn die nenern Berichte nber die Beyolkerang
yon China, z. B. GutzUffs, der 367 Miliionen annimmt, nioht
nbertrieben sind, so dnrfte die Zahl der sammtlieben Baddhisten
leicht die Samme yon 400 Miliionen fibersteigen. Feststellen liisst
sich obrigens affch hiernacb nichli , da wir nicbt einmal annabemd
4*
52 Historisch-linguistische Wissenscliaften.
ist ihatsiichlich lange Zeit die am wenigsten bekannle gewe-
sen. Noch vor einigen dreissig Jahren war unsere Kenntniss
des Buddhismus so oberflachIich| so unsicher, so beschranki,
dafs wir selbst von den allgemeinen Fragen iiber das Wer?
Was? Wo? Wann? Wie? Wodurch? u. s. w. kaum eine ein-
zige bestimmt und griindlich zu beantworten vermochten, und
reichte grade nur so weit, um eine Menge willkurlicher^ oft
abenteuerlicher und widersinniger Ansichten und Combinatio-
nen und Hypothesen hervorzurufen. Man glaubte z. B. wohl
im Buddhismus die vielgesuchle Urreligion gefunden zu ha-
ben; man liefs den Stifter desselben bald in Ceylon, bald in
Aethiopien, bald in derTartarei geboren werden, man identi-
ficirte ihn mil Wodan; man machte seine Lehre zur alteren
Schwester oder gar zur Mutter der Brahmanischen u. dergl.
Zum Theil erklart sich dies und Aehnliches freilich aus jener
wusten, phantaslischen, kritiklosen Richtung, welche die Alter-
thumswissenschaft^ namentlich die Religionsgeschichte und My-
thologie seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts eingeschla-
gen halle, jener Richtung, der schon W. Jones und manche
seiner Calcuttischen Freunde vielfacb gehuldigi, die spater
mit der Romantik und dem Jesuitismus der Restaurationspe-
riode und in Deutschland ausserdem mit der Schellingschen
Philosophie Hand in Hand ging. Indessen auch besonnene,
jener unseeligen Richiung nicht hingegebene Forscher sehen
wir in jener Zeit hinsicbts des Buddhismus in ahnliche Irr-
thiimer und unbegriindete Ansichten verfallen; wie die mytho-
logisehen Visionairs und Adepten, und bei ihnen ist allerdings
der Grimd darin zu suchen, dafs damals die Quellen zur
Kenntniss jener Religionsform im hochsten Grade sparsam
flossen.
wissen^ wie grofs im himmlischen Reicbe die Zahl der sogenannten
Gebildeten ist, die <i^ich zar Reichsreligion bekennen, und wie yiel
Mandseharen andererseiCs noch SchamaniBmuB treiben, I. J. Schmid t
(M^moires de Tacademie de PeCersboorg IL, 42) und O. Frank
(Vjasa 56) d. a. aind der Anaiicht, dafs der Bnddhismos wabr^chein-
lich mehr Anhanger zable, ala irgend ein anderes Religionaaystem.
Binige Worte fiber den Baddlusmus. 53
Denn was haile man bis dahin, woraus man schSpfle and
schopfen konnte? — Vereinaselte Angaben einiger wenigen
abendlandischen und morgenlandischen Geschichtschreiber,
Geographen, Kirchenvaier u. s. w. meist unkritische und oft
einander widersprechende Reise- und Missionsberichte u. dgL
Die von Pallas und spater von Bergmann mitgetheilten
Uebersetzungen Mongolischer und Kaimiickischer Religions-
schriften *) waren — so weit meine Wissenschaft reicht —
bis zu dem angegebenen Zeitpunkte die einzigen allgemeiner
bekannten und zuganglichen Buddhisiischen Urkunden. Dazu
einige Gebetsformelny Litaneieni und sonstige Kleinigkeiien
und abgerissene Bruchslucke^ die anderweitig veroffentiicht
waren. **)
Wie anders slebt es schon jetzt! In keinem Zweige
der orientalischen Literatur sind seit dem letzten Vierieljahr-
hunderte, trotz der Versbhlossenheit der betreffenden Staaien
und Priesterschafteny so grofse und unerwartete Enideckun-
gen gemacht, so reiche und massenhafle Quellen ans Licht
gezogen worden, als in der Buddhisiischen. Denn wahrend
die Eroffnung der mongolischen Lileratur^ die, wie gesagt,
mil Pallas, oder vielmehr mil dessen Uebersetzer Jahrig
begonnen hatte, schon in den zwanziger Jahren in ein neues
Stadium trat, f) wurden zugleich die heiligen Sanskritschriften
von Nepal, das ganze Gebaude des Buddhistischen Religions-
systemes in seiner maaiJsiosesten Ausdehnung nach alien Rich-
tungen bin umfassend, Dogmatik, Moral, Legende, Ascetik,
Liturgik, Metaphysik, Magie u. s. w., und in den altesten Thei-
len wahrscheinlich bis in die Zeit der allgemeinen Concile
hinaufreichend, — Urkunden, deren Existenz man frliher
kaum geahnt hatte, aus dem Dunkel der Klosler hervorgezo-
'*') In den bekannten Werken: „Samnilong historischer Nachriehfen liber
die mongolischen Yolker'* und „Nomadische Streifbreien unter den
Kalmncken/*
♦•) Wie z. B. in Georgi's „Alpfaabetum Tibetanum" nnd in Klap-
roth^s „Reise in den Kankasna/*
i") Namentlich durch I. I. Schmidt.
54 Historlteh-lingiiittiicbe WissMUchaften.
gen; *) desgleichen die Palischriflen von Ceylon, in geschicht-
licher Beziehung die wichiigsten von alien und mit jenen al-
testen Stiicken weUeifernd urn den Rang der OriginaBtalV^)
ferner die heiligen Bticher der Siamesen und Binnanen;f)
endlich auch der Kah-gyur, die riesige Bibel der Tibelaner,
die ^Wandersaule" des Lamaischen Glaubens ff ) u. s. w.
Freilich sind alle diese Quellen — und das gilt im er-
hShien Maa(se von den religi5sen Urkunden der chinesischen
und japanischen Buddhisien — nur noch sehr Weniges zu-
ganglich ; indelis die Ausziige, die InbaiUverzeichnisse; die Ana-
lysen, die davon gegeben, die kritischen und historischen For-
schuhgen, welche dariiber angestelit, die Resuliate, weiche
von den Sprach- und Sachkundigen, die Zugang zu den Hand-
scbrifleh und den sonstigen Schatzen batten, gewonnen und
veroffentUcht worden sind, haben einerseits ein so reiches Ma-
*) Durch B. H. Hogdson. Von 1824—1839 iibersandte derselbe Ton
Kadmanda aas der Asiatischeii Gesellschaft zn Calcutta 50 Bande in
Sanskrit and Yiermal soviet in Tibetanischer Sprache, der zn London
82 B. nnd der Pariser im Ganzen 88 B. VergL dessen Notices of
the langnage, litteratnre and religion of the Baoddhas of Nepal and
Bhot in den As. Researshes XYI., 409 — 449, anch nbersetzt im N.
Jonrn.As. yi, 81 — 119 and 157— :^76, desselben Sketch of Buddhism
in den Transactions of the roy. As. Soc. 11., 224 — 229. Burnoaf
lirtrodnction k Thistoire du Baddhisme Ind. 1—- SI.
**) Dnrch Joinyille, Mahony, Upham^ namentlich aber dwcb G.
. Tonrnonr. Vergl. Introduction into Mahavanso nnd Examination
of the Pali Boddhistical Annals im Journ. of the As. soc« of Benga-
len 1837^ 713—737 and im folgenden B. 686—701 and 789 — 817.
f) Durch Sangermano, Leyden, Low u. a.
i"Y) Der Kah-gynr besteht nach Csoma Korosi, durch dessen Ana-
lysis (As* Res. XX.) der Inhait desselben znerst bekannt geworden
ist, aus 100 Folianten, nicht, wie man an den herkommlichen Anga-
ben^ z.B. bei Klaproth, Schmidt a. a. lesen kann, ans 108. Zn
seiner Fortschaffang sind mehrere Kameele erforderlich, and die
Tom Kaiser Kien-long Teranstaltete Mongolische Uebersetzang kostet
1000 Lani, also uber 2000 Thaler. Der Kah-gyur kam 1831 nach
Petersburg, yier Jabr spater nach Paris, wabrseheinlich schon fraher
nach London.
EUiigfe Worte iibtfr d«tt Bad(Uiiaiii«a* 55
terial gelieferi und andererseiis so viel Lichi iiber daaselbe
ausgego'ssen , dab trots der Uneroieftlichkeit und Ungek^uer*
lichkeifc des Gegenslandes, trots der Ungewifsh^iti ja vdlligtn
Dunkelheit in einselnen Parthien , trots sahlreicher und wich-
tiger Contreverspunkte, auch der Laie, weon au^ nur im
Grofsen und Ganzen, sich eine Einsicht verscbaffen kann in
das Wesen der Buddhisliscben Religion undKirche, ihrer£ii(-
stehqhg und Entwickelung und Verbreitung, ihrer innern und
auTsern Geschichte.
Ueber daa Vat er land dea Biiddhiaatus berr^dbt schon
langst kein Zweifel mehr, so dafa ea iiberflussig ware, bei
diesem Punkte langer.zu yerweilen. Aus der ubereinstiod*
menden Tradition alJer Buddhiatischen Volker, aus sprachr
lichen und historischen Zeugnissen der verschiedensten Art. ist
auf das Unwiderleglichste dargetban, dafs er in Indian ent-.
standen ist und swar in Hindostan, im Gangestbale. *) .
Nicht so ganz verhalt es. sicb mit der Bestimmung
der Zeit, wann dieselbe ins Leben getreten sei Hierbei
kann bis jelzt und wird vioUi imuier nur von annahrender
Wahrscheihlichkeit die Rede sein koniren. Denn die Zeitrech-*
nungen der verschiedenen Buddhistischen Vdlker nacb dem
Todesjahre ihres Erlosers , die sonstigen. Annahmen und An-
gaben heiliger und unheiliger Autoritateiv weichen um nicht
weniger als etwa 2000 Jabr von einander ab. Dazu ist ihre
Zahl sehr grofs*/'^) die Tibetaner allein haben deren vier-
zehn. '\) Ein bemerkenswerther Umstand dabei ist, dafs oh*
*) Und zwar in Magadha, dem sadliehen Beliar, wolohet Ton den vielen
Buddhistischen Klostern (Vih&ras) dessen spateren Namen erhalten
hat Boirlen I. 2d. Lassen „Ind. Alterthamskande*' I. 195. Bit-
ter „Asien'' IV. 1. 507—512. Klaproth zam Foe Kne Ki 201
yerlegt die Yaterstadt des Baddha (Kapilawastu) nordlidi Yom Gan-
ges nach Aade*
**) Die bis 1830 bekannten Zeitangaben iiber das Todesjahr des Buddha
findet man tabellarisch zusammengestetit bei Bohlen f. 316 ff. Vgl.
Asia polyglotta 123. Lassen IT. 52 if. u^ a.
f) Lassen I. c.
56 HistoriBch -lingiiistische Wlssenscbaften.
gleich sie, wie gesagt, in der FestsetKung ihres Anfangspunk*
t^s 8o weit auseinandergehen, dieselben doch in der Besliin*^
mung liber die Aufeinanderfolge der wichtigsten Ttiatsachen
und Begebenbeiten ihrer alieren Kirchengeschichte, im Ganzen
so ziemlich ubereinstimmen, woraus man recht deutlich sielit,
dafs sie gemacht, willkiirlich gemacht, nach ^r Schablone
gemacht sind. Sie beruhen daher fast sammtlich auf priester-
iiche Combination, deren Zweck meistens war, den Tod des
grofsen Heilbringers so weit als mogiich hinaufzurucken. Da-
her nahm man in neuerer Zeit sehon iangst nur noch auf die
zwei gebrauchlichsten AtTren Rucksicht, namlich auf die,
welche bei den Ohinesen iiblich, sich unter andern auch bei
denMongolen, Japanern, Tibetanern vorfindet, und nach wel-
cher der Buddha etwa um 950 v. Chr. *) gestorben sein soli,
und zweilens auf die der Singhalesen, mit denen die siidlichen
Buddhisten fast genau ubereinstimmen, indem sie das Todes-
jahr ihres Religionsstifters urns J. 542 v. Chr. setzen. **) Noch
vor 20 — 15 Jahren erklarten sich die bedeutendsten Forscher
far die erstere. Nachdem jedoch die angeblich historische
Urkunde, aus der man den positiven Beweis fiir die Richtig-
keit derselben zu fuhren vermeinte, als falsch, als priesterli-
ches Machwerkf) erkannt worden ist, diirfte es schwerlich
*) A. Remasat „ Melanges'* As. I. 115. Kampfer ,^ Japan" (edit
Dohm). Schmidt „Gresch. der Ostmongolen** SI.?. Csoma Ko-
rofli (Ab. Res. XX. 41), der ausdracklich venichert, dau die Tibe-
tanischen Schriftsteller im Allgemeinen annehmen, dads Shakya unge-
^hr nms Jahr 1000 gelebt habe.
**) Es finden sich in den yerschiedenen 6erichten siimmtliche Jahre yob
540 — 545* Ueber die Singhalesische Aera unter A.Dayy ^,Aecoant
of Ceylon** 217 (1821 n. Chr. = 2364 n. Buddha); ttber die Birma-
niscbe Symes ^Gesandschaftsreise ** d. Uebers. 219 n. 329 (1795 n.
Chr. =as 2300 n. B.), iiber die Siamesiscbe Kampfer 41 und 50,
Crawfnrd Gesandtschaftsreise etc. der Uebers. 506 (der 11* April
1821 war der Anf. des Siam. J. 2365). VgU-Burnouf et Lassen
Recherches sur le Pali 46 und 65.
f) Diesen positiven Beweis glaubte A. Rem us at im J. 1824 gefiihrt
zu haben, indem er aus der Japansclien Encyclopadie ein Verzeich-
Binige Worte aber dee BoddbitimM. 57
noch einen Sachkundigen gebeD^ der sich m«ht mehr oder
weniger der Singhalesischen Aera anschlosse. Sie verdient
schon deshalb vor den Ubrigen den Vorsug, weil die Budd*
histische Religion und deren Urkunden Jahrhunderle friiher
nach Ceylon gebracfat worden sind, als zu den n5rdlichen
Buddhisten, und zwar ku einer Zeii, in welche der Tod des
Stifters noch nicht so fern lag, als dafs man ihn willkiirlich
um Jahrhunderle und Jahrtausende ha tie hiaaufrucken kdn-
nen. Und — was die Haupisache ist — sie verlegt jenesi
EreigniEs in eine, dodi schon gewissermaisen historische
Zeit^ in eine Zeit^ in der es nach inneren und aufseren Grttn-
den mannigfalliger Art allein stattfinden konnte, aus der her-
niss von 33 Patriarcben veroifentUchte , das mit deni Hintritte des
Boddha im J. 950 v. Chr. beginnend, die minnterbrochene Reibe sei-
ner Nachfolger bis in das 6. Jabrbandert n. Chr. fortfuhrt, nnd zwar
mit Angabe des Todesjahres der Einzelnen oder doch der ZabI der
Jahre, binnen welcber jeder dieser angeblichen Pabste anf dessen Stobl
gesessen bat und nberdies — was die Haoptsacbe ist — mit steter
Bezugnahme auf die Regierongsgescbicbte der gleichzeitlgen Cbinesi-
scben Kaiser. Melanges As. I. c. Hier hatte man also einen fort-
laafenden bistoriscben and cbronologiscben Faden, der noch dazo
mit andern bekannten and anerkannten Facten nnd Daten anfs In-
nigste Yerwebt scbien, Indefs anoh dies Verzeicbnils ist gemacht,
nnd hat keinen ADspmch aof historische Geltang,, (Der Beweis hei
Lassen II. 54 ff.) Unter andern miiiste nach demselben der Pa-
triarch Ananda 133 Jabre, Upagnpta voUends 200 Jahre gelebt haben.
Die ganze Annahme der Chinesen, dafs der Tod des Bnddba nms
Jabr 950 erfolgt sei, scheint anf einer Prophezeibnng zu beraben,
welche demselben in den Mand gelegt wird nnd also lautet: >,Tau-
send JahrCy nachdem ich Nirvftna geworden, wird dieses Tscbandan-
Dschft (ein Bild des Baddha TOn Sandelholz) sich in das Reich der
Cbara-Kitad (Nordchina) erheben nnd der nordlichen Gegend uner-
mellBliches Heil bringen.** Da nan die erste Einfuhrang des Baddbis-
mus in China ^ nach der Ansicht des Cbinesen selbst im J. 61 nach
Chr. erfolgte, so mnssten, laut jener Weissagong, bereits 939 Jahre,
also doch ungefabr 950 seit dem Nirv&na verflossen sein (Schmidt
„Ostmoflgolen** 15).
58 Hiitoriicb-liDgaistiscbe WiMenschaftni.
rauft es allein verstanden und mit fruheren Zuslanden und der
spateren Geschichie Indtens in Zusammenhang gebracht wer«
den kann. Auf eine Hand voU Noten, d. h. auf zehn^ ja auf
funfzig Jahre kommt es dabei naturlich nicht an, Scbliefslich
also — nach dem jetzigen Zuslande der Forscfaung — ist das
Aufireten das Buddha in das 6. oder 5. Jahrhundert v. Chr.
zu verlegen.
Die Lebensgeschi elite desselben ist mehr als die je-
des andern Religionsstifters von der Legende bis ins Unge-
heiire ausgeschmiickl und entsteiii worden, waseben nur be-
weisi, dafs die Ihder mehr Phantasie besitzen, als etwa die
Perser und Semiten. Grofse Zeichen und Wunder gehen z. B.
seiner Geburt voran und begleiten dieselbe. Die Erde bebt,
ein heller Stern geht auf, die himmlischen Heersehaaren mu-
siziren u. s. w. *) Auf unbefleckte Weise von einem fiinffar-
bigen Lichtstrahle erapfangen, wird er durch die rechte Achsel-
hohle geboren; und seine MuUer bleibt nach sekier Geburt
noch Jungfrau. *'^) Dann geht er sogleich sieben Schritte,
wahrend Lotusblumen unler seinen Fiifsen emporsprielsen,
und verkiindet mit erhobener Hand und Stimme seine eigene
Herrlichkeit und die nahende Erlosung u« s. w. f )
Es hiefse ubrigens eine sehr unkrilische Kritik uben, wenn
man ihm deshalb die geschichtliche Existenz ganzlich abspre-
chen wollte, da -^^ abgesehen von allem Andern — die Ent-
stehung einer Seete, eines Ordens, einer Kirche ohne einen
Stifter gar nicht denkbar ist. Auch giebt es wohl unter Al-
len, die hieriiber eine Stimme haben, keinen Einzigen, der
*) Die 32 Wanderzeichen . bei der Geburt des Baddba sind aofgezablt
von KUproth im Foe Koue Ki 221 ff.
**). Dariiber, dalk diese YorsteUangeB im Oriente ganz gewobitlich sind,
TergU Bohlen I. 312.
f) 6s ist ein grofaer Streit unter den Cliinesea ^liber den Wortlaut die-
ser seiner Antrittsrede ; der Sinn ist aber naob alien Versionen der*
selbe. Nacb Mongol. ClueUen (Schmidt I. c. 310) rezitirte er einen
alten Lobgesang.
Binige Wocte iber dtn Badahiimiit* 59
nicht an dent historischeti Buddba glaubi^ und deshalb brauch
ich mich hier nichi weiler auf diese Frage einsulassen.
Also der Buddha oder — um Buddhistisch ra reden —
der leUte Buddha stammt aus der Familie der Shakya, der
KSnige von Kapilavastu. Daher wird er nach dieaem^ seinem
Faoaiiiennainen meistens Shakyamuni (der Einsiedler der
Shakya) von den MongoIenSchigemuni, in Nepal und auch
anderwarts Shakyasingha (der Ldwe derSbakya), in Tibet
Shakyathuba (der GeseUgeber der Shaky a) genanni; bei
den siidlichen Buddhisten gewShnlich Gautama, Got am
Sammanokodam (der Samanaer Kodam).*) Sein Vater
hiefs Suddhodana, die Mutter MahaMaja, was allerdings
sehr nach Symbolik schmeckti da die Maja bekanntiich ku-
gleich in der indischen Philosophie die Natur, die Erschei-
nung, die Tauschung bezeichnet **)
Fa&sen wir in weuig Worte susammen, was in seiner
Lebensgescluchte bedeutsam und charakleristiach erscheint! f)
*) Die Bedeatnng det' Namens Gautama ist nocb angewisa* Klap-
roth*8 Erklarung N. Joarn. As. V. 310 ^Pasteur do yachea** lit
falsch. Barnoaf ,^Introdaction** nitnmt an, dafsGaatama der pries-
terliche Name der Shakyafamilie gewesen sei. S. dessen Note zam
Foe Kone Ki 309.
**) Lassen ist der Ansicht> die Konigin habe friiher einen anderen
Namen gefdhrt and diesen symbolischen erst post factum erhalten.
„lnd. Alterthumskniide** II. 68.
i*) Die Hanptqaelle far dieselbe ist der Ton Hogdson aafgefandene,
noch nicht heraasgegebene „Lalita Tistara.'* Das Leben Sbakyas
nach Tibetanischen Qnellen yon Csoma Korosi „Life of Sha-
kya'* As. Res. XX. 285—317 (der Kah-gyar entbalt aofser einer
Uebersetzung des Latita yistara noch eine andere Lebensbeschrei-
bang desselben); nach MongoHschen yon Klaproth ^Asia poly*
glotta** 121 — 144 ( wiedergegeben in Timkowski*s ,,Reise nach
China** III. 378—408) and Naissance et yie de Shakyamuni im N.
Joarn. As. VII., 176—185, desgl. yon Schmidt in den „Forsdiangen**
71 ff. and in der „Ge8chichte der Ostmongolen** 312 if. Manchei,
zam Tbeil nach Chinesisehen Qaellen an yerschiedenen Stellen
des Foe Koae Ki. Die Ceylonische Tradition bei Dayy 207 and
60 Hittorisch-lingaistisGhe Wissenschaflen.
Bis zum 29. Jahre lebt er der Welt, den Studien, den
Geniissen, den Geschaften. Er wachst heran zu mehr als
menschlicher Schonheit^ gesebmuckt mit den oft genannten 32
Hauptmerkmaten der Schonheit und den 84 untergeordneten
Kennzeichen. Von granzenlosem Durste nach Wissenschaften
getrieben^ iibertrifll er bald Gotter und Menschen in alien
Kunsten und Wissenschaften. Im 16. Jahre heiraihet er und
erzeugt einen Sohn. Als er aber einst eine Frau sieht in
heftigen Geburtsschmerzeni einen Greis vom Alter gebeugt,
einen Kranken in unheilbarem Siechthum, endlich einen ver-
wesenden Leichnam, da erkennt er die vier Grundubel; Ge-
burt, Alter , Krankheit und Tod, und beschliefst der Welt zu
entsagen. Er verlafst den Palast seines Vaters, seine Gattin,
seinen Sohn^ geht in die Eiiisamkeit und beginnt, nachdem
er Haar und Bart geschoren, die strengsten Bulsiibungen und
Kasteiungen. Doch bald gewahrt er — und dies ist der psy-
chologische Wendepunkt — dars die Selbstpeinigungen anniitz
und werthlos sind und keine Befriedigung gewahren. Um so
eifriger versenkt er sich in Andaeht, in Bezahmung der Sinne
und Leidenschaften. Nun folgt natiirlich die Zahl der An-
fechtungen; der Mara versucht ihn und wird von ihm iiber-
wunden. *) Da — in der folgenden Nacht — nachdem er
6 Jahre in der Einsamkeit zugebracht, — erlangt er im 35.
Lebensjahre^ unter dem Bodhibaume sitzend, die hochste Er-^.
b^i Toaraoar „Mah4yanso** c. 1. Die Tradition der nordlichen
Baddhisten ist ziemlich ubereinstimmend , da ihre Urkunden aus dem
L. Tistara oder aus anderen Sanskritschriften iibersetzt sind. Die
Ceylonische weicht in einzelnen Umstanden ab. Nach ihr hat z. B.
Shakya nar eine Frau, nach jener drei. — Die Sage, dafs der
Buddha eine und zwar die 9. Verkorpernng Yiscbnus sei^ stammt erst
aus dem 10. Jahrhundert n. Chr. B a r n o n f 339. H q m b o i d t „Kawi-
Sprache** I. 263.
*) M4ra, mongolisch Schimnus, ist der Damon der Liebe, der Sunde
und des Todes, aucb Beiname des Liebesgottes Kamas. Die Anfech>
tungen, mit welcben Shakya zu kampfen hat, sind natiirlich diesel-
ben, die in der Geschicbie alter Heiligen und Monche eine so grofse
Rolle spielen.
Kifiige Worte uber den Boddhisoini. 5{
kenntnifs und die Wiirdc des vollendeten Buddha. *) Nun tritt
er wieder hinaus in die Welt und begiebt sich zunaohst wie-
der hinaus in die Welt und begiebt sich zunfichst nach der
heiligen Stadt Varllnassi (Benares), urn „d^s Rad der Lehre
in Bewegung zu setzen" und zu verkiinden, dafs er das Mit-
tel gefunden, Welt und Tod zu liberwinden: yiWohlauf^ er-
hebt Euch zu neuem Leben, nehmt an das Geselz des Buddha,
werfl nieder die Heerschaaren des Todes, wie der Elephant
die Schilfhutte! Wer, ohne abzuschweifen, unter der Zucht
dieses Gesetzes wandelt, wird entgehen der Geburt und den
Weltumwandlungen und ein Ziel setzen dem Schmerae!""*)
Und von da ab finden wir ihn, wie er, von Almosen lebend,
einen grofsen Theil Hindustans durchwandert, zahlreiehe Schii-
ler um sich sammelt, die Irrlehren besiegt, predigl, Wunder
thut u. s. w. , bis er im 80. Lebensjahre f ) in NivSna eingeht,
*) Der Bodbibaum ist der indiscbe Feigenbaam. Bodhi heifst zo-
gleich Weisheit, Erkenntnifs. Baddha (der ErIeacbCete), Chinesisch
Fo^ Mandsclioriscb Fontiski, Mongoliscb Bnrohan, Tibetanisch
Sangrgiyas, ist also kein Eigenname. Der Tanfname Sbakyas
ist Yielmebr Sarvatha siddba, gewohnlicb Siddarthe oder
Artascbidi (der Heilbringer). Als Tollendeter Boddba heifst er
aucb^bagayat (der Seelige), Sugata (der Erscbienene), Tatha-
gata (der aaf derselbea Babn wandelt, wie sein Vorganger, namlicb
die friibern Baddhas), B ii r n o af „Introdoction** 70 -^ 77. Foe Koae
Ki 191 etc. Ansserdem bat er anzablige andere Beinamen* 37 der
wicbtigsten bei Davy 213; 58 dergleicben in den fanf Sprachen der
aof Kaiser Kion-longs Befebl beraasgegebenen Polygiotte bei A. R e»
m a s a t Mel. As. I. 163 — 168.
**) Zwei baafig yorkommende Sentenzen Sbakyas. Barnonf I. c. 184,
342. Aehnlicb bei Csoma Korosi I. c. 79.
t) Oder im 79. Bei Dayy allein findet sicb, wabrscbeinlich aas Verse-
hen die Angabe: im 85. — Die Besiegong der 6 Irrlehren bildeiti
einen besondem, sebr gefeierten AbjBcbnitt in Sbakyas Leben. Zuerst
aiis mongoliscber Quelle mitgetheilt yon Sclimidt in den „Forscban-
gen.'* Ob nnter den 6 Tirtbyas, die man fraber fdr Parsen bielt, die
6 pliilosopbiscben Schulen der Inder zn yersteben sind, wie Schmidt
(Mem. de Tacadem. de Petersboarg II. 44) behauptet, ist jedenfalls
zweifelhaft.
62 Uutoriftch-lingaistische Wittensebaften.
nachdem er verkiitidet, dafs seine Lehre 5000 Jahre dauren^
und alsdann ein neuer Buddha erscheinen werde.
Shakyamuni hat sich selbst aogekundigt ak Erloser: er
hat gebiilst und iiberwunden zum „Heii der athmenden We-
sen." Es ist aber die Welt — auch in religioser Beziehung —
niemals und nirgends erlSst worden durch Metaphysik und
Speculation, so wenig wie durch Dogmatik und Ceremonien.
Im Gegentheily die Lehren des Itleils, welche zu Weltreligio-
nen goworden sind, beruhen urspriinglicb uberali nur auf eini-
gen wenigen, tief im Wesen der Phantasie und des Genuiihs
wurzelnden Grundsatzen. So im Christenthume, so im Islam;
so auch im Buddhismus. Jemehr die reineren Queilen zur
Kenntnifs des letztern erSffnet worden, jemehr die Kritik da-
hin gekommen, das Friihere von deal spateren, den Kern von
der Schaal& und den Auswiichsen zu sondern, desto klarer
sehen wir, dafs diese scheinbar so unerhort phantastische und
wiedernm so abstract -speculative Lehre, in ihrem Anfange,
in ihrem Princip sehrschlicht und einfach, mehr moralisch als
dogmatisch, mehr praktisch als theoretisch gewesen ist. Man
muss den urspriinglichen, menschlichen Buddhismus von dem
spatem, kirchlichen, dem Buddhismus der Concile wohl un-
terscheiden. *)
Dabei hat Shakya nicht eigentlich ein neues System ge-
schafiTen, er hat verworfen, vereinfacht, mit einem Worte re-
formirt; aber es giebt im oltern, achten Buddhismus keinen
positiven Lehrsatz, kein Gebot, keine religiose Vorstellung,
deren Ursprung aus dem Brahmaismus und dessen philoso-
phischen Schulen, namentlich aus dem Sankhya und Jdga
*) Bnrnouf 1. o. nnter aiidern 435: II y a pea de croyances en effet
qui reposent snr on aassi petit irtmbre de dogmet et ni^me qai im-
posent an sens ooinmTlii moin^de sacrifices. Je parte id en particu-
lier du Baddhismtis qoi me par^t ^tre le plas ancien, da Boddhisme
humain, si j*ose ainsi l^appeWr, qoi est presqae toot entier dans les
regies tr^s simples de morale.
Einige Worte aber dttn Baddbimivs. 53
fiich nicht nachweisen liefse.*) Es ist nicht sowohl £e Lehre
selbst, es ist die Art und Weise, d. h. dieMethode derselben,
es ist die praktische Anwendung und Durchfuhrung, es sind
die Consequenzen , wodurch die neue Religionsform sich von
der alteren trennte und zu ihr in Opposition trat
Wenn wir das Labyrinth der Buddhistisehen Kosmogonie
und Afythologie und Metaphysik und Gnosis, nanientlich die
Lehre von den drei Welten, den Dhjanis, den Kaipa*s u. s. w.
ganz bei Seite liegen lassen^**) da selbst die altesten Theile
desselben offenbar erst in der Zeit derKelzerei undDogmen-
machereii d. h. der beiden letzlen Concile aufgebaut worden
sindy mochte sich die ursprungliche Lehre Shakyas etwa foi-
gendermaafsen kurz zusammen fassen lassen. Sie beruhty ge-
nau genommen, nur auf einem einzigen Dogma, das zugleich
den Kern des Brahmanismus bildet, und das mithin der Re-
formator als eine allgemein geglaubte Thatsache voraussetzen
durfte — dem Dogma von der Seelenwanderung.
Die Welt ist nach unbegreiflichen, ewigen Geselzen in
sleter Bewegung, in unaufhorlichem Kr^islauf und Wechsel
begriffen. Sie enfsteht und vergeht und erzeugt sich wieder
nach diesem Gesetze ihres eigenen inneren Wesens«f)
*) Bochinger „La vie conteniplatiTe etc. chez les Indoot^ 138, 149 etc.
Frank f^Yjasa'* 41. Benfey ^Indieq'' 138 a, a.
'*) Man findet uber die Baddh. Metapliyaik nebst allem Zobebdr (AbhU
dharma) das Nabere bei A. R^masat >,E8sai sar la cogmograpbie
et cosmogonie des Daddbistes"* im Journ. des Savans von 1831. Hogd-
son ,,8ketcb of Baddhism*' und Notices etc. Barn on f „Introdaction*
457 — 521. Einzelnes^ namentlich nacb MongoUscben Urknnden bei
Schmidt ^Ostmongolen** in den Anmerkangen zn den 10 erstenSei-
ten des Ssanang Ssetzen, aoch bei Bergmann ^Nomadiscbe S(rei-
fereien*' III.^ wo er eine Uebersetzung des Kalmiickischen ,|Weltspte-
gels" giebt u. s. w.
-f-) Demnacb kennt der Boddhismns weder einen Weltenscbopfer, noch
eine erste Schopfung. Vergl. S t a b r ^Religionssysteme d. Orients"
154. Schmidt ^Forschnngen" 180: y^Das System des Baddbismns
bat kein ewiges, nnerschaffenes, gottliches Wesen, das Tor alien Zei-
ten war and alles Sichtbare und Unsiehtbare erschaffen hat. Eben
64 HiitorischflingniAtische WiMeasehaften.
Dieses dahinfliefsende , kommende und verschwindende, wan-
delbare, veranderliche Sein ist aber keine Wahrheit; denn
so wenig giebt es eine Schopfang. Man warde sich indess irren,
wenn man annahme^ dafk «twas, man nenne es Natar oder Scbicksal,
?on den Buddbiaten als gottlicbea Princip angesehen nnd yerehrl
wurdc; yielmehr das GegentbeiU'* Klaproth N. Joorn. As. 310:
„Cette croyance n^admet pas Fexistence d*an Itre sapifme/* Der
Streit daruber, ob die Bnddhistische Weltansicbt obne weitres atbeistiscb
za nennen sei oder nicht, trat bekanntlich in ein ganz nenes Stadium^
als dnrch Hogdson die ?ier pbilosophischen Scbnlen Nepals bekannt
wurden, nnter diesen die Srbale Aiswarika, welcbe ein hocbstes^ im-
roaterielles -Wesen, eine formlicbe Gottbeit, den Adi-Bonddha (lTr«
bnddba) annimmt. Bis za seinem Tode war A. R^masat der eigent-
liobe Adyocat dea letzteren, and bielt diese tbeistische Yorstellang
nicbt blofs fur alt, sondern fiir den innersten .Kern des Buddhismns.
Wir wissen jetzt^ da£s das System der Aiswarikas nicbt alt and das
Dogma yon Adbi-'Baddba nicht yor dem 10. Jahrb. nacb Cbr. nach
Centralindien gekommen ist. Barnoaf 119. Der Adi-Baddba ist na-
tiirlidli nichts weiter, als der yom theistischen Baddhas adoptirte Brab-
maniscbe Weltschopfer (Iswara), woyon aach jene Schnle der Aiswa-
rika den Namen bat. Sc-bmidt, yon dem ich oben eine Stelle im
entgegengesetzten Sinne angefubrt, protestirt in seinem berUbmten
Aafsatze „Ueber einige Grandlehren des Baddhismas" dagegen, dafs
man in Frankreicb so yiel yon einem buddbisme tbeistiqae and
atbeistiqne rede; das helfse europaische, occidentalische Begriffe auf
den Baddhismns anwenden, die in dieser Anwendang keinen Sinn
batten. Indefs in Indien selbst sind die Baddbisten als Atheisten
( Nistika's ) bezeicbnet worden y - obgleich nacb H n m bo 1 d t y,Kawi-
Spracbe" I. 298 sicb dieser Ansdruck „Laagner des Daseins^* mehr
anf den Unglaaben der Baddbisten an ein Dasein nacb dem Tode
bezieht In dem yon Up bam mitgetbeilten Inbegriff der Lebre Gau->
tamas (aaf Ceylon) laatet die Antwort anf die Frage, ob das bocbste
Wesen ancb der Schoplwi^ des Himmels and derErde sei? bestimmt
folgendermafsen: „Ein hocbstes Wesen giebt es nicbt and Alles gebt
yon der Nator aas." — Crawfard I. c. 639: Die Siamesen glau-
ben nicht an einen hochsten Gott, and es ist nicht leicbt, ihnen
diese abstracte and feine Notion beizubringen/* Schon in Ramayana
linden sicb die Verse, die Schlegel ansgemerzt bat:
Denn wie ein Dieb so ist wohl dieser Bnddha:
Von ihm ist Atheismns ausgegangen.
fiinige Worte aber den Baddliismut. g5
Unwandelbarkeit, Unveranderlichkeii ist der Charakier des
wahren Seins. Materie, Form, Farbe, Vielheit, Bewegung,
Thaligkeit, Leben, Geburt, Tod^ kurz jede Existenz, jede Be-
stimmlheit ist inithin Unwahrheit, ist Tausehuug, ist Weltubel,
ist Sansara (mongolisch Ortschilang). Aufser dem Sansara ist
aber nichts, als die Leere (Sunya), in weicher jede BesiehuDg
und BeslimmuDg und Modification aufgehoben ist.
Diese Lehre nun hat der Einsiedier der Shakya — das
zeigt uns die Legende iiber die Veranlassung zu seinem
Biifserieben — sogleich in ihrer praklischen Bedeutung, in
ihrer Anwendung auf die sittiiche Welt genommen. Auch der
Mens(;h, wie Alies, was ihn umgiebt, ist dem Sansara unter-
worfen und roUt in dem ewigen Kreise der Seelenwanderung.
Er durchschreitet alle Gestallen des Lebens und die Stelle,
welche er auf der Stufenleiter der lebenden Wesen einnimmt^
hiingt von dem Verdienste seiner Handiungen ab. Der Tu-
gendhafte avancirt hoher und hoher, bis er zum Gott wird,
der Siindhafte wird im Kdrper eines Thiers » eines HoUenge-
schopfes U.S. w. wiedergeboren ; aber Belohnung und Strafe
dauern niehl ewig. Denn fort geht*s und immerfort, ohne
Ruh und Rast, von Geburl zum Tode, vom Tode zur Ge-
burt: die Thierseeie steigt wieder aufwarts, der himmlische
Genius abwarts und so fort in's Unendliche und Unbestimmte.
Der kirchliche Brahmaismus kannle kein Radicaimittel
gegen diese verhangnilsvoHe Nothwendigkeit Veda-Lesen,
Opfern, Beten, Fasten, fromme Spenden, Bufsubungen, Werke
der Liebe und Gerechtigkeit fiihren freilich hinauf bis in In-
dras Paradies und Brahmas Himmel, aber nach Verlauf einer
bestimmten Zeit kehren die Seeien, und wenn sie auch zu
Gottheiten geworden sind, zu neuer Priifungsexistenz zuriick,
und^ie Laufbahn beginnt von Neuem.
Der Einsiedier von Shakya dagegen hat das Mittel ge-
funden, diesem Verhangnifs zu entgehen und dem Tode und
der Wiedergeburt und den damit verbundenen Miihseeligkei-
ten und Leiden ein Ziel zu setzen — das Mittel, den Kreis
der Metempsychose ein fiir allemal zu sprengen und aus dem
firmans Russ. Archiv. Bd. XI. H. 4. 5
56 HiBtornch-linguistiache Wissenschaften.
slOrmischen Meere des Sansnra und dessen vier Slromen:
Geburl, Alier, Krankhett und Tod sich fUr immer in den Ha*
fen der Ruhe ux reUen. Das ist die Bolschaft der Befreiung,
welche er verkiindet.
Wir kennen das Mitlel bereits — es isi die Bufse, und
zwak- £Ugleich als vollendete Erkenntnifs und voUkommene
Entsagung. In beiden erfolgt die Lossagung, der Riickzug
aus der Tauschung, die Rellung aus dem Weitiibel. Wenn
Du inne geworden, dafs alles Dasein nur Schein ist, wenn
Du durch forlgesetzte und mehr und mehr concenlririe An-
dachi und Verliefung dahin gekommen bist, Dich lossumachen
von dieser Tiiuschung, so dafs endlich Raum, Zeitr, ]!k(|iteriey
6r5r6e, Geslalt, Licht und Pinsterniss, Name und Zahl, Nahe
und Ferae, Jugend und Alter, Geburt und Tod keinen Sinn
und Bedeulung mehr fiir Dich haben, wenn Du andererseits
Dein leh gereinigt von jeder Begier, jeder Leidebscfaaft, von
Liebe und Hass, Freude undSchmerz, von jeder Regung und
Willens^ jedem Gefiihl der Selbstheit und Personlichkeit: tlann
/gelangst Du zum Durchbruch, zur Erweckung, zur Weisheit,
zur Befreiung.*)
Wer aber solchergestait zu Buddhistischer Weisheit und
Heiligkeit vorgedruugen, ist nicht bios frei von der Materie
und ihren tauschenden Verwandlungen; nein, er beherrscht
r
*) Wie es za diesein Durcbbrucb, zu dieser Befreinngatufenweise komme,
dariiber foigende Stelle (Foe Koae Ki 2187): ,>QDand la quietude est
venae, alors TigDorance s^eteint; Tignorance etant eteinte, alors Taetron
s'eteint; Paction s*eteignant, alurs la connaissance s*eteint; la connais-
sance s^etei^nant, alors le noni et le titre s*eteigiient ; le nom et le
titre etant 6te]nt8> alors le^six entries (die r»nfSinne und dasHerz)
s*eteignent *, le» six entries s'^teignant, alors le plaisir renoovel^
s*^teint) le plaisir renouvele ^tant eteint, alors le de8iry^tei|l; le
desir etant eteint, alors Tamour s'eteint; I'amoJir ^tant eteint, alors
la caption s^eteint; la caption etant eteinte, alors la possession s^eteint;
la possession s^eteignant, alors la naissance s'eteint; la naissance
s*etetgnant, alors la yieillesse, la tristesse, la compassion, la doufeur et
^ V la 'sm&ance, les peines do coeur et les grandes oalamk^s ont pris
\^ fin; c*e8t ce qa'on appelle avoir trouY^ la doctrine.
Einige Worte iiber den fiaddbitmai. 67
sie nach Willkiihn Die Natur und ihre Gesf^Ue, welche er
durch Bufse im Bewusstaein und in der Gesinnung iiberwun-
den, miissen ihm gehorchen, ihm dienen. Mit andern Wor*
ten, er hat die Kraft eriangt VV under zu thuo, er beaiUt —
wie die Mongolen sagen — die Macbt des Rili-ChubUghan,
d. h. er kann sich beliebig an jeden Ort verseUen, jede Ge*
stalt anneiimen, den gewohnlichen Lauf der Natur willkurficfa
hemmen, jede ihrer Ersclieinungen hervorbringen u. s. w. ^)
Die letzte hochsle , absolute Befreiung erfolgt endlich im
Tode — das Eingehen in Nirvana. VVer Nirvdna gewor-
den, ist enthoben der leUten Schranke, die ihn noch hielti
der E?dstenz, der Bevvufstheit, der Ichheil, und damit far aUe
Ewigkeit befreit von der Nolhwendigkeil der VViedergeburL
Nirvana ist das hochste Gut des Buddhismus, es ist das vdi-
lige Aufgegangensein in das Leere (Sunya), es ist das Ver-
Ifischen des Selbstbewiifstseins, die ganzliche Vernichtung des
Individuums. **)
*) Der Glaabe, dafs man durch ausserordentliche Webbeit and Heilig-
keit ibernatiirliclie Krafte gewinne, fuidet sich aicht blofs in Indien,
sondern bei alien Volkern, in alien Religionen. Am aasgebildetsten
ist er freilich bei den Buddbisten, selbst mebr nocb als im christli-
chen Mittelalter, and deshalb ist die Zahl ibrer Heiligen noch unend-
lich groDser, als die der katboliscben. Ueber den Riti-Cbobilgbaii
Schmidt ^^Oslmongolea" 312.
*) Nirvana wortlich „das Verloscben** (rextinction). Vei^l. iiber die
Etymologie Barn oaf y,Introd. Appendice'* I. 689 ff. Desgleichen iiber
dessen Bedeutiing 118 ff. Ks versteht sich von selbst, dafs iiber kei-
nem Begriff der Buddhistischen Lehre die einzelnen Secten and Schu-
len und auch die neaern Gelehrten weniger einig sind, als uber die-
sen. ln%der spatern Kosmogonie wird das Nirrina wohl znm Bmpy-
raum, znr Spitze der dritten, obersten Welt, der Welt der Terborgnen
Eigenscbaften, d. h. der Welt ohne Pradicate. Sebr oft wird es als
der Zustand seliger Babe, als Befreiung yon Schmerz and Tod
n. s. w«> doch nicbt als vollstandige Vernichtung aufgefasst, z. B. tod
Schmidt, Csoma u. a. Dagegen Davy 216 Nivan^ (Nirvana) is the /
extingnisching of a flame; and the best inflrmed and most learned /(J^
Boodhistes, who will eaLpress their opimons, seem to is identical with X
5*
gg Historiseh-linguistisclie Wissensehaften.
Es versteht sich von selbst, dafs nach der urspriinglicheh
AirTfassung jedem , der das Geselz treulich erfulUe und auf-
richlige Bufse ubte, die MSglichkeit eroffnet war, iiach seinem
Tode sogleich in' Nirvana einzugehn, ohne vorher durch wei-
tere Geburten stufenweise immer hoher und hoher, selbst bis
zur Buddhawiirde emporzusieigen. Spater hat sich diese An-
sicht in Verbindung mit der Ausbildung der himmlischen und
irdischen Hierarchie, mannigfach umgestaitei. *)
So viel — und vielleicht schon zu viel — von dem Iheo-
retischen Theile der Lehre Shakyas. Sie unterseheidet sich,
wie gesagt, bis hierher durchaus nicht von gewissen freieren
Richtungen der Brahmanischen Philosophic; denn schon Ka-
pila haite den Weltschopfer aus d^m System entfemt und
die Idee des Nirvsina, wie das Wort selbst, war dem Jdga
entnommen. Bis hierher also ist Shakya nichts weiter, als
erner jener unzahligen BUfser, die seit uralten Zeiten inlndien
aufgetreten. Nun aber die Anwendung, die Praxis und damit
der Unlerschied !
annihilation. — Barnouf fefst das Ganze, was daraber zu sa-
gen ist, folgendermafsen znsammen: Le Nirvana est pour les theistes
Tabsorption de la vie individaelle en Dieu, et poor les ath^es Tab-
sorpdon de cette vie individaelle dans le neanf.
*) Die alte Lebre kennt keine anzahligen Bnddhas oder Bodhisatvas
(Candidaten zar Bnddbawarde), anterscheidet auch keine himmlischen
nnd menschlicben nnd individnellen Buddba*s (Dhjini-, Manuschi-
und Praty^ka-Buddba*s) Barnoaf 111 ii. Spater aber lesen wir von
so vielen Baddhas „a1s Sandkorner am Ufer des Ganges'* (N. Joam.
As. VI. 271), von „81 mal 100,000 Myriadien Kdti*s von Budha's"
(einKdti zu 10 Millionen) etc. (Bnrnonf 100.) Unter diesen Budd-
has konnen allein diejenigen Seelen verstanden werden, die, nach-
deiii sie atle Stafen der belebten Natnr ond der daza gehorigen
Geisterwelt darchgemacht, aas dem Sansira getreten nnd Nirvana
goworden. Man nahm, mit anderen Worten, in der spatern Ausbil-
dang des Dogmas an, daCs niemand Nirvana werden konne, bevor
er sich nicht darch alle Classen der wirklichen Wesen and der himm-
lischen Hierarchie bis zar Buddhawiirde durchgearbeitet babe. Diese
einzelnen, individuellen Buddhas (Praty^ka's) sind, vvie gesagt, za
Binige Worte iiber den Buddhwmat. 69
Dieser Unlerscbied liegt zuhachsi schon in der Lehr-^
weise. Der Brabmanische Guru unterrichtet einegeringe
Anzahl Schiller in unsabiigen, kl<anlichen, beiligen Gebrau-
chen, im Lesen der Vedas und ihrer Auslegung, in abstracten
Wissenschaften, als Grammatik, Prosodie, Maihematik, Asiro-
nomie u. s. w., und zwar in jener streng vorgescbriebenen,
halb mysteriosen, halb scholastischen Weise, die so vorirefflich
dazu geeignel ist, den kiinftigen Pnester zu bilden. Ganz
anders ist der Einsiedler der Shakya. Seine Metbode isl nicbt
dogmatisch, systematiscby sondern popular, allgemein verstand-
lich: er isi nichi Lehrer der Schule, sondern Prediger des
Heils' Wir sehen ibn in den Sutras und Legenden auf of-
fentlichen Piatzen, in Garten u. s. w., in Gespracb mit seinen
Schijlem, umgeben von grofsen Volkshaufen aller Stande, die
seinen Worten lauschen. £r selbst leitet das Gespracb, beant-
wortet die Fragen der Scbuler, ofl in breiler^ weitschwei%er
Manier und mil baufigen Wiederholungen, damit was er sagt,
um so gewisser verstanden werde, um so tiefer sich einprage —
unterscbeiden von den „ erlosenden , alIerherrliclist*?oUendeten/*
Letstere werden in gewimen Perioden geboren, nm die „atbmenden
Gescbopfe** aas dem Sclilanim des Ortschilang zu befreien, und die
wahre Lebre wieder berzostellen. — Von derartigen yollendeten
Bnddba^s sind nach der gewohnlicben Anniihme in diesem Welt-
alter (Kalpa) erst ?ier erschienen, namlicb Kraknandra, Kana-
kamoni, Kasyapa ond Shakyamuni. VergU N. Joam. Asiatic
VII. d9. Scbmidt ^Ueber einige Grnndlehren des Boddh.*' I. 106
n. A. Der zunacbst Erscheinende beifst Maitreya: er wird 5000 Jabr
nach Schakyamani^s Nirvdna, also nach der Singbalesiscben Aera Ini
Jabr 4457 n. Chr. geboren werden. Im Ganzen soUen wahrend der
jetzigen Weltperiode, weicbe davon ein „ Kalpa der Weisen" beifst,
1000 yollendete Bnddbas erscheinen. (A. R^masat Joam. des Savans
▼on 1831, 719); man findet ibre Namen bei Scbmidt IL 68—80
nach einer Mong. Handscbrtft. — Es ist klar, dafs die game Lebre
von der periodiscben Erlosung durcb die Buddbas, ans dem Brahma-
nischen Dogma von den Manvantaras nnd anderseits von den Ver-
korperungen Vischnus ihren Ursprung genommen bat. Dabei jedocb
ein grolser Unterscbied : bier ist der. Erloser ein Gott, dort ein
Mensch und nur ein Mensch.
70 HUCoritch -lingtuBttscIie WiMenschaften.
oft mit Beispielen und Gleichnissetii. namenUich mil EriShlun-
geiiy die auf die Idee der Seelenwanderung Bezug habeo, in
welchem etwa das gegenwartige Gliick oder Ungickck einer
bestimmten Person aus den Verdienslen od^r Vergehen der
letotem in friiheren Geburten abgeleitet wlrd u. s. w. Durch
diese Lehrweise, durch diese Prediglen auf der Slrafse — und
dies ist etwas bis dahin in Indien UnerhSrtes — wurde ^llen
ohne Unterschied zuganglich^ was hier ausschKefsiiches Eigen-
thum der bevorrechteten Caslen gewesen war. *)
Und hiermit kommen wir su dem Hauplunterscheidungs*
grade, dem Punkte, der allein hinreichl su erkliiren, wie der
Buddhismus in alien Sphiiren des geistigen Lebens Epoche
machen, wie er eine machtige Opposition im Brahmanenthum
hervorrufen and tuleitt mit diesem im blutigen Conflict kom-
men, wie er endlich zu einer Wellreligton werden konnte
tind mufste -^ an Alle, Alle schlechthin richtet sich die
Botschaft Sfaakyamunisy ohne Rucksicht auf Geburt, auf die
Kaste. Wer die Verhaltnisse Indiens kennt, wer je einen
Blick in Manus Gesetzbuch geworfen, der wird gestehen
miissen, dafs dieser Gedanke noch unendlich kiihner war, als
jener Paulinische, die Christen nicht mehr an das Jiidische
Ceremonialgeselz zu binden. Man verstehe dies nicht falsch!
Der Buddhismus streitet nicht gegen das Kastenwesen als sol-
ches, als politische Institution, er dringt nicht direct auf des-
sen Vemichtung **) — was gehen ihn die politischen und so-
4
*) Barnouf I. c. 37. Lassen II. 432. Es versteht sicb voo selbst,
dalji Shakya aafser der Predigt aoch Wnnder als MUtel der Bekeh-
rang anwandte. Sebr cbarakteristisch ist in dieser Beziebang fol-
gende Steile. Sbakya wird anfgefordert> Wander zo tban, da erwie-
dert er: ,,Gro£ier Konig, so lebre icb das Gesetz niobt, dafs icb
meinen Sobnlem sage: Gebt and that Wander vor den Brahmanen
and Haasberm, sondern so lebre ich meinen Zuborem: Verbergt
Eore gaten Werke und zeigt Rare Sunden!'*
**) Stabr 9,I^e ^cbinesisdie Reichsreligion etc/* 86. Lassen L c. So
erklart es sicb, da(s in Ceylon das Kastenwesen neben der Baddbisti-
schen Kircbe bestehen kann, natiirlicb j^dooh ohne eine besondere
Prietterkaste. Bitter ^Asien" IV. 2, 228 ff.
Binige Worle iilier den BuddliMuiw^. 7J
cialen Verhaltnisse, was gehl ibn tiberbaupl das Wqltlicbe
an? — aber er berufi alle Kasl^n, auoh die unterslen, unrei*
nen, von den Brahmanen verabscheukn gleichmSfsig i|ur Theil*
nahme am Heil, zur Defreiung vom WdUibel^ mil einein
Worle, Kur Ascese, sum BuCselhume, wahrend daa Brahma* | 7
nisclie Geseto dies lelztere 8treng auf di« drei erateo Slande,
auf die Zweimalgebornen beschrankie. *) Der Buddhiimus
leugneie nieht, im Gegenthelii er beslatigle die alte Lehrc,
dais es vom Verdiensie und von der Schuld friiberer Hand-
lungen abhange, in welcber Kasie Du geboren werdest, aber
er slelU dagegen den Salz auf ^ und das ist der Fortochritt —
jeder Kaste ohne Unterschied ist die Moglichkeit gegeben, die
Werke der Bufse und Heih'gkeit su tiben» dadurcb alle Siin-
den zu iilgen und zum hochsten Heiie, zuro Nirvana zu ge-
langen. Allerdings iiegl hierin — als ConsequenZi als t^Vi*
gerung — die Aufhebung des Kaslenwesena, denn wepn alle
Stande auf gleicheWeise zum letzlen, hochsten Gut gelangen
konnen, so sind sie eben in der lelzten, hochsten Inslanz audi
als gleichy als gleichberechtigt anerkannl, und der Stand selbst
mithin etwas Gleichgultiges, Nichtiges, Verschwindendes. Diese
Consequenz hat sich denn auch naliirlich gellend gciyiachty
und es giebl aufser Ceylon keinen einzigen Buddhistischen
Slaat, in dem das Kastenwesen nocii bestande»
Ob er gehori wurde der Uuf der Befreiung^ gehort yon
den Sudras und den noch elenderen Mischkasten, jenen Ver-
stofsenen, Vervvorfenen , oder wie sie das heilige Gesetz der
frommen Brahmanen nennt, den „Verruchten,^' den Sola, Vai-
deha, Tschandala, Magadha, Tschallri u. a., die durch ein
verruchtes, abgefeimles Priesterthum Jahrhunderle lang urn
alle menschlichen und goLtlichen Rechte betrogen waren? —
Es ist keine Frage, dafs sich der Buddhismus grofsentheils
aus diesen anfanglich rocrutirt hat, gerade wie das Christen-
thuni aus Fischem, Zoiinern und Siindern. Hier erscheint
er in seinem seh5nslen Lichle, seiner alles umfassenden Liebe,
*) Mann VI., Anfang.
72 Historitch-lingaistMolie Wissenschaften.
SO dab wir oft unwillkiirlich an die ersle Verkiindigung des
Evangeliums erinnert werden, z. B. wenn wir den An an da,
einen der LieblingssGhiiler des Buddha mit dem Tschandalen-
madchen am Brunnen sehen. Er ist durstig und eraiiidet
von langer Wanderung, biltet sie: „Gieb mir m trinken!"*
Sie entgegnety sie sei eine Tschandala und diirfe sich ihm
nicht naheniy ohne Jhn %n veninreinigen. Er aber antworlel :
^yMeine Schwester, ich frage nicht nach Deiner Kaste, noch
nach Deiner Familie; ich bitte Dich um Wasser, wenn Du
es mir geben kannst/' ^)
Dagegen klingt es fast komisch, beweist aber im Grunde
das Namiiche, wenn in einer Tibetaniscben Legende sich ein
Gott liber seine eigene Hoheit beklagt, die es ihm erschwere
Buddhistischer Monch zu werden und das heilige Geselz zu
erfiillen, „denn das ist sehr scfawer fiir Leute von vornehmer
und erhabener Race, dagegen leichl, wenn man arm und ge-
ringen Standes ist."' — „Wenn Dein Sohn nichts mehr zu
essen haben wird und nichts sich zu kleiden'* — so heifsi es
in einer andem ErzShlung — „dann wird er zum Samanaer
Gautama gehen/'
Hier liegt denn auch, wie gesagt, der ersle Keim zum
Zwiespalt mit den Brahmanen. Wir lesen ofler, wie sie dem
Buddha es vorwerfen, dafs er den Verachteten, Verfluchten,
dem untersten Pobel, wie man bei uns sagen wiirde, den Zu-
') BntDoaf 205. Das Madchen verliebt sich dann in Ananda and
wird von ihm fiir den Orden gewonnen. Darauf begeben sich die
Brahmanen, der Konig and die Honoratioren ?on Srawasti in Pro-
cession ZQ Shaljya, um ihn wegen der Aafnahme einer Tschandala
zur Rede za stellen. In seiner Antwort kommt nnter andern foU
gende Stelle vor, die jedoch nicht sehr alt zn sein scheint: „Zwi-
schen einem Brahmanen and einem Menschen der andern Kasten ist
nicht der Unterschied, wie zwischen Gold und Stein, zwischen Licht
und Finsterniss. Der Brahroane ist vom Weibe geboren, ganz wie
der Tschandala. Wenn der Brahmane todt ist, verlafst man ihn, als
einen unreinen Gegenstand , ganz wie bei den anderen Kasten. Wo
ist denn nan der Unterschied?*'
Einige W<Nrte iiber den fiodflhumw. 73
tritt zum heiligen Biirserstande geslatte. Und was aniwortet
er ihnen? „Mein Gesetz ist ein Gesetz derGnade fur
Alle!"*)
Ja fur Alie! Denn niehi bios Arme und Ausgesiofsene,
auch Brahmanen, namentlich unwissende, die zvvar hoeh tiber
den Mitgliedem anderer Kasrien erhaben; doch in ihrer eige-
nen verachtet waren/*) Krieger und Kdnige, aus der/^MiUe
ja der Grander der Lelire selbst hervorgegangen sein sollle,
und die wahrscheinlich sehr ba]d im Buddhismus auf Shniiche
Weise ein Millel zum Sturz der Hierarchie sahen, wie die
deutschen Fiirsten und Herren in Luthers Reformation, end*
lich Kaufleute, Hausherrn u. s. w., kurz Leute jeden Standes
finden wir derLegende nach in Shakyas Umgebung und mehr
oder weniger in seiner Gemeinde. Seine vertrauiesten, be*
rlihrntesien Schiiler gelifiren den verschiedensten Kasten an.
Hatlen wir es niehi schon oben ausdriickiich hervorgeho*
ben, so wiirde sich hier von selbst ergeben haben, dats eine
Lehre, die Allen, auch den Unwissendsten und Ungebildetsien
die Thiir zum Heil eroffnete, anfangs im hohen Grade einfach
und ailgemein verstandlich Und mehr moralisch als specula-
tiv und dogmatisch sein mufste. Darin liegt ja iiberhaupl die
eigenlliche Bedeuiung und der Charakter des Buddhismus,
dafs er dem in Formeln und Satzungen und Ceremonien, in
Schulgelehrsamkeit und Werkheiligkeit und andern Aeufeer*
lichkeiten erstarrten Brahmaismus gegeniiber, das Wesen der
Heiligung in die Gesinnung verlegte, in die Welt iiber win-
dende Entsagung, in WohlwoIIen und Erbarmen gegen alle
Geschopfe und in unnbegrenzter Aufopfrungsfahigkeit. f ) Die
*) Bnrnonf 197 ff. 249.
**) Es lieifst unter andern Mann II. §. 157; 9,Ein ungelehrter Brahmin
ist eben so, wie ein Elephant ans Holz oder eine Antilo()e aasLeder;
diese drei Dinge haben niclits als den Namen.^
-f>) Dies ist es anch, wodarch der Bnddbismus ein so bedeatendes Cul-
torelenient geworden ist, so dafs Klaproth ^Asia polyglotta** 121 mit
Recbt sagt: „Ke]ne Religion hat, nach der clmstlichen , mehr zur
Veredlang des Menschengeschlechts beigetragen, als die Buddhistische/*
74 Hutoritch-tingvuliscbe. Wiisenschaften.
ganse Summe der Lehre und des Gesetses in ihrer ureinfa-
chen, urspriingUchslen Gesiak scheinl in der Glaubensformel
entbalten, welche wir bei alien Buddhistischen Volkern finden,
und in der wir wabrseheinlich eins der iiltesten Buddhistischen
Denkmaie vor una haben:
1) ,y Welche Gesetze aus der Grundursache hervorgegan-
gen sind, deren Grundursache hat Th a thagatas (der Buddha)
verkijndel und welches ihre Verbinderung isl . So hat ver-
kiindet der Erzdulder.'*
2) „AUes Bosen Nichlveranias^ung, Voiibringung des
Heilsamen, Bezahmung^ der eignen Gedanken^ das ist die Lebre
des Buddha." *)
Dazu die so oft genannten vier geistlichen Wahr-
he i ten, die ja aber nur die Anerkennung des Weltiibels
und daniii zugleich der £rldsungsbedurftigkeil enthiellen, und
folglich fiir jeden Schiiler und Bekenner des Buddha noth-
wendige Voraussetzungen waren. „Das Vorhandensein des
Eiends ist die ersle; die zweite ist, dafs dieses unermefsliche
Elend uberall herrscht; die endliche Befreiung aus dieseni
Elend die driite; die vierte ist das Dasein der unendlichen
tiindernisse, welche sich dieser Befreiung entgegenstellen." **)
Auch der moralischen Vorschriften war ohne Zweifel anfangs
nur eine geringe Zahl, wohl noch nicht jene zehn Gebote, die
im Ganzen uhereinstiminend bei alien Buddhistischen Volkern
angetroffen werden y sondern wahrscheinlich nur die fiinf er-
sten derselben, nainlich: 1) Nichls zu todten, wasAtlieiu hat,
2) nicht zu stehlen, 3) nicht Ehebruch zu treiben, 4) nicht zu
•) Ben fey „Indieii" 202. Csoma Korosi „Analy8is of the Dulva'
(As. Res. XX. 74) :
„No vice is to be committed,
Virtae must perfectly he practiseil,
Sabdue ent^irly your tlionglits, —
This is the doctrine of Buddha'\
♦♦) Foe Koue Ki 19, 312. N. Jonrn. As. 1&5 u. a.
Kiiiige Worte fiber den BniMhiBinat. 75
va liigen, 5) nichts Berauschendes zu irinken,^) Geboie, die
sich sammtlich ill Brabrnfiismus vorfanden und deren Ueber-
tretung — je nach der Kaste — in Manu's GeseUsbuch' mit
80 fiirchterlichen Slrafen belegt sind, die aber doch im Budd-
hismus eine etwas verSnderte Stelle und fiir Alle gleicheGel*
tong enlhielten.
Dies fiihrt uns ganz natiirlich aufdieersteEinrichlung
der Buddhistischen Gemeinde, auf deren gesellschaflliche
und kirchiiche Verfassung.
In ihr traten gleich anfangs Erscheinungen hervor, die
sich innerhalb der christlichen Kirche erst nach Jahrhunder-
ten, ja vollstandig und classisch erst im 13. Jahrhunderte in
der Schopfung des Heiligen Franciscus enlwickeit haben. Was
im Chrislenthum sich erst nach und nach als Consequenz
herausstellte, war Priricip, war Anfang des Buddhismus. Auf
alle Fragen: wie erfuilt man das Gesetz des Buddha? wie
gelangt man zur Befreiung? u. s. w. hat der Einstedler der
Shakya nur eine einzige Antworl — das gelbe Gewand,
den BeltlermanteL
Das religiose Anachronlenleben war, wie gesagt, in Indien
uralt und hoch geehrt; dadurch aber, dafs nunmehr Alle zu
demselben berufen, dafs es ferner als der einzige Weg des
Heils verkiindet wurde, mufste nothwendig eine vottige Urn-
gestaltung desselben erfolgen. Shakyamuni ist derErste,
der die Welt mit Klostern und M5nchen erfiillt hat.
Das Geliibde der Keuschheit und das Gebot, schlechthin
nur von Almosen zu leben, sind die beiden ersten und wich-
ligsten Verpflichtungen, welche er seinen Anhangern aufer*
legt. Daher ihi* Name Bhikschu (tibetanisch und mongolisch
Gelong) Beitler; doch werden sie auch gleich den Brahma-
nischen Asceten Sramanas, d. h. Enthaltsame genannt. Auch
Frauen konnten nach der eigensten Natur des Buddhismus
'*') Crawfurd 541. Timkowsky III. 408. Kampfer206. Davy 222.
Georgi ,|Alpb. Tib.*' 142 n. a.
76 HistoriBdi-lingiiittiscbe Wistenscbaflen.
von der Gemeinscbaft dieser Geliibde nicht ausgeschlossen
werden; sie heifsen Bhikschuni (Gelongoia). ")
In der ersten Zeit hatle diese geistlicfae Betlelgeineinde
nattirlich keinen festen und gemeinachaftlichen Aufenihallsort
Die einzelnen Milglieder siede]len vielmebr, gleich den Brah-
manischen Rischis, meisl in der Slille und Abgeschiedenheit,
urn deslo ungest5rter zu ineditiren und in sich einzukehren,
versaoimelten sich aber dann und wann zu bestimmlen Zwek-
ken, urn die Predigt des Meisters zu boren, um sich in ge*
meinschaftHcher Andaeht zu iiben, oder um in dem Gefolge
des Buddha und in der Gesellscbaft der Glaubigen bettelfid
das Gangesthal zu durchwandern. Nur die Regenzeit unier-
brach dieses balb eremitische, balb nomadisirende und vaga-
bondirende Leben. Beim Eintritl derselben Irennte man sich
um in Sladten und Dorfern bei Verwandlen, Freunden und
Beschiitzem zu uberwintem. Sobaid der Soinmer begann,
wurden an vorher dazu bestimmlen Orten Versammlungen
g^alten, in welchen man sich gegenseilig uber die Fortschritle
befragle, die wiihrend der Regenmonate im Verstandnifs der
Lehre u. s. w. gemacht worden — und aus diesen Sammei-
platzen, die nach und nach, jemehr der Hafs der Gegner zu
fortwahrender Vereinigung zwang, formliche Herbergen fiir
die ganze Sommerzeit wurden — sind die erslen Klosler
(Vibaras) entstanden. **)
Mil dem statigen Zusammensein der Betller, dem eigent-
lichen Kloslerleben beginnl aber nothwendiger Weise die
Ausbildung der Regel, der Discipiin, welche letziere bis
dahin nattirlich hochst einfach gewesen und wohl nur in der
Aufrechlhaitung der beiden Geliibde, wie der fqnlGebote und
'^) Barnoaf 275. Lassen II* 449. Sie iiei&en aach Dbarma bhagini,
„Scbwestern im Gesetz.**
*) Bocbinger 168 if. Biirnonf 284. Vibdra ist nacb dem leUtern
wortlicb „rendroit ou Ton se trouye/* In Ceylon ist der Name bei-
bebalten; in Tibet beifsen die Kloster d-6onpa, im Mongoliscben
Kjit, in Hinterindien Kium. Foe Koue Ki 19. Synies 22.
Eifiige Worte uber den Bnddtiismas. 77
in einigen wenigen polizeilichen Vorschriften beslanden hat-
ten. *) Genauere Bestimmungen und Geselze iiber das Novi-
ziat, die Investilur, die Pflichlen der Zusammenlebenden ge-
gen einander und gegen den Orden, ferner iiber Bestrafung,
Ausslofsung und Wiederaussohnung Pflichtvergessener wur-
den von nun an unerlafslich und mehrlen sieh natiiriich in
demseiben Maafse, in welchem die Hierarehie sich entwickelte,
bis ins Maafslose und Kleinliche und Abgesehmackte, so dafs
Basilius und der heilige Benedictus viel Zeit und Miihe hat-
ten sparen konnen, wenn sie die griindlichen Vorarbeiten
ihrer gelehrten Coilegeti im fernen Orient gekannt, wooiit ioh
iibrigens den Zusammenhang zwischen dem ehristlich-agypti-
schen und Buddhislischen Monchlhum nicht laugnen will. ^*)
Was nun den Urspruhg und die Enlwicklung der Hierar-
ehie betriffl, so mu&te diese nach derNatur der Verhaltniase
in der Buddhislischen Kirche viel friiher hervortreten und
schneller und entschiedener vorschreiten, als etwa in der
christlichen. Diese letzlere besland namlich luerst -^ so zu
sagen — nur ausLaien, die erstere nur aus Geislljchen, das
ist der Unterschied. In der christlichen Kirche mufste sich
das Priesterthum als eigner, hesonderer Stand erst aus der
Gemeinde herausbilden — und Generationen sind dartiberver-
gangen — in der Buddhistischen dagegen gab es anfanglich
gar keine Laien, sondern nur Geistliche, nur Monche und
zwar Bettelmonche; hier war mithin derClerus auch der Zeit
nach das Ersle, das Friihere, der Grund des Gehaudes, der
Kern, urn den sich spater das Laienthuni als Schaale herum-
*) z. B. dafs kein grober Verbrecher, kein Aassatziger, kein SelaT ohne
den Willen seines Herrn, Niemand, dessen Eltern no€h lebten, oline
Brlaubniis derselben aafgenommen werden durfte o. dgl.
**) Die Kanofiisciien Biicher iiber die Disdplin (Vindja, Tib. Dalva)
bilden eine Hauptabtlieilang der beiiigen Litteratur. Im Kah-gyar
bandein Ton denselben die ersten 13 Bande; nnter den Sanskritscbrif-
ten Ton Nepal die sogenannten AT&ndana oder Legenden. BeiCsoma
Korosi 1. c. p. 80 ff. iindet man die Samme der 253 Vorschriften,
welche die Priester in Tibet zo beobaohten baben.
78 Higtoriscb'linguistUclie WUsenscbaften.
legle. Naoh der urspriinglichen Ansicht und Absicht des
Slifters war dieses letztere ohne Zweifel ganz abgeschlossen;
indefis einerseils liegl im Prineip des Buddhismus eiq unbe-
grenzter, unverwiistlicher Bekehrungseifer, und andererseits
wird eiae Gemeinde, die lediglioh aus Bettlern und Betllerin-
nen besteht, je starker sie sich vermehcty. urn so dringender
das Bediirfnifs fiihlen, sich durch arbeitende und besilzende,
d. h. erniihrende und Almosen gebende Briider und Scbwes-
tern za verstarken. Daher wurde wahrscheinlich scbon sehr
friih die Einrichtung gelroffen, Laienbriider und Laienschwes-'
tera (Upasakas und Upasikas) zuzulassen, die vom Geliibde
der Keuschheit und Beltelns, wie vom Kloslerleben entbunden
waren. *) Doch sind sie nocb nicht Laien im weiteslen Sinne
des Wortes, sondern Halbmonche und Halbnonnen ; '^'') indefs
war von ihnen bis sum eigentlichen Laienlhum nur ein sehr
geringer Schritt, der bei der weiteren Verbreitung des Budd«
hismus von selbst erfolgen mufste.
So ist denn die welllicbe Gemeinde nur ein Conglomerat,
das sich von aufsen an dem Krystall des Priesterthums an-
seizt, kein wesentlichcr, organischer Theil der Ktrdie, in
Wahrheii nichts als eine Concession, welche der menschlichen
*) DaTan derName. Upftsaka beifst ^,Ein«r der im Haase bleibt** im
Gegensatz gegen den Sraaiana, d«n Kntsagenden „der das Haas rer-
laasen bat*"' Foe Koae Ki 181 ff. Ea beifst in eiaer Legende: Was
moss man im Stande des Bettlers (Bbikscliu) iban? Man muss wabrend
seines ganzen Lebens die Regeln der Keuscbbeit beubacbten. — Das
ist nicbt oioglich! Giebt es kein anderes Mittel? — Es giebt eins:
roan wird Upisaka. — Was bat roan in diesem Stande zu tbun? —
Man muss wabrend des ganzen Lebens die Neigoag znm Mord,
I>iebstabl, Vergnogen, zor Luge und zn beranscbeiiden Getranken
unterdriicken.
**) Wenigstens baben die betreff^den Worter gegenwartig diese Bedea-
tnng. Bei den Mongolen Ubascbi (Halbmoncb), Ubaschanza (Halb-
nonne), Klaproth »,Rei8e ia den Kaakasus" 242; bei den Kalmiik-
ken ebenso (^yein Kalmiick, welcber religiose Gel'dbde nbernommen
bat*'), Zwick vnd S chill „Reise von Sarepta in verschiedenen Kal-
miickenbordenf 95. T i m k o w s k i 4IL 380.
Kinig« Worte uber den fioddliisront. 79
Schwache und Siindhaftigkeit geihachl wird — und schon
aus diesem Grunde mufsle^ wie gesagt, dmr Buddhistische
Cierus den Laien gegetiiiber sogleich eine ungleich erhabnere
Slellutig eiiinehmeiiy als der chrislliche. ,|Tod und Leben,
das isi der Unierschied zuischein dem Laien • und Pri«8ier-
slande." *)
In dem Clerus selbsl, d. h. in der Gesaminlheit der Bet*
teimonche, der Bhikschu, macbten sich nalUrlich sehr bald Un*
terschiede gellend^ die mehr und mehr, namentiich mil der
Entwickeiung des KlosUrlebens, das ohne sirenge Unierord-
nung nichl £u denken isl^ zu (eslen hierarchischen Rangslufen
wurden. Den erslen Unierschied begrundele das Alter » na*
liirJich in Verbindung mil Kenntnifs der Lehre utui person*
licher Wiirde, und so ireien denn zunachst aus der ZabI der
ubrigen Priesier die Sthavira, **) die Aelteslen, Presbyter durch
Ansehn und Steilung hervor. Sie sind Lehrer des Gesetzes,
Vorsilzende in den Versammlungen und Vorsleher der Viharas,
mil einem Worte die oberslen geistlichen Beamlen. Aber
auch aufserordentliche geislliche Gaben, voilkommene ErkennU
nifs und Heiligkeil geleiten zu einer hoheren Stufe. VVer jene
Etgenschaften besilzt, gelangt zum Range des Archat, der
hochsten geistlichen Weihe, die es in der Praxis und Wirk-
lichkeit giebt. f) Denn liber ihn stehen in der Buddhistischen
Hierarchic nur die phantastischen Grofswurdenlrager, dieBod-
hisatwas, Pratyeka^Buddhas u» s. w. Der Dalai -Lama selbst
ist der geistlichen Wiirde nach nur ein Archat, wie der Pabst
*) Stulir 1. c. 181 (aii8 The Catecbism of the Shamans).
**) Sthavira nach Ben fey 204wortlich „der Standbafte'* (in PaliThera).
B u r n o u f (eitet e» zwar von sthi (se tenir) ab , iiberftetzt es aber
dnrch „vieillard ou ancient/' Ebenso Lassen II. 450.
f) Archat oder Arcban (daraus bei den Singhalesen Rabin, Bariiouf et
Lassen ^^Kssai sur le Pali" 12) worUich der ,»Hochwiirdige." „Er
ist selbst zur VoUkommenbeit gelangt und wei£s die Andern dabin zu
fnhren.'' (Foe Koiie Ki 320 Zagleich besitzt er die fiinf iibernatur-
lichen Fahigkeiten, d. h. die Macbt des Riti-Chubilghan. Burnoaf
IntrodactioR 294.
go Uisloriscli^lijigautisclie WiMeiucbaften.
nur ein Bischof. Es ist hierbei feslzuhalten , daCs der Slha-
vira von den Archat's nur durch sein Ami, seine Steilung
sich unterscheidet und aus deren Mitte genomnien wird, und
wir hatten demnach roil Einschlufs der Laienbriider und No-
vizen anfangs nur vier Grade der Buddbistischen Geisllichkeit
die sich dann im Laufe der Zeiten und in den verschiedenen
Landem, in welchen der Buddhismus vorgedrungen ist, ver-
schieden gestallet und verschiedene Nauien angenommen
haben.
Der Verein der Priester oder vielmehr das Prieslerlhum
als Gesatnmtheii bildet denSangya, eins der „drei budd-
histischen Kleinodien,'' das dritie Glied der vielbespro-
chenen Buddbistischen Dreiheit. Dieselbe besteht namlich aus
Buddha, Dharma (die Lehre, das Gesetz) undSangya (die
Priesterschaft), und hat niithin weder mit der Brahmanischen
Trimutri, noch der christlichen Dreieinigkeii irgend eine Ver-
wandschaft. Auch die philosophischen Deutungen, vvelche
man dieser Formal gegeben, geh5ren nicht dem ursprungli«
chen Buddhismus an. *) Eben so wenig ist unter dem Sangya,
wie man wohl angenommen hat, der Verein der Buddbisti-
schen Heiligen zu verstehen, d. h. derer, die sich dem San-
sara entzogen haben, der Sravakas, Bodhisaiwas, Pratyeka-
Buddha's, sondem der Verein der wirklichen, lebendigen, mit
*) Hogdson 1. c. 264 hat zuerst die Ansicbten der philosofihiscben
Scbalen von Nepal aber die „drei Kleinodien** (mongoi. Garban
£rdeni, chines. San pao und San kouei) oder die „drei heiligeo
Kxistenzen** mitgetbeitt. Hierauf and auf Georgi, Horace de la
Penna a. a. gestUtzt, bat A. Renmaat, als Patron des Adibuddba aas
dieser Dreihei^ eine formliche Dreifaltigkeit geniacht. Er sagt N.
Journ. As. VII. 271 : 11 faut remarqaer que les Trb^tains disent qu*ils
constitaent (die drei Kleinodien) one „ unite trine et que les
bouddhistes chinois regardent les trois Precieux Fo, la loi et
r union comme consnbstantiels et d*ane nature en trois substances.
Mehr Aebniicbkeit mit dem cbrisllicben Dogma von der Dreieinig-
keit bat jene von Schmidt (M^m. de faC^e Petersbourg I. 106 ff.)
entwickelte Lehre von den Dbj&ni-Buddhas, Manuscbi^Buddhas und
Bodhisatwa*s.
Binige Worte uber den Baddbitmnt. gf
mil Fleisch und Blut begabten Priester, *) und nichts ist wohl
bezeichnender tdr den Standpunkt, welchen die Buddhisliscfae
GeisUichkeit den Laien gegeniiber einnimmt, als der Umsland,
dafs sie schon bei Leibes Leben zu deii ,ydrei heiligen
Exifiienzen'' gezafali wird, folgUcb hinsichls der ihr zu toh-
lenden Verebning mit dem Religionsstifter und dem Dogma
auf ganz gleicher Linie steht In der That, sie hat es mit
der Zeit weiler gebracht, als ifare Brahmanbchen CoUegen:
diejenigen unter ihnen, welche die hochste Rangstufe ersliegen
haben, gelten fUr absolut sundlos, allgegenwartig und allmach-
iig, und sterben nur, um sogleich in derselben Eigenschaft
wiedergeboren zu werden. **)
*) Die Anskht, da£i anter Sangga nicht der wirkliche irdbcbe Cleros,
sondern der himmlische, phantastische za begreifen sei, baben
Schmidt 1. c. 117 and Ho in bold t Kawi-Spracbe I. 273 aasge-
sprochen. Dagegen Bourn ouf 1. c. 283 ff. In dem Zengeneide von
Siam heifst ea anter Andern: So mogen mir die drei heiligen
Rxistenzen, Boddha, Pall (glcich Dharma) and die Pries ter,
Yor denen leh ctehe, helfen q.s.w. — Von der cbtneaiaeben Aoa*
sprache det Wortes Sangga leitet R^muaat. den Ansdrack ,yBott«-
zen** ab, der seit der Zeit der Missionare zor Bezeidinnng der
Bnddhistischen Priester in Europa iiblich geworden ist. Viel einfa-
cher und natarlicher scheint aber dieAbleitnng von Bandy a (dorch
Geliibde gebnnden), wie dieselben nocb heut in Nepal genannt werden.
**) Tamer 351. Bells ^Joomey throogh Russia, Tartary and China
107—116. Nicbt bloa der Dalai -Lama, Tessbo-Lama a. s.w., son-
dern alle Chotokten werden als solcbe wieder geborea. Der Dabii*
Lama ist ubrigens keine Incarnation des Baddba, sondern des Bodbi-
satwa Padma-p^ni (auch Awalokitaswara , Cbomgschin, Nidober
Cesektscbi u. s. w. genannt).
(Die Fortaetzang folgt.)
firmans Russ. ArchiT. Bd. XI. H. 4.
Bemerkangen fiber eine Englische Expedition
zum 5ibirischen Eismeer.
VOR
A. Erman.
In der am 10. November 1851 gehallenen Sitzung der Lon-
doner Geographischen Geselischaft, wurde von Herm Mur-
chison alsPrasident derselben, den versammelten Miigliedern,
der Lieutenant Pirn von der Englischen Marine vorgestellt^
welcher ein von ihm entworfenes Project zur Aufsuchung von
CapiU Franklin und dessen Begleitern, vorzutragen wiinschte.
AUe Anwesenden empfingen den Eingefiihrten mit enthusiasti-
8chem Beifall und, nachdem einige Wahlangelegenheiten und
ahnliehe Geschafte abgemacht waren, erhielt derselbe das Wort
und machte folgende Mittheilung:
Da er aufgefordert sei der Gesellschaft einen voUstandi-
gen Plan zur Auffindung der Franklin schen Expedition vorza-
legen, so habe er vor Allem seine Ueberzeugung auszudriieken,
dafs man die bisher vergeblich gesuehten Schiffe nicht an der
Amerikanisehen Kiiste finden werde, sondern vielmehr an der
Asiatischen. Wahrend er (Lieutenant Pirn) sich am Bord der
Koniglichen Schiffe Herald und Plover, bei deren Unter-
suchungsfahrl durch die Nordischen Meere befunden habe, sei
Franklins und der Seinigen Schicksal der tagiiche Gegen-
stand der Ueberlegungen gewesen, und da sei es ihm denn
stets sehr befremdend vorgekommen dafs man, bei alien bis-
herigen Unternehmungen zur Rettung jener tapferen Mann-
sehaflen, vorausgesetzt habe, der Erebus und Terror seien
gleich beim Beginn ihrer Reise verungliickt. Er habe ganz
Eine BnglUche Expedition Earn ^ibiriicben BitniMr. 33
im Gegenlheil die Deberzeugung gewonnen dafs man Capitain
John Franklin nicht an derSchwelle der Nord-Westdurch-
fahrt finden werde. Die Thatsache dafs W ran gel und An-
jon bei ihren Winterreisen auf dem Sibirischen Eismeere an
verschiedenen Sieilen und in verhalinifsmalsig hohen Breiten,
offenes Wasser gefunden haben, bestarkle ihn in jener Ansicht
und ebenso endlich ein Brief vom Admiral Francis Beau->
fort, in welchem dieser Offisier seine Ueberzeugung aussprach,
dafs der Erebus und Terror, wenn es ihnen geltngen soUte
den Wellington-Kanal au passiren, den Nordischen Ocean
verhSltnirsmafsig frei vonEis finden und dann mit Leichligkeil
weiter Westwarts vordringen wUrden. Die Beschwerden der
Frank linschen Reise wiirden vielmehr erst beginnen wenn
die Schiffe, nachdem sie weit genug gegen Westen gefahren
waren, es versuchen wiirden SUdwarls bis in die Behrings-*
strafse zugelangen. Cook, Beechey^ Kellett undallean-
deren Seefahrer welche durch diesen Zugang in das Nord*
meer gekommen seien, haben nMmlich bei der Annaherang an
den Siidrand des stehenden Eises schnell abnehmende
Tiefen gefunden und es sei demnach fast erwiesen, dafs siofa
dort eine aus einzelnen Inseln bestehende Bank, einige Hun-
dert (See-) Meilen weit von Osten gegen Westen erstrecke.
Hatten demnach der Erebus und Terror den Wellingtons-
Kanal in fahrbarem Zustande gefunden, so diirften sie wohl
entweder auf dem Meridian der Behringsstrafse (abreast of
Behrings straits) oder weiter gegen Westen, iiber dem flachen
Abhang der Sibirischen Kiisten, in ein Labyrinth von Eis
und Inseln gerathen sein. In Folge dieser Angaben vonHrn.
Beaufort und nach Erwiigung ailer sonst bekannten Urn-
siande, halte er nun dafiir., dafs Franklin den WelBngtons-
Kanal wirklich passirt und den genannten Archipel erreicht
babe, darauf aber weslwarts vorgedrungen sei und sich auf
dem Meridiane der Behringsstrafse von neuem in das Eis be*
geben habe um den Gro(sen Ocean zu erreichen. Da mdge
er nun wiederum ernstliche Schwierigkeiten gefunden haben.
Emgeschlossen zwischen den Eismassen welche daselbst von
6*
g4 PhysikaliBch-matlieinatische WisBenschafteii.
den friihesten Zeiten bis in die jetzigen, alle Fortschritie der
Seefahrer gehemmt hatlen, diirfte er in solchem Maafse ein
Spielwerk der Winde und Stroniungen geworden sein, dafs
es jetzt durchaus zweifelhaft erscheine, ob er endlich an die
Kiiste des neuen Continenls oder an die des alien getrieben
worden sei. Der Muth, die EnUchlossenheit und die Beharr-
lichkeit von Mannern wie Richardson, Kellett, Pullen
und Rae batten bewiesen dafs die Frage was aus Capitain
Franklin geworden sei, nicht an der Kiiste von Nord-Ame-
rika entschieden werden konne. Es sei somit nunmehr ^Slbi*
rien dem sich die ailgemeine Theilnahme an jener Frage su-
wende. Aus Wrangels Reise-Tagebuch sehe man, dais bis-
weilen Schiffstriimmer an den Asiatischen Kusten angekommen
seien und da man ausserdem aus den Berichten iiber viele
Russische Eismeer-Expeditionen wisse, dais dieselben selbst
ganz kurze Fahrten gegen Osten nur mit den groCsien Schwie-
rigkeiten ausgefiihrt batten, so sei es klar, dafs dieselben Um-
stande welche diesen Russischen Fabrzeugen hinderlich wur-
den, einen grade entgegengesetzten Effekt aufSchiffe ausiiben
miissen welche sich irgendwo auf dem Meridiane der Behrings-
strafse befanden und dafs man demnach von einer gut gelei*
teten Absuchung der Nord- Asiatischen Kusten hochst befrie-
digende Resultale zu erwarten habe. Das Staatsschiff Herald
sei jetzt, nach sechsjahriger Abwesenheit, wahrend deren es
dreimal in der Behringsstrafse gewesen, nach England zuriick-
gekehrt: ebenso erfolglos als das Geschwader, welches die
Osiseite des Amerikanischen Nordens untersucht habe. Noch
imm^r sei man iiber Capitain Franklins Schicksal im voU-
standigem Dunkel und er (Lieutenant Pirn) habe es daher
fur seine Schuldigkeit gehalten, die.eben erwahnte Ueberzeu-
gung auszusprechen und dem Admiralitats-Comile (Lords Com-
missioners of the Adm.) ein Projekt: „zur Auffindung von
Spuren der verschollenen Expedition'' vorzulegen.
Sein Antrag sei gewesen am 18. November (dieses Jahres)
von London abzureisen, um sich iiber Petersburg, Moskau,
Tobolsk und Irkuzk nach Jakuzk und an die Miindung der Ko-
Eiiie Englische Expedition zam Sibiritolien Bitmeer. g5
lyma zu begeben, und von doti aus die Kiiste des 5!birischen
Eismeers gegen Osten und Westen auf eine Strecke von nahe
an 10000 Meilen (!)'*) abzusuchen. Er verlange nicht eine
Mannschaft^ sondem nur einen Begleiter und einen Diener^
und es wlirden demnach die Koslen der Reise nur unbedeu-
tend sein, im Vergleich mil dem wahrscheinliehen Erfolge.
Zu seinein grofsen Bedauern sei von der Admiralitat das Ein-
gehen auf seinen Plan vollstandig abgelebnt worden. In der
Hoffnung auf irgend welche zuvcrlassige Nachrichten iiber
das Schicksal ihres Gatlen, babe aber Frau Franklin ihn
gebeten, das genannte Verhaben aus Privatmilteln auszufiih-
ren. Die Admiralitat babe ihm darauf einen unbegranzten Ur-
laub beu'illigt und er stehe daher nicht an einem so edlen
Wunsche zu geniigen. Die Geldmiltel welche Frau Franklin
auf die Expedition verwenden konne, belaufen sich indessen
nur auf 500 Pfund St., d. h. auf eine zu dem Vorhaben oSien-
bar nicht ausreichende Summe. Man habe daher beschlossen,
dieses Geld nur zur Ausriistung der Expedition zu verwen-
den und sodann den Kaiser von Russland um fernere Un-
terstiitzung des Unternehmend anzugehen. Lieutenant Pirn
erhielt zu diesem Ende eine Unterredung mit dem Minister
des Auswartigen , • und er habe nun mit dem grofsten Danke
sowohl Herrn Palmerslons Gute zu erwahnen, als auch
*) Hier ist (wahncheinlich nur in dem ana vorliegenden Zeitungsbe-
richt) ein betrachtlicber Irrthom. Es iiegt namlicb:
Cap Ugolen^ der Oestlicbste Pankt der Asiatischen Kiiite an der
BehringsfttraOie IST^'dO' Ost. t. Par.
Obdorsk 64 21 - - *
Arcbangelsk 3S 13 - - -
und demnach, wenn man annimmt dads die Kiistenfahrt durcbschnitt-
lich in 67*^ Breite vor sicb gehe, d. h. auf einem ganz sicher noch
etwas langerem Parallel, ais dem wirklicb zu befabrenden, der Be«
trag derselben, wenn lie nach Westen fortgesetzt wird
bis Odorsk: 723,5 Geograpbische Meilen ss= 2894 Seemeilen
undbisArchan^elsk: 876,8 Geograpbische Meilen ss 3508 Seemeilen
selbst in diesem aussersten und hoctist unwahrscheinlicben Falle alsu
nur ein Drittel der obigen Angabe. E.
35 Physikftlitcb-'matheroatische Wissenschaftem
die Schnelligkeii, mit der ihm vcm Herrn Addington die
nothigen Documente geliefert wurden. Seine Hoffnung au{
das Geliiigen seines Vorbabens sei bedeutend gesiiegen, sail-
dem ihn Herr Robert Brown, derPrasident der Linne'ischen
Gesellschafl, mit Herrn iMurchison bekannt geinachl habe,
und er beabsicbtige nun am 18. dieses Monats (Novemb. 1851)
nach Petersburg abzugehen, und sich um die Sympathie der
Russisehen Regierung fiir die fernere Unternehmung zu be-
werben. Sein urspriinglicher Plan sei jetzt in etwas modi-
fiziri und namenllieh darin, dafs man ihn veranlafst habe von
England aliein abzureisen, und sich mit der Gesellschaft von
Personen zu begniigen die wohl von den Russisehen Behor-
den beauftragt werden wurden, ihn zu begleiten. Den giin-
stigen Erfolg der Unterhandlung mit der Russisehen Regierung
vorausgesetzt, werde er auf der Eisenbahn von Petersburg
nach Moskau fahren, von da zu Schlitten iiber Irkuzk nach
Jakuzk, welches er in etwa vier IVIonaten erreichen konne.
I^Ian werde sodann die noch iibrige Reise nach der Miindung
der Kolyma und die Kiistenfahrt, mit den landesiiblichen Mit-
teln ausfiihren, und er gedenke das ganze Untemehmen im
Laufe des Jahres 1854 zu beenden, selbst wenn sich ungluck-
licherweise bis dahin gar Nichls von den gesuchten Spuren
gefunden haben sollle. Lieutenant Pirn nannte suletzt noch
einmal die Personen, denen England fiir ihre Unterstiitzung
einer so wahrhaft nationalen Angelegenheit zu danken habe,
und schloss seinen Vortrag unter lauten Beifallsrufen.
Capitain Kellett von dem Aufnahme-Schiff Herald, lobte
darauf die von Lieutenant Pirn geausserten Ansichten iiber
den fraglichen Gegenstand, und erklarte auch Herrn Pirn
fiir einen zu dem Unternehmen vollig geeigneten Offi-
zien Er sagte namenllieh dafs dieses (von 5ibirien aus zu-
gangliche) Meeres- oder Erdstilck eine Untersuchung verdiene,
denn er (Capitain -Kellett) glaube ebenfalls dafs Franklin
darauf bedacht gewesen sei durch die Behringsstrafse zu drin-
gen, weil man wenn er sich von seinem Winterquartier aus
gegen Norden gewendet hatte, hochst wahrscheinlich schon
Eiae RngUtche Bzpedilioii zam Aibiriiohen KifaMr. g7
Nachrichlen von seinem und seiner Gefahrten Verblaben ha*
ben wiirde. Er (Capitatn Kelleti) denke (oder: dachte Arii*
her[?]), dars man aie rail betrachtlicher Wahrscheiolichkeit des
Gelingens an der Nordkuste von Grdnland zu sucben habe.
Lieutenant Pim habe iibrigens sechs Jahre lang mil ihm auf
dem Herald gedient und sei wohi imStande die Reise die er
unternehmen wolle auszutiihren.
Capilain Penny war gkichralls der Ansichl von Lieute*
nanlPim, indem(?) er aufserte, dakFranklin wohl. durch
die Behringsstrafse durchgedrungen sein mochte'^)|
denn er habe in der Durchfahrl welche er bei seiner letzten
Reise enldeckte, eine grolse Masse Treibholz gefunden **)•
Nachdem noch ein Mitglied der Russischen GesandUchafl
in London, imNamen der Russischen Regierung versprochen
halte, da(s Lieutenant Pim von Seiten derselben die beste
Aufnahme in Petersburg, und alle mogliche Unterstiitzung bei
seinem edlen Unternehmen finden soile, verlas der Vorsilzende
folgenden Beschluss der Geographischen Gesellschaft: „der
I*) Hier sind wohl Capitains Pennys Worte durcli den Berichterttatter
entstellt, denn einmal siidlich yon der Behringsstrafse gelangt, konnte
Franklin doch grade nicht wieder in das ^ibirische Kismeer gekoni'
men sein, in dem Herr Pim ihn zo snohmi gedeiikt! Wabrsohehi-
lich ist anstati; „darch die Behringsstrabe"* za iesen >, iiber den Me*
ridian der Behringsatralae hinaos.'* E.
**) Kb ist hier offenbar der Qoeen Victoria Channel gemeint, der eine
Verlangernng des Wellington Channel bildet and welcher an seinem
siidlichen Ende: 16 Geogr. Meilen Breite und seine Mitte bei
76^13B^.
2S8«,670.v.Par.,
an dem bis fetzt gesehenen nordlicfasten Punkte al»er etwa:
6 Geogr. Meilen Breite and seine Mitte bei
76",98Br.
256",10O.v.Par.
hat Vergl. die so eben YonJ. Arro wsmith *i)eransgegebene Rarte
nnter dem Titel: Discoveries in the Arctic Sea between Baffin •Bay
and Melwille Island by Capt. Ommanney etc. etc. etc. in search of
Sir John Franklin 1860 and 1851. B.
gg Physikalisch -- mathematkche Wisseniebafteii.
Prasideni wird dem ersten Lord der Admiraiiiat von den
Schritte benachrichtigen, welchen die Gesellschaft bei der Rus-
sifichen Regierung gethan hat, um Lieutenant Pirns Vorha-
ben zu fordern, und Xvird zugleieh die Unterstiilzung dersel-
ben durch die Admiralitat beanlragen."
Dieser Beschluss wurde durch Acclamation angenommen,
als aber ein Mitglied vorschlug, dafs die GeselUchaft Herrn
Pirns Unlernehmen auf eine etwas substantiellere Weise
unterstiitzen moge, erwiederte der President , sie wollen erst
versuchen was die AdmiraUtat zu thun gedenke; wenn aber
ihr Antrag fehlschlage, so sei er vorAUem zu einer Beisteuer
ftir die Expedition bereit.
Nach etwas spateren Nachrichten sind die gewunschten
Geldmittel von der AdmiraHtat in der That verweigert, da*
gegen aber aus andren Staatsfonds angewiesen worden.
An die in England gehegte Meinong iiber das nun be-
reits begonnene Unternehmen, mogen sich hier einige ander-
weitig begriindete Ansichten von demselben schliefsen, so wie
auch einige Notizen und Fragen uber die zu bereisenden Ge-
genden, welche bei dieser Gelegenheit beachtenswerth erschei-
nen. Sie enlhalten das Wesentlichste von dem was ich so
eben an Herrn Pim^ bei seiner Durchreise durch Berlin, an-
statt des Rallies mitzutheilen wusste, den er von mir im Na-
men unseres gemeinsamen Freundes, Herrn R. Murchison
verlangt hat.
Da sich h5chst selten ein Vorhaben findet, dessen voU-
standiges Gelingen so viel Freude erregen wurde, wie das in
Rede stehende, so hat man sich bei demselben auch noch
mehr als gevvohnlich vor einer Verwechselung des Gewiinsch-
ten mit dem Wahrscheinlichen zu hulen. Es ist aber zu die-
sem Ende zu uberlegen:
1) Ob wohl, und in wie weit dann, Capt. Franklin sich
der fiibirischen Kilste genaherl haben konne, und
Eine BogUidie Expedition zan ^ibirisefaen BiiUieer. 89
2) Wekhe Aussicht Herr P i m hat, ihn von dieser
aus zu entdecken und lu erreichen.
Was die erste Frage betriffl so muss man sie aufs aller*
gtkiistigsle beantworlen, so lange man nur die Entfernung
der Nordasiatischen Ktiste entweder von demjenigen Punkte
ins Auge faCst, bis zu dem die* Englischen Reisenden hochsl
wahrscheinlicli gelangt sind, oder aucli von dem andren,
an welcbem sie gewiss den Winter von 1845 zu 1846 ver-
lebt haben.
Dieser lelztere iiegt bekanntlich auf der Beechey- Inset in
74*43' Br.
bei 265M6'0.v.Par.
und mithin am siidliehen Eingang des Wellington Canals.
VonCapitain Penny ist s^Jber diese StraCse und deren direkte
Fortsetzung durch den Queen Victoria Canal , im Jahre 1851
noch 45 Geogr. Meilen weit bis zu
76«'54'Br.
bei 256* e'O.v.Par.
verfoigt und auch weiter hin noch oflfen gesehen worden. —
Es Iiegt nun die von dem Cap Jakan an der Sibirischen Kiiste
gegen Norden zu sichtbare Insel oder bergige Landspitze in
etwa TO^UVBr.
bei 175^10'O.v.Par.
und somit, unter der Voraussetzung einer ununterbrochenen
Seeverbindung mit dem letzteren jener Amerikanischen
Punkte, von demselben in einem Abstande von
313,5 Geographische Meileu,
und von' Cap. Franklins Winterquartier auf der Beechey-
Insel 359 Geographische JVIeilen
entfernt Es waren demnach diese Entfemungen, wenn man
ungehinderte Fahrten mit 8 Knoten mittlerer Geschwindigkeit
voraussetzen woUte, respektive in
167 Stunden oder in 6 Tagen 23 Stunden
und in 179 Stunden oder in 7 Tagen 11 Stunden
zuriickzulegen — so wie auch, selbst bei schon bei ansehn-
90 PbytikftUBdi'matbeiiiatische WitieiitoluiftMi.
lichen Hinjdernissen welche die mitUere Geschwindigkeit auf
4 Knoien herabgesetzt haUen, in respektive
14 und 15 Tagen.
Mil fast gleichem Erfolge kann man aber anstatl jener
der Behringsslrafse zuoacbst gelegnen unler den Sibirischen
biseln, eine der< westlicheren zwischen der Lena* und Jana*'
Miindung, undnamentlich die Nordspilze von Kotelnoi ostrow,
alsZielpunkt der Frank linschen Reise annehmen, denn auch
dieser in
76«l(yBr.
bei 137?4(y O.V.Pan
gelegene Punkt, isi von der genannten Stelle des Vicloria-
Canals nur-846 Geographische Meilen entfernt, und daher bei
8 Knoten niitllerer Geschwindigkeit in 173 Stunden oder 7
Tagen und 5 Stunden, so wie auch bei 4 Knoten mittlerer
Geschv^indigkeit in weniger als 15 Tagen zu erreichen.
Die Wahrscheinlichkeit^ dafs sich die Mannschaften des
Erebus und Terror ganz oder theihveis den eben genannten
Nord-Asiaiischen Punkten, oder auch irgend einem zwischen
ihnen gelegenen Theile der ^Sibirischen Kiiste genahert haben
ist somil einzig und allein, jedoch auch in vollig entscheiden-
der Weise, abhangig von dem Zustande des Meeres oder rich-
tiger der Erdoberflache welcher zwischen
IV und 76^Br.
.bei etwa 256^ und 137'»0.v,Par.
statlfindet. Man darf in der That fur die genannten Ueber-
fahrten nicht blofs die kleinste der Geschwindigkeiten die
wir ftir sie voraussetzten, sondem selbst die Moglichkeit sie
in dem Laufe eines einzigen Sommers ohne abermaliges Ein-
frieren zu vollzieben, nur dann voraussetzen, wenn jeneZone
die S^hifffahrt bei weijtem mehr begiinstigt, als (etwa mit
Ausnahme der Umgebungen von Spitzbergen) alle bis jetzt
wirklich befahrenen Theile des Nordlichen Eismeeres. Es ist
oben erwahnt wie das nahe an den mittleren Amerikanischen
Meridianen gelegne ostUche Ende jenes Meeresstrichesy unter
andren von Capitain B e a u f o r t und nach ihm auch von Hm.
Bine Ei^lkehe Bxpedili4» aam 3ifciiiMliei& KiiBlMr. 91
Pim fiir aufaerordenilich frei von stehendem Biae and von
unterbrechenden Landmassen erklart wird. Auch haben dit
diesjahrigen Englischen Reisenden in jene Gegenden, selbst
da wo ihnen der wirkliche Anblick des offen goglaublen Mee-
res durch den Rand eines siehenden Easfeldes oder durch die
Siidkiiste eines Landstriches von unbekannier Ausdehnung
noeh benommen war, diese letsteren fiir schmal gehalten, weil
sie Wallfisehe und andere Bewohner der freieren Gewasser,
von der Slrabe die sie befuhren, nicht abgehalten hatten.
Sie neigen sich alle zu der Ansicht dafs das nur von schma*
leren und oft zufrierenden Sirafsen durchsetoie Inselsystem,
das nun fast uberall von der Nordkiiste des Continenies bis
zu 75^ oder 77® Breite bekannt isi, in der Niihe dieser Pa-
rallelkreise sein Ende eireiebe.
Jedes fiir jetzt mogliche Urlheil tiber die Wegsmnkeit der
in Rede siehenden Zone, und souiit aucb uber die Wahr-
scheiniichkeit dafs Franklin oder seine Begleiier das Sibi^
rische Eismeer erreichi haben, ist daher von dem Zustande
abhangig inpem man dieses letztere im Norden von Neu-iS-
birien und von den ubrigen Inseln voraussetzt, welche den
Mundungen der Jana, der Kolyma und andr^r noch osUiche*
rer Fliisse Nord-Asiens, in Abstanden von elwa 30 bis 40
Geographischen Meilen^ gegeniiberliegen. Diese inseln erstrek*
ken sich zusammen iiber fasi 40^ eines Parallelkreises und,
wenn man sie hinzufugt zu der Strecke von etwa 25^ des*
selben, iiber welche die Englischen Expeditionen berichtet ha«
ben, so verhelfen sie uns zur Kennlniss von nahe der Halfte
derjenigen 120 Langengrade, fiir welche bis jetzt Vermuthun*'
gen iiber das Schicksal der verschoUenen Mannschaften, eine
direkte Aufsuchung derselben ersetzen miissen.
Wendet man sich nun zunachst zu dem wesilichsten Ende
jener iSibirischen Inselreihe, und zwar nach den Schilderungen
des En (deckers von mehreren derselben und des ersten Rei-
senden der seine eignen Erfahrungen iiber dieselben bekannt
gemacht hat, so wird man in den Glauben an die Schifibar*
keit des nordlichen Meeres im hochsten Maabe bestarkt.
92 PhyBikalitch-mathematiBolie WisseMchafteii.
. . Der verstorbene Hedenstrdm sagt namlich in dein kleinen
Werke welches die Resultate seines 20jahrigen Aufentballes in
iSbirien und seiner dreijahrigen Reise auf dem Eismeere und
an den Kiisten desselben enthalt (Otrywki o iSibirje, d. h.
Fragmente liber 5ibirien, p. 109): ^^An der Nordseite der In-
seln (des in Rede stehenden Ost-Sibirischen Eismeeres) auf
dem Parallel von 76® und nordlich von deinselben, sieht man
den Ocean voliig offen. Er gefriert dort niemalsi denn selbst
im Marz. zeigten sich auf ihm nur wenige ireibende Eisblocke.
Man hat diese Beschaffenheit des Meeres wohl seiner gros-
sern Ausdehnung '*) zuzuschreiben, welche es den Winden
meglich macht den Zusammenhang der Eisdecke zu zerbre-
chehy obgleich in jenen Gegenden die allerstarksten Kalten
vorkommen '^*). Es scheint, als konne man von diesen Inseln
aus weit leichter, als von irgend wo anders die uordlichsten
Begranzungen von Amerika und von GrSnland erforschen; ja
sogar mit grSfserer Hoffnung auf Erfolg eine Reise zum Nord-
pol anireten." Der Verfasser sprichl an dieser Stelle von
der gesammten Westhalfle der Inselkette; an einer anderen
Stelle seines Buches (Otrywki o fiibirje p. 128) sagt er aber
noch im Besondern von Neu-iKbirien :
,,Als ich diese Insel im Jahre 1809 entdeckte, umfuhr ich
ihre Slidkiiste auf einer Strecke von mehr als 200 Werst.
Ich wurde dadurch zur Annahme einer bedeutenden Grofise
derselben und zu der im folgenden Jahre von der Regie-
rung bestatigten Beilegung des Namens Neu-i!Sbirien veran-
lasst. An ihren nordlichen Kiisten hat das Eis nur 25 Werst
*) Im Vergteiche mit der friiher geschilderten Strafse zwischen dem
Continent nnd den Inseln. E.
**) In Folge einiger Fortschritte der Physik wahrend der letzten 40
Jabre, lassen sich jetzt manche von Hedenstroms Krklaran-
gen darch plaasiblere ersetzen, and so hatte man aoch namentiich
wegen der Olfenheit jener Zone^ wenn sie sich bestatigen sollte, weit
eher an die, auf jenen Meridian und jenseits 70** Breite, gegen Nor-
den stattfindende Zunabme der Wintertemperataren, als an einenKis-
brucb darcb die Winde za denken. B.
Eine Bnglische Expedition zon Sibiriaolken Eiimeer. 99
Breite, und es folgt dann ein offenes und nichi gefrorenea
Mecr;'
Eine ganz unabhangige Bestakigung dieser ThaUache er«
Colgte 13 Jabre apaler durch Herrn Anjou, denn als Resul-*
iat der Aufnahme von Neu«-5Jbirien und von d«n nordlicben
und westlichen Kiisten der Thaddaus- (Fadejewskji) und Ko-
telnoi-Insel, die dieser unerscbrackene Seefahrer im Jahre
1823 ausfiihrte, ist au( Admiral Wrangels Eismeer^Karte un-
ter 76^5Brei4e bei 320^0 bis 322^5 0. v. Pan die Beseichnung
offenes Wasser mit Treibeis
gesetzt worden.
Weiter ostwarts, bei elw|i 161^ bis 166^ 0. v. Parisi ha*
ben die Herrn W ran gel und Matjuschkin in verschiednen
Jahreszeiten unter 72® Br. offenes Wasser gefunden und das-
selbe gegen Norden von diesem Parallelkreise nichi weiter
unterbrochen gesehen, so wie auch im April bei dem etwa
35 Meilen betragenden Riickwege von dieser Gegend bis zur
nachsten Kiistey an manchen Stellen nur sehr diinnes oder
schon gebrochenes Eis *). Es kommt hierzu noch, dab iu
friiheren Zeiten auf dem ostlich von der Miindung der Ko-
lyma gelegenen Eismeer^, sogar Fahrten von betrachtlicher.
Ausdehnung zu Schiffe ausgefiihrt worden sind. So im Jahre
1646 die Schifffahrt von Ignatiew und andren Promyschle*
niks, die uber 7 Langengrade von der Kolyma bis zur Tschaun*
Bai reichte; 1649 StadjuchinsFahrt auf zwei Boten von der
Miindung desselben Flusses, etwa 9® gegen Osten bis Sche-
lagskoi noa; ferner als merkwiirdigste von alien Deschnews
bekannie Schifffahrt von der Kolyma -Miindung, um das Ost-
kap und durch die fast 30® ostlich vom Abfahrlspunkte gele«
gene Behringsstrafse bis in die Miindung des Anadyr (Juni
bis Septbr. 1648) **) ; so wie auch nach mehr als einem Jahr-
*) Vergl. Reise des K. Rassischen Flotten- Lieutenants F. y. Wr an-
gel langs der Nordkuste yon £fibirien a. s. w. Deatsch yon Bn-
gelhardt. Berlin 1839. Tom. 2. p. 32, 78 u. a.
**) Vergl. unter andren dieselbe Reise. Binlettung p. II n. f.
94 PliyBikafiich*inathematiioh« WiMefiscbaCten,
huoderl, in welchetn noch viele ahnliche, zum Theil erfalg-
reiche Versuche vorkamen, des Jakuzker Kaufinann Scba-
laurow drei SchiSfahrten : von der Mundung der Jana bis
in die der Kolyma (wobei 25^ Lange durch eine Fahrt von
eiwa 14D Geogr. Meilen, von Juni bis ^Septbr. 1761 zurUck-
gelegt wurden); von der Miindong der Kolyma bis in die
Tschaun-Bai und zurcick (vonJuIi bisSeptbr. 1761); iind von
der Miindung der Kolyma bis zu der nur 14^.5sUicber gele-
genen Winierwohnung in der er umkam (diese sreine letzte
Reise begann Scbalaurow im Juli 1764).
Es ist sogar einleuchtend dafs die Moglichkeit aller die-
ser SebifiTahrten^ durch einen Meeresstrich der jetzt nur auf
Hundeschlitten passirl wird, einer Erklarung bedarf, die man,
blofs deswegen, weil sie schwer scheint, nicht gamt vemacb-
lassigen soUte. Hedenstrom gebiihrt wieder das Verdiensi
dieses ausgesprochen zu haben. Er sah auch ein dais der
Zeitraum von weniger als 50 Jahren der von der letzten
Schifffahrt bis zu seinen Schlittenfabrten verflossen war, bei
weitem zu klein sei| urn wahrend desseiben eine betracbtliche
Abnahme der Meerestiefen zwischen dem Continent und der
Inselkiiste und dddurch eine Begiinstigung der Eisbildung
zwischen diesen Granzen anzunehmen. Wenn er aber dann
dennocfa die jetzige Unmoglichkeit der Schifffahrt, fur in der
That vorhanden erklSrt, und sie „einem continuirlichen An*
wachsen der Eismassen in dem Polarmeere*' *) (dareh unbe-
kannte meteoroiogische Einfliisse?) zuschreibt, so unterliegt
diese Erklarung, grade ebenso wie die von ihm widerlegte,
dem Einwurf des unzulanglichen Zeitraumes in dem die ver-
meintliche Veranderung erfolgt ware. Ich glaube vielmehr
dafs man hier, wie in so vielen ahnlichen Fallen, noch ein-
mal zuzusehen- hat ob die Thatsache die man erklaren will,
nicht blofs eingebildet ist, und ob nicht die Annahme dersel-
ben auf einer sehr einfachen Tauschung beruht. Seitdem
namlich im Osten von Nord*Asien die Meeresreisen langst der
*) OCrywki o SMioe p. 106.
Bine Bnglfitclie Expedition ziin> j^iblriaobeft Eiiineer. 95
Kiisle fast aiifgegebeo» uod dagegeh die gegen die Kqste
senkrechten nach denlnsein, su einenK regeimabigen Oeschaft
fiir viele ^ibirier geworden siiid^ wird die Beechliffenheit dee
Meeres tiur in den (fiir die Schlittenfahrt giiDSttgen) Friihjahn*
monaien genauer untersuchl, und es ware somit wobl iBi>g*
licfa^ dafs dieselbe im Sommer (vom Juli bis zum September)
auch jetzt noch die Schifffahrten swischen acbwinnmenden
Eisbergen und SchoUeiiy unier denselben Beechwerden wie
friiher, erlaubte.
Wir diirften es, wenn alle bisher genannten ErfahruDgen
aliein in Betracbi kamen, weder fiir unmSgltch, noch fiir gam
unwahrscheinlioh erklaren, dafs auf Eismeerfahrten yorberei-
tete Schiffe, vom Wellingtons* Canal bis zwischen die Nord->
Asiatischen Inseln oder gar bis in den Eisrand der iSbirischeB
Kiiste gelangt waren. —
Bei der weiteren Frage nach HermPims Aussichten auf
die Auffindung seiner Landsleule, muss man dagegen gesteben,
dafs dieselben Unistande welche sein Vordringen
erleichtern, zugleicb die starksten Zweifel gegen
das Vorhandensein der Gesuchten in der Nahe von
Sibirien erregen.
Der Englische Reisende wird namlich, wie srine Vorgan-
ger, schon in Jakuzk alle n5thigen Anleitungen und die meisten
substanliellen Hiilfsmitlel erhalten, um sowohl auf Narten, als
vielleicbi auch zu Schiffe, mdglichst weii in das Elismeer zu
dringen. Jakuzk ist noch in diesem Augenblick der Haupt*
sitz der Kaufleute welche jahrlicbe Expeditionen nach den
Fundorten des fossilen Elfenbein auf den oben genannten In-
seln und zu den Knochensuchern und Pelzjagem an den
Kiisien des Asiatischen Eismeeres ausriisten und ausfiihren.
Die Bewohner dieser Stadt haben sich fiir einen so eigen-
thiimlichen Handel auf eine Weise monopolisirt, die man be-
dauern miisste, wenn nicht eben dadurch ihr fast enthusiastic
seher Hang zu arktischen Abenteuern entstanden ware, und
ihre Theilnahme fiir einige wissenschafkliche Fragen, die mit
dergleichen zosamntenhangen. Die oben erwibnten Schifffahr-
1*^ ^« Mgi:-) „We HBuptecJiwierigkeil wiM Mlchw Un-
Wmehnnens («m«r Fahrt na«h Grdtland md rines VmuAw
den Nordpol m erreichen) besUinden darin, aaf der Una era
Flhra«ug von hmJiinglicher. Featigkeil auBwnigten, « luf die
NnrdMite dCT Inseln au bringen und einen |«eignelen Buhn i
(ilr dasselbe zu 6nden. Der Lena-MUiidung gegenuber witi
dM Meer bid Trilhsten vom Eise befreil, wahracheinlich io
F«]ge des stai4«n Andranges von FlusBwasBer ini Juni ulLen
Styles) — und was deo Hafen betrifll, so Goden sich dereti
awfl) kreisrunde und vortreffliche auf Kbtelnoi oatrow und
sine seh^Sne Bucht auf der Thaddaus-Insel. Uebrigens wurde
gich doch bei einem solchen Unternehmen, mehr wie bei ir-
gend einem andren, die Wahrheit des alien Deutschen Spruit
worts: Lust und Uebe zum Dinge macht Muh und Arbat
geiinge, zu bewiihren haben."
Es schien mir als ob sich bei Lieutenant Pim der Eifer
fiir die Erreichung seines Hauptiweckes und ein m&glichsi
fester Glauben an dieselbe, doch woh) vereinigen liefsen nut
denjenigen Leislungen fiir die Wissenschaft, zu denen viele
Theile seiner Bebcroule aufs diingendste auffordem. Er wird
(nanche Punkle beriihren die noch niemals mit einer anoh
nur ertraglichen Einsichl beschrieben worden sind, und viele
andere, welche seit SOJahren nur von den sehr tapfern, aber
mit physikalisehen Fragepunkten keineswegs verlrauten Pro-
myschienniks, helrelen worden sind. Ich habe ihn denhalb
/vor Allem an die llickenhaflen und dennoch ilusserst merk-
' Wurdigeil Vorstellungen erinnerl, die wir bis jelzt uber die
geologiache BeschalTenheit von Neu-Abirien und von den an-
grSnzenden Inseln besitcen.
Die nur 250 bis 300 Fuls hohen HUgel auf denselben
haben sieile Abhange, in denen Juraversteinerungen vorkom-
*) Otrf trki a Sibirje p. IW.
Eine BflgiiBcbe Expedition sam <^ibff1toheM Bnaieer. 99
men utid welche von dem beriihinlen KnochenreicfaeD Boden
in der Siidbalfte der Insetn, durch eine von Baum^Resten
durchseUte Farmation getrennt sind. Diese enibalt Iheila
schwarze Koblen ahnliche Holzstucke, Iheils gante Stammei
die an ihren Bruchflacben noch fasrig gespallen und in dem
oberen Theile der Hugel welcbe sie bilden, grade so aufge**
richtet sind, als ob eine gewaltsame Slromung aua Siiden sie
gegen ein sieilfallendes Ufer geschwemmt hatte. Die kohlige
Beschaffenbeit jener Sliicke und die weifse, ascben&hnlicbe
VerwiUerungshaut, mit der sie sich nach Hedenslroms Be*
scbreibung bedeeken, konnte obne weiteres «u ihrer Verglei-
chung mit den abnlicben (Bernsieinfiibrenden) Braunkoblen
veranlassen^ die auf Kamtscbalka an der Wealseite des MiU
lelgebirges dieser Halbinsel iiberall zwiscben 62° und 56° Bn
vorkommen *) und ausserdem bis 77° westlicb von dieser Li*
nie, an der Miindung des Jeni^ei, so wie auch 43° OesUicb
von derselben, an den Abhangen der Aleutiscben VulkankeUe
nahe bei deren Anscbluss an den Amerikaniscben Continent.
Wir besitzen aber anderseits so unzweifelbafte Bescbreibungen
von Baumresten, die zusammen mit Vierfiifser-Knochen in
den Diluviaisebichfen derselben Gegenden liegen und welcbe
offenbar zugleieb mit den Leieben der Pachydernen abgela-
gert und eingescblossen warden, dafs eine terliiire Entstehung
der Neu-5ibiriscben Holzberge zum mindesten nocb ausserst
Kweifelbaft und kaum wahrscbeiniicher ist als eine diluviale.
So findet man in dem aufgescbwemmten Boden unter der
Lena bei Jakuzk zwiscben 100 und 500 Fufs Tiefe, viele
Zweige, Wurzein und Blatter von Birken- und Weidenabn-
lichen Baumen; unler den Tundren oder Moorebenen zwiscben
der Lena und Indigirka so miicbtige und reichhaltige Holz-
schicbten (submarine Walder), dafs die Jukagiren sie aus-
*) Vergl. Rrmaii Reise om die Krdft u. s. w. Historischer Beiicht
Bd. 3. $.212; Bd.2. S.260 und Archiv fur wiasenscbaftliche Koode
yon Rossland Bd. 3. S. 165.
7*
100 PhysikaliBch-mathematiBche WiHenschaften.
sdiHefslich als Brennbolz benutzen *) , und an den Abbangen
dieser Tundren gegen das Eismeer die Profile welche unter
andren von den Steuermann Kosmin**) folgendermafsen be-
achrieben werden. ,,An der Eismeerkiiste zwischen denMiin-
dungen der Fliisse Bolschaja- und Malaja-Kuropatoschnaja
(unter 70^8 Br. bei 154^2 0. v. Par.) liegt der Kuropatoschnoi
jar. Diesea senkrecht abfallende Hochufer besteht grofsten*
dieils au8 nie auftbauendetn Eise, das mit ein wenig schwar-
zer Erde und Lehin vermengt ist; bier und da blicken diinne
lange Baumwurzeln hervor und da wo die Eismasse von den
Meereswellen bespult wird und die wenigen erdigen Theile
herabrallen, kommen nicbt selten Mammutsknocben zumVor*
scbein. Westlich von der Miindung der Malaja Kuropatoscb*
naja ist die Kiiste zuerst niedrig, dann erbebt sie sich plotzlich
wieder zu einer Hobe von 30 bis 35 Fufs und bestebt, wie
das eben beschriebne Ufer aus Eis, Lebm und elwas scbwar-
*) Von Heidenitrdm nind wohl KasatmnefigehdrigeErscbeinungen ge-
trennt worden, in dem er nacheinander zwei dergleichen OertUcbkei-
ten mit folgenden Worten beschrejbt: ^,Eine andre onerklarliche Hr-
Bcbeinung sind die in den steilen Ufern der Landseen zwischen der
Lena and Indigirka vorkotnmenden Birken^ die noch ibre Zweige,
WoTzeln und Rinde besitzen. Sie werden leider von den Bewohnem
nicbt gescbont, sondern als Brennmaterial verbrancbt. Dieses Holz
giebt obrigens keine Flamme sondern scbwalt nar im Feoer. Jetzt
indet man erst 3 Breitengrade siidlich von diesem Ponkte die ersten
Birken-Biische ! ond dann: nordlicb von 70" Breite ist das Land bis
sum Meere dnrcbaus baamlos, mit Seen und Pfatzen bedeckt. Der
sogenannte Holzsee den die Jakuten Tastacb, d. i. den steinigen,
hennen, liegt zwischen der Lena and Indigirka und ist bemerkens-
werth, well er eine Menge barzigen Holzes auswirft. Dieses entbalt
oft Stiicke eines dnrchsichtigen Harzes, welches dem Bernstein zwar
aasserlich gleicbt und auch Insekten entbalt, jedocb leichter za sein
scheint als wirklicher Bernstein, und beim Yerbrennen Nichts von
dessen angenehmen (cbarakteristischen) Geruch zeigt.**
**) In F. V. Wrangels Reise u. s. w. Deutscb von Engelhardt
Bd. 2. S. 44 u. f.
f) Otrywki o ^ibiije p. HI u. 120.
Eine Rngtisclie BxpediCion zom SibirtMben Kismeer. 10|
zer Erde. Ich bnich mir einige der dariii liegenden Baum-
wurzeln (grofstentheils Birken) heraus, und fand sie so frisch
und wohlerhalten , als ob sie ersl eben von deoi Bauine ab-
gehauen waren. Der nachste Wald ist 100 Werst von hier
zu finden. Der an der Meeresaeile von deui steilen Ufer lie*
gende, niedrige Strand bestand aus feinem weissen Sande und
war ganz bedeckt mil halb verwitterten Mammutsknochen *)•
Treibholz fanden wir dahingegen gar nichi, obgleicb nach
den angerolUen ' Sandschichten diese Strecke iinmer von den
Meereswellen bespult werden muss.*^ Es ist bemerkenswerth
dak in dieserGegend der Erde, und meist nahe bei einander,
mindestens vier verschiedene Ablagerungen von Holzgewach-*
sen vorkommen. Sie werden bis jetzl eben so vielen geolo*
gischen Perioden zugeschrieben , verdienen aber noch in bo-
hem Naafse eine fernere Untersuchung.
Die Schichten von Sphaerosiderit und von eisenschiissi-
gen Mergeln, die man liings der Westkiiste von Kamtschatka
(von 63^ bis 58^ Br.) dichl ^rfiillt mit dikotyledonischen Laub-
holzern (Juglans, Carpinus u. a.)) mit einigen Juncineen und
mit Sulswassermuscheln (u. a. Anodonta tenuis » Girard) fin-
det, scheinen der Kreideformalion (Quadersandstein) anzuge-
horen •*).
Sie sind jedenfalls durch mehrere machtige und wohl
charakterisirte Meeresbildungen (u. a. einem Kalke mit Mo-
diola jugata, und einem Sandstein mil kalkigem Bindemittel
und feinen vulkanischen Triimmern, welcher Tellina dilatata,
Gin, Natica aspera, Gir., und verschiedene Species der Gal-
tungen Crassatella, Venus, Nucula, Buccinum enthiiU), von
den entschieden tertiaren, Sernsteinreichen Kohlen und ver-
kiesellen Baumstammen getrennt, die naher an der Milte von
Kamtschatka und ausserdem an den oben genannten Osl-iS-
birischen und Amerikanischen Fundorten bekannt sind. Bei
^edanka auf Kamtschatka haben sowohl Coniferen als aucb
*) Die offenbar ans dem Kustenabhang gefallen waren. B.
**) Erin an Reise u. s. w. Histor. Ber. Bd. 3. S. 148 u. f.
102 Phynkaliseh-mathematitche WiMeiueha^tei.
einige Laubbaume und Graser zu diesen Ablagerungen bei-
getragen *).
Die verschutteten B]rken(?)walder unter den Tundren
und die gleichartigen Baume, die man in Durchschnitten die-
ses Bodens mit den ausgestorbenen Vierriifsern gemengt sieht,
sind mit jenen teriiaren Holzablagerungen gewiss nicfat zu
verwechseln. Sie unterscheiden sich aber eben so vollstan-
dig von den grofsartigen Massen von Treibholz, welche all-
jahrlich wahrend der gegenwartigen geologiseben Periode, in
das Eismeer gespiilt und durch Slromung und Wellenschlag
liber dessen Kiisten vertheilt werden. Durch die unablassige
Drehung um ihre Axe, welche die treibenden Baumstamme
in den Meereswellen erfahren **) , wird ihre Rinde stets voll-
standig abgenutzt und auch ihre Oberflache auf eine Weise
geglattet, welche jede Verwechselung mit den unversehrten
und in dem gefrorenen Boden sogar noch saftreichen Holzern
der Diluvialzeil, unm5glich machtf).
Der Knochenfiihrende und, wie gewohnlich in jenen Ge-
genden, mitEis-Gangen und Eis-Lagem durchsetzte, Letten,
welcher die flacheren Theile der Nord-Asialischen Inseln ein*
nimmt, ist auffallend genug um keiner Empfehlung zu be-
diirfen. Herr Matjuschkin schatzt das was nur an Elfen-
*) A. a. O. S. 153, 171, 203, 211 n. f.
**) Daaelbst S. 54. — Anch wird das Treibbolz an den EUmeerkusten
yon Herrn Kosmin, Matjoscbkin a. a. stete als geschalt and oft anch
alB stark verodet gescliildert.
f) Ansser den eben genannten vier Perioden, wahrend deren Holzreste
in den Ost>5ibirischen Boden gelangten, ware noch eine funfte za
unterscheiden, wenn es sich bestatigen soUte da(s der qnarzige Sand-
stein mit Baomstammen an der Aldanischen Fabre and die bis za t
Fafs machtigen Kohlenflotze, die Herr Slob in langs der Lena nn-
terhalb Jakozk, am Wiiai Yon dessen Mundang bis zar Marcha, so
wie auch zwiscben Jakozk and dem Aldaiiflosse gesehen bat — der
Jaraformation angehoren. Vergl. die geognostischen Verhaltnisse Ton
Nord - Asien , in Archiv fur wissensch. Kunde von Russland Bd. III.
S. 165.
Eine Riiglisefae Expedition sum dibiriaehen Bumieer. )0g
bein in jedem Jahre auf Neu^iKbirien und den Ljaehow*-!!!-
seln ausgegraben wird, auf viele Hunderl Pude*). Diese
etwas unbestimtnte Angabe ist aber jedenfalls ausserl mafsigy
denn allein auf der ersien dieser Inseln sammelte nur einer
der Jakuzker Reisenden im Jahre 1821 , &00 Pud StoCsBahne
des Mammut**), d. h. bei dem DurchschniUagewicht von niir
3 Pud fiir jeden der dortigen Zahne, die Hinterlassenschaft
von wenigstens 84 Individuen. Da nun diese Ausgrabuugen
schon seit 50, und auf den Ljachowisehen Inseln sogar acbon
seit ISOJahren fortgeselzt werden, so ist die Vorslellung von
ganzen Heerden von Elephanten in dem dortigen Boden in
keineui Fall iibertrieben und das Phanomen von der Art
dafs kein Reisender es ubersehen kann. Es giebi aber viele
Einzelheiten desselben, die einer genauern Beobacblung ^nd
Beschreibung in hohem Maafse bediirfen.
Ohne einmal die noch so ndthigen Untersuchungen iiber
die fiinf Species der Gattung Elephas zu erwahnen, wejche
Herr 6. Fischer bis jetzt nur nach einigen Backzahnen oder
Zahnbruchstiicken des sogenannten Mammut aus verschiede-
nen Gegenden des Europaischen Russlands zu erkennen
glaubte f ), so ist eine Vervollstandigung der diluvialen Fauna
durch Untersuchung der Eismeerkiisten ein dringendes Bediirf-
niss. Die Schadel und Horner des Rhinoceros teichorhinus
welche mil den Mammuiszahnen nach Jakuzk gelangen, durf-
ten genugsam beschrieben sein, aber kaum so die dem Bison
zugeschriebnen Schadel und Knochen von Ochsenarten, die
Schadel eines Hirsches der nach Hedenslroms beilaufiger Er-
wahnung nur einigermafsen an den Cervus primigenius Kaup,
*) MatJQBchkins Bericht uber seine Reise ISngs des kteinen und
grossen Anioflnsses in Wrangels Reise o. s. w. Deotsch von Rngel-
liardt Bd. 2. S. 3.
**) Dr. K aber 8 Samjetschantja u. s. w., d. h. Beobachtnngen in Nijne
Kolymsk and den benachbarten Gegenden in iS>ibirskji wjestnik 1822.
Tom. 2. p. 145.
f) Notices snr quelques anintaax fossiles de laRussie par G.Fischer.
Moscon 1827. 4.
IM pfcy^taif^h - gathematiiche WiMenteWten.
erionert ^^ die Reste von Schafen die wohl nur aus iSbirischer
Oewdhniing ohne weiieres dem Argali zugeschrieben werden
und ohne Zweifel noch Vieles andre was die Elfenbeingraber
ab weiihlos verwerfen. — Nicht minder wichtig ist eine
Priifung der sehr verbreiteten Sage, dafs voii dem Continent
gegen die (nsein des Bismeeres, mit der Kiinehmenden Hau*
figkeit der Elephanlen-Reste, eine Abnahme ihrer Grofse ver-
bunden sei'**), so wie auch der Behauptung dafs auf den In-
seln entweder gans erhaltene Leichen oder doch voUstandige
Skelette nicht zu den Seltenheiten gehoren. In seiner mehr-
erwahnten Schrift (otrywki o 5ibirje p. 123) sagt Hedenstrom
dafs er auf- Neu-5ibirien, auf einer Strecke von einer Werst
wohl 10 Stofszahne mit ihren Spilzen aus dem Boden her-
vorragen gesehn habe. Er hatmich aber mundlich versichert|
dafs er diese dorl gewohnliche Stellung und das paarweise
Vorkommen der Ziihne ihrem noch vorhandenen Zusammen-
hange mit voUstandigen und unter dem Boden aufrecht ste-
henden Thieren zuschrieb, welche blofs deswegen ungesehen
blieben, weil sich die Promyschlenniks mit Absagung des
*) „An den Bismeerkusten findet man ancli noch Schadel die um weni-
ges kleiner als die der Rennthiere, ihren Zahnen nach einem Gras-
fresser angehoren ond sich besonders dorch ihre Greweihe aaszeicli-
nen. Diese bedecken (!) den ganzen Kopf nach Art einer dicken
Platte, welche aber in ihrer Mitte nach derLange des Kopfes darch
eine enge Furche in Halften getheilt ist. Nach den Seiten za sen-
ken sich diese platten Horner allmahlig nnd werden zagleich schma-
ler, enden aber ehe sie den Hals erreichen in einer karzen aafwarts
gebogenen Spitze.**
**) So sagt nnter andrenHerr Kiiber (Sibirskji Wjestnik 1823 Tom. 2.
p. 145): ,»Die MaramutsstoCBzahne aas der Umgegend von Kolymsk
wiegen durchschnittlich 4 bis 6 Pad, auch finden sich deren von 6.
bis 67, Pad, wahrend auf den Tnsein nicht iiber 3 Pud schwere
▼orkommen*/* and schon vor ihm Hedenstrom (otrywki o iSibiije
p. 123): „Das Gewicht der Mammatszahne and mithin auch die
Grolse der Thiere denen sie angehoren^ nehmen gegen Norden so
hetrachtlich ab, daDs man auf den Eismeerinseln nicht iiber 3 Pad
schwere findet."
Eine Englische Expedition zam S^ibirucb«n Bismeer. |Q5
Butzbaren Elfenbeines begnUgten. — Von guter Erhaltutig der
ihm vorgekommenen Theile fuhrt Hedenstrooi noch an, dafs
ihm Schienbeine und Oberschenkel von Mammuts bei Ustjansk
einen ganzen Sack vol! gefromem Mark geliefert haben, von
dem dann beiiu Aufthauen die umg^bende Leinwand sehr
sichtlich mit Fetl durchzogen wurde. Ueber diese und viele
verwandle Fragen wird der Engiische Reis«nde zu enlschei-*
den im Slande seiri, selbst wenn er, nach seinem bisherigen
Plane, zuersl die osllich von der Kolyma «MUDdung gelegneii
Biiren-Inseln besuchen oder sogar dem, wie behaaptel wird,
vom Cap Jakan sichtbaren Lande nachgehen soUte. Es isl
namlich gar nicht anzunehmen dafs diesen, den westlicheren
Insein so ahnlich gelegenen, Punkien die Neu-<S!birischen
Schichlen abgehen soiUen und zwar urn so weniger, als die
den Biiren-Inseln gegenuber liegende Kuste und namentlich
die Umgebung der Argali-Felsen (Baranow kamen) fiir unge-
wohnlich reich an Mammutsknochen gelten *)• Sodann wird
es aber Herrn Pirn wahrend des beabsichtigien dreijahrigen
Aufenthalts in jenen Gegenden, nicht an Gelegenheit fehlen
sich auch van der Jana oder Indigirka aus, an einer der ge-
wohnlichen Friihjahrsfahrten der Knochensucher zu betheiligen.
Einen hochst wesenllichen Aufschluss iiber diese Erschei-
nungen konnte die bei der Poststation /erbinsk (10 Wersi ab-
warts von derselben bei 60°,5 Br. 114°,0 0. v. Par.) in dem
Silurischen Kaike der linken Wand des Lenathales gelegene
Hohle gewahren, wenn der Reisende endlich eine Durchbre*
chung des Tropfsteinbodens in derselben ausfiihrte oder ver-
anlasste. Die VVahrscheinlichkeil des Vorkommens von dilu-
vialenThier-Resten in derselben ist keineswegs gering, denn
ilir geraumiger Eingang liegt uber dem jelzigen Friihjahrwas-
scr der Lena kaum hoher wie der der Baumannshohle im
Harz, in der wir doch in diesem Jahre, unler dem hori-
zontalen Boden, einen ausserordentlich reichen Knochenletlen
gefunden haben. Eine solche Unlersuchung ist aber von gauz
'') Kiiber in $il»ir»kji WjeCnik a. a. O.
106 PbyBikalisch-matheinatUcfae Wiisenscbaften.
besonderem Inleresse in demjenigen Thale durch welches
einst; alien Anzeigen trach, unzahlige Pachydermen und an-
dere Vierfiifser geschwemmt wiirden. Zii vorlauBger Bekannl-
schaft mil diesen finden sieh schon wahrend der Reise nach
Jakuzk empfehlenswerlhe Gelegenheilen , sowohl in den Pe-
tersburger und Moskauer Museen, als auch (wenn sie noch
vorhanden sein soUte) in einer gans ungeordneten aber aus-
serst reichhaltigen Sammlung von Schadeln, die der Minera-
lienhandler Chorinskji in Irkuzk besafs.
Zur Beachlung wahrend seiner Landreisen in der Umge-
bung der Kolyma und von dieser zur Tschaun-Bai und zum
Cap Jakan wurde Herm Pim endlich empfohlen: ob eine
Bergketle mil rein ostlichem Streichen:
unter 68^85 Breile, bei 183^53 0. v. Paris
xu bemerken ist;
und desgleicben ob zusammenhangende Berge vorkommen
unter 67^0 Breile bei 159^45 0. v. Paris
unter 65^5 Breite bei J5P,78 0. v. Paris
und unter 64^0 Breile bei 'l43^05 0. v. Paris
Der mir bei einem Uebergange bekannl gewordene und
bis zu 4000 Par. Fufs hohe Theil des Aldanischen Gebirges
(wie der Kapilanberg unter 60^13 Br. bei 137^4 O. v. Paris
mil einem von hohen Felsen umgebenen Pass von 3780 Par.
F. iiber dem Meere) und die mit ihm zusammenhangenden
Berge bei Omekonsk (63^40 Br. bei 144«,1 O. v. Par.) mus-
sen sieh namlich nahe iiber die genannlen Punkte, und bei
dem erslen derselben mit ostlichem Streichen, fortsetzen, wenn
sie, wie ich es fiir ausserst wahrscheinlich halle, auf dem
kiirzesten Wege, d. h. langs eines grofsten Kreises der Erd*
oberflache, mit den ihnen geognostisch verwandten rocky moun-
tains und deren unter dem Polarkreise in Amerika bekann-
ten Fortsetzung zusammenhangen. Ich babe manche Griinde
fiir diese Ansicht zusammengestellt in meiner Reise um die
Erde^ Historische Bericht, Bd. 3 S. 9 und in Archiv fiir wis-
senschaflliche Kunde von Russland Bd. VI S. 671. Ihre Wahr-
scheinlichkeit wird aber noch betrachtlich erhoht, durch eine
Kine Bnglliche Bxpeditlon zam Sibiriicben Eitineer. 107
Thaisache deren Bekanntmachung man Herrn Dr. Kiiber
verdankt.
Unier 60^ Breite ist es bekanntiich eine auszeichnende
Eigenschaft des Aldanischen Systemes, dafs die Feldspath-
reiche und von Eurilporphyren durchselzte Grauwacke des-
selben, bei 20 bis 25 Meilen gegen SO. von seinem Kamme,
zu Pechslein mit Ausscheidungen von Halbopal, zu glasigem
Marekanitfels und zu Schneeweissen Trachyten umgeschmol-
zen isl, die sich von eigentlich vulkanischen Produkten in
Nichls unlerscheiden. Herr Kiiber sagt nun*) dafs, wiih-
rend er um die Milten der Thaler der Aniufliisse (67®,5 bis
67^ Br. bei 158« bis 160 0. von Paris) nur Berge aus ge-
schichteten Gesteinen gesehn babe, an den nahe bei einander
gelegenen Quellen des Grofsen Aniu und Anadyr, Steine von
anscheinend vulkanischem Ursprunge vorkommen. Er selbst
babe als Fluss-Gerdlle aus diesen Gegenden Opale und ein
Sliick Obsidian gefunden, auch scheine das was man ihm
von den Gesteinen an der Quelle des kleinen Aniu gesagt
habe nur auf vulkanische Bildungen zu passen.
Von der Linie auf der sich der Kamm einer n5rdlichen
Fortsetzung des Aldanischen Systemes nach der in Rede ste-
henden Vorausselzung befinden miisste, hat aber der Ur-
sprung des Anadyr einen genau gleichen und analog gerich*
teten Abstand von 25 Meilen wie der Marekan bei Ochozk
von der dortigen Streichungslinie — auch ware es, wenn
sich der Zusammenhang der beiden Theile des gemeinten
G^birges besLaligt, nur eine neue Uebeinstimmung dafs auch
in dem nordlichen die Wasserscheide zwischen dem Eismeer
und dem Grofsen Ocean betrachtlich jenseits des Kammes so
wie auch meist jenseits der gehobenen Gebirgsarten in den
plutonischen Massen (Euritporphyr, Sienit und Granil) liegen
wijrde die dem zuletzt genannten Meere zugekehrt sind **),
*) iSibirskji Wjotnik fur 1823 Bd. 2 p. 143.
**) Ueber diose Eigen»chaft des Aldanischen Syslemes in 60"* bis 61"
Br. vergl. man Reise om die Erde HistBer. Bd. 2 S.392, Bd.3 $$.10.
Ueber den Jahrmarkt zu Irbit im Permschen
GouYernement ♦)•
])er Schreiber (lieser Zeilen hat Gelegenheil gehabt die (Jmge-
bungen des Ural genau genug kennen zu lernen um seine Er-
fahrungen fill* mittheilungswerth zu hallen. Er entschliefst sich
dazu um so eher, als sidi die Kussische Lilteratur immer
noch, und trotz aller dem entgegenwirkenden Vornehmen,
nur ausnahmsweise mit inlandischen Dingen beschSftigt. Er
hatle das Giiick gleich nach seinem Uebergange aus dem
Europaischen Russland iiber die be.waldelen Hohen des
Ural recht in dieMilte einer machtigen und durehaus lokalen
Bewegung zu verfallen, indem sich vor alien iibrigen Merk-
wiirdigkeiien das anziehende Sehauspiel des halb orienlali-
schen, halb wilden Irbiler Jahrmarkts tlai-bot, und so mogen
denn einige Nachrichten iiber diesen wichtigen Miltelpunkt
des Ost-Russischen Handels eine Reihe von ahnlichen Schil-
dei'ungen eroffnen.
Um das Jahr 1633 war die jetzige Kreisstadl Irbit **) nur
ein kleiner Flecken (51oboda) in welchem nur die nachsten
*) Nacb einem Riiss. Aufsatz in Otetocbestwennyja <9apiski 1849. No. 7.
**) Sie hatte iibrigens auch iin Jalire 1840 nur 470 Hanger mit 2770
Einwolinern. Vergt. die Statislisdien Tafeln iiher die Russ. Stadte
(lie voin Riissiftcben Ministerium des Innern im Jahre 1840 beraus-
gegeben wiirden, so wie aucb in diesem Archive Bd. IV. S. 34.
D. Uebers.
Ueber den Jahrmarkt za Irbit im Permichen GoaTernement. 109
Nachbarn des Handels wegen zusammenkamen. Man weiss
demnachst iiber dieselbe nur dafs sie, nach Einrichtung der
sogenannten Orenburgschen Linie, su einer innern Zollstatle
erhoben wurde und nachdem sie wahrend des Aufstandes un-
ter Pu gats chew der Landesregierung treu geblieben war,
zu einer Stadt*). Ein bei dieser Gelegenheit erlassener Ukas
der Kaiserinn Katharina vom 3. Februar 1775 enthalt un-
ter andrein folgende Worle : ,,Ihre Majestat lasst lobenswerthe
Verdiensie niemals ohne Belohnung und befiehlt daber aus
besonderer Geneigtheit fur ihre getreuen Unterthanen, den lr-»
biier Flecken zu einer Sladt zu erheben. Die Bewohner der-
selben sollen nicht gezwungen werden einen Kaufhof (ijady)
zu bauen, obgleich sie die Erlaubniss dazu erhallen. Sie ino*
gen aber einsCweilen in ihren Hausern Handel ireiben und
auch wenn sie es wtinschen Herbergen anlegen und bei den-
selben Buden zum Verkauf von Esswaaren und PferdefuUer/'
Im Jahre 1790 erlitt die neu geschatfene Stadt eine be*
trachUiche Feuersbrunst, nach welcher die Kaiserinn Katha-
rina IL die Irbiter abermals durch einen Abgabencrlass un-
terstiitzte. Der darauf beziigliche Ukas vom 26. Marz 1791
besagt unter andrem: ,,In Folge eines Uns von dem Senate
gemachten Berichtes iiber den Brand des Kaufhofes, befehlen
Wir dem dortigen Sladlischen Verbande dieses Gebaude neu
aufzubauen, wofiir die aus demselben zu ziehenden Einkiinfle
ihm gehoren und der genannte Kaufhof aus dem Verzeichniss
der zinspflichligen Gegenstande ausgeschlossen werden soil."
In Folge dieser begiinstigenden Umstande und durch die
wahrend der letiten zwanzig Jahre erfolgte Vermehrung der
jKbirischen Goldgewinnung, hat der Irbiter Handel einen aus*
serordentlicben Umfang gewonnen. Es beliefen sich schon
im Jahre 1844 die Zufuhr fiir denselben auf 17 Millionen Sil-
ber-Rubel und der Verkauf von VVaaren auf 12 Millionen SU-
ber-Rubel. In dem genannten Jahre wurde auf Veranlassung
*) Puscbkin sagt Nicbti von diesem Umstande in seiner Geechichte
der Pogatscbewer Verschworong. Anm. d. Verf.
110 Indastrie und Hande).
des damaligen Vorateher des Gouvernements Perm Herrn
N. I. Ogarew und auf stadlische Kosten ein sehr grofsarii-
ger und schon gebauter Kaufliof, anstatt des engen holzernen
errichtet dessen man sich bis dahin bedient hatte. Es haben
dadurch der Verkehr wahrend des Jahrmarktes ein geregeltes
Ansehen gewonneo, so wie auch die ausgestellten Waaren,
geniigende Lagerung und die Stadt ein betrachtliches Einkom*
men*)* — Im Jahre 1848 erfolgte endlich nocb eine ausser*
ordentlich wicblige Unterstutaung des Irbiter Handels, durch
das Jekatrinburger Contor der Handelsbank. Die betrachtli-
ehen Vorschusse welche man den zu Gilden gehorigen Kauf^
leuten obne Unterpfander verabfolgt, haben namlichden dorii*
gen Verkehr ganz ungemein vereinfachl und beschleunigt
Die folgenden Zahlwerthe werden die allmahlige Hebung
des in Rede stehenden Handels etnigermalisen erlautern, ob*
gleich sie wohl, Wie alle ahnlichen, nur annabernd richtig
sind und auch nur durch Vergleichung mil den auf andere
Handelsplataen beziiglicben eine ersehttpfende Vorstellung ge-
wahren. Es betrugen die Werlhe:
1 Jahre
der Zufuhr:
des Verkauflen:
1839
11951155 S. R.
7672298 S. R.
1840
12232286 - -
7682000 - -
1841
12800386 - .
9478826 - -
1842
14044530 ■ -
7887500 - -
1843
14483926 - •
1030326 - -
1844
17023730 - -
12625540 - •
1845
202-22326 - •
17426355 • -
1846
26934736 - -
22246861 - -
1847
28090931 • -
23642150 - -
1848
31150214 - -
26902511 - -
Diese Data welche der Verfasser Herrn J. F. L j u bimo w,
einem iiber den dortigen Handel sehr wohl unterricbteten
*) Im Jabre 1848 betrug dasselbe welcbes nicbt als ein octroy, sonderit
nar als Miethe far die Waareiilager za belrachten ist 25465 S. K.
D. Verf.
Ueber den Jahrmarltt za Irbk ini Pertesthen Goayernement HI
Mitgliede der Perinischeo StadtverwaliuDg verdankl, lassea
liber die absolute Bedeutung des Irbiter Handels und iiber
deren Zunahme keiiien Zweifel. Sie zeigen aber auch des^
sen relative Wichtigkeit, indem sie beweisen dafs der Umfang
der dortigen Gescbafte, sich lu denen des Nijnei-Nowgoroder
Marktes wie 3:5 verba] t und dafs somii Irbii unter den Rus-*
sischen Messplalzen der eweite ist.
Wir wollen nach diesem Blick auf die Bedeutung von
Irbit fiir Russland im AUgemeinen, die ihm mehr eigenthum-
liche Bestimmung dieses Ortes betrachten. Ni/aei-Nowgorod
wurde schon von Peter I. im Gegensatz zu den Seehafen
ein innerer Hafen (wnutrenny port) genannl. Irbit unterschet*
det sich aber von einem soJehen dermaCsen, da£s man es viel->
mehr als den 5ibirischen Gransmarkt von Russland zu be-
zeichnen hat. Diese zusammengesetzte Benennung besagt in
der That das Wesentlichste von der Rolle welche Irbit in
dem Russischen Handel zu spielen bat. Auf der GrSnze
zwischen den industriellen Russischen Gouvemements und
dem relativ untliatigen iSibirien gelegen und mitbin zwischen
einer productiven und einer vorzugsweise consumirenden. Be*
volkerung, ist Irbit fur beide Theile von Worth , besonders
aber fiir 5ibirien welchem es die vorzuglichste Quelle seines
Lebensunlerhaltes darbietet So ist denn auch in diesem
Punktc die gesammte Zufuhr aus 5ibirien nur unbedeutend
im Vergleich mit dem, was fiir die ^Sbirier zu ihm gebracht
wird. Selbst von dem Thee, als dem Hauptbestandtheil der
Einfuhr aus Nordasien, kommt nach Irbit moistens (und z. B.
noch 1848) nur ein Drittheil der nach Nijnei-Nowgorod ge-
brachten QuantitaL Stellt man sich vor dafs die 5ibirier
plotzlich aufhorten sich nach Irbit zu wenden, und anstatt
seiner irgend einen der Mitte ihres Landes nafaeren und von
der Europaischen Granze entfernteren Marktplatz ausHvahlten,
so wiirde doch die Gesammtmasse der Russischen und der
librigen Europaischen Waaren die jetzt nach Irbit gelangen,
Dhne merkKchen Verlust fiir die Producenten in anderen Rus-
sischen Stadten und Handelsorten verkauft werden. Sibirien
112 Industrie ond Handel.
seibst konnte dagegen unler den jetzigen Verhaltnissen den
Irbiter' Handel durchaus nicht entbehren und iibt somit auf
dessen Bedeutung den enlscheidenden Einfluss. Wir diiifen
hiernach die Wichtigkeit des in -Rede stehenden Marktes kei-
neswegs oder doch wenigslens jclzl nicht mehr eine zufallige
nennen und ebenso wenig annehmen (wie man es wohl bei
deni unten zu erwaknenden Rangstreit desselben niit dem
Tjumener Markte gethan hat), dafs das Steigen oder Sinken
des Irbiter Handek von dem Aufkommen eines concurriren-
den Platzes abhangen wurde oder aucb nur.von der Verle*
gung des Termines fiir denselben auf eine andere Jahreszeit*
Das Schicksal dieses Handels ist vielmehr aufs engste mit
der Zukunft der eigenilich Sibirisehen Industrie verbunden^
und derselbe wiirde erst dann eine wesenib'che Veranderung
erfahren, wenn iSibirien einmal, gleich einem Europaischeo
Lande, seine Bediirfnisse an Industrie -Produk ten seibst be-
friedigte.
Eine dritte und noch mehr lokale Bedeutung , erhalt der
Irbiter Markt durch seine Beziehung zu den ihni zuniichst ge*
legenen Transuralischen Dislrikten, und durch die voriiber-
gehende Lebendigkeit welche er einem Punkte derselben
wahrend eines Monats in jedem Jahre (von Februar 15 bis
Msirz 15 nach altem Style) ertheilt.
Das auf der Granze von Asien und Europa gelegene
Permsche Gouvernement konnte, vermoge seiner reichen Hiilfs-
quellen, den meisten Bediirfnissen eines grofsen Staates ge*
ndgen. Es werden aus demselben und auf den wasserreichen
Flussen welche es durchschneiden : Holz, Getraide, Metalle.
Salz, Vieh, Fische und noch manche andere wichllge Roh*
produkte mich dem Europaischen Kussland befordert. Eine
Verbesserung der Wege im Inneren desselben wiirde seine
lokalen Industrien mil einander in Beriihrung bringen und
durch Austausch der Erzeugnisse den Wohlstand, in den durch
ihre Naturanlagen so ausserst verschiedenen Theilen dieser
grofsen Provinz erhfihen. Bis. jelzl sind aber noch sehr haufig
einerlei Gegensiande in dem einen Theile d^s Permschei^
Ueber den Jahrniarkt zu Irbit im Permtchen Gouvernement. 113
Gouvernements unvergJeichlich theurer isi als in anderen^ so
namentlich das Getraide, dessen Preis im Tseherdyner Kreise
den im Schadriner weit iibertrifift. Diese Uebelstande wttrden
aber noch weit starker hervortreten, wenn ihnen nicht der
Irbiter Jahrmarkt einigermafsen und so viel als cs die jetzigen
Communicationsmittel erlauben, abhulfe.
Die Zufuhr zu demselben besteiit doch zu einem Sieben*
tel aus Produkten der naher gelegenen Gegendeiii die fast
voUstandig in dem Permschen Gouvernement verbleiben.
Die folgenden Zahlwerthe welche sich auf das Jahr 1848
beziehen, werden diese dreifache Bedeulung des in Rede ste-
henden Marktes etwas naher veranschauliehen.
1) Von Europaischen und Europaisch-Russischen Waa*
ren wurden zum Verkauf in Sibirien und in der Umgegend
des Ural
eingefuhrl for 18556170 S. R.
ausgefuhrt fur 14852396 S. R.
2) von iSbirischen und Asiatischen Waaren^ zum Verkauf
im Europaischen Russland wurden:
eingefuhrt fiir 8577644 S. R.
ausgefuhrt fdr 8251203 S. R.
3) von ortlichen Produkten der Umgegend des Ural, zum
Absatz in ^ibirien, im Europaischen Russland und in den
nachstgelegnen Kreisen wurden
eingefuhrt fur 4016350 S. R.
ausgefiihrt fiir 3798912 S. R.
In dem genannten Jahre konnte man ausserdem und wie
gewohnUch, die eingefiifarten Waaren ihrer Natur und ihrem
Ursprunge nach unterscbeiden in:
I. Rohprodukte und hauslicbe Manufacte aus der Um*
gegend und aus dem Europaischen Russland;
II. Erzeugnisse Russischer Fabriken und Hiittenwerke;
III. Colonialwaaren und auslandische Fabrikate
und IV. 5ibiri8che und Asiatische Erzeugnisse.
Es ist daher von Interesse zu untersuchen, in welchem
Verhaltniss diese yerschiedenen Waaren-Kalegorien nach Irbik
Ennans Buss. Archly. Bd. XI. H. 4. 8
114 Industrie iind Handel.
kamen und wohin sie abgesetzl vvurden. Ueber diese beiden
Punkle geben aber die foJgenden, wiederum auf 1848 beziig-
lichen Angabeo, ziemlich geniigenden Aufscbluss.
I. An Rohproduklen und hauslichen Riissischen
Manufacte vvurden eingeftihrt
fur 4369970 S. R.
und der Absalz derselben erfolgle vorzugsweise in die nachst-
gelegnen Kreise des Permschen und Tobolsker Gouvernements;
cum Theil aber aueh nach dem Europaischen Russland. Es
g^orlen zu dieser Kategorie namentlich: Uralisches Eisen
und Kupfer in Gansen, gemeiner Blatt-Taback, getrocknete
und eingemachte Friichte, Terpenlinol, Naphtha, Leim, Schafs-
felle zu leichten Pelzen, Ziegen- und Pferde-Felle zu Pelzen,
Bast-Matlen, Daunen und andere Federn, aus geschmolzener
Talg, Talg-, Stearin* und Wachs-Kerzen, Leinwand, Hanf-Sa-
men und Oel, Schvveinsborslen, Rohe Rindshaule, desgleichen
gegerbte und Juften, Bauern- Pferde, Rindvieb, Esswaren,
Salz und Graupen-Mehl.
II. Von Russischen Fabrikaten warden eingefiihrl
fiir 14647737 S. R.
Ihr Absata erfolgt nach iSibirien, Taschkent und Bu*-
charien, und es gehoren dahin namentlich Russische Weine
und andere Getranke, Stoffe aus Seide, Wolle, BauinwoUe,
Lein u. Hanf; Spitzen, platlirle Waaren^ Handschuh, Strilmpfe,
Bander^ Hiile und Miitzen, Schreibpapieri Fertige Kleider^
Lederwaaren, verschi^dene Tabacke von inliindischer Berei-
tungy Pfeifen, Pfeifenrohre, Fabrikate aus papier niache, Uhren,
Gefafte aus Poraelan^ Fayen9e, Krystaliglas iwd gewohnlichem
Glase; Gegenstande aus polnischem Silber, andere Gold- und
Silberwaaren, so \\\q kupferney eiserne, blechne und holzerne;
Biicher, landschaftliche und andre Malereien, Kupferstiche^ mu-
sikalische Inslruniente^ Safian, Droguerie- und Apothekerwaa-
reov Kinderspielzeug, alie Arten von Seifen, verarbeitete Edel-
steine und Uraiische Skulptursteiney Teppiche u. a.
Ueber den Jahrmarkl zu Irbit ini PermMhen Gouverneoient. 115
III. Von auslandischen Fabrikalen^ Colonial- und
anderen durch Russland transportirten Waaren
wurden eingefiihrt
fiir 3756803 S. R.
Der Absatz erfolgte nach Ost- und West-Sibirien so wie
auch in die Uralischen Provinzen, und es waren darunter:
Gewebe und andre Luxusgegenslande (?), Zuckeri Kase, San*
delholzy Indigo, Eingemachte SacheUy Provencer- und andres
Olivenol, Farben, einige Apolhekerivaareny bleierne und zinnerne
Gegenstande, Benzoe, Weihrauch u. a«
IV. Von Asiatischen und5ibirischen Waaren kameii
nach Irbit
fiir 8577694 S. R.
Sie wurden nach dem Europaischen Russland, besonders
aber in die Umgegend des Urals abgesetzt und es waren
darunter am bemerkenswerthesten aus iSlbirien seibst: Pelz*
werk, Honigy Wachs, iKbirische Pferde;
aus China durch 5ibirien: Thee, Seide, seidene Ge-
w^ebe, robes und verarbeitetes Siiber, Kleider, kiinstlicbe Blu-
men und Farben;
aus Bucharien: Kleider und andere Gegenstande aus
Baumwollengarn, Lammfelle, Kameelhaar und daraus bereitete
Gegenstande, so wie Decken jixnd Filz^ aus SchaafwoUe und
aus Pferde- und Rindshaaren.
Auf die -Frage nach dem gegenseiiigen Verhallniss der
hier unlerschiedenen Waarenarten auf dem Irbiter Jahrmarkl,
haben wir also ein sehr entschiedenes Vorherrschen der Rus^-
sischen Fabrikprodukte hervorzuheben, und was den von dort
stattfindenden Absatz der Waaren. betrifft, so zeigt sich 5ibi-
rien ai« bedeutendster ConsumenI fiir alle Gegenstande, die
iiberhaupt nach Irbit gebracbt werden.
Versucht man demnacht die relative Wichtigkeit der ein*
zelnen zu Markt gebrachten Produkte, d. h. den Geldwertb
derselben genau zu beslimmen, so trifft man auf manche Hio*
dernisse welche die Abschalzung des Werlhes der einzelnen
8*
j[]g Industrie nnd Handel.
Waaren sowohl im Ailgemeinen, als auch in den verschiede-
nen Stadien der jedesmaligen Geschaftszeit, betriichtlich er-
schweren*. Ks scheint daher z weckinafsig , den Schein einer
nicht begriindeten Genauigkeit aufzugeben, indem wir die (bei
dem Zollaml) deklarirlen Werthe nicht vollstandig miilheilen,
sondern vielmehr Durchschnitts- und Nahrungs werthe welche
sich ihnen anschliefsen.
Es folgen • somit bier die Veraeichnisse von Waaren fiir
welehe der Werth einer jeden beirug
1) zwischen 1000 und 10000 S. R.
Wohlriechende Oele, andere Parfiimer^n, Pomaden, Er-
fordernisse zum Rauchen und Schnupfen, Naphtha, Terpen-
tinol, Leim, Wachs, Honig, Baumol, Leinol, Butter, Ziegen-
wolle, SchafwoUe, Daunen und Federn, Seife, Kinderspielzeug,
Filzdecken, Bauernpferde, Gegenstande aus Bast.
2) zwischen 10000 und 100000 S. R.
Pferde aus Gestiiten oder aus den 5Jbirischen Steppen,
Kameelhaar und Fabrikate aus demselben, Lammfelle, Asia-
tische Baumwollenzeuge, Asialische Seidenzeuge , Chinesische
Silberwaaren , Chinesisches Porzelan und kiinstliche Blumen^
Benzoe, Zinn, Blei, Provenceroi, Sandelholz, Cafe, Schweins
borsten, ausgelassener Talg, Mobei, Wagen und Koffer, Holz-
gefafse, Talglichte, Stearin- nnd Wachs-Lichl, Heiligen- und
andere Bilder, Biicher, Landkarten und Kupferstiche, Musika-
lische Instrumente, Polnisches Silber, Inliindische Erforder-
nisse zum Tabackrauchen, gemeinen Inlandischen Blatt-Taback,
Modewaaren, Hiite und Uniformstiicke, leinene und hanfene
Fabrikate, Spilzen und feine Gewebe.
3) zwischen 100000 und 500000 S. R.
Schreibpapier, verschiedene Uhren, Kupfer und kupierne
Waaren, Eisen und eiserne Waaren, Galanteriewaaren, optische
und chirurgische Instrumente, Friichte, Eingemachtes und ahn*
liche Esswaaren, Droguerie- und Apothekerwaren (aus Russ-
land), unverarbeiletes Leder, auslandische Seidenwaaren, des*.
gleichen wollene und baumwollcne Waaren, Indigo, Ruai und
andere auslandische Gelranke.
Ueber den Jaiirinarkt zu Irbit iiii PermBolien GouTernement. 117
4) von 500000 bis zu 1000000 S. R. .
Gegensiande von Porzelan* Fayence- Glag- und Spiegel*
glas *), Safian* und andere Leder-Waaren, Gold* und Silber-
Waaren,
5) von 1000000 bis zu 4000000 S. R. und noch etwas mehr.
Thee, Zucker, Pelzwerk, Russische. Manufakturwaaren
wie seidene, woliene und baumwolJene Gewebe u. dergL,
Weine und Branntweine. —
Dieselben Verhaltnisse gelten auch sehr nahe fiir den
Verkauf derselben VVaarenkiassen , denn es wurden z. B. im
Jahre 1848 sowohl durchschniUHcb als auch von den meisten
derselben 4- ^^^ Eingefuhrten verkauft. Ausgenommen waren
vorzuglich der Zueker, weleher vollstandig abgesetzt wurde
und das Pelzwerk das in jenera Jahre weniger begehrt war
als gewohnlich.
Auch dieser Theil unsrer etwas trocknen Zusammenstel-
lung beweist also dafs Russiscbe Manufaclurwaaren, Thee,
Pelzwerk y Zucker und Weine die erste Stelle in dem Irbiter
Handel einnehmen.
Ibrer Wiehligkeit nach sind die zvveiten, die auslandischen
Manufaciurwaaren , die Lederwaaren, die Metallwaaren und
die Galanteriewaaren. Alle iibrigen Gegenstlinde spielen nur
eine untergeordnete Rolle auf dem Irbiter Markte. Es sind
mithin Luxus-Gegenstande die denselben vorzugsweise erhal-
ten und zwar nsit 'Sibirischen Capitalien eingekaufte. In frti-
heren Zeilen war es grade entgegengesetzl, indem der Irbiter
Handel den 5ibiriern Europiischen Gelder fiir die von ibnen
gelieferten Pelzwaaren zufiihrle. Die Aenderung dieses Ver-
hSltnisses ist eine sehr nahe liegende Polge der Goldgewin-
nungy die ungeheure Capitalien nach ^ibirien fiihrt und deren
Verwendung nach Anforderungen des steigenden Luxas ver-
anlasst.
*) Im Rassisctien sind die Namen dieser Prodakte sogar diircb Kommata
gatrennt, so dafs man za scbliefsen baUe dafs vor jedem d«rselbeiv
for 600000 bis 1000000 S. R. nach Irbit kiime I ! D. Uebers.
llg Industrie Und HandeL
Wir woHen nurr einrge im Jahre 1848 gemachle Bemer-
kungen iiber die einzelnen Waaren und iiber die Art ihres
Verkanfes mittheilen:
DerThee war etwas theurer als im nachst vorhergehen-
den Jahre. Die verschiedenen Arten von Blumenthee war-
den zu 120 S. R. die halbe Pferdladang (mjesio) von 80Rus-
sischen Pfunden und die schwarzen und gemischten Sorten
nicht weniger als 110 bis 115 S. R. die halbe Pferdeladung
verkauft. — Dieae PreiserhBhungen erfolgten wegen langsa-
mer Auseinandersetzung mit den Chinesen in Kjachta. Es
wurden iibrigens wie gew5hnlich der Blumenthee ins Innere
de6 Europaischen Russiands, und die nachst niederen Sorten
vorsugsweise in das Permische, das Orenburger und das To-
bolsker Gouvern. gebracht I>er sogenannte Ziegelthee wurde
ganzlich fiir Astrachan aufgekaufl (zu 35 S. R. fiir die halbe
Ladung) und dahin abgesandt
Unter dem allgemeinen Namen Rauehwerk (Ruchljadj)
werden hier alle verarbeitete und unverarbeitete Felle von
Pelzthieren verstanden; unter Fellen (mjechi) aber nur ver-
arbeitete derselben Art. In dem mehrgenannten Jahre (1848)
ging der Rauehwerkhandel schleeht, so dafs er den schlech-
testen Theil des Marktverkehrs ausmachte. Von verarbeiteten
Fellen wurden nur fiir 50000 S. R. verkauft und das iibrige
Pelzwerk, d. h. die unverarbeiteten ZobeU, Fuchs-, Eich-
hom-, Marder-, Polarfuchs* und anderen Felle, fanden noch
langsamem Absdtz. Der Grund davon lag in den hohen Ein*
kaufspreisen, die man in Sibirien bewilligt hatte und von die-
sen wiederum in dem ausserordentlich vorlheilhaften Pelz-
handel der zu Nijnei-Nowgorod im Jahre 1847 stalt fand.
Von diesem batten die Abirischen Jager gehdrt und hielten
ihre' Waaren zuriick bis dafs die Sibirischen Kaufleute, in
der HofTnung auf Wiederholung eines so vorlheilhaften Ab*
satzesy ihnen ungewohniiche Preise bewilligten.
Der Zuckerhandel war ausserst giinstig. Die in 3000
Fassern bestehende gesammte Zufuhr wurde gieich zu Anfang
des Marktes aus erster Hand verkauft; so dafs gegen Ende
Ueber den Jahrmarkt za Irbit im P«riiifehen Gouvernement. 119
des Marktes viele Verkatife aus sweiier und sogar aus driller
Hand vorkamen. Die Preise waren daber niclii UeCa im al^-
gemeinen hoher als in friiheren Jahren, aondern auch be-
(rachtlioh verschieden wahrend der MarkUeit Man kaulie
anfangs das Pud Zucker far 12 S. R. wahrend gegen dasr
Ende 14 S. R. und sogar noch mehr fur dasselbe geforderb
warden^ Diese Preke waren jedoch keiueswegs hoch im Ver*
gleich mit den Peiersburgern, die bu Ende des Jahres sogar
hoher als auf 12 S. R. fiir das Pud sliegen und es kam do*>
her dab man im Tobolsker und Jeni«eisker GouverneiiieDt»
selbst mit Einschluss der Transporlkosten, den Zucker nichfe
um vieles Iheurer als in Petersburg besahlte, Der bedeu*^
tendsie AbsaU von diesem Artikel erfolgle in die iSibirischeii'
Gouvernements, ein mittelmafsiger in die Umgegend des Uraii
und ein ausserst geringer (von nicht uber 100 Pud) nach
Bucharien. Die Kaufleute Pljeschanow, Medwiedkow,
Kra^ilnikow, iSjedeljnikow u. a. betheiligten aich am
meisien bei dem Irbiter Zuckerhandel des genamiien Jahrea,
Rassisohe Manufakturwaaren bildeten 1848 so wie
gevvohnlicb den Hauptgegensland des Verkehres. Ihre Be*^
schaffenheit is( allgemein bekannt Im EuropSiscben-Russland
ertragen sie nicht die Concurrenz mit gleichartigenauslan-
dischen Produkten, und da sie desfaalb durchweg iMcb i^ibi-»
rien vertrieben werden, so haben sich die dortigen und die
Asiatischen Consumenten gewohnt, sie fiir geniigend zu er-
klaren. In dieser Besiehung war nameutlich der Handel mil
Tuehen von mittlerer Gute. bemerkenswerlh, demoachst der
mit seidnen, halbseidnen und bauinwollnen SCofTen, welchen
die Moskauer Kaufleute Tsehijow, Remesow und IIAau«
repraaentirten , so wie aucb der Rigaer Liitsch & Comp.
Die von Malyzow und Ratschkin eingefuhrlen Fayen^e
und Glasgeschirre wurden fast vollstandig nach dem dstlicheH
Sibirien verkauft, wo man dergleichen in Menge bedurfte^^
Ein von Ljalin eroffnetes Gewoibe mit Kupfer- (oder Mes-
sing-) und Slahlwaaren war stets mit Besuchern gefiiUt. Der
Glanz desaelben der durch eine ungeheure Menge von Kron*
]20 Indastrie and Handel.
leuchiern und Hangelampen erhoht war, lockte die iirmere
Bevolkerung und besonders die Asiatischen Gaste. Ebenso
scbnell wurden auch die Galanteriewaaren und die iibrigen
Artikel der Moskauer Kaufleule Koinilow und 5irotinin
und der Kasaner Uryemin, Antonow und Koroljkow
abgesetzt
Die Uhrmacherarbeiten des Kaufmanns Focht aus
Tawastohus'zeichneten sich weder durch ihreOiite aus, noch
durch Schnelligkeit des Absalzes, und ebenso war der Irbiter
Jahrmarkt aueh an Wagen undMobeIn ziemlich arm. Aus-
landische Wagen gab es daselbst in diesem Jahre durchaus
nicht und bisher auch noch nie, und man findel anslatt ihrer
nur eine geringe Zahl von schlechtem Bauwerk welches ge*
wisse Meister zu Jekatrinburg und bei den Uralischen Hiitlen
in ihren Hausern anfertigen.
Genahle Lederwaaren welche theils aus Kasan,
theils aus Kungur, einer . Kreiastadt des Permschen Gouver-
nementSy nach Irbit gelieferl werden, spiellen hier dieselbe
RoUe wie die ahnlichen die die Bewohner des Dorfes Kimry
nach Nijnei-Nowgorod liefern. Der Handel mil denselben
war ausserst belebt.
Unter den bedeutungsvoUsten Gegenstiinden des in Rede
stehenden Handels sind endlich die Weine zu nennen. Es
ist bekannt dafs Nijnei-Nowgorod eine ungeheuere Quantitat
des sogenannten Ki«Ijarer Tschichir*) zu 1 Rubel fiir das
Wedro verkauft und von dort nach Moskau und Jarotlaw
,,zur Anfertigung Franzdsischer und Spanischer Weine'' ver-
sandt wird. Dergleichen Fjanzosische und Spanische Ge-
wachse, mil ungewohnlich bunten Etikelten, mil achtem Ver-
sehlusse aus Zinnfolie und sogar mit goldnen Stempeln auf
den Flaschen, erscheinen nun auf dem Irbiter Markte. An-
dererseits wird daselbst auch der Nachfrage nach den mous*
sirenden Vorzugen des in 5ibirien so genannten Klik, mit
* Nach Irbit kommen daron nicht weniger als 50000 Wedra.
D. Verf.
Ueber den Jahrmarkt zn- Irbil im Pemueheii GoaTernetMnt. 121
Grusischen, Donischen und Krymschen Erzeugnissen genugt
Dergleichen Weine werden unler dem Namen und mil den
stets achten Stemen derWittwe Cliquoi bis auf den leiclen
Tropten nach 5ibirien versandt oder auf dem Jahrmarkt ge-
trunken. Ohne weitere Haisonnements uber diesen Handels-
zweig sagen wir unsern Lesern nur 1) dafe 1848 von solchen
Weinen ftir mehr als 2000000 Silb. Rub. verkauft uird 2)
dafs fiir eine Fiasche Klik am Orte selbst, d. h. in Irbit nicht
weniger als 5 S. und in ^ibirien 5 bis 7 und sogar 8 R. S.
gezahlt wurde. Man kann hiernach die Beschaffenheit und
die Vorlheile des hiesigen Weinhandels beurtHeilen!
Zu den Gegenstanden zweiten Ranges gehorten auf dem
Irbiter Markt im Jahre 1848 (wie schon gesagl) die auslandi*
schen Manufaklurprodukle, einige Asialische Waaren und le-
derne Gegenstande. Unter den ersteren, deren Giite allgemein
bekannt ist, waren vorziiglich Galanterie- und Modewaaren,
ein Theil der Drogueriewaaren u. m. a. Zu den Asiatischen
Produkten gehorten ausser Thee vorziiglich Seidenzeuge und
namenUich Kanaus (sic!), Fansa und Mowa; demnachst
aber auch Teppiche, Farben, kiinstliche Blumen (von seltsa*
mer Beschaffenheil) Porzelan in geringer Menge, Filze und
andere Produkte aus Kameelhaar und anderen Wollen.
Ungenahte Lederwaaren kamen aus Kasan^ Kungur und
Tjumen und wurden aufs beste verkauft. Von schvvarzen
Ledern iiefert Kungur preiswiirdigeres als Kasan, wegen der
Wohlfeiiheit des dazu nothigen Garbematerials an ersterem
Orte. Als Sohlleder wird aber dasKasaner vdrgezogen. Das
Tjumener Erzeugniss ist geringer als beide eben genannten
und wird daher auch urn zehn Prozent niedriger als das von
Kungur bezahll.
Von der drilten oder niedrigsten Abtheilung der Irbiter
Waaren sind erwahnenswerth:
Der Talg, von dem auf diesem Markle in gewdhnlichen
Jahren fur 400000 S. R. verkauft wird. 1848 wurde jedoch
davon nqr fiir 300000 S. R. eingefiihrt. Dieses ungewohn-
liche Verhaltniss erklarte sich durch ein Steigen der Preise
122 Industrie and HandeL
in Petersburg in Folge deren im vorhergefaenden Herbsle fast
aller im Permschen Gouvernement vorhandene Talg aufgekauft
und darauf nun die geringen Ruckstande nach Irbtt gebrachi
warden.
Oer Handel mil Uraiischen Metallen und namentlich mil
Eisen und Kupfer, betraf vorziiglich daraus geschmiedele Ge*
genstande und nur wenig Blecbe oder Bander; auch ist im
Allgemeinen dieser Theil des Marktverkehrs von geringer Be-
deutung und so, dass 1848 im Ganzen nur 2000(X) Pud Metail*
waren abgesetzt wurden.
Der eigenilieh nicht zum Grofshandel gehorige, und in
die Schalzung des Marktverkehres nicht mit aufgenommene
Verkauf von Lebensmitteln, wie Saiz, Brod, Fische, Caviar,
Fleiffch, Wildprett, Geflugel u. dergl. ist doch keineswegs un-
belrachtlich, denn er belief sich im Jahre 1648 auf mehr als
2000000 S. R.
Einige andere Artikel sind dagegen nicbi sowohl ihrem
Werthe nach, als durch die ausserordentlicbe Grofee des Raumes
bemerkenswerth den sie zu Irbit einnehmen. So namentlich die
Koffer^ Prasentirteller von Eisenblech und der Lindenbast n^bst
den aus denselben geflochtenen Matten. Die lakirten Prasen-
tirleller sind ein Produkt der Hiiltenwerke von Nijnei-Tagilsk
im Permschen Gouvernement *). Eine ungeheure Anzahl der-
selben wird nach Irbit gebracht und sie spielen auch auf dem
Ni/nei-Nowgoroder Markte eine bedeutende Rolle. MitBlech
beschlagene Koffer von verscbiedenen Dimensionen und Far*
ben, werden aus dem Newjansker Werke bierhergebracht *')^
Sie gehen voriiiglich nach Bucharien, Persien und zu den no-
madischen Kirgisen. Auch von ihnen kommt jafarlich eine
*) An der Osteeite des Oral bei 57" 54' 36'' Breite
57° 32' 50" O. V. Par.
828 Par. F. iiber dem Meere.
Vergl. iiber diesen Ort and die oben genannte Fabrikation Krnian^s
Reise urn die Erde Abthl. I. Bd. 1. S. 122; Abthl. II. Bd. 1. S. 259,
364 n. f. Anm. d. Uebers.
*') Vergl. a. a. O. Abtbl. I. S. 125. Anm. d. Uebers.
Ueber den Jahrmarkt za Irbit im Permschen GoaTernement. 123
ungeheure Menge nach Ni;nei«Nowgorod, wo sie'init den
Koifern von Lyskowo *) welteifern. Diese leUieren ubertreffen
die Newjansker Koffer an Wohlfeiiheit, bleiben aber an Zier-
lichkeit und Festigkeit betrachtlich hinter denselben zuriick. —
Von Bastwaaren welche, wie gesagt, einen betrachllichen
Raum auf dem Irbiter Marktplatze einnehmen, wird daseibst
dennoch nur fur 4000 S. R. verkauft. Sie kommen ron Tu-
rinsk und Tagilsk. Eine viel grdrsere Menge derselben wird
aber nach Tjumen gefiihrt. — Als ein lokales Erzeugniss lind
auch noch die Tjumemer Teppiche erwahnenswerth, obgleich
sie im Uebrigen nicht eben werthvoll zu nennen sind.
Fragt man naher nach der Art und Weise, wie zu
Irbit fiir die verschiedenartigsten Bediirfnisse eines unge-
heuren Landstriches jedesmai auf die Dauer eines ganzen
Jahres gesorgt wird, so ist zunachst jede VorsteUung von
einem ordnungsmasstgen kaufmannischen GeschSfte, selbst in
Bezug auf die bedeutendsten Handler jenes Platzes zu entfer*
nen. Es werden viehnehr uirgends anders so wie an demsel-
ben, die Geschafte mit riickhaltslosesten Zutrauen, mit aus*
serster Schnelligkeit und mit einer Sorglosigkeit abgemacht,
die nur fiir denjenigen verstandlich ist der auch in anderen
Beziehungen die eigenthiimliche Weitherzigkeit des Russischen
Volkscharaklers (schirokuju ruMkuju naturu) kennen gelernt
hat. Man sieht hier den ungeheueren Umsatz fast durch sich
selbst und ohne ausseres Dazuthun volkogen und dennoch
biiiht der Handel, Banquerotte sind gradezu unerhort und die
Bedeutung der Messe steigt mit jedem Jahre. — Wir wollen
unsere Schilderung dieser Verhaltniste mit einiger Ordnung
vollziehen.
Irbit eines der ostlichsten Stadtchen des Permschen Gou-
vernements, liegt tUngs der Ufer des kleinen uiit ihm gleich-
namigen Fliisschen, welches sich in die Niza ergiefst. Von
*) Lyskowo ist eine Bfsitzung des sogenannten Grosischen Piirsten in
dem Goavernement und dem Kreise von Ni|nei-Nowgorod.
Anm. d. Verf.
124 Indastrie und Handel.
schiffbaren Fliissen ist es betrachtlich enlferni, namentlich aber
um 50 Werst von der Tura, dem nachsten derselben — und
es wird somit fiir den Empfang und die Absendung von
Waaren durch keinerlei Wasserlransport begiinstigt So konnte
denn auch die Auswahl dieses Ortes zur Abhaltung einer
grofsartigen Messe nicht anders erfolgen als: 1) durch einen
Zufall aus dein alimahiig eine Gewohnheit enlsprang; und so-
dann 2) durch die Nothwendigkeil dafs der VVaaren-Austausch
zwischen iSibirien und dem Europaischen Russland an einem
Punkte erfolge der, wie Irbit, rechl an der Granze dieser bei-
den Lander iiege. Gieichzeitig mit dieser Wahl entstand auch
als dritte Bedingung fiir die Moglichkeii des in R^de stehen-
den Marktes dessen Verlegung in den Winter, als der einzi-
gen Jahreszeit, in der die Zufuhr und der weitere Transport
der Waaren durch die Schlittenbahn ermoglicht wird. Die
Abhahung des Irbiter Marktes in der jetzf ublichen Jahreszeit
begiinstigt ausserdem dessen Beziehung zu der Nijnei-Now-
goroder Messe, welche ganz im Gegensatz auf die Schifffahrt
basirt und daher nothwendig an ihren jetzt ublichen Termin
gebunden ist, — Manche Eigenthumhchkeiten welche die in
Rede stehende Messe als ein Wintermarkt an sich tragt,
sind demuach auf eine nothwendige Weise mit ihr verbunden.
Im iibrigen unierscheidet sie sich von mehreren andem Bus-
sischen Markten durch das Uebergewicht des Grofshandeis
iiber den Kramhandei. Eben dadurch entstehen zwischen ihr
und der Nijnei-Nowgoroder Messe manche Verbindungen und
Uebereinstimmungen. So werden z. B. in Irbit viele Waaren
aus ^Sibirien mit der Be4ingung gekauft, sie zur Marktzeit nach
Ni/nei-Nowgorod zu bringen und sie gerafhen dann, damit
eine nochmalige Verpackung vermieden werde, Bailen-, Fuh-
ren- oder Pferdeladungenweise in eine zweite Hand. Gewisse
aus Russland eingefuhrte Gegenstande, zu deren Uebernahme
die iSibirischen Handler ihreAgenten nach Irbit schicken^ wie
z. B. die Colonial- und Manufaklurwaaren^ kommen direkt
von der Nijnei-Nowgoroder Messe. Diese Art von Verbin-
dung beider Markte ist jedoch minder bedeutungsvoll als
Ueber den Jahrmarkt zu Irbit im Permschen Goarernement. 125
der Umsland, dafs ein grofser Theii des dortigen Handels aiif
der Verschiedenheil der Preise begrundet isl, die man an bei-
den Plalzen fur einerlei Produkt bewilligt. Da es nun aus-
serdem zu grofsem Theil dieselben Personen sind welche beide
besuchen, so werden viele Geschafte, durch Uebertragung der
Zahlungen der Lieferungen und anderweitiger Leistungen, von
dem Termine des einen Markles auf den nachstfolgenden des
anderen, abgemacht.
Da der ungeheure Zusammenfluss der Waaren zu Ni/nei*
Nowgorod erst itn Juli und August erfolgt, so kann auch der
Thee, den man im Februar in Irbif gekauft hat, noch zu rech-
ter Zeit daselbst eintreffen. Zu Anfang des Februar (nach
altem Style) regl sich plotzlich in dem zu beiden Seiten an
den Ural granzenden Provinzen eine ganz ungewdhnliche Tha-
tigkeit. Man sieht bei irbit unzahlige Schlitten von alien Sei-
ten her, hinter den Schneewallen der ausgefahrenen VVege,
auflauchen. Die kleine Stadt gewinnt ein grofsartiges, festli-
ches Ansehn und anstatt ihrer gewdhnlichen 2000 Bewohner,
eine Bevolkerung von gegen 67000 Menschen. Yonder einen
Seile slromen in dieselbe Vorrathe von Weinen, Zucker und
Kleidungsstoffe fiir viele Millionen — von der anderen aber
unabsehbare Caravanen welche Felle, Thee und Peize bringen.
Von der einen iSeite versammeln sich an diesem Orte viele
Leute mit Waaren und voll Hoffnungen, um Geld zu holen;
von der anderen eben so viele voll Hoffnungen und mit Gel-
dern, um Waaren zu erhalten. Viele kommen auch ohne Geld
und ohne Waaren, nur mit Hoffnungen hinlanglich ausgestat*
tet. Sie entnehmen Waaren auf ihr Wort, verkaufen sie
zur Stelle im Kleinen, aber mit Gewinn; geniigen dann dem
bewilligten Credite (der hier im Allgemeinen von ungewohn-
lichem Umfang ist) und verlassen den Markt mit dem Rein-
gewinn welchen sie ihrer erfindungsreichen Unternehmungs-
lust verdanken. Kaufieute, Hiittenbesilzer, Goldwascher,
Syrjanen, Taschkenter, Kirgisen spekuhren und verdienen um
die Wette und nirgends sieht man ein miifsiges Gesicht, wie
etwa von einem Besucher, der sich mit dem blofsen Anbhck
126 InduBtrio and Handel.
der bunten Bewegung begnugen wollte. Der Armjak oder
Jergak") und der lange Ueberrock, der dein Russischen Kauf-
mann eigenlhumlich und mil einem heJtgelben Fuchspeize un-
zertrennlich verbunden ist, niischen sich mil den Trachten des
iSibirischen Volkes und der entlegeneh Asiatischen Stamme,
und Uberwiegen iiber dieselben.
Noch hat man ubrigens die Flagge auf dem Thurme des
Kaufhotes nicht entfaltet und niithin den Markt noch nicht be-
gonnen. Das gesammte Gewuhl riihrt vielmehr nur noch von
dem Unterbringen der Leute, Waaren und Pf%rde, in den
Hausern, Magazinen, Verschiagen und umzaumlen Platzen die
den Kaufhof umgeben, d. h. ein grofses steinernes Bauwerk^
dessen vier Facaden noch mehrere unier besonderen Beda-
chungen gelegene Buden-Viertel unischHefsen.
Die Magazine in dem Kaufhof, die Buden in den Hausem
der bleibenden Bevolkerung und unzahJige freislebende Buden
(Balagany), waren schon seit dem vorigen Jahre gemieihet,
aber dies alles fand sich bei weitem nicht hinreichend. In den
Slrafsen die sich aus Reihen von Reise- und Lastschlitten und
von Telegen mit aufgehobenen Zugstangen gebildet batten,
entstanden nun ungeheure Haufen von denjenigen Waaren,
denen die Witterung nicht schaden konnte und ein larmendes
und buntes Gewirre der dabei beschaftigten IVlenschen. Diese
betriebsame VersammJung wurde immer dichter gedrangt,
durch den Zuzug der taglich vor Sonnenaufgang begann und
bis in die Nachtstunden dauerle.
Dennoch ist der Markt noch immer nicht eroGTnet, es er-
folgten nur Abschliisse iiber Kaufe und Verkaufe im Grofsen.
Ueber den Ausfali des Grofs-Handels wird hinter Champagner-
kisten entschieden, wahrend man noch auf den offiziellen An-*
fang der Messe wartet und sich die im Marz eintretende Un-
zuverlassigkeit der Schlittenbahn beschreiben lasst.
So kommt denn auch endlich der 15. Februar und die
*) Ein Tatarischet Oberkleid aos bebaartem Pferdefell.
Anm. d. Uebera.
Ueber den Jahrmarkt an Irbit im Permschen Gouvernement J 27
Enifaltung der Flagge, auf welche die Beendigung alter wich*
ligeren Geschafte niit reissender SchneUigkeit folgt. In weni-
gen Tagen warden die meisten Waaren ausgeboten^ gekauft,
von neuero auf Sehlitten verladen und abgeferiigt/ Iheils nach
dem fernsten Sbirischen Oslen, theils in die innern Russischen
Provinzen. Das Haupiinteresse fiir den Jahrinarkt isi geschwun*
den, er behalt fast nur als Denkmal noch eine BedeuUmg. Die
Bewegung und zwar eine noch weit sichtbarere als bisher,
bezieht sich nur noch auf den Kleinhandel und auf die Waa-
ren von zweitem Range.
Fiir die Koryphaen des Marktes beginnt dagegea nun die
Periode des Genusses an den neu erworbenen Giilern. Der
Champagner wird das Wappen, der Wahlspruch und das Er«
kennungszeichen fur die hoheren Schichten der Anwesenden.
Das Theater der Truppe des Herrn 5oko]ow (einer der
besten Privatgesellschaften in Russland) die schon seit mehre*
ren Jahren aus Jekalrinbung hierher kommt, die Wirthshau-
ser, die gymnasiisehen Schauplatze, sind zum Erdriicken ge-
fiillt und Wein, Gold und Leben stromen mafslos nach alien
Seiien.
lui Jabre 1848 erfolgten alie Bezahlungen und anderwei-
tigen Geschafte auf dem Irbiter Markie sovvohl schnell als auch
in jeder Beziehung befriedigend. Die Hulfe der Jekatrinburger
Abtbeilung der Handelsbank bewahrte sich als ausserst wohl*
thalig und ausserdem trugen auch die Besorgnisse der fremden
Kaufleute vor der in diesem Jahre ungewbhnlich friihen Ver-
derbniss der Schlittenbahn, ziir Beschleunigung der Geschafte
bei« Aus diesein lelzteren Grunde verliefiSen auch in der That
viele Russische Kaufleute den Irbiter Markt gleich nach Eroff-
nung desselben und nur die iSibirier blieben, obgleich sie ihre
Geschafte langs beendel batten, bis zum 10. (22.) Marz. Diese
warteten auf Goldsendungen von den Besitzern der Goldwa-
schen, welche von ihnen in den Herbstmonaten Capitalien bis
zur Irbiter Marktzeit entliehen haben. Mit solchen Capitalien
werden die Arbeiter befriedigt, die im Herbst von den Wasch-
werken nach ihren Wohnorten zuruckkehren. Im Winter er-
128 Indattrie und Handel.
folgt dann eie Ablieferung des Goldes an die Regierung und
ersl mit den von dieser gezahlten Geldem verniog^en die Be-
sitzer ihren Creditoren in Irbit zu geniigen.
Nach der Aussage aller Belheiligten hatte der Irbiter Han-
del im Jahre 1848 eine beispiellose Ausdehnung und Leben-
digkeit, ungeachlet des Tjuinener Marktes, der seit 1847 an
einem so nahe gelegnen Orle und in gleicher Jahreszeit ab-
gebalten wird. Der Tjumener Markt dauerl namenliich von
Januar 15 bis Februar 15 a. St. Ein grofser Theil der Kauf*
leute die ihn besucht hatlen^ waren aber schon vor Beehdi-
gung desselben und vor dem offizielien Anfang des Irbiter
Marktes, in Irbit. -^ Seit 1849 hat man angefangen, einen be-
reits drei Jahr friiher entworfenen Plan zu besserer Verthei-
lung der einzelnen Huden (Balagany) auf dem Irbiter Markt*
plalz in Ausfiihrung zu bringen, um dadurch von neuem zur
Beforderung einer M esse beizutragen, welche wie schon gesagt
unler alien Russischen nur der Nijnei-Nowgoroder nachsteht
Ueber die Differenz Aer Entetehung der Stein*
salzafolagerangen in den Karpathen und in den
Salzburger Alpen.
Von
Professor Zeuschner
in Krakao *).
Ueber die Art und Weise der Entstehung der meisten Ge-
birgsarlen der festen Erdrinde wird gegenwartig wenig ge-
zweifelt, nur ausnahmsweise herrschen noch iiber einige der-
selben verschiedene Ansichten. Zu solchen problematischen
Gebilden gehoren dieSteinsalzablagerungen, die bei der jetzi-
gen vulcanischen Richtung der Geologen als Feuerprodukte
heilweise angenommen werden ; untersncht man aber genauer
das Vorkommen des lertiaren Steinsalzes am nordlichen Ab-
hange der Karpathen, so findel man, dass dieselben alle Cha-
raktere der Wasserigen Absatze an sich tragen und durch die
grosse Constanz der auf einander folgenden Schichten aus-
gezeichnet sind; sie enthalten eingeschlossene Ueberreste von
Meeresbewohnern, als: Schaalen von Conchylien und Kreb-
sen, stellenweise Theile von Pflanzen, welche einst an den
nahen Ufem ivuchsen. Diese Salzablagerungen Ziehen sich
an den nSrdlichen Karpathen beilaufig 100 Meilen weit und
haben constant dieselben mineralogischen und palaontologi^
schen Charaktere. Diese Ausdehnnng beweist nicht nur dass
dieses ein Meeres-Sediment, sondern vielmehr zugleich, dass
*) Dei^ Moikaaer Naturfortchenden Gesellsch. mitgetheilt vom VerfaMer.
firmaiia Butt. Archly. Bd. XL H. 1. 9
130 Phytikalifch-matliemalitehe Wittentcbafteii.
es kein lokales Phanomen, durch eine grosse Ursache bediBgi
worden sei.
Die Karpathischen Steinsalzabiagerungen siehen zu denen
der Saizburger Alpen im GegensaUe. Aehnlich wie die Ba-
salle odertTrachyte treten die letziereii mitten in deni rothen
Marmoir ab wahre Stl>cke oder als SpaltenaufirilUanged spo-
radisch aof. Die Sai^lagerimgen von Pernek. at^beii mit
denen von Hnllslatt und Aussee in keinem Zusaminenhange;
ringsum vom rolhen Kalksleine eingeschlossen , enthalten sie
BruchstQcke dieser Pelsart von verschiedenMr Grosse, oder
machtige Blocke bedecken dieselben. Eine Continuitai des
SaJxlagers ist hier nicht zu bemerken.
Die ersten Spuren der tertiaren Salzablagerung am nord-
lichen Abhange der Bieskiden, einem Theile der Karpathen,
zeigen sich in der Nahe von Krakau bei Sydzina unweit von
Tyniec« Von da ,ziefat sich dieses Sediment coBlinuirlicli bis
hinter Wieliczka, erscheint weiler gegen Osten in Bochnia
und^ nach einer grosseren Unterbrechung wieder im osiUchen
Galizien bei Tyrnawa Solna und Dobromil und von da con-
tinuirlich bis in die Jukowina hin. Noch machtiger entwik-
JloU sich das Sleinsalzgebirge am siidlichen Abhange der. Kar*
pathen in der Marmorosch. und in Siebenburgen«
• • In Sydzina brechen Salzquellen nur aus grauem Thone,
die schon im Mitlelaltec bekannt waren und im 13. und 14.
. Jahrhunderte von den Benedictinern in Tynice versotten wur-
den; dieser Thon lehnt sich theils an den machiigen Rucken
aus Coralrag, den die ehrwiirdige Ruine von Tyaiep kront,
theils an den Karpathensandstein an.
In dem angranzenden Dorfe Skotniki erscheint statl Thon
geschichteter Gyps, den gewohnlich eine 5 bis 6' machtige
Schicht von thoniger Dammerde bedeckt Dieser Gyp^ ist
grau und kornig und horizontal gelagert; an einer SteHe fan*-
den sich faustgro^se Knollen im grauen Thon eingeschlossen.
Eine Stunde weiter gegen Osten liegt die Schwefelgrub^
von Swoszowice. Vieie Spuren tertiarer Febarten, wie bei
Kobierzyn, Borck verbinden dieselbe mit der Gypsablagerung
IJe1>er d, Difforenfe dec RirttlalNinK der SleiiiMitaMftgcnngeii etc 181
von SkoUiikL An die w^isseii Koralragfeisen von Kurdwanow
lehnen sich die n^achtigen Mergelablagerungen flail Schichten
des gediegenen Schwefels. * Von den funf bekannien Schwe*
felflotoen werden iwei obere abgebaul, die drei unteren aber
Bind bis jetzt nichl angegriffen vi^orden. Es soil ein sechsLes
oberes vorbanden sein, welches aber wenig bekannt isi. Der
Schwefel bildei kein continuirliches Lager, sondern bat eioen
eigenthiiinlichen Bau; natnlich das obere Fl5ls besleht aus
haofgrossen Kdrnem von derbeip Schwefel, die mehr oder
weniger dicht an einander angehaufl itn Mergel eingesprengi
Bind. Diese Schtcht isi 4 bis 6 Fuss mSchiig. Die uatere
besieht aus plattgedrucklen Schwefelkugeln , deren langere
Achse ly hochstens 2ZoJI Jang isi. Wenn sich dieselhen an-
hattfen, so verbinden sie sich %a continuirlichen Lagerni die je«
doch BicbC weii aussuhaltciB pflegen. Diese beiden oberen
SchwefelfldUe Irennen grosse Lager von Mergel, in denen
sich mehr oder weuiger angehaufte Schniire von faserigen
Gyps befinden; oberhalb des &weiten Schwefelfldiies aber
zeigt siehi gleiehsam wie in Nestern, Schwerspath, krystalli-
sirt od%r faserig. Die Zahl und Gtoase dieser Drusen ist sehr
verschieden* Uomitielbar uber beiden Schwetelfiotpen seigen
sich inehr oder weniger angehiiufl die Blatter von Dicotyle-
doneii, und hochst sellen fiieereseonchylien, wie P.Lillii. Hr.
Prof. Unger war so gCitig, die Pflanzen zu bestioinien, es fin*
den sich deren 19 VerschiedeiAe Species, und unter diesen be-
finden sich 8^ die die Piiocenen- Formation bezeichnen und
schoh von anderen Orten bekannt sind, wie: Taxites Langs^
dorfii Alex. Braun. — Myrica deperdita Ungen — Qoercus
grandidentata Ung. Quercus lignitiun Ung. Chloris prologaea
p. US. T. 31, Fig. 5, 6, 7. Quercus furcinervis Ung. Synop-
sis p. 38« Carpinus macroptera Brogniart, — Alnus parcifo*
folia Alex. Braun.^-r* Acerites integerrima, Niscanothus poly*
morphus Alex. Braun. — Juglans deformis Ung. — Juglans
bilinica Ung. — Rhus Hertha Ung. — Laurus Swoszowicen-
sis Ung. T- Prunus paradisiaca Ung. — Prunus Leiszneri
Ung*. — Elaioides Fontanesia Ung. — Diospyros brachyse-
9*
1st
pala Uog. — Neritintiin dobimn Ung. — ApocynophyUmn
lanceolafami Uiig«
Das Sebwefelfldix von Swossowicc isl rin iocaler Absali,
4er mii dem 12 Malen von hier eiitfemlen bei Ciarkowy an
der Nida im Konigreich Polen gelegnen in keiner VerUndui^
steht und verdankt seinen Urspning Schwefelwasseislofitquel-
len, die wahrscheiniich aos dem Karpaibensandstdn hervor^
gebrochen sind. Waiter siidlich etwa IVc Stunde in eioer
Schlucht mitten zwischen dem genannten Sandsteine in WnuH
sowicr befindet sich ein banwurdiges SchwefelflotZy wie dies
noch jetst grosse Halden von Gips und Schwefelwasseistoff-
({nellen beweisen;
Das Schwefelflfttx von Swoszowice befindet sieh nicht in
settler primitiven Lage, die Schichten biegen sich welienfor-
mig und neigen sich etwas gegen Siiden unter einem Win-
kel von 5 bis 15*. Ueber dem Schwefeifl5tie erhebt sieh ein
300 bis 400 Fuss boher Rticken, der aus sandigen Gliedem
bestebt. Auf seiner Hdlie bei Rajsko befindet sich ane Bank
von Austern mitPetftenschaalengemengt Dieses obere san-
dige died xiebl sich von dem Riicken der westiichen'Spitze
ZIota Gerp genannt von Rajsko gegen Kossocice \ind tritt zu
Tage an vielen Punkten nordlich von Wieliczka, wie bei Bo*
gucice und Sledzcjowice imuier mit detiselben grossen Aostem
(Oitrea venlilabrum) *).
Es ist schwer zu bestimmen/ ob das ScbwefelflStz von
Swoszowice das obere Giied der Salzablagerung biidet, oder
keilfdrmig mitten zwischen der SaJzablagerung von Sydzina
und Wieliczka eingeschiossen ist. An dem entgegengesetzten
ttstlichen . Ende der Kalksteinbriicbe Krzemionki, an demPod-
g9rze angelehnt ist, erscheint bei Prokoeim das obere Glied
der 5alzformation, bestehend aus Gyps-Knolien von verschie^
d^ner Gr8sse, die im grauen Thon eingesenkt sind ; der Gyp&
*) Km entapricht Momit hoohst wahrscheiniich dem in Deotschland soge-
nannten Magdeburger Sande, der auch in Ost-Preussen an der Sam-
IKndiachen Kiitte torkomml. B.
Ueber d. Mhrenz- der Eiitsteliaiig der Steiuakablagerangeii etc. 133
isl hier kSmig und weiss^ nur selten grau iind wird berg*
mannisch gefordert In diesen Gruben entwickeln sich bitu«
minSse Gasarten, welche einen gana ahnlichen Geruch zeigen,
wie jener, der manchen Punkten' der Grube von Wielicaka
diaracterislisch ist Gana ahniiche Gypse, wie die von Pro*
kocim bilden die'obere Ablbeiiung dea Wieliczkaer SalzflotseSy
welches an der ersten Erhebung derBieakiden angelehnt und
aus Sandstein der unteren Abtheilung der Kreideformation zu«^
satnmengesetzl ist. In dem verlasaenen Sleinbruche des Ber*.
ges Garbatki zwiachen Babiny und Kossocice sind die Schich-
ten der Karpathensandsieine stark gegen Siiden geneigt, utid
ihre miirben Lager wimmeln von Beiemnites bipartitus^ sellner
finden sich hier B. diiatatus, pistiiiiforinis, Aptychus Didayi *)•
Das seit fiinf Jahrhunderten durch grossarlige unter-
irdische Baue geoflfnete Salsfldtz von Wielicaka hat unendlich'
viel Aufschliiss geg^en iiber das Vorkommen des Karpathi*
schen Steinsalzes. Es unterliegt nicht dem inindesten Zwei-
fely dass dies ein ausgezeichnetes Meeressediment sei, indeui
hier gar keine Spuren von vulcanischer Thaligkeit zu finden
sind. Das Salzfl5tz besteht aus zwei gut von einander ge*
trennten Ablheilungen; die obere aus dunkelgrauem Schiefer-
thon, der ofters glanzende Absonderungen hat, die untere aber
ist. das eigentliche Salzflotz, welches hauptsachlich aus Salz-
thon besteht, in welchem sich Lager und Klumpen von Stein*
salz, geschichteter Anhydryt, Gyps und bunte Mergel ausson*
dem. Schon seit undenklichen Zeiten hat der Wieliczkaer
Bergmann drei Salzvarietaten. unterschieden, die durch ihre
eigenthiimlich kdrnigeZusammensetzung und verschiedne Bei«
mengungen characterisirt sind. In der unteren Abtheilung des
Sal^Stzes hat sich das Szybikaer Salz in machtigen Lagem
abgesetzt, die ofters zu einander parallel sind und durch Salz*
thon uAd diinne Schichten von Anhydrit getrennt werden.
Das Szybikaer Salz ist grobkornig, — hat feine weisse Gyps-
nadeln und etwas^Thon beigemengt. Die mittlere Abtheilung
') Lconhardi Jahrbaoh 18iS, p. 704 » 1844, p. SB.
134 Ph^ikafiiich-matheiiifttlseTi^ WiMenscbtflefi.
ded SalzflStzed btfdel das Spiasftsalx od<et daft Anhyifril^Salx;
durch seine dunkelgraire Farbe und feinkornigen Baa unier*
scheidet es sich auf den erslen Blick von der unlem Salzva*
rietat Es ist kuixslangnch und hat beigemengte feine Kdrner
von Qiiarz, Mergel und Anhydrit, niemals Gyps ; diese Kdmcr
sind im Salze schichtenweise vertheilt.
An einselnei) Punkten enthiilt das Spisasak eifie uneftd-
liche Anzahl verschiedener Schaalen von Moiltisken ' und Pora-
mimferen. Diese Schaalen gehSren gew5hntich jungen Indi-
viduen an, deren lineare Verzierungen sich scbon erhallen
haben; auch vegeiabilische Ueberresie erscheinen hier und da
in dieser SalzvarietSt, namentlich Zapfen von Coniferen, die an
manchen Punkten in der Nabe machtiger Stainme iiegen. In
der oberen Abtheilung dieser Salzablagerung finden sich diinne
Lager brauner und kohlenschwarzer glanzender Braunkohle.
Alle vegelabiHschen Ueberreste, die sich im Steinsaize vorfin-*
den^ zeichnen sich durch ihren hSchst unangenehmen Geruch
aus, dessen chemische Eiganschaften noch unerforschi sind;
Beudant hat sie init dem Geruche faulender Aplysien und Hok
lothurien verglichen.
Ueber diesen beiden Salzvarietaten , die fldtzarlig ausge-
breitet und durch Salzthon und Anhydritschiehten getrenni
sind, erscheint das Griinsalz in macbtigen, meistens ianglichen
Kiumpen. Urn von ihrer Grdsse einen Begriff zu geben, wiU
ich als Beispiel dieses anfiihren, dnss, nachdem eine von die«
sen wiirfelarligen Salzmassen herausgef5rdert wurde, die un-
terirdische Kammer Michatowice genannt,. entstand, die einen
Raum von 14000 cubisch^ Fuss einnimmt.
Diese drei Salzvarietaten Irennen machtige Lager von Ha*
selgebirge, einem Gemenge von wiirfelartigen SalzkrysiaUen,
die mehr oder weniger im grauen Salzthone angehauft sind^
hellblauer, derber, gewohnlich in diinnen Schichlen abgeson-
derter Anhydrit/ hunter Schiefermergel (blau und roth) und
schwarzgraueV Schieferthon mit vielen spiegelglatten Absdn*
derungen. Die letztgenannte Gebirgsart ist die LagerstaUe
unendlich vieler Conchylien, unter denen sich besoaders viele
Deber d. DiitoBiis 4«r Batotehug det Stoiitntoibligeroiigca ete. 195
Peetenaiien, Nuoula campia, fttrieitai Natica iniilepunctala,
RiDgicula buccinea auszeiefanen, die alle jiingere tertiare For-
men der Suhapeiuiinen*FonBation sind, und eben desfaalb ist
es wahrscheinlichy dass dieses Lager so wie das Schwefelfldis
von Swoszowice .der pliocenen Periode angehort. Mefar als
an zwanzig Pankten in sehr .verschiedenen Niveaus der Wie-
liczkaer Solzabiageraog iinden sich fasi dieselben Versteine*
rungen und ^war sowohl unier dem Szybikaer Sake, wie audi
onter dem Sptzasalze, was eben ein hinreichender Beweis ist,
dass dtese Ablagerung sich rubig aus dem Wasser abgeselzi
halle. Ueber den Grunsalzklumpen ist ein machtiges Lager
von kornig weissem Gyps, der ebenfalls wie in Podgorze aua
Kugein von verschiedener Grosse, die im grauen.Thone ein»
gesenkt sind, besteht. Als fremde Beimengungen im Salzthon
finden sich an einigen Punkten Schwefelkies, der am haufig-
sten in feinen Komern zerstreut ist, und an anderen Punkten
wiederum gediegener, derber brauner SchivefeL
Das Wieliczkaer Saizflotz hut seine primitive Lage ver-
loren und ist welienartig gebogen, man beobachtet eine slid-
liche Neigung an den unendlich vielen neben einander liegen-
den Anhydritschichten , die aile gegen Siiden geneigt sind;
und es scheint, aJs neige sich das Saizflotz unter die Sehich-
ten des Karpalfaensandsteines, die in den ersten Riicken der
Bieskiden mit der Salzformation im unmittelbaren Contact ste*
hend' auf gleiche Weise einfallen. Allein eine unmitteibare
Auflagerung kann nicht bemerkt werden, denn eine machtige
Scbicht von L5ss, worin sich Elephantenknochen vorfinden,
bedeekt sowohl das Salzgebirge, wie auch den Neocomien*
Sandstein. Aehnliche Verhaltnisse dieser beiden Gebilde sind
in Ostgalizien: das Salzgebirge und der Karpathensandstein
bei Dobromi], Szumina zeigen gleiches Streichen und Failen
gegen Siiden, und eben deswegen ist es wahrscheinlich, dass
in Wieliczka die Kreidesandsteine auf dem Salzgebirge iiberstiimt
liegen. Der Durcfascfanitt von Wieliczka, den Murchison")
*) The Geolog^y of Russia in Burope T. 1.
136 PhyiftkaliMh-matii^inatiMShe WlMM*B€ii«ft»lt.
• 1
9Xiglbiy bemhl nkht auf Beobachlangen. Sowohl m der mi^
mittelbaren Nahe, wie auch mehrere Meilen von Wielicska
findet sich nicht die mindeste Spur einer pluionischen Gebii^s*
arty noch sind Spalten bemerkbary aus denen das Salz heraus*
gebrochen ware. Das Wieliczkaer SakflSls, an und Xiir sich
genommeny ist ein entschiedener MeeresabsaU; es bewetsea
dies die unendlich vielen Schalen von Molitisken, die sowohl
im Then wie auch Jm Sake in alien Abiheiiungen underlie-
gei^» Die Salsthone und bunten Mergel, die mil dem Salie
wechsellagern, sind.schiefrig und haben das Aussdien eineo
gewohnlichen Absatzes desWassers; selbsi darAnhydrit kann
dagegen eine htnreichende Einwendung sulassen. Dieses
dichte Mineral bildet ebenfalls schmale Schichteny ioi grauea
Thone und hat die grosste Aehnlichkeit mit Kalksteinen, die
mit grauein Thone wechsellagem and vom Wasser abgesetsi
stnd. Zwar ist es aus chemischem Gesichtspunkle schwer eu
erklaren^ wie aus einem Meerbusen so machtige, allmalig auf
einander folgende Schiehten von Salz, Anhydrii und Gyps er*
folgten. Eine sehr erhohle Teuiperatur konnte bei diesenSe-
dimenten nicht stattfinden, denn zwisehen den Thonschichlen
sind viele Mollusken eingemengt, die denjenigen in derselben
Periode lebenden spezifisch ganz entspreehen, wo eine erhohte
Temperalur nicht stattfand. Urn Anhydrit kunstlich im Was^
ser darzustelLen, brauchte Johnston einer sehr erhohten Teui*
peratur, die fur organische Wesen unertraglich ist Die Ur-
sache des Absalzes des wasserfreien schwefelsauren Kalk^
musste durch die Anwesenheit des Chlornatriums in derAuf-
losung bedingt gewesen sein. Dass eine Wechselwirkung
zwisehen dieaen beiden Korpern slattfindet, ist gar nicht zu
laugnen, was eine sich constant wiederholende Beobachtung
bestatigt. Das sowohl in Lager getrenote, wie auch inKlum-^
pen erscheinende Steinsalz ist stets mit einer Art von Saal*
band des Anhydrits, % ^o'' ^^^^ ^^^ Salzthon getrennt.
Oefters ist dasselbe selbst am Haselgebirge zu beobachten.
Viel einfacher ist der Bau des Salzflotzes von Bochnia,
obgleich imAllgenieinen dem von Wieliczka voilkommen ahn-
J
Uaber d. DHfonw 4m ttrttiflfasng der Stoioitliibtigiwingeii etc 137
Sdi. Erne Sdbabanderung erschdnt hier, die niiieralogisch
dem Szybikaer Sdbe e&lspriehi, deren Lager 10 bis 30 Fusa
diek »tid , sioh mannigfaUig gabeln and von einander durch
SaUthon^ Haselgebirge und schmale Sehichten dea hellbiauen
derben Anhydriis geirennt wtrden. Der Anhydril inBochnia
ist gew&hnliefa gekrdaart^ ge^vunden. Das Bochniaer Stein*
salz ist grobbSrnigy grau» oftera ganx weisa und enthaU aehr
selten organische Ueberresie^ wie Zahne von Carcbariaa me^
gaiodon, tannenartige Zapfen uad Niiase, dann Braunkohle
mil dem bekannien unangenehmeD Gerueb, der die von Wie*
Ucxka so sekr auszeichnet Das eigenlliche* Salagebirge be-
deckt schwarsgraiier Schiefertbon^ in dem sich als uniergeord*
netes Lager grobkorniger Sandstein mii hellblauem straligen
Colestin aussondert. Darauf folgen Schieferthone, die eekige
Bruchstiicke vom Fucoiden - Sandsteine mii Abdrttcken von
Nautilus Requienianus und Ammomien enlhalten. DasBoch*
niaer Salzfl&to befindel sich ebenfalls nichi in seiner primiii*^
venLage, und isi stark aufgerichtet; in den oberen Abtheiiun*
gen fallen die Saklager ua4ef eiaetti Winkel von 80® gegen
Siiden, und in der unieren Abtbeilungi wo der tiefsie Bergbau
geirieben wird, erscheint das SalzflSIa wie gebroehen und
neigjt sich nur unter einem Winkel, der sehr gering ist» eben-'
falls nach Sudan. In ^as fur einem Verhaltnisse daa SaIzla->
ger au dem Karpathensandsidne, welcher sich gegen Suden
entwickelt, sieht, kann nicl^ ermittelt werden, weil dasaelbe
von einer miichtigen L^mschicht eingeschlossen wird.
Die volikommene mineraiogische AehnUchkeit der Salc^
QjUze von Wieliczka und Bochnia beweisi, dads dieselben
gleichzeitige Sedimente seien. Dieselbe Aehnlichkeit findel
* siatt awischen den anderen Sakablagerungen der Karpatheili
die welter gegen Osten aufgeschlossen sind, und dieJLill be-
schrieben hat. B^ Kacsyka in der Bnkowina finden sich nach
Lill KWei Salavarietaten , woven die eine dem Grunsalze> die
andere aber dem Szybikaer Saize von Wieliczka enispricht;
und bei Sugatak in Siebenbiirgen auf dem siidlichen Abhange
der Karpatben findei sich bloss das Szybikaer Salz.
138 PhTiOuiliiMli-matliemaAlidio WiMMMohaiMb
Die mineralogiBche Aehnliehkdt ilieser Sidtablagemngen
segar in ifaren feinsten Charakteren gibt emen enlschiedeneo
BeweiS) dass alle genannte Salzablagerungen gieichaeitig and
unler gleichen Bedingungen abgesetsi rind.
Aber auch die machtigen Salzablagerungen von llalien,
wie die von Volterra im Toscanischen, die Salina de Langre
in Oalabrien 8in4 alier Wabracheinliebkeii n«ch mil denen der
Karpalhen glefchseitige Seditnente. - Die Ansichi dass die
Karpathisclien Saize ausSp^lten hervorbrachen , ist durch «ie
unniiltetbare Beobachtnng niehl bewiesen^ allein alles leilet
darauf bin, das in diesem fast letzten AbsaUe der Erde aus.
dem piimitiven Meere sebr viel Salz aufgeleai war, aus weU
eher Auflosung die mfichligsten and ausgedehnteslen Ablage-
rungen des Saiies sich niederschlugen.
Dit Salzablagerungen in den Salzburger Aipen baben
einen ganz versobiednen Charakier an sich; es stud dies keine
ausgebreitete Massen, sondem sie erscheinen bier und da in
liefen Tbalem den Thalsoblen entiang, wo sie die SpaUen
des peirefactenreiohen ) aber dennoch problematiscben rolben
und wdksen Marmora ausfilllen; oder sie erscbeinen amFusse
bober Alpen, die grossietitheils aus diesem sprSden Gesteine
beakeben. Die alpinen Salzablagerungen baben das Eigen-
ibamliche, dass sie sporadiseb bervorirelen ; nichls Continuir-
liebes ist da wabrzunehmen, was darauf hinwtisi, dass es
Sehlammausbruebe sind, die aus Hergeltbon, Chlomatrium und
Anhydrit bestanden. BeiPernek unweitlscbel fiiilen dieSalie
in der Thalsohle eine lange Spalte aus; auf der Hocbebene
von Diirrenberg bei Hallein erscbeinen sie mebr ausgebreitet;
so wie aucb am Fusse der macbtigen Alpen bei Hallstatt und
Aussee. Diese einaelnen Punkie kann man auf der geologi-
schen Karte von MorloU vortrefflich beobaebien, sie bilden 2
Gruppen^ die beiiaufig lOMeilen von einander enifernt liegen:
zur osUichen Gruppe gehdren die von Pernek, Hallstaili Aus*
see» zur wesUicben die von Hallein und Becbiesgaden. Die
einzelnen Salzausbruche sind ziemlicb nahe an einander gele*
gen, indem sie 2 bis 3 Meiien von einander entfernt sind;
Ueber d, Difterehw 4«ff Bnttlclim|r «d«r'8«»hiMinMag«niiigeii etc 189
^rseheiMii ^tif eitie ShnM^iie Art,* wie dte B«Mdt4)ttrelibi1iche
in derGeg«Yird von GOItingM, wo 6i^ iwiscfaen butitan Sand*
dleine, Musohelkalk und Keop^r henro^lrelefi und-^finden sioh
eben so gut in den Thaiem, vAt auf dm Uof^ges^anen ROk-
ken. Aber dio Sakablagenntg im Sakburgischen datf man
iricht als eralarrle feaerfliiMige Meag^ betraehten, dtim unier^
sueht' man sie genauer, so vergi sie mil dMiKarpathiaeben
Salzsedhnenten eine gewiase Aehmlichkeil, tiamenllich mit je«
nen yon Wieiicska und Bothnia , was eben aaf einen wilsie-*
rigen Absatz derselben hindeatet.
hi HaHein 'ni das Haselgebivge dem von Wieliczka und
Bochnia gans Sbniich; die SaUttiasaen vonHallstaU und Aus*
see habeit zart^ paraHeliaufbnde Thont»treifen, dk kanm 6 bis
9 Zoll von emander entfernt sind und die der Saltmaase ein
sedtmentares Aqssehen geben, ganai als wiiren sie aus-einer
Salzauflosung entstanden, der Thon beigemengt war. An
einzelnen Punkten in Hallstadt finden sich eben so wie in
Wieliczka Lager von Knistersalz, einer besondern grobkdrni-
gen Salzvarietaty die zwischen den Blatlerdurchgangen com-
primirten Kohlenwasserstoff enthalt. Wenn wir diese Parallele
weiter verfolgen, so zeigt es sich, dass der begleitende Anhy-
drii von Wieliczka und Bothnia von dem Salzburgischen ver-
schieden erscheint; in den Karpathischen Localitaten bildet
dieser Anhydrit deutliche Schichten im dichten Znstande, und
in den Alpen sind es Massen, die neben dem Salzthone er-
scheinen und eine krystallinisch kdruige Struclur haben. Ob-
gleich die Salzburger Gruben sehr alt sind und schon von
vielen Geognoslen besucht waren, so sind dennoch niemals
thierische oder vegetabilische Ueberreste darin gefunden wor-
den, ein Beweis, dass dies keine Meeres- oder Siisswasser-
sedimente sind. Nicht weniger wird diese Ansicht dnreh die
vielen Kalksteinbruchstucke besl&tigt, die von dem angranzen-
den rothen Kalksteine abstammen und die in ihrer ausseren
und inneren Structur nicht im mindesten verandert sind. —
Oefters liegen iiber dem Salzgebirge Felsen vom rolhen Kalk-
steine, wie bei Durrenberg, was ebenfalis darauf hinweist, dass
140 . PIl^ilcilMi-nutliematiiclbe Whteaidiaftefl.
did Sattthone ana dem Itmeren hervorgebrochen sind. Die
Salzthone und die rotheB Kalksteine sind ganz von einander
versehiedetie Bildungen, die nur in Contact stehen, aber jede
fiir sich unabhangig ausgebildet waren.
Das sporadiscbe Hervortreten des Salzgctbirges im Sal^-
burgischen, das als Spalten oder als stockartige Ausfulluogen
erscheinty die parallelen Thonsireifen im Sieinsalze, die vielen
eingeschlossenen Bruchstucke vpn Kalkstein, der Mangel an
P^trefacten beweisen, dass dies als ein wassriger Brei aus
dem Innern der Erde hervorbrach.
Ganz vetBchieden ist der Charakter der Karpathiscben
Salzablagerungen, sie bilden ausgedehnte NiederJagen, die sich
vieie Meilen weit erstrecken und viele Meeresconchylien ent-
balten ; was uns wiederuin einen voUen Beweis darbietet^ dass
sie von einem ausgedehnten Meere ihren Ursprung baben.
Ueber den EiQflqss der in dem Ackerhoden ent-?
haitmen Eisenoxyde and l%on-»Arten anf die
Absorption des Ammoniaks darch denselben.
Von
Adam Giedwillo*).
miis ist eine wohl bekannte Thatsache, dass die Pflanzen zu
ihretn Gedeihen Stickstoff erfordern, und di<$sen Slickstoff haupt-
sachlich aus dem Ammoniak der atmospharischen Luft empfan-
gen. Es unlerliegt keinem Zweifel, dass nicht aller in deal
Ackerboden enlhallene Stickstoff von den angewandten Dan-
gungsmitteln, in so grosser Menge wie man ihn gew5hnlich
findet, enlstehen kann. Zur Bestatigung dieser Thatsacke
konnen die wildwachsenden Pflanzen dienen, die in eben sol-
cher Menge, wie die CuJturpflanzen, Stickstoff enthalten.
Nichts destoweniger waren iiber diesen Gegenstand die
Meinungen getheilt, bis in nearer Zeit Dr. K rocker'**) durch
^sehr sorgfaltige Untersuchungen diese Frage der Entscheidung
naher brachte. Er bestimmte den Ammoniakgehalt der Acker-
erde aus der Umgegend von Giessen, nach der Methode der
Stickstofibestimmung von Varrentrapp und Will , indem er
••
*) Aas dem BaUelin der Moskauer Naiurfonchenden Getelliehaft 1851
No. II.
) AnnaleD der Chem. und Pharm. LVIII, 282.
]42 Phytikftliich'inftthematische Winensebaften*
die lufttrockenen Substanzen, feingesiebt mil Nalronkalk er-
hitote, und das auf diese Weise dargesteJJte Ammoniak aus
Platinsalmiak berechnete. Er bemerkte ferner, dass der so
erhaltene Platinsalmiak ganz rein dunkelgelb krystallinisch war,
wesentlich verschieden von dem nach jener Methode bei der
Analyse der organischen sticksloffhaltigen Substanzen erhalte-
nen NH^ CI Pi Cl^, so, dass nur sehr geringe QuantiUilen auf
Kosten dieser Substanzen zu rechnensind; die erhaltene Menge
abef' \rar'^d- gross, dass man sie nieht demVorbandensein
Qr^rasober^Ueberreste zeschrieiben' bonnte* Aus seinn fktr
sultateii ersieht osan, dass 'der Thonbodeo amuiaQiakhal^er
als der Sandboden ist.
Noch viel friiher bemerkle Bouis*), dass, wenn man
Thon anhaucht, oder mit feuchter Luft in Beriihrung bringt,
ein charakteristischer Geruch, welchen ihan,,Thongeruch'' zu
nennen pflegt, daraus enlweiche. Dieser Thongeruch hangt
davon ab, dass der Thon die Eigenschafl besiizl Ammoniak
aus der Atmosphare zu absorbiren. In der That, wem man
Thon oder thonhallige Ackererde mitAetzkali oderKalk ionig
vermi&cht underwarmt, so entweicht Ammoniak; wenn die
Gaseniwickelung ziemlich stark ist, was ubrigeDs von . der
Quantitat der angewandten Substanzen abhangl^ so kann man
dem GerMche nach dieses Gas erkennen, son^ bedienke man
sich des mit Salzsaure angefeucbteten Giasstabes«..
Man sieht also, dass die E2rden, besonders thonhaltige,
Ammoniak enthalten, aber wober empfangen sie. dieses Am*
moniak? Schon Krocker's Resultate sprechen fiir den at-
mospharisehon UrspruDg dieses Gases. Faraday hat noch
friiher gezeigt, dass die Luft eine hinreichende Quelle von
Ammoniak sei. Es ist also hochst wahrscheinlich, 4as$ dieses
Ammoniak aus der atmospharisehen Luft herrulu-e. Wie wich^
tig es aber fiir die Landwirthe ist^ das Absorptionsverm$gen
der Gase durch die Erden aus der Atmosphare zu erforschen,
wie einfach auch die dazu leitenden Versuche zu sein schei*
*) Joornal de Pharmade XUI. 262.
DtT BinfloM ^r in 4mi AdMkodm eiitiballMMi BbMozyde ete. 148
mii» 80 liegi eine kaiim ilberwindlicke Scbwierigfccit voh, die-
setben fur die Wtssenschaft geltend s«i macheii: weil die in
der Nalur vorlLommendien Subslanzen von ftomplicirter Zd»-
aammens^suDg, and die analytischen • Arbeilen kmun in hint-
reichend grosser AnsaM auszufUhren aind. Man mitss viel
arbeiten, urn der Wissenschafi nur wenige befriedigende Data
zu liefern.
Die bis jetst gewonnenen Reaultale Iconnen nur Ueint
Verauche genannt warden , um die Schwierigkait dea Gegan«-
ataudea nachauweiaen. ObgMoh die Gefebrien; die aick da-
mii beschafliglen, votliges Zalrauen verdieneiii ao aind doeh
die Resultate ihrer Arbeiten durchaus nieht ubereinsliaHnend.
Humboldt's Angabe*)> dass Humns die Eigenschuft b^
sitae, die atoiospbariscbe LufI au aeraetzan, wird dureh viele
Resullate seiner eigenen Unjterauchungen bestaligt^ Aua aeif
pen aahlreichen ForschuDgen fand er ausaerdem noch|. dasa
die graue Thonerde, welche dem Bergoaann. unter dem Na^
men ,,Lebergestein'' bekannt ist, dieaelben Eigenaehafljen in
Beziehung auf die Absorption, wie der Humus, besitae, Dieae
Thonerde wurde in einer Glaaglocke dem Einflusse der at-
mosphariscben Luft unterworfen, welche letatere in 3000
Theilen dem Volumen nach bestand aus:
852 Sauerstoff
2103 Slickstoff .
und 45 Kohlensaure
3000.
Nach Verlauf von 18 Tagen Wurde die unter der Giocke
zuriickgebUebene Masse analysirt. Der Riickstand betrug 2460
Theile bestehend aus:
81 Theile Sauerstoff
2207 — Stickstoff
172 — Kohlensaure
2460.
*) Gilbert's Annalen der Physik I. 501.
lU
Piq^ikallwA-matbeina(iidi# WitMbiMkaftMi.
• ZurBildimg von 127 Theiie Kohlensihini sind Mieh La*
voisier's fierechnung 35,5 Theiie Sauersloff erforderlieb;
da aber der Rucbland 2460 nar 81 Tbei)e Sauentoff ent-
hielt, 80 setEte er voraus, dass dieThonerde von 0,28Sauer-
Btoffi die* in der zd untersuchenden Luftmasse enthalten wa*
ren, 0,24 verschluclcte.
Nach einiger Zeit erhielt er in Vauqueiin's Laborato*
rium eine andere Thonerde, die er „weisse Thonerde" nannle,
die eben denselben XJmstand^n unierwotfen , bei einer Tem-
peratnr von 17-^20^ R. aus der Atmosphare mehr Sauersloff
absorbirle ala Phospiion
Nadi dtesen Versuchen glauble Humboldt schon enl*
sddeden xii haben, daas die reinen Erden dureh destillirles
Wasser angefeuchtet und dem Einflusse der atmospharischen
Lttft unterworfen das Sauerstoffgas verschlucken. Zu dersel-
ben Kategorie rechneie er Kalk and Baryt; nur Kieselsaure
und Bittererde ntachten hiervon eine Ausnahme.
Hier folgt eine Reihe der Resullate von Humboldi^s
Versuchen
»
1) mil Then aus dem Steinsalzgebirge,
2) mit Humus und
3) mit Binfachen Erden.
1. Versuche mit Thon aus dem Steinsalzgebirge.
Volani der atmosphar.Lnft
ZD 0,27 0., welche damit in
RuckBtahd nach 15 bis
iter RockaUnd ent-
bielt
Beriibrong g«bracbt wurde
21 Tage
Saaent iKoblens,
250
212
0,10'
0,04
450
418
0,18
0,02
300
260
0,07
0,08
520
492
0,20
0,04
500
446
0,11
0,07
D«r BinfluM tier in dem Ackerboden MllialtMMi BMnoxyde etc. |45
2. Versueke mil Humus von verschiedenen Orten
angesttUt
Tage der Beriihning
Riickttand yroh d«n a«fangs Torbandenea 0^7 0«
in 5 Glocken
2
3
4
5
8
U
14
1.
2.
3.
4
0,20
0,24
0,19
0,20
0,16
0,20
0,15
0,20
0,16
0,15
0,14
0,16
—
0,13
0,11
0,15
0,10
0,10
0,11
0,11
0,08
0,10
0,11
0,06
Oflo
0,06
0,04
0,08
5.
0,20
0,20
0,17
0,16
0,13
0,09
0,09
3. Versuche mit einfachen Erden.
SubtluM*
Kttckttaad t.
d. Mifin^eb.
0,27 TlL O.
ZtU
'llionerde
0,00
Thonerde
0,08
Schwererde
0,08
Thonerde
0,12
Thonerde
0,08
Kalkerae
0,20
Schwererde
0,11
Von 17. Fructidor bis 4. Vendem.
4. Vendem.
-
14.
17. Fructidor
«
14.
6. —
•
14.
6. —
•
14.
6. ^
-
14
6. —
«.
14.
Dieaer Resuliate bedietile sich Humboldl bei derErkla*
rung der Fruchtbarkeit des Thon- nnd HumnsbodenSy des
Nuizens der Brache etc. Saussure (Sohn)*) fand aber diese
Thalsachen nicht bestatigt. Er hat 4 (Jnzen AJaunerde, die
er aus AIaunaufl5sung mit Ammoniak pracipirte, und naeh
dem Auswaschen an der Luft trocknetei im angefeuchteten
*) Gilb. Annalen der Physik I. 105, and Joomal de physfiqae par De-
lam^tberie IV. 470. .
Ermaos Ruas. Archlv. Bd. XI. H. I. 10
146 Pbyatkallseh-mathematisclie Wisienschaften.
Zusiande mi 50 CubiksoU atmospharischer Luft in Beriihrung
gehalten, und nach langem Stehen keine Absorptionsseichen
bemerkt. Dieselben Resultate erhiell er mil AeU- und koh*
lensaurem Kalk und Kieselerde.
Auch bei Bert ho lie I*) ist angegeben, dass der Director
des florentinischen Museums Fabroni, die Humboldt*scheu
Versuche phne Erfolg wiederholte. Auch Champy (Sohn),
der in Kairo mit Nilschwamm, und Chaptal, der lu Mont-
pellier Humboldt's Versuche wiederholte, beslatigen seine
Resultate nicht.
BerthoUet unterwarf angefeuchtete Thonerde demEin-
flusse almospharischeF Luft und reinen Sauerstoflfs ohne Spu-
ren von Verschluckung wahrzunehmen ; er bemerkt ferner,
dass der ihm von Guy ton- mitgetheilte weisse Thon, welcher
4)eim Gluhen etwas Kohlensaure und sogar Ueine Spuren von
Kohienwassersloff lieferte, xlerselben Prufungiinterworfen keine
Spuren von Absorption erzeugte,
NurGirtanner's **) Resultate stimmten mit denen Hum-
boldt's iiberein, dass d<is Sauerstoffgas von reinen Erden,
vorzuglich aber von der Thonerde verschluckt werde, obgleich
er in der Erklarung derThatsache ganz von Humboldt ab-
weicht. L'atmosphere, sagt er, n'est point, comme on I'a cru
jusqu'a present, un melange de gaz oxygene et de gas aiote,
mais plutot un melange de gaz oxygene ei hydrogene, une
eau en forme de gaz, s*il m'est permis de me servir de cette
expression. Lorsque, par des experiences chimiques, qu^on a
appelees bien improprement eudiometriques, Toxygene est se«
pare de Thydrogene, cette separation ne pent jamais se faire
entierement ou completemenl. Une partie de Toxygene reste
unie a Thydrogene, et forme la combinaison chimique, que
nous nommons azote, et que nous obtenons dans ces expe-
riences.
*) Gilb. Ann. der Pbysik VII. 81, o. Ann. de Cbimie XXXV, 23.
♦*) Annales de Cliiinie XXXIV. 1.
Der BinfloM der in dem Ackerboden entliaUehen Bisenoxyde etc. 147
E m m e r t *) wiederholle Humboldt 's Versuche und
dehnie sie auf die Alkalien und andere feuerbestandige Stoffe
aus. In seiner Abhandiung iheilt er die zahlreichen Resqilale
mit, die er mittelsi der nachslehenden Methode erzielte: die
zu untersuchenden Subsianzen befeuchtete er mit Wasser, so
dass sie die Consistenz eines Teiges annahmen, und brachle
sie mil einer gewissen Quanlitat atinospharischer Luft in Be*
riihrung. Diese Luft wurde mil geldschtem Kaike von der
Kohlensaure gereinigt, und mit VVasser abgesperrt, welches
langere Zeit mit der atmospharischen Luft in Beriihrung war,
urn wahrend des Versuches die zu untersuchende Luft nicht
zu absorbiren. Nach dieser M^thode erhielt er foigende Re-
sultate:
Millagszeil, Temperalur 18" R., barometrischer Druck
etwas unter 27 ZoIJ, helies Wetter:
Humus absorbirte 2 C. C. Sauerstoff
Eisenkalk 3 C. C. —
Then 3 C. C. Luft, bestehend aus
2,9717 c. c. O und 0,0285 N.
Kalkhydrat 2 C. C. almospharischer Luft
Kreide I C. C. — ' ^
Gebrannter Kalk 1,75 C. C. — . —
Magnesia 1,66 C. C. — —
Anhydrit 1 C. C. — —
Doppellkohlensaure^r Kali 1,75 C. C. — -^
Emmert bemerkt ferner:
I. AUe diese Subsianzen absorbirteri die Gase nur iui
angefeuchteten Zuslande die Quanlilat des beim Anfeuch-
ten gebrauchlen Wassers beforderte die Intensiliit der Absorp-
tion im geraden Verhaltnisse nur bis zu einem gewissen
Punkte. Im Uebersclmsse des Wassers fand keine Absorp-
tion statt
*) GUb. Annalen der Pliys. VI. 101 und Dissert inaug. med.de incoin-
bastibiliam non nullorum vi in aerem atmosphaericuui. Auci. Aog»
Ferd. Godofr. Emmert. Tibingae 1800.
10*
148 Pbjtikatlfeli-matheiiiatiiche WistenAchafteh.
2. Die mil SSuren aiigefeuchteten Subslanzen absorbirlen
atmospharische Luft.
3. Die Oberflache des unler dem Einfluss^ der zu unler-
suchenden Luft befindlichen Korpera stand inK geradm Ver?
haltDbse zur Intensitat der Absorption*
4. Kalte, starke Hitze und Licht wirkten gegen die Ab-
sorption. Wenn die Substanzen im Dunkeln viel Gas absor*
birlen, so verloren sie beim Lichle das Gas vollslandig.
5. Elastidtat und electrischer Zustand der Atmosphare
schienen keinen Einfluss auf die Absorption auszuiiben.
6. In der Intensitat der AbsoqHion tibertrafen Humus und
Eisenkalk alle iibrigen' Korper.^
Emmert theilte noch einige Gesetze niit, die iibrigens
von geringerem Interesse sind.
Auch konnen hier die von verscbiedenen Gelehrten an*
gesteiiten Versuche iiber Absorption der Gasarlen durch Kohle
passenden Platz finden.
Das Absorptionsvermogeh der Kohle wurde gleichzeitig
von Scheele und Fpntana, unabhangig von einander, enl-
deckt. Es beschaftigten sich damit viele Gelehrte, von denen
nur die wichtigeren hier aufgezahlt werden konnen , namlich;
Fontana: Compressibililat der Gasarten. Gilberts
Annalen der Physik XV. 67.
Graf V. Morozzo: Ueber die Absorption der Kohle.
Ebendaselbst XVUI. 239.
Verdichtung der Case durch die Kohie. Ebendaselbst
XL VII. 115.
Roupe und van Norden: Journal de Physi-
que LVIII/
Die wichtigste Arbeit verdankcn wir dem beriihmten Na-
turforscher Theodor v. Saussure*) Professor zu Genf.
Hier wird es nicht tiberflussig sein, einige Resultatc seiner
lehrreichen Arbeit kurz auseinanderzuselzen.
*) Gilb. Annalen der Pliysik XLVII. 113.
Der BinflaM 4et in den AckerbodM eiillialt«Mii EtoeMzyde etc. I49
A. VeT8uehe mil reinen Gaseo.
Hier Bind besonders zu bemerken:
a) Eiafluss des atmospharischen Wassers. Wenn die Kohle
einige Zeit sich an der freien Luft befindeii sO' saugt sie Was-
serdampfe aus der Atmosphare ein, so dass man aie gewSbn-
lieh su den Absorpiionaversucben durcbzuglahen pflegi; aonsi
kann man kein reines Resuliat erwarlen.
h) Einflasa der Porosilat Die Dichtigkeit der Kohle ateht
im geraden Verhaltnisse zu der Absorption, aber nur bis sti
einem gewissen Grade, Sehr dichie Kohlenarten, wie %. B«
Graphit, absorbiren kein Gas mehn
e) Einfluss des barometrischen Dmckes. MiUelst der Lnft-
pumpe kann man die Kohle Ibeilweise von den absorbirlen
Gasen befreietti doch ein Theil der ietzten bleibi in der KoMe
barinackig znruck.
i) Der Einfluss der Temperaiur steht im umgekehrten
Verhaltnisse zu der Intensilat der Absorption. Um eine KoMe
von den eingesogenen Gasen zu befreien, ist die erstcre
durchzuglnhen*
B. Versuche mil vermischten Gasen*
Saussure^ebt hier folgendes an:
Wenn die Gase vehntscht sind, so findet bei der Absorp-
tion eine Art von Wahlverwandtschaft statt, und zwar:
1. Wird die mit einem Gase sehon geschwiingerte Kohle
in ein anderes Gas gebraehti so verliert sie einen Tbeil des
erstereUy und ersetzt es durch das letatere. Wenn das erstere
verdichtungsfahiger, als das letztere ist, so vergrossert sich das
Gasvolumeu um die Kohle, und es entstebt Kalte, und umge«
kehrt. Wenn die Kohle in ein Gemisch von zwei Gasen ge-
brachl wird, so absorbirt sie mehr von dem, zu welcbem sie
grSssere Yerwandtschaft hat So z. B. verschluckt sie aus
der atmospharischen Luft Sauerstoff und lassl Stickstoff zuriick.
% Wenn man ein Gas mittelst eines andern aus der
Kohle austreiben will^ so gebrauche man das austreibende Gas
im Ueberschuss.
150 PlijaikalMcti«iiii»themmtiMsii<» WisMiiBcfaaftcnu
3. Weon die Koble demEinflusse einiger Case sugleich
unierworfen ist, so absorbirt sie diese in grosserer Menge, als
einzeln filr sicb.
Saussure's Meinung, dass bei der verstarkten Absorp-
iioa vermischter Case keine diemische Verbindung siattfinde,
wurde in neuerer Zeit als grundlos erwiesen. Er besliitigte
nicht die ResuUate von Roupe und van Norden, dass
Wasser. gebildet werde in dem Fall, wenn man mil Wasser-
ato%as geschwangerte Kohle in Sauerstoffgas bringt; doch
Dulong und Thenard*) haben bewiesen, dass umWasser-
stoff und Sauerslolt in der Kohle au Wasser su verbinden^
350^ C.^ erforderlich sind; die Kohle aber wirkt aaf ein Ge*
misch von Schwefehvasserstoff und Sauerstoff oder atmospha-
rischer Luft schon bei gewohnlicher Temperatur sersetsend
ein; namiich, wenn man mit Schwefelwasserstoff gesiittigte
Kohle in (rocknen, uber Quecksilber aufgefangenen Sauerstoff
bringt, so entsteht Wasser unter Explosion und Abscheidung^
von SchwefeL
Aile bis jetzt von Saussure abgehandelten Geselze sind
von besonderem Interesse, weil sie nicht nur fur Kohle, son-
dem auch fiir andere Korper . geUen.
Ausserdem ist hier die sich bei der Verdichtung der Gase
durch die. Kohle entwickelnde freie Wiinne zu bemerken. Zur
Bestimmung dieser Warme bediente sich Saussure bei sei*
nen Versuchen eines kleinen Thermometers, dessen Kugel er
in der Kohle befestigte. In grossen Massen pulverisirter Kohle
ist, in Folge der Verdichtung des Sauerstoffs aus der Atmo-
sphare, die sich entwickelnde freie Warme zuweilen so bedeu-
tend, dass freiwillige Entzundung entsteht. In dieser Hinsicht
verdienen die Beobachtungen des Obersten Aubert **) vollige
AufmerksamkeiL
Ueber andere Korper ausser der Kohle hat Saussure
folgende ResuUate mitgelheilt.
Temperatur 15® C. Barometersland etwa ^30.
•) Annates de Chimie et de Physique, 2 Serie XXIV. 380,
**) AnnaUs de Chimie et dePhysiqae XLV. 73 und Annalen derPhysik
and der Chemie XX. 451.
Dvr EiafluH der in dein Aekarboden «iithalteBen Eitanxyit etc. 151
»P!»S
1 :-§3li-3
ailoM
1 !:-533ls
iioqnspun
t IM3I3
i|oq«Bini«j,
1 S-iiSlI
i)oqj»(Ki|o«H
1 liilSI
^loiliasBH
1 si-Sill
ipiiuiSiag
1 S-i'lSI
s<l.(o
1 1 1 1 iij
ZJBiibuiiuiAiiias
1 SS-illS-
iieiidojp.(n
J5K S55S-I5
3|J0^ajai[
SM ilSiSi
>EaqBEZ]0[]
5M ^21111
jajaiqDsqsrx
s- 1 1 s-:-ss-£-l
Dineq3U9>H
s-ii:45s-:-3:-l
J
BM,
152 Pbysfkallsch-inttbematiMh* WitMiitchafteB.
Alle diese Kdrper waren bei verschiedenen Bedingungen
dem Einflusse der Gase dargeboten. Einige wurden gegliiht,
als: Holzasbest, Bergkork und Schwimraquarz; Meerschaum
wurde erwarmt und im luftverdiinnten Raume abgekiihU;
Gyps wurde mil Wasser vermiscbiy und dann nach dem Er*
harlen in's Gas gebracht, Klebschiefer wurde im luftverdiinn-
ten Raume, Hydrophan und Bergmilch an der Luft, und alie
Holzarten, so auch WoUe und Seide iiber Chlorcalcium ge-
trocknet. Ausserdem ist hier wohl zu bemerken, dass alle
Korper, mit welchenSaussure Absorplionsversuche anstellte,
beim Einbringen in die Gase auch viel Quecksilber verschluck-
ten. Nur Kohle und Hydrophan machten hiervon eine Aus-
nahme.
Ich erlaube mir jetzt von meiner eigenen Arbeit Rechen*
schaft zu geben. Auf Veranlassung des Hm. Prof. N. Je-
ljesnow wurde mir dieEfare, den Einfluss der in den Acker-
erden befindlichen Eisenoxyde und des Thons auf die Absorption
desAmmoniaks durcfa die fiodenarten mittelst einerReihe von
Versuchen zu bestinunen. Ich unternahm diese Arbeit im
Pharmaceutischen Laboratorium unter der Leitung des Hm.
Prof. Laskowskji.
Die Substanzen, die mir vom Hm. Prof, Jeljesnow zum
Untersuchen geliefert wurden, waren grosstentbeils von un-
bestimmter chemischer Zusammensetzung, namlich, die in der
Natur vorkommenden Thonarten und Ackererden. Um eini-
germassen auf die Eigenschaflen solcher Substanzen schliessen
zu konnen, muss man viele Resultate analylischer Arbeiten
vor sich haben. Gegenwartig besitzen wir noch nicbts in die-
ser Hinsicht. Ich habe mir vorgenommen, die unlen angege-
benen Thonarten einer genauen chemischen Analyse zu unter*^
werfeUi diese umstlindliche Arbeit aber, die sehr viel Zeit
erfordert, ist nur im Anfange, kann deshalb hier nicht angege-
ben werden, und wird der Gegenstand einer spcciellen Unter-
suchung sein.
Um bei den Ackererden, die bekanntlich mehr oder weni-
ger reich an organischen Bestandtheilen sind, die Quantitat
Der BinfloM der in den Aekerboden enthallMien Biten'oxyde etc 153
dieser letsleren dnnSherungsweise £U bestimineii , nahm ich
einen gewissen Antheil der bei 100^ C. gelrockneten Brde,
und unterwarf sie in einer Platinschale auf einer WeingeisU
lampe mil doppeltem Luflzuge dem Gliihen bis zur voUstan-
digen Zerstdrung der breniibareu Stoffe. Nach voUendeter
OperaUon wurde die Schale iin luftvardiinnten Raume uber
Schwefelsaure einige Zeit atehen gelaasen, dann gewogen,
und der Gewichlsverlusl als organische Substanzen berecbnei.
Um die in Salzsaure aufloslichen Bestandtheile zu be-
stimmen, wurde der gegliihle Rucksland mit dieser ersieren
ubergossen und wiederholt gekocht, die Masse filtrirt, der
Riicksland ausgesiisst^ gelrocknet, gegltiht, gewogen, und der
Gewichtsverlust nach Abzug der Filterasche fiir die in Sals-*
siiure auflosbaren Theite gerechneL
Ein anderer Antheil der fein gesiebten Erde wurde nach
dem Gliihen geschiaoimt Der aus grSberen Theilen beste-
hende Riicksland getrocknet, gegliihti gewogen und der Ge«
wichlsverlusl fiir den absehlammbaren Theil genommen.
Obgleich diese Methode am schnelisten zum Ziele fiihrte,
so kann man behaupten, dass sie nur unvollstandig waf.
Ich beslimmle die Absorptionsfahigkeil- der folgenden
secbzebn Substanzen, von denen die vier ersten von genau be-
stimmter^ die letzteren zwoU aber von nocb mcht ermitleller
chemischer Zusammensefzong sind.
A. Substanzen von genau bestimmter chemischer
Zusammensetzung.
L Eisenoxyduly FeO, berdtete ich aus rostfreienMageln
die ich in verdiinnter Schwefekaure aufldste. Nach sorgKlti«*
get Krystallisalion wurde das erhaltene schwefelsaure Eisen-
oxydul in distiilirtem VVasser, welches vorlaufig ausgekocbk
war, aufgelost, und mit concentrirter Kalilauge, die ebenso nut
ausgekochtem Wasser verfertigt war, priicipilirl. Der Nieder-^
scUag wurde ausgewaschen , im luftverdiinnten Raume ge-
trocknet, die von aussen gebildele Rinde von Eiseooxyd ab-
154 Pbysikalisch-mathematisGhe Wifsenschafien.
geschabi, und in diesem Zustande gepriift DieSchwierigkeit
dieses Praparai rein darzuslellen erlaubte mir nur wenige
Versuche damil auszufiihren.
2. Eisenoxyd, Fe,0,, erhielt ich auch durch Krystallisa-
tion gereinigtem Eisenvitrioi unter Zusalz von concentrirter
Schwefelsaure und Oxydalion des Oxyduls miUeist Salpeter-
saure zum Oxyd. Nach den Entweichen der rothen Dampfe
wurde die Masse mil Wasser verdiinnl, fiitrirt, milAmmoniak
pracjpitirt und der entstandne Niederschlag so lange auf einem
Filler gewaschen, bis ein Theilchen des ablaufenden Wassers
auf Plalinblech verdampft keinen Riicksland hinterliess und
Chlorbaryuinlosung nicht triibie. Das specifische Gewicht des
auf diese Weise dargesteiUen Eisenoxydes war im lufUrocke*
nen Zustande 3,41, des bei 100® C. getrockneten 3,421, des
gegliihten 5,208.
3. Thonerde, Al,0,, erhielt ich aus Alaunauflosung, die
ich mit tiberschiissigem - kohlensauren Kali behandelle. Das
Gemfsch wurde bis zum Kochen erhilzt, der entstandene Nie-
derschlag ausgesiissii getrocknei, dann in Salpelersaure auf-
gelossi, filtrirt, und aus dem Filtrate die Thonerde mit iiber-
schiissigem Ammoniak ausgeschieden. Nach sorgfaltigem
Auswaschen wurde die Masse in massiger Warme getrocknet,
und in diesem Zustande besass die Thonerde das spec. Gew.
3,73, bei lOO"" C. getrocknet 3,62 und gegluht 3,55.
4 Gereinigter Thon wurde aus Gluchowschem Thone auf
folgende Art dargestellt: der Thon ward sehr vorsicbtig ab-
geschlammt, die geschlammte Masse in verdiinnter Salzsaure
einige Stunden in massiger Wiirme digerirt, dann aufs Filter
gebracht, und mit destillirtem Wasser so lange ausgewaschen,
bis diezuletzt ablaufendeFliissigkeitSchwefelcyafukaliumlSsung*
nicht farbte. Um die Ueberzeugung zu gewinnen^ dass alle
in Salzsaure auflosbaren Stoffe entfernt waren, wurde die
Operation mit einem Theile der schon auf eben beschriebene
Weise gereinigten Substanz mit erwiinschtem Erfolge wieder-
holt. Das specifische Gewicht des lufttrocknen Thones fand
Der Binflass der in clem Ackerboden enthaUeneii Risenozyde etc. 155
ich 2,246, des bei lOO'' C. gelrockneten 2,197, des gegiith-
len 2,018.
B. Substanzen von nicht ermittelter cheniischer
Zusammensetzung.
a) Thonarten.
5. Gluchowscher Thon, genommen im Tschernigower
Gouvernements-Bezirke zu Gluchow, weiss von Farbe, von
sehr geringem Eisengehalte. Im lufltrockenen Zuslande fand
ich das spec. Gew. dieses Thones 2,27, bei 100® C. getrock-
net 2,18, in gegliihlem Zuslande 2,032. Der Operation des
Schlammens unterworfen lasst er nur einen unbedeutenden
Riickstand zuriick. Einige Modifikationen dieser Thonart sind
in Moskau im Handel zu bekommen.
6. Ockerhaltiger Thon, genommen an der Oka im Ka-
Jugischen Gouvememenls-Bezirke zu Kaluga, dunkelroth ge-
farbt, vom muschligem Bruche; im Wasser bildel er einen
dunkelrothen klebrigen Teig. Das spec. Gew. des lufltrocke-
nen betriigt 2,84, des bei 100® C. gelrockneten, 2,65, des ge-
gliihten 2,375. Aus 9,36 Grmm. des bei 100® 0. gelrockneten
Thones blieben nach dem Abschlammen 3,65 Grmm. zuriick.
Der qualitativcn Priifung nach schien das ein Eisensilikat mil
ein wenig Thon und anderen Beimischungen zu sein.
7. Sandiget* Thon (Pe^tsch^nka) aus dem Moskauschen'
Gouvernemenls- Bez. zu Bogorodsk, von Minino, in dieser Thon^
art kann man die noch unzersetzten glanzenden Glimmer-
schuppen mil unbewaffnetem Aoge bemerken. Spec. Gew. des
luftlrocknen 2,309, des bei 100® C. gelrockneten 2,23, des ge-
gliihlen 2,108. Aus 10,52 Grmm. des bei 100® C. gelrockne-
ten Thones fand ich 4,335 Grmm. abschlammbar.
8. T5pferlhon, ebendaher, genommen zwischen den Dor-
fern Rjatsehiza und Nowaja, griinlichgrau gefarbt, von musch-
lichem Bruche, beim Gliihen farbt er sich braun; specifisches
156 PJiydkaliscb-iiuUhematitcbe WiMenschftften.
Gewichi des luritrockeoen 2^, des bei 100® C. getrockhelen
2,31, des gcgliihien 2,161. Aus 7,352 Grmm. des bei lOO"" C.
getrockneten Thones babe ich 4,68 Grmm. abgeschlamuit
9. Fayan^ethon, ebendaher, genommen zu Wochna, gelb-
lichweiss von Farbej mii sichlbaren GJiounerschuppen , speci-
0s€hes Gewichi des lufttrockenen 2,521, des bei 100® C. ge-
irockeneten 2,37, im gegiiihten Zustande 2,09. Aus 8,73
Grmm. des bei 100® C. getrockeneten sind 5,35 Grmm. ab-
schlammbar*
10* Seifenthon (Mylowka), ebendaher, genommen su Ji-
rowo, blaulichgr^u gelarbt, von muschlichem Bruche, \inler
dem Polirslal niinmt er eipe glanzende Oberflache an. Spe*
cifisches Gewichi des an der Luft getrockneten 2^466, des bei
100® C. getrockneten 2,32, des gegluhten 2,167. Aus 11,32
Gramm. des bei 100® C. getrockneten Thones sind 8,62 Grmm.
abschiammbar.
b) Ackererden.
11. Ackererde aus der agronomischen Normalanstalt
(ferme modele) unweit von Kasan, von ziemlich dunkler Farbe.
Im lufltrocknen Zustande £and ich das spec* Gew. dieser Erde
2,2, bei 100® C. getrocknei besass die Erde das spec. Gew.
1,95. In 3,631 Grmm* fand ich 0,317 bei der Rotbgitihhitze
zerstorbare organiscbe Beslandtheile. Aus 3,314 Grmm. der
gegluhten Erde zog kochende Salzsaure 0,265 Grmm. Aus
5,621 Grmm. der gegluhten Erde enthielten 1,03 Grmm. ah-
schliimmbarer Theile.
In 100 Theilen:
Organischer Substanzen 8,73
In Salssiiure loslicher Bestandtheile 7,99
Abschlammbarer Theile 18,21.
12. Untergrund derselben.
13. Ackererde aus der agronomischen Normalanstalt un-
weit von Moskau in Butyrki genommen. Im lufttrocknen Zu-
Der fiinfloM der In dem Ackerbodtn entbaltonen Bitenoxyde etc. ]57
stande fand ich das spec. 6ew. dieserErde 1^986; beilOO^C.
gelrocknet fand Hr. Preobrajenskji 1,8.
14. Ackererde aus dem Simbirakschen Gouvernements*
Bezirke von Sysran, genommen 7 Werst von Jumofka, sehr
humusreich. Spec. Gew. der lufttrocknen Erde fand ich 2,17,
der bei IW C. getrockneten 1,954. In 3,94 Grmm. der bei
100® C. getrockneten Erde fand ich 0,666 Grmm. in der Roth-
gluhhilze zerstorbare Bestandtheile ; in 2,974 Gramm. der ge*
giiihten Erde waren 0,362 diircb kochende Salzsaure ausziehbar.
Aus 7,324 Grmm. der gegliihten Erde wurde 2,13 Grmm. ab«
geschlammt.
in 100 Theilen:
Organiseher Substanzen 22,00
In SahsSure iSslicher Besiandtheire 12,18
Abschlammbarer Tbeiie 29,08.
15. Ackererde, genommen 6 Werst von Buinak im 5im-
birakschen Gouvememenfs-Bezirke von Buin^k, sehr humas-
reich; spec. Gew. der an der Luft getrockneten Erde 2,163,
der bei 100° C. getrockneten 2,07. 3,501 Grmm. der bei lOO^'C.
getrockneten Erde verioren in der Rothgliihhitze 0^55 Grmm.
Aus 1,951 Grmm. zog kochende Salzsaure 0,396 Grmm« aus.
Aus 8^ Grmm. der gegliihten Erde babe ich 3,37 Grmm. ab-
gesehlamnit.
'In 100 Theilen:
Orgamscher Sobstansen 15,71
In Salzsaure ISslicher Bestandtheile 13,42
Abschlammbarer Theiie 40,41.
16. Ackererde aus dem fimbirskschen Gouvemements*
Bezirke von ^sran, aus dem Felde des Dorfes Ratscheika
in der Tiefe von V/^ Arschin genommen, sehr dunkel von
Farbe. Spec. Gew. der an der Luft getrockneten Erde 2,203,
der bei lOO"" C. getrockneten 1,968. In 3,631 Grmm. bei
100^" 0. getrockneten Erde fand ich 0,899 Grmm. in Roth-
gliihhitze lerstorbarer Stoffe. 2,698 Grmm. enthielten 0,279
Grmm. in kochender SaizsSure auflSsbare Theiie. Durch Ab-
]58 Physikalisch-matliematitche Wissentchaften.
schlammen wurden aus 6^ Grmm. der gegliihten Erde 2,71
Grmm. abgeschieden.
In 100 Theilen :
Organischer Subsianzen 24,48
In Salzsaure loslicher Beslandiheile 11,01
Abschlammbarer Theil 42,67.
Aile eben erwahnten Substanzen wurden nach folgender
Meibode geprtift:
Eine Probe der za untersuchenden Subslanz ungefShr
von der GrSsse eines Cubikcentimelers , lufUrocken, oder bei
100® C. getrocknet, wurde im Recipienten der Luftpumpe im
moglichst luftverdunnten Raume so lange gehalten, bis man
sicher sein konnte, dass die friiher verschluekten Gase und
Dampfe theilweise eniwichen. Nach dieser Operation wurde
die Substanz in einem verdeckten Porsellanschalchen mog-
lichst schnell gewogen, und vorsichtig in die RShre, welche
die bestimmte Quantitat des zu untersuchenden Gases enihielt,
durchs Quecksilber gebracht
Die gegliihten und mit destiilirtem Wasser angefeuchteteli
Substanzen wurden nur gewogen, ohne vorher in den eva-
cuirten Raum gebracht zu werden.
Der Apparat bestand aus einer graduirten CoUardeauschen
Rohre von dem Volumen von 100 Cubikcentimeter, die in
einer Quecksilberwanne miltelst eines Halters in verticaler
Richtung befestigt war. Das Ganze wurde mit einer Glas-
glocke bedeckt, einerseits, urn das Quecksilber vor Staub zu
schiitzen, andererseits, um die nachlheiligen Quecksilberdampfe
zu vermeiden.
Die graduirte Rohre wurde jedesmal mittelst eine3 bis
auf den Boden reichenden Glastrichters mit Quecksilbet ge-
fiillt, um die sich durch das Fallen des Quecksilbers bilden*
den Luftblaschen zu vermeiden.
Das Ammoniakgas bereitete ich aus Salmiak, gemischt
mit gebranntem Kalke. Um das Gas voUstandig trocken zu
erhalten, wurde zwischen der GaslettungsrShre und der Re-
Der EinflasB der in dem Aekerboden enthaitenen Ruonoxyde etc. 168
torte, aus welcher das Gas entwich, eine mit Aetskalistiicken
gefiillte Rohre mittelst eines Kautscfauk-Rehrchens be*
festigt
Ictv beschaftigte mich vorher mit denjenigen Substansen,
deren chemische Eigenschaften bekannt sindj um eine genaue
Vergleichung mil den Substanzen von iiicht ermiltelter che*
mi^cher ZusammeoseUung anstellen zu konnen; dann ging
ich zu den letzten iiber, namlich, zu den Thonarten und
Ackererden, die in dem Zuslande wie sie in der Natur vor-
kommen gepriift wurden.
Die nachstehende Tabelle enthalt die empirischen Resat
tale, weiche ich durch die Unlersuchung nach der oben be-
schriebenen Melhode ermillell babe. Das Gewicht der bei
den Versuchen angewandlen Subslanzen ward auf 1 Grm.
reducirt
Ermans Russ. Archlv. Bd. XI. H. 4.
11
Pb^ikkliicb-inatJiBnatiieli* WiM<-n«dukften.
tC ■-'; 1^ lO -^ ■^ •£> ■r^
go C r- — Ct O iC Q
o' o' Qo" r-" in" ^c" oT c^~io
-SNiW "! i(3nj|iijiin
■<3" <0 u^ O lO iO "O O '15 O to ^ lO »0 '« lO
^O — Q — CrjOOrE — inO--
-!1I!W "! nanJI'MiT
'r; — co'.c — w .n -J
^ .fj li o ^c -t- lO ^ iO -.c L^
t;«>OM —
- coe^-V'-Qi^W'OiOiOii
; 2^"^'
■fhfcf
C* O ■»!■ lO CTl «
— ooo —
o t^ ■« o c
ss
o — — oo
c-t — PI c- m
lOtc-tooiCiOinic
■3 ipOU •IBJScllD-',!, ;
t gaii -1111110 ^ ;
' — 22*^22 — — — "^^ '^*£
■ (N d 6t c
sss
so -"QOQ
Der EinfloM der in dem Ackerboden enthalteneto Biae'nDxyde etc. {61.
Jede Probe der zu' untersuchenden Substanz wurde mil
Ammoniak wenigstens 24 Slunden in Bertihrung gelialten, uni
am Ende jedes Versuches Temperalur und barometriscber
Dnick beobachlet.
Zur anschaulichen Darslellung der Resullale sind die em-
pirischen Data in folgender Tabelle II. auf die Temperalur 0®
und den Druck von 760"*" reducirt. Bei' der Reduclion
«
von der beobachtelen Temperalur auf 0® gebrauchle ich als
Ausdehnungscoefficienten der Gade fiir 100° die.Zabt Ofi^,
fiir V milbin =s: 0,00865. Die Reduclion 4es gefundeneki.Vo-
lumens bei der beobachleten Temperalur wurde iMich der
Formel
vr -
1 +(0,00365. >0.
ausgeftihrl, wo v das Volumen des Gases bei der beobachle^
ten Temperalur, und n^ die beobachlele Zahl der Temperature
grade beim Versuche andeulel.
Die Reduclion von dem beobachleten baromelrischeD
Druck auf 760*"" wurde nach der Formel
t;.760"""
tr =
P
berechnel, wo p den beobachleten barometrischen Druck, (/.
das Vohimen des Gases bei O'^ andeulel.
11'
162
Physikalisch-inathemftiisehe Wiftenscliaften*
II. Tabelle der auf 0® und auf yfiO-^"" reducirlen Re
sullate.
Sabstanzen
•
25,86
26,42
23,51
•
22,92
24,12
21,80
•
25,65
25,64
22,70
t
25,64
25,46
24,41
•
21,37
22,06
20,40
•
23.44
24,80
23,50
•
27,15
27^
23,80
•
22,27
24,45
21,80
k
23,72
23,62
22,89
•
17,00
17,43
14,98
•
14,36
12,19
11,53
•
12,92
12,43
14,45
•
16,33
11,37
10,74
«
22,62
13,73
19,46
•
16,44
13,18
15,10
1) Eisenoxydul
2) Eisenoxyd .... 25,86 28,42 23,51 0,00
3) Thoncrde .... 22,92 24,12 21,80 10,34
4) Gereiniglcr Thon . . 25,65 25,64 22,70 7,69
6) Gluchowscher Thon 25,64 I 25,46 24,41 6,75
6) OckerhaUiger Thon . 21,37 22,06 20,40 5,06
7) Sandlliott .... 23,44 24,80 23,50 6,24
8) TJJpferthon .... 27,15 27,50 23,80 9,00
9) Fayan9ethon . . . 22,27 24,45 21,80 2,84
10) Seifenthon .... 23,72 23,62 | 22,89 6,48
11) Ackererde .
12) Untergrund .
13) Ackererde
14) Ackererde .
15) Ackererde
16) Ackererde .
Die II. Tabetle zeigt also, wie viel Cub. Centim. Ammo*
niak von 1 Grm. der zu untersuchenden Subslanz verschlucki
wurde. Um die Substanzen auch iih Volumen auszudriicken,
multiplicirte ich die Zahlenwerthe .der obigen (II.) Tabelle
inii den Zahlen der specifischen Gewichte der enlsprechenden
Substanzen, wie es leicht aus der IIL Tabelle w ersehen ist.
Der BinflasB detr in dem Ackerboden entbaltonen BiMnoxyde etc. 163
S
111. Tabelle bei Temperalur 0* und JeO"*"* barome
Irischen Druckes.
•
Lnft
net
tillir-
isier
btet
e e
**
Sabstanzen
An der
getrock
Mit des
tern Wa
befeuc
Bei 100
getrock
IS
f
1) Eisenoxydul
2) Eisenoxyd ....
88,18
97,22
79,42
0,00
3) Thonerde • . • .
85,49
89,95
78,92
36,71
4) Gereinigter Thon
57,60
63,07
49,87
16,19
5) Gluchowscher Thon
58,43
57,79
53,19
13,72
6) Ockerhalliger Thon
60,69
62,65
64,06
12,01 .
7) Sandihon ....
64,12
67,26
51,63
13,15
8) TSpferlhon ....
68,69
69,57
55,03
19,44
9) Fayan^elhon . . .
56,12
61,61
51,66
5,91
10) Seifenthon ....
60,01
59,76
53,10
11,88
11) Ackererde
37,40
38,34
39,41
12) Untergrund . • .
34,65
28,41
24,90
13) Ackererde ....
25,66
24,68
26,01
14) Ackererde ....
35,44
24,67
20,96
15) Ackererde ....
48,93
29,39
40,28
16) Ackererde ....
36,21
29,00
29,72
Wenn man die Abso
nimmt, so lasst sich die
IV. Tabelle aiisdriicken.
rptionscapaciUil der
der ubrigen Stoflfe
A]auneide ols 1
nach folgender
164
Pliytikalitoh - mathematische Wiaaensohafleii.
IV. Tabelle.
P ^
1
'•^ mi "^^
«i«
Sulistanzen
-1 '
'^1
c 5
9>
15
»
e -A
<
n
1) Eisenoxydul
■
-
2) Eisenoxyd ....
1,03
1,09
1,01
0,00
3) Thonerde ....
1,00
1,00
1,00
1,00
4) Gereiniglcr Tlion
0,67
0,70
0,63
0,44
5) GIttchowscher Thoii
0,68
0,64
0.67
0,38
6) Ockerhaltiger Thon
0,71
0,69
0^81
0,33
7) Sandihon ....
0,63
0,63
0,66
0,.36
8) Topferlhon
*
0,80
0,79
0,69
0,53
9) Fayan^elhon
•
» <
0,66
0,68
0,66
0,11 '
10) Seifenthon . .
> <
i
0,70
0,66
0,67
0,32
11) Ackererde . .
r •
1
0,44
0,43
0,49
12) Unlergrtmd
•
•
0,40
0,33
0,32
*"
13) Ackererde . .
•
«
0,30
0,28
0,33
14) Ackererde . ,
1 <
t
0,41
0,28
0,27
15) Ackererde . .
f
t
0,67
0,33
0,51
16) Ackererde . .
•
<
0,42
0,32
0,38
Jetzt steht inir noch bevor, von der Zuruckhaltung des
eingespgenen Gases durch die von mir untersuchten Substan-
zen etwas mitzutheilen. Der freien Luft nach der Operation
ausgesetzl, verloren die Substanzen das eingesogene Gas nur
langsam und unvollstandig, so dass man noch nach einigen Tagen
das Aminoniak nachweisen konnle. Auch im evacuirten Raume,
oder bei einer Temperalur nichl liber 100^ C. eutwich das
verschluckle Gas aus der Substanz nichl vollstandig, beson-
ders Eisenoxyd, Thonerde und Thon hielten das Gas harU
nackig zuriick. Die gegliihten Alaiinerde und Thone besassen
diese Eigenschaft im hoheren Grade, so dass nach dem Ein-
bringen jener Korper in warmes Wasser, einige Tage nach
Der Einflass der in dem Ackerboden enthaltenen Bisenozyde etc. 165
der Operation, dieses letztere ammoniakalischen Geschmack und
alkalische Reaklion bekani.
Die von mir angesteliten Versuche waren bei gewdhn*
licher Temperatur und Lufldruek ausgetuhrt, so dass der Un-
terschied swischen den letzleren in einzeinen Versuchen nur
unbedeulend war. Es ist wiinschenswerih diese Versuche bei
einer constanten Temperatur, z. B. bei 0^, und bei einem ver-
stiirkten, auch bei bedeulendi verminderten Drucke auszuriih-
ren ; ich veriiere die Hoffnung nicht, zu diesen Versucfien noch
einmal zuriickzukehren.
Durch diese Unlersuchung bin ich zu folgenden Schltis-
sen gekommen:
1) Eisenoxyd und Thonerde iui freien Zustande absorbi-
ren mehr Ammoniak, als in Verbindung mit Kieselsaure.
2) Eisenoxyd ini gegliihlen Zuslande absofbirt kein Am*
moniakgas mehr. Das spec. Gew. dieses KSrpers ist in diesem
Zuslande 5,208.
3) Thon und Thonerde absorbiren im gegluhten Zustande
verhaltnissmassig weniger Amnioniak als bei einem gewissen
Feuchligkeitsgrade.
4) Die im fruchlbaren Ackerboden befindlichen Eisenoxyde
und der ihonige Antheil befordern die Absorption des Ammo*
niaks aus der Atmosphare.
Lieutenant Pints Reise.
IM ach Zeitungsnachrichten vom Januar 1852 diirften die oben
besprochenen Untersuchungen (in d. Arch. Bd. XI. S, 82)^ fiir
jetzt entvveder gar nicht odcr doch nicht von Englandern aus*
gefiihrt werden. Lieutenant Pirn wiirde vielmehr, wie er an
Herrn Murchison geschrieben hat^ schon von Petersburg
aus, seinen Ruckweg nach London antreten, nachdem ihniy
namentlich durch Schilderungen der Herren Bar und Mid-
dendovf, die Schwierigkeilen seines Vorhabens abschrecken*
der und dasjenige was Russischer Seits zur Aufiindung der
Frank! in schen Expedition bereits geschehen, bekannter ge«
worden sei als bisher. Herr Murchison verspricht derLon*
doner Geographischen Gesellschaft ausfuhrlichere Mittheilungen
iiber dieses friihzeitige Scheitern eines Planes, an dem sie so
lebhaften Antheil genommen habe.
Druck von Georg Reimer.
J
f
Archiv
far
\¥isseii8chaftliche Kunde
von
R u s s 1 a n d.
Herausgegeben
▼on
A. K r m a n«
Elfter Band*
Zweites Heft.
Mit Tier Tafeln.
Berlin,
Verlag Ton Georg Reimer.
1852.
Scenen aus dem Leben in Orasien. *)
W&hrend in einem Kreise Trinker mil einander sankteti)
gab das Fest in anderen Kreisen zu ganz anderen Scenen
Veranlassung. Hier wurden Miitzen so geschickt in die Hohe
geworfen> dass sie beim Niederfallen wieder gerade auf die
Kopfe ihrer Besitzer kamen; dort fiihrten kleine Kinder mit
nackten FuDsen Tanze auf, und die sitzenden Ei^'achsenen
klatschten beifallig in die Hande. Heiiere Lieder, die Einzelne
zumBesten gaben, wiederholten die Chore larmend. ^asan*
dare**) gingen von einem Kreise zum anderen und unter«-
hielten die Leute mit ihren Crzahlungen. Die grusischen Mi-
nistrels sind mebt hochbejahrle Manner, die keine Arbeiten
mehr thun konnen. Ihr musikalisches Instrument, das sie nicht
aus den Handen lassen, ist ein abgehobeltes Biiffelhorn, mit
einer Reihe kleiner Oeffnungen der Lange nach, mit Klappern
am weiten Ende und einem daran befestigten aufgeblahten
Schlauche; die mit der Hand aus dem Schlauche gedriickte
Luft zieht durch das Horn, und so entsteht ein monoloner
Schall, der aber durch das Spiel der Finger an den Oeffnun-
gen vermannigfaltigt wird. Der ^asandar erlangt durch be-
standige Uebung die Fertigkeit, Verse iiber gegebene Themata
*) Fortsetzang und Schlass einet ArtikeU, detsen Anfadg im 10. Band«
zu lesen.
**) yfo\ einea Ursprangs mit dem pertitchen ViAjxLaw #&sanda oder #a-
sende Mnsikdr, Ton Mk% masiealuiebes Instrument
BxuMDM JIUBB. ArchiY. Bd. XI. H« S. 12
}g3 Allgeiuein Literaritches.
zu improvisiren; seine Melodieen sind eintonig und schwer-
muihig.
Der Wein von der Rebe isl im ostlichen Grusien das ge-
wohnliche GeirSnke^ mil welchem die Eingebornen von frii-
her Jugend an sich vertraut machen^ und welches dem arm-
sien Schlucker su keinem Imbisse, den er that, fehlen darf.
Wenn es ja einmal vorkommt, dass ein Kachelier keinen Wein-
garten^lntyf-fio seM ^r:AUeflr dtraii , 'vm weiug^teoii^ inimer
Wein zu haben. Man trinkt den Wein in grolisen Quantila-
ten. Bei einem langen Fesigelage nimmt ein geiibter Trinker
ein ganzes Tschelwert bequem zu sich;. die Ermel der Tschoeha
bis an die Schulterh zurucksciilagend und den'Giirtel losend,
welleifern die Ti3chgen6sseh im Poculireii/ wahrei^d das ver-
dampfende edle Nass aus .alien Poreri' .de$*K5rpers dring(.
Ohne Beimischung anderer Ingrediehzen ist der T^eiii. un-
schadlich; aber unihafsi^er'Hang. zii dem$.elben giebt sich
durch zerslorende .Wirkuiigen kund: dahin gehort ein holiter
Husteni diese'in KacheUen geivobnUche PWge.
£!s war ziemlich kalt geworden. Auf dem freien I^atz
der Kirche errichtete man eiiien grofsen "Efolzstofs, deii' die
Gruppen von alien S'eiten umgaben. Dfe allgemeine Heiler-
keit aulserte sich in Scherzen, Possen lind lautem G'elachler;
Einige, die ihre Korperkrafl zeigen woUten^ versuchlen schwere
Steine vom Boden aufzuheben. Bald organisirten sich gym-
nastische Spiele. Einer aus dem Haufen sonderte sich* ab,
kriimmie den oberen Tbeil seines Korpers, das Gesicht zur
Seiie gewendet, und bot so den Spielenden seineh Rucken;
dann k^men die Uebrigen und volligirten von eiaem gewissen
Punkte aus der Reihe nach iiber ihn hinweg. Dabei zeigten
Einige grofse Gewandiheit und Geschmeidigkeit der Glieder;
sie ubersprangen einen Raum von ungefahr zwei 5ajenen»
ohne irgend mil Hand oder FuCs den zu beriihren, liber wel-
chen sie'hinwe^etzten; oder sie schlugen wahrehd desSprun-
ges einen Purzelbaum in der Lufi, und kamen wieder gerade
auf ibi^e FiiCse zu stehen.
Auch Tanze Erwachsener wurden aufgefiihrt Die Grup-
SceiMli alls dem Left«« ia Orasi^n. |)Q9
«f^ t^MeleW %\v^rf abgeson 'iter Spittte jisder
cRefihe '^tand ein kiindiger Sanger, und dds ^n'lVaAsfcauka^ieti
gewohftiiohe OrchesteV: '^Ifte Tromtnel mit eitier Surna oder
'tiifief' P1IM;6 aus Bambuirdhr. Der Trommler wirbeit ana
allen^KrSflish und derPttttenspieler blast dergestait/ Aass settle
«Augen mitBIui unterlatifen warden und der Kdfp'er ans^faWiHl,
'*nh ob tfc phrU^n 'wollle. Di^ Eingebomen finden arf rhrer
'Surna 'gfofsta Genuss', fast bei alien Ergdelichkeilen aiebt
man neben europaisehen Inslrom^ten auch die asialisehen,
'wekhe- jen^e mlt aller Gewall zu iibertauben suchen. Die
Liedef wtirden im Recitativ gesUiigen. Zuerst sang der Vor-
'Sanger der einen Partei einen Vers, in welchen seine- Partii
obligat einfiel, wahrend die aindere Gruppe scllMriti^g; darauf
Ihaten die Gegner yon ihrer SeHe ein Gieiehes; dabei stMog
Ailes in die Hande. - In den Raum swiichen bddto Gnippen
traten die TSnzer vbrrsie begannen mil kleinen Pas tmd ac^
gemden^Bewegungen, tiie aber, als das Blut in denAdem
iBtarker toHte, allmaltch ^'asch und rascher wurderi. Bald ge-
litigten^die P&s und Pirbueifen nicht mebr; es ttriscblen isfieh
auch Baj^zokiin^te hihein. ' ' '
Nach den Sf^i^fM dndTSnzen kato der Perehut m dift
Reihe. Es bildeie-sich'ein Kreis, der immer niehr anwuchft:
die Theilnebmergingeh ariftng^ rithig; tttit berabhangeiKlea
Armenj 'ia*dei* Htinde lierum ; ' danfi ' rBcklen sie dichter zu*-
» * * *
'^aolmeni^verRo'chteh ifare Arme, und kreisten sdNoteH, dabei
so stark aufstampfend', dass" der* Boden tinter fhnen erbebte.
Gesungen wurde dazu nach ^denselben Regein wie vorhin.
Tfie grusischen Lieder sind grfifstentheils Schdpfungen der
-i%sandair^s« Ifare Wei^en sind verschieden: wenn das idnere
Lieben ^s Volkei* besuHgerr wirdj so haben sie einen frdhli-
dien CharatMr ; sind aber Sicdnen aus der Geschichte der
Be^j'ehdn^^n' Gtusiens zu ^usseren Feinden ihr Gegensland,
so vH^d die Melodie kiagenti und schwermiithig. Lieder lez-
terer Art' sind die befiebtesten.
In eiiiem ' diesef PerchuPs sang man die Abenleuer des
lusdhnschen (tuscheliscben) Helden Ninia. Die Tuschinaen
12*
170 Allgemein Literarischef,
(Tuschetier), ein grusisches Bergvolk, wohnen auf derGrense
Kacheiiens und Lesgistans. Bestandige Reibungen mil den
Lesgiern haben ihren Muth bis zur Bewunderung gestahlt.
Trots ihrer kleiiien Zahl sind sie im ganzen Kaukasus ge-
fi^rte Heldeiii die oft grofse Scharen der Feinde zuriick-
werfen. Sie tragen gewichtige Panzer; ihre kupfernen Helme,
ihre Schilde und Armschienen flimmern in der Sonne. In der
mannlich schenen Gestalt, dem stolzen Blicke, den wilden
Nationalgesangen dieser Leute spiegelt sich das ritterlich edie
Selbstgefiihl der S5hne des Gebirges. Ninia gehorte zu ihren
merkwiirdigsten Characteren; seine Tapferkeit und Verwe-
genheit machten ihn in Lesgistan zum Spruchworte. Nicht
selten war er dort Gefangener und immer entwich er wie-
der unbeschadigt; daher waren ihm die Walder und Dorfer
der Lesgier sehr gut bekannt An der Spitze eines klei-
nen Gefolges, das ihm an Tapferkeit nicht nacbstand, legte er
9ich in Hinterhalte und nahm ganze Haufen Feinde gefangen.
Nichft selten zog er ganz allein iiber die Grenze, schweifte
zur Nacbtzeit umher/und trieb ganze Heerden schSner Sehafe
der Lesgier nach Tuschetien. Endlicfa verliels ihn sein Gliick :
zwanzig bewaffnete Lesgier feuerten aus einem Hinterhalte
auf unseren Helden; die erste Kugel todtete sein Pferd; er
selbst, wie wuthend er sich wehrte, wie vide seiner Feinde
er niederstreckte, ward, von todtlichen Wunden bedeckt^ er-
griffen, Man schnitt seinen Korper in kleine Stiicke, und stekte
die rechte Hand ak Siegestrpphae auf einen PfahL
Am anderen Morgen fiihrte das weibhche Geschlechi
9eine Tanze auf. Es bildeten sich zwei gedrangte Reihen
Grusierinnen, von den gaffenden Mannem umgeben. Eine
Trommel ging von Hand zu Hand. Diese, mit Fischblase
iiberspannte und mitSchellen versehene Trommel ist von den
weiblichen Tanzen unzertrennlich. Auf ihr spielen fast nur
die jungen Grusierinnen ; sie schlagen das Instrument flink
mit denHanden, schwingen es herum^ werfen es indieHohe;
sein dumpfer Ton mischt sich mit dem Klimpem der Schel-
Scenenam Jem Lebeo in Gfuaien. 17}
len."^) Nach einander traten die jungen Madchen (Bejahrtd
und Verheiraihete tans^n niemals) in den Miitelraum und
sehweblen dahin wie Schwane: mit suriickgeworfentm Haupte,
aber niedergeschlagenen Augen tanzten sie, die Arme bald
aufwartSy bald ab warts biegend. Die Bewegungen wurden
langsamer oder rascHer, je nachdem die Trommel langsam
Oder rasch geschlagen ward. War ein Tanz beendigi, ao
machten sie zuerst eine Verbeugung nach alien Seilen, dann
vor Einer ihrer Gefahrtinnen , was Aufforderung zum Tanze
bedeutet, und verschwanden in einem Nu unter den Frauen.
Auf dem Platz vor der Kirche begannen die Ringer ihre
Spiele. Das Ringen gehl also vor sich. GewShnUch wahU
man zwei starke und gewandte Manner, dis schon Uebung in
dieser Kunst faaben. Um jeden Ringer bildet sich eine Par-
tel Man zieht ihnen die Oberkleider und Stiefeln aus, zieht
ihre Hemden straif , schlagt die Hemdermel und die Enden
der UnterbeinUeider zuriick. Jeden lehrt man die Manieren
und Handgriffe des Anderen kennen, und flSfsi ihm MuUi ein.
Die Ringer Ireien mil bleichen Gesichiern und an Han4en
und Fulsen zittemd, als galie es Leben oder Tod, auf den
Kampfplatz. Lange bewegen aie sich um einander herum,
entweder schweigend und mil concenlrirter Physiognomic^
oder auch lachefaid und scherzend, um ihre Kaltbltlligkeit zu
zeigen. Jeder will seinen Gegner so vorlheilhaft als mSglich
fassen; darum kommen sie bald zSgernd^ bald hastig und mil
raschen Evoluiionen heran, und haben sie einander einmal
schlecht gefassti so eilen sie wieder auseinander. Endlich
umschlingen sie sich und der Kampf beginnt Die Zuschauer
beobachten und eriiisiren jede ihrer Bewegungen. Hat der
gewandtere Ringer endlich die Oberhand, und sein Gegnert
*) Der Verf. icheint anzanehnien » dies Infltrument sei aar in Grasien
zu Hanse; es ist aber das bekannte Tamboarin oder die Scbellen-
trommel (arabisch duff and mit demArtikel adduff), welcbes ub^r
Spanien, wo ihm sein arabischer Name (in der Form adufe) ge-
bUeben, scbon lange nach dem abrigen Kuropa gekommen.
]72' AflgMieiii LftwaikohHi.- -'^n
den er tunkkmtoeil haU uhd :tudilig^ii9«toai^r499ti? er|^b4t
sich^nicht, !sd- 3i-ebi 'sich- ErstererschmUrnHDr^ IseUt 1hii# dwr
RiidLeiiiiittier und wirft iliniiber: seine SchuUem; so dass er^
der 'Lange^nach an den BodJeni<faUil ^VVenn' Mn-.jil^ lU^steg^.
toECRsnger den Kamf!»f foHsetzen wiH,:S0 tMnlti^ida^rDeilie:
mitd6«^ali Ihre Hvmden uhd. (JDtevbeihkleidev sjnd* zerfeUt;
und ^i sreiber scEVecUich iAgerlcfatet, mil' Blal am Kdrpei>
und'aa den Zabnen. Am Ende vers&fahi tnantsie^und be-:
wegl cie^ einander Ku kifssen. ' - ' -- r
^i^el grdfser^n Fesdicbkeiten aufDSrfern geht es nie ohnel
Ringkiinipfe ab. Nehmen nwei Geibeinden ah! eio^n) Feste
TheiV so-dbefli jede ihrien Ringer; und in dem Sieger fiSum^hirt'
eiiii JPiwf afibtt^ dws alidefe. . .« . ,
^Utti'die'neunte' Stonde kam eih Priester diit Aivei Diaco-
nen vomDcMrfe hef, Wo^erfllesse geleseVi fbalte. JKeser Geist^'
lieh«; %ir<iioifa* jungwAlani;* wdr in dem geistlicheii Seminar:
zu Tittai ^^ebtldet und' spi'aeh' ziWnlieb got rassisch. Die Kirche •
fiilbeibeb mit Mensihen;* Nach dem Te Detiin wurde iiberall
Weihv6i|bs0|k ausgespengt, worauf die! L^iile vdv dem Chiicifix
sich v<^ipk|«»^teii xmd MniuiigiiigeiL Rndtirh war die^ ganze
Kirche levrV'nfrrenrige'lKhiabefi Uieben zupoek/ dei^n' einge-
fallene Gc»icbler ^vdn langem Sieehttion zeugten. Sie 8teck«<
ten vom Kopfr b]» zu^dtenFufsen in Weisser Kleiduiig; Hals>
uhd Arme'^^u^ren mit Kupferdratti umiMckek/tah Weiohem
durcbbahrle'Aic^e (Obrase?) oder kleine KihmpaB.'*Wadis
hingen. Es ist namKch in Grufinien Siite, dass kranke Perso-
nen ein Gelllbde thufn^ nach ihrer Wiedergene^ung zu: Fufse,
mehreniheSs Barfub; mrch ^eirier 'maben 9der 'enifdnrten Kirche
zu pilgern und Go4:t ihr C)|3rfer zii bringen. ijtfwdhiilitfr 'wird
d^s Gellibde (iber .'eifi4g<iii''Wii€hs£fi^le» and eineni Abas
(Obras?) gethan; darauf knetet man die Lichle zusamraen,
durchbohrt das Abas, und hangl beides mittelst Dratben an
Hals und Hande. DerJPMsfer nttbrn d^B^jrimgeif Prigern'ihVe
Bracelets ab, und schor Jedfeiii voh iftfteii'-fe^4li^^r»tfeuif8rmig.
Meine besondere Aufmejrtsariikeil efreete eih siebenjahri-
ger Knabe mit bleichem Gesicht, sclhaumeriSem .Muntle , und
Scenen aai.dem L^ii fa'drasien. lyU
etneiii Aus<frucke stuifkipfer O^fbhtlo^fgicdll M
A^eb. Sinh^ tteibetf-fibte Mm^f bit' d^h ^feWtlieh^Vi; dtt
Gebet ;,fiir 'den' linglOdklith«M'Sofan einer te^kriil'scfiVdn Mattel^'
£u spr^ciMn'. Sie wofltis ebett^ sfiifi d^¥ Kittht gehen, als'ictf
tu ihr herantrat dnd mil Theihiidime ubef detj Kleinen si?"
bcfragte. Sie eWtaliUe ttAr ftif^ehdte: ' : ^ . r^r
„Vor funf Jaftren' im^tig ifcfc die^Kund'e^vl6tt -d^fti pfdisr
hch^n Tod meines Milfines/dt^ y&t\ ehietn il^aOtu', iS^if^i" t%
Wald^ g^fffllt; ^rSchla^^n \iH^rden war. tw def Z>bii scftlief
gefade inein kleiner'^ty)^: Idh Unfd hieiHe zivei' Itchier er-
hoben'ein Jaftilnefge^hra;' tfei*^ Kleth^'erwaeht^ davon: an
der Blasse seines Gesichls und einem unnatiirlichen Wifntiienf
erkannten wir, dass er sehr erschrocken war. Da bemeisterle
sich, um meinen Kummer voJl zu machen, ein unsauberer
Geist meines armen Kindes. Einige Tage darauf bemerkte
man die Anzeigen der fallenden Suchiy an der er bis heute
zu leiden hat. Ich sparte nichts, um seine Genesung herbei-
zufiihren. Kundige Frauen beschworen das Uebel und ver-
ordneten Heiltranke aus Wurzeln — vergebens. Ein muham-
medanischer MuUa offnicte sein geheimes Buch, nannte mir
den Namen des Teufels, der in meinen Sohn gefahren sei^ und
versprach, ihn auszutreiben. Ich hatte lange mit dem Mulla
zu thun. Er las seine BeschwSrungen und gab mir gewisse
Pulver in Papier mit persischen Aufschriften: seiner Anwei-
sung zufolge wurde das Eine dem Knaben eine Zeillang an
den Hals gehangt, das Andere unter sein Kopfkissen gelegt^
das dritte imGrabe seines Vaters verscharrt; dann musste ich
die Pulver in Wasser oder Wein auflosen und dem Kinde ein-
geben. Anfangs schienen die Anfalle aufhoren zu wollen;
aber iach einiger Zeit kehrlen sie mit erneuter Starke wieder.
Ich fuhr jetzt mit meinem Kleinen zu den Docloren in Tiflis^
aber auch diese konnten nicbt helfen. Man sieht, der Himmel
slraft das Kind um meiner Stinden willen.'^ ^
Die Sorgen Barbara's um ihren Karaman kamen ihr tbeuer
zustehen: sie zahlle mit Geld, Gelraide und Wein, bis ihre
Mittel erschopft waren; dennoch wird des Knaben Zustand
174 Allgemeiii Litorarbchet.
immer bedaaernswerther. Seme Fahigkeiten sind ausserordent*
iich schwach: er versteht Kwar Andere; allefai er antwortei in
unverstandlichetiy beiXBerreisseDden TfineiL Dabei kann man
leicht bemerken, dass er sich sehr anstrengt, und sein baufi-
ges Schluchzen und SiShnen verkundel voiles BewusaUein
von seinem Zustande. Trotz aller Aufsicht seiner Mutter be-*
sudelt er sein Kleid^ verzehrt Erde, fulii seine Taschen mil
Steinen und schleppi sie mil sich herum. Zu anderen Kin-
dem hat er gar keine Zuneigmig, obwol sie ihm nichi aeken
Theilnahme beweisen; sein eimiger lieber Kamerad und un«
zertrennlicher Gefahrle isi ein Hund, mil dem er sich einsam
berumtreibt
Hiilfsleistung d'er rnssisch-amerikanischeii Com-
pagnie bei den zur Aufsuchiing Franklin^'s
abgeschickten englischen Expeditionen *3.
jjie Polar-£xpedition unter dem Commando Sir John Frank-
lin's verliefe im Jahr 1845 England. Sie wurde luleizt im
Juli desselben Jahres in der Baffins-Bai, in der Richbing
nach dem Lancaster -Canal segeind, gesprochen. Seii dieser
Zeit fehlen alle Nachrichten uber ihr Schicksal, wid da sie
zur bestimmten Frist nicbt wieder nach England zuriickkehrte^
80 mu&te man der Vermuthung Raum geben, dafs die Fahr-
zeuge, aus welchen sie bestand, an irgend einer Stelle des
Eismeer^ verungluckt seien. Die grolsbritannische Regierang
fertigte deshalb im Januar 1848 zpr Aufsuchung derVerloren
gegangenen eine Expedition ab, die aus den Kriegsschiffen
Herald unter dem Commando des Chefs der Expedition, Ca*
pitain Kellett, und Plover, Capitain Moore, bestand. Es wurde
diesen Schiffen vorgesehrieben, in der Behriogsstra&e zu uber-
wintem und dann in den nSrdlichen Ocean hineinzusteueniy
urn dort ihre Nachforschungen anzustellen. In Betracht des-
sen, dais die Fahrt der neu ausgeriisteten Schifife in Gewas-
*) Von der Verwaltnng der Compagnie mltgetheilt (No. 160 der fiSjd-
wemaja-Ptschelk yom TOrigen Jahr). Obgleicb zam Theil idion be*
kannt, dienen diete Nachricbten doch dazn, die von engliicheii Blal-
tern gegebenen Bmcbte %n yenrollf tandigen.
176 Physikalitcb-matbematische Wisieiiichaflen.
sern vor sich gehen wiirde, welche das russische Gebiel be-
spiilen, wandte sich die britische Regierung mil der Bitte an
die russische, der Expedition nothigenfalls UntersliitzuDg und
Mitwirkung von Seilen der russischen Unterthanen sukommen
zu lassen.
Die Hauptverwaltung der russisch-amerikanischen Com-
pagnie inachle es sich demgemafs zur Pflichl, den erwahnien
Fahrs/e^igen jm .FalLibres Crscheijiens in 4®n der B.otpa^fsig-
i^eit der Compagnie unterworfenen Hafen des ostlichen Oceans
alUn i mbgli^hen Sditiis md Beistahd 'zu 'kist<iif.i Itt'dtss^tf
fand ii<^ piebi eiMed dehaelbeD in den russisch^aCB^orikftniiehen
Besitziingen ein; nur im Petropaulshafen legle Capitain Kel-
leti imjahr 1848 an und segelte von dori nach derBehrings-
Strafse, wahrend die ihn begleitende Kriegsbrigg auch Kam-
tschatkti hicht berbhrte, sondern von ihm angewiesen -ward,
sich g^ra^e'sw^ges ' nach der Behrings-Slrabfe zQ begeben.
Diese Expe<iitioh halle den Zwedk, den andefen Expedition
neD, weicfre Frankiia vdn Osteii aus aufsuefaten, ^tgegenzu-
gehen und'sie mit den nothwendigslen BedQrfeissed zu vet-
sporgen.
Alle diese Nachforschungen fahrten jedoch zu ketnem
anderen Aesultaft, als den befctrchteten Untergang Fraakliti's
Doch wahrscheinlicher zu machen, und die britische Regierung,
Welche die Sympathie tbeilte, die ganz England dem Gelscbick
des beriibmten Seefahrers and seiner kiifanen GePahrten wid-
mete/entsdhlos^ ^ich eine nene Expedition auszurilslen, iim
seine Spuren* attfeusucheh und ihm wo mSglifch Rettung zu
bringeri.' Diese Expedition wurde der Leilurtg'des Capilain
Colfinson aitvertraufc und beslarndf aus den^ SthiffeH -Enter*'
pilstf, Oapitam Collmson, und Ihvestigatbr, Gapil'Ahf Maciure/
liiol Diecertiber 18^ zeigle der bHUsdhe Mimstei^ der aus-
wartigen Angelegenheiten , Lord Palmerston, dem russischen
Ge^i^d^eAiin I^opdon die Abfahrt dieser Expedition an und
h^^Kktf \\ifXi^- iafy die Loisd-Cjilouimissare der AdmiraliUiV d^nen
e»^ bbkatet pei ^Ovsebr dier iriisaiaahraiivQrikaiiiacbe C^unf^agnie
zur Erleichterung dea lipiM^fis der 'UffgkJ^kKdhen^S^cfafaFer'bei-
Halfilebtang itaf rliirtMli^ttntdlHlfeisehtfft CoiilpaitBie M dai etc 177
tragei l»toev /w^eben ' es gelwlgeii wiirde das' FeUlaiid su
ew^dwii,.den Wunsdiauftgedriickt biUten, dafs die gedachte
CWipagnie diejAbfai^t'dcrbritiabhtaRegieniDg in dieseifAn*^
gel4gdiifi£t'Bef5rdisrQ mScbte. - ' ' '
4n .Gemafsheli des ihir ertheillen Kaiserlichen Befehls wiea.
demnach die Hauptverwaltung der Compagnie: den Ober*Di-
niktor <fer Cofonieeli so^iehMan: 1) aich in jeder Weiae zu
bemihen, von den Bewohnern der umliegended Gegenden<
Erkanrdigunglsn &btv die verlorengegangenen Sehiffe und.>
Leute eiiizaziehen und in Elrfahrung zu brings, ob irgend:
welche an{ dieselbtn beatigliche Gerftcble unter den entfern*.
teren wilden Stammen; die um die Behriags-Strafse henim;
wohnen, in Umiauf sind; 2) einige Baidaren mil zuvtottssigen'
und erfahrenen Aleuten in Bereitschaft m, halten^ um dem
Chef der englischen Expedition^ falls er nach &icha koounen
solke, zur Verfugung gestellt zu werden, und 3) aa.alle.
DiBtnkte, Niederlassungen und Einzelstellen (odinoischki) der
Coloniaen fiachsiehendes Circular der Hauptverwaltung der
russisch-anierikanischen Compagnie einzostiulen :
,,D]e im Jahr 1845 atis Enigland abgefertigte und spurloa
verschoHenpe Polar^fin tdeekungs - Expediti0ii iinter ComnMttdo
Sfr;F<Uin''Fi!ankUn'S' ^kuvie zoffi . letfcilenaial im Jdli' deaseibeni
Jahrsr in : def BiifGns-'Bai', in der Richtung nach dem Lan«
caster^iPanal, gesehen^ und da sie nieht zur bettimmten Zeit*
nsch der Heimatk iuriiekkehrle, so^ sebickte man aus:Euglandj
zu ihr^j^ofsiiebung zWei Expeditionen atts, die jediiehweder
an dth ostlicfae^; noch an den nordliehen (Jfem Anierika-s^r
zwiseMn'* den ^Ftesscn Miiekebzie und Coppermine , die ge-*
riiigsleivS^ff )ven > ihr antrafefi. Es isi nrithin anziiuiehmfin/
dafs die Sehiffe diietfer ungliidLiichen Eatpedition in der NUk^
dvh httet /MehliUe eider > der angranzenden Lender ^ vom ' Eise
eMJi^esvfalDsUnivrerden' sihd, von wo aus die*Maiin^aft'kei»^.
Mifk^ haUe, den L^iioasfor-^Ganial; oder das 8&d]i€lie!UierAmeV
rifca^a'au qrreichen. in-^ffol^ d^ssen werden weilese Nach-'
suebcM^in : vbil Air i^rbbbritaniioken . Rie^druiig Jm Selmmer
des gegeiiwarti^^n; JahrB^(i8BQ^ iioler&oi^ Zww^
178 * MysikaUich^matheiiiAtitche Wiuehtehafleii.
Schiffe, die Enterprise und der Invest^ator, von dem Capi-
tain Collinson und Comandeur Maclure befehUgt, werden
durch die Behrings - Strafse fahren vnd Melville 2u erreichen
suchen, urn dort zu uberwiniern uad im Fnihjafar 1851 ihre
Bemiibungen am die Reltung der Mannschaft der vermilisten
Schiffe fortzusetzen.
^Indem die britische Regierung obige Anordnungen durch
die Kaiserl. Gesandtschaft in London der russischen Regierung
miUheilt, ersucht sie dringend sowohl die Beamlen der rus-
msch-amerikanischen Compagnie^ als auch iiberhaupt alle die
niasiscfa-amerikanischen Colonieen bewohnenden Unlerthanen
Sr. Kaiserl. Maj., den Verungliickten hulfreiche Hand zu leislen,
wenn es irgend welchen von ihnen gelungen sein soUte, sich
aufs feste Land zu reiten.
,,Die Hauptverwaltung der Compagnie, welcbe dieses hier-
mit zur allgemeinen Kenntnifs der Colonieen bringt, ladel zu-
gleich Alle und Jeden eiui sich angelegentlichst urn die Auf-
suchung der Spuren, sowohl der Mannschaft, als auch der
Schiffe der erwahnlen Expedition zu bemiihen:. Wer einen
jener Leute in Sicheriieit an die ihm zunachst Kegende Com-
pagnie-Station abliefert, wird von der Cottipagnin eine ange-
messene Belohnung erhalten, auch wird dem Kaiser davon
Bericht abgestaltet werden, als von eiher Handlung, die in
Gemaisheit des allerhSchsten Willens, dem Verlangen der bri-
tischen Regierung zufolge, ausgefiihrt worden.*'
Mit der zuletzt aus den russischen Colonieen eingetroffe*
nen Post hai nun die Hauptverwaltung der Compagnie die
Nachricht erhalten, dais am 22. October 1850 die englische
Kriegs- Sloop Enterprise, unter Commando des Capitain Col-
linson, im Hafen von Neu-Archangel auf /Stcha angekommen
ist Wahrend ihres Aufenthalts in diesem Hafen wurde ihr
alle nur mogliche Hiilfsleistung erwiesen, sowohl was die
Versorgung der Mannschaft mit frischen Lebensmilteln (der
Hauptzweck ihres Einlaufens), als die Befriedigung anderer
Schiffsbedurfnisse betrifft. AuCserdem hot der Ober- Director
der Colonieen, um die Nachforschungen des Herm Collinson
Halftleutang ^•r raitifcil-amerlluuiifehes Comptgaie bei d«ii etc 179
su befSrdern, ihm neun Baidaren mit der zur Bewegung der*
selben n5thigen Anzahl Aleuten an. Dieses Anerbieten wurde
von Herrn Collinson mil besonderem Danke aurgeaommen^
indem er den Nuizen, den ihm dergleichen Ruderfahrzeuge
auf seiner bevorstehende Fahrt imEise gewahren warden, in
seinem ganzen Umfang anerkannte* Nachdem er bis zuni
2. November in Neu- Archangel verweili, segelte er mit der
Enterprise nach Hongkong ab, wo er den Winter zubriogra
und sich im Fruhjahr 1851 von neuem nach der Behrings^
Stralse begeben, unterwegs aber bei der der Compagnie ge*
hSrigen, im Norton -Sund liegenden Redoute Micbailowskji
anlaufen woUte, urn die Baidaren abzuholen, die man dort
fiir ihn bereit halten wiirde.
Von dem Capitain Collinson erfubr der Ober* Director
der Colonieen Folgendes iiber die Thatigkeit der Expeditionen
zur Aufsuchung Franklin's, Nach der Herrn Collinson er«
theilten Instruction soUte er im Sommer 1850 mit dem ande-*
ren ihm anvertrauten Schiffe Investigator, Capitain Maclure,
die Behrings - Strafise passiren und durch das Eismeer ostlich
bis zum Coppermine^Fluss oder wo moglich noch weiter bis
zu einem zum Ueberwintem geeigneten Puncte segeln, wo
er anhalten und im Laufe zweier Sommer Ruderfahrzeuge
und Fu&parteien ausschicken sollte, um die Spuren von Frank*
lin und seiner Expedition aufzusuchen« Auf dem Wege nach
der Behrings-Stralse wurden die Sloops Investigator und En^
terprise getrennt; erstere sah man zuletzt am 5. August 1850
im Eismeer und nimmt an, dafs sie entweder festgefroren ist
oder Land im Nord-Osten vom Cap Barrow entdeckt hat und
dort iiberwintert, wahrend die Enterprise, es unmoglich fin-
dend, nach dem Kupferminen-Flusse vorzudringen, umkehrte,
um sich in Hongkong mit frischen Lebensmitteln zu versorgen«
In der Behrings-Strafse und weiter gegen Norden im
Eismeer waren, aulser den genannten Fahrzeugen, im Sommer
1850 auch die Sloops Herald, Capitain Kellett, und Plover,
Capitain Moore (s. oben), mit denselben Nachforschungen be-
schaftigt. Von der Sloop Plover aus untemahm man im ver-
180
PhjwiiMmiD^muiammMttitM WlteiiMMif^r.
gaUgenen and im laalenSdtii . Jahre Slteifauge jipii Auitenlahr'
ceugen und einem verdecklen . Boote vom /.Cap Bairow kis
^ito Mackenzie^Fluss und weiter bis lum Kiipfe^imneiinFIais,
ohne jedoch auf Spuren der VennifsUa ui tnsffen; ^ Eimge
von diesen Boten iiberwinterten iov Flusse Mackenziei andere
kebrtcn wohlbefaalten nach dem Plover zuruck, der voxigm
Jahr im KoUdiue^'Sund iiberwinlerte uimL de» g^enwartigen
Winter hidbr Budit Ka^jak (Port Claveiice) am amerika-
iuscheallfer zubringen wivd. 'An demaelbeii Orie wird er aucfa
im Jahr 1852 ubermntern y . Wenn er nicht auf unerwartete
Hittdernisse stSfst Die Sloop Herald bat hingegen weder
diesen noch den vergangenen Winter in der Behrings-Stralse
zugebracht, da sie aufBefehl ihrer Regierung hydrographiscbe
Messungen an der Westkiiste von Central* Amerika vomehmen
mufste, nach dereh Beendigung sie im Sommer 1851 zurOck-
kehren soUte, da sie ihr«r fiaufiillig^it halber sich nicht mehr
ztt Fahrten im Polarmeer eignet >
Die Besultalfe dieser sammtkchen Ebcpeditionen* besteben
nur in einigen, voik den Wllden eingezogehen . und noch'*d8z'u
sehr proUeflbalisohen Nacbrichtin iiber die Expedition Fraak^
lin^s, in der Entdbckung heuer Inseln im Eifmeer, so \na
einer ansehnlidieir Untiefe im nSrdliohen Theile der Befarings*^
Strafse, und endlicb in . der Aufhahme mehrerer Hafen im
Kotzebue-Sund / am Cap Tschukotskoi und in der Umgegend
desselben. < •
Die innere Einrichtung der goldnen Orda.
Naeh
Herren Berj6sin (Beresin).
Vbschon die unter dem Namen „goldne Orda*' bekannM
mongolische Dynastie zwei Jahrhunderte uber Russland ge*
herrscht hat, ist unsere Kenntniss von derseiben sehr etig be*
grenzt: wir wissen bis jetzt, viel anderer Dinge zu geschwei*
gen, nicht einmal mil Sicherheit, wo ihre Residenzstadt Saraj
lag. AJs ein nomadischer und wenig cultivirter Stai hatie
die Orda keine eignen Historiker; in russischen Chroniken
geschieht ihrer sehr selten ErwShnung; und wenn auch Leiite,
die zu den Mongolen reisten, alles von ihnen gesehene und
beobachtete' genau zu beschreiben sich bestrebten, so ent-
fichliipfte doch Vieles ihrer Aufmerksamkeit; aber auch viel an
und fiir sich wichtiges- mochte ihnen des Aufzeichnens unwerth
erscheinen. fiei asiatischen Schriftstellern finden wir viele
Pacta zur Geschichte der Tschinggisiden , aber fiir die Gt^
schichte der goldnen Orda ist die Ausbeute ziemlich durflig.
Dazu kommt noch, dass die historischen Forscher mehr
als eine Hiilfsquelle ihrer Siudien verschmahen, Wollten sie
dann und wann bei der Philologie sich .Raths erholen, so
wiirden sie x. B. erfahren, dass die Bestiuuuung der Gegend,
wo die goldne (eigentlich gelbe, tiirkiseh ^j\jo sary) Orda
ihre Wdideplatze halte, nicht gar schwer sei: Zarew bat
nicht etwa von einemZar seinen Namen, sondern ist das Wort
182 Hittorisch-philolosiiclie Wi«iemcliafteii«
Sary; die Namen der Bache (jeriki) bolschaja and ma-
lajaZarewka (groise und kleine Z.) sind nichts anderes als
^jifo ^^\ j^t erig ulug Sary und ^Juo ^S:;^^ j^t
eri^ kutschuk Sary.*) Zarizyn ist ^^^ ^Sj^ Sary-
tschin; denn so wird der Name dieser Stadt in der talari-
schen Handschrift Tavarych Bulgaryja, d. i. Bulgarische
Geschichten, geschrieben. 5aratow heisst ^b ^Lo Sary-
tau gelber Berg. Die Anwesenheit dea Wortes «ary (gelb)
in diesen wid anderen Namen ist entscheidend genug.
Die ^tarchannyje jarlyki,** eine so reiche Quelle sur
Erforschung der innem Einrichtungen der goldnen Orda, sind
von den Geschichtschreibem eben so wenig benuizft worden.
Freilich lassen auch Jarzow's und Hammer-Purgstalls Ueber-
setzungen derselben gar viel zu wiinschen ubrig. Als Herr
Berj6sin im vorigen Jahre eine neue UeberseUung des Schrei-
bens Tochtamysch^s an Jagiello*^) untemahm, musste er zu*
gleich drei andere tarchanische Originalschreiben, welche auf
unsere Zeit gekommen, griindlich sludiren, namentlich das
von Timur Kuiluk (in clen Fundgruben des Orients , Th. V.)
mit Hammers Uebersetzung, und die beiden Schreiben des
Tochtamysch und 5aadet Girej, mit Jarzow*s Uebersetzung
(in den Denkschriften der historisch-archaologischen Gesell-
schaft zu Odessa), f) Dieses Studium zeigte ihm die ganze
Ungriindlichkeit der Uebersetzungen des russischen und des
deutschen Orientalisten, und bestimmte ihn, die genannten drei
Schreiben mit Anmerkungen und einer treueren Version neu
herauszugeben, ff ) Das merkwiirdigste und dabei schwierigste
••1
*) Jerik wird noch jetzt an der nnteren Wolga ein Bach genaant.
') HeraaBgegeben yon dem Knas Obolen<kji. Kaian 1850. Dieses Bnch,
das wir nachstens anzeigen werden, ist No. I. der ,,Chan<kie Jar-
lyki^* des Herren Berdsin.
^) Nicht ztt yerweobseln mit den scbriftlichen Denkmalem aiis der Zeit
des Tochtamysdi , weLcbe.im ersten Bande diesen Archiys, S. 178ff.|
besprochen worden.
ft) No. 11. der „Cban<kle Jarlyki,** ebenfalls 1850 erschienen, nns aber
noch nicbt zogekommen. — Die Brochure ,,Innere Binrichtang (wna-
Die innere Binrichtung der golckea Orda. J83
Original-Jarlyk ist unstreitig das von Timur Kutiug, in undeut-
licher uigurischer Schrift und aJliurkiseher Spracbe.
Wafr die, nur in russrseber Spra^he eihaltenen Jarlyk%
beififft, welcbe Grigorjew am Scblusie seiner scbarfainnig^n
Unlersuchung : „Ueber die Glaubwurdigkeil der Jarlyts^*
u. s. w. abdrucken lassen, *) so fand Herr B. diese alle mebr
oder minder merkwiirdig und besonders wichlig su Beaiim*
inung der Sleucrn, \Velcbe in Russland fiir die Orda einge*
sammelt wurden.
Da der Verf. auf die y,tarchannyje jarlyki'* seine Unter-
saehuDgen griindel, so glaubl er vor Allein iiber die Bedeur
iong dieser Benennung sich erklaren bu nnissen. Das Work
tnrchan ist moisgolisch und bedeutet: Schmiedy Werkmeisker,
freier Mann. Diese verschiednen Bedeulungen einesWortes
sind auf folgende Ueberlieferung gegriindet: die Ueberleben*
den des von Feinden ausgerotteten Stammes Monggol (der
Mongolen) verbargen sich im Thale Ergene-Chon, von wo sie
nach 400jahrigeai Aufenlbalte, Dank der Industrie eines Schniie*
deSy Namens T arch an, der einen Theil des (eisernen) Ber*
ges niederschmoJz^ ubi einen Durchgang zu ofTnen, nach ihreo
friiheren Weideplatsen zuruckkehrken, Seik dieser Zeik gab
es einen eignen Skand, die Tarchane, welche g^nz steuer*
freieLeuke waren. Nach einer anderen mongolischen Ueber-
lieferung ware Tschinggis-Chan selber Sibhmied gewesen und
hatke am Fufse des Berges Tarchan, welcher davon seinen
Namen erhalten, Eisen geschmiedet. Die Gewohnheik, Ver-
dienske mit alleriei Privilegien zu belohnen, beskand in alien
Staaken der Nachfolger des Tschinggis, und von Tarchanen
sprechen aiie europaische ReiaAnde^ weiche die uiongolischen
Kaiser besuchk, indem sie sie Bar one nennen. Zum Zwecke
der Befreiung von Skeuern und Auflagen erkheilke man be-
krenneje iKtroi^two) der Goldneii Orda, nach den Jarlyk's der
Chane^\ ist No. III. dieser philologisclien Tnlogie, und gleichfalls
1850 datirt; mit dieser haben wir es bier zn than.
*) Vergl. dieses Archiv, Bd. IV. S. 49 C Schokts Recension in den Jabr-
biicbem fiir wissenschaftl. Kritik, November 1844, No. 96.
finnans Russ. Archiv. Bd. XI. H. S. 13
184 Historiscb - philologisclie Wissentchaften.
sondere, im Aligemeinen gleichfdnnig eingerichlele Jarlyk*s:
zuerst kommt erne Aufzahlung der Wiirdetitrager^ an welche
der Chan mil seinem Befehle sich wendef, und dann werden
die larchanischen Privilegien hergezahlt. Die rusdache GeisU
liehkeil erhielt bestandig von den Chanen der Orda aolehe
Jarlyk's, deren Originaie verioren sind. Auch der beruhmte
Tamerlan machte seine Anbiinger zu Tarcbanen. Den mon"
golisch-kalmykiscben SaUungen zufolge^ wird derjenige Tar*
chan, welcber seinen Fiirsten in einer Schlacht rettet Die
Sitte tarcbaniscber Steuerbefreiungen ging auch zu den christ-
lichen Russen iiber, bei denen geisiliche wie welUiche Perso-
nen dergieichen empfingen: zuweilen erslreckte sich dieses
Rpcbi iiber ganze Stadte, z. B. Nowgorod unier Boris Godu^
now. Der Anfang zur Aufhebung dieser Steuerbefreiungen
wurde in Russland uins Jahr 1549 gemacbt; Feodor Joanne-
witsch verordnele zeiUiche Auffaebung, und Alexji Micbailo-
witseh schaflite sie im J. 1672 ab.
Der Vorfasser lasst nun eine Uebersicbt der Wiirden und
Aeuiter und eine der verschiednen Arten von Abgaben unter
der Mongolenherrschaft in Russland folgen, mii Hinvveisungen
auf die Jarlyk's in welchen sie erwabnt sind. Weitere Auf-
klarung findet man in den Anmerkungen zu seiner neuen Aus^
gabe der tarchanischen Jarlyk's des Tiinur*Kutluk, Tochta-
mysch und iSaadel-Girej.
in Jarlyk des Tocbtamysch in altmongoliseher
Schrift.
M. ochtainysch hiefs ein Chan der mongolischen Dyftastia^
welche von der Mitte des 13. Jahrhunderls bis 1480 Uber
Russland regierte. Seine eigne Regierungszett falll in die
letzlen Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts; er war Zeitgenoisse
des grofsen osmanischen Sultans Bajesid Jilderim und des
Weltsturraers Timur (Tamerlan), welcher letztere Ihn wider
seinen Biutsverwandten Urus-Chan beschiitzl und ais Gebie^^
ter von Kyptschak eingesetzt hatte. Aber 1387 veranlasstt
die Herrschsucht desVasalien anen Brueh zwisehen ibm und
seinem furchtbaren Lehnsherren. Timur zog mehrmals wid^r
ibn zu Felde, schlug ihn endlich (1392) aufs Haupt, und
verheerte Kyptschak. Im Jahre 1395 verlor Tochtaoiys^eh
sein Leben im Kampfe mit einem abtriinnigen Heerfiihrer;
nach Anderen floh er im selben Jahre vor einer nochmali-
gen Invasion Timurs zu dem K5nige von Littauen, an dessen
Hofe er starb.
Ein von diesem Fiirsten erlassenes Cabinetschreiben ,wurde
bereits vor elf Jahren in Text und Uebersetzung bekannt
gemacht. *) Das vorliegende (an Jagiello von Polen und Lit-
tauen) verdient, Iheils ob seines Inhalts, iheils ob derSchrift-
ziigCi mit denen es geschrieben^ noch grofsere Beachtung.
Die Sprache ist zwar wieder (altes) tiirkisch; die Schrift aber
•) Bd. I. S. 178 C
13
186
Historisch - philologische Wissentchaften.
altmongolisch, und der Inhalt hat einigen geschichtKchen Werth.
Dem morgenlandiscben Texte ward eine amiliche UebersetniDg
(vielmehr freie Bearbei(ung) in russischer Sprache beigelegt
die sich ebenfalls erhalten hat und die sowol wegen ihrerZu-
satze zum Originale, als aus graphischen Grttnden merkwur-
dig ist.
Beide Documenie wurden schon 1834 im Hauptarduve
•des au$Wiartig6n Min^teriums ui Mo«ka|J eotdeckt, und xwar
unter Papieren, die weiland im Kronarchive zu Krakau sich
befunden batten. Erst 1850 traten sie ana Licht der Oeffent-
lichkeit, gedolmetscht von Herren Beijdsin unter dem Titel:
,^arlyk des T., Chanes der Goldnen Orda, an den polnischen
Jagailo/'
Das BUcbloin beginnt mit einer Vorrede des Entdeckers,
Knas Obolen^kji. ^ Es folgen: 1) ein Facsimile des tiirkischen
Jarlyk; 2) eine Umscbreibung desselben in arabisdie Schrift,
durch den Professor Kasem-Bek; 3) die alte russische (west-
Tusisische) Bearbeitung mit einem Facsimile von siebenZeilen;
4) eine alte polniscbe Uebersetzung, nach der russischen an-
gefertigi; 5) Beilagen, enlhaltend Ausziige aus Briefen iiber
das Jariyky mit Ueberselzungen Kowalewski's und Kasem-
Bek's; 6) Erlauterungen, enthaltend Berjdsin's Uebersetzung
and philologisch-kritische Glossen mit vorstehender Einleitung,
desgleichen eine Umscbreibung des Jarlyk in heulige mongo-
iische Schrifti von Bansarow.
Wir lassen nun das Jarlyk nach Herren Berjdsin*s Ver*
sion (plgen und stellen ibr eine deutsche Uebertragung des
alten russischen Documents zur Seite.
I.
an
Wort detf TochtamyBob
Jagiello.
Wir haben Gesandte (an dicli)
geschickt, von denen die vornehm-
sCen Kotlabnga und A«an waren, nm
(dir meih) Gelangen zur hochsten
Stelle zu mclden, und audi du bast
an una einen Getandten gescbickt
II.
Wort des Tocbtaoiysch an
den Koni^ von Polen.
Wir tbun unserem Brnder knnd,
"dass wir den Thron des groDien Rei*
ches bestiegen haben. Als wir die-
sen kaiserlichen Thron znerst ben.
stiegen, da scbickten wir A#an oad
Kotlubnga an eoch ab, nm enoh die
Bin Jarlylf det Toehtamytcli.
187
Im dritten Jalire (meiiier Regierubg)
wurde durdi einige Uglane, toq de-
nen Belbulat und Chodja Medhi die
▼ornehmsten waren , detgleicben
dnrch Beke, deren vornefiinste B«-
kiich nnd Turdtitschak fierdi Da*
▼ud, ein ' Menscfa NameM IdSliG
(ofane mein Wissen) an Timor alK
gefertigt. Ibreni Begebr zitfolge kam
Timar. Als derseihe,' ifirer List
yertraoend , heitnlidi beraitzog,,
sammelten wir, sobald wir Kunde
erbalten, unsere Mannschaften; aber
bevor es zur Schlacbt kam, Yeriies--
sen jene Bosewichter ibren Posttfn,
weshalb das Volfc ein Gleicbes (bat.
Solcfaes war die Veranlassnng des-
•en, was bis jetzt gescbeben. Gott
hat unsGnade bewiesen; er hat uns
die feiivdseligen Uglane nnd Beke
ausgeliefert , anter welcben Bekba*
lat, Cbod/a Medin, Begitscb und
Tiirdatscbak Berdi Davod die for*
nehmsten. Jetzt baben wir Ge-*
sandte gescbickt, von denen Asan
and Tain Chotscha die romehm-
sten , nrn each dieses Breigniss zn
melden.
Aus deri nns tintergebenen Herr-
schaiten sammie Stenern nnd iiber-
g^eb sie- den ankonimenden Gesand-
ten zar Abliefemng in den Scbatz.
Mogen aocli, wie es vormals Kegel
war, (meine) Handelslente and deine
Knnde zn bringen. Unsere Oesand*'
ten trafen encb ror derStadtTroki.*>
Anch ihr babi enereir Gesandten an
ims geichiokt, einen LIttaaer, Na<^
mens Newoista. Im folganden Jalire
gab es nnter nns Onordmingan : un-
sere Anverwandten Bisk^ulat- vad-
Cha/a MedIn warden nns ibiiid uad
erhoben sich wider ons; dacit naeh
Bekttsch nnd Turdntscbak Berdi Da-
vyd. Diese Fnrsten waren meine
bochsten Diener nnd doch wurden
sie ansere Feinde. Wabrend sie mir
dienten, unternahmen sie es, anred*
licti gegen micb zu handelh. Sie
schickten einen gewissen Idikji an
Akjak Temir, aafBoses wider mic)i
sinnend.**) In Folge dieser Sen-
dung des Idikji zog Ak#ak Temir der
Kisenfnis, yom Scbwarzen Sandef)
wider mich aus. Aksak kam so helm-
licb in nnser Gebiet, dass wir ancb
gar keine Knnde davon batten. So-
bald wir ibn in unserem Reicb er-
blickten, nabmen wir, da wir nicbt
so rasch alle ansere Streitkrafte
sammeln konnten, nnr was an un-
serem Hofe am nns war, und wi-
derstanden damit dem Aksak. Da
verrieth nns Bekbniat, unser Feind,
and entflob. Als dieser scblecbte
Menscb geflohen war, wendete sich
die ganze Mannscbaft, das ganze
Heer zur Flacbt. Damit war diese
*) Kleine'Stadt im hentigen GouTernement Wilna.
**) Aksak Temir Iieisst der lab me Temur (Timor); d«nn das entere
tork. Wort bedentet labm, wie das persiscbe lenk in Tinnr-
lenk, woraus Tamer Ian entstanden.
i*) „Schwarzer Sand** (rnss. Tscborny Pesdk) ist Uebersetzong des
turk. Kara-Kum, welches Namen einer Steppe nordilcb Yom See
Aral. ' '
188
Historiteh •% pbilologisohe Wiwenscbaf ten.
Kaafleatfe wied«r zo ^iimnder gefaen.
Solchee naserem Grciten UIq^ ( Vojke)
hiilaam emohtattd, Jiaben wir diea
ScbceiJbea mk goldneni Intiegel ba-
siegalt.
Gegebaa In ainem Hepnan-Jabray
dam 79&^ 4ar Htd^ra, an $. Taga
deaMonato Rad^eb* alt 4ia Orda am
Don Tarweilta^*)
Saahe am Enda« GoU hal sidi Boch
abar uas arbarmt. and alle ooaera
Fainda ons in die Hande gagaben*
Wir baban sie dergastali battraft,
daM Ma noa nicbt wiedar sebadan
werden, Jetat haben ifir an euch
qvupara Diener ,A«an nnd Tnla Od/a
gwchkktf ura each, anserem Bm-
der> dies zn meldea.
Ans den in deinem Lande lie-
genden forstlicben Besitzungany die
der Weiffsen Orda ^teaerpflicbtig,
Yarschafft ans das unsrige (d. h.
lasset diesa Staaem aacb ferner fiir
ans. einaiebaa). Waa in ansareni
Gebiete dir aag^ort, daraof baste-
ben wir nidii; verlangt das enrige
und wir warden es eoch geben,
Aosserdem moge zwisclien ans, wia
es Tormala gewesan, den Raisendenf
die Landstralsa offan sein, and
eoeren and ansaren Kaofleaten,
ohna dass irgend jemand , and
geborte er aacb zam niederen Volke,
banacbtbailigt warde.
Za diesem Allem baben wir dies
Jarljk abgesebickt and zwar mit an*-
sereoi goldnen Siegel, dass aa be-
kraftigt sei. Unsar Jarlyk ist aber
gescbrieben in der Orda, an der^
Mjandang des Don, im Monat Ire-
tschip eines Hahnjabras.
Unsere Yater and dia eurigen
waren verbiindet and scbickten ein-
*) Nacb onserer christiiicben Zeitrechnang fallt das Jarlyk ins J. 1303,
welches in der That ein Hennen-Jabr, d. b. das 10. eines I2jah«
ngen Thier - Cyclas, gewesen sein muss; denn ein solcbes war anch
1381. Wenn Harr Berjdsin die Urkonde ins Jahr 1392 verseUt, so
bat er iibersehen, dass 795 der Hid^'ra erst im November 1392 an-
ting, and dass der Radjeb der secbsta Monat des muhaiDinedani-
schen labres ist.
Hin Hrljk dea Tofsbtoraysdi. 189
ander Ges^ndte «d j ,40 woUcn aacb
wir yiit euch pein. SoVte eocb
Hiilfe wider irgend einen Feind no*
ting sein, so bin ich mit meiner
ganzeQ Macbt bareit, dir solclia
HWa^ Eu- laktaii; ihr bilucht ans
nur Anaeiga zu macbao. Und aali-*
tan wir eiiwr- Hiilfe von aolob^f
Art bediirfen, so leistat ihr any
dieselbe.
Die Einladung su einem Schul£«* und TruzbiindQiase in
dem ^tavischea Doeumenle isl, wie wir seheo, ein P.0 8t->
scriptutn, da sie erst.hinter dem Qatum komml. Da ts
nun im Orient, eben so wenig als im Occident, »SiUe ist, Ca-
binet^chreiben init Postscripten zu veraehen, so muss wal
Tochlamysch an dieser Zugabe sehr viel gelegen haben.
Das vorliegende Jarlyk erlaulert — wie Herr B. be«
merki -*~ die damaligen Verhiillnisse der Orda zn Littauen^
und lasat uns schliefsen, dass urn die Zeit der Invasionen Tir
tnurs die Verbindung mit Littauen wegen der schwjerigen
Lage der Orda abgebrochen war. Obgleich Tochtamyach im
turkis^ien Originate den stoken Character einer Machi vom
ersten Range aufrecht halten will, sieht er sich durch die Um^
slSnde geiwungen, eine Allianz mit Littauen su suchen;
darum eben isi in der gleichzeitigen russischen Uebertragung
der Ausdruck des Originalschreibens in Vielem verandert, un4
wahrscbeinlieh auf Befehi des Tochtamysoh selber. So wird
Jagiello in dem russischen Documente Konig von Poled und
Unser Bruder genannt; es wird als captatio benevolen-
tiae hinzugefiigt, dass auch Tochtamysch von seiner Seite
bereit sei, von den zu Littauen gehorenden Herrschaften in
seinem Gebiete Steuern zu entrichten, und endlich bewirbt
sich Tochtamysch in der russischen Urkunde um ein Schuz-
und Truzbiindniss mit Jagiello. Tochtamysch woUte seiner
Wiirde nichls vergeben und bedurfte doch eines Biindnisses'
mit Littauen; darum versah er das hoffartige turkische Ori-
ginal mit einem if^i^mlich schmeichelnden russischen Duplicate —
190 Historiisch-^tihilologisdie WUsentcbaften.
Oder es geschiehi in dem Originale danim so vieler Dinge
keine Erwahnung, damit man diese Zugaben erforderlichen
Falles verlaugnen konnte, als waren sie Tochtamysch fremd
geblieben.
Wie wic geseheni macht Tochtamysch in der Urkunde
seine Verrather selbst namhaft Aus morgenlandischen Auto-
ren wissen wir, dass, schon vor< Anfang des Feldsugs, swei
Uglane der Goldnen Orda^ Kiintsche und Timur Kuiluk, des-
gleichen der Nogajerhauptling Idikji, zu Tamerlan iibergingen^,
dass femer, ais es zwischen Tochtamyseh und Tamerlan zur
Schlacht sxk der Kondurtscha kam, der Fahnenlrager des Toeh*
tamysch seinen (forreii verriethi indetn er, gemab vorgangi*
ger Verabredung mit Tamerian, die Fahne zu Boden waif.
Zu dtesen Umslanden fiigt Tochtamysch in seinem Schreiben
noch den Verrath einiger Uglane und Beke, die nach vorgan-
gtger Uebereinkunft mit «lem Feinde das Schlachtfeld verlies-
sen^ und noch einen anderen entschuldigenden Umstand, na«
menllich^ dass Timur hdmlich gekommen und dassTocbtaimysch
nicfat alle seine Slreitkrafte habe sammein kdnnen. Diese
Angabe ist, wie man aus der Geschichte weiss, iHcht
richlig, und abo auch^derVerrath der Uglane und Bekie nicht
Ti>Jlkbmmen glauhwiirdig;
Das nissische Duplicat ist unzweifelbaft in der Canilei
des Chans und auf Befehl desselben oder wenigsteo^ deijfini-
gen Person, weiche den Verhallnissen zum Auslande vorge^^
setzt war, angefertigt. Soweit es Uebersetzung beiss^d kann,
ist es im Ganzen richtig.
Der philologische Werth dieses Jarlyk ist viel gr5(ser,
als sein hisloriseher. Es gehort zu den wmigen Documen-
ten, weiche uns die tiirkische Sprache in ihrer urspningliclwa
Reinheit zeigen. *)
Wir verweilen jetzt noch hei einigen der Anmerkungen
des Verfassers. HeiT Berjosin vergleicht den Namen Toch-
*) Hammer* Purgat^U sagt in seiner Geschichte der Goldnen Horde
(S. 355) falsclilich , das Jarlyk sei in mongolisf^er S^racbe, die er
bekanntlich nicht versteht, geschrieben.
Bin larlyk dM Toohttmyieh. « 191
tamyftch dehr gliicklich mil Conslanlinus; denn ^r iil
eine Participialform von lochia mak, stehen bleiben, besldn-
dig sein. Cs War daruiti gerathener, den Namen mil ch und
nicht mil k zu schreiben, weil die itarke tenuis k in der alU
lilrkischen Sprache vermulhlich nicht vorhanden wai^. *) -^
DieLesung ;,sfh Jagaila'* (Jagaila-ga) statt Jagaila-Chan,
%vie Andere gelesen, ist sehr gut gerechtferligt; eben so „an
den Ort*" (urun-ga) slatt orda^ga. — Das am Ende der
dritten Zeile ku lesende ^^hy. steht gewiss fUr ^^fay, oder
genauer ^tf^.<; es istParlicip in gan (gen) von der Verbal-
wurzel ir (esse), mil dem Suffixe driller Person und derOb-
jeclsparlikeL Eine Vergleichung mil dem mongol. dsarga
ist also hier eben so unslalthaft, als sie es bei dem i^^^4,
von Zeile 13 sein wurde, das fiir ^jA, sleht und also dieselbe
form mil demselben SufGxe^ aber im Nominaliv isl. VielTeichl
liefs man das n zwischen Vokalen, besonders wenn i folgl,
gem in j zerfliefsen. In dem jjls^ der 16. Zeile isl jedoch
richlig n geschriebea. Das ^ (falscUich fur ^) steiil hi/er
keinSuffixum, sondern den Objeclsfali alleindar. — Baschly
erklart der Verf. befriedigend ; aber mil baschka (besondereri
anderer) isl es schwerlich zusammenzuslellen. — Illscbi oder
elischi (Gesandler) wird in einer uigurischen Handschrifl
ilelschi geschrieben; darum leilel es Herr B. jelzf^ seine
friihere Erklarung fahren lassend, von einer lilrk. Verbalwur-
zel il abgeschickt werden. Diese Wurzel (selzen wir hinzu]
besizl der Mongole nur in abgeleilelen Verben, z. B. ila-ga-
kii absenden, ila-ga-kda-ku abgesandl werden u.s.w. —
Von der angeblichen Identilal des tiirk. burun (vorher, vor)
mil dem mongoL Millelworte biiriin (S. 59) konnen wir noch
keine Ueberzeugung gewinnen. Nacb unserer Annahme isl
*J Schott sagl in seinem „finnisch-tfttarischen Sprachengetchlechte**
(8. 102| Anm.) : die torkitche Sprache scbeint nnpranfclMb keine an^^
deren Kebllaate gebabt zu baben, als cb and k, von denen enterer
das starkere k erzeugjte, und lelzterer entweder unverandert blieb,
oder (wie bei denOtmanen so'biufig) zvtm sobwfioheren g irorde.
f
I
192 Histomeh-pbilolotisotie WiMenMbaften. ^
e$ eios init deio SubsUnliv burun (Nase und Spili^e, Vor*
derlheil). — 5. 60 S9gl Herr B«, das (in den russischen Jar-
lyk's vorkommende) Wort Daryk batten weder Schmidt noeh
Grigorjew erklaren kixnnen. Sein erster Eiklarer war Schoti
in «mer Rect<nsion der GrigcHtjew^ch^n SchriA: y^Ueber die
Glaubwurdigkeit der JarlykV* u. s. \v« (Jahrbiich^r fur wi$sen-
schafUiche Krilik, 1844, Norember, No. 96.) Daselbst stehi
(Sp. 765) zu iesen: ,yEin Wort in dem Datum findet Herr Gri-
gorjew ralhselbaft, namlicb Oaryk; dieses knnn aber nichts
anderes sein, als das zu alien muhammedanischen VoJkern
iibergegangene arabische ^\^lj tarych, welcbes der Ueber-
setzer nicht verstand und sonach bios umschrieb'\ — S. 62
bemerkl der Verfasser, ein dschagatajisch-persisches WSrter-
buch erklare das als Namen vorkommende Idikii oderldiki
durch bahusch (verstandig) und setzt hinzu, man miisse also
ein alttlirkisches Stammwort id {Verstand) annehmen, das
vielleicht mit dem mongolischen ad (Substanz) verwandt sei.
Wenn id Verstand bedeutet hat, so war es eine platte Form
von is = lit^ deren Bedeutungen auf Hauch zuriickgehn.*)
Sollte der Name iibrigens nicht eigehtlich ^^jkXjt zu schreiben
und blose Abkiirzung sein von oyS^^Jut Ydikut, wie bei
Abulgasi (S. 50 — 51) eih Uigurenkonig genannt wird, der
sein Land freiwillig an Tschinggis abtrat? Abulgasi selbst er-
klart diesen Namen mit <«2<JbJ^v> dewfetlik gliicklichy welche
Bedeutung jedoch nur der zweiteBestandtheil (kut) ausdruckt.
Moglicher Weise bedeulel Idi-kut Verstand (und) Gliick. —
S. 66. Das mongolische Wort ulus halle Herr B. friiher, in
Uebereinstimmung mit Schott, fiir die Mehrheit von ul (= il
Volk) erklarl; jetzt ist er geueigt, es fiir das t5rk. uliisch
(Ablheilung) zu halten, weil in russischen Uebersetzungen von
Jarlyk's Uiusnye undUdjelnye Knasja (UIus-Fiirsten und
Theilfursten) gfeichbedeutend seien. Allein ulus heisst im
mongolischen Sprachgebrauche niemals Abtheilung,. sondern
*) .SchoU im finnisch-tartarisclien Sprachengeschlechte, S.65.
Kin Jarlyk des Tochtamjscb. 193
1) Volk, Nation im Ganzen; 2) Reich, Stat; 3) Oynastie. Es
hat also die erste Erkliirung weit mehr fiir sich. Die Beru-
fung aufUlu^nye und UdjelnyeKnasja kann schoD darum
nichts entscheiden, weil nicht bewiesen werden kann, dass das
Eine Uebersetsung des Anderen sei.
Nachtraglich bemerken wir, dass nun auch die richtige
Ableilung des Wortes ,,Ulane** gefunden ist. Das auch im
Osmanischen gebrauchliche oglan (bei den Tatartiirken ulan),
welches Knabe schleehlhin bedeutel, beaeichnete in den tata*
rischen Chanaten par ex.callence die furbllichen Knaben
Oder Prinzen vom Gebliite (Seite59 — 60). Sie waren der
hochste Adel oder gleichsam die Ritterschaft in der Orda,
besafsen Lehen, und verwalteten allerlei wichtige Aemter.
Tnsonderheit bildeten sie die Ehrengarde derChane. IhrName
ging mit der tatarischen Lanze zunachst auf das gefurchtetste
und trefflichsle Reitercorps der Polen iiber; und von diesen
zu den iibrigen Europaern^
Ueber.die nationalen, die grosse SterbU€hkeit
in Russland bedingenden Krankheiten.
Von
Dr. E. V. Rusadorf. '
PraktMchcm Ante in Berlin.
Wir erinnern uns dafs schon voriangsi von der rassisch^n
Regierung die Preisautgabe gestelll ist: welches die Ursache
der grofsen Slerblichkeit der Kinder in Russland set, und wie
ihr abzuhelfen? —
Wir miissen zugeben dafs obne Zweifel das kindliche
Alter, und zwar das zarleste vorziiglich, einer ungewdhnlichen
Slerblichkeit in Russland ausgesetzt sei. Denn es ist bekannl
dafs durchschnilllich die Menschen, so bald sie das Mannes-
alter erreicht oder iiberstiegen haben, in keinem Lande so alt
werden als in Russland. Hunderfjahrige Greise oderGreisin-
nen sind dorl keine Sellenheit. Nichts deslo weniger ist kein
Land der Welt so schlecht bevoikert als Russland. Die An*
nahme von 65 Millionen Menschen auf den 200 Langengrade
umfassenden russischen Staat ist wahrscheinlich zu grofs ge»
griffen. Und wie grofs niiifste inindeslens die Einwohnerzahl
sein, um bei gleichmafsiger Vertheilung das cullurfahige Land
zu bevolkern und fruchtbringend zu machen? Mindestens 150
Millionen !
Zugegeben also dafs die grofse Sterblichkeit der Kinder
in Russland eine zu der geringen Bevolkerung des Lan-
Die grofsf^ SterbUcbkeit in RoBftlaiid b^dingende Krankheiten. |95
des mitwirfcende UrsEache sei, ist es doch unrichtig aie ak die
einsige anzusprechen. Denn es sind nachweislich andere
VerhallDisse vorbanden, doren Wirksamkeil viel deulUcher zu
Tage irilt
Man bat auch behauptet dafs die Sterblichkeit derFrauen
in Russland, voraiiglicb in Petersburg, viel grofser sei als die
der Mannen Aber uns liegen fclr die Behaupiung keine nu-»
merisdi-statistiscfae Beweise vor. Man sebeint sie aus de^
Tbataacbe enllehnt zu haben dafs die weibliche BevSlkerung
in den grofsen russiscben Stadten so unverhaltnifsmafsig ge-
ringer als die mannliche ist. Vorschnell und einfaltig bat man
den Wdbermangel auf Scbuld der Prostitution und des aus
ihr entspringenden Siechtbums in den grofsen Stadten gescbrie-
ben. Dann miifsten die Weiber in andern europaiscben Haupt-
stadten nocb viel sterblicher sein als in Russland, wo die
eigentlicbe Prostitution nicbt so arg grassirt als in den andern
europaiscben Grofsstadten* Pie prostituirten Weiber, welcbe
in Russland ein Gescbaft aus der Prostitution raachen und als
Prostituirte eine Ciasse bilden, sind zum allergrofsten Tbeil
Auslanderinnen.
Die Tbatsacfae dafs in den russiscben Grofsstadten wenig
Weiber sind, ist sebr einfacb zu erklaren : die russiscben Rei-
chen nicbt allein, sondem alle welcbe dienender Hande be-
diirfen, bedienen sicb vorsugsweise der manniichen. Ja, zum
Ruhme Russlands sei*s gesagt, aucb in den Fabriken jSndet
man nur wenig oder keine Weiber und Kinder.
Aber die eine Thatsacbe steht fest: Russlands geringe
Bevolkerungy verursacht durch ungewobniicbe Sterbiicbkeit
im kindlicben Alter, und durcb einige andere (Jmstande.
Krankbeiten sind die Vermiltler der Sterbiicbkeit; kein
Menscb stirbt ohne krank zu sein. Es fragt sich: welcbea
sind die Krankbeitsursachen im russiscben Reiche, wodurcb
die grofse SterbHcbkeit vorzugswei&e !bedingt i^t? Giebt es
nationale Krankheiteaa in Russland? Oder: welcbe Krankhei*
teii> wenn sie auch Russland ausscbliefslicb nicbt eigentbum^'
lich wiiren, baben dort einen verderblichern Cbarakler ais in
196 Pbysikaliseh-matbematitehe WiMentdiAfteii*
dndem LSndern? Darch weljehe Mittel kann dkser grdfsern
Sterbtichkeit abgeholfen werden?
Beirachten wir lunichst die Kraokheiten und die Sterb-
lichkeit im kindlichen Alter.
Wirwollen sogleich von einerKrankheit ^andeln^ welche
wir, in Betracht ihrer HaufigkeilundGefahrlicbkeitin Ruasland,
und besonders im nSrdlichen Theile, ffir deo schlimtnsten
Wiirgengel des kindliehen Alters erklaren mtissen. Dies iat
der Scharlach, welcher im nSrdlichen Rnssland von einer B5s-
artigkeit ist, wie in keinem andern Lande. Die Ursachen
dieser Bosartigkeit sind sehr einleuchtend. Der Scharlach ist
und gilt auch in andern nSrdlichen^ Landem, wie %* B. im
ndrdlichen Deutschland, for eine der gefahrlidisten Kinder-
krankbeiten, in einzelnen Epidemieen sind aueh in Deutsch*
land alle Kinder einer Familie daran faingerafft; aber gleich'*
wohl erreicht die Krankheit nirgends die BdsarUgkeit des
russischen Scharlaclts, und nirgends sind die Epidemieen so
haufig als in Russland. Es giebt Gegenden im nordlichen
Russland, wie Petersburg mit seiner Umgegend, wo der Schar-
lach endemisch ist, d- h* zu jeder Zeit im Jahr hervortritt,
pldtzlich aber im Herbst oder Fruhling sur bdsartigsten Epi-
demie gesteigert wird. Die KMlie des russischen Klimas und
nichts Anderes macht diese Krankheit in Russland so bosartig.
Denn sie verhindert oder beeintraehtigt das Hervortreten des
akuten Exanlhems auf die Haut, wodurch die Nalur selbst
bei dieser Krankheit den Organismus von einem epidemiscb
and endemisch erzeugten Miasma zu befreien strebt. Daher
kennt man in keinem Lande besser als in Russland den lar-
virten Scharlach, denZustand einer Infektion durch dasSchar-
lachmiasma in welchem das akute Exanlhem sich nieht bildet.
Es kommt vor das Kinder in diesem Zustande scheinbar ge-
sund in die Schule gehen, und im Laufe desselben Tages
schon todt sind. Die haufigste Todesart in diesen Fallen lar*
virten Scharlachs ist eine Enlziindung der Gehirnhaute mit
AussehwiUung (hitzige Gehirnwassersucht), eine Krankheit
welche die grofslen Kinderarzte fur unheilbar erklfirt haben.
Die grofse SCerblichkeit in Rassland bectingende Krankheiten. {9t
Wo ein Uebel am grdfsten ist, pflegi man atich die beste
Hiilfe dagegen lu enldecken. So hat denn vorlSngst, als an
Priesnits und Grafenberg noch nicht gedachi wurde, der Pe«
tersburger Arst Harder ein ktihnes Mittel gegen den Schar-
lach angewendet: die kaiten Uebergiefsungen. Mir sind die
von diesem Arzte mit diesem Mittel erzieiten Resuitate un-
bekannt; aber ich bin fest iiberseugt dafs eine Art Wasserkur
in alien Fallen b5$artigen Scharlachs, wo entweder die Krank*
heit den Charakier der Putrescenz hat, oder wo iiberbaupt
das Exanlhem nicht zu Tage getreten ist, die einzige Hoff*
nung moglicher Hiilfe zulafst Aber wozu denn in Rusaland
kalte Uebergiefsungen nach der achlechten deutschen Manier?
Macht man denn iA Russland nicht die kaiten Uebergiefsun<^
gen seit Jahrhunderten besser und zweckmafsiger als in Deutsche
land? Willstdu imnier weilerschweifen ? Sieh! daaGute Kegl
so nah; lerne nur das Gliick ergreifen; denn das Gluck isl
immer da. Das Gliick, in diesem Fall, sind die russischen
Badstuben. Die kiihlen und allmahlig kalteren Uebergiersun->
gen in einem sehr warmen Zimmer, verbunden mit den star*
ken, lange fortgesetzten Friktionen der Haut, ja mit Kuthen*
hieben, sind ohne Zweifel zweckmafsiger als die Sturzbader
schlechtweg, welche von Stoll in Wien herriihren. Wahrlich,
es ware ein interessantes Faktum, wenn nach und nach das
russische Volk, zur Kenntnifs des schlimmsten Feindes seiner
Kinder gelangt^ sich seines vortrefilichsten nationalen Heilmil-
mitlels bedienen lernte, um den Feind so gut zu bekampfen,
nls 08 mit menschlichen Mitteln moglich ist. —
Vortrefilich! wird man sagen. Wie woUen sie aber dem
russischen Bauer die Kunst der mediziniscben Diagnostik beU
bringen, ohne welche gewifs die Fade larvirten oder bl>sarti«
gen Scharlachs nicht zu erkennen sind? Antworl: Ein Kind
das schwer erkrankt ist und es dabei im Halse hat, nicht
schiingen kann, hat den Scharlach. Wenn dies auch in hun«*
derl FHUen 50mal unwahr ware, so waren die uberfliissigen
Kuren in den Fallen der Tauschung wahrlich nicht zu bekla-*
gen, bei einer Krankheit welche gradezn als der schlimmste
196 Pbysikalisch-raathematisehe WitsenBchaften.
Wiirgengd der Kinder in Rus$land angesehn werdeD tnufis
Und ware es denn so schwer von Seiten dea Gouvernemente
alien russischen GeisUichen auf dem Lande ekien solchen me-
disinischen Wink zu geben? Die GeistlichM siod iiberall wo
es an Aerzlen maiigeU die mediBinischen Raihgeber des
Volks. —
Dies Mittel kann, wir sind es ilberzeugl, daau dienen,
bei larviriem Scharlach das Exanthem auf die Haul su rufeni
bei putridem Scharlach durch Reisimg der peripherischen
Nerven eine energische Refle^wirkung des Senaoriuras z|i er-
wecken, welche nolhwendig ist, dem pathologiBcben Agens
durch geniigende Krafteniwickelung des Organismus das
Gleiebgewicht su halten. In den leichien Fallen des Schar-
lachs mil regelmafsigem Verlauf wird die abwartende Heil-
meihode das beste Heilmiltel sein. Hier waren auch, werni
es durchaus eines Glaubens oder Aberglaubens beim Heilen
der Krankheilen bedarf, die Einreibungen mitSchweinefeit an
ihrem Plato, welche die St. Petersburger medisinische Zotung
so gutmiithig ist aus Deutschland nach Russiand su ubertra*
gen. Sie denkt vermuihlich: aus einem Lande das uns so
viel Gules bringt, konnen wir auch Albernheiten annehmen.
Wir gehen zu einer zweiten Krankheit uber, weloher vor-
sugsweise das kindliche Lebensalter ausgeselzt ist, daher sie
ohne Bedenken fur eine Kinderkrankheit gelten kann, welche
jedoch oft genug dauernde Nachwirkungen oder schlimme
Krankheitsreste in das AUer der Erwachsenen hineinzieht, ja
auch iiberhaupt, verspaiel, erst im Pubertatsaller sich eniwik-
keln kann. Dies ist die ScrophulosiSy for Russiand, ins Be-
sondefe fiir den nordliclien Theil dieses Landes, ein Uebel
von so grofser Bedeulung dafs die Aerzle und Gelehrten nichi
genug Fleifs und Sorgfalt auf seine griindlichste Erkennlnifs
verwenden konnen. Wenn irgend wo, so fallen gewifs in
Russiand diesem liefwurzelnden Leiden des menschliehen Or-*
ganismus ungeheuer viele Opfer. Denn kein Land; keiii
Klima, keine nationelleSitten sind seiner Enlstehung giinstiger
als die russischen. Dabei ist es eine Seuche des europaischen
Dm gro&e SterMwbkett in RuMlAod bedihgende Knuikh«iten. 190
Nordens, welche aufbteigend v^n Sttdwest .nachi Nordosi mil
den hdheren Culturgraden der Klimate an Ausbreilung und
BedeuUamkeit xunimmt.
Von gans besonderem Inleresse und von der- hdehste^
Btalistischen Wichtigkeii ist die Scrophalosis geworden, seit
es feststehl dafs die Lungenschwindsucht nichU weiter iai ab
eine Scrophuloais der Lungen. Nun bedenke man wie leicht
der acrophuloae Krankheit^proceia, im Alter der PaberlSt
obnefaiii ao gewKlHiIieh den Lungen zugewendeti in Rusaland
diese Richtung nimmt, wo daa Jahr aus Jahr ein «t Lungen-
catarrhen disponirende Klima den Organismus gewisaermafiieB
zwingt, die Scropkuleais in ibner gefihrlichsten , in ihrer un-
heilbaren Form, der Lungenpblhisia, dusaubilden. Auek iai
aaltsam durch slatiatische Berichle ermitlelt und ^rwieacn,
wie ungebeuer die Zahi der Erwacksenen, namentlich der
Sotdaten ist, wefelie alljShrlich in den HoapiiSlern an dieaer
Kronkheit zu Grunde gehen« Wie aehr das russische Volk
seibst, die Scropheln gewiasermaTsen als.eine Nationalkrank«-
heii kennt, gehl aus der natibnalen nissischen Benennung.
Solotucba bervor. Kein anderes Yolk Europas hat ftir die
Krankheit einen eignen, specifischen Namen, liberali bedleni.
man sicb einer aus der Wiaaenacfaaft entlthnten Beieicbnung,
das WprtSoioluoha aber will uns bediinken so acht russiaofa.
und Tolkslhiimlich xu sein als Cliljeb und Sehtsohi.
Es kann nicht unaere- Ahsicht sein, bier eine gelehrte,
umfassende Abhandlung (iber die Scropbelkrankbeit geben zu
wollen; der Ort verbietei-es. Aueb sind solcherlei AAeiten
naebgerade miifsig. und tidiSs. Von eineni Bucbe in's andre.
warden alle Formen der Scropbelkrankbeit, wird die aite
Leier dber ibre Aetiologie. ab* und iibergesohideben. Die
Wissonschaft und die Menscbbeit gewinht nicbts durcb di^se.
GeJebrsamkeit* Die Symplomatologie der Scropbulosis.kennt'
der einfaiiigste unter den Aeraien, und im Notbfalt ist Alkea
Scropbnlosis woilir man keineo anderen Namen weils. Die
herk&mmlicbe .Aetiologie ist so abgeschmackt und irage wie
nur eiwas sein kann. Feucble Lufl und schlecbte Nabning!
Srmans Rtiss. Archi?. Ed. XI. H. S. 14
^KX) Pliysilaliaoh-matheiimlitci^ WiM^niehafteiw
\)%s $it)4 bei d«n. Gelehrtesten dbr Gelehrten die einzigeli ai-*
men Siindenbod^Qi welobe 4ie $chreokUcfae Seuobe veiscbul*
den sollen. AIs ob man nicht aus feucbUrLuft iind scblech-
ter Nabruiig mindeaiens die baU>e Pulholegie ableitea kSnntei
iwd ala eb nicbt aoloher Abgesohmacktbieit lum Trots die
Kinder der Reioben, welcbe von Geburt an nach den Regeln
der Tberepie erxogen werden, uoi ae bartniiekiger von der
Sere^hulosid ergrifTen wiirden. Da bleibt denn nicbis and^ra
(ibrig ala die Therapie selbsl ak die riebtige cauta peccans
auuklagea, und damii wird deD Herm Aerilen am aUer-
weito^len gedient aein,
Kiircuniy ea (eMi olme Zweifel in der mediainiachea Wiar
genaekaft bia |elzt noch an der vollslandigen Erkenninifs der
ScffopbelkraolUieiL Niehta ist fiir den praktischeo Arat da-
dttrch geforderl, wenn in der neaaten Zeik <Ue mederne che*
nmehe Arzoeiachiile genauer als friiber daa Plua des Albumins
in Lymphei imd Blut nachweial; man behandelt die Scropbu*
loaia dadureh nicbt geacbickter und nicbl gliicklicber als fr&*
ber. Nkhls isl ferner dadurcb gefotrdert^ data die Mikrosko-
pisten uoter den Aeraten die patbologischen Zellen- oder
NiehlaeHenfonnen anguckei^ welobe die organisebe Mateiie ia
verschiedenea Formen der Stfopbelkrankbeii annimmt. Jeder
Aral weifs dafs der Scropliulosis eine rUbaeihafte Diapoation
des Organismus au efarenisi^heo Enlziindungeii, nicbt blofe im
Lympbdrusensystem , sondem in jedem andem anatomiscben
Substrata zu Grunde tiegt Die alte mediaimiscbe Scbiile neMi
diese Entaiindungen dyskrasische, die Krankbdt selbat eine
Dyskrasie*. In dieser Beaeichnung Uegt eine alle tektvoite
intuitive Erkeantnifa, deren sicb die jetzigea Reformer in der
mediziniscben Wiasenichaft nicbt riiiunen konnen. D^n. sie
laugnen alle specifistben Krankbeitscharaktere weg, welcbe
durcb Reagentien und Mikroskop nicbt nachgewiesen werden
keiuien» Schon soil es •keine specifisehe Augenenlsiindungen
mehr gefae& Aber (reilicb, die Hetlung, die Heiluag, dis ist
die Klippe an welcher diese mechaniscben Kfipfe scbeitern»
obne sur Erkennlnifs zu gelangen.
Die groOra Slerbiiclilieit in RoMlawl b«dkig#iide KumU^iten. SOI
Es ware niin ein Gliiok fiir deit gansen Tbeil der Meilsch*
heit) deren Bereich von der ScropheLieiichtt babcrriebt isl|' eB
ware speciell ftir Russland ein grofses Gliicky wetin malii die
Aeliologie dieser Krankheit naher ermittelndy gleichseitig die
Balin entdeekle auf welcher <tie Seaohe i^ich ebenao verjagen
fiefiie, wie sie auf derselben sich eingeflthiicfaeo hat. •^
Wir beniilsen dieaen Ort, um gedaditen Vevsufcli mi
machen.
(Jm die Aetiologid der Serephelaettohe fealmelelle^ amfa
man auiiaelisl fragen wie alt die Krankheit-iat^ unter welchen
Bedingungen eincr BevSlkerttiig sie herrsohti ^ndticli^ welohea
ilir wesenliicber*Ciiara]iEiler als pathologische Erscheinoiig iat.
Die Scropfaelseticbe iat eine dem Alterlbam unbeiuinnte
Kraokbeit wie dieSypbiis. Man kann aber ihreSpnr ao weit
in das Mittelalter verfolgen : aii die SypMUs^ Die Kraakbeit
ist vorsugsweise dem eoropaiacben Norden eiganlfaQmlieb;
ihre Ausbreiluhg wurde daber um so> grSfser, ifare Kennfagafi
urn so allgemeiner, je mehr der Norden Europas in den Kreia
der europaischen Culturstaaten Irat Denn die Serophelseuebe
ist ein Erblheil der Civilisation* Wohin aucb der NaUtrfor-
scber ooier Ur- und Nalarvoik^n seine Schritle wenden ssagi
er findet diese Krankbeit nicbt, und je mehr sich in civHisir-
ten LSndem das Vo&sleben der Simplicilat der Urvolker nii*
heri| am so getinger sind die Spuren der Scrophelkrankbeit.
Daber sind volkreicbe Sliidle ibr Hauptwehnaita und sie ist
seltner uBier der landlidiett Bev&lkenmg^ wie wenig nucb
dmrchaefanittlieb ^ie Diat derselben den therapeutischen Lehr«
sateen entspredie^ wdcbe durch diiilische Mitlel das Uebel
bdssmcbeti aaodilen* Auf dem Lande bUet sie wieder ge^
wis^ermaTsen einen Ring um die gmisen Stadte, und schla|^
devt ibre Weimsitse auf^ wo en^e Verbindungen mil den Cenr
trftipnnklan der Cinbaalioo staitfindefi, wie Handel. und Tfupr
peneinqnsrtirangeD* Auf einer Reise^ von Petersburg bis Moa*
kau, wahrc^d welcher ich jeden Halt daza beautttei S0 viel
Kinder und E^rwachsene als moglieh auszufragiett, tand ich
dies genau beslaligt. Bei mehreren Meiten im Uoakreise von
14*
202 ' PbysikftlMcb^mQtliciimititcbe WittentdialteR,
Moskau grassirte die Seuchc so fiirchleriicb, dab iiian in je-
4em Dorfe hatte «in Lasareth aniegen mUssen, uiu alle Sie^
thende und Kruppel untersubritigen/ Torzitglich zwischen
Moskau und Wjaa%va: sonderbar genug bier in einer Gegeod
welcbe diirch fransSsisobe TnippeninSrsche und Lagerstatten
ausgexetchtiet war. Die Sladi Wjaswa, frttber bliibendy ist seil
jener Zek des Bonapartiscfaen Feldcogs eu eineiii Dorfe re*
• duzirt Es sei uns eriaubt hier eine Beobachtong, in diesea
Gegendevt gemacht, einsoscbabeDy welcbe. jeden Arzli ja jeden
Laien in Ei^tauneh selzen mti^ Die europaische Patbolegie
. kennt durobweg den Lupus oder Herpes excedena ala eine
AosseMagaform scrophulBsen Ursprungs welcbe uberali nuri
im Gesichte, und swar voraugsweise an der Ni^e, ibren Sits
bat Zwitchen Moakaii und'-Wjaswa beobocblete iefa ai^ dem
Lande bei i^erBchiedeiien Kindem und erwacbsenen individuen
diesen Ausachiag in einer sokhep Ansdebnung fast iiber dcin
gansen K5rper, dafeBrusti Bauch und Extremitaten davoli be-r.
deekt waren;. Dabei feblie nie das charakterisliscbe Zerstorl*.
sein der N^se.
Man hat alte Laster undSunden, und vorzugsweise alles.
Elend der groben Stadte herbeigezogen , um die Aeliologie
der ScropbelkranLheit zp . erklaren. . Wir hahen schon oben.
dieseEMliirungsweisey verroutblich auf einleuchtende Weise,
bekiitnpft* Ein medisinischer Leser wird daber vermntbicDy
dafe wir ias'Begriff sind die Scrophulosis f&r eineToebter det
Syphilis, eine abgeschwaehte, vereii>te SypfaiBs auszugeken.
Diese Idee wSre nichlneu, und wir wiirden uns sckamen
bekannter Dinge wegen so . viel unn&thige Worjte zu .ma-?
chen. Wir sind aber so dreist^ dem Unwiiten. der A«rzle .
zam Trolz, die Scrophulosis .-ftir ^eine Tochter der Tbenif»e
zu eriLlSren, dieser roben, morderiscben Heilkunde, gegea
wefcbe schon der aite 3erserker Paracelsus sein Leben Img
gewiithet hat, ohne >dafs es ihni gelungen ware, sie auszurot*
ten; sie wird ncch heute von alien Calbedern gelebrt. . .
Ohne Umschweif stellen wir solort unsere, auf grikidliche .
Forschungen basirle Meinung, so schroff bin ais notbig ist
Die grofte Sterbliebkeit in RMilafi4 bediiig«iiM Kraftkbeiten. 203
uin xu frappiren: die Serophulosis kt eine chnmnche Vergif*
tung des Menschengeschlechts durch Merkur, von denAerstea
selbt verursacht Eiti Gift, ein specifisches Gift, dessen. Ge«
ruch schon hinrei^, gewisse Thiere lu iSdIen, ein M^kall
welches nebeii dem Arsenik die feindlichste Potenx unter sei*.
neagleiehen fiir den Organiamus iat, der Vitalilat ao feiadliehy
.dafs es als princeps anUphkigialicuiD unbeatfittnen Rang hat,
daxu, wenn es in refracla doai gegeben wird, Weder durch
den Darm, noch durch die Nieren, noch durch die Lungen,
noch durch die Haiti enischleden elimiiirbar, dieaen Stoff.
soUie dem Organisnius. ofane- Nacktheii einverleibt werden.
kdnnen? DieserSkoff aolile, ein mediiiniaohes Unding^ gegen
alle physiologischen Gesetae dea Organiamus , -sich nur den.,
kranken Theil au&uchen und deasen Krankkeift bei seiner Ein-
verleibung zerstoren^ ohne den tibrigen Organiamus anaufech-
ten? Die Antwort, die selbslverstiindliche Aniwort auf dieae
Fragen wird bei den Einen Beschamung, • bei den Andern
Lachen, bei noch Andern Unwillen und Entriiatung iiber eine
Wissenschafl erregen, von welcher so unendUch viel fur daa.
Heil der Menschheit abhangt
Die Gelegenheil aber, bei welcher dies Gift so unendKch
haufig den Menschen eingeOftfist wird, dab es als ein 'pabulum
vitiae pakhologicunr unsers Zeilalters zu betradilen ware, isl-
allerdings die Syphilis, iiber deren universelie, enorme Ver-
bfeitung gewife keine Zweifel obwalten, seit in aUen Staalen
eine organisirle Poliaei die Prostitution, mit ihrer Bliilhe, der
Syphilis, iiberwaoht
Und wl^re es wol zu viel gesagt wenn wir annehmen,
dafs fast jeder Soldat, fast alle Studirenden, gewib jeder
Stuizer in einer volkreichen'Stadt, mindestens einmal in der
Jugend so ungKicklich war, ein schliimnes Andenken von
der. Venus vuigivaga zu erhalten? Nun werden freiitch bei
weilem nicht alle Faite von syphilitischer Ansteckung mit
Queckailber behandelt ; aber gewifs genug urn das Siechthum,
Oder .aiindealens eine normwidrige hereditiire Kinase der or*
204 ' Ph^iikaliseli^-inatkeinlitiMhe WirMMMclMiften*
gttnischen Materia in eineoi sehr groben Theil itr Bevol-*
keitiiigen 2u bringen.
Die Verbreitung der Scrophulosis im eurofMiisciien Nor«»
den 9 ihre vorattgliche Bosariigkeit im ntrdlicben Rnssland,
fiihren aaf den Gedanken, da(s die Kiille des KUnuis der Krank-
beit entichieden fiirderlich, vielleichl ibre Hauptbedingung aein
miisse. Unler gewdhiiKcken UmsUndeny fiir gesiinde Con**.
stihiiioneHy dient ein kaltes Klima sur Abhartung, wiihrend di^
Scrophulosts mil allgemeiner Schwache det Organismna ein-
herbchreilet Dieser Umsland beweiat dafa bei der SoropbiH
loab'solebe Sloffe im Karpef eneugt und durdi ein kaifeas
Klima sunickgehahen warden, deren Ausscbcidung Bichf durch
den Darro^ oder die Nieren, oder die Liingen, aondern durch
die Haul geschieht. Ein derarliger Stoff ist das Albuminat
des Quecknlbers welchea, nach Einverleibnng dea lelslem in
den OrganiamuS) sich bild^.
Hiermil soil keineswegs gesagt werden dais jeder Scro-
piielsucbiigei namentlich jedes mil der in Rede slehenden
Seilche behaftele Kind, ein Quecksiiberpraparat, sei es ein Al^
buminal oder sons! etwas der Art, im Kdq>er ffibre. Denn
die Scrophulosis ist ebenso oft, ja 6flter aine hereditire Krank-
beit, als eine acquirirle, und es wurde eine streng homdopa-
tlHsche Ansebaisungsweise dazu gehSren, wenn man anneh*
men wolite dafs ein etwa im mensehlicben FSlus Terslecktes,
vom Vater oder von der Mutter auf denselben vererbles Ifit-
liontheikhen Quecksiiber in dem gebomen Kinde seine Wir-
kung so vervielfachen kdnnte, dafs es nun direkt die Scro*
phelseuche erzeugte. Eine solche Vorstellungsweise ' ist una
feme. Wir mussen aber nach der chemischen und therapeu-
tiscfaen Natur des Quecksilbers zugestehen, dab es ein Stoff
ist welcher den menschlichen Organismus nicfat leichthin, auch
nicht in Gruppen einselner Organe, sondem in seinen Winr«-
zeln, in seinen lieCsten Elementen sebwacht und erkrankeD
machty so dafs mit dem materiellen Substrat auch dieFunktio-^
nen verandert werden. Diese Verandening tritt bei Erwach-
senen nach Umstanden entschieden hervor, wie wir weiler
Die gfofse Slerblidikdil in Ruttlmd bedingMide Kiatikheitea. 206
bei Beschreibimg der rusMschon MerkurialkrankheU, dekm ^er-
den. 1st aber einmal 6in Organismut durcbweg, in alien set*'
nenTbeilen krank, so niufe und wird e» auch einTkeUchen
deaselben^ ein Ableger aein, den wir Kindi oder zimSqhsl F6^
ins nennen.
Dietalbe durch M^rknrvergiflung efteugle AdyaMMe eints
viiterlichen oder miiUerlicben Organismus Iritt natlirikh bdm
Kiade, dem noch abalrakt vegelaitven Menscben, in der ve«
getattvtn SpbSrt des Organismus berven Diesa isl die. Ha*
matopoese in letater, die Cbylo« und Chymepoese in aweiler
and ersier Inslans. Das unier diesem Umslande in dieaer
Spfaare bervoftretende Leiden des kiiidlichen Organisnras ist
die Scropbttlosis.
Diese iangere Ameinanderseuung waren wir vemttnfti*
gerweise verpflicblet^ voraufgehn xu lessen, wenn wir die
medizinisehe Polizei, insbesondere von Russland, wohlmeineiid
anf eine Maferegel aufaierkdain maoben wolllen, wodurcb
walirschdniieb mil Beschrfinknng der Scrophelseuche auch
die Sterblicbkeii der Kinder in Rnssland vermindert werden
w&rde. Diese ist das AnslSsclien des Merkurs aus der materia
medica^ namentiich aber die Verpdnung dieses Metalls bei Be*
handlung der Syphilis*
Wir behaupten dafs das Queckstlber ikberail und unter
alien UmstSnden, nicht ^blofa ein iiberfltisstgeSy sondem ein
schfidliehes Heihoillel lat, und abgesehn von den Homfiopa*
theii) giebl es bewiibrte Aerate genug welehe diese Meittimg
theileUy zu welcben auch der in Russland so wohlangesebene
moderne Paracelsnsy Rademacher, gebSrt. Wir ertntiem aber
dab die Behandlnng der Syphilis mit Quecksilberuitaso mebr un*
V4meihlicb sei, je entschiedener statisttsche Nadiweise dieThat*
sache heraosgestellt haben, dale nacb der Bebandlung derSy*
pbilia mit Merkur baufiger Recidive stattfinderty als nach der
sogenannlen englischen. Niehts desto weniger flerirt noch a)l*
iiberall in ganz Deutscbland, nnd vermuthlich auch in R«ai«
land die merkurielle Bebandlung der Syphilis, als db es eine
Erbsiinde in derWissenschafl geben miifete, wo eine irdisohe
206: .Physlldilitch-iniUlieateUsdie WiaaftMiteteo.
HSUeasirafe existirt. Lafst erat das Sottdigen, bevor ihr damn*
denkt die HoUenslrafe der Syphilis auszurotUn.
Voratehendes ist s|^ciell mil Beiug auf Riisslandy aas Be*
trachtuhg palhologi^ber Zuslande Russlands, geaagl, und da?
mit man einen Begriff bekomme von der Verderblicbkeii der
Seropbalosis in RuMland, bier nur die Beacbreibung einer
Form. XJnter der Jandlichen Bevolkerung in Ruiislaiid grasairl
eine scrophidose Ophlhcilmie, welche. eiiie fiirditerliehe Plage
der : armen Menschen \sX. Sie ist sdiwer beilbaf und bei der
heiten Bebandlung barlkiacluig. Sieh seibsl iiberUaseo hat siei
fast immer Erblindung zur FoJg^. Eine gerwge %zMBk lo .die
Augen fallende EnUundung conjunctivae palpebrarum, die iti.
der Kegel nur slellenweise Ausbreitung hat, ist der Anfang
der Kranktwit. Mit dies^r EnUundung ist lange nicht so
grofse Photopbobie verbuadeni als sopst ia Dieulschlandy d^
scrophuISse Ophthaloiie ku begleiten pflegt. Sehr bald ^ber.
bahiit sieh radienartig bus einer Eolzundimgsiiis«:l der coor
junctiva Bulbi ein cartes Gefafs die Bahn auf die Mitte der
Uornhaut, und verastelt sicb, auf deren Mijlle angelangt, neto*
artig bald .nur uber den PupiUarlheili bald Uber die gaaae
Holtib^ut. Diese Entztindung bringt oft in kurzer Zeit einen
Pannus vasculosus hervor, am hiiufigsten aber etablirt sieh ein
Gescbwtur welehes 90 eutschiedne Tender; hat, die ;Cornea
zu dur^bbf echeoi dais dieser Durcbbruch oft von einem Tage
zum aiidern gescbieht wean das Geschwiir ooch ganz klein
und unseheinbar^ von der Grofse eines kkiiisten N^delkqopf-*.
chefis \9k.
Seb^rlac^ und Soropheln sind die beidea Kinderkrankbei-
ten, welche, fiir Russland sejbr vqrderbiichy auch einen eigen-
thiimlitehen b5sa)rtigen Cbsrakter in diesem Lande tragen.
Scorbut und Merkuri^lkrankheit sind zwei Krankbeiten des
reifen Alters, welche, ihres potenzjrten Charakters wegea,
ohne suf Russland bescbrankt zu sein, den Namen rusaiacber
Nationalkrankheiten verdienen. -^
Die scorbutische Anlage steckt im ganzen russiscben Volk,
so weit die Leibeigenschaft reicht. Es ware ein Beweis von
Die gro(ii« StefbtioUMit in Rliailaiitl bcdiligthde KMnkheiten. 20Z
geringem Soharfsinn, wenn man die EigeMhiimlieliktil ded
scorbutischen Zustandcs ia RussJiind nur :da schen wollte, wd
die hochsle Entwicklung der seorbulischen Anlage, die Sympto*-
mengruppe weiche in den Buchern iiber Pathologic und Dia-i
gnostik Scorbui heifaty ausgebildet bu Tage trilt Viclmebr
wird jeder Arzt, der Gelegenheit gehalii hat grofae Volksi^
heilanstalten in Deutschland und andern niohirassisclien Lan-
dern genau zadurchforschen, bei Miisterung der russischen
Laxarelbe eine auffallende Vecftchiedenheil aller ruaaiaeboH
Kranken und aller oder der mehrsten Krankheiten er^tdecken.
Diese Verschiedenheit besieht darin, dafa in Russiand alle
Krankheiten des Voiks auf acorbutischer Basia, auf scorboti-
schem Boden, wie man aieh in Berlin au9druckt/ verfaufen.
Dieae 'Thatdache wird von russiscben Aerxten, welche das
Aualand nicht kennen, gelaugnet werden. Nichls desto we*
niger r aleht sie feat. Alle epidemischen Fieber haben den
torpid-putriden Charakter, alle chronischen Krankheiten gehen
mil; AnhSmie und Dissolution des Bluls einber. Was die
Fuseldl-Dia these y zu Delirium tremens disponirend, bei den
Kranken im Berliner Charitekrankenhause ist, das ist die
scorbulische Dialbese bei alien Kranken in russischen La-
zarefhen.
Dieser Umstand allein macht die grofse Sterblichkeit der
arbeitenden Bev$lkeruug in den russischen Grofsstadten er-
klarlich. Die Arbeiterklasbe der russischen Hauptstadte bestebt
aos letbeignen Nationolrusaen, welche von ihren Herren gegen
Erlegung eil^er jShrticKen Abgabe (Obrok) ftir bestimmte Zeit
mit einem Pab etitlaftsen werden, urn auf eigne Hand ihr
Brod zu erwerben. Ala Handlanger, und mit ihrem einzigen
Werkzeuge, demBeil, imGurtel, wandern jabrlicb 50000 bis
80000 dieser Leute nach Petersburg, um ein ungewisses Brod
zu finden. ErsebSpft durch lange Marsche und durch die
karglicbste Nahrung, Schwarzbrod und VVasser, kommen sie
in Peter£(Mirg ah, und sind zum groben Theile schon bei
ihrer Ankunft GandidMen der Hospitaler. Diese Ungliicklichen
bringen die sce^utische Anlage mit. Daher ist denn die
206
PbjsikaUwh-iiHkllMmatiaelie WtMCMokafleM.
SterUichkeit in den HauplstMdten , nMnentlieh in St Peters-
burg so grofii, dab nach aUitisUaehca Berichten die Zahl der
TodesfSlle, die Zahl der Geburlen alljalirlicb itm Tausende
iibersteigt. Um diea VeriifiUnib anschaolich lu macben tiwi-
len wir nachstehende statistisGhe Tabellen ilber Geburlen and
TodesfaUe in St Petersburg tnit
Es kamcn vor
tm Jahr
G«bnrten
Todetfille
1807
1808
1813
1815
1816
1817
1818
7600 ......
7812 (673 unehliehe)
7558
8316 (1168 unehUche)
7888 (1111 unehUche)
8303 (4206 Knaben,
4095 Madchen)
7968
10867.
14504.
14964. /
11029 (worunter 300 darcb
UnglacksTalie uad 15 durch
Selbstmord ; 3721 durchKo-
iik; 14 duicb Pockoi; 4 in
einem Alter iiber 100, 1 mit
105, 2 bis 110 und 1 mil
120 Jabren).
9256 (5539 mannL und 3717
weibL Geschlechis; davon
375 durch UngkicksBUe, 7
durch Selbstmord, Kinder im
1. Lebensalter 2302; durch
Pocken 152; durch Aosxdi-
rung 2101; durch faitiige
Fieber 1592; von den Ver-
storbenen waren 166 fiber
80, 34 uber 90, 6 iiber 100,
1 Uber 130 Jahr alt).
9590 (100 Ertrunkene; 16
Selbstm&rder; 2260anCon-
vuisionen; 1664 an hitugen
Fiebem; 62 bei derEntbin-
dung; 60 an Pocken etc.).
Die groCM StatUieUMit k RiMlMd bedi«gm4* KtwUieiten. 209
Im Jahr I Gebarten
To4Mfalle
1619
1820
1821
7550
8110
8509 (4369 Knaben,
4135 Madchen, wovon
1262 unehlich)
1822
1831
1833
1834
1835
8097 (unehiicb 1142)
6511 (woranter 3515
Knaben)
9094 (4689 Knaben,
4404 Madcken)
10335 (4385 Knaben,
6004 Madchen)
10313
10726 (an Pocken 3400).
8787.
9106 (durch Ungliicksfalle 365;
an .Convulsionen 8189; an
hilzigen Fiebern 1796; an
Schwindsucht 1550; an Pok-
ken 408; bei der EntbindQng
45; ini Alter von 100—115
Jahren 2).
11083 (durch UnglUcksfalle
353; an Pocken 193; im
AUer von 90 Jahren 136;
uber 90: 23; 1: 100).
'25715 (worunler 9359 an der
Cholera).
12957 (namlich 8281 mannl.
4660 weibliche Individuen,
worunler an hilzigen Fiebern
3418; an SUchen 3346; an
Schwindsucht 1140; an Al-
tersschwache 5776; an Pok-
ken 83; im Wochenbett 83;
an Ungliicksfaiien 452.
4781. (worunter an SUchen
3559; an hitxigen Fiebern
2250 ; an Schwindsucht 495;
an Aiterschwache 627; an
Pocken 98; im Wochenbett
85; d. Unglucbralle 461)i
13249 (8344 mannL, 4905
weibL Geschlechts, woruo-
ter an Slicben 3507; an
hitzigen Fiebern 2968; an
Schwindsucht 1269; an Al-
210
PliysBnliBeh-^inatliJimfttliche WiMieiiteliaieeii.
Im Jabr
Cretrarten
Todesfalle
6118
6394
iersschwache 637; an. Pok-
kan 100; im Wbx;h»ibeUe
62; an Ungiucksrallen 493).
1836 9928 12009 (7293 mannl, 4716
weibl Geschlechls).
1837 1 12622 ..... 13521 (8246 niannl., 5275
weibl. Geschiechls).
1838 12511 14304 (9296 m., 5006 w. Ge-
scblechts., wobei an Krank-
heiten 7275; an Ungliicks-
fallen 203; an plfitzlichen
Zufallen 317).
1839 1314 ..... 18459 (12341 mannL,
weibL Ge^cblechts).
1840 13339 ..... 19538 (13164 mgnnl,
weibl. Ge$chIechU).
1847 12343. 15989 ( 10503 ipannl, 5469
weibl. Geschlechts).
Wit k&nnten diese Tabellen noch weiter fortseUen, wir
k5hnleh noch ahnliehe Tabellen liber die Zahl der Verstor-
benen nach Dezennien, dann wieder nach den einzelnen Mo-
naten, alle im Verhaltnifs zu den Gebornen, hinzufilgen; aber
es geniige diese einztge, um die grofse Sterblichkeit der ar-
beitenden Classe (denn von dieser ausschliefsiich sind die Ci-
vilhospitaler bevSlkert) anschaulich zu machen. In den Mili-
lairhospitalern findet naliarltch dasselbe Verhaltnifs stall; denn
der russische Soldat kann unmogiich besser gehaiten sein, als
der russische Arbeiter, der sich selbst seine Lebensmittel ein-
kauft. Und so sind denn auch wirklich diese Truppen niit
einer eigenlhiimlichen Anhamie behaftet. Ihre Haul ist wie
gegerbtes Leder, wenn man im Winter, bei 25Graden Kalte,
ganze Eskadronen, ja Regimenter voruber passiren siehl, so
gewahrt man unter den ganzen, grofsen Massen dieser der
Mehrzahl nach jungen Leule, keinen Einzigen dem die Kalte
Die grolie Sterblidikeit in Riissland bedingeade Kranklieiten. 211
itn Slande gewesen wiire, das Gesieht zu rotheoi gelblu)hgrair
sehn sie alle aus, troU ilirer J^gend, Iroii der aktiVen Be*
wegung in der man sie sieht und troU der rutsischen KiUle^
welche jeden IVlensehen. mit gewohnKcheni, geaundem Blut daa
Gesicht mit Purpurr5ihe liberzieht
Dafs bei dieser handgreiflichen Anbamie und i>ei alien
andern bekannten EigenthUailicbkeiten des rusfiscben Yolka»
welche korperlichen und Seelenulstande de^selben bedin-
gen^ der Scorbut in Rassland zuweilen sog ar epidemiaoh aiff--
tritt, wird nieroand wuhdemefameD. Die leUten $ehr gi^ofseni
Epidemieen desScorbuts waran in denJahreti 1742 und 1786«
Aber trots der WachaamkeU des Gouvernemeiitf {ib^if '4ii^
eingebrachten Lehensoiitiel/lrbtB der sweifelloa T^^rgea^^brUte-;
nen Sufserlichen Kultur der Menachen, ist der Scorbut ijiimer
unbesiegt. VVenn er auch.nicht in grofsen Epidemieen au^
trill, so darf man doch nur einen Gang di^rch die Hospitaler^
inachen) um sich zvt iiberaeugen, dafs auch der fiusgebildel^'
Scorbut bier nie ganz aufliSrt, abgesehen von deni bereita.
erwSlmlen acorbutischen Chamkler aller Krankheiten welche.
das Volk treffen.
Uebrigens ist die scerbuUaciic^ Dialhese. nach deo Jahrt9r
z^len deutlichen Sckwanknngen unterworfen* GewohoU^I^.
beginnt ihre starkere Enlwickliing mil dem AnCange de$ Jab^
res, erreichl ' mil dena Mai und Jani ibre h^devUendsle Hobe^,
uad tritt daim im:AugUslnnd September, spatje^lefis im Okto-^;
ber, svieder mehr sariick. tLalte Winter, ein ^n Ost* und.
Nordivindea reiefaes Fnihjahr bMcbr4fike|i .dieselbe, dagegei)
veroiehrt sich £eZahl der Scftrbulkrank^p ganz a^iberprdei^t-';
lich naeh emem; gelindeD Winter und fUOem feuch^en Friih-.
ling.-- . :
VVir fiigen dem bier iiber den russischen Scorbut Mit-^.
getheilten die Beschreibung e«o#r $corbglis0h^Q Krankh;eits-
speoies hinzu, . welche. nicht blofa "ph/siologi^ch sehr interessa^t
ist, sdndem auefa in Deulschland yop iibenr^sch^nd^r Ne^ub^jl :
sein durfte. Die Scorbutkranken leiden dabei fin einer niebr ,
als gew^nlichen Muskdischw^qhe, zi| w^lpb^ sich. naeh und.
212 Ptiytlkali8ch*iiMitheinMkcbe WiMtHMlwilen.
nach eine tfnmer sunehmejide Airophie gesdlL Die Haul ist
mehr tiler weniger mit scorbuUscben Ekchjmosen bedeckL
Endlich nlmint die Epidermis an den Extremilaten eiae Arl
von Glans an, wobei ihre Sekfetion aufauhoren scheint; denn
sie isl trocken, straff, wie mil dem Zdlisloff unler ihr tinbe-*
weglich verbonden. Der Zellsloff selbsl mil der Haul ^ariiber
fiihlen sich hart an wie Hols, ja wie Stein, und die voa die*
ser Krankheit ergriffenen Gebilde gleichen, bei der scorbiiii-
sehen Hautftrbung, polirten bunten Marmorplatten. Die Krank-
heit ist niebts Anderes als eine Sclerosis soorbuttca^ eine
scorbulische Verhiirtung des subcutanen Zelistoflk Nehraials
bab' ich mii dieser Krankheit grofse AnschweUungen der Pa-
rolls und anderer Dri&sen oorapKeirt gesdbn.
Wir gehen sur Beschreibung der russbchen Merkttrial*
krankheit Qber, bei welcher wir urn so mehr langer verweilen,
einmal w«i sie in Deutschland ganz unbekannt isl, und dann
weil es wiinschenswerlh wfire, dorch ihreCenntailsveranlalst,
ahnlichen Erscheinungen in Deutsehland nachxuforschen. Der
Raum in diesen BliiUem geslattet nicbl, alie oder nur einige
der Krankheitsgeschichlen mitzulheilen, aus welchen die nadi*
stehenden Beschreibungen entlehnt sind. Es sind mehrere
ekiatanle Fiille darunter, in wefeheu die von Hydrati^rrosis Er-
griifnen durchaus nicht s]rphyitisch gewesen waren und also
das Quecksilber nicht innerKch einverieiU haUen. Mehrere
haben es zur Vertilgung von Ungeziefer stark m die Haul
eingerieben, andere batten es leichlsinniger Weise, in Poms
der grauen Salbe, bei jeder Gelegenheit, bei Krcuischmeneii,
Zahnschmerzen, )a bei Kopfschmerzen, ebenfaUs endeiutaiisch
angewendet. DiesePlrlle waren ftir den Aral um so instrnkli*'
ver, well bier kein Verdacht einer Complikation mit Syphilis
statlhaben konnle.
1. MerkuriaNRheumatismus. Die Kranken bekommttn
znerst Sehmerzen in den Artikuiationen der Extremilaten, nie*
mats vorher in Muskelpartieen, weder der Extrennlalen, neck
des Rumpfes, und awar so dafs an den ExtremiUlen wieder
zuerst das Gelenk befallen wird, welches am sl2rkalen divch
Die grofBe SteiWekkdU in Riutlaiid iKNliageia*^ iCMikbeiten. 213
Mi^elaklion afBnrt war. Bei einan PatMUlen Wttrd« weral
das Handgeleiik der rechten Hand schaierakafty weil er tag*
lich oftmals eibeschwer zu Sffnende Thiir aufachliefiian anifste^
bei einem andern das capilulum fibulae das linkeii Kniegelenka^
well er die Gewohnheii halle linker Seita aus dem Schlilien
zu steigen. hm einem ao geringen AaCaog entwickelt aich re*
gelmabig ein grofses UebeL
Der Gelenkschmerz isl zuersi und gewohnlicb mil keiner
sichibaren Geschwulal verbmiden, aach ist er nichl sponian^
sondem alelU aich nnr bei der Muakelaklioa ein und labt sich
hervorrulen durch Druck auf die affizirtan Tbeiie.
Die Unlersuchiing durch den Drad: erweiat dala daa Pe«
richondrium an der Inaeriionastelle der Muakeln, Sila des
Scfamenes isl. Das zunachsl vom Merkuriateheumaliai^us ei^
griffene Gelenk bleibt zuweilen langere Ztit, wochenlang^ aus-^
sehiielalicher Sils dosselben, und wird.am schwersten von ihm
befreit; aber in der Kegel brttt bald eine Wanderung der Krank*
heit zu anderen Gelenketi ein, b^ welcher sich kein conalan*
tea GeseU einer ReihenfoJge herausslelUi 6lwa voiu Kniege-
ienk zurHufte, oder vom Handgelenk zur EUenbuge, sondem
die Oriaveranderung erfolgi ohne Ordnung, eniweder in Ge*
lenke die entferoter vom Rumpfe sind ala das zuersi befallae,
oder in hoher gelegne» oder in beiderlei Gelenke zugleich.
, Kein Gelenk der Eictremilalen bleibt beim Merkurial*-Rbeu-
matismus verschont E$ giebt Patienten bei welchen alleGe*
lenke nach einanderi andere bei welchen alia §^ichzeitig be-
fallen wurden, so dab sowol Podagra, ak Chiragra,.als Lumbago
merkiuriakheumaiiscb^r Natur aein kann.
Am scbmerahaftestm warden diejenigen Gelenke ergriffen,
welche vermoge ihrer natiirlichen Verrichiungen bei den schwer-
sten Mtt&kebktionen belbeiligt sind, also das Knie- und BUen-
bttggelenk. — .
Ist ein Gelenk Ungere Zeit der Siti des Merkurialrheu*
maliamua geweserii so steUt sich ein veranderterEutziindtrngs-
zustand des Organca ein, die chroniacbe Entzivadnpg verur-
sacht Tranaaudmlioii in, devb hiuti|^n Umg^ungen des Gelenks:
214 Pkyiikaliteli-mathemallielM Wlst^»tehaften*
to biidet idcii Hydnirirose. Die Kniee besonden scHwelieii
stark bydropisch an, die Patella vrird flaktoiread.
Nachdem latigere Zeit die Gelenke det ExlreimUileii Sits
des Rlerkurialrheumatismus gewesen sind, werden nach und
Mch hdher gekgne Gebilde, die Arlikuialionen der Rippen
mil dem Sternum y ergrtffen« Die heftige Exspiralion beiin
Husten und Niesen verursacht einen UDertregUchen Schmerz.
Der Kranke vermag endlich, wegen Affektion der Rtieken*
muskein, kaum sich im Bette umsuwendeli.
Die eintige Mitskelgnippe, derenAklion ich beim Merku-
rialrheumatismus keinen Sehmerz babe verursachen seben, isl-
die der pbynognomischen GeaichtamBskeln.
An die Affektion der Gelenke und Mnskeln durch die
Merkurialkf ankbeit, oabliefst sich die des Hertens, in der Form
vbn Palpiiationen. Kranke welebe stark von der Hydrargy-
i^sis ergriffeh sind, leiden an einer sebr grofsen Pidsfreqiienz,
und die Reissbarkeit des Herzens ist so grofs da(s nach dem
Genusse von Speisen und warmen oder andernGetranken als
blofsem Wasser, beflige Palpitationen> eintreten. Aiich beim
Treppensteigen und Shnlichen Bewegungen steilt sicb dies
Symptom ein, als ob eine' Hyperlrephie des Herzens vorhan-<
den wSre. Auch sind mir in der Tbat Fiille bekannt gew#r«
den, wo Aneurismabildung unzweifelhaft Foige von merkuriei*
ler Infektion war: eine sebr einleucbtende Grscheioungy da
nichts geeigneter ist, die Hsiute der Arterien zu aneurismati*
seher Dilatation 2u pradisponiren , als ihre Auflockermig und
Zersetzung durch Quecksilber. (jeberhaupt sind die hHufige
Aneurismabildung in Nordrussland, zumal bei den Marinesol*
da ten, und die Merkurialkrankbeit durch einen gewissen Pa-
ralellismus ausgezeichnet*
Die Muskein beim Merkurialrbeumatismus befinden sieh
in einem Zustande von Adynamic, welche sich als unzulang**
liche Contraktion und als Schmerz bei derselben aufserU
Der Schmerz aber der sensiblen Nerven wird erst geweekt
durch die Contraktion der motorhschen Nerven, die Neuralgie
ist keine spontane, sopdern dureh die Muskdaktien gesetzt.
Die grofse SterblicMs^it in RiiMkifNl b«diiigeAdo Krankbeilen. 215
Sei es nun weil die Extensoren von Natur schwScher inner*
virt sind, als die Extensoren, oder weil die Extensoren we*
gen der aufrechten Stellung des Menschen einer permanente*
ren Anslrengung unterworfen sind, als die Floxoren, genug,
im Merkurialrheuinatisinus zeigt sich die Muskelschwache vor-
ziigiich grofs in den Extensoren. Die Krunken gehen mit
kruinmen Beinen, halien die Arme beslandig in flekiirter Siel-
lung, den Rucken gebogen und den KopC gebiickt. Ihre Be-
wegungen und Slellungen sind die dekrupider Greise^ So wie
aber die Aklion der Extensoren unvollkommen ist, eben so
sind auch die Flexoren geschwacht; die Flexion gelingt nur
bis auf einen gewissen Grad, Uber welchen hinaus der heftige
Schmerz bei der Muskeiaklion sie nicht kommen lalst.
Konnen wir die bisber aufgefiihrten Erscheinungen im
Bewegungsapparat als fixen Rheumalismus bezeichnen^ welcher
in den Gelenken sich durch starke Anstrengungen oder durch
die Lange seiner Dauer zum akuten Gelenkrheuinalismus
steigeri, so beschliefsi die merkurielle Neuralgie als sotche,
der spontane Schmerz, die ganze Reihe bekannter rheumati*
scher Affektionen, wenn wir die letzte Affeklion ebenfalls. mit
den bekannten Ausdrueken rheumatismus vagus seu volatilis
bezeichnen. Die am Merkurialrheumatismus Leidenden eropfin^
den namlich bei vollkomiimer Ruhe desKorpers an wechseln-
den Kdrperstellen zuweilen einen nicht heftigen Schmerz,
welcher, ohne lange anzudauern, den Ort veriindert and
sprungweise weitergeht* Er huplt- willkiirlich im Korper urn-
her, und ist urn so rathselhafler, weil der Ort wo er sich
zeigt niemals, wenn liian ihn nun driickt, gegen den Druck
schmerzhaft ist. —
So ist denn ein an Merkurialrheumatismus Leidender bei
einem gewissen Grade der Krankheit ein Gegenstand nur zu
geeignet, Mas tiefste Mitleiden einzufloCsen. Der arme Kranke,
nicht biofs des lebensfrohen Bewufstseins beraubt, welches die
gesunde Bewegungslhalrgkeit begleilei, sondem ein absoluter
Krilppely unfiihig sich selbst an- und auszukleiden^ ja um. eine
Uhr aus der Tasche zu Ziehen, oder einen Uut auf d^m Kopf
GrmaDt Rusg. Archiv. Bd. XI. H. S. 15
216 Pkytikalitdi- iMitheuialitcho WiMenMliafteii.
su setsen — wird durch die Harinackigkeil diesei^ Leideoa,
IB welchem der Rath auch der besten Aerzie keine sdbDdl«
Hiilfe schaffen kann, zur Ver&weinung gebrachl. Wie be-
nichtigi wegen ihrer Schwerheilbarkeit sind nichi achoo. iiber*
haupk Hbeumaliamus und Arthritis. Aber man Ume erst
einen veralteten Merkurialrheumatismus kennen; der Stolz
des eingebildetsten Praktikers wird sicb gedehnmtbigl fuhleo.
Der Merkurialrheumalisinus ist iibrigens der Repoission
und Exacerbation unkerworfen. Eine anhaltende Muskellha-
ligkeii macht ihn zuerst geiinder; dann, wenn sie laoger
dauert als das schwer bealimmbare Mafs der vorhandenen
KrSfie ertragt, nimmi er in hobem Grade zu, und sein hoch-
ster Grad trilt naeh einer kurzen Rube hervor, die auf eine
lange Anstrengung (olgt« Die Diat aufsert einen sehr gros-
sen Einflufs auf die Krankheit Reichliche und derbe
Kost vermehren sie; unmittelbar nach dem Essen zeigt
9ieh die grfibte Exacerbation. Die grdfste Remission wird
durdi die einCachste und mafsigste Diat bewirkt Beim grSfa*
ten Hunger ftlhlen sich die Kranken am freisten von iSehmer*
sen. Auch am Morgen, nach langer ^'achtnihe, sind die
Schmerzen geringer. Schlaf, viei Schlaf ist fur Merkucial^
kranke das grSfste Bediirfniis und vertritfc die Stelie eiser
Bl8rkenden und erquickenden Arznei« Der Genub ven spin-
ku5sen Getrfinken verursacht nicht blofs keine Starkung, son-
dern ist positiv schadiich. —
An den hier beschriebenen Merkurialrheumatismus reiht
iltch am besten ein^ Symptom der Merkurialkrankheit an, wel*
ehes so wie die Salivation allgemein als unzweifelhafte Wir-
kung des Quecksilbers gilt., das Sehnenhupfen. nSmlieh. £s
hat jedeeh, unsers Erachtens, ala Symptom so wol, wie als
Krankheitsmomenl, nur einen untergeordneten Worth. Denn
ab ein charakteristisches Zeichen darf es nichi gelten, weil
es sich in vielen andern Krankbeiten findet, ja auch fan rela*-
tiv gesunden Zustande vorkommt Nur dies meehte in Be*
ziehung auf Merkurialrheumatismus zu erwahnen sefaii 4a($
dies Sympimn in der Merkurialkrankheit seine GradatiiKi ma-
Die grofse Sterblidikeit in RossUnd bedingende Krtnkheiten. 217
nifestirt durch die ZabI der gleicbzeitig reaglrenden Muskeln.
Baid namlich ist es nur das tendindse Ende eines Muskels,
welches die stattfindende sensible Reizung reflektiiiy bald ein
Mnskel in seiner ganzen Ausdehnung, bald eine Muskelgnippe,
bald eine ganze Extremitat, in der Weise dafs namentlich ein
Bein, xviihrend der Kranke ruhig im Bette liegt, plolzlich em*
porgeschnellt wird. Hiiufig ereignei sich die Erscbeinung im
Sehlaf und weckt alsdann den Palienten auf. **~
2. Merkurialatrophia Nicht blols Site des Rheumati8«>
mus sind die Muskein in der Merkurialkrankbeil, sondern noch
eines andem Symptoms, durch dessen Betradilung man dem
Wesen dieser Krankheit, weiche wir bisher ganz unmittelbar
und unerlautert gelassen, ein gules Stiick niiher trelen. Dies
ist die Merkurialatrophie. Zuerst namlich die Muskela welche
am starkslen vom Merkurialrheumatismus ergriffen sind^ nach
und nach aber alle Muskein des ganzen Organismus, sehmen
in ihrer Dicke bedeutend ab. Zunachst ist es das sie uooge*-
bende ZeUgewebe und der panniciilus adiposus derHaut, de*
ren Resorption die unterliegenden Muskein deutlicher fiihlbar
werden lafst; dann schwindet nach und nach cfie Substanz
der Muskein selbst, dergestalt dafs durch sie hindurch und
swischen ihnen deutlich die Knochen fiihlbar sind, einKrank-
heiissymptom handgreiflich genug vvenn die Patienten Torher
roit gesunder Fiille der aufsern Gebilde ausgest^ttet waren. —
Besonders auffallend ist diese Atrophic an den ExtremitSten,
als an den in der Regel vom Merkurialrfieumatismus ergriff*
nen Korperlheilen. Bei einigen meiner Patienten wurden
auch die glutaei auffallend atrophisch, bei einigen nor die
giiitaei der linken Seite, nachdem sie langere Zeit an der
ischias mercurialis der linken Hiifte gelilten. Die blofseOku*
larautopsie geniigte, diese Atrophic der glutaei zu erkennen.
Intressant ware es zu wissen, ob bei dieser Muskelatrophie
die Primitivfasern der Zahl, oder blofs dem Durchmesser nach
vermindert werden.
. Indem wir hiermit die Symptomengruppe der Hydrargyro-*
sis im Bewfegungsapparat schliefsen, milssen wir noch einet
16*
218 Pliysikaliscli • matliemattiche Wistentcbafton.
merkwurdigen Symptomes gedenken, welches seinen Silz in
denselben Gebilden hat. Es isi dies ein akuslisches und kaon
nur durch den Ausdruck Crepitation bezeichnet werden. Je-
des vom Merkurialrheumatismus stark ergriffene Gelenk nam-
lich verursacht bei der Conlraxion der ihm adnexen IVluskeln
me so Starke Crepitation, ein Knacken, dafs es zuweilen deut-
lich horbar ist, ohne dafs man ein Stethotam applicirt. Bei
der grofsten Ausbildung der Merkuriaikrankheit ist iiberhaupt
die Muskulation von diesem Gelenkknacken unserlrennlich be-
gleitet. Ist die Krankheit bereits in der Abnahme begriffen,
80 manifestirt es sich nur bei energiseher Muskelaktion. —
Durch die Merkurialatrophie machen wir den Uebergang
von den Affektionen des Bewegungsapparates in der Hj^drar*
gyrosis zu denen der anderen Gebilde. Doch ware es nicht
zu rechtfertigen wenn wir aile diese Krankheitssympiome vor-
iiberliefseny ohne das eine oder das 'andre naher zu erlautem.
Es sei uns geslattet, urn nicht gar zu plumpe Uebergange von
einer Affektion zur andern ^u machen^ hier durch eine kurze
Reflexion uber die Merkurialatrophie eine Brucke zu bilden.
Die Merkurialatrophie ist in doppelter Riicksicht ein wichtiges
Symptom, in diagnostischer und in atiologischer. Sie kann
sehr leicht Verwechselung mitLungenphthisis oder mindestens
Tuberkulosis veraniassen, wenn die Kranken gleichzeilig an
Bronchialkatarrh ieiden. Die&e Complikation findet sehr haufig
statty und ebenso haufig hab* ich Merkurialatrophie mit Phthi-
sis oder Tuberkulosis der Lungen verwechseln sehn. Frdlich
ist die exakte Erforschung mancher Form der Lungen -Tu-
berkuiose eine crux sacra fiir die Aerzte, in der Mehrzahl
dieser Complikationen jedoch war durch Auskultation und Per-
kussion die Feslslellung der rrchtigen Diagnose leichU
In atiologischer Riicksicht kommt es darauf an, die Uo*
mittelbarkeit der Merkurialatrophie aufzuheben und sie durch
Bestimmung ihres Wesens zu dem Momente in der Merku-
riaikrankheit zu erheben^ das sie in Wahrheii ist. Die Er*
klarung derselben kauni eine doppelte sein. Nacb einer An-
schauungsweise in der Pathologic wiirde man die Merkurial*
Die grofse Sterblichkeit in Rnssland bediagende Krankheiten. 219
atrophic von der Lokalaffektion der Muskein in der Hydrar<*>
gyrosis ableiten^ und kurzwegsagen dafs die rheumatische Ar*
fektion der Muskein in dieser Krankheit Grund genug sei, die
Muskein alrophisch zn machen. Aber es werden nicht blofs
die Muskein, sondem auch der Zellsloff atrophisch. Der Ze]U
stoffy wird man sagen, ist nur das Kleid der Muskein ^ hangi
innig mit ihnen zusammen, und was die einen triffty Iriifl die
andern mit.
Das moderne Slreben in der Medizin nach exakter Dia*
gnostik begunsiigt einseitig die Lokalisirung der Krankheiten,
die Mehrzahl der Krankheiten soUen 5rtliche Leiden sein,
wShrend vielleicht keine einzige ein ortliches Leiden i^t. Die
Zeit ist nicht feme, wo man, im Gegenlheil, annehmen wird
dafs eine Srtliche pathologische Affektion, aufser etwa den
Wunden, die Wirkung einer Alteration des ganzen Organis*
mus sei, welcher in Lokalleiden seine Tolalleiden nur sympto*
matisirt, und zwar, vermSge des ihm immanenten Heilungstrie-
bes, in der Regel so dafs das ortliche Leiden heilenden oder
kritischen Werth fiir den Totalorganismus haL Er concen-
trirt die Wirkung des im ganzen Organismus thatigen Causal-
moments in einem einzelnen Organe; denn die gleichzeitige
Affektion alter Organe wiirde den Tod bedeuten.
Die Merkuriabtrophie anlangend, so kann sie nicht wohl
ein lokales Muskelleiden, eine Dependenz des Merkurialrheu*
matismus sein. Denn die rheumatischen Affektionen,^veiche
wir oben beschrieben , sind wesentlich doppelter Natur, ent-
weder chronische Cntziihdungen, als Gelenkrheumatismus,
oder, als Rheumatalgieen , Reflexwirkungen sensibler Nerven
auf eine Reisung anderer sensibler Nerven, die mit den
schmerzenden in einem polaren Verhallnifs stehen.
Wir sind also gezwungen nach einer andern Erklarang
der Merkurialatrophie zu suchen, welche ihre Ursache tiefer
erforscbt Atrophic nun an sich ist fiir's Erste Nichis als ein
Negatives, und zwar das Negalive der Assimilation ^ man*
gelnde Assimilation. Fragt (nan daher nach demGrunde der
Atrophic, so fragt man eo ipso nach dem Grunde der man^
220 PhysikftlMeli«-inattieiik«tt^che Wisienichaflen.
gelndeh Assimilation. Die Assimilaiibn ist ein Werk inii- eben
so langer Einleilung ais Text. Die Einleitung ist die game
Cyklose des Nutriments, von der Chrymusbildung bis fcur
voUendelen Hamatopoese; die Forisetzung der Einleitung, daa
Wetk welches durch sie eingeleitet wird, ist die Assimilation,
das Leben dei Parenchyms. Diese Funklionen sammtlteh ha*
ben eine anscheinend mehr chemisch*physikalische und durch
die Innervation des organischen Parenchyms, eine dynamische
Seite. •—
Bei der Alrophie konnte entweder die eine, oder die an*
dere,.oder es konnten beide zugieich geslort sein. Wir sahn
aber in zahlreichen Krankheiten, wo unzweifdhaft die eine
dieser Seiten krankhaft geslort ist, wie in so vielen Krankhei*
ten der Digestion, gleichwol keine Atrophie im stfengen Sinn
hervortreten ; aber jedenfalls ist sie das Resultat der gedop^
pelten Storung, so wol des chemisch-physikalen, als des dy-
namischen Moments im ganzen Akte der Assimilation. Diese
tiefere Storung des vegelativen Lebens in der Hydrargyrosis
tritt dann auch schon hervor im
4. Merkurialscorbut. Diese Bezeichnung fullt wieder
eine Symptomenreihe der Merkurialkrankbeit aos, welche, wie
die fruhern, schon anderweitig bekannt und benannt isl, hier
aber in demselben Sinne und mit demselben Rochte, wie jene,
als Krankheit an sich negirt und vielmehr su einer Reihe
symptdltiatischer Krankheitsmomente der vorliegenden al^e-
meinen Kalegorie, Hydrargyrosis, erhoben wird. Die Baftis
auf welcher diese Krankheitsmomente hervorteten, ist lang^
aber anatomisch und physiologisch besiimmt, niimlich der Di*
gestionsapparat, und das Produkt seiner Thatigkeit, die Emiih-
rungsfliissigkeit, das Blut. -^
^ Die Zunge ist in der Hydrargyrosis nschgrau belegt
Eigenthumlich ist die Hartnackigkeil dieses Symptoms. Ich
habe alle schweren Leiden nacb und nach und mit der Zeit
von den Kranken weiehen sehen, aber nie bekommen sie
eine ganz feine Zunge wieder. ^Der Beleg ist am starksten
wenn gleichaeitig Salivation slatlfindet, aber auch da wo die
Di« grQi«« SterbliebMt in RutiiMid b«fliii|;wid« KrankbeiUa. 221
Krankheit eniweder nicbt bis sur Salivation fortgesehritteti«
oder wo die Salivaiion scfaon getiigt worden, istder grautf
Zungenbeleg vorhanden. Bei keinen Patienteiiy welche aiich
an den bedeutendilen Digeslionsaidrungen leideOi oder deren
Vf rdauung durch den Gebrauch der differenleslen Arzneien in
Anspruch genommen worden, isi der Zungenbeleg so constant
und so hartnackig als in der Hydrargyrosis.
Auf der Hohe der Krankheit steigert aich die Alteration
der Mund- und Rachenscfaleimbaut zur Stomatitis und Anginai
das Zahnfleisch schwiUt an, fiirbt sich~ kirscbroth, gebt endlich
in Ulceration uber, blutet leicht, und die Zahne werden lose
bis' zam Ausfallen. Auch die Zunge nimmt Antheil an der
Stomatitis y wenngleich die Glossitis verhallnifsmafisig geringer
und seltener ist. Auch an der Zunge bilden sich Ulcera*
iionen. —
Ein constantes Symptom der Hydrargyrosis ist eine chro-
niache Angina, ausgeseichnet durch eine livide Rothe, verbrei-
tci 80 wol am Velum, als auch am Schlunde und an den
Mandeln. Haufig am Veium palat sind keine Merkurialge-
schwiire welcbe schwer von Chankern sii unterscheiden sind.
Einmal geheilt, brechen sie leicht bei gastriscben Zufallen
wieder auf.
Diese Erecheinungen inzwiscben sind so bekannt als die
Salivation, welcbe . letatere gans besonders die Wirkung dea
inneren Quecksilbersgebraucbs ist^ und dann su Anfange in
der Kegel einen akoteren Charakter hat, als bei chronischer
Hydrargyrosis. Wir machen niimiich bier darauf aufmerksam
dais bei Hydrai^yrosis eine chronische Salivation ataltfindet,
welche leicbt der Beobachtung entgehl. Nur gebildete oder
auf sich selbst sebr aufmerksame Fatienten nehmen Notia
davon* Diese Salivation findet nur im Scblafe statL Die
Kranken. werden aufmerksam darauf durch die starke. Verunr
reinigung ihrer Leinzeuge.
Die Zunge ist ferner noch der Sitz eines subjektiven
Symptomes' der Hydrargyrosis, n&mlich des metallischen Ge-
schmacks, welcher besonders des Morgens empfunden wird.
222 Phytikalisch - .malhemiitisclie WissehBcIiaften,
Dies Symplon soheint inzwischen von dem Grade der Reiz-
barkeil der Geschmacksnerven abzuhiingen, ond diese Reis-
barkeit wteder durch die langere Einwirkung des QuecksiibeVs
auf den Organisaius herabgeselzt zu'werden. Ein Kranker
versicherte, dafs er mehrere Jahre friiher, als er von mir ger
gen Hydrargyrosis behandeli wurde, sehon einmal in Folge
einer merkurielien Behandlung an den mehrslen Krankhals-
erseheinungen, gegen welche ich ihn befaandeile, geiitlen babe.
Damais aber babe er den melallisehen Gesohmack in einem
sehr yiel hoheren Grade empfunden als in der zweiten
Krankheit.
Die Verdauung der an Hydrargyrosis Leidenden liegt in
hobem Grade darnieder. Vollkoinmene Salligung verursacht
ihnen ein unbebagliches Gefiihl, Miidigkeii, eine groCse Auf*
regung iin Gefafssystem, Palpilalion des Herzens und eine
gliihende Hiize des Gesicbts. Die Verdauung erfordert sebr
lange Zeil, und dureh nichts leicbter als durch eine reichliche
Mahlzeit, wird bei den Kranken Fieber gesetzt. Alle Symptonae
der Krankheit steigern sicb bei krafliger Nahrung und nehmen
ab bei grofser EnthailsamkeiL
Wir miissen, um die mil der Bezeichnung Merkurialscor-
but gegebene Symplomenreihe auszuriillen, und ein anderes,
die Merkuriaiscropheln , nicht vorweg zu beriihren, von dem
Akle der Chymifikalion uber dessen Forlsetzung^ die Chylifi-
kation, hinweggehn, und bier sogieich die Manifestation der
kranken Biutbereitung betrachlen, nauiiicb die Makulose.
Dies acht scorbutische Symptom findet sich nicbi immer bei
Hydrargyrosis, aber wo es vorhanden ist, kann es nur dazu
dienen, den hochsten Grad dieser Krankheit kundzuthun. Die
merkurielle Makulose bestebt in kieinen, hirsekorngrofsen, ge*
wohnlich nicht zahlreicfaen Flecken von livider Rdthe, weiche
mit der Zeit grau und zuletzt, vor ihrem Verschwindeny gelb-
lich werden. Diese Form hat den acht makulotischen Cha-
rakter. Eine andere Form ist das Iraurige Erzeugnife durch
Merkur degenerirter und nicht geliigter Syphilis, und bestehi
Die grof«e Sterblkbkeit in Rastland beding^Ade Kftnkheiten. 223
in grofsen kupferfarbnen Sugillationeii, welehe den UtnTang
einer Mannshand erreichen.
Die scorbulischen Symplome in der Hydrargyrosis unler*
scheiden sich dadurch wesenllich von dem aus andem Ur-
saefacn in Russland herrschenden Scorbui, dafs eine robori-
rende Behandiung durch innere MiUel entsehieden schadlich
isi. Die einzige Weise^ hier die roborirende Meihode in An-
wendung zu setzen, ohne zu schaden sialt zu nutzen, ja aucb
mil niitziichein Errolg, ist die Forno der Bader.
4. Merkurialscrophein. Eine hochsl wichtige Beabacb-
(ung sind die Scropheln, durch Quecksilber erzeugt. Erschei-
nen und Verlauf sind folgende. Nachdem die Kranken kurze
Zeit am Merkurialrheumatismus geiiUen baben, in seltnen Fal-
len aucb vor Ausbildung des Merkurialrheumatismusi zeigt
sich zuerst eine Anscbweilung der Submaxillaris. Wir wol*
len die Enlziindung dieser Driise, welche mehr in die Kale*
gorie der Saliralion fallt, als nicht scrophuloser Art gelten
lassen; aber sie dient als Ausgangspunki aller folgenden Af»
fektionen der Drtisen. Denn immer war diese Driisenge*
schwulst die ersle welchc bei der Hydrargyrosis sich zeigle*
Die Affektion dieser Druse propagirt sich zunacfasi auf die
conglubirten Driisen des Halses, Sie scfawellen zuerst an in
dem Umfange einer Bohne, und diese Gesehwiilsie steigen
oflers bis zur Grdfise einer Wallnufs. Sie btlden eineVerkel-
tung urn den Nacken herum^ welche sich von da zur Clavi-
cula und zur AchselhShle erslreckt. Wie gewdhnlich die ge«
schwoUenen Lymphdrttsen, sind aucb diese ganz harL
Im spateren Verlauf der Merkurialkrankheit nehmen die
Inguinaldriisen an der Affektion Theil. Der ganze Plexus in-
guinalis superficialis zeigt sich ergriffen. Aber auch an ande*
ren Stellen des KSrpers, an den Gelenken, im subcutanen Zell-
stoff^ bilden sich kleine Driisenanscbwellungen.
Der Entziindungscharakter dieser Drusenanschwellungen
ist verstbieden, doch in der Regel torpid und ihr Verlauf
durchaus chronisch. Nur die Anscbweilung der Submaxilla-
224 Ph^fsikalifcli-inatheBiaikwhe WiMeMciiafteii.
m ist einigertnafsen sehmersbafi: alle iibrigen Driken sind
gegen den Druck nicht empfindlicher als im gesunden Za^
stande.
Sie sindj-^wie alle DriisengeschwiiUte^ selten und nur
sehr schwer tvt zeriheileiiy haben hingegen bei einigen Patieo-
ten grofse Tendenz suir Suppuration. Die Fistelkaniile, welche
sioh nach Erdfthung der Abscesse bilden, schlieben sich sehr
langsam, Monate^ ja Jahre lang nichi, und beweisen deuUich
die Armuth des organischen Sioffs an Reproduktionskraft
(vis medicat nalur.) in der Merkurialkrankheit, ein Umatand,
der fur die organisehe Plastik nach vorhergegangenen Mer<-
kurgebrauch wichlig ist Die Narben der geheilten Driisen*
abscesse behallen iange eine livide Farbe, tind sind sehr ge-
neigt wieder aufsubrechen , zumal wenn die Driise durch die
Suppuration noch bicbt ganz gesohmolsen war. Selten gehn
die Inguinaldriisen in Eiterung uber, seltner noch die Uxiliar*
drtisen. —
Sehr uberraschend in der Merkurialkrankheit ist die Eni-
ziindung eines oder beider Nebenhoden. Sie fehlt selten wo
die Scrophulosis in der Krankheii betrachtlich * herYortritt.
Diese Epididymitis hat durch ein gluckliches Walten d^r Na*
tur keine Tendenz zur Suppuration und ist selbst bei einer
geeigneten Behandlung ziemlich leicht zu heben. Inzwischen
sind alle Aerzte nicht genug aufmerksam zu maehen auf die-
ses Vorkommen der Epididymitis in Folge der Quecksilber-
kuren, da in der itegel alle Hodenanschwellungeni gleich an^
dcrn DriisengescbwUlsten, mir nichts dir nichts mit Merkurial*
friktionen behandelt werden. —
• Da wir uns iiber den wahrscheinUcheii Zusammenhang
der Internation des Quecksilbers in den menachiiohen Orga«
nismus mit der Scrophulosis scfaon oben ausgesprochen haben,
so beriihren wir diesen wichtigen Gegenstand bier nicht wie-**
der. Vielmehr maehen wir noch auf das merkwiirdige Paktum
aufmerksam, dafs Krankheiten, die anscheinend so hetftrogener
Natur sind, wio Rheumaiismus und Scrophulosis, gleichwohl
durch dasselbe Causalmoment kdnnen hervorgerufen werden.
Die gro(s« StorUidikifC In RttttUnd lMdil««iid« Knmkheiten. 226
da£s sie also in ikrem Wesen eigentiith idi^titi^ch sind. Ueber^
haupl scheiiU es uns in der Pathologie an eioer Attflras*^
«ung der Kranltheit su fehleni welche mit der Natur in der
Einfacbheii und Logik aller ihrer Proxease gleicben Schrilt
halt. Welch* eine Mannigfaltigkeit, welche Verschiedenheil
ohne Einheit in der Pathologiel Welche ConsttqimiZ) Welche
slufenweise Metainor(>bose eines unid desselben GrundprincipB
in der Natur. Gliicklicherweise sind die Naturwissfenachaften
und mit ihnen die Medizin jetzt auf der Bahn, auf weicher
die tiefen und einfachen Naturgesetze ihr nichl entgehn. Die
vergJeichende Anatomie und Morphologic sind bereits weit
auf dieser Bahn vorgeschritten. Die Naturforscher sind be-
reits eingestiindig: dafs die Natur ein besserer, tieferer Philo-
soph ist, dafs sie oiebr Geist hat, als sie. Hoffentlich ist die
Zeit voriiber wo man die Krankheit einen Parasiten nannte,
der Parasit scheint uns zu einer Lacherlichkeit ge>yorden nZU
sein; aber die Zeit ist auch gekommen, an dieStelle des Pa-
rasiten etwas Auderes zu setzen. Der Parasit hat wenigstens
das Gute die Einheit in der Vielheit zu reprasentiren, er ist
ein guter Politiker, der Parasit. Wir glauben, die Merkurial-
krankheit mit ihren so verschiedentUchen Symptomengruppen,
die wir in der That noch nicht ganz ersch&{tft haben, eigene
sich wobl dazu, das einfache Naturgesetz der Krankheit, ihr
Princip, welches in alien ihren Metamorphosen wiederkehrt,
zu entdecken und auszusprechen. Wir sehen dafs in alien
Formen der Hydrargyrosis eine scbadliche Potenz, ein dem
Organismus feindliches Agens, das Quecksiiber, wirksam ist,
um in den verschiedensten Organen, Organengruppen und or-
ganischen Systemen des menschlichen Organismus eine ihrer
EigenthiimUchkeit gemSrse Reaktion hervorzurufen. Diese
Reaktion ist gemischt aus einem modifizirteti Vegetationszu-
stande des anatomischen Substrata (Zersetzung, Entmiscbung,
Entziindung, Ausschwitzung, Verhartung, Eiterung) und einer
Alteration der funktionellen Lebensenergie des betreffenden
Organs (Schmerz, Sehnenhiipfen, Indigestion, Metaligeschmack,
226 Pbysikftllich-iiiatbeinatttche WlMentchaften.
Proslration derKrSfte, Palpitation desHerzens, Fieber). Zwei
Momente also conatiluiren hier die Krankheit, ein nicht or-
ganisches, das Causalmoment , und ein organisches, die
Reaktion des Organismus gegen das unorgauische Causal-
memenL
Mag der Leser prufen, ob dies nicht iiberall und immer
das Naturgesetz sei, Welches sich in jeder Krankheit wieder-
findety und also auch in der Patbologie die Identitatslehre zur
Geltung bringt.
Reisen der finnl&ndischen Schiffe Atcha und
Freya um die Welt *).
Bis vor zehn oder funfsehn Jahren pflegte die russisch-ame*
rikanische Ooinpagnie zum Transport ihrer Guter nach den
Colonieen aussehlielslich englische oder amerikanische Fahr*
zeuge zu miethen. Nachdem sie sich von der Zuverlassigkeil
der in dem Grofsfiirslenthum Finnland gebauten Scbiffe und
von der Erfahrung und Geschicklichkeit der finnischen See*
leute ilberzeugt hat, verwendet sie jetzt nur solche zu den
Reisen nach ihren amerikanischen Besitzungen. Das dem
Handelshause Julin & Compagnie in Abo gehSrige Schiff
<Sitcha hat schon mehrere Mai dergleichen Fahrten fiir Rech*
nung der mssisch* amerikanischen Compagnie unternommen,
und ini Jahr 1849 wurden die bdden demselben Hause ge«
horigen Scbiffe Atcha und Freya nach Silcha abgeferligi. In
Abo unter der Leitung des danischen Schiffsbaumeisters Jur-
gens erbaut, wurde das erste 215 Lasten grofse der Fiihrung
des Cxipitains A. W. Ridel, das zweite, welches 207 Lasten
hahy der des Capitains I. K. Granberg anvertraut.
Bei Abfahrt der Schiffe aus Abo nach fiilcha wurde den
Befehlshabern zur Pflicht gemacht, sich mdglichst zu bestre*
ben, ihren Bestimmungsort mit Eintritt des Friihlings zu er-
reichen, um, nachdem sie ihre Ladung geloscht und eine neue
"> Von Herrn Wawilow der Sj^wernaja Ptsclielk mitgetbeilt. Vergl.
auch dieset Arcbiv Bd. VII. S. 28^
228 PhytikalMch-mathematitche WiHentchafteii.
eingenommen, zu Anfang Mai oder spateslens gegen Ende
Juni mit dem Brieffelleisen nach Ajan an der Kiiste des Mee-
res von Ocholsk abgehen zu konnen. Da nun diese Schiffe
nach demselben Ort bestimmt waren, und ihre Reise fast zur
selben Zeit anlraten, so konnie dieselbe gleichsam als eine
Wettfahrt belrachtet werden.
Die Preya segelte am 20. September 1849 aus Abo mit
ein^r vollen Laduog ab und lag 1^75 Puis tiefer im Wasser
als die Atcha. Unlerweges sollte ^ie nur in Copenhag^,
London und Valparaiso aniaufen.
Die Atcha hatte Abo am 17. August 1849 verlassen,
nachdem sie in Kronstadt eine aus verschiedenen, tiir die
Colonieen erforderlichen Waaren bestehende Ladung einge-
nommen und Auftrage fiir mehrere Punkte des Stillen Mee-
reSy so- wie die Anweisung erhalten hatte, ihre Ladung in
Ahdy Copenhagen und London zu ver volts tandigen. Auf die*
tern Schiffe befanden sicb, aufser der Mannschaft. auch Pas-
sagiere und Colonisten. Da es sich in London nicht ausrei*
chend mit Wasscr versorgt hatte, so mufste «s in Rio-Janeiro
einlaufen. Auf der Copenhagener Rhede lag es drei Tage,
im Londoner Hafen einen Tag und in Rio •Janeiro dreizehn
Tbge. ~
Die Atcha brachte auf der Reise nach Valparaiso hundert-
neunsehn Tage zu *) und die Freya handertzwanzig. Beide
SchiSe kamen an einem und demselben Tage und um die-
selbe Stunde am 31 Januar 1850 in Valparaiso an. Die
Freya hatie kaum die Segel eingezogen und Anker geworfen
als auch die Atcha in den Hafen einlief. Obgleich diese
Schiffe, welche an dem namlichen Tage, den 15. Februar 1850,
Valparaiso verliefsen^ unterweges durch einen Sturiii getrennt
*) Diese Angabe stioiuit nicht mit dem oben angefabrten Datam ilber-
ein, man miisste denn annehmen, dass im rus8« Original darch einen
Drackfehler der 17. August statt des 17. September als der Abgangs-
tag der Atcha genannt ist. J}tt Aafeatbatt miterwegt lit natorlich
nicht eingerecbnet. D. fFehers.
Reiten der Annlittditcli«n S^fiiifo Atcba und Fr«y« am di« Welt 229
wurden, so trafen sie doch wieder an demselben Tage und
iwar am 9. Aprils die Atcha nach einer vienindfunfsigtagigen
Fahrl und die Freya sechzehn Stunden spater in 5itcha eiii.
Die ganze Reise war demnach von der Atcha in 173, von der
Freya in 175 Tagen zuriickgelegl worden. Ersteres Schiff
halle mil einigen Stiirmen zu Icampfen, wahrend letzteres, so-
ger in .der Gegend vom Cap Horn, sich meistens eine$ gfin-
sligen Windes und guten Wettery erfreule.
Nachdem die Atcha ihre Ladung in 5iteha geldscbt und
eine neue an Bord genommen halte» segelte sie am 19. Mai
roit dem Brieffelleisen nach Ajan ab^ wo sie am 20. Juui
1850 anlangte. Die Post gehl zweimal des Jahres aus 5itcha
ab und trifft eben so oft dort ein. Aus St. Petersburg wird
sie in den Monaten Marz und Mai iiber Sibirien nach Ajan
abgefertigt, eine Tour, wozu sie 75 bis 80 Tage gebraucht
Die im Marz aus Petersburg abgehende Post kommt Ende
Mm Oder Anfang Juni in Ajan an, die im Mai abgeferligte Ende
JuU oder Anfang August Die Fahrt zwischen Ajan undSitcha
wird in der Hegel in drei oder vier Wochen luruckgelegt
Dasselbe Schill, welches die Post in Ajan abliefert, bringt sie
auch nach Sitcha, unterweges in Petropaukhafen, Unalaschka
u. s. w. anlegend. Auch die Atcha kehrte am 21. JuU 1850
mit dem Brieffelleisen und Passagieren aus Ajan nach S^itcha
zurQck. Die Freya blieb zwei Monate in Neu-Archange), wo
sie sich obne alle Kosten aus den Waldern von iSUcha mit
einer Ladung versah, die aus feinem, zu Raaen, Stangen u. dgl.
dienendem Baufaolz beslandi und segelte dann am 11. Juli
nach Honolulu ab, in der Erwarlung, dafs man dort die ge*
dachte Ladung, so wie verschiedene, noch in Abo an Bord
genommene russische Waaren absetzen werd^. Diese Hoff*
nung wurde jedoch nicht erfiillt, und die Freya begab sich
daher am 18L August nach dem Hafen von Hong-Kong in
der Nahe von Canton. Auf der Durchfahrt zwischen den In-
seln Balan. und Grafton ?0' 23^ N. Br. und 122' 4! L,
wurde sie von Seeriiubern auf zwei mit hundertfunfzig Mann,
beaetzten Fahrzeugen angefallen, indefs gelang es der Ent-
230 Phytikalisch-matliematische Wissenschanefi.
schlossetiheit des Capitains und der Equipage nach einem ver-
sweifelten Kampf die Piraten zuruckzuschlagen. Nachdem er
mit Ehren diesen Kampf bestanden, erreichte der Capilain
Granberg mit seinem Schiffe am 27. September 1850 gliicklich
die Rhede von Hong-Kong.
In Honolulu hatte man dem Capitain Granberg fdr sein
Holz nur funf bis sieben Dollars das Stilck geboten, wogegen
er in Hong-Kong seine gahze Ladung zum Preise von' neun
Dollars losschlug. Die Herren A. Liibeck cfi: Compagnie schrei-
ben aus Hong - Kong, dafs sie dort fiir schwedisches Holz 70
bis 80 Cents pro Cubikfufs erhalten; folglich kdnnte, nach
ihrer Meinung, dieser Artikel mit Vortheil aus Finnland dorU
liin versandt werden. Am Cap der gaten Hoffnung und auf
der Insel Mauritius sind alle Holzarten milunter hoch im Preise,
besonders auf Mauritius. ' Tn San Franzisco ist fortwahrend
i^tarker Begehr nach Brettern, weil man sie zum Pflastern
derStrafsen gebraucht. Ziegelsteine werden ebenfalls gut be-
zahit; fiir das Tausend giebt man fiinfunddreifsig Dollars.
Granberg, der einige Ziegelsteine mit hatte, verkaufte einen
Theil derselben in Honolulu zu dreifsig Dollars das Tausend.
Auf der Rhede von Honolulu, berichtet Granberg unter
Anderem, kamen eine Menge Frauen auf sein Sehiff zuge-
schwommen, ohne ihm jedoch, wie im Jahr 1842 dem dani-
schen Capitain Sendrigs, Schaden zuzufugen. Dem Schilfe
des letzteren riaherten sich tagKch die Frauen in grcfserZahl,
welche, unter dem VVasser schwimmend; die Kupferbekleidung
des Fahrzeugs abrissen. Sendrigs ftihrte bei der dortigen Be-
horde Klage, fand aber kein Gehor, vermuthlich weil man id
Honolulu die danische Flagge wenig achtet. Wie die dorti-
gen Einwohner glauben, ist namlich Danemark ein blofses
Dorf in der Nahe von Hamburg, England oder Frankreich.
Die Fahrt zwischen Honolulu und Hong-Kong ist mit
vielen Gefahren verkniipft, namenllich zwischen den Philippi-
nen und der Insel Foimosa. Die Orkane sind Jiier oft so
heftig, dafs die SchilTe umgeweht und die Masten zerbrochen
Werden. Capitain Granberg bemerkf, dafs schnellsegelnde,
Reisen der finnliocliiclMn Schiflfo Atcha und Freya iiui die Welt 231
gut fiusgerustete' Schooner von etwa neunsig Laslen sich am
besten sur Fahrl in diesen Gewassern eignen.
Es geht aus dem Schreiben der Herren Liibeck & Com-
pagnie hervor, dafs man in Hong-Kong zu vortheihaften Prei-
sen Waisenmehl und Butter in Fasserni Theer, Tauwerk und
Segeltucby so wie auch Rennthierschinken und fein gesiebtes
Roggenmehl absetzen kann. Die Schiffe zahlen weder Hafen-
noch Ankergeldy und die Lagermielhe ist aufserst billig. Zur
Ausfuhr konnte man, wenn nicht nach Finnland, so doch nach
Hamburg, Copenhagen und anderen Platzen Thee, Rohzuk-
ker, Reis und Gewurze laden. Im Freihafen Singapore sind
Kaffee, Pfeffer u.s.\v. sehr billig, und die nach Finnland be-
stimmten Schiffe konnten daher unterwegs hier anlaufen, um
ihre Ladung zu vervollstandigen.,
Aus Hong-Kong segelte Granberg im December mil Thee
und Seidenwaaren nach San Franzisco, wofiir man ihm 7200
Dollars Fracht zaMte, so wie 1000 Dollars fiir den Aufent-
balt ; auCserdem verpflichtete man sich, ihm Ballast unentgeU*
Uch su liefern. - Die einzige Gefahr, die eine sokhe Reise
mit sich bringi, ist die, nach der Ankunfl in Califomien einen
Theil der Mannschaft durch Desertion zu verlieren, da die
Hoffnung auf leichtem Gewinn sich dort gar zu lockend zeigt.
Matrosen erhielten dort voriges Jahr einen monatlichen Sold
von 1£0 bis 200 Silber-Rubel, und Arbeiter 9 Rubel taglich.
Auch Lebensmittel sind ungemein theuer; so kostet ein Fafs
Kartoffeln 20 bis 21 Silber-Rubel.
Der Verfasser schlielst mit dem Wunsche, dafs diese we-
nigen Nachricfaten sum Nutzen der russischen Schifffahrt und
des eng mit ihr verkniipfllen Handels und Gewerbfleifses die*-
nen mdgen.
Ermans Buss. Archiv. Bd. XI. B. %. 16
' »
Wallfahrt zu den Kldstern des Ladoga -Sees.
Von
Dr. Eduafd v. Muralt.
\^oD hunderi Biiiwolinem St Pelersburga.haben kaum zwei
oder drei diesen See, den Valer seiner Pubader, der Newa^
gesekd. Die Dampfsekifffahrl durch weldie die Bekannlscbaft
mil diescn, als stiirmisch verrufenen, Gewaasern ersl moglich
gemacht . wurde, ist noch keine 10 Jahre doth eingeffihrL Je-
des Jakr werden our 20 Fahrien gemachl, an denen sieh
elwa lOOPersonen betheiligen« Daa machi hochstens 20000
oder inebt einmal den zwausigalen Theil der Bevolkerung
St. Petersburgs und diese Zabl wird noch bedeutend gerin«*
ger, wenn man die tnehrmaligen Fahrien Einselner imd sol-
cher die nicht Bewohner der HaupUtadt sind, dabei in An-
schlag bringt. So diirfte denn ein kurzer Bericht iiber diese
Fafart'Manchem wiUkommen sein*
Hat man einmal die jedem woblbekannien Grenzpfeiler
der Stadt naeh der oberen NeWci hin> die beiden groCsariigeil
Kloster oder Erziehungsanslalten von 5moIna und Alexander
Newski zur Rechten, und die Artillerie-Gebaude nebsl den
Kuscheiewschen Landhausern zur Linken hinter sich, so eroff-
net sich eine, manchem St. Petersburger neue Scenerie an
den beiden Ufern des herrlichen Stroms, links die Kirche von
Ochta (Nyenschanz)y rechts die Kuppel liber den Fabriken von
Alexandrowsk, dann auf hohen Sand- und Lehmufern von 30
WallfahrC cu den KldtterA des Li(doga - Sees. 283
his4ff H6he die lutherische Kirche der sogennnnten Seohei*
ger^Colonie (Saratowka)^ ebenfalls eine Ktippel fiber einem
Porticus von 4 Sfiulen, ferner das langgesti^eckle Landhaus
Dubenski's, jetzt ^Sinovview's, rechts die Fischerwohnungen
von Rybazk (Fi6chhaasen), aueh ab Campagnen benuUt, Ijora
(merkwiirdig durch den Sieg Alexander Newski's und durch
seine Stromschnelle), Kulschmino, ein Dorf Seheremeliew^s,
Tosna und das zur Erinnerung an die Eroberung der Kryot
gebauie Pella, einst ein Lustschiofe) jettt CosakenartiUerie-
Caserne. Links erscheint wieder ein weitl^uftiges Landhaus,
friiher Poletnkin's, }etzl Tdehoglokow's, tin anderes von Reu«>
iem, rechia die freundliche ViUa Tschernischow's^ ferner ein
Denkmal Peter. des Grorsen^ an einer Stella wo er einst ge*
sessen haben soil, vor ein Paar Jahren^ errichtet, links die
neugothischen Thiirme Besak's. Endlich bekooimt man aucfa
die Friedhofskirche von Schltisselburgv die ThClrme der Zili-*
Fabrik Pilpage, und dieKuppel nebst Glockenihurin derPfarr-
kirche zu sehen, und links, inmitten der Festang aaf tin€t
Insel vor dem See, die Spitie der doriigen Kirche, einer Stif-
tung des Generals L. Pluialew (f 1827). Diese Feslung, ein
malerisch vor dem Ausflusae derNewa aus dem See liegende^
Viereck mit mSchtigen ThUrmen an den Ecken und tnehreren
Vorwerken, ist sowohl foei der Eroberung (II. Oct 1702) als
am Ende des vorigen Jahrhunderts mehrmais g^nannt worde»
und wird daher gerne besucht, was auch leicht zu erlangen
ist, da ssch keine Gefangene mehr dort befinden. Einer der
letzten soil ein Haupt der Sekle der Eunuchen (Skopzy) ge-
wesen und dort begraben sein.
Grofsartig sind die aus Grantt von 1718 bis ISdlSt gebao*
ten Schleusen fiir die aue den CanSlen und dem Innem nath
dem Seebafen steuemden Sehiffe mit ihren Rohstoffen und
Uitoenschen darauf.
Um 9 Uhr atis St. Petersburg mit dem „Rurik'' afige^'
fabren, and nach 2 Uhr angekommen, hatlen wir bis ivlm AIk
gaiig des Dampfsehiffs „Peier der Oro4e^' nach Konowes om
6Ubr, Zeit genug, alle Strafsen und (Herkwilr^KgleiieiiSchUig*
16*
234 Historis'cli-linguifttitclie WiMensclNiCleii.
selburgs zQ besehen und dann auf dem Fahrzeuge die Be-
kannlschafl der mit der „ Urania'' auch noch ^ngekoiumeQen
Wallfahrer zu machen; dena bald war auf dem See, dem
grSfsten Europa's, 75 Stunden iang, 50 breit, nichls zu sehn
als Wasser und Himmel und die kleine Well auf dem Schiffe,
das nur Piiger nacfa den heiligen Orten des Nordens trug. —
Von der beriihmlen Mirage dieses Sees war weder heute noch
weiler elwas zu sehn.
Friih urn 3 Uhr weckte man diejenigen von uns, die auf
den zu Betten improvisirten Banken hallen schlafen konnen,
mit der Nachrichl wir seien in KonoweZi 30 Siundeu von
Schlosselburg gliicklich angelangt. Wir sahen einen Siein-
damm als Hafen fiir die Fischer und Holzbarken des Kio^rs,
und eine h5lzerne Briscke, auf der wir zu diesem sdbst ge-
langten. Es bildet dn ianglichtes Viereck mil Thurmen an
den Ecken, und in der Milte mit einem bethurmlen There
und der Doppelkirche — AUes von Stein im Geschmacke des
18. Jahrhunderts.
Aber die Stiftung des Kloslers falU, dem Leben des h.
Arsenius von Nowgorod, des Grunders desselben zufolge, in
das Ende des 14. Jahrhunderts. Dieser war 11 Jahi:e lang
Einsiedler auf dem dortigen Fuchs-Berge und verlangte dann
einige Monche vom Berge Athos zu begleilen. Hier wurde
er vom Abte Johann gut empfangen, zum Backen und zuni
Schmieden des Kupfergeschirrs gebraucht und erhielt^ als er
nach 3 Jahren heimkehren woUte, von dem Abte zum Danke
ein Marienbild mit dem „nicht von Handen gemachien'' Bilde
Chrisli auf der Riickseite. 1393 zu Nowgorod wieder ange-
langt, erbat er sich von dem dortigen Erzbischofe Johann IL
die Erlaubnifs ein Kloster der Geburt Maria zu griinden, fuhr auf
dem Wolchow in ,,das grofse Wasser der Newa'* (dem Ladoga ;
denselbenWeg, den schon der Apostel Andreas gemacht hat nach
Nestor), und gelangle nach der Insel Walaam (Barlaam). Er
fand aber in dem dortigen Klo^ller schon zu viel Leute und
begab sich nach 4er Insel Konjew. Da es ihm auch hier
nicht gefiel) fuhr er nach der MUndung des Gorodez, d. h.
Wftllikbrt KQ den Klostern dat Ladoga-- S«ef. 235
der Woxa, an welclier ein Slidlchen (Gorod) der Karelier
war gebaul wordeti *). Da er auch hier keine geeignete Steiie
fand und von dem Winde euriiekgehallen ward, gelobte er an
dem Orte zu bleiben, an welchen er bei gilnsligerem Wetter
gefuhrt wurde. Als solohes eintrat, woUte er nach den ent*
fernteftten Insein des Norden (bei iSSerdobol?) steuem; aber
ein Gegenwind warf ihn nach derlnsel Konjew zuriicL Hier
blieb er denii auch und traf einen Fischer Philipp, den er
fragte, woher der Name derIn8eI(Pferde^In9el) aiamnie. Die-
ser sagte: „von denPferden, welche die vom Festlande den
Sommer iiber hier weiden iassen ohne Hiitung, da keine reis*
senden Thiere und die Geister sie behiiteny darum wird ihnen
auch im Herbste, wenn man die Pferde wegbringt eines zu-
nickgelassen, welches denn auch im Fruhjahre nicht mehr am
Leben gefunden wird. Die Geister aber wohnen in einem
groben Stdn, der Pferde -Stein genannf' Arsenius begab
sich alsbald dahin, besprengte ihn mit Weihwasser, worauf
*) KexholiOy Korelogrod derRuMen, Karisalmi^ Kokuksiniel derFinnen,
nach der Sage, dafs die Feitang, die sie weiter oben an der Woxa
bauen woUten^ immer wieder yeriiel and zuletzt eine Gotter-Stioime
ihnen zorief, es wurde ihnen dort erst gelingen, wo sie einen Knknk
horen wiirden ; das sei denn aach bei einem noch vor ein paar Jabr-
zebnten bei der Miindang rorhandenen Gebdize geschehn. Naeh Grot
(Reise St. P. 1847, S. 4) ist das Heiligenbild der alten Kirche bei
Uebergabe an dieSchweden yergraben and dann wieder aofgefanden
worden. Anf einer zweiten Insel ist die eigentliche Stadt Ton 1200
Binw. anter welchen viele Russen als Beamte, Kramer (13 Baden),
Steinmetzen and Zimmerlente, aach Fischer for das Alexander
Newskji Kloster, welches hier das aasschliefsliche Fischrecht hat Aaf
einer dritten Insel steht der sogenannte Slot, einRnndban mitTharm,
fraher Gefangnift der Familie Pagatschew^ von dem zwei Tochter
noch in diesem Jabrhanderte lebten. 1803 fand Kaiser Alexander
hier einen Gefangenen, der seit 30 Jahren im Tbnrme lag ond des*
sen Namen and Schald niemand kannle, er aber woUte sicli nnr dem
Kaiser eroffnen, der mit Thranen von ihm schied and ibm ertaubte
fortan frei In Kexholm zu leben, er lebte noch 15 Jahre, war aber
erbiindet nach dem langen Sitzen im Dunkeln. (S. Grot.)
236 Ui«toffi0di*linguiititcb« Wivftensdiaften.
die <GeiBter autfyhren "). Araenius wohnie du9 ein Jabr auf
dem ^,li. Berge^' und droi andre in der sogenannten Wladi-
Ischischen Bucht> so benanni von eioem apatern Besiiche dea
Wladika oder Erabischofs Euphem von Nowgorod. Hier (and
ihn dor Monch Laurontius, der von dem Hegumenen Silar von
Barlaam gcsandt war» ihn dahtn auruckzurufen, er aber.woUie
dielnsel nicht niehr verlasaen und griindele drei Jabre darauf
ein Kloster, welches alien Ankoinmenden Obdach und Nah-
rung gewiihren soltie^ letotere zuersi in nicht klosterlicher
Weise ; apSter aber anderle Arseniua at Ib^t seine Stiftung da-
hin ab, dais alle seine Gasie die Kost mil ihm^ Iheilon solUen,
um aeincn MSndhen kein Aergernifii au geben. Wahrend einer
aweiien Reiae des Arseniua nach dem Athoa, w<ren dieae
seine BSteche bald auaeinander gegangen, wennniehl der a}te
Joachim durcb eine Erscheinuog der Maria auf dem heilig^n
Berge aie aur Einigkeii suriickgertifen halle* Nachdem das
Kloaler 25 Jabre Jang in der obMgenannten BuchI beslanden
hatte, wurde Arsenius dutch eine Ueberschwemmung veran*
lafsty es an der jetzigen hohern Slelle neu auhiifuhren. Hier
*) In dietem Graoitblocke von 17' Hobe bei iXy Breite wird ein Loch
gezeigt au« wolchen die Damonen auigefabren sein floU«n, und zwar
in GesUlt^von Raben» nacb der fruber ^Wibnrgscben** and jetzigen
^TenfelabnchV* V/^ Stunden vom Kloster, die den nUerbesten Ha-,
fen vpn 175' Tiefe biidet nach Oserezkowsji (Heise St. P. 1792^ 8.
ru0si9cb)* Von dieyer Tscbertowaja Lachta hat das Leben der Hei-
tigen berantgegeben von dem Hegamenen Aniphilochias, St. P. in
der Synodal-Typographie 1808 in 4., kein Wort. Eine eben aolche
Teofelabocbt toil anch der nordiicbsten Stadt am Ladoga den Namen
gegeben haben. SoctaUha oder Sordawala der Finnen , Michaibche
Pogont (Pfarrei) der Rassen, jetzt 'S^erdoboJ, im Kriege mlt Karl XII.
«er8tdrt» 09it der Venetznng de« Jabrmarkte« von Barlaam dahiD» im
Jabr 1795 » etwas mebr belebt, jedocb mit seinen 816 Einvfohnern
kaum Yon dem Mehlbandel aos St. Petersburg nach Karelien sich
ern$hrend; der Kjil aoU anf dem See 50 Kopeken Fracht kosten.
S. Grot.
WidHii^H Kd den Klottern dci Liilogft'-Sdes. 2S7
slarb er im Jahre 1447 *), na<^h Gbjihrigtm MdncfassUfikle.
Das KloBter aber ward von den Schweden zersttirt und un*
ter Peter dem Grofsen als Derewenizkoi (DorfUost^r?)' wen
aufgefiihrt, in Polge eines Ukas vom 6. Mai 1718 j wdcher
die Schenkun]g8-Urkande der gansen Insel von 16 Werdf Uni-
fang, nebst der von Wotscbanaja mit Weiden, Hols und Fi«
sciierei enifaSIt. ' Die MGnche mit ikren EKenem 160 bis 200
an der Zahl, unter wdehen 12 Priester und 6 Diakoaen, ha-
ben auf dem ac^genannten heUigen Berge auch eine Filiale,
Skit genannt, von der sketiacben Wusle in Aegypien in der
eine Menge Binsiedel^ien waren. — Sie iat der fthitter Got*
tea von Kaaan gewidmet und von einigen strengefen M6n-
chen bewobnt, die in ununterbrochenem GottesAenste mit
AUeaen von Psalmen u. a. w. abwechseln. Die Kirche dea
Kk>slers bewahrt in silbernem Schrdne, die G^eine des hei-
ligen Araenius. Man sieht hier auch daa Von ibm herge*
braehle ttarienbild und eineH Theil des GeWandes der Gottea
Mutler. Das Fest des Klosters wird am 10. Juli gefeiert
Naeli den Ausaagen einiger MSncfasdiener in dem neb^en^
dem Kloster stehenden Gasthause, sollen die K&he auf dSeaer
Inael durch einen Zauberspruch ihre Horner verloren habeti.
Ba isl das aber eine in Finnland gewShnliche Erseheinung,
nicht aber das Piarnn maritimum, das man auf dem Ufersande
der Insel findet
Um 8 Uhr von da abgefahren, bekamen wir g^en 2
Uhr die 80 Werst enifemte Insel Barlaam zu Gesiehte, eine
langgestreckte Reihe von langlicht rundlichen, mit Wald be^
Ueidelen Granil - Felsen, vor welchen, gleich Vorlaufern, eine
Menge kletnerer Inseln sich aus dem Wasser erheben, bin
und wieder den nackten, von Eisenbestandtheilen rotfagefSrb*
ten Pelaen zeigelid. Auf einer der grfifseren dieser Neben-
Inseln steht dne halbvollendete, dem h. Nikolaus von Mo/aisk
') tfkas bei Oserezkowsji f der 65jabrige Monchsstand, iiiitAbzag der 14
Jahre in Nowgorod nnd auf Atbos bb 51 Jabre, wurde yon 1393 an
nor bis 1444 f&hren.
238 Hktorueli'lingvMtuGbe WiueoMlMfteil.
durcb eitien Kaufmann geweiht, im Aafange einer langen
Bucbti wie um den Wallfabrer zu bewillkommnen. Im Hin-
tergrunde dieser Bucht aber erglanzen die weiTsen Mauern
und die Kuppeln des Klosters auf einer Felsenhdhe. Vom
Strande, an welchem mehrere FischerbSuser siebn, fuhrt eine
Granit-Treppe zunoi Kloster binauf» einem Doppel-Vorwerke.
In dem aubern findet aicb in der SudwesUEcke das Gaslbaos
fiir die Fremdeo, die nicht M5nche sind^ in der siidSsUichea
die Vorrathskammern furNabrung undKleidung, in der nord«
08tlicb<tn die Bibliotbek mil eiwa 1400 neuern, meisi aaceii-
scben Werken, obne alte Handscbriflen, und in 4er nordwest*
lichen das Krankenhaus unter einem MSnche als Aeseulap.
stebend, mil der Aussicht nacb dem Kirchhofe ; es solien aber
stete sebr wenig Kranke vorkommen, in Folge der einfacbeni
regelmafsigen Lebensweiae, welcbe die Facnltat iiberflussig
zu machen scbeint In dem inneren Viereck sind die Zelleo
der MSncbe, aufaer an der Nordseite, wo die Kircbe und der
Efssaal (Trapeia) angebraebt sind. Den Milteipunkt bildel die
Hauptkirche nzur Verklarung/' daber der 6. August der Fest-
tag des Klosters isL In der untern Kircbe sind in siibemem
Scbreine die Gebeine der Heiligen des Ortes, Sergiua und
German aufbewahrt, die obere isl an ihrer Bilderwand nul
reicben SiIber*Relief$ geschmiicku Aufser dieser Hauptkircbe
siebt man deren noch fiinf, in welcben aber nur an denFesl-
tagen der Heiligen denen sie geweibt sind» Gottesdienste ge-
halten warden: St. Peter und Paul iiber dem Thore an der
Siidseite, St. Nikolaus und Maria Entschlafung im Osten. Die
Dreifaltigkeits Kircbe und die der Heilquelle im Norden* In
der Kircbe der Skite zu Allerbeiligen, werden nur an den
Sonnabenden und Sonntagen ordentlicbe Gottesdienste gebal*
ten, an den iibrigen Tagen aber, wie in der von Konowez» nur
Psalmen gelesen von der die Si^ite bewohnenden Monchen.
Man soUte glauben auf Walaam, welcher Name eigent«
licb dem Griechischen Balaam, Bileam ^entspricht, aucb das
Andenken eines Heiligen dieses Namens zu finden; ein sol-
cber ist aber bier nicht gewesen, sondern die ganze Einsied-
WailfiibrC zv den Kloiteni &99 Ladoga -S«ef. 239
ler-Coloiiie auf dieser, den grttfslen Theil des Jahreis darch
Sltirme und Treilieis von dem 26 bis 40 Wersi enlfernten
FesUande vSllig abgeschiedenen^ Inseln, nur einen berUhmlen
Einsiedler aus der ersten Zeit des Mdnchlhuins, der den He*
gumen audi als seinen Ftihrer oder Bngel beseichnete, tu
Ebren so benannt
Dieser aber nichi der h. Barlaam, dessen schon der b.
Basil (bei Gamier II. 138 E.) und der h. Chrysostom (Moni-
faucoD IL 182, IIL 229) im vierten Jahrhunderie als eines
Mariyrers gedenken, der wie ein christlieher Mutius Scavola
seine Hand unerschiiUerlich iiber dem Feuer gehallen und den
Antrochenem angehSrte.
Von dem in Russland verehrlen heil. Barlaam hingegen
wird der friedliebe Tod berichleti nach Bekehmng eines Prin-
24n Joasaph, des KSnigs Atenner in hdien oder vielmehr
Persien, wie aus der Nihe des Wohnorles des Binsiedlers,
Sinnar in Mesopolamien und aus der Brwahnung der Persi-
schen Weisheit, in welcher der Prinz unterrichiet worden sein
soil, und der Magier bu schKeCsen ist Dieses geschieht in
einer wSrtlichen Uebersetzung *) des von einem Monche Jo-
hann des Klosters S. Sabas aus dem Munde mehrerer Reisen-
den griechisch niedergeschriebenen Erzahlung **). Einigef)
*) Gedrackt zn Moikau 1681 in FoUo; in 2 IfizemplareR aof Walaam
and ganz wie der griechiaohe Text mit Rom. VIII. 14 aniangend.
Der Name Walaam kommt nar noeh in dem byzantiniichen Ge-
•dilchUchreiber Priscns c 28 als Haaptitadt der Kidaritiichen Hdn-
nen urns Jahr 472 Tor, BaXaaf^. Diese aber lag in Trantkankasien
an den Granzen Persiens nnd Iberiem. Doch wiire *^§ niobt m5g-
licby daili der Name von da nach RsMland und bis aber den 61® dor
Breite gelangle^ wenn die Legende von Barlaam nieht gemdo bier
inibosondere in Bhren itend.
**) Anecdote graoca od. BoiMonade IV. Pane. 1882 in 8. S. 3 ond 865.
* Fiir die frohe Zioit dieter griecbiBcben Bearbeitung stebt imter An-
derm der Umitend, dad die von Joataph errichtete Kisdie nacb
S. 305 Christo allein erricktel und nur von dem Kreuze als Sofsere
Gegenstande der Verebrang da die Rede ist.
t) Der lateinische Uebersetzer Georg von Trapezant, hersasgegeben an
240 Historiieh -liiiguiitische WiB^enBcliaften.
halteii den Jobaim von OamaslLus subenavmt Chryaotrhdas,
den Goldstrdmenden, wegen seiner Beredsamkeit wie.Ghry-
sostoniy der nach 753 in diesem Kloater atarb ffir den Ver-
fasser^ obwohl in dem ganzen Buehe von dem damals in jenen
Gegenden siegreichen Islam keine Rede ist, aendern nor
Gotzendiener bekampf); werden un^d dieser sUndhafte Be-
kSmpfer der Ikonoklasten kautn umhingekonni hatlei der h.
Bilder in dieser weitlaufligen Schrift einmal zu gedenken.
Die lateinische Uebersetznog wurde wabrend der. Kreuz*
zilge im Abendlande verbreilet und diehterisch versch&nerty
a^uerst 101 12. Jahrbuaderie von einem Bischofe Otto *)> dann
von Rudolf von Johannes 1220 bis 1223 auf Veranlassung des
Abies* von Kafipel**) und von eineon Drilten'^**) in Deutecher
Sprache. Ebenao findel man diese Geschichte bei den Skan-
dinaviem, Franzoaen und SpanterOi B^famenf), Polentt) und
unmitlelbar aus dem Griecfaischen bei den Arabem tit)} Ju-
den §)> Armeniern §§) und soger bei den lodern §§§). Daft
StraTsbii^ 1470~148Q bei I%gestein in 4. und in der Rnssiachen,
vielleicht aas dem Lat. gefertigten Uebersetzang. Von deni Damas-
cener hat man a. a. SApologien far die Bilder; wegen seines Bifers
far dieselben ward er yon den Kaisern Leo and Konstantin yerbrannt.
(Leo Gr. 179, 20. Theophanes zn 6034.)
*) Diefonbaeh Mittbeilungen, Giefaen 1836.
**) Ausgabe von PfeifPer^ Leipzig 1843.
'***) Pfeiffer ia Hanpfs Zeitscbiift.
t) MinzlofP St. Petersburger Zeitang 1861. No. 11:2.
ff) KaliaMWsky: Krolewie Indjiskii Krakao 1088, aaoh der neoeren la-
teiniscben Uebecsetzang des iac. Billyaf.
f*H')ARgabe der hebraiscben Uebersetzang, die eben aos dem Arabischen
gemacht ist. Kia Exemplar einer solchen arabitehen . B«arbeitung
▼on 1707 im Besitze Sr. Exc. Herrn Norow bezeicbnet d«n Jobann
v« D« aU Uebersetzer, ▼ieUeiebt nor eiii MiCsTerstandnlfs des Grie-
ehischen.
§) Prinz and Derwisob, KARStantinopel 1618.
$$) Maauscr. zu BlAcbmiadsin nach der giitigen Angabe des Herrn Aka-
demikers Brosset.
$§S) Fabrieii bibliotlieca gr. ed. Haries IK. 737.
WaUfeiirt aa den RiMtora 4m Laitega^Sees., 24t
(liese orienlalischen Bear beitungen • nichi umgekchrt dilt Quelle
des griechiachen Textes sein konnen, wie mtti ler arabisohen
zufolge vermuibet hat, geht achon aus der spatem Zdt der
meisten dieaer inorgeDlaBdischen Darstellungen hervor; aueh
konnie diese Legende als Bur Verherriichung das GhcisJbcii-
glaubens dienend, nicht unter Juden, Muhainedanern oder Hei-
daily sendern nur unter Christen entslanden aein; cfie arme-
nische Bearbeitung aber giebt aich nichi fiir ein Original, und
von ^iner JUhiopiscfaen , an der man 'vvegen Evwahnung der
Sennaar (des jeizigen Kamen fiir Nohata . zwbeben den swei
Nil-Aroien Barl-el Abrad ond Agreb) aaerst denken mSehte,
isft noch keine Rede gewesen.
Die Ortsheiiigen Sergius und Crerman abtr nennl die
Ueberlieferung Schiller des h. Andreas, der hier sogar ein
Kreuz gepflanzt haben soil. Sicherer ist es mil Andem den
Sergius in die Zeit der h. Olga zu setzen, als einen, der von
Nowgorod aus hier Heiden getaufl babe, unter diesen einen
gewissen Mung*), wahrscheinlich einen Skandinavier oder
Germanen, daher German genannt, wie denn die Nowgoroder
Chroniken von einem Germanen-Lande inFihnland reden, zu
1311. Sicher ist oach dem Leben der Abraham von
Rostow, dafs vor 990 bereits ein Hegupl^n Theoktit hier
war, von welchem jener getaufl ward. Als die Schweden
Karelien eroberten, wurden (nach der Chronik von S. Sophia)
die Gebeine der h. Sergrus und German zu dem Erzb.
Johann von Nowgorod gereltet, aber schon 1170 zuriickge-
bracht. Nach einer spatem Handschrift^ in der Barlaamschen
Klosterbibliothek, baute der heil. Martyrius 1192 hier eine
steinerne Kirche. Von da an bis «ur Ankunft des h. Arte-
nius findet sicb keine Naehricht mehr iiber das Kloster**^),
*) Alte HandBchrift erwiUmt ▼oM Murawiew in seiaen Reiten nacb den
b. Orten Rnsalanda. 8.12a
**) Die Grabachrift aof dem Kirchbofe die vea dem Schwediacben Kd-
nige Magn«a aU einem Moncke djeaea Klestera^ efiriebt, iat tcbon
dartini zweifelbaft, weil ira 14. Jabrb. ein 8ch«ede nicbt mehr getauft
zu werden braucbte (aber tU>o\\ iimgeianft, in»Gri«cbiscbe? D. Her-
242 Historisch-lingoittisdie Wifsentehaften.
bis der h. Sabbalius vonAolowez dahin kam um sich nach
Bielosero su begeben, noch bevor der heilige Alexander
Swirski auf der sogenannten h. Insel in einerHShie verbor-
gen lebte nach 1450, von dem Hegumen Joachim von Bar*
laam eingeweiht. - S. das Leben Alexanders von seinem Schiftler
Hilarion.
Vor Lagardte flUchtelen die Monche von hier und Konowex
sich undihre Bilder nach dem Nikobchen Kloster von Alt-Ladoga ;
mehrere von ihnen sollen sogar von den Schweden umgebracbi
worden sein, die Leute ihres Glaubens bierber versetilen.
Daher weifs man auch nicht/ ob die unlangst beim Kirchhofe
gefundenen Gebeine jenen Martyrern oder diesen Anhangera
einer andern Kirche gehSren. Erst 1717 konnte auf Peters I.
ausg.). Auch lit die Schrift noch keine 100 Jabre alt Sie ist in ruaai-
schen Yersen abgefaast ond mochte ungefahr bo zu iiberaetzen sein :
An diesem Orte ist der Leib begraben,
Den fie 1371 der Rrd* ubergeben baben,
Des Magnus Konigt im Norden,
Der anbie getaoft ist worden,
Bei seiner Tanfe Gregor genannt,
Geboren 1336 im Scbwedenland
Und 1300 als Konig anerkannt.
Hat zweimal Russland uberzogen,
Und dorch einen Friedentscheiii beirogen,
Aber diesen brecbend rustet er wieder,
Da scblogen ibn die bohen Wellen nieder
Auf dem Ladoga mit seinem Heer.
Von seiner Rotte zeigt sich keine Seele m«br.
Selbst ward er aaf einem Balken kaam erbalten
Drei Tag und drei Nachte darch €rottes Walien,
Und ans der Schifffahrt von des Abgrunds Rand
Mit Mah gerettet an der Insel Strand.
Moncbe bracbten ibn in ihre Zelle,
Tanften zum Cbristen ibn anf der Stelle.
Statt des koniglicben Diadems
Ward er gewardigt des moncbischen Schems,
Lebte nnr drei Tage nnd gestorben,
Hat er tiir die Kron die Kett* erworben.
IVaHfohrt xu dtn KlMtern des Lftd<»ffa-See8. 243
Geheifs das Klo8ler durch Mdnebe des KyriUisch-Bieloseraki-
schen GoUeshauses wieder aufgebaut werden. 1786 fand aicli
hier ein Hegumene Ephraim mil 2 Weltgeisllichen in eioer
hohernen Kirche, als der Metropolit Gabriel auf den RaUi
seines achtzigjafarigen Kaplans Theopfaanesi denEinsiedlerNa-
tar aus der Sarowschen Wiisie zum Baue eines neuen HaU*
ses herbeirief* DemNazar folgtelnnocenz "), nacb der Grab-
schrift geslorben den 22. Dez. 18S8 nach neunzehnjahriger
Verwallung, dann Jonathan, und jelzt ist Johann Da-
inaseenus ein friiherer Einsiedler, Hegumen. Dieser hatle
seine Hiiite bei der jettigen Skite zu Allerheiligeny einem
unlangst in schonem, alterthttmlichen Slyle voUendeten Kloster-
chen, angefangen von Nazar, fur die welcfae noch mehr Rube
suchen als im Klosler und jetzt neu eingerichlei fiir ein
Dutzend Mdnche '*).
Aufser dieser Skite findet man an abgelegenen Stellen
die sogenannten Wiisteneien der eigentlichen Einsiedler^
die sich nur von Wurzeln, Fruchten und Gemiisen nahren,
wahrend jene doch noch Fische, Griitze und Kohlsuppe zuin
Brote haben , au&er in den Fastenzeiten f ). Solcher abgele*
*) Kines andern Hegumena Tnnocenz gedenkt eine Grabscbrift aU 1762
gestorben.
'*) Eine lithographirte Ansicbt dayon iat im KJostor for 1 Rabel Silber
zo kaben. Von diesen selbst lit aber kein« za kaufen. Unterhalb
des Klosters zeigt man die 2 Stellen, an denen S. K, H. der Grofs-
fdrat Cons tan tin bei seiner Anwesenheit am 14. Mai 1846, eine
Ansicbt aofgenommen bat. Dieses Datum ist anch anf einer Denk-
saole vor der Kirche angemerkt, so wie aoch die Anwesenheit Kai-
ser Alexanders den 10. Aognst 1S19 (mit einem einzigen GeiShrten),
des Metropoliten Michael 17. Jani 1810 ond des jetzigen Metropolis
ten Nikanor 16. Aogott 1850* Dieser hat nnn die Bestatignng des
▼on dem Kloster selbst za wahlenden Hegomens. Mit seinem yon
ihm emannten Stellyertreter, dem Casstrery den Grewandanfsehern nnd
Beichtf atem biidet der Vorsteher den Rath dieses theokratischen Ge-
nieinwesens, wie solches Kloster enter Claste^ besonders anf seinen
insolaren Besitzangen mit Fog za nenaoii ist
t) Bine solche Binsiedelei war in der Nahe der Strife , wo der Hegn-
244 Historffoli^liiiguistiiehe WiMenschaften.
genen Hiitien sah ioh aiif dtr Ostaeile der Inset <irei, jeUt
verschlofisen und verlossen. Die ersie war von einem gewis*-
sen Philaret bewohnt worden, die zweite ein kaiiin Klafter
hohes und langes Hauschen, von Nikolaas, den Alexander I.
darin beaucbte, indem er in die kaum 3^ hahe Thijire sich
hitiein btipkte, auf den Fufsboden von geatampfter Erde, we
der Eremit unter dem GewUrme lag. Sein OrabBleki in der
N8be steigi den 6. September ais Todeslag an. Freandlicher
ist die Mf einer H5be angelegte und zierlich mil Baumrinde
bekleidele Wohnaog Seraphim's nebst dessen Grabe mtt dem
Datvm 2. August 183(X Von einem andern Serapbim wird
erziihlt, er babe, urn llistigen Besuchen ausauweichen und un*
geslSrt seiner Andacht sn pflegen, sich nx>ch im 70. Jahre,
wie die alten Heiligen auf Saulen, sich auf einen hoben Baim
zuriickzuziehen geliebt, und als der Hegumen ibm dieses als
lebensgefahrlich verboti noch weiter vom Kloster angefangen,
eine Hdhie auszubauen, wobei er vom Schwindel ergriffen
ins Wasser sturzte. Eine solche Zelle hatle sich derGymni*
ker Theodor bereilet, der unter Nazar die Novizen einzurei*
hen berufen war. Noch andere Zellen solcher Gymniker oder
Trapisten der grieehischen Kirche^ die der Welt ganz und gar
entsagt haben, sollen sich bier finden. Nazar aber verlangte
von ihnen, damit sie nicht in stolze Selbstbefriedigung versan- >
ken, sie sollten einander alle ibr Gedanken berichten; zuwei-
len mufste man sie mit Gewalt aus ihren Verzuckungen her-
ausreifsen und zu sich selber zurQckbringen; auch wurden sie
verpflichtet an Sonn- und Pesttagen zur Kirche zu kommen.
So, sahn wir denn auch 2 oder 3 dieser Schivniker, d. h. ihre
schwarzen^ bei den hochsten Graden wie bei Trauergewandern
weifsberanderien und mit Strichen besetzten MSnchskutten
men Barlaam for den ihm darin Nacbfolgenden eineft Satig ait fiette
hinterlatien batte. Man sagie zwar dem weldi«ff snbnach ibm da-
aelbst med«rli^s, die .Stecbfliegen wurden ibm keine Rab« lanen; er
aber meinte sie warilen' ibm nor allet iiberflfiaiige Blel wegsaagen
(Mnrawiew).
Wallfakrt au den Klo»terB des Ladoga «Sees. 315
iiui Kapuze siaK de£ runden^ steifen, fesuriigen Kiobjiika dcr
iibrigen Monche; ihre Gestchter aber hiellen sie abgewendet
von uns Weltkindera , und so konnten wir ihaen nichi iiis
Auge schaueti. Der vollkommeiiate soU uAg«aefaltt semcr
achlzig Jahre noch gans riistig die Stunde Wegs bis su sei-
ner Hfitte xu Furs machen, iihrigens keine besond^re Gabe
des Wortes baben, wahrend sie i|n Andern, freilich oft haok
langen Jahren der Priifung, wcna sie sich ihres Berutes ge*
wife werden, sU allgemeiner Erbauung skh iubern. solL
Diese Wirkung des strengerea Moncbalebens auf die Laiea
ward uns von einei» der jiingeren PrieslermSnche^ die sonst
auf die unstudirten, aus dem Bauern- und Biir^rstande her*
vorgehenden LaieD'^Mdnche herabzusehen versuebt sindi und
von vielen der Wallfahrenden bezeugt; auch iak der Monchs*
stand seinem urspriinglichen Begriffe der Abgeschiedenheit von
der Weli hier, auf diesen enilegenen Inseih Ireuer geblieben *)
als in den Klostern bei den Skadlen, vomehmlich des Abend-
landes; von dem Aergeraisse^ welches hier die vorzugsweise
sogenannten Religiosen gegeben und wodurch sie bei Man-
chen Religion und Kircbe in Verruf gebracht haben^ isl auf
dem Ladoga niphts zu horen. Und wie die Extreme sieb ben
rtihren, so sind es diese am meislen von der Welt abgeschie*
denen Monche, die, friiher wenigstens, vorzugsweise und mehr
als die verweichlicbten Stadtmonche sich bereit zeigten, in
die Heidenwelt hiaauszugehen und das Evangelium zu pre*
digen, als rechte Nachfoiger des Einsiediers Barlaam, der nach
Indien zog, um dort unter dem Gewande einea Kaufioanns,
Seden fiir das Himmdreich zu gewinnen und Menschen zu
\
*) Marawiew erzShtt yon einem^ der kaam jnehr staiiejii kotnite and aeH
8 Jabr^D Bicht mebr geaprochen hatte, aber aach Yon sotehen, die
sicb mit Mechanik abgaben, Capitane der amerikanisclien Compagnte
gewesen waren n. s. w. Uebrigen^ wird der Ausdruck Schema
(Ktei<Jang, Tracht) in dem Leben Barlaams S. 26 wie bei Tbeopha-
nes und Nikephos zu 625, yon dem Monchsgewande iiberhanpt ge-
brauciit^ nicht blofs von der bochsCen SUife de» Moncbswesens wie
246 Historiich-lingutstisclie WiMemcbafteli.
fischen. Die Miission nach den Nord-Amerikani8chen Calo-
nien besland beinahe nur aiis BarJaamschen Monchen; ihr
Vorsteher Joasaph (nach dem Namen des von Barlaam ge»
tauften Prinzen) war Vicar des Biachofs von Irkusk fiir die
Heiden-Mission, kam aber in einem Scbiffbniche bei den Ko-
diak-lnsein um. Nach seinem Tode hSrle das Vicariat aaf:
nur ein alter M5nch German lebte noch lasge auf dner ein*
samen Inael, bei einer Colonie Neu^Barlaam. Jakob, Missio-
nar unter den Amerikaneniy siarb dori unbekannt Andere,
im' Norden der Kodiak-bsel von den Heiden iiberfallen, er-
klarten ihnen, wie einsk ^wingli zu Kapei, den Leih kBonlen
aie wohl I5dten, aber dieSeele nichk, worauf die Indianer den
Missionaren die Geachichte eines Fremden enahlken, den sie
auf keine Weise zu schrecken verniocht batten.
Den BarlaaoMchen Monchen mufsle ea in den Wiisten
und Urwaldungen Nord-Amerika^s bekannl vorkommen, da
Manches isie an ibre eigenen, selten geschnillnen Waldwiesen
und von der Axi wenig beriihrien Geholze ^on Rieaen-Tan*
nen, Birken, Ahom und Linden erinnerte. Dieser Eindrack
einer urapriingHohen Naiur wird noch geatdgert durch die
Thierwelt. Da sind keine zahmen Heerden. von Rindvieh,
Schaafen und Ziegen, sondem Hirsche, zahme und wilde wei-
den neben einigen Pferden auf den reichoi Triften. Ein paar
Storchcy Katzen und ein einaamer Hahn in der Skite, der
jeden Ankommenden begriifst und bis zum Ausgange beglri-
tet, sind neben den mit den MSnchen in den Fischfang sich
theiienden Fischern, die einzigen Gesellschafter derselben auf
der 28 Werst im Umfange haltenden InseL Ein frohererHe-
gumen verbol den Monchen sogar das Halten eines Hirsches,
den sie geheilt und gezahmt batten und gebot ifanen das dank-
bar an sie sich haltende Thier in den Wald zuriickzujagen.
So berichtet Murawiew in seinen Reisen nach den heiligen
Oertern Russlands. Der Archimandrit des Sergius Klosters
bei St. Petersburg in seiner 1847 ebenda gedruckten Beschrei-
bung von Barlaam sagi: die Monche aufser den 7 — SMonchs-
priestern, die beim Gottesdienste abwechsein mufsten, batten
WaHfahrt za den Klostern des Ladoga* Sees. 247
sicl) in die verschi^denen Oekonomie-Arbeiten des Kloslers
mit den, ihnen gleicli) in Schwarz gekleideien Gehulfen zu
thoilen. Zu den Heuernten und allgemeinen Arbeiten aber
sollen sammtliehe Monche milwirken. Vereinigl siehl man >sie
auch an den Sonntagen bei dem feierlichen AlorgengoUes-
dienste^ in wclchem die Tauf^Namen der Wallfafarer und threr
Familien abgelesen und fdr dieselben von den zu beiden Sei-
ten des Grabmales S. Sergius und German stehenden Mfin-
chen, die FiirbiUen derselben angerufen werden* Deis, ein*
fache ,,Herr, erbariue dich*' erlont unler- den niedern tialjien
der uBtern oder Sommerkirehe so feierlich langsAuii so altera
thuinlich und ergrdfend, dafs es Einem, ioi Verhaltnisse zu
dem neueren Kirchengesange der VVeUpriesler, gerade sp vor**
konimt; wie die-russiachen geistlichen Melodien im GegensaUp
zu den weltlicJueFn^ romtscfaen* Diese Monche haben fiir ihren
ganzen GoUesdienst noch die alle Tonweisei die man sioU
bowaja nennt, beibehaUen^. dieselbe die auch die AUglaubigen
festzuhalten suchen, nur dafs bei diesen die Ueberlieferung
weniger rein isl und die Ausfiihrung nichl so eingeubt und
gediegen wie bei denMonchen; schon aufKonewez ist sie es
nicfat niehr wie im Barlaam - Klosler« Die Predigi bestchl
hier in einein Vorlesen von Ubmilien. der ^irchenvaler. Fiir
die zur morgeniandischen Kirche sich hattenden Finncn wird
in deren Landessprache Unlerrichi erlheilU Der (joUe$dienst
aber iin Kirchen^lawischen geballen, was doch tnit dem von
den <Slaweii selbst gegen die Griechen und Lateiner in Au-
spruch genommenen Rechie der Nationalitat nicht recht zu
slininien scheint. Es sollen solcher Finnen> die immer 2 Tage
lang gespeisi werden und noch Brod auf den Weg bekom*
men, an 1000 sein, mehr aus* dem Innern Finnlands, al? von
den Kiisten. Unliingst hat man auch bei «Serdoboi, wo 12
Skiten vom Barlaam-Kloster gewesen sein soilen*), in einer
*) Das Warlaam Kloster von dem Archimandriten von S. Sergius wel-
cliein zufolgc aucb meltrere Kirchen,- der gr. Ritiis bis nach Kexholm
Yorbanden waren. Die Form Walaam wi'irde iibrigens auf Balaam/
Ermans Buss. Archiv. Bd. XI. H. 3. 17
24S Hii5tftripcU-lingi«istisphp Wissfiisrhaften.
Grufl i5ci;en 1<H) l^funJ alter scliWcier Wachsliclile getuitileu^
wie sie in der iulherischen Kirche nicht gebraucblich sind,
was fiir ein Zeichen fnihern Vorhandenseins der morgenlan-
dischen gehalien wird.
Die Keisenden wurdeii iibrigens nichl nach ihretn Nainen
und Bekennlnisse gefragt und alle gleich freundlich tmv Tafel
geiaden, an welcher aufser den 50 Monchen gegen 100 mann«
liche G'asie Theil nahinen. Man gab ihnen auf einein holzer*
nen Teller schmackhafles Scbwarzbrod, Gebackenea biH Fiscb,
kalle Schaalen (Bolwinja), einer getneinsaiaen Schiissel fur je
4y und jedem dasu einen holzernen Loifel) ebenso Kohlsuppe,
Fischsuppe, die beriihinle Ucha, ganz vorirefflichy und zttielzk
Gersten-Griitze. « Wahrend des Mahles las ein Monch etwas
Ascetisches vor. An FesUagen wird nurGriines genosseo, an
grofsen FesUagen aber Abends Thee gegeben, worauf die
Monche, als narh dem groCsten Genufs leclizen^ und das sie
Trost (uljeschenie) nennen. Rauchen und Weintrinkenisl auch
den Gasten iin Uinfange des Kloslers nicht eriaubt.
Doch wer selzt sich nichl gern liber seiche Cnlbehrungen
hinweg, urn die Stiile und feierliche Zuriickgetogenheit dteser
Monche und ihre herrliche Insei-Natur ein Paar Tage mitzuge*
niefsen? Gewifs kehrt keiner aus dieser Waideinsamkeil ohue
liefe Findriicke heim — und ware es auch nur die Erfahi-ung,
dafs so manches was uns zum Glticke unenibebriich scheini,
an Wohlleben und Beqneinlichkeily nichls weniger ak unent-
behrlich ist und dafs durch Selbslbeschrankung in selchen Din*
gen nicht blofs das eigerie Leben gesunder und langer wird.
sondern einem auch rnebr Gelegenfaeil geboten isl, sich An-
dern niiilzlich zu erweisen und so, auch Mitten in der Well
von Ami und Beruf den Mdnchen nachzustreben.
die Form der griechischen Uebersetzung fiir Bileain, Num. XXII. zu-
riickfuhren. Uebrigens soli dieses KJoster als Verweisungs- oder
Strafort fur die Monche des Reinhes dicnen, woraus erhellt dafs die
Kinsarokeit und schone Natar nicht fur alle denselben Reiz haben
mag.
Wallfahrt zu den Klotterii det Ladoga -Sees. 249
Wer aber aus den Sargen und Miihen^ dem Sturm ond
Draiige des alltaglichen Lebens, besonders in einer Residens
mil ihren schroffen Gegensatzen von stolzem Prunk und stil*
lem Jammer, sich auf ein Paar Tage herausreifaen kann, der
versaume es nicht, diese stiUen Orte su besuchen; die Fahrt
dahin war, fur uns, eine wahre Vergniigungsreiae, so slill und
ungestdrt ging sie von Stalten; es war wie eine Badereiae,
ja iiiehr als dieses, 4^ die Gemilthsrube und SanNolung der
Seele die zur Gesundheil des Leibes oft mehr beiiragi als
alle kiinsllichen oder nakiirlichen Mineraiwasser, an den meisten
Bade-Orten durch Luxus und Spiel verseheucbt worden sind,
freche Gesellen, mit denen jene zarten hulfreicben Schwesiem
Aesculap's nicht zusammen weilen mdgen *).
*) So betraclitet di«M R«ise aneb Heir Dr. Maxiaulia« Heme dessew
iin Jabro 1646 erschienene Scbildorung eia«r etwas atiirmiacbeii WaM-«
fahrt, als Gegeabild und Erganzung der unsern nacbgeleien za werdea
verdient; denn ,|Wenn auch zwei dasselbe than, so kommt docb
nicbt dasselbe heraus,^ wie das lateiniscbe Sprichwort sagt. Die Fabri
daaert jetzt Von Freitag Morgen urn 9, bis Montag Abends um 9 tind
kostet 7 bis S Silber. Rubel and aal dem zw«iten Platze die HlStfta.
BUsibt man za Barlaam, atatt mit nacb S^rdobol zu falirea, so bat
man tor Sonnabend 2% bia Sonntags um 4 Zek, an alien Gottes-^
dieasteo Theil zu nebmeo und die wich^gsten Stellen zu besneben^
ebenso in Konowez, wo wan Sonnabend Yon 3 bis 9 Morgens and
auf der Riickkebr von 9 Abends bis 9 oder 10 Morgens verweitt.
17
Einige Worte ikber den Buddhismus.
Von
Herrn C. F. Koppen.
(Fortsetzang.)
JQie ersle Periode der Bflddbislischen Kirchengeschichte er-
streckt sich bis zu dem Zeilpunkte, in welchem die Lehre
Schakyas im grofsen Reich der Prasier als Staalsreligion^ an-
erkannt wurde, und gleichzeilig sich durch Missionen weit
hinaus uber die Grenzcn Indiens zu verbreilen begann, d. h.
bis zur Zeit Konig Dharmasokas. Es ist die Periode der BiJ-
' dung und Feslslellung des Dogmas, der Disciplin, des Cultus,
diePeriode derConcile. Der ursprtingUche nur moralisch-
ascelische und philosophische Buddhismus, das Samanaerthum
wird in ihr zur posiliven Religion, zur Kirche.
Der Begriinder desselben hat nichts Schriftliches iiber
seine Lehre hinterlassen, sondern die Aufzeichnung derselben
ist erst nach seinem Tode erfolgt — darliber ist die Tradi-
tion der Buddhistischen Volker »o gut, wie einig *). Hinsichts
•) Hogdson versichert zwar (As. Res. T. XVI), riafs in Nepal die An-
sicht berrsche, Schakya babe seine Lebren selbst niedergescbrieben
(p. 422), gestebt aber, dafi er keine SteUe irgend eines Textea zar
Begrandang dieser Ansicbt anfiibren konne. Seine Versicberang be-
rubt demnacb nur auf niandlicben.Mittbeilungen gelebrter Baoddhas
and kann gleich abnlieben Bericbten mancher Reisenden, der allge-
Dieinen scbriftlicbeh Tradition gegeniiber nicbt in Anscblag kommen.
Einige Worte Tiber den fiaddliismot. 261
der veraobiedenen Samnildngen, Aufzeicbnungen und Redactio*
net! des Lehrbegriffs und der heiligen Biicher, der Zeil und
der Oerter, in weicb^ni' dies gescheben, d. h. der Coticile, aiif
welchem diese Redaclionen ^rorgenomtnen und der Budd-
histische Canon entworfen, revidirt,. erginzt, feslgestellt und
geschlossen sein soil, herrscbt dagegen nichi diesetbe Cin<»
sUmmigkeit.
Nach den Jahrbiichern von Ceylon, die faieriiber, *wie tiber
die altere Gescbichte der Buddha-Religion Qberhaupt am.aus-
fuhrlichsten berichten, sind im Ganxen drei allgemeine Conoile
abgehallen worden, das erste unmiitelbar nach dem Tode des
Stiflers, im 8. Jahre der Regierung Ajatasainis; ^u R-ad*
schagriha, der HaupUtadt Magadba's, das zweite )00 Jabr
spliler zu Vaisali unler dem Schuize Konigs Kalosoka, dM
dritte endlich zu Pattaliputra (dem Palrbolbra des ^ Me«
gasthenes) im 17. - Regierungsjahre' DfaannasoLa's , d« b; naoh
der Singhalesischeii Aera 4m Jabre 235 nach dem Heimgange
des Buddha*).
Hiervon weicben nun dieBerichle der nSrdliohen Budd^
histen, Wenigstens- derXib^aner und Hongolen, wesenliich ab.
•Diese nehmen zwar ebenralls Uberhaupl drei Conciie an, doch
nur hinsicbts -des ersten stimmen sie mil den Shighalesen der
Hauplsache nach tiberein. Das zweite dagegen setzen sie
nicbt iOO/sondern 110 Jafbr nneh dem ersteren, ein VVider«
sprueh, der freifich bei der sonstigen Unsicberfaeit der indi<*
sdien CtironcAogie ifdn' keiner grofsen Bedeulung ist, und sieb
auch wohl dadurcb I5sen lafsl, dafs man die erslere Zahi nur
in Pausch und Bogen als runde Summe nimmt**). Als Ver-
*4~*-
*) Mahvanso (bei Tournour p. 11 ond 14 — 20; 28 ff., beiUpbam 32 £f.,
.46, 71 ff.)- Rsjarsli 188, Raja-Ratnakati »t^33. Jonynal of tbe
As. 80C.'o6 Ben^len tor 1837, U. 7Bff.
**} Nach Nemnanm, der sicb 'dabei anf Aw Annalen der Sai beroft
. (ZcStscknft fv ^e Kunde des Mongenlaades HI. p« 115) setzen aooh
: die Cbiftesen das Goncil von Vaiaali (Pi-sotie^li) in das Jabr 100.
^^idleictot ist die Zabt 110 aus einein Missverstaadniss bervorgegan-
gen. Kb soil namlicb diese zwei4e YersamiBtang nadh den Singha-
252 HiitoffMl€h-J^ffignHiiis€ljf(; Wi6f#ii8«haUcn.
ankissief titid Pn>iec4#f ctieser Synode nentien sie «bcr Dichi
KalasOka^ somleiritDharmftsoka. Die dritle Veriammkiiig
MHllich, die von Pattalipiiira erwahneil sie gar nicht*).
Die Fragey welche von den beiden UeberKtferungen den
Yofzug verdiene^ isl nach dena Slandpunkte, auf welebetn
die Kenoi^lmb der indisehen Ges^thiehte schon jHal eteht, nieht
scbwer zu enlscheiden. Es ist namlich der zuleUt genannte
Asoka, so sehr er auch ats LieMtngabeld der Leg mde figurirt,
doch zugieich eine so uobedingle bistorische PetsoBlichkeit,
s6m Zeitaller ist durch seine beriihmien In»^ri(ten so sicher
mid unmderleglieh — frdlicb nichl auf Jahr undTag — fest-
gesUlity da(s wk in ibm und seinen GrobtalerCbandraguplay
liber vrdchen aich die itfdischen and grieehisehcB Nacbrichr
telk begegneUy defn erslen feslen Ptinki sur Anknupfung einer
buddhisliscbeii imd indisehen Chronologie besilzeo* Nach der
Aera dieMer beiden Koliige kann allein cfie Zetl, in welcher
der Buddha gdebl bat, annakernd beatimmt werden, und
schon durch sie fallen die gewohnlichen Angaben der fiord-
Hcheti BuddbisteD^ die den Religionastifler 1000 und mehr
Jahre vor nnserer Zeitrechnung und 4och aur 1 10 Jahre vor
jenem vielgepriesenen Konige leben lassen. Hiemach isl nun
aber aucii die drilte Synode^ die von Paitatiputra^ deren die
ndrdliehen Buddhi$ten nicht erwahnen^ und iiber die wir in
den Jahrbucbern von Ceylon ^e omslandlichslen Nachricblen
besilzen, dn unbeatreilbares historisches Facluto, eben $o un-
bestreiibar eiwa, wie das Nicaanische Coneil a« defigl. Das
fesen berofen worsen sein : iin 10. Jahre Kalasoka^s und im lOO. nach
dem Ninrana* Aas diesen 10 nnd 100 konnic moglicher Weise 110
geworden isein
') A^ Rm. XX. 41 tt. £170. S«ming ^etfen (i>m Sehmidt) 17 oad 315.
Die Mongolen nennen den' K^nig, nater wtflolieHi das »wei«e Coneit
ab^haUen sein soil, GtiM8aliiiig^Ug«i.NoiiiiiiiM0lHigaii| wie e» icheint,
«tfie w5rtiiche Uebertrtgmg des^Natnens IMuiraiaaofca. Aecli wird
ausdracklicb j«ncr Chagan als firjriebter der tielen Tanseiid Tern-
pchuiiileii bezeielmet (bei Sebmidi L c. 2&7>, wodarcb jedet Zwetfel
an dier Identitat beider gebeben wird.
Ktnige Worte uder den Buddliumus. 253
Eiiizigei was man hiergegen, und uiu die Aiigaben d«r Tibe-
taner und Mongolen iiber die beiden Versaminlungen zu retr
ten, einwenden konnle, ware etwa die Behauplung, das so-;
genannle driile Concil falle mil dem zweilen ztisaminen, die
Singhalesen hiiilen milkin aus eiuer und derselben Synode
zwei gemachty wie aus eineni einiigen Asoka zwei iCouige.
dieses Namens. Hiernach miifsle A lies, was bis jalzi tiber
die Geschichte Indiens vor Alexanders Croberungszug freiiich
mehr vorausgesetsi, als festgesetzl isl, aufgehoben werdeii,
und z. B. der Buddha, dessen Nirvana ja eben 110 Jahr voc
der Synode unler Dharmasoka verlegl wiirdei dem Jahrhun-
derie des Brobereres angehoren, was, wie gesagl, mit^ der
sonsligen beiligen Cbronologie der n5rdlichen Buddhislen docb
anf allerwenigslen stimuli; es ist aber jene Behaupiung aucb
aus vielen andern Grunden vdll% unhallbar. Denn — uip
nur einen anzufiihren — es isl unmogfich, geradczu unmog-
lich, dafs der zahen, feslgewurzellen, ubermacbligen Hierarcbie
der Brahmanen gegeniiber sich der Buddbismus, der jedes
gewalteame MiUel der Bekehrung verschmihty gleicb dem Is-
lam, im Lauf eines einsigen Jahrhunderls zu jener SUife voo
Ansehn und Gellung und ausgebreiteter Anerkenaung erboben
haben sollle, auf welcher wir ihn mil hislorischer Gewifsbeit
unter der Regierung des zulelzt genannten Konigs wiederfin*
den. Die Sache verhalt sich daher gerade umgekebrt: die
Tibetaner und Mongolen haben die beiden Konige gleiches
Namens, den^ schwaraen Asoka und den Asoka des G^seUes,
und mil ihnen zugleich das zweile und dritie Concil in Eins
zusammengeworfen *).
*) Daher tassen aie einerseits das zwette Concil zn Vaisali ablialten^
and nennen es ,,das der SiebenhunderO* — ganiz wie die Singhale-
sen, andrerseiU yerlegen sie dassi^lbe in die Regierangszeit Dbarma-
soka^s — ond- dies ist der indischen Tradition aber das dritte Con-
cH eatnommen. Man iann daher nicht eigentlicli sagen, wie z. B.
Lassen u. A. dafs das letztere ?on den nordlichen Buddbisten
nicht anerkannt wiirdcs
'.yi«.
""■I'i^
'•"..,
""11,1 '" A I ''"■ « ""o/
"**n.:
oy<:
' "W ^W, "■*'*>, „
"""■•Mf
••*»
■-.Vi
^/ie^-^Ua,,
'Sen- '
Binige Worte iiber den 0uddltisiini«. 255
selbe wtrklich schon so frUh ehlworfen und feslgestelit wo^*>
den, und hat er sieh bis jetzt unreranderk erhalten? Besilte'n
^r also noch die Redaction wenigslens der letzten Ooncile?
oder giebt ei vielleichi g<ir Biiddhisttsche Religtonsschrifteny
deren Ursprung mil Grund auf das erste und sweite zurUck*-
gefiihrt werden konnte? und weleher Sprache bat man sich
bei der Abfassung derselben bedient? u. 8. w. Diese Fragen,
oder viehnehr diese Fi-age — denn sie laufen zdlettt alle i^
einc einzige tusainmen — lafet sich bis jetzt nur Iheiiweise
und mit anniihernder Wohrscheinlichkeil, doeh nicht mit voll«^
standiger Gewifsheit bennlworten.
Was zunachst den Tripitaka betrifTl, die Elnth^ilafig in
Sutra, Vinaya und Abhidbtirma, so findet sich dieselbe
bei alien Buddhislen, obwohl sie nicht iiberarU so slreng fesk-
gdiaiten wtrd, wie dies auf Ceyton der Fall zn sein scheini,
sondern die einselnen Afolheilungen bisweilen in einander v^»
schwimmen, oder wie z. B. itii Kah-gyiir und nn Canon von
Nepal noch andre hinzutreten *). Es ist ferner eine langst
ausgemachte und bekannte Thatsache, dafs die heiligen Bii-
eber der dhinesiselien^ Baddhislen, wie der T^bfetaner, so weit
sie nSmlidi als Wort des Stifiers gellen, samirithch aus dem
Indischen, und zwar so viel wiv bis jetzt wissen, aas dem
Sanskrit ubersetzl sind **)\ die der Mongolen theils unmitlel-
b<)r aus dieser, iheiis. aus der tibetanischen Sprache, wobei
der fronune Eafer der Uebersetzer. sieh der moglichaten Treue
und 'Wfirtiichkeit befleifsigt hat, damit afioh kein Titeichen
'*') Der Trjpit^Jia .heifiit bei den QJiinesen. $aii-tiang> bei 4«ii Mon-
golen Gurban aimak. Von den 7 . Haapttbeiien dea Kabrgy^tr entbalt
der eratff ViD,aya (Tib. D»Iva,.13 voD^ der zweite P^adisc^hna
parainila, d.b. AbhMbarma (Tib. Sober^h^btn 21 TOk), der funfte
Satra (Tib. Mdo dO voK»). Der Canon van Ceylon bei Tumour
(Kinleitong a^. Mabayanao LXXV) und ,,Aa epitome o( tbe. bitlory of
Ceylon** LXIi. Ueber den Tripitajka in den- Saaskritsckrifien von
Nepal Buroouf ^Introduction a I'Jiist. du Buddb.*' 46 ff.
") Indefs bteibt es-inoglicb, daCis.die Cbineseo einzelne iiirer beiligen
Buclier anob aus den spateren indischen DUleeien ikbertragen haben.
256 Hittori80h-*ting;Qi8ti8cfae Wissentehalten.
des unschaizbaren Kleinods der Offenbarung veriareii gehe.
Aucb unterliegt es kaum noch einem Zweifel, dafs wir die
Originale eu den meisteti jener chinesischen, libetaDischeii und
mongoliscben Ueberselzungen in den von Hogdaon aufgefun*
denen Sanskritschriften von Nepal besilzen. Von einigen der-
selben iat dies bereils dureh Vergleichung unwiderieglich dar-
gelhan, bei ungleich mehreren isi es hocbsi wahrscbeinlich *).
Und diese Uebertragungen haben, wie wir spater sehen wer*
den, wenigstens in China, schon in einer Zeit begonnen, die
d&in lelzten Condley dem von Kaschmir, nicht alizufern lag^
in Tibet freilich erst im 7., bei den Mongolen voUends erst
ifii 13. Jahrhiindert.
Am wenigslen ist bis jeizt noch das Verbaitnifs unler-
sucht, in welchem die heilige Liieratur der Singhalesen zu
detjenigen der ndrdlichen Buddhislen slehi; gerade dies aber
ist der intereasantesle und fur die friihere Entwickelungsge-
schichte des Buddhismus wichtigste Punkt**). Denn daCey-
*) Burnuofl. c. Sehott ,,U«ber den Biiddhtsmiis tn Hocliasien and
ift China*^ (AbhaRdh der biator. Cfaiswn der Berl. Akad. v. J. 1S44«
p, 161). I. I. Schmidt in Petenbnrg erklirte schon 1830, daCs
von 180 BuddiuBtiscben Tractaten, deren VerzeichniCi Hogd.son
verd£fentlicbt hatte, die meisten ihm in mongoliscber Uebersetzung
vorlagen. Hinsicbts der Genaaigkeit und Wortlichkeit der belrefifen-
den Uebersetzungen benierkt anter anderh A. Renin sat (Melg. As.
i. 103): Les versions qtt*on on a &ites li d^ ^poqus quo rom con-
naissonsy en ehinois, en mongol on on tib^tain, v^lgte avec ootle
fidelity presqne servile qui characterise les Orientanx, representont
si exactement les textes, qu^independemment des noms et des mots
sancrits qu*on y a laiss^ sabstituer> on y recinnait le g6ne indien
et jnsqu'a la phtas^ologie .primitive.
**) E. Barn oaf besthaftigt sicfa seit einer Reth^ von Jahren mit dieser
Untersnebang , zu welchem Behufe er eine grofse Mfenge von
Materialien gesammelt bat* Die Resottate wird er Im zweiten
Bande der oft ange^brten ,,Introdact.** etc. darlegen. In dem ersten
bat er die Sanskritschriften von Nepal einer durchgreifenden kritischen
Analysis unterworfen, und aus der Spracbe , wie aus dem Inbalt das
Alter and die Aufeinanderfolge der verscbiedenen Zweige derselben
zn bestimmen gesadit. Ks ist dies das erste Werk , dorcb welches
Bfitife Woi^e tiber den fioiMtiiMiiis. 33(7
Ion gleieh nach ilem Concil von PuUalipuira bekehrt wDrden
hif und in- Folge dieses Concffa die Verbreilang der Lebre
auiiserbalb Indietis und damit zugleich. dieTrennung dev ntod^
lichen and siidlichen Bnddhisten anhebt; so kSnnen dordk
Vergleiehung des Singhalesischen Tripitaka mil den* heUigeii
Biicbf rn der Chmesen und Tibetaner und ganz besonders der
Nepalesen — da diese eben die Satiskriloriginale aufbewahri
haben — aus der eiwaigen UebertinBitmmang und Abvrei**
chimg die inannigfaltigsien und reicbhaltigslen Resukate ge*
wonnen werden; ja es ist diese Vergleiehung das einsigeMib-
tet, urn ganz sichere S^liisse zu ziehen Ubef das Zeitalter
und die Autencitilat der Bucher selbsi, d. h. der Redactienen,
der Texte, so wie auch der Lehre, der Dogmen, der Disd-
plin, des Cuitus, der Melaphysik ond Kosmogonte, der relS-
gidsen «nd theologisehen Vorstellungen jeder Art. Dean was
sioh im religi&seR Codex von Ceylon und andrerseits in dem
der Chinesen, Tibetaner oder Nepalesen Genoeinschaftlielies
vorfindet, ist beinahe mit Gewifsheit als uralt und ursprUng*
lich und der friihsien Periode des Buddhismus angehorend za
betrachten. Soike s. B. *- was freilieh nicht zu erwarten
steht — der ganzeSinghalesische Tripitaka sich in den entspre-
chenden Ablheilungen des Kah-gyur unverandert wiederfinden,
so wurde daraus sicher gefolgert werden konnen , dafs wir in
den beiden ubereinatimmenden VeraioBen die su Paiialiputra
veranstallele Sammlung und Redaction der heihgen Schriften
vor uns haben. Dasselbe wiirde, jedoch mit einiger Ein-
schrankung, auch von der Uebereinstimmung eines eitizelnen
Buches gelten ")•
d«8 Dtiitkel, das b'lBhmt auf der Jogendgescbiclite des Bad^htsmui
iast«te, slob •inlgertnafiien za lichten beg^uint. 0o^h lind iwturlich
di* melstea Fragen noob offen gelassen^ nitd erst wenn die beiligen
ttacber von Ceyfoit eine abnliebe Prnfiing bestandeir baben , kann
das entscheidende Urtbeil erfolgen.
*i Bs vftire dann namlicb iioeb za iititersacben , ob dieses Bach nicbt
etwa za denjenigen gehorte, die spater von jenen Reisenden, die um
258 Histofkcli-lingaistisciie WiBieniebflifton.
So iviel ' ist sehoh jetzl bu ersehen , dafs' die Zahl odA
Mass0 d^r Werke, weldie ab Wort des Slift^rs vcrebl'i w^^
den, in Norden viel gr5fser. ist^ als itn. Saden *), und dab
dorky wie schon oben angedeiUet, manches in den Canon auf*
geuomtnen ist, woven man hier gar nichts weiss. E^ sind dies
namenllich die sogenannte Tanlras, die in Nepal, wie in
China und Tibet und bei den Mongolen den Sutras gleich,
Oder wohl noch hoher geachtet werden, als diese. In iha
erscbeint der Buddbisnaius mit ElenEieiiten versetst, die seiaen
urspruhglicheo Wesen fern Uegen, den rohesten Vorslelliingen
des Schamanismus und Gotoendiensles. Hier erblicken wir
jen^i wiisten Cultus inonstroser Goiter und Gdttinneh, die
grdfsleniheils dem ScbivasdiefisUe eritnomiDen i»ind, ni^i alieila
Zubehor bis zuiti Linga und zur Yoni berab; hier wird das
Heil nicht inehr gesetzi und g^suebi in Bufse imd Auf-
opferungsfahigk'eil, sondern in der mecbantschen Ausiibung
gewisser aufs^rer Gebrauche, Handlungen und Ceremonien,
101 gedankenlosen Harsagea yon fiinniosen, oder doch un-
verslandenen Gebei* und 2auberfbraieln ( Dharaitb oder
Mantras) **). Bis jetsi hal man von diesem Zweige der Budd-
die Iieiligen Biicher za sammeln, niclit bios das continentale Indien,
sondern aach Ceylon besacbten, von dieser Insel nach dem Norden
gebracbt- worden sind. Ich finde zwar ofter and zwar yon sehr be-
deatendes Gelehrtcn aosgesprochen, daft der Codex Ton Ceylon oder
doob einzelne Tbeile desselben mit chiBosisoban and tibetamtchen
djem Inbalte nach yoUkommen Ubereinstimmten, indeff der Beweis
, dafur ist dieines Wis^ens noch nirgends gefuhrt. Nor von den Vor-
schriften iiber die Disciplin kann man vielieicht scbon jetzt behanpten,
dafs sie bei den nordlichen und siidiichen Boddhisten so ziemlich
dieselben sind.
*) Dies ergiebt sich . aus einem Vergleicb des Tripitaka von Ceylon mit
den betreifenden Tbeilen des Kah-gyor. Der erstare . bMteht im
i, Ganzen aus ^\ Banden,.von denen 10 dem Sotrapitaka, 5' d«m Vi-
nayapitaka 7 demAbhidharmapitaka angehoreo, walifenU die «ntspre-
cbenden Abtlieilungen des Kah-gyur aus 64, meistens n^ stiirkeren
Banden bestelit.
**) DieTantras beifsen bei den Cbinesen Tscbeii, bei dea Ti6etanern
R^jud. ScUott 1. c. 220.
Blftife Wort* iiber d«n fiiiddliiftmtts. 2&9
histisehen Literirliir in Ceylon noch keine Spur gefunden,
ejn Umsland, der all«in schon den Beweis liefert, dofs sieh
hier die Lehre in alterer und reinerer G«6talt erhalien haf,
als im Norden *)^
Die Spracbe, in welcher die OriginaUexte der heiligeii
Bticher abgefafst worden sind, nenneti die Ckinesen die Spradbe
von Fan, die ubrigen Baddhisten naeh dein Heimathkiiide
des Stifters die Spraohe von Magadha; beides soil nichis
weiter beifsen , als Indtsch sohlechthin **). Indels ver stiehen
die nordbcben im Allgemeinen darunler Saaakrit, die siidli*
chen Pali, und es enlslehi hierbei die noch uageloAte Frage,
in welcher, oder in welchen Mundarlan urspriinglich and
zuerst das Worl des Buddha niedergeschriebeo worden isi. .
Noch vor einigen swanzig Jahren waren die grofsten
Sprach* und Sachkeaner der Ueberxeuguiig, dies sei iin San-
skrit geschehen uod swar nur im Sanskriti und wo immer
sich Bttddhislische Texte in einer andern Spracbe vorCanden,
musse vorausgeseUt werdeii> dafs dieselben aus dem Sanskrit
iibertragen soienf). Spater dagegen hat man enlweder Pali
fiir die Grandsprache ausgegeben, oder angenotnmen, die
Bttddhisten haUen sich von Anfang an bei der miindlichen
und schrifllichen DarsteHung ihrer Lehre zugleich mehrerer
Mundarten, und aufscr der Gelehrlen- gleichzeitig der Vul«
gairsprache bedient Uiese leUtere Ansicht, die gegenwiirtig
von den bedeutendsten Forschern gelheilk wird, hal allerdings
viel Griinde fiir sich.
Zunachsl schon den Geist der neuen Lehre selbst, und
die Umsiande, unter denen sie sich Bahn brach. Der Buddhis-
mus durchbrach, wie gesagt, die Schranken, welche dieBrah-
*) BoDrnoof I. c. 235.
**) Fan, zusammengezogen aas Fa- la-ma, der chinesischen Aasspraclie
van „Brahdia.** ^
t) Sa J. J. Schmidt, W. y« Hamboldt, A. Remnsat. Ka ist je-
doch zu bemerken, dafs R^mosat in seinen letzten Jabren das chi-
ntniscbf) Fan nicht mebr ausscbliefslich fiir Sanskrit bielt* Landresse
in der Einleitong zam Foe Kone Ki XXI.
260 HMtoritcb-liiigiiifltiiche WiMensohaften.
manische Hierarchie um die Offenbarung isnd Wissenscbaft
geiogen haUe; er wandte sich an Alle ohne Unlerschiedi an
das* ganse Voft; er hob damil im Princip nicfat bios das
Hasten wesen, sondern selbst den Gegensatz zwisehen Pneater
und Laien auff indem er, ursprunglicb wenjgalens, jeden ohne
RScksieht auf die Geburt, auf die Kasle, zum Priesteribuni^
d. h. in seiner Sprache zum Biilserilmni, sur Ascese belief.
Er war demnach in einer ganz ahnlichen Lage, wie der Pro*
teslantisinus. Wie dieser halte er es naeh der einen Seite
hin mit den Prieslcrn der alien Kirche zu (hun, gcgen diese
sich zu wehren und zu veriheidigen, mil ihnen zu streiben
und zu dispuiiren, ihnen gegeniiber seine Salze zu entwickeln,
zu begriinden, zu rechlfertigen; andrerseils redete er, gleich
diesen, zum Voike, predigte im eig^nllichslen Sinne des Wor-
(es, suchte zu belehren, zu iiberzeugen, zu erwecken, — denn
er verlangie nicht, wie der Brahmakmus, Opfer, Ceremonieii
und aufsere Werkheiligkeit, sondern lebendigen Glauben, Er-
leuchtung, Wiedergeburt. Wie daher Lulher und die andem
Reformatoren zu den Gelehrien laleinisch^ zu der Menge
deutsch redeten; so wurden wahrscheinlich durch ganz analoge
Verhaltnisse der Begrunder des Buddhisnius und seine Junger
darauf hingewiesen, sich zugleich des Sanskrit und der Volks-
sprache zu bedienen *). '
Es sprechen aber aufsei* diesem innern Grunde auch aus*
druckliche Zeugnisse fiir die obige Annahme. Zuvorderst er-
sehen wir aus der Einleitung des Kah-gyur, dafs die Tibeta-
ner selbst daran glaub^n, ihre heiligen Schriflen seien anfiing-
lich theils im Sanskrit, iheils in andren Mundarten aufgezeichnel
vvorden, und dafs die vier Schulen der Secle Vaibhasika, die
fiir die alteste unter alien gilt und unmittelbare Sehiiler
*) Hugdson in der „Note oit the primary langtiage of Buddhiuiiy** im
Joarn. of the As. Soc. of Beng. VI. 692, fiimmt faiernach an^ die ptii-
losopbiscben Lehren der Buddbisiea seien in der heiligen Sprache
der Brahinanen, ala der dazo geeignetsten, die popularen in der Vnl-
garsprache, d. h. ip Prakrit Torgetragen werden.
Kinige Woite iil>er den BuddtiUmiu. 2j(>l
des Buddha unier ihreti Griindern neont, sieh hauplsachlich
dui*cK die Sprachen, unlerscheiden, in der jede von ihnen den
„Sulra der Befreiung'' iiberiieferl. Als solche werden genaonl
Sanskrit, Prakrit, Paischaki und Aphabhransa. Auf
dieses Zeugnifs ist freilich nichi alUuviel su geben, da es, wte
Lassen gezeigt, zu sehr naeh Systematik schmeckt, und die
vier Mundarten gerade. in der Stufenfolge aufgesiiblt werden,
welche sie nach der Lehre der indiseben Grammatiker und
Rhetoren einnehmen *).
Viel wichiiger ist die Naohricht, da(s der erste Bekebrer
von Ceylon, Mahendra, der in Folge der Beschliisse des
Concits von Puttaliputra als Nissbnair dabin abging,
die Lehren ausdriickiich „in der Sprache der Insel'*
vorlrug **) , in weicher Mundarl sich dieselben lange ZeU er«
hiellen, ehe sie in Pali iibertrageQ wurden, was entweder
erst etwa 400 Jabre naeh Buddha, d. h. ungefahr andert-
hatb Jabrhunderle nach der Mission, odei; gar erst durch
Buddhagoso, im 5. Jabrbundert nach Chr. geschehen istf).
Wann inimer diese Uebers^tzung uniernomtnen sein mag, wir
sehen an diesem Beispiele, data die Buddbisten iiberalli wobin
sie kamen, was freilich in der Nalur der Sache lag, in der
Landessprache redeten und predigten und lebrten, ein Verfah*
ren, das sie wahrscbeinlich doch nichl erst seit der Mission
und der Ausbreitung des „guten Geaetzes'* zu fremden Vol-
*) Vergl. „Zeit8Glinlt far Kande des JVlorgenlandes'' III. 159, IV. 491 ff.
Indische Alterthomskunde II. 469 und 491.
**) Maliavanso c. 14, am Ende.
t) Mahavanto c. 24, p. 219 (bei Upban). Davy 217. Benfey „Iii-
dien'* p, 200. Lasse'h „lndisclie AlterthumskQiide" 11. 435. — Ben-
fey nimmt an, dafa 400 nach Buddha, der Tripitaka in Pali abgefasat
worden sei. Nach den QucUen ist damats allerdings nur die schrift-
liche Aufzeichnung der Lehre erfolgt, die sich bis dahin auf Cey-
lon miindlicb forlgepfianzt haben «oU, daher aucU Lassen der Ansicht
iBi, daiis erst viel B(>ater und zwar zwischen 410 und 432 nacb Chr.
die beii. S^riften in Pali iibers^Ut worden seieii.
262 Historiscli-lingnistisclie Wiscenscliaften.
kern und Baibaren, sondern von Anfang an und dchon im
Heimalhbnde der Lehre, im Gangeslbaie, in Magadha beob-
aoblet haben. DaAir zeugt unter andren aruch der Umsland,
daEs die schon friiher angefiihrfe Glaubensformel '), die sieh
bei alien Buddbisiiachen V5lkern findet, und in der Avir, vvie
es scheint, eins der aUesten Baddhistiscfaen Spraebdenkmale
vor un» haben, anscheinend zuerst in einem der Vulgiir-Dia-
lieote concipirt, und erst aus diesem ins Sanskrit uberseltt
wordcn isf*). Cndlich — und das ist die Hauptsache —
2ieigt sieh seibst in denjenigen Buddhistiselien Sanskrilwerken,
welche von derKrilik als die iiliesten anerkaiint worden siad,
ein enlschiedener Einfluss der Volk^sprache des mitlieren h\-
diens auf Charaktet und Ausdruck, Haltung und GesLaltung
des gelelirten Idioms, wornus man eben ersieht, dafs jene den
Buddhisten sehr gelaufig gen^esen -}-). * '
Da zu Dharnwifiokas Zeit -^ vi^ie aus den Inscbriflen zu
ersehen — das Sanskrit nieht einmiil mebr officielle Sprache
war, so darf man wohl annehmeii, dafs es schon seit Jahr-
hunderten aufgehorl haite, Volksspraebe zu sein, milhin schon
der Begriinder des Buddhismus diese in den Prakritdialecten
vorfand. Dafs der Dialect, weicher in dessen niichster Hei-
maih, d. h. in Magadha geredet wurde, keinesweges eigent-
liches Pali tvar, wte die sildlichen Buddbisten. glauben, hat
Lassen gezeiglff); auch ist schon oben erwahnt, dafs die
Religionsschriften von Ceylon erst vie! spaler in* die lelzlere
Mundarl uberlragen worden sind.
*) Sie laatet nach Lassen Zeitschrift i'lir Kniid« <1es Mofgeiilandes 1.
229 wortlich: Quae leges sint a caussis oriumlai', earum caassas
dixit Tathagatas, ct Quae sit eorum restricHo, perinde eifatus e»t
magnus Anachoreta. Die nnn folgenden zwei Strophen sel)«ineii spa-
tern Crsprungs zu sein.
**) Indische Alterthunisknnde 11. 492. Benfey I. c. 202.
+) Ich verweise auf Barnouf I. c. 16, 106 und 108.
ft) Zeitschrift fur Kunde des Morgenlandes III. 172 if. Ind. Atterthums-
kunde II. 486 ff.
Kinig^ Worte iiber ileti Bii«ldtiiMndf. 263
So ^el von der Sprnche.
Was nun das Alter und die Urapriinglichkeit des gansen
Buddhislischen Codex, die Aufeinanderfolge der einielnen
Zweige desselben und der einselnen , in dieselben vertheilten
Biicher betriffl; so liifst sich, wie schon in der Note bemerkt,
nichts Sicheres daruber festsiellen, bis nicht die heilige Lite*
ratur von Ceylon einer ahnlichen durchgreifenden Kritik un-
terworren worden ist, wie die von* Nepal. Die Buddhisten
selbst haben natiirlicb keine krilische Gesebichte ihres Canons
und Texies geschrieben, da eine solche bei ihnen schon durch
die Tradition und den Glauben ausgeschlossen war *). Bis
jetzi lafst sich daher mit Riicksicht auf die Schriften von Ne-
pal nur ganz im Ailgemeinen etwa folgendes urtheiien*
Dafs zuyorderst gleich nach dein Tode des Buddha der
ganze ,,Dreikorb'* entworf^n worden sei, ist schon wegen der
Massenhaftigkeit und. Anzahl der darin bcgriffnen Werke nicht
glaublich. Auch behauptet die Ueberlieferung das selbst nicht,
indem sie Erganzung und VervoUslandigung desselben auf
den folgenden Concilen annimmt. Das Klosterleben^ kaum
erst im Enlstehen, konnte unmoglich schon damals so weit
vorgeschritten sein, dafs wir in deniselben jeue ausgebildete
') Wenii daher z. B. (nach Schmidt I. c. 115) im Mongoliacben Schastir
f/rschichola Xereglektschi** beriditct wird, im eraten Jahra
nach^dem Niryana seien die erst en Worte des Baddha gessmmelt
worden (d. h. die Lehre der kleinen Rrrettangsmittel fur Glaobige
-von beschranktem Verstande), 110 Jahre spater die mittlerea
Worte (die Lehre der grofsen Krrettungsmittol fiir Leote von mitt-
lerem Auffassungsvermogen), 300 Jahr oach dem Nirvana endlich die
letzten Worte (welche ansschtieblich den tiefen Sinn der grofiMB
Krrettu^gsmittel enthalten, fur die glaubigen Weisen von hohem Ver-
stande); <^ so heifst das die Geschichte nnr nach einem theolo-
gischen Schema zurechtmachen, ^ie wir sie in Dentschland nach
philosophischen Kategorien znrechtgfmacht haben. Btwas Wahres
bleibt allerdings anch in dieser Scheraatisirnng, dafs namlich.die eiii-
fachste and allgemein verataadlichste Form der Lehre anch die iUteste
ist, and amgekehrt
Ermans Rosa. Archiv. Bd. XL B. 9. 18
26(1 HMtorUch-lingiiiitbche Wtssensobaften.
Regel, jene unzahligen Vorschriften vorausseUen durften, wie
0ie in der Ablbeilung Vinaya enUialten sind, Vorschriften,
welcbe grofsentbeils erst entslanden sein konnen, als sich be-
reUs ein zahlreiches Laieotbum den ^Beltlern'" angescblossen,
^ad welche meisiens die Beatimmung %n haben scheioen^ den
Clertis von den Laien scharfer zu sondern. Aehnliches gilt
im erh))blen Maafse von der Metapbysik und Philosophie. Es
hiefse den . eiofachen , ursprtinglichen , njenschlichen Gharakter
d«8 Buddhiamus ganzlich verkennen^ wenn man annehmea
wojlte, da& iroU der pfailosophiscben Anlage der Inder ein
Werk von dem ungebeueren Uinfange der PraUchn^ Para*
mUa*) und zugleich von so gnosUscher UeberschweDglicbkeii
und verzweifeber Speculation und Scbolastik^ — so zu sa-
gen — k^ dem apostolischen Zeitaller desselben entslanden
sei. Zwischen diesein*Bucbe und den einfachsten Sutras und
Legenden liegi eine grofsere Kluft, als etwa zwischen dem
Evangelium und Origines.
Es blieben demnach nur die Sutras iibrigi und wirkUch
iverden diese vorzi^gsweise als das Wort des Stifters verehrl,
Doch sind dieselben in Sprache und Ausdruck, Form und Ein*
richtungsweisej^ so wie hinsichls der in ihnen herrschenden re-
ligiSsen und mylhologischen Vorstellungsweise so verschieden,
dats sie' schwerlicb alle dem namlicben Zeitalter angehii-
ren k5nnen. Man unterscheidel demnach einfache Sutras
and ausfyhrliche oder entwickelte, welcbe lelztere
auch Sutras „des grofsenFuhrwerks** genannt werden **).
Die ersteren sind schlicht in Aniagc und Slyl, in einer zwar
nicht clas^ischpn, aber doch einfachen Prosa verfafst, die nur
*) Sie besteht in der weitlaiiftigsten Aosgabe au9 100000, ib der niitt*
leren ana 25000, in der kieinsten aas 8000 ArUkeln. Diese letzte
liatte Burnouf (|).4a8) zat Hand.
*) Mahayana Sutras, gewohnlich Satras „der grolsen Ueberfahrt.**
Lassen erklarte Mahayana friiher durch y,groIise Babn;" hat aber spa^
ter Bornonfs Uebersetzong ^grofses Falirzeug. oder Fuhrwerk"
(grand yehicule) angenommen.
Etnige Worte iiber <}en Boddbismas. 2A6
sellen, wo es der Gang der Darstellung mii sich bringt^ durch
poetische Stelien unterbrochen \vird, deren Sprache durchaua
mil der Prosa iibereinslinimt Die Gegenslande, iiber welche
sich der Buddha mit seinen Scliiilern und anderen Personen
unterredet uod iiber welche er belehrt, sind mehr moralischen
als metaphysischen InhaUs;'es sind vor allem die Buddhisti*
schen Tugenden: Mitleid, Keuschheit, EnlbaltsancdLeit) Ge-
duld a. 8. w. Der Vortrag ist nicht wissenschafUich, dogma*
tischy sondem practisch, popular; Gleichn^sse und L^eiideD
werden ersabli und die Anwendung daraus gexogen. Die
Scene ist stets die Erde; unter den Zuhorem figuriren aulser
den Menschen nur die Brahmanischen Devasailer Art **).
Gans anders die Sutras y,des grofsen Fuhrwerks.** Ihr
Sty] ist breiter, weitschweifiger, verworrener^ die Prosa re-
gelmiUsig mit Versen gemischt, und zwar so, dais die poeli<«
sehen Parlien nur das in einer anderen Form wiederholen,
was in der Prosa scKon gesagt ist Diese versifizirten Sliicke
sind nun noch dazu in eineni von der letzteren vollig abwei-
cbenden, fast barbarischen Sanskrit geschrieben. Die Scene
spiel t nicht auf der Erde^ sondem in den unsabligeni phan*
tasiischen Buddhawelten, und in den Versammlungen, welche
den Buddha umgeben^ und seinen Worten lauschen, erblickt
man auch Schaaren von Badhisatwas; ein Umstand, der in
dem einfachen Sutras niemals vorkomml, schon debhslb nichti
well, wie es scheint, nach der alten Lehre nie ein Buddha
und Bodhisatwa zugleich auf der Erde exisliren konnen*^).
Freilich werden auch in . den gewobnlichen Sutras bisweilen
Bodhisatwas erwahnt, namentlich Mailreya, ais der kiinftige
Nachfalger Schakyamunis, aber sie werden eben nur enviihnt,
uad treten niemals als mithandelnd auf. Es ist femer sebr
charakteristisch y dafs awei Heilige dieser Gattung, und zwar
die im Norden gefeiertsten, namlich Mandschusrij der von
*) Bnrnouf 102 ff. Zwei einfache Sotras in der UebersetKung eben-
daselbit 74—98.
*^) Barnoaf 109.
18*
256 Historiscli- Unguis tisciie Wistentcbaften.
den Chmesen, Tibeianern und Mongolen hochverehrte Bod«
hisatwa der Wissenschaft und Speculation, und Avalokiie-^
svara, der Beschutser des Glaubens in Tibet und bestandi*
ger Stetlverlreter des Buddha auf Crden, nur in den Sutras
^ydes grofsen Fahrzeugs/' abet* nie in den einfachen genanni
werden *).
Schon aus diesen wenigen Andeutungen lafsl sich schlies-
sen, dafs die beiden Arten der Sutras nicht gleichseitig enl-
standen, sondem Producte verscbiedener Entwicklungsphasen
des Buddhismus sind, und dafs die einfachen Sutras eine frii-*
here Stufe desselben reprasentiren, als die enlwickelten. Der
Titel selbst deutei darauf hin, — und er isl nichl erst von
neueren Gelehrten erdacht, sondem findel sich bereits in den
Handschriften. Denn was soil es heifsen „entwickelte*'
Sutras, wenn dabei nicht unentwickelte, d. h. einfache voraus-
gesetzt werden« Auch der andere Titel Mahayana-Sutra's,
wie der Inhalt selbst, spricht dafiir, dais sie einem Zeitalter
angehdren, in welchem die Tri-yana, d. h. die drei Miitel
£ur Ueberfahrt aus dem Sansara an das jenseltige Ufer dec
Befreiung"^*), oder allgemeiner gesagt, hdhere und niedere
Auffassungsweisen der Lehre, je nach dem MaaCie der FaUg*
keiten und dem Grade der Intelligenz schon unterschieden
wurden. Der unmiUelbaren Auffassung, dem einfachen, so lu
sagen — ^ historischen Glauben — mufste bereits die Gnosis,
die Pradichna paramita, d. i. die transcendenlale Erkennt-
niss gegeniiber getreten sein, und ein solcher Gegensatz des
schlichten Offenbarungsglaubens und des philosophischen Be-
wufstseins darf den Aiifangen des Buddhismus so wenig vin*
dicirt werden, wie denen des Chris tenthums. Wirklich sind
die Solras „des grofsen Fidirwerks'' durch ihren metaphysi*
schen Inhalt sehr nahe der Pradschna paramita verwandt; ja
•♦
•) Ibid. 112 if.
) A. Remusat N. Joarn As. VIll. 528. Schott I. ts. 240. Pie schon
oben erwabate Unterscheidang der ersten, mittler^n and letz>
ten Worte bedeatet dasselbe wie die Tri-yana.
Binige Worle iib«r d«n Buddhknitu. 26T:
es ist historisch ausgemacht, dafs diejenige Schule, wdche
dieselben las und sich der grofsen Ueberfahrt befleifsigte, tu-
gleich vorxugsweise die leUtere verehrle. Da2U passen auch
die in jenen so haufig auftretenden und den einfachen Sutras
vollig unbekannlen Bodhisaiwas, Mandsehusri und Avalokites^i^'
vara; denn beide und ganz besonders der erstere, sind fast
nur als Personificationen der Pf adschna anzusehen, und daber
keinenlalis alter, als diese selbst, d. h. als die Unterscheidung
der gemeinen und transcendalen Erkenntniss *). Am schwer-
sten falll endlich die Sprache ins Gewichl; sie ist der Art,
dafs der grofste Spaeh- und Sachkenner auf diesem Gebiete,
aus ihr den Schlufs gesogen hat, die entwickelten Sutras, na-
mentlich die poeiischen Theile derselben seien gar nicht im.
eigenllicben Indien, sondern erst in Kaschmir verfalst wor«^
den'*).
Haben wir daher wirklich noch religiSse Ut^unden, welche
aur dem ersten apostolischen Zetialter des Buddbismus sU|m*
men, so konnen dies allein die einfachea Sutras sein, und es'
ist nicht unwahrscbeinlich, dafs einzelne derselben gleich nach
demTode desStifters von seinen Jiingern aufgezeichnet wor--
den sind. Dabin gehdren auch jene Legenden, in welchen
*) Schmidt Memoires de Tacad. de Petcrsbourg. VI. s^rie. T. I. 99.
4
■ Fa-bfan, der chinesisclie Reisend« aiis dem Anfang[« des 5. Jahrliun-
derts n. Cbr. hebt es stets mit WolrigefalteA hervot^ menn er aaf
Kloster trifft, in welclier man sich der grofsen Ueberfabrt beeifert,
und bemerkt unter andern (Foe Koue Ki p. 101): Les devots aa Ma
ho yan (MahsLjana) rendent hommage an Pan jo pho lo mi
(Pradjna p4ra mit£L) k Wen tscha sse li (Mandjusri) et k Kou
an chi in (Mongoliscb Chongschim = Araldkit^svara).
**) Burnonf I. c. J'incHne done k croire qne cette partie des grands
Sutras doit avoir ete r^digee hors de Tlnde, on pour m*exprimer
d^nne mani^e phis precise, dans les contr^es sitn^es en deca de
rindos 00 dans'leKachemire par exemple, pays ou la langue satante
dn Br^bmaisme et da Buddhisme devait dtre cnltiv^e av^c moins de
succes qne dans Tfnde centrale, p. 584 zu vergl., wo es beifst: C'est
done do troisi^me concile qoMIs emanent, — -nicht blots die versiiicir-
ten Stiicke, sondern die ganzen Sutras des grofsen Fuhrwerkes.
266 HistofriBch-lingnittiBche WiMwiiBchaften;
die Anfange der Disdplin nichl systeouiibeh enlwickeli, son-
dern dorch den Gang der Erzahlung yorgefiihrt werden, Le*
genden, die von deii einfachen Sutras sich so wenig unter-
scheiden, dab z. B. in Tibet manche von Uinen aui in die
Abihdlong D o (Sutra) aufgenommen warden aind *). In der
That 9 was konnten onaiitlelbar nach dem Tode des Meisters
die' Jiingers anderes niederscbreiben, als dessen Reden, Ge-
sprache und einzelnen anecdotenahnlichen Ziigen, me sieh
dieselben im Gedachtniss erhalten hailen? Die Anecdote anf
dem religiSsen Gebiete ist ja aber eben die Legende. Auf
ahpliche Weise scheinen die Redeo Christi, %. B. die Berg*
predigl, Unterhaltungeh mil den JiiDgern und anderen Ver-
trauten die altesten Cadres der Evangelien au sein. Damit
soil jedooh keinesweges behauptet werden^ wir besafaen jene
altesten Urkunden noch ganz in derselben Fassiing nnd
Redaction, wie sie im L Jafare naeh dem Nirvana zuRad-
schagriha aufgezeichnet worden ; es bt im Gegentbeil niii Ge*^
wissheit anzunehmen, dafs auf den folgenden Concilen sich
der Text den fortschreitenden Veranderangen der Tradiliotty
der mythologischen Vorstellungen, des Dogmas und weM
auch den Auslegungm der berrschenden Parte! oder Sehule
hat fiigen miissen, und in diesem Sinne umgestaltet, revidirt
und intropolirt worden ist.
Im ersten Jahrhunderte nach dem Tode des Buddha ist
es noch zu keiner Spaltung iiber den Lehrbegriff gediehen,
mithin kann bis dahin auch von Buddhislischen Schulen nichl
die Rede sein. Zwar giebt es, wie gesagt, unter diesen solche.
*) Kb yenteht sich von selbst, daf» nicht alle Werke dieserArt fur gleich
^t gelten^ and dafs einzelne Ton iboeii erwiescner MaaliMn oniiH^
lich auf dem ersten Concile aiifgezeicbnet sein konnen, z. B, dieje-
Qigen, in denen Begebenlieiten and Personen erscheinen, oder aach
nor propketisch vorher verkiindet werden^ welobe einer spateren Pe-
riode aageboren. Wenn z. B. in einer Legende der scbwaree Asoka
aaftritt, in einer andren Dbaroiasoka die Haaptrolle spielt, so kann
jene oatarUch erst nach der zweiten> diese erst nacb der dritten Sy-
node ?erfa(st worden sein.
Blaise Worts nbcr den Buddbuimii. 260
die uniirittell>a?e Schuler Sbakyftiminis, ja dessen Solini als
ihre Stifter verehren ; indeb diese Angaben sind gerade so
glaubwiirdig, wie die Pratensionen mancher christlichen Orden
und Insiitate, welche ihre Cnlstehimg auf das Paradies oder
auf die Patriarehen, auf die Pr#pheten, oder doch aiifChristus
und die Aposkel suriididaUren^ AiH^h stehi ea mit diirren Wot«
ten in der ofi angefiihrlen Chronik von Ceylon, dais bia sur
Berufung des zweilen Concils nur ein einzigea Schisma
ausgebrochen sei, und zwar lediglidi binsichls der Disci-
plin *), und e^ ist an aioh naliiriicb, dafs man iiber die praelische
Seile des ,yg9ten Geselzes'' friiher in Zwiespall gerielh, als
Uber die bloa theoreiiaefae. Es war- in der cbrisUichen Kirche
ja eben so; deon bei dem ersten Schisma — wenn icb es so
nennen darf — - handelte es sich in dieser ebenfalis um die
Diseipiin, d. h. um die Verbindlichkeii des judisdien Ceremo-
nialgesetses. Zebntausend Priester — so heilst es — batten
am Ende des ersten Jb>hrhuhdeits n. B. zehn verbotene Hand-
limgen fur erlaubl erillari, z. B« berauscbende Getranke zu
geniefsen, goldnen und silbernen Schmuck zu lragenu.dgl. **),
rait dieser Angeiegenheit haiie es die zweite Synode zu &un.
Sefaon daduroh wird es wahrscheinlichy dafs diese Versamm*.
lung, gemals dem Zweeke ihrer Berufung und da iiber das,
Dogma selbst ketnSireit obwaltete, sich bei der Revision und-
Ei^phizung der heiligen Schriften vorzugsweise mit den Disci*
plinargesetzen beschaftigte. Doch haben wir dariiber auch ein
ausdriickliches Zeugnifs. Der oben in der Note erwahnteFa*
hi an berichtet namlich: 100 Jahre nach dem Nirvana hat in
Vaisali ein Bhikschu die 10 Normen des Wandels zu-
sammengestellt und sie mit den Crklarungen Badd-
has vers eh en. Zu derseiben Zeit haben Archan> seiche
'} MahaTanto Cap. V. Dariag the first century after tbe dm^h of
Boddbo, there was bot that one schism among the tii^ros. It was
subsequent to that Berioit that tlie olber schisms ainong tii^ preceptors
took -place.
**j Ibd. C. IV. Lassen II. 84. '
270 Historisch-lingttiBtisehe WiMentchafleii.
das Geselz beobachielen und Bhikschu, die sammllieh vor-
iri^ffliche Manner waren — es waren 700 Priesler — noch-
mals den Behalter der Gesetze unlersucbt *).
Erst nachdem zu Vaisali die MSnchsregel, wie es scheint,
in aller Ausfiihrlichkeit enlworfen und festgesiellt, das Kloster-
leben vollslandig organisirl und damii zugleich der Clerus von
den damals gewifs scbon zahlreichen Laien sirenger geschie-
den worden, begannen die dogmaliscben Sireitigkeiten und
Parteiungen. Zufolge der Singhalesischen Annalen sind in
dem zweiten Jahrhunderie n. B. deren nicht >veniger, als sieb-
zehn bervorgelreten. Die Veranlassungen ihres EnUiehens,
die Grundsatze, in welchen sie bertihli werden freilich nieht
erwahnty sondem nur die Namen genaant; indets kennen wir
wenigstens einzelne derselben aus anderweiligen Angaben*
Nach der Einieitung des Kah-gyur sind nainlich die beiden
altesten Buddhislischen Seclen oder Scbulen die Vaibha-
shika*s und Sautxantika's. 9,Die ersleren'* -^ so laulet
der Bericbt — „siehen auf der unterslen Slufe der Specula-
tion; sie nehmen Alles, was in den heiligen Biichem steht,
im allergewohnlichsten Sinne; sie glauben an AUes und dis-
putiren iiber Nichts. Die zweite dagegen besteht aus Anfaan-
getn der Sutras; sie theiltsich in zwei Schulen, von denen
die eine AUes durch Stellen der heiligen Bucher beweiseo
will, wahrend die andere dazu die Argumentation anwen-
*) So. nacli Neamanns Uebersetzong, Zeitschrift fur Kunde des Mor-
genlandes III. 116. Nach A. Rem'nsat, von dem Neamann bebaoi>-
tet, er babe die Stelle mifsyerstanden^ laiiten die Worte: Cent ana
apr^a que Fo^ fot entre dans le Ni huan (Nirvana) on mendiant de
Pi che li (Vaisali) recaeiliit ses actions et toot cte qui a rapport
aux dix defenses de la loi, en les accompagnant de paroles
mdmes de'Fo^. Cest ainsi que, dans un temps pins proohe, ane
reunion d^Archans et de mendiants, qni tenaient les preceptes et qai
6taient tons docteurs, en tout sept cents religieux examin^ent de
noQvean le tr^sor des lois. Das y^c^est ainsi'' — ,,pliis procbe** giebt
allerdings einen ganz Verkebrten Sinn.
Einige Worte iihar den Buddliifmos. 271 ^
*
del"" *)* Die Vaibhashikas* serfielen in vier HauptsweigOi und
zur Zeil des lelsten Concils, des lu Kaschmir, in achUehn
Unlerabtheilungen , deren Namen bekannl sind. Von diesen
finden sich nun mehrere unter denen wieder, die nacb dem
Geschichlsbuche von Ceylon schon in dem Zeitraum zwischen
der sweiien und driUen Synode enteianden sind, namentlich
die Schule Maha-samghika, oder die „der grofsen Ver-
sammlung/' welche als die aliesle unler alien, bezeiohnet wird,
und unmillelbar in Folge der Beschliisse des Concils zu V^i-
sail aufgelauchi sein soil *'). Nach derselben Quelle ist auch
die Suira-Secle (Sautrantika) in der namlicben Periode enU
staadenj*). Dies ist freilich' AUes, was sich nachweisen lafst.
Die beiden anderen SchuleUi welche im Kah-gyur aufge&ablt
werden, gehoren nach dem Zeugnisse der Tibelaner selbsl,
einer viel spaleren Zeil an.
Es ist demnach gewifs, daCs sehon vor dem Concile von
Pattalipuira und vtfr der grofsen Mission Spaliungen nnterden
Glaubigen iiber die AutoriUit der heiligen Schriflen, iiber Aua-
legung und Erklarung derselben ausgebrochen, und mannich-*
faUige, einander widersprechende Theorien iiber Auffassung
und Verslandnifs der Lehre sich eniwickeli haben. Da wir
nun zugleich wissen, dafs in der gedachlen Periode viele-
Brahmanischen Einsiedler das gelbe Kleid nahmen, sich unter
demselben in die Kloster einzuschleichen wufsten,* und mil
den Bhixu zuisammenlebend, Irrlehren unier diesen verbreite-
*) A. Ctoma Korosi ^Nodcei of the different tysteDis of Bnddbism**
im Joarn. of the As. lOO. of Bengal T. VIH. 142 ff. Zeitschrift fur
Knnde d. Morgenl. IV. 491. Barnouf 1. c. 447.
**) Mabayanso 1. c. Audi die Cbinesen kennen dieselbe unter dem Na-
men Mo ho aeng tscbi. Sie bildet die zweite Hauptabtbeilung
der Vaibbasbika. Nocb drei Unterabtbeilangen der letzten werden
in der bezeicbneten Stelle des Mabavanso erwSbnt
i*) Idi setae dabei Torans, 'dab das in der gedacbten Stelle des Maba-
▼anso genannte ^^Schisma der Sntias** niebts andres, ab die Kntste-
bung der Sautrantika bedeute.
272 Hittoilich-lingnifltisehe Wissensehallen.
ten^); so darfen wir wohl annefamen^ dafs diese Irriehren mil
jenen Spallungen im Zusammenhange siehen. Wie^grofs oder
gering aber auch diese Einfliisse angesehlagen werden mSgeii,
die nach der innersten Natur des Brahmaismus vorwiegend
pbilosophischer Art sein mufslen **)\ so viel scheinl ausge-
macbt : entweder bat sicb damais uberbaupi erst das specula-
tire Element des Buddbismus von dem moraKsch^ascetiscben,
mit dem es in den Sltesten Sutras noch innig verschmolzen
un'd dem es gewissermafsen unlergeordnet ist — losgetrennt
und sicb als ein besonderer, dritter Theii der Lehre aussu-
bilden begbnnenf); — oder wenn der Tripitaka wirkUchschon
friiber vorbanden war, und mitbin die Metapbysik (Abhidharma)
scbon als ein eigener Zweig der Offenbiarung anges^n wurde,
so ist docb ersi in dem zweiten Jabrbunderte nach B. die
pbilosophiscbe Ricbtung mebr in den Vordergruod getreien
und bat sicb in die Breite bin und sjstematiscb zu entwickein
angefangeii. Gerade der Umstand, dafs He beiden alteslen
Secteny deren Ursprung bis in jene Zeit zurbckdalirt werden
mufsy auf der untersten Stufe der Speculation steben, zeugt
dafiir, dafs es erst damais zum Conflict zwiscben dem blofsen
Autoritatsglauben und der speculattven Auffassung gekommen
sei. Ganz besonders gilt dies von den Sautrantikas. Dean
nacb der Definition eines Nepalesischen Commentars, die ety-
*) Mahavanso V. in TomoDrs Epitome |>. 42. Lassen U c 230.
**) Docb tragen sie aoch zor Schwachung der Disciplin bei, namentlich
warden die Fasten nicht mebr beobacbtet, was eben die unmittelbare
Veranlassong znr Bernfnng des dritten Concils wurde.
f ) Ans der scbon oben angefabrteii Stelle des MahaTanso oKer das erste
Concily wie aas Tielen andern, die man z, B. in G. Tornoar^a ,,Exa-
mination of tbe Pali Baddhistioal Annals" im 7. and 8» Bande des
Joam. of the As. society of Beng,, namentlich im S. Stiick aentreat
findet^ lie&e sicb sehr wobi die Behaoptnng aaCstellen and vertbei-
digen, der Buddbistische Canon babe anfangs nor aas zwei Tbeilen,
namlicb Dharma and Vinaya bestanden, und zwar so, dafs d«r er-
stere aafser den Satras nnr einige srilgemeinere Grandsatze 4ind Glaa-
bensformein entbielt.
Rinige WoH^ iiber dm B«ddhiMniiff. 273
iDologiscber und genauer ist, ak J0B^ im Kak*gyur, benennl
man mil diesen Nameii diejenige Sede, ,yWeldie die Sutras
und nicht die Biicher (Abhidharma) als AutoritSt anerkennt'^
Oienbar ist hiernaeh diese. Seeie in dem Zeitpuncle enlstaa-
den, in welchem man ahfing, philosophische Werke, welcbe
bisher nichi far iiis{Hrirt gegolten haiten, fiir Offenbarung, fiir
das Wort des Stifters auszugeben. Der betreffende Coiqm«B«-
tar liefert iiberdies positive Zeugnissey dab sogar Buddhistische
Gelehrie und BrklSrer der heil. Scfariften die Bucher, welcbe
den Titel Abhidharma fbbren, nicbt fiir unmittelbares Wort
des Buddha gehalten haben*^). Endlich — und das ist die
Hauptsache — der Inball jener BScher beweist, dafs sie von
den Sutras abhangig, imis diesen ausammepgetragen, folglicb
aocb spSter ais diese entworfen worden sind. Denn dieThe*
sen Yon denen sie ansgehen, die Grundgedankea, welcbe sie
enlwickeln, haben sie wdrilicb aus denselben enilehnti und sie
selbst sind in Wahrheit nichts Andres,, als weitlauUige, syste-
matisebe Ausfiihrungen, dialectiscbe und speculative Begriin*
diuigen von Dogmen, metaphysischen Satzen und Prineipienv
die sich in den Sutras zerstreut linden **).
*) Bornoof 41. „Le livre qui renf^Smie la m^tapbyiiqae n^n pat M
expofl^ par le Buddha"*, beilM ea in jenem Commentar. An eiaer aa*
deren .8taUe aagt der Commentator (p. 447): „Tel eat le aentiment
de ceux qui aoWent TAbhidbarma; maia ce n'est pas celni de nbaa
aotrea S4otr4ntikas. La tradition nona apprend en eifet Texistence
d*aateon de traitea aor TAbbidbarma, comme par esempiey TAfya
Katjayani, lo' Slbavira Vaaomitra etc. Qael eat le aena do mot S4a-
triotikaa? On appelle ainai ceax qvi prennent poor antorite leaSft-
traa et non lea Uvrea* Maia a*ite ne prennent pas pour autorit^ lea
liTreS) comment doacadmetteot-ila la triple division des iivres en
Sotra pitaJsa, Vinaya pitaka at Abbidharma pitaka? On parte en effet
de l*Abliidbarma pitaka dana lea S&traa, k Tendroit ou il est question
d'un Religienx conaaissant le trois pitakas etc. Pour repondre b
cette abjection I'aotenr dit: C'est qoe PAbhidbarma a 6t6 ex-
poa^ par Bhagavat an milieu d'antres mati^res.
♦*)• tbid, 454 ff.
274 Hittoritch-Ungiibtische WiMensehaften.
Und was folgi ans diesem Allen?
Dafs bei der dritlen Redaction der heiligen Biicher zu
Pattali{>utra sieh die Thatigkeit der versamnielten Valer -vor-
ziigHch der Abtheilung Abhidharma zugewandt, und eniweder
diese iiberhaupt erst geschaffen oder doch darch Auhahme
neuer Stiicke in den Canon wesentUcb vemciehrt und erwei-
iert haben mufs.
Wir dorfen defshalb jedoch nichi annebmen, dafs jene so
zaMreichen, und zum Theil massenhaften Werke, welche bei
den nordlichen Buddhisten, namenilich in Tibet zu derselben
gehoren, sfimmtlich schon aus dieser Redaction hervorgegan-
gen, und dafs andrerseits die Buddhistische Speculation sich
schon damals zu jener scbwindelnden H5he erhoben babe,
auf der wir sie z. B. in der Pradscbna paramila erbKcken.
DasErstere ergiebt sich schon daraus, dafs im Singbaiesischen
Canon der Abidharma pitaka an Umfang der geringste unier
alien, und von der entsprechenden Abtheilung des Kah-gyur
unendiich an Starke iiberlroffen wird*)« Andrerseits fehtt in
demselben die Pradscbna paramita, die ja allein schon, selbst
in der gedrangteslen Ausgabe eben so viel, )a wohl mehr
Raum einnehmen wiirde, als der ganze metapbysische ,,Behal-
ter der Singhalesen/' Auch das in ihr entwickelle und auf
sie gesliitzte System der transcendenten Erkenntniis, der ,>gros-
sen Ueberfabrt*' und was damit zusammenbangt schdnt auf
Ceylon unbekannt zu sein^*), ist jedenfalls, — wenn es an-
*) Er besteht aas 7 sehr sehwacben Banden^ die-zaBammen nur 613
BIStter zahlen; aof die Seite kommen & — 10 Linien. Ich fcann die
Seitenzahl der 21 Yol. Sher-cbin imKah-gynr augenblicklfch nicbt
angeben, docb sind sie, so Yiel icb mich entsinne, sammClicb starker,
als jene. Vergl. Journ. -of the As. soc. of Bengal. VTT. 527.
*'*') Ich wenigstens finde in den mir zn Gebote stebenden Anseiigen und
Uebersetzongen beiliger B'dcher keine Spar davon. Der bei den Sin-
' ghalesen, wie bei den nordlicbeh Baddhisten, gebrancbliche Titel
„k1eine, mittlere und grofse Sammlnng'* fiir Abtheilungen
der Sutras, oder drei der sogenannten Agamas, bat nicbt denselben
Sinn, wie die Dnterscbeidung der ^ersten, inittleren und letz-
Binige Worte iiber den BoHdhisiinis, 275
ders hier vorkommen sollle — wieder eaiwickelt, als im Nor<^
den. Wenn ferner die obige Annahme richtig isl, dafs die
aosfuhrlicheu Sutras erst in Kaschmir enlstanden sind^ so
wiirde schon daraus folgen, dafs die Pradschna paramita nocb
nicht auf dem dritien Concil zu Pattaliputra aufgezeicbnet
Oder in dem Canon aufgenommen sei. Denn die Verwandt-^
schaft derselben mil jenen in Inhalt und Vorstellungsweise,
wie in Styl und Sprache ist, wie gesagt der Art, dafs sie,
als systematisches Werk wohl spater, aber nicbt friiber, wi^
jene verfafst sein kann, beide iibrigens uiuthmaislicb dernam-
licben Redaction angehoren*). Alle diese Annabmen undVer«>
molhungen und Folgerungen erbalten endlieb in letalev instans
ihre Bestatigung dadurch^ dafs nach der scbon erwahnlen
Sielle in der EinleituAg zum Kab*gyur die strong philo*
sophiscbe Secte^ die nocb jelzt in den boberen Scbulen von
Tibet berrscbt und sicb ganz auf die Pradscbna paramita
stiitzt, erst 400 Jahre n. B. von den beriibiiiten Pbilosopben
und Kircbenvater Nagardguna von Kascbmir gesliftet sein
soil ♦♦).
Der gegenwartige Stand der Frage iiber dieConcile und
das Alter der beiligen Bilcber ist zum Scblusse kurz folgen-
der. Es ist wabrscbeinlicb, dafs die Singbalesen
und die von ibnen abbangigen Siamesen, Birmanen
in ibrem Tripitaka wirklicb die Redaction vonPat-
tea Wprte," die nur imNorden Yorkomnit. Aucb die beiden schon
oben besprocbenen Bodbisatwas, die za dem Mabayana in so naber
Beziebnng steben, Mandscbasri und Avalokiteayara, scbeinen auf
Cejlon nicht einmal dem Namen nach bekannt zu sein.
*) Burnoof 438: II eziste^ qnant k la redaction et au style, une analo-
gie incontestable entre les Sfttras V4ipalyas et les livres de la Pr&djna
p4ramit4. Le cadre des diverses redactions de la Pr&djna eU ex-
actement ceini de tel des Sutras d^velopp^s qu'on youdra choisiretc.
) Namllcb die Scbule Madbyamika. Die Singbalesen setzen den
Nagardgana Toljends erst 500 Jahre nach Baddba, welche Angabe
Lassen fiir die richtige halt. Ind. Alterthumskunde 5S» 460* Csoma
Korosi 1. c.
*•
^^ Hittoriflch-lingniatisclie WUsenschaft^n.
talipuira, die ndrdlichen Buddhisten dagegen die
von Kaachmir besitzen*), mit der EinschriEnkong jedoeh,
dafsdie letzleren aucb noch spater Manches, s. B. die Tmi*
H'as in ihrem Canoji aufgenommen, und dais die Cbinesen
aflem Anscheine nach beide Redactionen gekannl baben **)•
Gewifsbeit hieriiber ist erst von kiinftigen Untersuchungen %u
erwarten, namentlicb, wie gesagt, voil einer votislandig dorcb-
eufiifarenden Vergleichung der heiUgen Schriflen von Ceylon
mil denen von Nepal f)»
Es ist klar, dab auch fiber die gesammie innre Eniwick-*
hing und stufenweise Ausbildung der Dogmalik und Mytho-
logie in dieser erslen Periode, mebr oder weniger auch des
CuUus, nur aus jener Vergleicbung und iibnlichen kriliscben
Forschungen sicbere und mannigfallige Aufschlusae gewonnen
werden konnen. Ich wende mich deCshalb von den Concilen
sogleich zur Gescfaicbte der Ausbreilung des Glaubens,
der Bekehrungen, der Missionen.
Von den ersten beiden Jahrhunderten des Buddhismus
ist in dieser Beziebung wenig' zu sagen. Zwar lesen wir in
^) Diese Ansicht hat — so yiel ich weiss — zuerst Jaquet aosgespro-
chen. Journ As. III. Serie T. IV. p. 153^ 170. Sein Versprecbenf
dieselbe ansfuhrlich zu begninden, wurde dnrcb seinen kiirz daranf
erfolgten Tod yerhindert Er 88gt unter Andren: II suitt, pear
aatoriser la premiere partie de cette conjecture, d^observer que lea
Chinois reconnaistent expressement que la redaction des ecritures
bouddhiques re^ue k Ceylon est cette de rintronis^tion, c*est
a dire la redaction compilee k Pataliputra sous le r^ne de Dhar-
masoka,
**) K. Jaquet 168.
f ) Das Endresultat der Untentichangen Burnonfs iiber die lelzteren bin-
siehts ihres Alters ist^ dies (597) :^ Je crois que la yerit^ se tronrera
dans Tadoption simaltan^e de ces deux bipoth^ses, savoir que nous
poss^dons h, la fois et d^anciens livres emanes soit de la premiere,
soit de la seconde redaction ^ niais modific^es pour la revision des
Religieux contemporains de Kaniefaka et des litres toot & fiiit nou>
reanx introduits par Teutorit^ souveraine de ce dernier ediNsile ou
m^nie de queique sage influent, comme N&gdrdjuna. '
Binlg« Worte uber den Buddliismus. 277
den Sulras und Legenden vou hSufigen Bekeluungen, Wi«
der Buddha und seine Schiiler einzelne Konige, Hunderte, j«
Tausende von Brahmaneii, Kriegern, Kaufieulen, Handwer*
kern u s. w«, fiir das geistliche Leben gewinnen; wir lesra
von mehr ak einer Million Priester, die sicb sum zweiten Con-
eile versammelt haben sollen: indeasen dergleichen Angaben
wtrd niemand hislorischen VVerlh beilegen* Ausgemachl asi
alleio, daCs die neue Lehrei die suvorderst nur fiir eine be-
sondere Species der Ascese neben vielen anderen gali, sich
von Anfang an zwar nicht gans ohne Widerstandi jedoch
ohne eigentlichen Conflict , obne blutige Verfolgung still und
gerauschlosy aber verhaltnifsoiarsig schnell und in sichereoi
Forischritte ausgebreitei bal; doch scheini sie innerhalb des
angegebenen Zeitraumes nur ihre nachsie Heimath, namlich
Bebar und Aude, aber noch nicht die Grenzen Hindostans
uberschritten zu haben *),
Unterdess trat ein Ereigniss ein, dafs fur die Bildungsge-
schichte der Inder keinesweges so spurlos voriibergegangen
ist , als man oft gemeint hat — der Eroberungszug Alexan-
ders **)• Ich behaupte nun zwar nicht, dafs die Einnahme des
Penjab, die Griindung- griechischer Stadle in demselben, das
Entslehen griechischer Keiche an den Grenzen Indiens unmit-
telbar dazu beigelragen babe, den freieren Ideen desBuddhis-
mus in Hindostan selbst mehr Eingang zu verschaffen und den
Sieg zu erringen, den er zwei Menschenalter nach Alexander
iiber das Brahmanenlhum feierte; aber es ist historisch aus-
gemacht, dafs der eroffnete Verkehr mit dem Wesien, mit der
•*
*) Nar ein eiiiziges Zeognils -^ to weit meine KenntniOi reicbt — laliBt
sich hiergegen anfuhreo. Der Cbinese Ma-tuan-liA namlich be-
richtet, daOi schon im Jahre 292 t. Chr« ein BuddbittiBcher Thnrm
in dem Lande :der kleinen Joetschi gefanden sein soil. A. R^-
mosat N. Melanges As, 124. Neomann >,Pilgerfabrten Buddhiaiiscber
Priester in der Zeitschrift far histor. TheoIogie,.Bd. HI. 122.
) Einzelne geistreicbe Andeutnngen uber dies Thema in einem nach-
gelassenen Atifsatze E. Jaqaets iiber die indo-scythischen Monzen
im Joorn. As. Ille S^rie T. IX. 64 ff.
278 Historisch-linguietische WiBsenscbaften.
griechisch-macedonischen Welt, vor allem mit Alexandria, zih
ersi den Blick der Inder iiber ihr Land und ihre Nationalitat
hinaus erweiteri und so in ihnen zuerst die Ahnung der all-
gemeinen Menschheit und Menschlichkeit erweckt hat. Dafs
diese Erweiterung des Horizonts dem nichi einmal nationalen,
8ondern nur kastenmafsigen Brahmaismus nieht zu gute kom*-
men konnle, verstehl sich von selbst; wohl aber mnlste der
Buddhismus bald dutch sie angezogen werden, in dessen in-
nersten Wesen es schon an sich lag, die Scbranke des bios
Volksthiimlichen zu durchbrechen, und in so fern hat aller*
dings der Eroberungszug Alexanders und die Verhaltnisse,
welche^sich aus demselben entwickelten, den Buddhisti-
schen Missionen den Weg in die westlichenLander
gebahnt. Ohne den Macedonier wiirde die Idee der Mission
zu barbarischen, nicht-indischen Vdlkern wahrseheinlich erst
Jahrhunderte spater aufgetaucht sein.
•
(ForUeCzong folgt.)
Ueber die Bedeutung der alMavisehen Gotsen*
bilder, welche Wladimir in Kiew aufstellte. ♦j
Die Mylhologie der russiscben Slaven theill sich nach ihmt
Quellen in twei von einander votlig verschiedene ^^jirra,
die GoUheiUn des Volksglaubens und die Gdtzen der histari*>
schen Zeit: die einen erhiellen wir auf dernWeg^ miindlicher
Ueberlieferung in Mahrchen und Liedern ; die anderen wurden
in Chroniken und anderen sehriftlichen Denkmalem aufbewahri.
Die Namen der bei Netior erwahnien G5l£en leben nicht im
Munde desVolkes, wogegen Schtschura, Jaryla, die Ru*
«alka's und der Ljeschnji (Waldgeisl) den alien Urkunden
fremd sind, obgieich schon die Laute dieser Namen fur
ihven einbeimischen Urspruog zeugen, wahrend Perkun,
Chorg und Semagla keinen tlavischen Laut haben und an*
deren Volkern erborgte Namen sind. Zwar findet man unter
den auslandischen fieneimungeii von Gotzen auch daige rns-
sische, wie Dajbog, Rod, Rojeniza u. dergl.; doch leben
auch sie nicht im Volke und sind seinen Ueberlieferungen vol-
lig fremd. VVenn also ein Theil dieser Gotzen wirklicb volks-
thiimlich werden -konnte, so geschah es nur insoweit, als
sie, ihren auslandischen Character verleugnend, der Bedeu-
tung alterer einheimischer Gottheiten sich anbequemten.
*) Nach titnein Artikel der Zeiteehrift Motfkwitjanin bearbeilet
Brmans Rubs. Archiv. Bd. XI. H. 9. 19
250 Allgeniein Literarisches.
Bevor ich zu einer genauen Unlersuehiing iiber Namen
und Character derjenigen Gotzen, die Wladimir (der soge-
nannte Grofse) in Kiew erricKtet, rnich wende, sei esmir ge-
staltet, einen fluchligen Blick auf Stellen russischer Chroniken
zu werfen, an welehen derselben gedacht wird.
Unter den vier Stellen der Chronik Nettors, die von heid-
nischen Gottheiten der alten Russen handein, ist diejenige die
wichtigste, wo der G5tzen Erwahnung geschieht, die Wladi-
fDlftniU^v ^afg^nciilclL > DaMiksl vvird Mr ?«rnehinsleGott
Parvn v«on den iibrigen Gotzen durrh Beschreibung seines
Standbildes unterschieden ; auf ihn folgen: Chor«, Dajbog,
fi^tribog, 5emargla und Mokoschj (Mokoscha), von
denen die beiden letzten, wegen ihrer Endung und weil sie
siileUt genailol sikid, als weibJicheGoUhcibeii sichkun^ geb^i.
Omdhft Rdlitofolge in der AufsShlang gedachter Gdtter finden
wir, mit «iehir uawe6eD(lidb«n Abweicbungen, in spiiteren Chror
niken und bei dem deotschen Schriftsteller Herbersiein, aus
welobem sie dann zu paintschen Hisiorikem iiberging; spiiter
komsDi sie mil eimgeii Veranderuogen wteder nach Russland,
wie ' Miir in *dier Folge seken werden. fai dcoeD Werken,
wekihe..ubec <iie veiigiosen Meinongen der Siaven im Ganzen
beiichUn^ fefall die Beschreibung dcs Perun., der aber darum
nkht wsnigeraueorst genannl wird* Von den andema Gottf ^
hcitea findefc man luwinlen diejeingen iibergangen, wekhedie
Vitrfasaer fiir minder, wichtig hielten^ In der Periade des
Bioflussss. polhischcr Chrdnisten auf die russisehen Schcift*
staUer fiitdsn wir ibei.diesen. eme ganz andere Reibe bcidtti*
scher. Goitbr. Perun wird an die Spilze g^slellty seiner Be^
sobreibuflg aber haazngefogt, dass man ibn auf hohen Bergen
angebetet und ihtn zu Ehren Scheiterbaufen angeziindei. habe,
d^ren Ausloschung bei Lebefisslrafe verbotcn gewesen sei.
Die zweitc G6llheit ist Wolo*, die drille, Poswis4, die
vierte, Lado, die fiiofte, Kupalo, die sechste, Koljada.
Dass dieser Gotterreigen unmiltelbar dem Auslande erborgt
ist, beweiset klar in der Gustin'schen Chronik der Name des
Peruix sdher, der .^n dieser Stelle Perkon^is heiftst, wafarend
Bedeotungr aitelaviBober Gotaeiibilder. 281
wir einige Seitcn- voriler in derseiben Cbronik den ungefalsch*
feti Text des Ne#lor tiber die Aufslallung der Gl^Uenbilder
defi Wladimir vorfinden.
Ein Gcrlt Woto« wird bei NeHor unter den GolEenbildern
des WladkDir nicht erwabnt; aber ^us dem Vertrage des
^vjatotflaw ersieht man, dass er unter den jtlavischen GoU«
hdlen einen wtehtigen Kang l)«kleidete und beinahe deiii Pe*
run gieich war; darmn niiumt ler aueh bei polnisohen Schrift-
slellern und ihren russischeft Nackfolgern die erste Sieile
hinter Perun ein. In der Sage voni hcil. Grigorji findcn wir
den ralhselbaften Namen W 11 a (Singular unS mannlichen Ge-
schlechtes) mit Chor^ und Mokoschj ' zusaminen erwabnt
Diesen bake icb kier (iir Wolof , weil Wlla im oDgedruckten
Tbeil dieser Sage fdr d^n pbonicische'n Baal erklirt %vird. ^)
Die Wiia's der A^erben sind in mssisdieir Ueberliefi^rcmgeil
nirgends su finden; daber kann ui«'m fiiglich vomussetBen) dast
der Verfasser der Sage von einem g>ewis6en ChrisloljubeB^
unier dem Einflusse siidwesUicher Schrifisleller den Nalnefa
Wil falsch verstanden, wehn er ibm weiblicbe Form^Wiln)
gab) uiid erklarend hinzufiigle: es seien dreissig Sehweslcnl
die also biefsen. Dies ist geradezu ein Wiederhall ^erbiseher
Tradition, deVen Gelprage sicb bei jenem Erzahler in tSeiner
Sehreibung des Nameas Perun^ den erPeren bena^st, etv
halten hai. Es ist bemerkenswerlb, dass Wolo«, iiberall wo
seifier MeUung geschiehl, nBe Erkiarung: „ein GoU desViehs^
(skotji bog) zurSeite bat, wahrend der Beruf jedes andeiren
Goites nirgends in ODseren Cbroniken angedeutet wird. Einen
ganz n^^reil Sinn kal (in der Sage void Kriegszuge des Igor)
Weie^, Gro^svater desBajan, uikI erinnerl uns unwiUkobr^
lidb an den aqtii|[C}ischen Apolie — ^ Belis oder Betes, ob*
gieich auf dep anderen Seiie :der Nome des 6djan(Bujaii?)
ffeiber, seiner phileiogischen Bedeuiong nach; ohne ZweifeS(?)
»»■« •■ <» ' • - •< ' •
*j Dfe Stelle laiitet „^y^ idol, narizajeniy Wll, jego je po-
^ gubi Danjil Prorok w Wawilonje, d. h. es war ein Gotzenbild
genannt Wil, das der iPrdpliet Daniet in i^abylon Terniehtete.
19*
252 Allgemein Literarisches.
z«r giemcinsomen Wiirzel des Namens Baal, Bel und Wo-
lot gehorty welcher bei den Weissrussen Bog an heissi. Ich
will hier erinnern, dass es zu Nowgorod (den Chroniken za-
folge) Sirafsen des Wolos und des Bojan gab.
Wolos ist tn.unserer Mythologie der eirizige Name, wel-
cher die volksthumliche Ueberlieferung mil den Thatsachen
unseres heidnischen Cullus, wie die Geschichte sie wieder-
giebty verkniipft; und dieser Uinsland zeugt gewiss fur den
slavischen Ursprung dieser GoUhert.
1.
Chora oder Korscha.
Die Abkunft dieses Go ties von dem Chursebid oder
Korschid der Perser^) unlerliegt c^ymologisch kbinemZwei-
fel mehr; daraas kann man- aber noch nieht folgern, dass
Chors in der slavischen Mythe mil seinem dstlicben UrbiUie
yollkommen gleichen Character gehabt; und urn so weniger,
da bei der Theilung unserer Mylhologie in zwei ganz ver-
schiedne Gebiete — allgemeine Kosmogonie und hausliche
Damonologie -> Chors in dem letzteren eine andere, neue,
ausschiiefsend heimische Bedeulung erhalten mussle.
So scheint es denn rathlich, dass wir in Chors den,dop-
pelten Character eines von aussen zu uns gekommenen Son-
nengottes ^ und einer heimischen Gottheit unseres hauslichen
Seins ins^Auge fassen. Diese meine Ansicht wird sum Theile
dadurch bestatigt, dass von den Wortern, die mil Kors glei-
chen Ursprungs, einige, in ganzlicher Umformung zu uns ge-
langtOy den geheimen Faden fur uns verloren haben, der ihre
Bedeutung mit dem Begriff der Sonne verkniipfte; wShrend
umgekehrt andere, auf unserem heimischen Boden gebildete,
uns die deutlicheq Spuren ihrer Abkunft von Chors, in der
Bedeutung 9 die'ihm der heidnische Russe gab, aufbewahren.
Tatischtschew sieht in Chors den slavischen Bachus;
Leclerc und Popow erklaren ihn fiir einen Aesculap; Tschul-
*) So beisst namlich im Persischen die Sonne.
Bedetitung alUlavisclier Gotzenbilcler. 2B3
kow nennt ihn emen Goit der Krankheiten und Zufiille; en4-
lich Sredowski iibersetzi den mahrischen Chrworsch
(Ghrwoz) mil Typbon; und nacb ihin erklaren ihn deutsche'
Gelehrte fiir dirGottheit der Siiiroie und zeratorenden Winde«.
Hit starkerem Grunde stellen ihm neuere deulsche Schrift-^
siellerden preuasisch-IiUauischen Kurch6 und den sachsisch^
tflavischen Krodo, die wirklich gleiche Abkunfl und gleichen
Character haben, an die Seite.
Kroda, Cbrado, Rado, Krololf, oder SajLor (5i-
tiwral) wird von Grimm fiir den germanischen Saturn ge-
halten, welchem der siebenteTag der sachsischen Woche ge-
widmet war. Er tragt in alien seinen AUributen die deutlichen
Merkmale seiner ostlichen Abkunft von den Gottern der Sonne
und des Lichtes uberhaupl. Die alaviscben Mythographen
haben.ihn su einer Goltbeit des Ertrages derFelder gemaeht,
da er doch gegeniheils in Bdhmen unter dem Namen H la-
dole t als Gotl des Hungers und Miswachses erscheint. Diese
Bedeutung hatle sum Theil auch der Kronos des alien Grie-
chenlands; daher es sehr nalurlich isl, dass Hladolel in der
bohaiischen Sprache zur Benennung des Planeten Saturn
wurde. Die Gleichheit des Hladolel mit Krodo ist aber iim
so weniger zu bezweifeln, als ei auch bei den BdhmenKrda
(Krla, Kir la) heisst Ist er aber ein Saturn in dessen feind*
seliger Bedeutung, so hat er ohne Zvireifel, wie Kurcho, den
Begriff des Winters und der Wintersonne personiGcirt
Hierher gehort noch der scandinavische Windgott Kari,
Vater der Kalte, des Scfanees und Eises, ferner der sud«la-
vische Koratschun oder Kratschun, bei deii Kumunen
Krulschun, und bei den Ungarn Karatson, welcher am
Tage vor dem Weihnachlsfeste gefeiert wurde; *) und dessen
ehemaliges Vorhandensein in Russland augenscheinlich ist) da
man aus. Mahrchen einen Stein des Korotschun kennt;
und in Chroniken die Weinacbtsfasten zuweilen Korotschun
genannt wird. Endlich hat man unter dem russischen Voike
*) Nocli j«tzt beisst im Ung^rischen das MF«inacb4afesi Karatson.
2g4 AUgemein Lkevaritchesi
T>#cb eiii Spfiiihworl : ,^tn Kdratochan gd»en/' d. i. schlagen
ubd ersoMfilg^n. Die tnll der jahrlichen Begehung seiner Feier
bei'den kiirntimelitn iSiaven verbiindenen heidnisehen Ge-
brittshe eeigen ihi9 deoiiich^ diiss er wdlMid SomiengoU ge-
vs^sen, aber itn haosiicben Gdlzendieinste eutn Beschikaer des
Viehes und' del* Haosthierey oder vielmehr sum Geite des
Viehst^rbtns herabgesunken^ der Gebel und Opfer veriangei>
soli, um Seucben abzuwenden. Atif diesen damonischen Cha-
rabCer des Golsen^ deulet soM^ol die Zeit seiner Feier, ds sein
Synonjm bei Serben und Tschernogorzeii — * Bjetiai oder
Bjedowy. *)
Aof den Grtmd aller dieser Mulbtndbitngen und Z«saiD->
mensl^llungen konnen vvir dreist den Schinss bauen, dass de#
wohlthaiige E^nfluss des Cbors; ab SennengOttes^ in unse*-
read heidnischen Glaiiben durch^us keinen Cingang gefunden,
als WO er nur in der verderbUeben Einseiiigkeit der Winter-
Sonne oder auch wol des WintergoUes sich kond giebt; daher
auch seine Feier itn gansen Norden auf den Tag der Winler-
wende fallt. Indem Chors solchergeslalt die Kalle und die
todte Rube symboKsirte^ kam er naturgemUfis unler die bosen
Geistor des Verdefbens und Todes. Ueberhaupt sind in den
mythisciieii Voreiellangen der Volker die B^riffe des ttBgiin-
sligen WeUeh*s and der Seuchen von ^irlander nichi geschieden.
2.
Oajtog.
Obschon der Name dieser GoUheil rein ^laYiseh tst, findet
er ilich doch weder in den vaierl^ndischen UeberKeferungen
unsete^ Volkes^ noch in den heidnischen Meinungen der i^^
gen »la¥i8chen St&mme. Auf die Bedeuiung gestiitflt, haben
Popow, Kaisarow und Leelerc den Dajbog mm russisohen
Phitus gemacht, einem Gotte der inl Erdenschofs verborgenea
Schatze, und erst seit Enldeckung der Ipatiewsehen Chrdaik
ist utis sein wahrer Beruf klar geworden. Hier steht an einer,
*) Ru8s. bjeda mis^ia.
BedeiiiuBg.attclavnckief >GpUQ*bilder. 266
m^or bulgorisohen.:Gbrono(g[rapi)eli in seiner Ueberaetanng!
des byzantinischen SchriftsteUers MdaJa enllebn(en SteUe dca^
Niime Dj)/bog als (Jebers^Uung oder Erkliirung d«s griechi-
schen HeiioB od^r lateinischeo Sol DiesetText: gi«bt dea»
ProfessoY BodJMMkji VeraolassuDg, Oi^'bog fiir Ueberael&iHig
di^6 auslilndiscben Namens Chors %u erUihreD, um so mtebn
da in einigen Chroniken O^og iMittiilUlbar hinterCh^a g^H
nannl wird. Aber noch abgeseheu davon, dass dieaa Nainen
an vielen Stellen aucb gel^ennt stehen ; so ist die Annaherung
beider in der Aufsahlung das Werk Ne«tor*s, aus welchem
alle iibrigen russischen Chroniker (wie wir oben gesagt) die
N«a»eA dfir GiUzeribilder von^ Kiew uii( Beibebaliung d^rsel-
beli^ Ordauog ausgcocKrioben.
Eifie wiqbtig^ Nachi icbt ub^rDajbog jief^pi iu»a.dii»Sdgt
v^>m Kri^|g99uge des Igor in der S^elie: ,^es geiU unl^rda^
Leben ides Enkels (wnaJLa) Oa/bog'a'', wo die SoiM>e alfl
Gro&valer .de8 riisaischeu Volke^ sick kund. gid>l. liiriQ abn«
liche Vorslellung von der Sonne findei aieh aiich euweikii 19
unaeren Volkaliedernj suiu Beigpiel:
Grofevileriein (djedttsehka) Sorih;,-
Blick aus. dMeni Feiuterlain (
VeluA KM«r vrei^fi»
Sie flehen uui Traok nod .S|>eUe.
Aua der angefiihrliaii Slelle. unserer alien Sage folgeri
^olowjeWy dasfy iveno die £laven ilir Bnkel dea Dajbog gait
ien, die nx apsereu Liadern vorkoimnenden Namen Djeda,
Dida^ Lardy, Leli, Ujuli u. s. w. nichts anderes seia miisr
MSI, als verachiedne Nainen der Sonne. Wir kdnnen nail die<^
ser Folgerung nicht gans einverstai^deii sein.; eher glaubeh
wjft daas der hmdnisdbe ^ave aiite^HaupUpharen seines Volkst
lebens, zwei Hauplgegeo&ianik seinar Liebe and Verebnmg *^
Natur und Paoiitte ausammenparte. Auf diese Weise iiberr
Irug er die Verg5Uerung des abstracten Begriffes einea Valets
und einer Muller (Djed und Baba, Rod und Rojaniza)
auf die Hiinuielskorper, wie er andererseiis die Namen der
Himnielskorpcr aiif die Familie iibertrug: ,,der Mond — so
286 AUgomeiM Utenirischef.
htiiBt es ID einem Volksliede — ist unser Hausvater, die Sonne
isi sein Weib, ond.die Sterne mnd ihre Kindlein".
(Jnd sofiach M man weii entferni gewesen, Dajbog fur
eintn wirklichen Grofsvater der Nation zu halten; sein Bei-.
name djeduschka war, nach unserer Meinung, nur aliego*
ritcher Ausdruck des tiefgefilhllen Bewulstseina der Wobllha-
ten der Sonne, als eines Leben und Fruclitbarkeit spondenden
Gestimes.
3.
A>tribo^.
Unter den Gdtten des Teiufpels von Kiew wird Aribog
liaufiger als die iibrigen in den alten Vereeichnissen der #la-
vischen Gottheiten auageiassen; daher man voraussetzen kann,
dass or unter denselben eine sehr unmerkliche Stelle* eiivge*
nommen; was iibrigens darin seine Erklarung Gndei, dass
Chora, ebenfalls Personifieation des Windes, leicht mit Siribog
zusammenfliefsen konnte.
Das kiare Zeugnifs von der Bedeutung iSlribog^s, als Got-
tes der Winde, in der Igor-S^go, hat unsere Mythographen
des vorigen Jahrhunderts ausser Stand gesetat, ihm irgend
einen anderen Character willkiirlich beizulegen; doch ist die
Ableitung seines Namens ein noch ungelostes Problem. Einige
\irollen ihn von derWurzel at rem (heftig treiben,* fortreissen,
nach etwas streben) ableiten, mit der unter anderem das
adverbium compositum atremglaw kopfiiber, jahliags (worl*'
lich Treibekopf) zusammengesetzt ist; andere werfen das s
ab, und erhalten so einen Tribog (Dreigott), entsprecheiid
dem pommerschen Triglaw (Dreihaupt, dreikopfiger Gott),*^)
und dem mahrisch-tcbechischen Tribek, Trscfaibek, auch
5trschibek und iStrigon, dem Gotte derSeuchen, welcher
in der That wabrscheinlich mit unserem Aribog idontisch ist,
und zwar nicht bios wegen des Einklanges der Namen, son-p
") Verewigt in dem Namen dea preussiscben LandtagsfreAners t. Thad-'
den-Triglaff. Anm. d. Ueben.
Bedentoair aMftfiMbeff GotHMbllder. 287
dern aadi darnn, well in der •iBvischen KosmogoDie die Be-
griffe der anaieckenden Seuche und des Windea fasl unzer*
trennlich verbunden sind, was aus der Bedeuiung des russi*
schen Wortes powj^trie klar-hervorgeht *) Kaslorski eriSiich
ieilet den Naaoen Stribog von einetn mMhrisehen Worle siri
Luft; diese Erklafung hatie freilich das meisie fiir sichy wa-
ren nichi leider alle unsere Beniufaungen» das Worl in irgend
einem slavischen Dialecte au&uiuiden, bis jeUi ohnt Erfolg
geblieben.
Wenn wir nan mil Recht vorausset&en, dass Chors im
heidnischen Russland auch die Bedeuiung des Windes gehabft,
so enUieht hier die Frage: was fiir ein Untersehied inochte
zwischen ihm und 5tribog obwalten? Diese Frage findet ihre
befriedigende Antwort in der betreffenden Slelle der Sage von
Igor: y,die Winde, Sliribog^s Enkei, sUirmeD vom Meere her
(raseh) wie Pfeile gegen die tapfern Heerhaufen Igor's**. Hier
ist die sudoslliche Richtung des Windes vom Schwarzen
Meere angedeutel, als Gegensatz zu der westlichen Rich-
tUBg des Unbeil briogenden Chors; und wenn gleich aus die-
sen Worten schwer zu entscheiden ist, ob die nEnkel 5tri^
b0gV* zum Heile wehen» so kann man docb aus der Eigen*
schafi des siidlichen Windes und der Bedeuiung des Siidens
und Oislena in der Mythologie yoraussetzen, dass 5tribog fiir
eine woUthatige Gottbeit gehalten ward.
Ausaer <8tribog und Chors erscheint unt^r den slavisc^en
Goilheiten noch ein driller WindgoU PoswisQ oder Poch-
wi«t^ weidber vorzugsweise den polnischen Ueberlieferungen
angehorty imd aus diesen auch in spMtere schriftliche Denk-
maler. der Russen iibergjng; daher man ihn nichl ohneWahr-
*} Kft bedeutet Seoche, bachstSbltcb Anwindang, Anwehong.
Daneben hat man pdwjeter nnr in der Bedeotang gunstiger
Wind. Im polnischen ist powietrsze Luft und Pest zugleich.
Der polnische Schriftsteller Woycicki sagt, die Pest werde in Volks-
mahrehen als eine weisse Jangfran Jiiit Namen Powietrsze darge-
steUt Aiini. d» Uebers. '
288 Allgemein LitocftriwheK.
scbeinlichketl fur die nabenal-^obiisehe B^neoHHiiig 4cs Ch^ra
eder iStriba halt Der serbische Aotor DaitiiairaMritscb .erklirt
den Po9wisd sehr befriedigend alar GpU des Westwindei , als
VerEiinder der Somm«rfroaden: und OeiiutKJiiora*^, dtr G4^U
till des Sommers. Es verdwnl noch BecnerioHig, duss der
jiingere Sohti Wladimir's des Groiaen; welcbam' Woiyoien
als Erblheil zufiel, den Chroniken aofolge, Poswiad gtfaei(seii>
'Dieses FaHuiti beweisl no€h; dias dieser Bektaase dea Ghora
damals in Russiand existirte, und erklart zum Theii) warum
<er in W<»lynito itnd Pokn seinen ursprunglichen NauMQ voll-
komosen verdrangt baU
Simargla od^ Sima uod Kegla.
Einer der riStk^lbaftesleH Goisen der ataTisehen Mvtbo*
logie, von welchem eben nichU als der Nam^ au- ana gekom*
men und zwar in den ver^chiedenen Formen: Simargla,
<9eniargla, <Smargla, <Shniaergla (bei Herbersiein), Si-
manrgia, und endlich iSma und Kgia (oder Sima ^ind
Regia). Polnische und deuiscbeGelebrtebaben, acD fiir diese
Goitheit irgend ein alaviachea Etymon au finden, ihrtii Naoseii
noch mehr verdorben, und are in eine ge^^aeStmaerla ver*
wandelt, eineGoUin des Fruhiinga/) welche sicb miiderZeit
in seltsamer Weise von ^S^imargta geaondert, und nooh jeM
bei deutschen MLythologen fiit* eine besondere GSttin voll An-
muth und. Grazie gilt. **> -
Einige Gelehrte sehen 4n ;Shnargla eine der inaiMtigfaehan
Formen von Mora, Mara oder Marena, einer aligemeia-
alavisehen Gdltin des Schiafes und Todes, des Winters and
*) A118 den Worten sima ^Wiater) and «terla (sie hat abgewiscbt,
afisgerieben); also etwa far simn steria (hiemem deUvit, oder,
mit aofgedrungener passi^er Bedeatang der activen Verbalform: biems
deleta (abacta, fngata) est!
'**) Man lese nnr die Beschreibung dteser angcbNchen Simierla in einem
1849 gedruekten Werke des Professors Bckerniann.
Bedentimg' alMtmihor 6oU^bileer. 289
der Unfrochlbafkaii. Von diem SmvskriUscbeii mri {Ski mat)
ausgehend, erbali sfiob der Sianicii dieses Nam^ns in alien m-*
disch^europiischen Spraelieii. Mii Hiilfe der ^lavischen For-
men ^inert, ^a^erbsoli^ ^tnere (mors), des gleichbed^ulen-
den persischen mivrg oder merg^,- «nd des marla (merla)
der Zigeuaer kann ein Philologe freilich tuieer Siuargla con-
struiren; aber \ve bleibt aueh nur der Beweis, dass diese
Wortforni iiberhaupl in irgeiid einer Spraehe, der jlavisoheii
ganz zu geschvveigen, den Tod bftzeicbnet hat?
Ein spaterer Gelehrter bemuhie fiieii, «Stfnargla mil
<Sefnnia, der letliseken Erdgottitiv ui id^niificiren. Wir woW
len unsere Leser iiber den Werih dieser Unterstetlung durch
ausgetogene Slellen des leliisehen Wocterbuehs selbilt urlhei*-
ien Jassen:
demma Erde. seem a Winter*
reeclis (weibl. reecia) bose,^reecla seewa bosea
* Weib, Hexe; reecia seeina bdser (kailer) Winter.
SeUt msin nun reecia hinier seema (Winter) oder semma
(Erde), so entslehl eiwas^ Aebnlickes wie Semargla: iin
ersten Fatt bekonmien wir terra mala (boser Moment der
Erdgoltin, Winter?), iman^ereii hiems maia*
Endlkb im Jahre 1641 warf der 'veratorbene Professor
Freiss ein neue^ Lioht auf diese Frage, indem er iSima und
Regla (auf den Grttnd der Orkhographie efnes gewissett Chri-
stoijubet uod derArdidngelschenChroink) mit den assyriseheB
Gottkeiten A s i m a (Achima) undNergal verglicfh,, die sdMO
im 6. Jiahrh. vor Gbr. bekanni wurdeti und| na'ch seiner Mei«-
nung, auf der bosporischen Inschrift der Kdnigin Komosaria
sich wiederfinden, %vo der Name Sinerges.aus Asi (Asa,
Achima) und Nergal (Ergel) gebildet sein soil. Zur Be-
kraftigung seiner Meinung citirt Freiss die Leseart <Simaergla
bei Herberslein ; aber noch auffallender in dieser Beziehung
ist die Les«art Simahrgla (iSima-Nrgla) in der Nikonow-
schen €hronik.
Wie soihe aber die unbedeutende und fast unbekannVe
pJ)6nid8che Goktheit Asima bis in Russland eiogedrungen aein?
290 "AUgemein Litemrisches.
Dazu komml noch, dass auch die angezogene inschrift von ihr
nichts Weiss; denn nach Aschik*s Ueberselxung lauteC sie also:
„Komosaria, Tochler des Gorgippos und Gemalin des
Periaades, errichtete dies Monument aufolge einem Ge-
Uibde den machtigen Gotibeiten Sanerga und Askarka."
Hier ist Sanerga augenscheinlich nur Name einer GoU-
heil^ die man ausserdem mannlich gedacht hat, da sie der v^eib-
lichen Astarta gegeniiber stebL Und wirklich wissen wir aus
der Myihologie der vorderasiatiseben Voiker, dass Nergal
(Mars) als Gott des Feuers und Gemal der persischen Arte-
misy d. h. der Gottin Anaitis oder Tanais verebrt wurde, welche
identiscb ist mit der phonicischen Astarle Milita (Karthagischen
Dido)« In obiger Inschrift liest Raoul Rochette den Namen
des Nergal: Anerga, Bockh aber Sanerga, da in Persien
alle Namen, welche Glanz und Grofse beseichnen, mit San
anfangen.
Ferner mdchte Preiss die phonicische Astarte unserer In-
schrift mit dem Gotzen Mokosch zusammenbringen, iodem er
behauptet, dass man unter den verschiednen Namen dieser
Gottin einige Verwandtschaft mit Mokosch auffinden konne,
wenn man letzteren seiner ^laviscben Endung osch, welche
eine Person anzeigt^ entkleide. in diesem Falle ware es wol
zweckmafsiger, unter den Benennungen. der Astarte einen
Einklang mit dem Namen 5i ma zu entdecken; <denn will man
in iSimargIa eine Verschmekung der Namen iSma und Regla
annehmen, so ist dies keine Zulal%keit, sondern es giebt sich
darin eine androgyniscbe Vereinigung des miinnlichen und
weiblichen Elements der Fruchtbarkeit zu erkennen, welche die
vornebmste Grundlage der slavischen Kosmogonie bildet,
«
5.
Mokosch (Mokoscha).
Nach Perun und Chor« findet sich dieser Name in unse-
ren Chroniken hiiufiger als die andern Gotzen des Pantheons
von Kiew, was auf die ganze Wichiigkeit seiner Bedeutung
in den aberglaubischen Ueberlieferungen unserer Vorfabr^i hin-
Bedentang alUfevischer Gotzenbilder. 291
weist^ obwol der Name bei^ Nealor ganz am Ende seiner Liste
steht. Dies erklarl sich aber befriedigend aus dem Umstande^
dassy zufolge der genauen Orthographic dieses Namens: Mo-
koschj (MoKouib) und Mokoscha (im DativMoKoniH Mo-
koschi), er augenscheinlich weiblichen Gesehlechtes ist;
was auch durch den Text des heiUgen Grigorji (in der Pat-
jevv^ker Sammlung) bestiiligt wird; denn hier finden wir den
Namen zwischen zwei anderen, leider ganz unbekannten, und
wahrscheinlich verstiimmelten Namen von Gdiiinnen: 5ka-
dia und Malakia.
Unter den Erklarern des Namens scheint uns Kollar auf
richligem Wege zu sein: dieser verweist auf die ^lawische
Wurzel mok odermotsch, wohermokry nass, feucht, mo-
is c hi tj nass machen u. s. w. Auch im Sanskrit ist maddj
(fiir mak) aqu^ hauriri, '^) wohclr magna submersus, makva
(b&hmisch maischar) gewasserter Fiseh. Wirklich erseheini
bei Sredowski eine Mokoschia unter den mahrischen Gott-
beiten, mil derErklarung „pluvia, pluviae dea'*. BeiPopanek
wird sie fiir Neptun erklart Jungmann behaupiet;, ihr Bild
sei halb Fisch^ halb Mensch gewesen, und Hanusch setzt hinzu^
man babe sie als Gottheit der Nllsse und Feuchtrgkeit ver*
ehrt, und in Zeiien der Diirre ihr geopfert. Leider halien es
beide Gelehrle fiir iiberfiiissigy davon Rechenschaft zu gelfen,
woher sie diese Naehriehien haben, ob es heidnische Ueber*
lieferuDgen der Tsehechen und Mahren sind, oder ob sie auf
den Mokosch yon Kiew sich heziehen.
*) YgL den aoddeutschen Ausdmck: ^,einenMatscli aus etwas ma^ben/*
d. h. in eine dorchnasste Masse verwandeln. Verwandt ist auch die
zartere lateinische Wurzel mad in mad ere und madid am.
(Fortsetzung in einem nachfolgejiden Hefte.)
294 Pliytil[alt8oh«-itiatbeinati8clie Wissensohaft^n.
Stelle kam und, wie man aus dem Jakuftker Archive ersiehl,
da^elbsl eine Hiiile anlegte die bis 1779 in Wirksamkeit blieb.
Es fehit zwar durchaus an Angaben iiber die Art und Weise
dieser Arbeiien und iiber den Grund ihrer Einslellung. In-
sofem man aber iiberhaupt in der in Rede stehendeti Gegend dne
Hiitte angelegl hatie, konnle diese Einstellung wohl kaum
dem Uebermafs an ortlfcben Scbwierigkeiten sugeschrieben
werdeu, denn diese wiirde man schon nach einem Jahre und
hicbt erst nach funfen bemerkt haben. Es war vielmehr anzu-
nehmen dafs man die Arbeiien nur aufgab weil die ausgebraeh-
ten Erse anfingen, armer zu sein.
Nahm noan hierzu noch den Reise-Berichl des Ober*Hb(-
ien-Verwalter Slabin*^), nach welchem jene Arbeiten nur
wegen des Widerwiliens aufgegeben wurden, den. die Jakulen
des Werchojaner Kreises dagegen an den Tag leglen und
zum Thetl auch noch jeizl empfiadeni so inusste man an^
nehmeii: *
1) dafs das Endybaler Silber* und Bleivorkommen sum
Siidabhange des Werchojaner Gebirge gehore und
2) dafs die Erze an demselben sich lohnend zeigen
wurden.
Die Reisegeselbchaft haUe sich demnaeh mil den nothi-
gen Geralh zu einein Bergbau zu versehen^ der mogiicher
Weise auch in sehr harte und nur durch Scfaiefsen zu be-
waltigende G^steine reichen wiirde*
Die auf anem gaozen Sommer ausreichenden Vorraihe
von Lebensmittein mussten in der StadI Jakuzk fiir die ge-
sammie Reisegesellschaft besorgt werden und zwar bia, zu
dem dortigen Eintreffen der Arbeilsmannschart , welches auf
den 13. Juli festgeseUt war. Das Miethen dieser Matoschaft
zeigte sich ziemlich schwierig^ weil in Jakuzk selbst durchaus
Niemand zu findcn war, der von der fragh'chen Oerllichkeil
h'gend etwas gewusst hSlte. Mit besserem Erfolge erkundigfe
•) Aaa deiD Jahre 1829. Yergl. Erman Reise nm die Bitie Abthl. I.
Bd. 2. S. 222, Q. in d. Arch. Bd. IV. S. 177.
Bine bergmauiUche Expedition in das WerdKhJansket Gebifge. 295
into sich darauf in den Bezirk der Nama-Jakuteri, dean laan
fand den AeliesLen derselben^ Philipp Rochleaow, bereit die
Expedition au fiihren und erfuhr von iiim, dafs die Endybaler-
Anbriicbe an dem Flusa Endybal, einem der Quellsufltisse der
Jann liegen und dafs man den 450 Werst langen Weg von der
Miindung des Aldan bis zu denselben, unier den gUnstigslm
Umslanden, nichi schneller als in HTagen und nicht andera
als mil Saumpferdeo auiiicklegen konne«
Diese Nachrichlen lautelen^ Bamentlich in Beziebung auf
die Transportmittel ao verschiedeny von den zuerat erhallenen,
dafs der uraprilngliche Plan durcbaus abgeanderl werden
mussle. Man beschless nun AUes was man^anLebeosimUeln
und sonstigen Lasten milzunehoien haUe, gleicbzeitig oder
doch hoehslens in zwei Malen zu Iransporiiren; denn der
nachsle Punkt der zur Niederlegung von Vorrathen dienen
konnle» die Miindung des Aldan, war nun docb zu enlfernt,
um AUes was man gerade bediirfen wiirde, von dori zu ho-
len. — Da nun ausserdem durch Regenwetter in der Quell-
gegend des Aldan die Bergslrome anschwelien» und dadurch
die Dauer der Hinreise bis auf einen ganzen Monat veriangert
werden konnte, so schien es unumganglich^ gleich beim ersten
Male Lebensmiitel auf zwei Monate fiir die ganze Gesellschaft
^und ausserdem die nSlhigsten Bergmannsgerathschafien mil
sich zu nehmen^ ausserdem aber Jemanden aus der Mannschaft
mil dem spateren Nachbringen der iibrigen Ladung zu beauf-
iragen. Man hatle somit 20 Pferde auf einen ganzen Som*
mer und 46 andre zum Transport der genannlen Gegenstande
zu mietben, und zwar aus den zunachst an dem Beslimmungs^
orle gelegenen Niederlassungen (ulu^i) der Jakuten. Da aber
die Aufforderungen zu dieser Lieferung in einer zu spaten
Jahreszeil, in der der Uebergang iiber die Lena bereiis unsi-
cher geworden war^ erfolglen, so meldete sich zu denselben
nor ein Unlernebmer^ Juna Winokurow aus dem Nama»*
Ulu«, und dieser machte so hohe Forderungen, dab der An^
fuhrer der Expedition beschloss, die ganze Miethsangelegenheit
Rmana Bua. AteUw. Bd. XL B. %. 3D
296 PiiyslkaMseh-matlieinAtische WiMeiuchaften.
den Riisrfschen L6kalbehBrden zu uberlassen und sicb spjUer
mil dieseti amlali mit den Unternehmera absufinden.
lAan suchie unterdessen einige muBdliche und daher oiclil
genugsam zuverlassige Aufscliliisse tiber die mineralogischen
Reichthiimer des umgebenden Landes zu erhalten und nament- -
lich liber das Vorkommen von Sieinkohlen, Sleinsatz, Wilui-
Grossularen^ Chalzedonen , Carneolen und Opalen am Wilui-
flusse, Man erfuhr bei dieser Gelegenheit nur, dab Jaknzker
Privatleute zu verscfaiedenen Zeiten an den kleinen Zuflfissen
der Lena (auf diese Gegenslande) gescbilrfl hallen , jedocli^
nach dem was von den dabei beobachtelen Umsiaaden erzihit
wurde, meist an sehr unpassenden Stellen.
Am 17. Juui vvaren alle Vorbereilungen geiroffen und
die ganze Gesellschaft schiffte sich auf einem Fabrseuge auf
der Lena slromabwaris ein, gelangte jedoch^ wegen widriger
N.W.winde, erst am 21. desselben Monats nach der Miindang
des Aldan^ wo die Wassersirabe endet. Es wurden daselbst
in einem holzemen Gebaude iOO Pud Zwieback aus Roggra*
meU unter der Aufsicht der benachbarten Bevdlkerung nie-
dergekgl, denn von denPferden die man bier erhalten soUie,
Waren ein belrachllicher Tbeil schon lange vor der Ankunft.
der Reisenden zu Transporlen nachOchozk und nach andren
Richtungen, iheils an die Regierung, Iheils anPrtvaileule ver-.^
miethel worden.
Von dem rechten Ufer des Aldan bis zu den Vorbergea
des Wercho- Jansker Gebirges, fand man die Wege ausser-
ordenllich beschwerlich, indem auf dieser 30 Werst langeii
Sirecke iiberall ein lehmiger Boden von sumpfiger Beschaffen-
heit vorkam« In Folge eines Waldbrandes, der anbaliendem
Regenwetter vorherging, und durcb die hofaen Friibjahrsiem-
peraiuren der Lufi, war der gewobnlich schon in 10 bis 15 .
Zoil Tiefe gefrome Boden weil tiefer aufgethaui^ so dafs die
Saunipferde gleich anfangs mehr als 2 Fufs lief einsankea
und ^sich aus Mangel an einer fesien Unterlage alien Anstren-
gungen zum Trolz nicht frei machen konnien.
Man ward demnach genoihigt sie voUsland^ zu entladeni
Eine bergmanitlsclM Rxp^Aition in dafc WeithojJintkW 6eblrg«, 297
wobei man sich «u hiiten batfte^ dab nieht die oitiidneil 6e*
genstande und nameailich die eisernen Gerfithacbaften in dtll
Sumpf versanken und verloren gingen; demnaohat > aber alia
Laaten selbat zu tragen und die Pferde ainzeln su fiifaren«
Diese Arbeit gtng so iangsam von Stalten dafa in der MiUe
des SumpfeS) trots aller Anatrengunlfen der reiaenden Mann«*
schaft und der Jakutischen Fubrer, in 14 Siunden nUr Ifi
Werst (d. h. kaum iiber | geogr. Meile) auriickgelegl wurde; ---^
Die Pferde die scbon bef der Fahrt von dem Nama^Ultta bia
sur Aldanmiiirdung gehungert batten, fanden nun anch bier
k^n geniigendes Futter und ermatteten daher eo aebr, dab
zur Zuriicklegung der genannten Streeke, zusammen mit den
ndlbig^n Ruheslunden, nieht weniger als 7 Tage gebraucbl
wurden. Diese temporaren Sebwierigkeiten acbeinen erwab*
nungdwerlh, denn bei ihrei' Rilckkehr fanden dieselben Rei^
senden den von ihnen ausgetretenen Weg durcb eben diese
Tundra, imLaufe desSommers so vollstandig troeken gewor-
den, dafs er von ibnen selbst in 4^ Stunde und von den Saum^
pferden in 7 Stunden zuriickgelegt wurde.
Der klein^ Fluss 5uordacb entspringt an dem Sildab-
bange -des Werobojaniscben Gebirges und ergiebt sicb in den
Aldan, ganz nabe bei dessen Mundung in die Lena. Man
blieb 60 Werst weii in dem Tbale desselben, in dem wieder
andere Sebwierigkeiten zu iiberwinden waren. In Folge der
liaufigen Kriimmungen und der ziemKcb starken StrSmung
dieses Flusses, mu^sten ibn die Arbeiler sebr oft und in sebr
mbbsamer Weise durehwaten und eben so aueb die Zufliias^
desselbto, die unmittelbar von den bdchsten Und oft nocb mil
Sebnee bedeckten Tbeilen des Gebirges herabkamen. — Da»
Wasser dieser letzteren balte daber Temperaturen von nie
mebr als 7^ R., war aber ofl hocb betracbllicb k£lter durcb
Eisscbicbten und Eisbtigel (sogenannte nakipi, d. i. Aufkocbun-
gen), die sicb in dem Thale selbst, in Folge des Austritis der
Wasser im Herbsl (?), gebildet batten.
Dergleicben nakipi oder Eisanhaufungen fanden aidi an
alien ZuflOssen, die sicb in eiwas weiteren Tbalern bewegen,
20*
298 Pbyaikftlitdi-infttlieinatischie Wittentehtften.
wie der Bailyk, Suordach, die Ncra, der Sjaman uod grofse
Bndybaly and «ie haiten tiberall eine Dicke von 7 bis 10 Engl.
Fu&. Sie etvtrecken aieh meisl swei bis drei WersI weit und
grobe Massen von ihnen stiirzen sich oft mil ausserordentli-
chem Gerausoh in das Beite des Zuflusses, von dem sie all*
mfilig imterwasdien werden. Von der Ob^flSche eines sol-
chen bei den Jal^iiten sogenannten Taryn oder Ejsberges,
ergiefsen sich. Wasserfalle in den Bach und entziehen ihm
fbrlwHhrend die Warme, die er von den Sonnenstralen
empfiingt.
Die vielen Kriinmiungen des Suordach werden durcfa
mehr oder weniger abgerundete. Sands tein-Geschiebe veran-
tassi, mil denen das Thai desselben gefiilil ist BeimAusIriU
seiner Wasser wird ausserdem feiner Sand abgesetst und da«
durch der Grund zu Insein gelegl, die in fast undurchdring-
Keher Weise mil Pappeln, Weiden und andrem Slrauchwerk
bewachsen sind. Mil eben so dichtem Geholse sind audi die
Berge bedeckl welchc dieses Thai umgeben, auf deren Abhan-
gen • aber noch ausserdem iiberall Larchen , seltner Tannen
und Fichken und stellenweise auch Birken und Zirbelfichlen
(P. Cembra)^ die in diesen Gegenden sich auf den Boden la-
gem > vorkommen. Ueber die Abhange konnle man wegen
ihrer Steilheit und der SchuUhaufen, die oft an dieselben an-
gelagerl und mil Moofs bewachsen sind^ nicht. gehen. Der
demnacbsl versuchte Weg iiber die Insein zeigle sich aber
gleichfalls beschwerlich) vermoge der dichlen Bewaldung auf
demselben, und vorsUglich durch die Ablageruogen von Treib-
hois die oft 10 bis 15 Puis hoch waren. Es blieben demnach
ak gangbar nur die Ufer des Flusses und diejenigen biselo,
dorch deren Gehdlze sich mil nichi allzu grofser Mtihe ein
Durcfahau herstellen lids. ~ DieMannschaft wurde demnach
in mehrere Wachcn von je 12 Mann getheill, die sich (ag-
licb ablSsten und von denen dann immer je vier Mann mil
der Aufnahme des Weges und 8 mil dem Durchhau desselr
ben, beschSfligl waren.
Die Pferde verwuodelen sich die Fiifse — \veil (?) die:
Eine bergmaimiiciie Expedition in chM Werebo'SjAiMket Gebir^. 299
Jakuten sie nach ihrer Gewohnheit utid Irolz der VorsteUon-
gen dtr Reisenden nicht beschiagen hailen.' In Folgie xiein-
lich starker Hitze und Trockenbeil fanden sich auf dem gan*
zen Hihwege nur wenig gute W«ideplStze. Die Pferde mussten
vielmehr meisiens auf Slellen iibernachleo, iiie tinr init Vacci«*
ilfen iiberwacbsen waren. — Sie wtirden indesseii auch bei
reichlicberer Nahrung kaum weniger von Kraften gekommen
sein^ weil Wolken von Inseklen, durch die das Jahr' 1860 be-
senders au^ezeichnel war, nicbl blofs beiTage iiber sie herr«
fielen, sendera auch in den Nacbten, die so hell wares wie
die Tage.
Als man sich der Quellgegend des Flusses naherte, faon
den sich die . Geschiebe immer grdber und ersehwerien die
MSrscfae, die auch ohnedem nicht iiber 15 WersI in eiaem
Tage betnigen.
In FoJge aller genannten Umstande imissten die Jakuieo
oft von dem Nachtlager zuriickreiten, um Theile der Laduog
KU holen, welche, wihrend des vorhergehenden Tagematr
sches, wegen ailzu grofiser Ermiidung der Pferde, zuruckge«
lassen worden waren. Im Verlaufe von 8 Tagen hatte dm
Gesellschaft endlieh den 5uordach bis zu seiner Quelle auf-
warts verfolgt, war durch eine Schlucht in das Thai des Bai-
lyk hinabgestiegen und in diesem bis zu einem 138 Wevst
von der Aldan -Mundung entfernten Punkte geblieben. An
dieser Stelle veranlasste die Langsamkeil der bishetigefi Reise
and die Unmogfichkeit sie in der Folge zu bescbleuntgetii zu
besonderen Klafsregdn fiir die Verpflegung der MannschafL
Es wurde nauilich ein Mitglied derselben, Namens Larion
Jephimow, nach Jakusk zuriickgeschickt, mh daselhst geho*
rigen Ortes iiber die Beschwerden der bisherigea Reise zu
berichten und um sodann die am Aldan zuriickgelassenen Le-
bensmiltel moglichst schnell herbeizuscbaffen.
Die fernere Reise erfolgte unter ganz ahnlicbl^n Umslan-^
den, wie die bisher erwahnten, und sie endete am 17. Juli
mit der Ankunft in der zu untersuchenden Oertlichkeit. Einige
fernere Bemerkungen iiber die Beschaffenheit des durchrmsten
300 PliyiiMiMb-iiiatberaatlsclie WittcMcbftfleB.
Landsiriches schtinen aber bier am so ndthiger, da sie auch
bei der Frage nach der Braachbarkeit der Endybaler Anbriidie
in Belrafehl kommen.
Der turSckgelegte Weg war im Miitel nach N. 30® O.
gerichteL. E^Iag yon der Miindung des Aldan ohue Ausnahme
in Flussthalern und belrug, von diesem Punkte an, 323 Werst
Der felsige Bbden jener Thaler machi die Anl^ung einer
Sommerslrafse durchaus unmoglieb, un3 vermdge der Sleil-
heit der Abhiinge, is( vielmehr niir an einen Pfad fur Saum*-
pferde zu denken. Der Weg selbsl hatte aber Uberall nnr so
geringe Neigungen, dafs er zur Schlittenfahrl aussersl gee^**
net schien.
Die Vegetalion isi iiberall wo genugsam macbtige An-
sohwemmungen den Felsboden bedeckl haben, belriiehtlich
enlwickelt So namentlich an den Ufern des Aldan, die mil
eaner gemischlen Waldung bedeckl sind, von welcher man
ein Fiinftheil als Bauhols benuteen kann. In dem Werebo-
jansker Gebirge selbst ist aber dann freilich ein der klimati*
schen Bedingung entsprechender Holswuchs, nur auf die In-
sein in den Flussthalern ond die sanfteren Bergabhange be-
achrankt Auf den Inseln stehen ausserordentlich schlanke
Larehen, deren Dicke nicht Qber 18 bis 22 Engl. Z. betriigt.
Der junge Nachwuchs derselben wird meist durch bewunde^
rungswiirdig dichies Unlerholz erstickt, und es bleibi daher die
Dichlheil der Nadelwaldung ekwas geringer als eine mittlere.
Auch die Bergabhange sind milLarchen beseUt, die dber
nieinals ihre voile HShe erreichen: offenbar nur wegen des
steinigen Bodens auf dem sie wurzeln, da sie in den Tfaalem
vdllig ausgewachsen vorkommen. Auf den Abhangen werden
die Stamme nichi uber 18 EngL Fufs hoch und 5 Zoll dick.
Unter den Thalern des siidlichen Gebirgsabhanges, in
denen die Vegetation im Allgemeinen begiinstigter ist, ist da^
des Neraflusses besonders holzreich. An dem Nordabhange
findel man dagegen durchweg nur armlichen Pflanzenwuchs
und zum Theil auch ganz nackte Stellen.
Eigenthche Wiesen giebt es nur auf den Inseln, ui^d auch
Bine bergmMmisciie Bxpedilioii in dai Werclio*laBilctr Gebirge. 901
■
auf diesen so wenig, dafs bis jelzl an die Anl^;iing von Hm^
vorralfaen fiir den Winter kaum %u denken isl. Es giebt in*
dessen in den Thalern der Fiiisse Saordach, Bailyk and
Nera viele Stellen die sich durch Abbrennung in Wiesen ver-
wandeki liefsen.
Diese Angaben iiber die Vegetation und Terrainverhalt-
nisse geniigen zii dem Beweise, dab die Verpflegung der
Mannsebaften die sieh an dem Endybal niedei-xulasaen faktlen,
wenn man diedertigen Erse bearbeiten wolUe, nur im Win^
ler gescbehen konnte.
Zu den wesentlichsten Hindemisten gehoren ubrigens der
Mangel an Holz und die Nothwendigkeit, dasseibe auf einem
betraebllichen Raume su sammeln^ so wie auch der Mangel
an Kaik auf der gansen Strecke, welche die in Rede stehende
Reisegeselischaft durchschritten hat Die genaure geognostische
Untersuchung hat bewiesen, dais die Werchoiansker Berge
ausschliefslich aus Sandslein und Thonschiefer bestehen.
Bei den Endybaler Anbriichen suchle man suerst die Art
des Vorkommens der Erse und dessen Beziehung tu den
umgebenden Gebirgsarten zu erforschen, reinigte sodnnn einige
alte Oerter, uniersuchte die Anschwemmungen in dem
Thale durch einen Schurf und veranslaltete eine geognostische
Aufnahme der zunaehst angranzenden 25 Quadrat Wersl. —
Der Erzfuhrende Berg enthalt 5 Bleiglanzgange, von de*
nen 4 schon frulier bekanni waren. Sie sind nicht iiber 4,5
Zoll machtig. Die EntblSfsungen und alten Baue liegen alle
an dem S.W.-Abhange des Berges, der dort ateil und felsig
ist, — Eine nahere Untersuchung zeigte, dafs dieses ganze
Vorkommen fur eine Folge des Durchbruches des Feldslein*
porphyr durch die Scbjchten von Thonschiefer und Grauwak-
kensandslein zu erklaren ist. Da(s die einzelnen Gange, ver-
moge ihrer geringen Abstande von einander und der Ueber-
einstimmungen in ihrem Fallen und sonsligen Eigenschaften,
wie Triimmer von einerlei Hauptmasse erscheinen, dafs diese
eine belrachlliche Ausdebnung besUzt, indeni der Eiscnglanz
imd der Schwefelkies, welche die Silberhalligen Bleierze be-
302 Plijwiluliiob-matlieinatiiolie Wltteiifcluiteii.
gleileoy auch an dem Ostabbange dessdben Berg«ige$ su Tage
g^heiii und dais endlich die Breite des ErzfiihrendeD MiUeb
nur durcb die Eiiiwicklung des genanolen Porpfayrs bedingi
iakf welcber in derUmgegend derAnbriicbe in sechs mil eirn
ander parallelen Ziigen auftriit.. — Diese unlen naher %n enU
vvickelnden Tbatsaohen raachen das Endybaler Vorkominen ku
einem hochst bauwiirdigeii.
An Bauholz feblle es so entschieden, dafs inan die nolh^
wendigslen Siiicke xur Zimmerung aus betraelUlieheii Gnlferr
nungen herbeischafifen inussle^ und da man ^usserdem aueb
keinen Kalk besafs, so wurden die Versuchsarbeiten nur in
kleinem Mafsslabe auf folgende Weise ausgefiihrt: man fing
damit an einen Versuchsschacht an Hiem Siid-Ende des Berges
absuteufen, und beabsichligte ihn so weil fortzuselsen, vvie ^
die unterdessen unternommene Aufsuchung von BauhoU ge-
staiten wurde.^ Bei gunsUgemv Autfali dieser leUteren sollte
er durch das feste Gesieia gefiihri werden und wUrde dann.
in 9 5ajen (63 EngL F.) Teufe, den einen der Gauge durch-
scbnitlen haben. Im entgegengesetzien Falle wollte man di^
Arbeit nur bis zur Erreiehung. des fesien Gesleines forlsetzen,
so dafs sie nach Art eiiies Schurfes die Madit^keit und die
Be^chaffenheit der angeschwemmten Massen kennen lehde.
Der gefrorne Boden und die machtigen Gescbiebe und Trtimr
mer die man dabei aniraf^ erschwerlen die Ausitihrung dieses
Voihabens in dem Maafse, daCs man nach 12Tageo nur eine
Tiefe von 3 Sajen erreichte. Man hatle das Zimmerungsbolz
aus Enlfernungen von 300 bis 400 5a^en herbeiscbaffen miia-
sen. Das Abteufen selbst geschah iheils 'durch Feuer, Iheils
mil Keilen.
In den Anschwemmungen fanden sich nur von den nachst-
gelegenen Gebirgsarlen Bruchslucke , zum Beweise daCs das
Goldsuchen in jener Gegend vollig erfolglos jsein wiirde *).
*) Dabei wird natiirlich vorausgesetzt, dafs der noch naher zu beschrei-
bende sogenannte Feldsteinporphyr nichC zu den goldbringenden Ge<
steineD gehort. D. Uebers. '
Bine bergmanniieh^ EvpediliMi in dM Wercho-Jmk^ Gebirge. gQS
Die B^fiichligutig der alten Baue war gleichfalls selir !>€•«
sehwerlich, denli sie besfcehn dus emer grofsenZahl vonStol^
(en, die in so verschiedetier Hdhe angesetit sind, dafs man
nicbt vorhersehen koDn|e» wekher von ihneti iiber die Nalur
des Vorkommens Aufsohliiase geben wiirde. Da sie ausser-
dem gauK init Cis geiulll waren, so koDDte man sogar ihit
AasdehnuBg uur naeh einigen vorliegenden HaMen beur-
Iheilen.
Die Verfolgung der alien Lagerstalle bis eur Auffin?-
^ dang von neuen, hSUe atis folgenden Griinden ebenso be-
trachUiche Hindetnisse gefui^den. Der Feldsteinporphyr
gehl an der Oberflache eines flaehen Berges zu Tage, indem
er die Tlwnschichten 60 bis 75 Sejtn hoch durchselzt Mao
kann daher sehr leicht durch einen oberflachlichen Scburf die
eioxelnen Adem dieses Gesteines auffinden und verfolgen, die
sich an den Abhangen gegen BacliesseUuchten xu erkennea
geben. Erwagi man aber dafs die Erze, die sich in Folg^
eiiier natiirlichen Enlblofsung bei 75 5^'efien Teufe seigen,
nur Schniire bilden^ wahrend machligere und bauwilrdigere
Eruniltei erst unler den Thalaohlen tu erwarten sind, so ist
kJar, dab niir Zufalligkeiien, wie die besondere Tiefe odev
siarkere Auswaschung eines der umgebenden Thaler zu neuen
Anbrdchdn fiihren konnle, dafs aber ausgedehnteres Schiirfen
iiber Tage (iir ganz unniitz gellen mnsste *).
Von den seit 1779 verlassened Bauen, die, wie schon gef^
sagty mil Eis vollstSndig geftiilt waren, warden nur einige
letcbier zugangliche aufgerauml und fuhrien zu folgenden
Vorslellungen iiber die dabei verfolgte Ansichi und iiber den
Grund ihres endlichen Aufgebens:
Von den 5 kleinen Gangen oder Trumen waren im vo-
r^en Jahrhundert nur 4 bekannl, die man demnachsl in ver*
scbiedenen Tiefen anzufahren suchte. Man findel daher eine
grofse Menge von Stollen, die in den verschiedensten Hdhen
*) Warom dieses niclit an passeQden Steileii der Thalsohle gescbehen
konnle, ist vroid eben nicht klar. D. Uebers.
304 PhyslkaUioh-inallieiiiaCliek^ WiMeiitelHilteB.
Kwischen dem Niveau der Thaisohle und 27 Sajenen iiber
derselben angeselzl und roeisl hornontal gefiihrt sind. Nach-
dem Umfange der ausgebrachlen Halden sind sie meiai von
geringen Dimensionen; auch konnten vide von ihnen dena
Draeke des| Berges nicht wideratehen. Man aidil ferner,
dafs diese Baue alimalig im Verlaufe der funfjafarigen Arbeil
immer liefer angeseUI wurden, indem man dem Fallen der
Trumme folgle, ofane jedoch jemals unler die Thalsohie su
dringen. —
Die Steiiheil der natUriidien EntblaisUngen des S.W.-Ab- ,
hanges erschwerte die wohl urspriinglicfa gewiinselile Ausfdh-
rung von hoch gelegenen Oertem, anch hat man ant ausser-
mrdenllicher Anslrengung einige dergleichen £u Slande gebracht
Bis zu fast 20 5a;enen H5he sind namlich Slufen in die Feb-
wand gehauen, auf denen die Arbeiier bis m dem .Niveau
einer jetzt verslUrzlen Slollensohle aufstiegen. Sie baben aber
durch diese Anslrengungen Nichts als Schwefelkies gef&rderl.
Der einadge Schaefat unler diesen Bauen war fast auf dem
Gipfel des Berges angesetzt*
Es ist klar, dais man mit diesen Aniagen nicht im Slande
war, die Tiefe von 35Sajenen zu erreichen, in welcfaer docb
erst die Silberhaltigen Bleierze vorkommen. Wahrscheinlicb
ist aber als sicher angenommen und als Richtschnur
fur die Bearbeitung gebraucht worden, dais man die Erse
immer bauwiirdiger finden wiirde, wenn man sie in einer ho*
rizontalen Richtung weiter verfolgle. Erst spater hat man
dann wohl bemerkt, dafs die zu Tage liegenden Anbriicbe
gegen den Horizont der Thalsohie reicher werden und hat
hierauf den letzten, offenbar aber ebenfalls erfolglosren Ver-
such begriindet, bei welchem sich die Leiter dieser fiinfjahri-
gen Versuchsarbeiten wohl endlicfa iiberzeugten, dais uber
dem Flussniveau nichts Bauwiirdiges zu erwarten ist und das
Tiefbaue in den Lokalverhaltnissen zu grofse Scbwierigkeilen
finden wiirden.
Die Angaben iiber allmahlige Verschlechteruug der Oerter,
waren offenbar unwabr. wiewohl das Aufgeben der Arbeilen
Eine bergiaiiiiiltolie Bxpedilioii in <lu Wcrclio*laMktr Gebirge. 3Q5
sich anderweitig voUstandig rechlfertigen Bell. . Nur hallen
die damaKgen Uoteraucher nichi 5 Jahre gebrauchen soUeo,
um die Unmoglichkeit (?) eines Berg- und Hiitlanbelriebes un-
ler Verhkilnissen wie die dorUgen, dnsusehen.
Die Ucberreste von Obdachern, die nur sum Schula ge-
gen Un wetter im Fnihjahr und im Sommer. eingeriehtet sind,
beweisen genugaam, dafis ^ Mannichaft beim Anbruch des
Winters nach anderen WohnplSlsen absog. — Das Material
jener holsemen Gebaude und dafs der Zinunerung in den al-
ien Gruben beweist, dafs auch damals cin Slamm von 9 ZoU
Durchmesser zu den Seltenheiioi xiihite. Der Name eines
Hiittenwerkes, den die Eingebornen den Endybaler Aniagen
sowohl damab als aueh noch jetsti in Foige miindlieher Ueber-
iieferungen, zu geben pfiegen, ist offenbar theils dureh die da-
sdbst eingerichtete Schmiede entslanden, theiis auch blob
durch den Umstand, dafs die dortigen Arbeiten fiinf Jahre
lang dauerten.
Die Resultate der neuen Untersuchung im Werchojaner
Gebirge lassen sich demnach folgendermaaben zusankmen*
fassen :
1) Da das Endybaler Vorkommen bis jetst nur m Tru-
men oder Auslaufen von einer Eramasse besteht, die
unter dem Niveau derThalsohle liegt, so ver-
dienl sie bis jetzt auch nur den Namen von bauwUr*
digen Anseigen.
2) Der Mangel an Bauhola, an Brennmalerial und an
Wiesen, machen die Bearbeitung derselben unmSg*
lich; auch wurde ausserdem die Aniage daer Hiltte
dureh den Mangel an Kalk und an guten Gestellstei*
nen*), selbst wenn das Breniihob ausreichen soUte»
bedeutend erschwert.
*) Manche der von dem Verfasser fiir aniiberwindlicb erklarteh
Scliwierigkeiten werden gewiss oicbt allgemein and £ar immer als
6olcb« anerkannt werden , vor allem aber nicht die zoletot erwalmte,
denn da£i aicb in 4er freilicb sebr feMspatbreichen Grauwacke und
306 PliyilkAlltoh^inatlkeinatiMha Witteuclyitea.
3) Die Ausfuhr von LebensiniilelD und anderen Erforder-
nisse von der Miindung des Aldan kann nur im Win-
ter geschdien*
4) Einen HiiUenbetrieb hat es in dieser Gegend Jiiemals
gegeben, und die fiinfjahrigen Versuehe in den sieb-
siger Jahren des vorigen Jahrhundeiis, beacbrftaklen
sich vieimehr aul die Bane deren Plan bier beigege-
ben wird.
5) Obgleich die Ansicht von der Bauwiirdigkeil des ge-
nannicn Vorkommens aiif geognoslischen Beobachtun-
gen von betrSchklicher Ausdehhung begriindei ist, so
bleibt die Auffindung neuer Anbriicbe doch ioinier ein
Werk des Zufalls, weil die Anschwemnmngw in der
dorligen Gegend selir machtig sind,
6) In der Miite und an dem S.W.*Abhange des Wercho-
janer Gebirges sind durchaus keine Anaeigen von edlen
Melallen vorgekommen.
Die Rtiekkehr (nach Jakuik) wetche die Reisegeseilschafi
in Folge der Anordnungen des Generalgouverneur von Osts
5ibirien am 3. August antral, und bei der sie keine weiteren
Geschafte halte> konnte dennoch voraussichtKch in nichi we-
niger als einem Monat voiisogen werden, weil das spariiche
Putter in der Umgegend des Endybal nicht verniocbt hatte,
den Pferden ihre verlornen Krafle wiederzugeben.
Herr Meglizkji halte erfahren, dafs in dem Thale des
Sineiflusses, der 200 Werst oberhalb Jakuzk, von der linken
Seite in die Lena mttndel, Silberhaltige Bleierze vorkommen
soUen, und wiinschle demnach sowohl diese Oerllichkeit ais
auch das Thai des Botamaflusses, an dem die Jakuten Eisen
schmelzen^ zu besichiigen. Er ubertrug daher dem Unter-
schichtm^eister Wakarin und den Steigern die Anfiihrung
der Mannschaft wahrend der Riickkehr und reiste mit dem
Topographen Schtschetschilin voraus nach Jakuzk.
den daza gekorigen Schiefern nicht dennoch c'tnige genogsam feoer-
bestandige Schicliten linden sollteni ist unwahrscbeinlicb. K.
Rine beri:mliniiiiche Bxpedilioii ia dM W«lrGho-JlMisk«r Gebirge.-SOQT
Die Kunde von den Ersen aih iSkiei war rdn den dorii*
gen Eingebornen ausgegtogen, und- konnte demnach auch jelst
nur mit ihrer Hulfe vervollslandigi werden.. Da sie aber die
direkte Anfrage eines dabei betheiligten Bergbeamlen vielleicht
zur Verheimlichung ihres Wissens veranlasst haben wiirde, so
wurde bescfalossen- eine vorlaufige Untersocbuiig den Ortsbe-
horden zu uberlasaen. Herr Meglizkji besiehiigie unierdes-
sen das Ebenvorkommen an der BaiaAia oder Botoma.
Der kleine. FIusb dieses Nainens falll 103 Werst ober*
halb Jakusk Von der rechlen Seiie in die Lena. Er fliefet
von Siiden nach Norden und weadel sich nur era! nahe bei
seiner Mundung gegen Westen. Sein Thai ist, so weii mail
es besichtigl bat, ausserordentlich reich an . WaldbSumen und
anderweitiger Vegetation. Larchen-Geholze, in denen viele
Stamme bis zu 2,2 Engl. Fufs im Durchmesser haben ^ und
Fichtenwaidungen bedecken die Oberflache der Berge, die zu-
sanimen das flache Hochland an der Sudseiie der Lena aus-
machen. Oiese erbohle Masse zeigl sich in der Thai iiberall
zwischen der Bolania und Lena , als eine wellige Oberflficbe
von nichl mehr als 250 Fufs Hohe iiber den Thalern, gegen
welche sie iheils sanfle, reich bewacbsene Abhan^ge kebrti
Iheiis auch nackte senkrechte Felswande.
Die geognosiische Beschaffenheit dieser Bergmasse isi
sehr einfBrmig. Sie beateht durchweg aus horizonlalen oder
welligen Sckidhlen eines derben Kalkes von hellgrauer Farbe
und muaehlickein Bruch. Diinne Zwischenlager eines griin-*
lichen Schieferihones, trennen die Kalkscbichien, die hier keine
Versleinerungen enlbalten. Herr Meglizkji uberxeugte sich
aber von der Ununterbrochenheit dieser Formation bis zur
MtlBdung des ^neiflusses, und fand an derselben in ihrPflan-
zenresie, die ihn veranlassen, sie zum Steinkohlengebirge zu.
redmen*
y,Die wellige Oberflache welche diese Kalkbildung schon
bei ihrer Ablagerung annahm, \eranlassle spatere Wasserbe-*
deckungen sich in Becken zu vereinigen, und in diesen haben
306 PhTSikaUfech-mathemQUache WtiieniehiifMfB.
steh dann die BisenenB fiihronden Lager abgeselzl, welche
Jetzl vQii den Jakuten bearbeitet werden.*"
Diese Lager <von jtlngsler Enlstehung zeigen folgende An*
ordnung: unmiUelbar unfer der Dammerde findet luaa etne
gant lockere Schichi von Quaresand in dnem Thone, der nur
schwach mit Eiaenoxyhdydrat gefarbl ist Unter dieser UAgen
als Hangendes die eigentKcfaen Eiseniager^ eine Sduchl von
weisaen, abgerundeten Quarzgerollen in einem eisenschiiasigen
Bindemittel. Die Einschiiisse dieser Sefaicht, wechselti von
eigenllichen SandkSmem bis zu Gerdllen von l,8ZollDurcb-
messer, imd seine Structur ist demnach bald die eines feiii*
kSmigen Sandsteines, bald eines groben Conglomieralen.
Die eigeniliche Erzschicht besleht zu grdfstein Theil aus
einetn meist derbtn, bisweilen aber auch blastgen Braun^
eisenstein, dessen Holungen im letzterert Falie mil gdbetn
Thone gefulit sind. Nicht seiten kommen aneh adrigeAbson**
derlingen desselben vor, die sich durch dunkelbraune Fiirbang
von dem (umgebenden) Thoneisenstein unterscheiden. Die
MSchtigkeit dieses Lagers ist sehr veranderlich, soil aber nach
den Aussagen der Eingebomen, nicht iiber 3,5 Engl. Fub be-
tragen. Dagegen sind Verschniirungen desselben sehr hatifig
und so ausgezeichnety dafs oft zwischen zweien neslarligen
Anschwellungen nur eine 2 bis 2,5 Zoll dicke Verbindung
Qbrig bleibl. Das Liegende des Eisensteinlagers besteht tbeils
aus dem beschriebnen Conglomerati theils und Sfler aus eioem
gegen 2,3 Fufs machtigen Lager von gelben, sehr bindenden
Thon, der unmittelbar auf dem Kalk des dorligen Lenalhales
(Kohlenkalk) ruht. Der beigegebene Durchschnili elites Thei^-
les der flachen Bergmasse zwischen der Botoma und Lena
zeigt, dab die Erze nur an deren Obeiilache vorkommen und
das welllge Ausgehende des Kalkes beweisl, dafs ,man nach
Erschopfung der jetzt vorhandenen Anbriiche ohne besondere
Muhe, deren mebl'e finden wird. Aus einem mehr detaillirten
Durchschnilt des sogenannten Schesljakower Anbruches ersiehl
man femer, dafs die Machligkeit dieser jungen Bildung niohl
iiber 1,5 5ajenen (10,5 Engl. FuDs) betragt, und dafis'die be-
Rine bergmaiMisehe fixpedilioft In dtuk Weroho-lantker Gebirge. 309
deckende Schicht von lockrem Sande sellen mehr als 3^6 E. P.
betragt. Die Forderung der Erze ist daber eine auAserst
leichle. Der Transpori derselbeti nach iiigend einem der be*
nachbarlen Orle wiirde durch Aniage eines Weges uber die
Qache Bergmasse zu bewirken sein, da ein einfacher Durch*
hau durch die dorlige Waldung hinreicht, denn die sai^ea
Abhange der Wdien auf jenem Plateau bedurfen keiner Ver<-
anderung.
Das bisher Gesagle besieht sich auf die £wei Anbriiehey
die die Jakuten gegetiivariig bearbeiten, und von denen der
eine der Schestjakower, nach aeinem Enldecker benanni iat,
weleher, vne man behaaplel; in detn dorligen Thale Gold
gesucht hat Dieser und der zweiie (unbenannte?) Anbruoh
sind von vollig gleicher Beschaffenheit, und sogar in den
Wechselni welche die Machtigkeii der Lager erleidet, durch*
aus ubereinstimmend.
Herr Meglizkji hal eine, 25 Werst von der Miindung
der Botonia in die Lena gelegene Ebene^ von 50 Quadrat*
werst aufnehmen lassen, welche ihm zur Aniage eines Wohn-*
platzes und der nolhigen Fabrikgebaude besonders giinsiig
schien. Die Botama beschreibt innerhalb derselben einen nahe
halbkreisforqdigen Bogen, dessen convexe Seite nach Nordeli
gekehrt ist. Der Fluss granzt dort zu seiner Linken an senk-
rechte Kalkfeben; init der rechten, d. h. concaven Seite sei*
nerBiegung aber an eine, gegen 600 Sajen breitei Thalsohle*
Abwarts von dem Flusse erhebi sich die dorlige Ebene gam
alloiablig zu eiiier hiigUchen Oberflache und es giebt auf die*
sem Raume zum Heuschlag geeignete Triften, Wiesen und Ak-
kerland) deren (Jmfang durch Lichtung der Waldung noch
betrachllich vermehrt werden kdnnle. Die Breite des Fliiss-
chens ist innerhalb jenes Bogens sehr gleichmafsig und seine
Tiefe beiriigl bis zu 4 Fub.
Die Jakuten betreiben ihre Eisenfabrikation im Herbst und
im Winteri in der Nahe der Erzlager. Es beschafligen sich
mit derselben nur wentge von ihnen, an den Niederlassungen
Kat8chikat» Oklem und Muitto des Vlus von Kangalag.
310 PhyiikaUiidi-tnatlbematische Wisaenlcbaften.
Sie eiitnehmen dieErte aus Tagegruben, die selUn mehr
krfs 1,5 Sajen lang ilnd I 5ajen breil sind, indem sie diis'
Aosgehende der Ertschichien sur Seiie eines solchen Schach*
tes anhaufen. Diese Arbeilen werden durch die geringe Co*
hision der belrefienden Massen betrachllich erschwert, ver*
mttge deren die Erze nur init einem DurchschniUe des Schur*
feSy der halb so breit ist wie dessen Mundloch zu erreichen
sind. Die geforderlen Erze werden an Ort und Stelle in so-
weit sortirty dafs man die ConglomeraUiiicke aasiiesL Die alien
Schurfe werden von den <^earbeitern mii laubem Gesieioe
ausgeseUt und nach Maf^abe des Bediirfnisses deren ueue
angelegti so dafs daseibsl bereils eine aosserardenlliche Zabl
Von scheinbar regellos verlheilien und wieder zugeschiilielen
Lochern dieser Art zu sehen isU Die Erzf5rderung wird ge-
wohnlich im Herbst, nach Beendigung der Feldarbeiten vor*
genommen und zwar meist nur von 2 bis 3 Mann, welche
von der Gemeinde gemielhet werden, weil sie keinen eignen
Haushalt besilzen. Die iibrigen Jakulen sind mil dtr Vieh-
zucht, mit der Heubereilung fiir den Winter und mit andren
bauslichen Arbeiten zu sehr beschaftigt, um diesen Bergbau
grobartiger zu betreiben; obgleich sie die Nachlheile der von
ihren Vorfahren iiberkommenen Melhode sehr wohl einsehen.
Der Transport der sortirten Erze wird nach dem ersten
Scfaneefall auf Schlillen voilflihri, die von Ochsen gezogen
werden und mit Kaslen versehen sind.
Die Erze werden darauf gerostet, indem man einen Scbeit*
haufen von 3,5 Fufs Hohe bei 7 Fub Lange und elwas liber
5 Fufs Breite aniegt, auf dessen Oberfiache so viel Erz schut-
tei als Platz findet(?) — und ihn dann anziindet. Das Ge-
rSstete wird zu Haselnuisgrofise zerkleinerl, gesiebl and ge-
scbmolzen.
Die Schmelzvorrichtungen der Jakuten sind' kieine
Oefen, von dehen ein jeder aus einem abgesonderten parallel-
lopipedischen Aussenbaue besteht Dieser ist gezimm^ri un4
hat 3|3 Fuls H5he iiber einer recbtwinklichen Basis von nabe
an 7 Fufs und 5 FuCs Seite. Der Boden unter demselben
Bine bergmiUuuMli« Expedition in das Wercho-lanaktr Gebirge. 3(1
wird fest geslampft, sein Inneres aber mil feuerfestem Thon
gefiillt und in diesem an der Vorderseite der Herd und dm
Arbeitaloch angebracbt. Die Diinensionen dieses Heerdes sind
wie folgt:
die Hohe 2,20 Engl. Fufs
die Breite des Gewolbes 0,80 -
die Breiie des Rostes 1,20 -
die Hoke des Arbeitsloches 1,10 -
die grofsle Breite desseibeo 0,66 -
die Hinlerwand voo dem Ge-
wdlbe bis sum Arbeilsioch 4,50 -
AUe Oefen dieser Art, die Herr Meglizkji gesehen bal^
waren in voliig gutem Zusland und doch noch nie ausgebes-
serl; in Folge des vortrefllichen Thones aus dem sie bestan-
den/ DieKohien mil denen man in denselben feuert, werden
von jeden Schmelzer in den dazu bestimmten Ldchern nach
Mafsgabe der ErzfSrderung geschwiilt Sie sind aber nicht
sehr gut, sondem zu klein, mil vielen Spallen und meist im*
mer iiberbrannt, weil die Jakuten sie mil Wasser oder Schnee
zu loschtn pflegen, naohdem sie zu brennen angefangen haben.
Sie fiillen den Herd bis zum Gewolbe mil Kohien, sleeken
diese an und selzen dann das Arbeilsioch mil Steinen zu, die
sie lufldichl verschmieren, so dab nur in dem Bodensleine
eine Oeffnung bleibl, in die eine Uionerne Form geselzt wird.
Die Diise eines Handbalges wird dann durch diese eingefuhrl
und wenn der Ofen durch die Wirkung desselben in Brand
ist, das Erz aus Messkaslen welche die beiliegende Zeichnung
darslelll, aufgegeben, und mil den Kohien bedeckl. Nachdem
man den Inhall eines solchen Kaslen, den Herr M. nichi ge-
nau beslimmen konnle, siebenmal aufgegeben hat, wird die
Scbmelzung fiir beendigl erklart. Man lasst den Ofen abkiih-
len und nimml die gewohnlich 20 Pfund schwere Luppe
h^raus. Sie wird noch heiss in zwei Sliicke zerschniUen und'
in diesem Zustande Iheils an die Schmiede des Kangalaker
Ulu^es verkauft, Iheils (an die Russen) in Jakuzk.
Eine solche Luppe ist immer rund von elwa 12.Zoll
EnnaDa Busa. Arcbiv. Bd. XI. H. S. 21
312. Pliysikalisch-matkeinatische Wiuenschaften.
Durchinesser und 2,5 Zoli Hohe. Ihre Oberfliiehe isl sehr
uneben und vol! Blasen, die bisweilen auch ini Innern vor*
kommeai Sie ist ein Mittelding z^vischen Roheisen und Slab-
eisen*). Herr M. fand keinen der Oefen im Gange und er-
hielt daher iiber die ^ur Anfertigung einerLuppe ndtbigeZeit
nur unvollkommene Aufschliisse. Man s^te ihoi^ dafs deren
im Veriaufe eines langen Herbstiages 4| oder zusammen 2
Pud des genannlen Eisens gemacht werdeh konne. Bei der
Umarbeiiung. desselbea in Schmiede-Eisen geht selbst von
gulen Luppen die Halfie verloren^ so dafs jedes Pud dersel-
ben nur 2Q Pfund schmiedbares Eisens liefert. Die Giite die-
ses Eisensr scheink alleia von der Behandlung in den Schmiede-
essen abhangig^ auch wissen die Jakuten selbst daraus ein
vortrefilic^s Material zu gewinnen, aas welchem sie Biich-
sen, Sensen und Bandeisen machen. Sie verkaufen die nie-
drigen Sorten bedeutend billiger. Herr M. fuhrt aber nur
von der besten Sorte und von den Gegenstanden welche die
Jakuten selbst mit ihren hauslichen Mitteln daraus darstellai,
Mgende Preise an:
1 Pud Jakulisd^s Band-Eiaen kostet: 3^70 Silber-RubeJ;
sur Anferiigung von 16 Sensen gehort
1 Pud Eisen oder 4 Luppen die zu
0,285 Silber-Rubel eine jede, kosten: 1,140
das Arbeitslahn zu 0,085 S.-R. fiir jede
Sense betragt 1,360 -
und somit der Preis von 16 Sensen . 2,560 SiIber*Rubel
Oder 0,1562 S.-R. fur 1 Sense.
Die Beschrankuog der Erzforderung und der Schmelz-
arbeiten auf die Herbst- und Wintermonate veranlassf haufige ^
Veranderungen dieser Preise. Die Jakulischen Schmiede ha-
ben selten Luppen im Vorralh, sondern kaufen sie vielmehr
nur (von ihren Landsleulen), wenn sie Bestellungea erbalten.
•) Ob hier an ein Gemenge aus beiden oder an eine Uebergangsatufe
zwiacken ihnen gedacht werden soil, ist aus dem Rossisch. Aasdruck
nidit zu ersehen , welcher vielmehr wortlich „ ein Robefsen - baftes
Schmiedeeiaen" bedeotot. D. Uebers.
Eine bergiatuiiiiicb« BxpedUioa in das Wenho-Jansker Gebiige. 313
Bs komml daher dafs beim Aufgehen der Lena die Preise der
Eisenarbeilen sinken: weil dann neues Material ana dem Uliu
von Kangalag eintrifll. Nach ofGciellen Angaben sollen die
Jakuten jahrlich 1000 Pud Eisen znm Werth von 1000 S.-R.
darstellen , urn damit das gesammle BedUrfniss der StadI Ja*
kuzk und der Umgebungen derselben zu befriedigen. Ea fehlt
aber durchaua an Nachweisungen^ (iber das in dem Ulna aelbat
zu eignam Gebrauche verarbetteten Ei^ns.
Bei seiner Riickkebr nach Jaknzk wo unterdesaen auch
die Mannscbaft vom Endybal eingelroffen war, erhielt Herr M.
von der OrtsbehSrde drei Stnfen von Sitberhalligem Bieiersy
welche der Assessor des Jakuaker Landgericbts, Herr Rja*
sanskji; eingesendet halte. Man hatte sie bd einem der
Bewohner der Orlschaft ^Snej gefiinden und ein von ^sen
Besitzern und von dem Tungusiscben Haaptling, Wasiiji
Pawlow, unlerschriebenes Doeumeni htnzugefiigt, welches
besagle, dafs dergieichen Erze an einem 40 WersI von
der Mfindnng des 5lnei gelegnen Punkte vorkommen* Der
Untersteiger Petrikow wurde hierauf mil Iwcaen Arbeilem
nach diesem Flusse abgesandt, mit dem Auftrag, die genannle
Oerilichkeil voriaufig za unlersuehen, wShrend die iibrige Mann-
schaft die nSlhigen Vorbereitungen zu ihrer Riickkehr nach
Jakuzk treffen wiirde.
In eben dieser Zeit bemerkte noch Herr M. in einer
Sammlung von Naturalien aus der Jakuzker Provinz, ein Sliick
sehr Silberreichen Bleiganzes, welches nach der Aussage einea
Herrn Atlaaow von den Lena4J(erni aus derNabe derMttn*
dung des Wilui herslammte. Die Prilfung dieser Angabeil
wurde indessen aus Mangel an Mu&e der OrtsbehSrden en-
pfohlen und iiberlassen.
Bei ihrer Riickkehr von dem Werchojaner Gebirge halte
die Mannscbaft betrSchiliche Schwier^keiten gefunden. Ihre
Pferde halten immer mehr Krafte verloren und endHck so
vollslSndig den Dienst versagt, dafs man sicb genSlhigl sah,
138 Werst vor der MUndung des Aldan einen Theil der eiser-
nen GerSthsehaften and die Jakulischen Fihrer zu deren Be-^
21*
g|^ Physiliarigcb-tnaiheinatiflche WiflseiKcliafleii.
aufsichligung zurtickzulassen. Herr M.. Iraf die nolhigeh An-
ordnungen^ daaoit diesen Fuhreni der JeUte Theil dcs ihnen
yersprochenen Geldes erst nach Auslieferuog dieser Gegen-
stMnde gezahlt, und diese selbsi dann an das betreffende De-
partem, der Ost-^birischen Regierung wiedergegeben warden.
Am 20. September verliefsea die Reisenden Jakusk auf
drei Kahnen (Lodki), in denen sie bei der Ortschaft 5inei auch
den Untersteiger Petri kow. und die ihm beigogebenen
drei Mann mit aufnahmen. Dieser hatte seinen Auftrag un-
t0rdessen ausgefiibrl und befichtete, dafs er die Gebirgsarten
an den Ufern des Flusses Sinei aufmerksam beobachiety an
denselben aber durctiaus keine Verschiedenbeilen gefunden
babe. Es erstrecken sieh vielmehr, wie er angab, einerlei ho-
risonlale Kalkschichten:, ununterbrochen bis zu der Stelle, die
der zum Fiihrer genommene Tungusenhauptling. Wasiiji
Pawl 0, w f be%eielutele. In - diesen Kalkscfaichten habe er Nichts
als.Sehwefelkies^-Knpllen von v.erscbiedener Grolise gefunden,
in denen die Eingebornen Silbererze su erkennen geglaubt
batten. Die mathtigen Scbuttwallei die in jener Gegend an
den Tbalwanden liegen, batten keine Spuren von den Erzen
die Hr. Rjasanskji eingesendet babe, entbalten, und man miisse
daher vermuthen , dafs diese Stiicke vielmehr von den verlasnen
Anbriichen stammen, die zwischen den Staiionen Tit-Aryn
und Jelan in der That vorhanden und bekannt seien. Die
Beschaffenheit dieser letzteren Anbriiche konnten iibrigens die
Reisenden ebenfalls nicht untersucben, weil dieselben durcb
angelagerten Scbutl sebr bedeckt sind, ihre Zett aber auf
Ausbesserung der Kahne verwendet werden musstCi die durch
Untiefen, uberschwemmte Klippen und schwimmendes Eis,
baufige Beschiidigungen erlitten.
" Am 11. October musste man, bei der Ryliner Station, der
Schifffahrt ein Ende macben, weil das sdiwimmende Eis da-
aelbst anfing die Lena vollstandig zu bedecken. Die Kafane
lyurden der dortigen Dorfbehorde zur Aufbewahrung (iber-
geben uQd'dafrauf zu Lande nacb Irkuzk weiter gegangen!
Am 2, November, traf die Geseliscbaft daselbst ein, mit Aus-
Eine bergm&nnitebe Bxpeiliffon in das Wei^6*Jutker G«birge. 315
nahme sweier Bergleute aus dem Nertschinsk^r Besirki did
Kraiikheitshatber id Kifensk geblieben waren.
Herr M. erklart schlierslicb^ dab die angeblich voda Wi-
lui herstammenden Erzproben, thals nichts als Schwefelkies
gewesen seien^ theils in der Tbal Silbcrhaltiger Bleiglatiz, der
aber offenbar ram Endybal gebracbt and nur durch Ver-
wechselung zu den Wiluisker Probeslucken geraUien 'stu —
Er siellt dann noch einmal die Bergmannischen Resultaie der
von ihoi geleitelen Expedition folgendermais lusammen:
In dem grdfslen Theile der bereislen (Lenaer u. Jakozker)
Provinz,«fehle es so sehr an Phitonischen Massen, und die
geschichtelen zeigen so geringes Fallen, dafs die Auffindung
bauwiirdiger Blei - und Silbergange jiufserst unwahrscheinlich
werde und man eher Steinkohlen, Eisenerze und Steinealx
erwarten diirfe. In dem Werchojaner Gebirge babe man bau-
wiirdige Vorkommen vorzugsweise in dessen dsUicher HaUlte
zu suchen, weil diese der Erhebungsaxe naher und reicher
an plutoniscben Massen sei.
Von den beigegebenen Zeichnungen stellen dar:
Fig. 1. Den Weg der Reisegeselischaft von der MQndung
dea Aldan bis zu den Endybaler Anbrochen.
Fig. 2. Einen DurchschniU dee Werchojaner Gebirges, Tor
welchen sich der horizoniale Mafsstab zum vertikalen
verhalt wie 1:5.
Fig. 3. Eine Eniblsrsung am S.W.-Abhange des Erzrdhrenden
Berges. — Die dieser Figur urspriinglich beigefiiglen
Zahlen enlsprechen den gleichen Bezeichnungen feiner
Sammlung von Handstucken der doriigen Gebirgs-
arlen.
Fig. 4. Die geognoslischen Verhaltnisse in der Nahe jenes
ErzvorkomOiens.
Fig. 5.^ Einen DurchschniU des Werchojaner Gebirges fur
welchen der Langen- und Hohenmafssiab einander
gleich sind.
316 Phyrikattich-iiiatlieinatltche Wisieiiidiafton*
Fig. 6. Den ISngs der Botoma giBnommenen Weg.
Fig. 7. Das Vorkommen von Eisenercen an der Botoma;
Fig. 8. Einen Durchschnitt der flachen Bergmasse zwischen
der Bolonia und Lena.
Fig. 9. Desgleichen von einem Tbeile derselbeo.
Fig. lO.^Einen DurchscbniU des Vorkommene der Eisenerze.
Fi^. 11. Einen Gnindriss V von den Umfangswanden der Ja-
Fig. 12. Eine Ansicht \ kutischen Eisenofen.
Fig. 13. Einen Durchschnitt derselben.
Fig. 14 Desgl. nach der Liiiie oft des Gnmdrisses.
Fig. 15. j pj^ Jakulischen Messkasten fiir Erze. '
Fig. 16. S
GeogDostische Bemerkungen iiber das Wercho-
janer Gebirge und iiber das Vorkommen von
SilberhaltigeD Blderaen an doiu Fiusse
Endybal.
Nacb dem Kussischen
von
Heirn Me gli z kji *).
J^iach deo ubereinsUminenden Angaben mehrerer neuer Rei-
senden iiber dasjenige Gebirge, welches (gegen die Oslkusie
voti Nord-Asien) die VVasserscheide zwischen dem Qrofseil
Ocean und dem Eismeere ausmacht, hat roan das Werchoja*
ner Gebirge offenbar nur als ein antergeordnetes lu betrach-
ten. Zu den vorauglichsten Erhebungen gehort dagegen wohl
sicher diejenige Verlangerung des Jablonoi Chrebet, welche
unler dem Namen Stanowoi Chr., von der Nordostlichsten
Granze des Nerlschinsker Bezirkes, Oslwarts fortsetzt. Diese
verzweigt sich aber sodann auf eine hier etwas naher zu er-
wahnende Weise.
Das Udathal scheint durch eine erste Verzweigung die-
ser Art entstanden, in Folge deren ein Gebirgstheil, unter Bei-
behaliung des urspriinglichen Streichen, Meerwarts fortsetzt
und sich in den Schantarischen Insein wiederum zeigt. Ein
zweiter Hauplzweig des Gebirges slreicht dagegen zwischen
*) Gorny Jurnal 1851. No. 5.
31g Pbysik^lUch - mathematische Wissenscbaften.
N. und O. und umgriinzt au( diese VVeise die Kiislen des
Ochozker Meeres *).
In der Breite von Ochozk (also bei 60° Breile?), erfolgt
eine abermalige Thieilungy indem ausser dem Hauplzweige
der mit dem friiheren^ Streichen die Wasser des Eismeeres
und des Ochozker Meeres zu theilen forlfahrt, ein wesUich
gewandter die H5hen zwiscben den Quellen der Jana von
den Zufliissen (des unleren nach WNW. gerichtelen Theiles)
des Aldan trennt. Es ist dieser das VVerchojaner Gebirge,
welches man demnach als eine Eriiebung von niederer Ord-
nung zu betrachten haL Freilich fehlt noch zur ^eognosd-
schen Bedeutung dieses Verhaltnisses, dafs man enlscheide,
in wie weit die in Rede slehenden Gebirgstheile von gleich-
arliger und gleichzeitiger Entstehung sind.
Das eigentlich so ■ zu nennende VVerchojaner Gebirge,
streichl also etwa NW. zwiscben den Meridianen von
127''^ und 136 0. v. Paris *). Es bildet auf dieser Strecke
die Wasserscheide, zwiscben dem rechten Ufer des (dort nach
WNVV. fliefsenden) Aldanes und den* Zuflussen der Jana. Bei
der Mundung des Aldaues in die Lena, beginnen dagegen wa-
ders streiohende Berge, welche unler dem Namen der Orul*
ganischen, den Lauf der Lena bis zum Eismeer begranien.
Die in Rede stehende Uniersuchung des VVerchojaoiscben
Gebirges, geschah nun langs eines nach N. 37®|5 0. gerich-r
leten Weges, welcher das Slreichen dieser Kelte und der zu
'*') Es ist dasjenige Gebilrge gemeint, welcbes icb iiberall onier dem
Namen des Aldanischen Gebirges bezeichnet babe, weil man aaf dem
Wege nacb Ocbozk leinen wesUicben Abbang nacb Ueberachreitnng
des etwa NNO.licb gericbteten Aldanflasses erreichen, and welcbes
den Namen eines nntergeordneten den Herrn M. ibm geben wiU,
deswegen nicbt verdient, weil es bochst wabrscbeinliob in die rocky
moontains and die Anden iibergeht. Vergl. in d. Arcb. Bd, V. S. 222,
Bd. VII. S. 743. Erman,
••) Vergl. meine Geognost. Skizze von Nord-Asien za diesem Arcbive
Bd. II., aaf welcber die Werchojaniscben oder Werchojansker Berge
in der Tbat aaf diese Weise angedeotet sind. Erman.
Geognostische Bemerkangen iiber das WerchojaRer Gebirge etc. 319
ihr gehSrigen Gebirgsarten unler 7&® durchschneidet. Ge-
nauer genommen, streicht oamlich dieselbe in jener Gegend
nach N. 37^,5 W., wie man es vermoge der Trenming ihrer
Bergmasse in einselne kleinere Ketlen s«hr beslimmi erkehnt.
In den Vorbergen die dem Aidanfiusse zunacbst liegen, findet
man abgerundele Farmen- und sehr langsam wachaende Hd-^
hen, bis dafs plotzlich, und namentlich in dem Bailyk-Thalej
felsige und sehr sleiie Serge an ihre Stelle (reten, deren ge«
genseiiiger Zusammenhang jenes aben genannle Streich^n
verralh. Es gilt dies iibrigens nur von der gegenseitigen Lage
der hochsten Punkke, wahrend swischen denselben untergeord-
nete Verbindungskeiten von geringerer Hdhe und schwaehe-
rer Neigung der AbhSnge Jiegeo. Diese Hdheti zweil^r Ord*
nung sind- dennoch von gans gleiehem Bau mil den Haupt-
bdhen, und verdanken das Ansebn von Selbstetandigkeil nur
dem mehr oder weniger siarken Fallen der Sehichien, welches
den Angriff der Tageswasser an verschiedenen Stellen in un^
gleicbem Maa&e begiinsligl. Eben deshalb sind diese HShen
aia wahre Uebergange der abgerundelep Gipfel in die felsi-
gen Keiien der Mitle des Gebirges su betraehten.
Zum Beweise des machligen Einflusses der Atmosphari-
lien auf die Gestall des in Rede stehenden Gebirges, sieht
man an den Abhanlgen sammllicher zu ihnen gehSrigen Ket-
ten, Triimmerhaufen angelagert, die sich durcb die fortschrei-*
lende Zerstorung ibrer Gipfel gebildet haben, so wie auch
Felssaulen auf dem zur Seite des Bailyk-FIusses gelegenen
Kammen.
Ein Durchschnitt des siidlichem Abhanges des Wercho-
janischen Gebirges, wiirde wellenformige Schichten zeigen^ die
bald steil begranzt sind, bald durch weii ausgedehnle Abhange.
Verfolgt man diese Welienlinien genauer, iddem man in Ge-
danken die durch Verwitterung schon verschwundenen Hiigel
wieder erganzt, so zeigt sich, dafs die urspriinglich steiler fal*
lenden Schichten einen slarkeren Angriff erfahren haben als
die sanfter gepeigten. Aus diesem Grunde 6ndet man jetzt
auf den hochsten Punkten theils horizontale, theils schwach
320 Physikaliscfa^mathematbcfae Wlssenschafien.
faiiende Schichtung, welche durch Verwillerung nur da un-
terbrochen worden isi, wo VertikaJkluften die Wasser und
ieren spaltende Binwirkung durch G«frieren zugelassen haben.
Hohe, mil nackten Klippen versehene Kamme, sind auf diese
Weise namentiich in demjenigen Theile der Siiddeile des tie-
birges entstanden, die aus Sandsteinsdiichlen besteht, undzei*
gen sich seltener, wenn man sich der MiUe des Systemes
nahert.
Das Thai derNera, welches iibeFail innerhalb des unter-
suchten Bezirkes zwischen steil fallendeo Sehichlen ei&es
schwarzen Thonschiefers liegt, isi zu beidenSeiten von hohen
Bergen begranzt, die zwar massiger sind,* (ils die aus Sand-
stein bestehenden, aber immer bewachsene Gipfel zeigen.
Die Festigkeit des Thonschiefers, welche dem Angriff der
Wasser widerstand, hatdaselbstdieZertrummerungbeschrankt;
wahrend durch urspriingliche Zerkliiftung und sleiles Fallen
die Zersfioning der Gipfel begiinstigt wurde. Auch dorl smd
die Abhange mil Triimnaern bedc^kt, aber die. Vegetation die
auf denselben vorkommt beweist, dafs die zersi<lrenden Ein*
wirkungen in der gegenwartigen Peribde entweder aufgehort
Oder doch aufs ausserste abgenommen haben. In dem Sand-
steindistrikt ist es dagegen grade die aOjahrlich erneuerte Zer-
triimmerung der Oberflaehey welche jeden Pflanzenwucfas ver-
hindert
Bei ausserordentlicher Einfachheil des geognostiscfaen
Baues in diesem Gebirge, wiederholen sich in demselben auch
iiberall die eben g^nannten Formen seiner Theile. EineAus-
nahme machen zunachst nur gewisse Berge, in denen fein-
schiefrigerThonschiefer und ein sehr zaherGrauwackensandsleiu
der langsam verwitterti wechsellagern. Diese Bedin-
gung und die mil ihr gleichzeitig vorkommende, fast hori-
zontale Lage der Schichten, verursacht Treppenahnliche Ab-
hange, an welchen der feste Sandstein Vorspriinge aus dem
zersetzbareren Thonschiefer bildet.
Eine Zerkliiftung ist besonders in dem Schieferbezirke
auffallend und von bedeutendem Einflusse auf das Aeussere
Geognostiflche BenMrkangen uber das Werobajftner Gebirge etc. 821
der Berge. So findet man oft in den Schluchten, welche
Bache oder auch nur Quellen enlhaUen, ungeheure Massen
der genannten Gebirgsart, die man aiif den ersten Biick fiir
das Ausgehende von Sehichlen halten wUrde, obgieich
man sich demnachst durch ihr Fallen und Streiehen iiber-
zeugl, dafs sie nur von den umgebenden Abhfingen losge-
lost sind. Eine dergleichen Masse in der Nahe der Endyba-
Jer Anbrilche ist 40 5a;en lang und 10 Sajen hoch und hat
sich in Folge des sleilen Fallens der ongrSnzenden Schichten
voUstandig iiberstiirzL
Attf dem von den Reisenden befolgten Wege Tallt die
Wasserscheide 9 die sie bei dem See 5uluntsehak erreichten»
mit der Verbindungslinie der Hauptgipfel des Gebirges keines-
wegs susammen. Die letslere liegt vielmehr siidlicher und
namentlich bei dem Flusse Bailyk. Herr Meglizkji hat aus
Mangel an Instmmenten durehaus keine Hohe gemessen *).
Alle ThSler des Wercbojansker Syslemes sind durch He*
bungen entstanden und durch atmospharische Einfliisse Dur
etwas umgestahet worden. In dem durehscbrittenen Theiie
desselbeUi haben die einzelnen Strecken der stets gewundenen
Thalsohlen Richtungen, die zwischen SSO. und SSW. varii-
ren **). Die Breite der Thater die nur von steilen G^feln
umgeben sind, wechselt bei den grofseren von 400 bis 600
Sajeaeay betrigt aber in d^ Seitenschluchten bbweilen nur 2
') Sein SchlQss, dafs keiner der dortigen Gipfel die Hohe Yon 3800 F.
iiber dem Meere erreiche ,,weil keiner ?on^ihnen mit Schnee bedeckt
sei and weil die Schneegranze zwischen 64" and 65" Br.
injener Hohe liege**, ist natnrlich dorchans anbegrandet, da
man an eine Abhangigkeit der Hohe der Schneegr&nze Yon der Breite
aUeifl, nan wobl endltch za glanben aafgehort, and grade aus jener
Gegend der Brde so entschiedene and so merkwardige Widerlegon-
gen dieser beschrankten Ansicht erhalten hat K.
*) Mit dem oben angegebenen Streichen des Gebirges bilden aber diese
beiden Richtangen, Winkel von respektive 60" and 15", so dafs man
nicht recht weiss ob Herr M. jene Thaler als Queer- oder als
Langen thaler betrachten will. B.
322 Phystkaliieh - mathematitche Wistensehaften.
bis 3 SajJi In den HaupUhalern kommen weder so belrachtliche
Verengerungen noch auch uberhaupt dergieicben vor; wah-
rend man in den Quellscfaloehten immer auffallende Erwei*
teruhgen und gleichzeitig eine geringere Neigung der Sohle
findet, in Folge deren in denselben stehende Wasser, dorch
welche die^Quellen genahrl werden, sicfa den gansen Somaier
iiber erhaiUn. Die von solchen Steilen ausgehenden Bache
fliefsen dann in ausserst steilwandigen Felsschiuehlen, derei\
Boden mit Gesieintriimmern bedeckt isL
In den grofsen Thalern ist die Sohle mit einer ununter-
brochenen Schicht von Rollsteinen bedeckt > deren Dimensio-
nen, nach^Mafsgabe der Annahenmg an die Gipfel des Gebir-
g€S| zunehmen. Die mineralogische Beschaflenheit dieser
Gerdlie ist ausserordentlieh einf5rmig, und dieselbe wie die
der nachst gelegenen Berge. - Da aber ihre Abirundung oft
auf Anschwemmung aos belraditlicher Feme deatet, so ersieht
man dab tier Niederschlage aus ein und derselben geologi-
schen Periode iiber grofse Riiume verbreitet sind Die slarke
Verwitterbarkeit der Sandsteine erUart auch die Sandan*
schwemmuogen, die man in den grofeen Tbalern an vielen
Steilen findeL Da aber aus vielen iderselben der Sand durch
die periodischen Anschwellungen der Gebirgswasser bis in
den Aldan und in die Lena geschwemmt wird, so bleiben an
ihren Wanden nur die grdfseren GeroUe und Feistniami^ su-
riicjcy auf denen jede Vegetation fehlt. — Wo dagegen die
Stromung wahrend jener Anschwellungen durch ortliche Ver-
haltnisse vermindert wird, bilden sich bleibende Sandbanke,
die dann schnell durch Weiden und andres Strauchwerk be*
festigt werden. Alle Thalweitungen sind auf diese Weise mit
kleinen Inseln versehen worden.
Zu den bemerkenswerthen Eigenthiimlicbkeiten dieser Ge*
gend gehoren auch die Eisanhaufungen, welche die Russen
Nakipi und die Jakuten Taryn nennen. Sie bilden nicht sel-
ten eine Schicht, die das Thai seiner ganzen Breite nach ein-
nimmt und durch welche die Flusse sich dann ihren Weg zu
bahnen haben. Herr M. der es fiir wahrscheinlich halt, dafs
Geognostische Bemerkangen iiber das Wercho|ftner Gebirge etc. 323
ihre Entstehung mil dem Anschwclien der Wasser im Herbsle
zusammenhange, fand sie in den Thalern fast ailer betrachtli-
chen Fliisse des in Rede stehenden Systemes. Sie beslehen
uberall aus v5Uig horizoniaJen Schichten, von etwa 2,2 E. Z.
Dicke und sind selbsl von 8 bis 9,5 E. FuCs machlig. (Jnlei*
der schmeizenden Einwirkung der Sonnenslrahlen und .des
Regens, biiden sich an der Oberflache dieser Eismassen pris-
matische Theilongen. Das Jabr 1850 war in jener Gegend
ungewdhnUch arm an Regen und halte einen nur mafisig
warnien Somsier. Die in diesem Jahre vorgekommene Scbmel-
zung der Taryn, kann daher nicht fur mafsgebend gelten, da
sie aber an den meislen Stellen jenen Eismassen eine Dicke
von 10 bis 1 1 Zoll gelassen halie, so darf man wohl schlies-
sen, dafs dieseiben da wo aie durch Berge vor den direklen
Sonnenslralen geschiilzt-sind, nur etwa in sehr heissen oder
sehr regnerischen Sommern volislandig verschwinden. — Uire
Enlsiehung isi im Zusammenhange mil dem Austrili der Was-
ser im Fruhjahr*), welche dann die ganze Thalsohle be«
decken. Zahlreiche Anschwemmungen von Baumstammen,
die den Reisenden viel Beschwerden verursachten , beweisen
dafs Damme, die in diesen Thalern durch ungewShniich hohe
Fluthen enistanden sind, den haufiger vorkommenden spaieren
Anschweliungen der Thalwasser widerstehen **). Der Unter-
schied zwischen Tag- und Nacht-Temper<iiuren, die hier durch
benachbarie Gebirgsgipfel noch vermehrt wird, macht die in
den Monaten Marz, April i September und October austreten-*
dem Wasser gefrieren, und verwandelt sioi der Natur des
Herganges nach, in geschichtetes Eis.
*) So slebt in der That an dieser Sti^e des Rttssaadien Anftatzet, und
eben so entscbieden wird an mebreren fr'dheren: „dem Anscbwel-
len Oder dem Austritt der Wasser imHerbst**, dasselbe zii-
geschrieben was bier die Friihjabrswasser tban sollen, bis dais end-
lich drittens etwas weiCer onten an eine gleichartige Wirkung bei-
der Jabreszeiten provozirt wird. D. Uebers.
**) Dieses scbeint etwa der Sinn der etwas nnklaren Steele des Russisch.
Anisatzes. D. Uebcvs*
324 Physikaiisch-mathematische Wiasentchafteii.
Die Hohe der pcriodiscben Anschwellungen ersiehl man
durch gewisseSeen, die in alien grolseren Thalern noch aus-
ser denjenigen vorkommen , welche die Quellen speisen und
nieinals austrocknen. Die ersteren entstehen namlich offen-
bar nur durch dasAustrelen des Flusswassers. — Der groCsie
uM merkwiirdigste unter den ielzteren ist der drei WersI
lange jSuIontschak , der auf der Wasserscheide liegt Er war
am IL Juli zu grfifslem Theiie mit Fas bedeckt
Seiner geognosUschen Beschaffenheil nach bal man das
Werchojanische Gebirge in drei Unterabtheilungeii zu belrach-
ten namlich:
1) die plutonischen Formaiioiien,
2) die geschichteten von alter Enlslehung und
3) die geschichteten von neuer Entstehung.
Zu den ersteren gehoren Granit, Feldsteinporphyr
und die Erzgange vom Endybai.
Der Or an it der aus sehr gleichmassig vertheiltem Quarz,
Feldspalh und einem bisweilen durch Hornblende erselzlen
Glimmer besteht^ ist im Werchojaner Gebirge oflenbar sehr
selten, denn trotz angelentlichen Suchens hat man ihn nur an
sehr wenigen Punkten getroffen. Er bildet nirgends eioe
selbstandige Ketle von Berggipfeln, sondern zeigt sieh nur in
der Mitte des Systemes an einigen Stellen, an denen ihn die
Wasserspiilung auf eiiiige Quadratfaden entblofst hat!
I3ei seinem gang^rligen Austritt in die umgebenden, bti
weitem massenhafteren Schichten, hat er daher auch deren
Lage durchaus nicht geandert. Haufige Brudie und Biegun-
gen in diesen letzteren, so wie auch die steile Stellung, ihrer
Schichten beweisen dafs sie dennoch die starksten Einwirkun-
gen hebender Krafte erfahren haben.
Es ist schon oben erwahnt worden, dafs die Anschwem*
mungeh in den Thalern von auffallend gleichartiger Beschaf-
fenheil mit den umgebenden Bergen sind. Herr M. hat aber
iinter diesen Trummermassen gar keinen Granil bemerkt und
belrachtei dieses al$ einen neuen Beweis fiir die geringe Aus-
dehnung, welche diese Gebirgsart an der Oberflacbe einmmmt
Geognostisclie Beinerkungen Uber das Wercliojaner Gebirge etc. 325
und sagt endlich, dafs man die Slellen, an denen er ihn an-
slehcnd gesehen habe, wohl als Auslaufer einer eirizigen (un-
lerirdischen?) Hauptmasse sii betrachlen habe*). Mii dieser
Ansicht lasse «s sich auch vereinigen, da(s der Thonficbiefer
zu beiden Seiten jener kleineren granitischen Enlblfifsungen
ein and dasselbe Fallen besitze. Die ThaUache, dafs der
Granit trotz seiner (wahrscheinlichen) Einwirkung auf die
Schichtensiellung nur so wenig an die Oberfliiche getreten ist,
sei dann auch in lechnischer Beziehung wichlig, indem sie
die Hoffiiung auf Blei- und Silbergiinge in diesera Theile des
Gebirges bedeulend verringere.
Der Feldsteinporphyr bildet bei den Endybaler Blei*
anbriichen und in deren Uoigebung, eine Reibe von GSngen^
die offenbar mil der Erzbildung eng zusammenhangen. Seine
uiineralogische Beschaffenheit ist in eben jenen Gangen die*
selbe. Er bestehl aus einer derben gelblichen und bisweilen
schwach roihlichen Hauplmassey in welcher weisse durch-
sichtige Quarzkrystalie liegen. Diese Gebirgsart ist an
sich iiusserst Test Durch Verwitlerung wird aber ihre Haupt-
masse in einen wassen Thon verwandelt. Die Gauge dieses
Porphyrs sind 7 bis 18 Fufs mcahtig. Sie streichen sehr iiber-
einstimmend und gleichmafsig auf betracbtliehe Strecken nach
N.75^0. Ihr Attsgehendes isl mii Reibungsconglomeraten um*
geben und in der Niihe des Thonschiefers findet man in dem
Feldsteinporphyr Bruchstucke dieses gesctuchteien Gesleines.
Einige dieser Gange steben so gut als seiger und die iibrigen
haben ein zwischen 75® und 85® betragendes Fallen. Zu bei-
den Seiten derselben lassen sich die Thonschieferschichten in
gonz ungeanderter Lage verfolgen und es scheint daher als
sei hier jene feuerfliissige Gebirgsart auf schon ferligen Kliif-
*) Es ist sehr bemerkenswertb, dafs dordiaus Aehnltches iiber die Ver-
haltnisse des Granits in dem Aldauischen Gebirge von Krman beob-
acbtet and aosgesprochen ■ worde in: Reise urn die Erde Abthl. I. Bd. 2.
S. 361, 366, 360 and „ iiber die geognostischen Verhfittnisse Ton
Nord-Asien" in d. Arch. Bd. III. S. 17§.
326 PliysikalUoh - matheniatitche Wissenschaften*
(en liervorgedrungen, obgleich sie bisweilen ein Systeoi von
seitlichen Spallen in dem Thonschiefer veranlasst hat.
Die gleichzeitige Untersuchung der Porphyrg&nge und
der Anbriiche der Silberhalligen Bleierze hat gezeigt, dafs diese
lelzteren nur durch jene Gesteinsgange bedingi sind und dafs
sich daher der Erzgehait des Werchojanischen Gebirges grade
so weit erstreckt, wie dessen Gange von FeJdsleinporphyr.
Man hat dieses noch besonders aus dem (Jiustande geschlos*
sen, dafs die Crzgange als untergeordnete Bildungen iiberall
anstehen, wo einige Porphyrgange> wenn auch von ganz un-
betrachtlicher Erstreekung sichtbar sind und dafs auch unter
diesen Verhiillnissen das Streichen und Fallen der ersleren,
von der Lage der ausgehenden Thonschieferchichten gans un-
abhSngig bieibt. Eine andere Bestaligung jener mehrerwahn-
ten Abhangigkeii liegt darin, dafs diejenigen Erze, die in eiwas
grSfserer Enifemung von den Porphyrgangen .vorkonamen,
eines ihrer ausgezeichnetsten Merkmale verlieren, indem diese
nach Streichen und Fallen sich wie wahre Zwischenlager
des Thonschiefers verhalten.
Der Berg der das mehrgenannte Erzvorkominen am kiei-
nen Endybal enthalt, bildet zwischen dem linken Ufer dieses
Flusses und einem seiner Zufliisse ein Dreieck, von dem ein
spitzer Winkel gegen Sikien gekehrt ist. Der S.W.-Abhang
dieses Berges ist eine fast senkrechle Felswand, die sich 2,5 .
Worst weit erslreckt und iiberall 60 bis 75 5aj. boch ist Der
Ost-Abhang ist ebenfalls sehr felsig, wahrend der SiidSstliche
sich mil einer Neigung von nur 30® bis 32® an die Ebene
anschlielst.
Die Oberflache dieses Berges ist flach bis auf eine von
Siiden nach Norden gerichlete Reihe von Hiigeln. — Er be-
steht seiner Hauptmasse nach aus schwarzem Thonschiefer*
und aus Grauwackensandstein, deren wechsellagemde Schich-
ten sehr bestandig nach N. 26® W. streichen, und auch in
ihrem Fallen nur sehr allmahlige Wechsel zeigen. Die Ge-
sammlmasse dieses Berges ist nach dreien Richtungen von
Spalten durchsetzl. Zwei dieser Richtungen begranzen die
Geegnostiscbe Bein«rkung:en aber das Werobojaner Gebirge etc. 337
Eralager und die dritle nach N. 30® W.*), liegl dem Laufe
des Endybal parallel und hat zur Bildung des S.W.^Abhanges
beigelragen, dessen Oberflache daiin auch mit, zTim Theii erst
kiirzlich abgelosten, Triimmetn bedeckt ist. — Bei der aus-
schliefslichen Beziehung der Erzgange auf zwei jener Spal-
lungsrichtungen^kann man behaupten, dafs die drilte nach N.
30® W., weit spater eingetreten ist und vieUeiclil auch noch
jeizt zu wirken forifahrL
Von jenen Erzgangen sind 5 gefunden Worden, deren
Mdchligkeit von 1,8 bis 4,4 Engl. Zoll betragt. Zwei dersel-
ben liegen am S.W.-Abhange, nahe bei dem Siid-Ende des
Berges und die drei iibrigen an demselben Abhange gegen
1,8 Werst von Jenen und unmilielbar neben einer Suite von
Pcrrphyrgangen. Einige Ve'rschiedenheiten zwischen beiden
Gruppen sind erwahnungswerth, weil sie wahrscheinlich in
veTschiedenen Bedingungen des Auslretens derselben ihren
Grund haben.
Die ersteren von den Porphyrgfingen enlfernteren Erz*
gange sind 2,6 bis 4,4 Zoli machtig, sireichen nach N.26®0.
and fallen unler 15® nach 0.26® S. In der Nahe derThalsohle
bestehcn sie (fast) ausschliefslich aus Bleiglanz, der durch die
E^nwirkung der Atmosphare oxydirt wird. Schwefelkies von
dem der Bleiglanz eine geringeMenge eingeschlossen enthait,
wird in Eisenoxydhydrat verwandelt, und so entstehen ochrige
Erze, die ausser den Hydraten des Blei- und des Eisenoxydes
noch etwas Quarz, Kalkspath und Bitterspath entbalten, von
denen kleine Mengen in den Gangen vorkoitimen. Eine be-
sondere Regelmafsigkeit in der Ablagerung dieser Bestand-
theile der Gange ist in dem Horizonte der Thalsohle nicht zu
bemerken;.
Der Bleiglanz und die ocherigen Erze, welche die Haupt*
masse ausmachen, entbalten den Schwefelkies und die iibrigen
Mineralien nach Art von zufalligen Einschliissen. Eine Ver-
gleichung des Hangenden und Li^enden dieser Gange zeigt,
*) Abo doGb so gQt als identisch mit dem Streicben! E.
Ermans Rass. Archiv. Bd. XI. H. S. 22
028 Phytlkalisch-iiiathematische Wissentchaften.
dafs dieselben bei ihrem Durchgange durch Thohscbiefer und
durch Grauwacke nach Mafsgabe der Dicbtheil dieser Gebirgs*
arlen mehr oder weniger scharf begranst sind. So kann man
z. B. an einem der Gange der im Hangenden an einen sehr
(esten Thonschiefer granzi, in diesem durchaus keine Spuren
von Erzen wahrnehroen, wahrend sein aus Grauwaekensand*
slein bestehendes . Liegende mil belrachtUchen Mengen von
Bleiglanz und Schwefelkies durchsetzt ist. Uebrigens fiodet
sich die beschriebne Zusammensetzung an dem oben erwahn*
ten Gange nur innerhalb einerHohe von einigen^ Fulsen* Sie
wird oberhalb dieser Granze eine vollig andere. Eisenglans
der zuerst in geringer Menge hinzutrilt, verdrangt bald deii
Bleiglanz vollsliindig und fiilit dann ausschiieislich alle Neben-
trume, welche von dem Gange selbst nach alien Richtungen
auslaufen und sich verschniiren.
Die rhomboedrischen Krystalle des Eisenglanzes sind aus^
serordenllich schon ausgebildet und zeigen alle mSglichen
Uebergange von 3 bis 4 Linien Seilenliinge, bis zu mikrosko-
pischer Kleinheit. Ihre Grolise ist durch die des Raumes in
dein sie sich gebildet haben und durch die Abkiihlung die in
demselben vorkam, bedingl worden, und so sind denn die
engsten Spalten mit fein kryslallischem oder auch dicht schei-
nendem Eisenglanz geriillt, wahrend Krystalle von ausgezeich-*
neter Schonheit und belrachllicher Grdfse in Hohlungen des
Hauptganges vx)rkommen.
Eine andre Suite von Erzgangen, die unnailtelbar mit dem
Austritt des Feldsteinporphyrs zusammenhangt, unterscheidet
sich von der eben beschriebn^n :
1) durch ihr Streichen und Fallen;
2) durch ihre Beziehungen zu den umgebenden Gebirgs-
arlen;
3) durch ihre mineralogische Beschaffenheit und
4) durch die Anordnung ihrer Bestandtheile.
Sie streichen nach N. 22° 0. und fallen so steil und so ab-
weichend von den Schiefern, dafs eben dadurch ihre ganz-
liche Unabhangigkeil von diesen umgebenden Gebirgsarten und
Geognostiscbe Bemerkangen iiber das Werchojaoer Gebirge etc. ^9
ihre Entstehung durch die Porphyrgange bewiesen wird. ^^
Von den Gangen des erstenZuges, dieLagern ahnlicber sind,
uhterscheiden sich die in Rede stehenden durch hauGge Er-
weiterungen und Verengerungen. Im Miltei ist ihre Mach-
tigkeit so wie die zuvor erwahnle und sie besiehen an den
iiefslen Funiclen (die man erreicfat hat!) aus: Bleiglanz und
Schwefelkies und in ihrem Ausgehenden ausschiiefslich aus
dem letzteren. Wo beide genannte Erse zusammen und in
gleicher Menge vorkommen, findet man sie immer bandfdnnig
abgelagert Der Schwefelkies liegl dann zu beiden Seiten zu*-
nachst am Nebengestein, wahrend derBleiglanz und die oxy*
dirten Erze allerniren und die Miilen der Gange einnehmen.
Alles bisker Beschriebene findet sich auf einer Strecke
von weniger als 2 Werst, und da innerhalb dieser die zwei
Ziige oder Systeme von Gangen in ihrem Streichen und Fal«
len sehr verschieden, in ihrer chemischen Beschaifenheii aber
iibereinstimmend sind, so hat man sie offenbar als Auslaufer
ein und derselben Hauptmasse zu betrachten. Ihre.Abhangig*
keit von dem Austritt des Feldspathporphyrs beweist aber,
dais jene grdfsere Erzmasse doch zu klein war um selbstSn-
dig zu Tage zu kommen(!!).
An dem Ostabhange des Berges zeigt sich, dafs die Eisen-
glanz-Tmme oder Schniire dem Streichen des Thonschiefers
ununterbrocfaen auf einer Strecke von 1^ Werst folgen. Die-
ser Eisenglanz bildet, wie aus allemGesagten hervorgeht, den
zuverlassigslen Wegweiser bei der Untersuchung des Endy-
baler Vorkommens.
Yon eigentlich meiamorpbischen Gebirgsarken isi im Wer-
chojanlschen Gebirge nichls zu sehen. Die machtigen Thon-
scbieferschichten, welche die Mi tie desselben einnehmen, sind
zwar ohne Versteinerungen, gehen aber so allmlAlig und fasi
untrennbarer Weise in palaozoische iiber, dais man sie kaum
metamorphisch nennen kann.
Ihrer mineralogischen Beschaffenheit nach sind die Thon^
schiefer, die zusammen mit Grauwackensandstein den ganzen
Raum von den Quellen des Bailyk bis zu den Endybaier An**
22*
330 PhysikalUch^mathematiscbe Wiisenscbaften,
briichen einnehmen, meist reine Tafeischiefer. Sie siodl iiberall
dunkelgrao, von ganz verflossenem oder ausserst f^nkdrnigein
Gefiige und sehr ieicht irennbar nach den SchieferungsQachen.
Zu den Eigenihumfichkeiten dieses Gesteines geboren kugiiche
Absonderungen von 0^ bis i Zoll im Durchinesser^ die ein
Hornsleinahnliches Ansehn haben^ wahrscheinlich aber dennoch
Bur durch modi6^rie Mollekularwirkungen aus der Hauplmasse
des Schiefers enistanden sind.
Ausserdem finden sieh nieht selien an beiden Abhangen
des Gebirges SchwefelkiesknoUen, die auf den SchidhtenabJo-
sungen in dem Thonschiefer eingelagert scheinen* Die durcli
Verwittei'ung aus ihnen gebildeteSchwefelsaiire, hat oft neue
Verbindungen veranlasst^ welche theils auf den Kliiftetf des
Thonsehiefers auswittern, theils auf Siimpfen und in stehenden
Wassern als Eisenocher erseheinen.
Der Grauwackensandstein ist fast ebenso verbreitei
wie der Thonschiefer. Man find«t ihn (auf dem in Rede 8te«-
henden Weg) zuerst bei den Quelien des Bailyk. Er zeigt
stch meistens als^ ein feinkorniges Gemenge von Quarzkornlsm
mit feinen Bruchstucken von schwarzem Schiefer. Diese bei-
den Bestandtheile scheinen in den versehiedenen SchichteD
ganz regellos vertheilt. Bisweilen ist der Qi^arz so gut als
alleinherrschend in einem gelblichen thonigen Bindemittel ein-
geschlossen. Der Sandstein erreicht dann seine grSlsieHarte
und eine heUgraue Farbung. An anderen Stellen Wird dnreh
den Zutrilt von Schiefer diese Farbe erst dunkelgrau, dann
griinlich- und endlicfa schwarz, wahrend das Gefiige von dem
feinkfirnigen ins dichte iibergeht In einigen Schiobten dieses
Sandsteines finden sich auch Glimmerblatter, aber nur als sehr
untergeordnete Beimengung, auch findet sich bisweilen ein
wenig Kalk in dem thonigen Bindemittel, dessen M^ige oft
durch die der Quarzkorner in dem Gesteine eng begranzt
wird. —
Dieser Grauwackensandstein ist nun iiberall zwischen dem
Schiefer regelmafsig eingelagert, so dafs beide gleichmafsig
nach N. 37^^ W. streichen, und unler Winkein von 50^ bis
Geognottiaebe BcMerfciugen fiber da* 1¥f rehojaner ^birge etc. 331
75^ nach der Ost- oder nacb der W6st-Seite dieses Sireicben
faHen. Die glnchzeitige Ealseining dieser beidetiGebirgssften
unterliegi demnach keinen ZwetfeL — Der Sandslein unler*
scbeidel sicb noch durch weit grS6ere Fesligkeil von desi
Thonscbiefer,. der meisi von ^aken durebsttal und in kleine
Siiicke gcibeilt isL Es kommt daber, dafa das Ausgehende
sleii fallender Schicbten, so wie &• B. an dem See 5uhinlsehak|
parailele hervorragende Riicken bildel^ die diirch Scblucbten
mit sanften Abbangen geUrennl sind. Dureh densdben Um^
stand entsieben aucb stufenabnlicbe Vorragungen an den Berg-
abbangen, wenn die Scbicblen flaober fallen. Dieses xeigi
aieb namentlicb in der G^end der Endy baler Anbriicbe, wo
man die Zabl dieser Slufen slets mil der der Grauwacken^
scbicblen iibereinslimniend findet.
An dem See Suluntscbak fanden sieb imGrauwacken-
sandslein Versteinerungen, die lu Productus und Rbo-
docrinus geboren. ,,Da nun diese organiscben Einseblusse
,^fur die mil dem Bergkalke gleicbseiUgen Gebirgsarten, cba-
y,rakieristiscb sind, so scbeini aucb der Name Grauwacken-
„sandsiein, der dieser Gebirgsarl nur nacb ibrer mineraiogiscbeh
^Bescbaffenbeit gegeben wurde, genugsam gerecbtferligt.**
Aucb in den Tbonscbiefern kommen Versteinerungen
vor: leider aber solcbe/ die, ehva liiil Ausnabme der eigentlieb
Siiuriscben Scbicbteki, aus alien Giiedem der palaosoiscben
Gruppe bekannt sind. Diese organiscfaen Resle sind immer
auf diinne Zwiscbenlager awiscben anderen Versleinerungs-
leeren Scbicblen besdirankl, so a. B. in den Schiefem v6m
liiiken Ufer des Baches Sjaman-Urjacb, wo Crinoideen, und
die Gallungen Po8idonomia(?) undTerebralula geseben
wurden. —
Bei dem Urspnuig des Flusses Suluntsch fand man ein
diinnes Zwiscbenlager, welcbes fasl ausscblieblieb ausUeber-
resten von Brachiopoden '^) besleht
^) Ob and weslialb diese nicht naher zu bestimmen sind, wird nicht
gesagt. D. Uebers.
332 PkyBiMifch-mathematitcte Wlnenidiafteii:
Obgleich nun die gefandeaen Versteineriingen wie schon
gesagly jauek in den akesien palaOKoiachen Formationen vor-
kouuneDy ao glaubi Herr M. dennoch, die fragliohen Scbichteo
mil einiger Wahrscheinlichkeit sur Periode des Bergkalkes
rechnen zu k5nn«n« i»Einige (nichi naber besiimmte) aarie
Pflansenabdriicke,'' die Kuaammen mit jenen Veraleinerungen
vorkamen, aoUen diese Ansichl unierstulsen.
Zu gam jungen FloUbildungen gehoren fiusaerst miich*
lige Sandsteine, welche beinab swei Driitel des Siidabbanges
des Werchojanischen Gebirges einnehmen. Sie bealehen aus
feinen Quarskornern in einem Ihonigen BindemiUel, erhallen
aber sehr verschiedenarligea Ansehen durch Beimengungeu
von Glimmer, Sleinkohlen und verkohUen Pflansenreslen.
Sie sind ausserst reicb an vegetabiliscben Resten, doch
bescbranken sich diese auf dermalsen undeuUiche Abdrlicke,
daCs durcbaus keine Bealimmung dei*selben geiungen iat Von
Blaiiem sind aur gewisse gegen 2 Zoll iange und 1,5 bis 2
Linien breite bemerkt worden.
DieFarbe dieser Sandsleine istmeisiens hellgelb, die aber
durch Aendrungen in dem ihonigen Bindemittel in grau und
durch Zulritt von GlimmerblaUem in dunkelgrau ubergeht
Das Gefiige bleibt stets komig und eben desbalb aBe Pflan-
Kenabdrucke undeuliclK Das Sireicben und Fallen die*
ser Schichten ist von dem der bisher beschriebe-
nen Schiefer kaum verschieden.
Es wurde schon oben bemerkt, dab ein QuerscfaniU des
S.W.-Abbanges des in Rede slehenden Gebirges, Wellenlinien
von sehr betrachtlichen Dimensionen xeigen wiirde. Dem-
gemafs findet man nun auch an den Sandsteinsehichlen bei
fast constantem Streichen nach N. 37^5 W. bis N. 45^ W.
bald ein sehr schwaches Fallen naeh der siidweslUchen,
bald ein starkes nach der nordosliichen Seile dieser Linie.
Zwischen den Sandsteinsehichlen bemeikt man nicht selten
diinne Zwischenlager von Steinkohle, die aber gegen die ein-
schlielsende Masse zu unbedeutend scheinen um das Gesiein
desbalb zur Koblenformaiion zu rechnen.
Geegnottische Bemerkvngtn liber dM Werchoj«i«r <a«birge ete. 333
Die Sandsleine die den ganzen S. W.-Abhang des Wercho-
janischen Gebirges einnefamen, bilden auch dieUfer der Lena
und des Aldanes. Von den Orauwackensandsteinen und Thon-
schiefern der Mitie des Gebirges , Irennen sie gevvisse Schie-
ferthone, die gleichfalls mit Sandsleioen weehsellagern. Man
fand diese scbon friiher an den Fliissen S^uordach und Kljug,
von denen der letolere in den Bailyk miindet Der Scbiefer-
thon enihalt PflansenabdrQckei die den zuvor erwahnien un-
deuUichen ganz ahniich sind und deren Bestimmung keinen
Z weifel uber das Alter der Schichten , in denen sie vorkom-
men, lassen wird *). Diese sind zwar ihrer Lagerung zufolge,
alter als die Sandsteine am Bailyk und von den Ufem der
Lena und des Aldan: es bleibt aber doch nicht zweifelhaft,
dais sie sich zu diesen, nur wie Unierabtheilungen ein und
derselben Formation verbalten. Wechsel mit Schieferthon
finden sich auch noch in den untersten Schichten der jUnge-
ren Ablheilung dieser Sandsteine und verschwinden gegen
das Hangende so allmahlig, dafs man auf ihnen keine scharfe
Trennung zweier Schichiencomplexe begriinden kann.
Von neuesten Bildungen findet man Thon und Sandstein-
schichten, die durch Zertriimmerung aus den Gesteinen des
Werchojanischen Gebirges entstanden sind. Dais diese zu
den jiingsten Tertiar-Schichten gehoren, ersieht man aus den
Mammuttahnen, die sich oft an den aus ihnen bestehenden
Abhangen zeigen. Diese Zahne sind so schlecht erhallen^
dafs sie keinerlei technische Anwendung zulassen.
Der Verfasser wiederholt nun seine Ansichlen uber die
im Werchojanischen Gebirge und dessen Umgebungen beob-
achteten Bildungen noch einmal in folgender Zusammen-
stellung :
*) Ob Herr M. dergleichen Abdriicke mitgenoromen bat und wohin die-
selben dann gekommen sind, ersiebt man dorcbaus niclit!
D. Uebers.
334 Ph78ilL«liioh->jnlitliematiBehe WiMmscbaften.
I. Palaozoische Periode.
A. Bergkalk-Formalion.
1) Tbonschiefer und Grauwackehsandstein ohne Verstei-
herungen von den Endybaler Anbrochen.
2) Tbonschiefer und Grauwackensandstein welcbe ent-
halten:
Rbodocrinus verus, Productus relicularis und Po-
^sidonomia miniita(?).
£f. Steinkobleo Sandsteio.
3) Sandsteine mil Scbiefertbon und Pflanzenabdriicken
bis zum Bailjkfluss.
4) Sandstein mit Scbieferihon, Conglomeraten und Stein-
koble von dem Flusse Suordach.
IL Tertiar-Periode. .
I) Junge terliare Ablagerungen am Aldanflasse.
III. Neueste Bildungen.
1) Die Anscbwemmungen in den Tbalern des Wercho-
janischen Gebirges^ so wie die Insein an der Miindung
des Aldan und in der Lena.
IV. Plutoniscbe Gesteine.
1) Granii, Feldsteinporpbyr und Gange von Silberhalti-
gen Bleierzen.
Obgleicb die von unten wirkenden Gesteine nur ala
Gange in die alteren geschichteten gedrungen sind, so be-
vsreist docb das Streichen dieser letzteren, dafs jene Einwir-
kung eine gleichartige auf bedeutenden Streeken des Werdio-
janischen Gebirges gewesen^ und dafs dieses nacb der Bildung
der Steinkohlengruppe gehoben worden ist.
Der Folds teinporpbyr scheint zwar da wo er sich
zeigi eine eigene Erhebungsaxe zu bilden, jedoch diirfle er
Geognostische Bemorkmigvii Ubw das W«rciiojan«r GeMrge etc. 335.
wohl spaler als der Granit hervorgetreieb seiii. U^ber die
Zeit seines Brscheinens ist aber durchaus keine Andealang
vorhanden.
Den Erzgangen hal man wegen iibereinslimmenden
Slreichens eine mit der des Porphyrs gleichzeitige Entslehung
KUi^uschreiben.
Was die Annafatne einer dtni Feldsteinporphyr enl*
sprechenden besonderen Erhebungsaxe betrifft, so wiirde sie
bei der, auf einige Gange beschrankten und daher sehr gering-
fugigen Masse, die sich uber Tage von diesem Gesteine zeigt,
ziemlich unbegriindet erscheinen, wenn nicht das Streichen
des Thonschiefer in der Umgegend des Endybal fiir sie
sprache. Man sieht aus der beiliegenden Wegkarle, dafs die-
ses Streichen, nachdem man es langs des ganzen Gebirges
constant nach N. 37^,5 W. gefunden hat, sich um die Por-
phyrgange der eben genannten Gange platzlich in ein nach
N. 26^,25 O. gerichtetes andert; grade als ob der spaterher-
vorgetretene Porphyr, die bereits durch den Granit be-
dingte Lage der Schichten geandert hatte. —
Zum Schlusse bemerkt nochHerrM., dafs ihni das Vor-
handensein einer besonderen Erhebungsrichtung zwischen dem
Wilui und der Lena nicht wahrscheinlich vorkomme. Na-
mentlich deswegen nicht, weil die in das Unke Ufer der Lena
miindenden Zuflusse, nicht viel Gerolle von krystallinischen
Gesteinen fiihren.
„Die bekannten Granaten vom Wilui konnten wohl fur
nur lokale vulkanische(!!) Erscheinungen sprechen.**
336 Phytikalitch-mathematitehe Wistentehaften.
Um dem TbateachUchen InHemiMeglizkjlB Aafsatz in keiiMrWeiie
za nabe za treten, sind in der Tontehenden Bearbeitnng aadi die theore-
tiscben Ansicbten nnd Folgerungen des Verfassert, von denen man jenes
Tbatsachlicbe oft kaum batte trennen konnen/wiedergegeben. — Ich be-
balte mir aber Tor bei einer andren Gelegenheit zu zeigen, wie die wirk-
licben Beobacbtangen bei dieser Reise sich ansebliefsen an das was frii-
bere Untersacbangen ans von dem Aldaniscben Gebirge gelebrt baben (in
diesem Archive Bd.III. S. 165 a. f., IV. S.330, VL S.229, XI. S.'106), so
wie aoeb von dessen gegen den Marekan nnd das Ochozker Meer gericb-
(eten Ausbreitongen nnd von plntoniscben Gesteinen aaf Kamtscbatka, die
mit dem dicbten Feldspatbporpbyr der ostlicbsten Gebirgsziige des Con-
tinents in genetiscbem Zusammenbange scbeinen.
Erman.
I
I
I
1
1
Die Stadt Turuchansk.
Nach dem Russiscben
von
Herm Kostrow *)-
Oie Griindung von Turuchansk, einer der nSrdiichsten Stadte
yibiriens (denn es liegl unler 66* 55* N. B. u. 85* 18^ O. v. P.),
tallt in das 17. JahrhurderL Als im Jahre 1598 zu dem Za-
ren Fedor Iwanowitsch das Geriicbt gedrungen war^ dafs im
fernen Norden, nahe am Ob» das Land der Samojeden lage,
so ward in demselben Jahre zur naheren Erforschung dieser
Gegend, ein gewisser Fedor Djakow abgeschicki^ welcher bis
zu dem Jeni^ei vordrang. Der einmal angeregte Gedanke^ sich
dieses Slriehes zu bemachtigen, wurde auch in der Folge von
der Regierung nicht aufgegeben, zumal da von Zeit zu Zeil
Geriichte iiber den Reichlhum dieses Landes nach O!*obol«k
drangen. Unter dem Zaren Boris Fedorowitsch wurde im Jahr
1600 an dem Fiusse Ta« ein Sladtchen Namens Manga«eja
gegrundeL Nachdem man sich hier befestigt hatte, wurden
nach alien Richtungen bin Kosakenabtheilungen zum Einlrei-
ben des Ja«ak ausgesandt Nach einigen Tagereisen ostlich
von Manga^eja kamen die Kosaken an den Fluss Turuchan,
und gelanglen ferner bis zo seiner Miindung in den Jeni«ei,
*) Moskwitjanin. Jnli 1851.
338 Pbysikalisch - raaChematische Wissenschaften.
der hier breiter wird, sich in einige Arme IheiU, and eine
ziemlicli grofse, mit kleinen Fichlen und Birken bewachsene
Insel bildet. Die Lage derselben schien den Kosaken zu
einem Wachposlen sehr geeignet, und dem zufolge ward hier
im J. 1609 ein Winlerlager unler dem Namen des Tuiuchans-
kischen errichlet. Kurz nachher ging Manga^eja in Flamtnen
auf, und ward wegen des dortigen ungesunden Klima's und
des sumpfigen Bodens nicht wieder aufgebaut. Auf Be-
fehl des Zaren Alexei Michailowitsch vvurden die Bewohner
■
nach dem Turuchaner Winlerlager ubergesiedelt und bier
eine Siadt unter dem Namen Neu-Manga^eja oder Turu-
chansk erbaut.
Diese 1414 Wer&l v(m Kra^nojar^k u. 1084 Wersl von Jeni-
9ei«k liegende Stadt wird sellen besucht, und sogar nur mo-
natlich einmal von der Posl, zuinal da auch die unzuverlassige
P(ihrfc auf dem. Jeni^^i die Verbiudung nicht erleicfatert^ denn
die^^r fost immer unruhige Fluss zwingl oft die aus Krasno-
j^r^k oder Jeni»ei«k nach Turuchansk fahrenden Barken der
Kaufleute Wocben laog unterwegs liegen zu bleiben, bis sich
der Wind gelegt hat. Am Jeni^ei entlang von Jeni^eisk bis
Turuchansk liegen in einer Enlfernung von 25 — 30 Werst
vofi eioander eine B#ihe armseHger kieiner Dorfer, hier nimmt
^ich jede Barke einen Lootsen um den Sandbanken auszu-
weichen* •
Die ganze Bev6lkerung von Tuinichansk belauft sich auf
^iSeelen mannlichen Geschlechts, darunter sind 45 Kosaken.
I)\^ Arfi:iu(h der dortigen Bewohner liegt hauptsachlich in ihrer
Fau]heity denn nur wenige beschaftigen sich niit der Jagd der
Pebthiere. Die Thatigkeit der Kosaken wird bedeutend in
A|ispruch gefiooimen. Sie werden gewohnlich zu Auf&ebern
c|0r Getreidemagazine^ die in der Turuchansker Gegend zer-
s.tf'e^t li^gen^ eraaniU, und beschaftigen sich hauptsachlich mil
iem Gelreidetransporl auf der unleren Tungu^ka, die sehr
reissend und mil gefahrlichen Schnellen angefuUl ist. An
diesem Fiusse liegen vier Distrikte^ die von den nomadisirenden
Tungusen und anderen Stammen besucht werden< Jedes Jahr
Die Stadt Tarachansk. 339
im August fahren 2 oder 3 Barken mil ISKosaken den Fluss
hinauf, und verkaufen Gelreide an diese Nomaden. Sie fah-
ren auf diese Weise mebr als 1200Werst strotnaufwarts, und
da die Tungu^ka sehr friih cufriert, gewobnlicb schon im Octo-
ber, so geschiebt es sebr oft, dass die Kosaken irgendwo am
Ufer iiberwintern, und nicbt frbher als im Juni nach Turu-
chansk zuriickkebren; wobei sie die 1200 Werst in 6 oder 6
Tagen zuriicklegen. Im August macben sie sicb scbon wie-
der auf den Weg.
Die ganze Stadt besteht aus einer krummen Strafse und
einigen zerstreut liegenden Hausern. Ende Mai, wenn der
Schnee schmilzt, gleicht Turuchansk einem Moraste der aucb
den ganzen Sommer iiber nicbt austrocknet, und durcb die
grofse Warme scbadlicbe Ausdunstungen erzeugt, so wie aucb
Myriaden lastiger Fliegen und Miicken, gegen die man sich
durch Ranch oder Nelze, welcbe aus Pferdshaaren angefer-
tigt sind, scbiitzt. Durcb diese starke Hitze versiegen auch
die Flussarme, welcbe die Insel bilden, auf der die Stadt liegt.
Den ganzen Sommer iiber ist es bier fast ununterbrochen Tag.
Mitte November beginnen die beftigen Scbneestiirme, welcbe
die niedrigen Hauser fast verscbiitten und. die Kalte steigt bis
auf 40 Grad und nocb bober.
Ein reges Leben berrscht in der Zeit, wo die Kaufleute
aus Jenitfeitfk und Kra«nojar«k nach Turuchansk kommen, ge-
w5hnlich Mitte Juni. Dieser Markt, der auch nocb den Juli
bindurch dauert, wird aucb von den Ostjaken und Tungusen
besucht Die GeQcbafie auf demselben sind aber nicbt mebr
so bedeutend wie sie Stepanow in seiner Bescbreibung des
Jeni«eischen Regierungsbezirkes scbildert. DieNomadenstamfrae
kiagen iiber die von Jabr zu Jabr empfindlicbere Abnahme
des Wildes, so dafs sie jahrlicb immer weniger Pelzwerk zu
Markte bringen, was zur Folge bat, dass auch weniger Kau-
fer nach Turuchansk kommen. Einige von diesen kaufen
wahrend der Zeit ibres dortigen Aufenthaits sebr vortbeilhaft
Fische auf, salzen sie ein, und versenden sie zum Verkauf
nach Jeni«ei«k, aber nicbt nach Kra«nojar«k, das schon von
n
340 Physikaliseh-mathematiiohe WiMenscbaften.
Toin«k aus hinreichend mil Fischen versorgt wird. Auf die-
sem Jahrmarkle versehen ^sich die Bewohner von Tumcban«k
mil den nSthigen Bedurfnissen: Getreide, Leinwand, Tucb,
Leder, Thee, Zucker u. s. w. Wie stark hier der Verbrauch
von Branntwein ist, geht daraus hervor, dab von den 150 Sil- \,
berrubeln, den jahrlicben Einkiinflen der Stadt, 120 aus dem
Verkauf dieses Getrank*s gelosi werden.
W. Depaubourg*
I
Drnck von Georg Reimer.
i I
w^-»^
I r iK>'
i
» /
TAF.U.
f
rn III
.<\
TAF. n:
1^
DAS GliBlR
^./2.
JtfatustaS
S£_
Sec
i_
MaassiaB
t
^
JrsdUtutL
Bg.iJ^.
i
N
Archiv
far
wissenschaftliche Kiinde'
von
R u s s 1 a n d.
Herausgegeben .
von
Am E r in a n«
Elfter Band.
D T Itt em Heft.
Berlin,
Verlag von Georg Reimer.
18 5 2.
't
Literatur in Kasan *"}.
^ufser den rein wissenschaftlichen Arbeilen der UniversitfiU-
mitglieder^ werden in Kasan hauptsachlich Werke herausge-
geben^ die der orienlalischen Linguislik gewidmet oder fiir.
die muselmanniscbe Bevolkerung Russlands beslimmt sind.
Es erscheinen alljahrlich in Kasan iiber vierzig Biicher und
Broschiiren in tatarischer, arabischer, tiirkischer und persischer
Sprache. Sie sind meistens geisllichen Inhalls und bestehen
aus dem Koran, Gebetbiichern, frommen Gedichten u. dergl.
Nur wenige von ihnen sind Originate , die iibrigen sind Ab-
driicke constantinopoUtanischer.und bucharischer Manuscripte.
Mitunter erscheinen indessen auch Werke nicht-geisllichen In-
halls, als Marchen, Erzahiungen u.s.\v. So wurde vor Kur*
zem in Kasan eine tiirkische Ueberselzung der unter dem
Namen Tuli Name (Erzahiungen eines Papageis) bekannlen
persischen Fabeln herausgegeben. Sie ist von Herrn Mach-
mudow, einem gebornen Tataren, verferligt, der die Steile
eines Lehrers der orienlalischen Calligraphie an dem erslen
Kasaner Gymnasium und der Universitat bekleidel.
Das Feld der orienlalischen Phiiologie wird vorzugsweise
von Herrn Professor Kow^Iewskji bebaul, dessen Name
sich einer europaischen Beriihrnlheil erfreul. Im verflossenen
Jahre (1850) vollendele er den Druck des drillen und ielzlen
*) Sj^wernaja Ptachelk yom 26. and 31 Oet. (a. St.) 1851.
Ennans Rota. Arotahr. Bd. XI. H. 3. 23
342 Allgeinein Literariscbes.
Bandes seines niongolisch-russisch- franzosischen Lexicons,
der Frucht zwanzigjahriger Arbeilen, wofiir er den vollen De-
midowschen Preis und sowohl von seinem Kaiser als von dem
Kfinig von Preussen Orden , Medaillen u. s. w. erhallen hai *).
In diesem Augenblick ist Herr Kowalewskji mit zwei wichli-
gen Arbeiten beschafligt, einer Geschichle der mongolischen
Lileratur und einer Unlersuchung iiber die Geschichte des
Buddhismus, wozu er durch die asialische Gesellschaft in Pa-
ris veranlafsl warden. Die mongolische Ablheilung der Ka«
saner orienlaiischen Lileratur erhielt unlangst auch einen er-
freulichen Zuwachs durch eine linguislische Arbeit des Herm
Bobrownikow, Baccalaurens der dortigen geisllichen Aka-
dtmie, in welcher seit einiger Zeit mehrere orientalische Spra-
ehen sur Ausbildung van Missionarea g«lehrt werden. Die
Petevsburger Akademle der Wissensehaflen hat der von Hm.
Bobrownikow \erCa(iBten Grammatik der mongolisch • kalmyki-
aohenSpvache besondre Aufmerksamkeit geschenkt und ihr auf
EmpfehluMg Kowalewakji's den halben Demidowschen Preis
suetkannt. Der bekannte Orientalist Beresin gieU gleichaei-
ti^ eine persiache Grammatik, die Gnadenbriefe (jariyki) der
tatari$chttn Chane und eine ^^Bibliothek orientalischer Schrift-
steller** heraua, die unterAndrem fur die rusaiscbe Geschichte
von nicht geringem Nutzen sein wird. Der erste Theil die*
sea verdienstvoUen Werkes, der die Scheibaniada^ eine Ge-
schichte der Mongolo-Turken in cl/agataischer Mundart, nebst
rusabcher Uebersetzung enthait und mit vielen Anmerkun-
gen und Beikigen versehen ist, hat bereits bei competenten
Riebtern gunstige Aufnahme gefunden **). — Der zweite
Theil ist schon sum Drucke fertig und wird nachslens von
Herm Be resin veroffentlicht werden. Er entbalt die Ge-
schichte der Mongolen, eine um die Zeit Boris Godunow^s
abgefafsle tatarische Uebersetzung aus dem Persischen. In
*) Vergl. fiber dieses Lexicon in diesem Archiye Bd. VflL I&.6&1— 666.
*) Desgl. Bd. IX. 8. ^51 —561.
Diier LitcfffttAr ift Kataii. 348
der Vorredle lu diesem Werke wird man eioige iateretsafate
Details iiber Boris Godunow finden, die von dem zdtgenSad-^
schen laiarischen UeberseUer initgelheili werden. Die rus-
sische Version des von Herm Beresin faerausgegebenen UtK-
rischen Manuscripts ist von Herrn Iljinskji, Baccalaoreua
der geistliohen Academie xu Kasao, angefertigt, der in Kur*
aem eine wissenscbitftliGhe Reide nach dem Osten antrelen
wird. —
Die jyReise im Osten** (Putesehestwie po Woatoku) des
Herrn Beresin ist der russischen Lesewelt bereits vortheil-
haft bekannt*). Der erste Theil, der die Beschreibung von
Dagestan und Transkaukasien eDthall, ist namtich in einer
sweilen Ausgabe erschtenen. Im xweiten Tiieil wird Herr
Beresin das nordlicbe Persien scbildem, w&hrend das e&dliobe
das Thema des dritten Theiles bUdet Man sieht hteraus,
nach wdehem umfassenden Plan dieser OrienfaUst seiae
Reisebeschreibung angelegt hat^ die in ihrelr ganzen Aosdeli*
nung siebai bis aebt Bande einnehmen wird. Unter den No-
vitaten der orientalischen Philologie bemerken wir noofa die
Herausgabe einer arabischen Handsohrifl unter dem Titd „die
reine E^senz** — * Chttla*#ate*ul-cha)ise — geschrieben von
Ali, dem Sohne Machmud^s. Ihr InhaU bestebt aus den Sit^-
ienspriichen verschiedener orienfalischer Weisen iiber Gegen*
stittde der Moral und der Religion. Der Herausgeber dieses
niitzlichen Buches ist der Professor Gottwald. Hier mils*
sea auch <&e ^^ethnographischen Untersochungen iiber die V5l*
kersdiaften (inorodsy) des Gouv^mements Kasan** erwMhnt
werden I wovon der erste Theil, Notiscn iiber die Tscbuwa-
schen, schon im Druck erschienen ist und deren folgenden
Tbeile Bemerkungen Uber die Tscheremisen, Tataren und Wo*-
*) Einen Auszug aos den vorlaufigen Bericht dieses Reisenden gaben
wir tcfaoti Bd» V. S. 377— 380 des Arcbits nacb den „I7tscbonyja
Sapitki" der UsitersHat Kasan.
23*
346 AUgenein Litemrlsches.
tjaken eiltiiaiien werden. Ihr Vcrfasser ist Herr 5bojew,
ehemaliger Adjunct der Kasaner Universilat
In der gdehrten Thaligkeit der Universitat nimtnt die
malheinalische FacuUal schon seit Griindung der Hochscbule
die erste Slelle ein. Auf den erslen Seilen ihrer Geschichte
glanzen die Namen Liltrow*s, des nachherigen Directors
der Wiener Stern warle^ B artel's, welcber spater nach Dor-
pat verset&t ward, und Bronner*s, der itn Lehrstuhl der
Phy^k den bekanntenPetersburger Akademiker Kupffer zum
Nachfolger haile. Unler der Leitung'so ausgezeichneler Leh-
rer bildeten sich die Kasaner Professoren Lobatschewskji
und iSimonow. Dem Ersteren folgte als Professor der rei-
ntn Maihemaiik Herr Popow, dessen Schriflen in russischer
und franzoMscher Sprache zum gr5islen Theil in den Memoi-
ren der Universilat erschienen sind und der vor Kurzem einen
bemerkenswerthen Vortrag iiber die gelehrten Verdienste Pois-
son's, veroffenilichte. Die Astronomic erbielt nach der Emen-
nung des Herrn iSmonow zum perpeluellen Rector der Uni-
versilat einen wiirdigen Vertreter. in der Person des Herrn
Kowalskji, der mit grofser Auszeichnung an der von
der geographischen GeseUschaft unternommenen Ural-Expedi-
tion iheilgenommen hat. Der erste Band der Beschreibung
dieser Expedition, welcher jetzt in Petersburg gedruckt wird,
ist ausschliefslich den astronomischen und magnetischen Beob-
aehtungen des Herrn Kowalskji gewidmet Aufserdem hat
derselbe eine Schrift unter dem Titel ,,Theorie des Neptun
und Eittflufs dieses Planelen auf die Bewegung des Jupiter,
Saturn und Uranus'* voUendet, dessen Druck nur durch die
Abreise des Verfassers nach Berdjansk, zur Beobachtung der
SonnenCnsterniGs , verzogert worden ist. Herr 5aweljew,
Adjunct*Professor der Physik, veroffentlicht jetzt die Resultate
seiner vierzehnjahrigen, in Ni/nei-Nowgorod, iSaratow und Za-
rizyn vorgenommenen meleorologischen Beobachlungen.
Den Lehrstuhl der Chemie nimmt gegenwartig in der
Universilat von Kasan der Professor Klaus ein, der vor-
nebmlich durch seine Untersuchungen iiber das i^latinerz be-
Die LitM«l«r is Kanft. 347
kannt isl, and skb zu^eicb mit der Botanik beschiUitigt Sdion
frilh gab er eine Beschreibung d#r 5ergiewsker Mineralwasser
heraus, and im vorigen Jahr vollendete er ein Manuscript
bber die Flora der Wolgalander, dem die Petersburger Aka-
deinie der Wbsenscbaften den halben Demidow*schen Preia
suerkannle.
Aufser dem Lehrsluhl derChemie giebt ea in Kasan aucb
eine Professur der Technologies der bis win Jahr 1848 Herr
Sinin, einZSgling dieser Universilat, der sich spater in Gits*
sen unter dem berilhmlen Liebig ambiMete, vorstand*. Als er
im genannlen Jahr einen Ruf als Professor der Chemie an
der medicinisch-chirurgischen Akademie in Petersburg erhielti
wurde Herr Kittary sein Nachfolger, dessen naturhistorische
Schriften, worunter namentlich eine analomische Unter-
suchung %weier Arten der Tarantel (5olpuga) Erwah-
nung verdienty in deutscher Sprache im Bulletin der Mos-
kauer Gesellschaft der Naturforscher und in russischer in aen
Memoiren der Kasaner Universitat erschienen sind. Vor kur-
zem ver5ffentlichte Herr Kittary ein hdchst interessantes
Work iiber die Kasaner Seifenfabriken , in welchem er viele
merkwiirdige historische und statistische Nachrichten ubet*
diesen Gewerbszweig mittheilt und die Ursachen auseinander-
setzt, die den Verfail der einst in ganz Russland beriihrnten
Kasaner Seifenfabrikation herbeigefiihrt haben. In einer Ab-
Iheiiung seines Werkes schlagt der Verfasser eine' neue Me-
thode zur Herstellung der Seife vor, welche die dazu erfor-
derliche Zeit und die Kosfen ftir Brennmateriai urn die Halfte
verringert. Herr Kittary hat bereits im kleinen Mafsstabe
einige Versuche mit dieser Erfindung angestellt, welche hochsl
befriedigend ausfielen, und es steht zu hoffen, dafs die Ver-
breitung dieser MelhocTe mit der Zeit den Erfolg haben wird,
den Preis der Kasaner Seife um dieHSIfte zu vermindern und
ihre G&le zu verdoppeln.
Zum Schlufs bemerken wir noch die Erscheinung des
zweiten Theiles der ^yNaturgeschichte des Landes Orenburg**
346 Allgemein LitenurkthM*
(Ertectwemiaja Istoria Orenburgakago Kraja), der die Beschrei-
bung der SMugelbiere enihab* Der Verfasser, Profesaor
Eversmann, einer der kimdigslen Naturforscher nichk nur
in Kasaiiy sondern in Russland iiberhaupt, hat sich dureb seine
firiiberen, meisiehs in laleiniscber Spracbe geschriebenen, wis-
senschaftlichen Arbeiten einen ehrenvollen Namen erworben.
Oas neue Werk dieses verdienstvollen Gelehrlen ist swar
nicht reich an literarischen Vorzugen^ enlhalt aber wie seine
Vorgfinger eine Menge Bemerkungen , die fUr das Siudium
der Naturmsienschaften von grofaer Wicbligkeii aind.
Die Flachsbftumwolle auf der Londoner
Ausstellung.
«
EinVortrag des Akademikers Ha me I in der Petersburger
Akademie der Wisseoschaften *).
MAn den GegeDstanden welche auf der Londoner Ausiteilong
ein besonders gro&es loteresse erreglen, geh5ri die von Herm
Claussen ausgestelJt gewesene und sehr mannichfalUg in
Schriften und dffenilichen Blaltem gcpriesenei sogenannte
BaojnwoUe aus Flachs (Flax coUon; British cotlon).
Bedenkt man, daCs die Baunawoile, diese sarlen HSrchen
oder Fadcbeo, die der Schopfer den Samen der Gossypium*
Pflaoae gleichsaai zum Bet&e in ihren Kapaeln gegeben hat,
jelxt das Malerial der riesenbaftesten menschlichen Industrie
bildet, dais alleio in Grofsbritlanien an jedem Arbeitsloge wei(
mehr ale zwei Miliionen Pfund dieser Pflansenfaserchen fiir
die besiehenden Fabriken ndthig sind, dafs die lechnisehe
Bearbeiiung derselben dprt jeist eines der Lebensprincipe isl,
und dafs vorziiglich von der Aufrechierlialtung dieses Zwei-
g«3 der Gewerbtbatigkeifc das to be or not to be der hohen
Steliung und der Wohlfahri Englands mit abhangt, dafs aber
dieF&serchen selbstnicht in Grofsbritanien, ja nieht ip Europa
von derNatur erseugt, sondern aus ferneo Landern eiogefiihrl
werden, dafs die vegelabilischen Harehen eintn bedeutenden
Einflufs auf die politischen und diploniatiscben Verhaiinisse
*) Aof Her Petenbinrgef Zeitang 1851. No.. 855.
348 Industrie and Handel*.
und Beauehungen zwischen Grofsbritanien und Amerika baben,
indem sie bei Beriicksichtigungen des Schicksals von Staaten
uod ganzen Menschenklassen in Betracht kommeni so wird
man sich leichi vorslelien, da(s kein*erosier Beobachter auf
der Londoner Aussteilung einein stall der Baumwolle in Eng-
land kunsllich bereiielen Surrogal vorbei gegangen sei, ohne
demselben eine besondre Aufmerksamkeit.gewidmel in haben.
Dem Publikuin wurde angeseigt, dafs der Flachs durch
Kunst in Harchen oder Fadchen, die auf den Gossypiuin-Saa-
men naliirlich wachsenden voUkommen gleichen, verwandeli
werden konne. Da nun Flachs eine in Europa kullivirte
Pflanze ist, und da, wenn der Versicherung gemafs Flachs zu
einem voUkommenen Ersalzmiitel der BaumwoUe gemacht
werden kann^ seine Kultur einen ungeheuren Aufschwung er-
haUen mUfste, so ist in dieser Angelegenbeit der LandwirUi
eben so stark wie der Fabrikant interesnrl.
Die wSbrend der Aussteilung untcfrClaussen'sNamen iaS
Auflagen erschienene Broschiire iiber diesen Gegenstand fiibrt
den Titel: Die Flachsagitation und ihre Natioiiaiwichligkett
(the Flax movement and rts national importance). Da der
Flachsbau bei uns (in Russland E.) seit laoge ein otme Vergleich
wiehtigerer Artikel der erzeugenden Industrie ist, als in Irland,
Schottland und England, und da man auch bei uns verleitek
worden ist zu glauben, es kdnne durch die vonClaussen vor-
geschlagene und empfohlene Sache fur Russland Nulzen er-
zielt werden, weswegen mir denn eine Anfrage um meine
Meinung noch in London zukam, so will ich hier EriSutenm-
gen iiber dieselbe geben.
€laussen schlagt vor, den Flachs so vonubereiten, dafs
er, jener vegetabilischen WoUfaser, der BaumwoUe, voUkom-
men glach geworden (was jedoch unerreichbar ist), auf den
zum Spinnen der BaumwoUe und der SchafwoUe bestebenden
Maschinen zu Garn verarbeitet werden kSnnle.
Zu diesem Zwecke wiU er den Flachs, das heifst die vom
hfilzemen Theil des Pflanzenstengels abgesonderten Fasem, in
kurzen Enden von der Lange der FSden (des „ staple") der
Die Flaohtbaumwolto auf der Londoner Anattollnng. 349
Bamnwolie zerschnitten habeii. — Es bedarf woM nicht Ian-
gen Nachdenkens, um diesen Vorschlag Claussen^ geradeiu
su verwerfen, sogar wenn es wirklich mdglicb wiire, die
Flacbsfaser den Faden der Baumwolle gleicb zu machen.
Der Haoplvorzug des Flachses vor der BaumwoUebe*
stehl in der so bedeutend grolaeren Lange der Fasem des
ersteren, worauf haopUScblich die groCiere Starke der aus
deiBselben angelertigten Game and Gewebe begrihidek ist;
nicht ztt gedenken, dafe die Harchen die den SamenhfiUtm
des Gossypiums enlsprieben, aus einer der scbwachsten Pflan*
zensubstanzen gebildet sind^ wahrend die Flacbsfaser sich
ihrer Natur nach schon mehr der starksteni namlkh der ligno-
sen, nMbert.
Claussen beabsichtigt also gradezu ein gutes, festes, star«
kes Fabrikationamaierial in ein schlechteres nnd scbwScheres
umzuwandeln, blob um es auf Maschinen, die nicht fiir das*-
selbe bestimmt lind eingerichtet sind^ verarbeilen zu kSanen.
Gr will Flachsfasern auf Kraiz- und Spinnmaschinen » die fiir
Baumwolie, fiir ThierwolJe und fiir Flockseide berechnet sindi
zuGarn roachen, imd um dieses Ihun zu kSnnen, zerhackt er
den schSnen langen Flachs in kurze Endcben. Er verstiimmelt
werihvoUen Flachs suHeede, und giebt dieser, wenn bearbei-
let, den Namen; briiische Baumwolle.
Man glaube nicht, dafs Claussen ein Fabrikant sei, der
solche britische Baumwolle fabrikm^fsig bereite, um sie an
Spinner zu liefero oder der sie vielleicht selbst auf einer gros*
sen Fabrikanslalt zu Gamen und zu Zeuge verarbeiten. Nein,
er scbeint dieses auch gar nicht im Sinne zu hikben. Er
sucht auf kiirzerem, weniger miihsamem und schwerem Wege
zu Geld zu gelangen, auf dem Wege namlichi der so oft in
England und aucb anderswo eingeschlagen wird.» Mdn lafst
sich fiir irgedd Etwas ein Patent geben, lalst die Erfindung
vielfallig durch die Presse als hSehst niitzlich anpreisen, dtirt
dannittese Artikel- wieder selbst und lockt so Leute an, das
Patenlrecht fiir eine namfaafte Summe su kaufen, was nicht
350 ' Indattrie and Handel.
selien nur in der Absicht vom Kirafer geschiathty um es wie^
der anderen fiir einen hfiheren Preis zu iiberbsBeD.
Herr CJaUssen scheint keine Miihe gespari su haben^ um
seine Angelegenheit in ZeiUingen, z. B. im Morning Chronicle
und anderweitig rfihmen zu lasaen. Auch die Ackerbau-Ge-
selischaft ist ihin niilzlich geworden. Am 12. Februar vorigen
Jahres wurde im Conseil dieser Gescllschaft eine dergleicfaen
Anf)rei8ung des Claussen^schen Projekts vorgeleaen. Sir James
Graham 9 der eugegen gewesen war, erkliirie am dsurauf fol*
genden Tage im Pariament, er kSnne sich keine gnadigere,
barroherzigere Lenkung der Vorsehong denken (for my part
1 cannot conceive any dispensation ef Providence more mer*
ciful) als die, dafs es der Wissenschaft und der Kunsti wie
man guten Grund zu glauben habe^ gekmgen sei, die Faser
des Flachses so zu bearbeiten, dads aie mit Baum», Scfaaf- und
Setdenwolle gesponnen werden kdnnoi wodurch Englaiid in
grofsem Maafse unabhangig von fremder Zufuhr werden und
fiir die inlandiache Fabrikation sowohl ala fiir den Landbau
eine sebr grolse, mitVorfheil verkniipfte Anregung erwachaen
miisae. ^^ Man applaudirte, undClausaen imterUefii nun nichl,
Graham's Rede so vieifaltig als nur moglich uoter das Pubti*
ktim zu bringen.
Ich halte es fiir nolhig, hier die Bemerkmig zo macheiii
dafs naeh meiner Ansicht und Erfabrung ^chichliiche Nach-
forschungen iiber die Entstehung eines Vorschlags zu Neoe-
rungen imGebiete der Technik immer nUtzUeh sind> um iiber
den Worth desProjektes richliger aburlbeilen zu konoen. Da
aber solche Forschungen mitlVIiihe verknUpft siod, so werden
sie gewdhnKch vemachiassigt und es entsteben Irrungen mit
schiimmen Folgen, welche halieo konnen vermieden we]:den.
Ich babe noir die Miihe gegeben, auszufiodeai wie das
Claussen*sche Flachsbaumwolie-Projekt entstanden ist. Das
ResuUat meiner Nachforschungen isl F^olgendea:
Herr Peter Ciaussen ist von Geburt ein Dane, der sich
von 1816 bis 1843 moistens in Brasilien aufgehaiten hat, we
er in der hochgelegenen. Gold und Diamanten fiihrenden Pro-
Die FlachsbanmwoUt aitf der Londoner Aiifstellong. 35 1
viiiK Mines Geraea, Rich Tortiiglich mil bergmanniseher la-
dusirie beschaftigte.
Er hat ein Memoire iiber die genannte Provine geschrie*
ben, auch ein KSrtchen angefeitigt, welches das Geoiogische
des von ihm naher gekannten Theiles von Minas Geraes eei#
gen soli; ferner ist in Briissel im Jahre 1845 von ihm ein:
Essai d'une nomenclature et classification des rodies gedruckt
worden. Im avant propos erklart er uns in wenigen Zeilen
die Entstehung, nicht nur unserer Erdkugel, sondern des gan-
sen Sonnensystems. Er ist Ritter des brasilisehen Christus-*
Ordens, Mitglied des brasilisehen Instituts, so wie auch eini<«
ger wissenschaftiichen GeseUschaften in Paris und anderwarts*
An^ Brastlien hat er getrocknete Pfiamen an Decandoliey ail
den Jardin des planles in Paris, an das British Museum in
London und an den botaaischen Gartoi hier in St. Petersburg
gesandt Bine Banisteria und eine Jacaranda sindnaeh ihm
benannt.
Wie Ctaussen dasu gekommen, nach Verlassung der Berg-*
werke in Minas Geraes, Fiachs in England zu einer Goldmine
machen en wollen, ward dem englischen Pnblikmn am I.Aug,
im Morning Chronicle also mitgetheilt:
Die Brfindung der Verwandehmg des Flachses^ in Baum-
woHe war das Resoltat ,,iridukliver Forschung^' und nicht des
Znfalls. Als eines Tages Claussen langs dem Ufer eines der
Flitase in Brasilien lustwandelte, wurde seine Aufmerksamkeit
auf eine weifee flaumartige Subsianx gerichtet, welche sich
im Flusse an die Aesti& eines vom Ufer her iiberhangenden
Baames festgesetzt hatte* Als eifriger NatarfoUBcher sei Clans-r
sen entseblossen gewesen, die Herknnft dieser Snbstanz auf*
zafinden und es habe sich ergeben, dais es Fasem von Flaehs
waren , der hdher oben am Ufer des Flussea gel^en hatia
und beim wiederholten Austreten desselben dureh die Wiricong
des Wassers zersetzt worden war. Da sei Claussen auf den
Gedanken gekommen, Fiachs kiinstlich in eine Art vom Baum-
woHe zu verwandeln.
Dieser Erzahlimg hat England vollea Glauben geschenkt.
352 fndostrie and Handel.
Man faak ne recht natiirlich gefimden und daher die Claiis*
sen'sche Flachsbaumwolle wirklich ais das Reaultak „indiikli-
ver ^Ferschung'* anerkannt. Niemand hat sich die Miihe ge-
gebeiii su priifen ob nicht vielleicht andere Aniasse, ob nichk
gerade Das, woven der Verfasser des Artikels im Morning
Chronicle abzuleiten sucht, namlich der ZuCali, Ciaussen der
Flachsbaumwolle in England sufiihrte. Meine eigenen For-
scl^ungen haben das Lelstere gezeigl.
Ich kann mich bier nicht darauf einlassen , eine Ueber-
sichl aller friiheren die Flachsverfeinerang belreffenden Vor--
schlage zu geben. Ich besehranke mich darauf, der Akadeinie
ein Individuam vorsufiihren, dessen Bemuhungen in diesem
Fache in gans direkler Beaehung lu den Claussen^schen
slehen.
Heinrich Gottlieb Ladwig Ahnesorge, geboren zu GUick*
stadt in Holstein, hatle erst zu Itzehoe beim Farbermeister
und Bleicher Christian Furste und sodann in Hamburg bei
einem Schonfarber, Namens Michelmann, das Bleichen und
die verscfaiedenen. Zweige der Farbekunst erlemt, nachher 5
Jahre auf Reisen zugebracht , ^m sich ausgedebntere Kennt-
nisse in seinem Kunstfache zu erwerbeo, und sich sodann
selbtt als Farber und Bleicher in Gluckstadti bald darauf aber
in dem Dorfe Kaltenkirchen, etablirU Da bier fast jeder Bauer
so viel Flachs erzeugt, als er braucbt, so hatte Ahnesorge
dicht vor seiner Thiire Flachsfelder, durch wdcheii Umstand
er verleitet wurde, Versuche anzuslellen, um die gewShiiliche
bekannliich in mehrfacher HinsichI tadelhafte und unangenishme
RSstiing des Flachses beseitigen zu kdnnen. Im Verfolg jei*
her Experimente fand er, unter Anderem^ dab durch Kochen
des Flachses in alkalischen Laugen seine Fasem unter sich
theilbarer gemacht und denselben ein seidenartiges Ansehen
gegeben werden kann.
Im Jahre 1836 war er so weit gediehen, dafs er glaubte,
durch seine Ermittelungen der Flachs-Industrie in Holstein
Nntzen bringen zu kSnnen. Er gab daher bei seiner naeb-
slen Behorde, namlich auf dem Amte Segeberg, das Projekt
Die Flachsbauniwolle avf der Laadoner Ansfttellang. 353
ein, auf Rechnung der Regierung irgendwo in Holslein eine
Musieranstalt (iir verbesserle Bearbeilung des Flachsstrohes
.zu begrUnden. Es erfolgte aber auf seinen Vorschlag keine
Aniwort.
Ahnesorge wendete nun seine Aufmerksamkeit mehr aus-
schiiefslich auf den Gegensland, der auch friiher ihn stark be-
schaftigt hatte, namlich, er suchte den fast werthlosen Abfall
des FJacbses^ die Heede, in ein, der Baumwolle ahnliches,
Material zu verwandein, urn sie wie Bautnwoile kratzen und
spinnen zu konnen.
Um die Baumwoli-Maschinerie nSher kennen zu lemen^
unternahm Ahnesorge im Sommer des Jahres 1838 Reisen,
und kam sogar nach St. Petersburg. Der damalige dSnische
Gesandte Graf Blome verschaffte ihm Zulritt zu der Alexan-
drowskisehen Manufaklur. Die Herren Schmidt und Mtiller
in Hambufg hatlen geschrieben, dafs ,>Herr Ahnesorge im'Be-
sitz einer neuen Methode sei, aus Heede durch chemische
Bearbeitung eine Art Baumwolle zu sehaffen.** Auf der da-
maligen Liiderfschen Fabrik, auf der Wiburger Seite, fertigte
er wirklich gegen zwolf Pud Heedebaumwolle an.
Im Jahre 1839 legte Anesorge Proben seiner Heedebaum-
wolle einigen Naturforschern, wie Pfaff in Kiel, Mitscherlich
und Link in Berlin vor; im Jahre 1840 sandte er auch Pro-
ben davon zur Industrie- Ausstellung nach Kopenhagen. .
Im Jahre 1843 zog Ahnesorge nach Neumiinster, wo er
die-Leitung der, Herrn Sager gehdrigen TuchfSrberei als
Broderwerb iibernahm, nebenbei aber immerfort die Flachs-
heede*Bearbeitung zu vervollkommnen suchte.
Als er nun eines gulen Erfoigs seiner Bemiihungen sicher
zu sein glaubte, enlschlofs er sich, durch das Amthaus zU Neu«
miinsier beim Ministerium in Kopenhagen um eine Geldunter-
stiitzung zur Anlage einer Fabrik anzuhallen.
Das Amlhaus forderte, unterm 19. Dezember 1845, das
Handelshaus W. L. Renk & Comp. (zu Neumiinster) auf, ihm
seine Meinung liber den Worth der Ahnesorge'schen Produkte
zu geben.
354 Industrie aiid Uaadel.
DUms Haus berichtete unierai 21. Januar 1846| dafeAh*
neiorge'd verfeinerte und gebleichie Flachsheede nicbks zu
wUnschen iibrig lasse. Man babe aua derselben, mit gans or-
dinairer jiitscher Wolle vermischty Garne spinnen lassen, und
obgleich die Verarbeitung nur mil der Hand gescbehen, sei
sie voUstaadig gelungeD, und ^wir diirfen mit Sicherheit aus-
spreehen, dafs luer ein MiUel gefunden worden ist, der ante-
ren Volksklasse ein dauerbafleres, wohlfeiieres und xugleich
warmeres Beldeidungsinaterial su acbaffen^ als es durch Baum-
woUe allein oder durcb Wolle allein *) moglicb sein mufsle.
Wir diirfen feraer es aussprecben, <Uls eben bei der Billigkeit
der Sloffe aich eine Fabrik millelsl eioes nichi aehr bedeuten-
den Kapitals wird etabliren lassen. Herrn Abnesorge's Proben
scbeinen uns die Moglicbkeii su gewahreOi der Flachsbeede
ihr Rechl su geben, und es liegt die Zeit vielleicbi oicbt gans
fern, wo dieselbe nichi als A b fall, sondem als der wertb-
yoUere Bestandibeil (des Flachses) angesehen werden mochte,
da eben bier noch sicb sehr wobl Sorlirungen denken lassen,
die die feinsten Sorlen Stoffe liefem diirften, welcbe dem
BaumwoUenfabrikanl in mancher Hinsicbl den Rang ablaufen
mocbten, da bei dem hohen Preise der BauonwoUe und bei
den niedrigen Preisen der Heede das Fabrikat vielen Arbeits-
lohn entbalten darf, um billigere Produkie su erzeugen. Die
hiibsche Losung der Aufgabe, ohne Verscblechlerung des Fa*
brikats und obne der Spinnfabigkeit su scbaden, die gebleichte
Heede su verarbeil^n, OkScfale dieselbe selbsl su geoiischten
Stoffen in Verbindung mil Wolle , vielleicbi auch mil Seide,
su verarbeilen fahig maehen/*
Der Bericht endel folgendermaCsen, um das Ganse susam-
men zu fassen:
„Es isl versuebt, den unteren Volksklassen ein wohlfeiles,
mit ordinarer Wolle gemiscbtes, also warmeres Fabrikat su
liefern, als Baumwolle und Flacbs einerseits und Wolle an-
dererseitSi es su geben im Stande sind. Dies scfaeint uns voll-
*) Das Letztere iat in Bezag aaf Warme unrichtig. H.
Die Flachsbaumwolte aul^ Uer .Londoner AuMtellung. 355
kommen erreichbar. Es isl die Bahn gebr^hen^ dem feineren
Besiandlheil des Flachses, der Heede, welche vorher als Ab-
fall fast werlhlos erschien> eine SlelluDg in der Maaufaktur-
Iiidostrie ansuweiseo, welcbe von grofser Wichtigkeil werden
diirfte. Es ist die Moglichkeii nachfi;e\viesen wordeUi Heede
und Flachs vor der Verarbeilung zu farben und zu blmheUi
(^ne der Spinniahigkeit Abbruch su ihiin» und \vir kSnnen dem
Koniglichen Aoilhause deshalb mil Vergniigen den Ralh eribei-
len, den Antrag des Herrn Ahnesorge auf das MogUchsle «i
uaierstiiUeny zumal da der Anirag von einem Manne geschieii^,
der wahrend der Zeit seines Aufenlhaltes in Nettmiinsler aus-
dauemden Fleifs, mit grofser Sparsamkeit verbiinden, bewiesen
hat Will dasi Konigliche Amtbaus ein Mehreres thun> so
xiinvde sich dasselbe ein Verdiensi urn die Landes- Industrie
erwerben^ wenn es das Konigliche Gewerbsoilkammer- und
Kommerz^Kollegium bevvegen konnte, Herrn Ahnesorge eine
Anleibe von mindeslens tausend Speziestbalem zu gewahren^
mit zwei Prozent Zinsen und zwei Prozent Abtrag und so,
dais der Abtrag naeh fiinf Jahren etwa eintrate, eine Beriick-
skhtigtmg, die Herr Ahnesorge wobl verdient hat, da er viei
Muhe, Arbeit, Kosten und Reiseauslagen bereits gehabt und
s«in kieines Vermogen fast ausschlie&lich verwendet hat '*
Das Amtbaus zu Neumiinster maehte die hier erbetene
Vorstellung nach Kopenhagen und, nadi Einsendung der ver-
langleB Proben, wurde ihm die unterm 3. Juni (i846) erfolgie
Resolution des Konigs von Danemark in Bezug auf diese An-
gel^enhett nutgethoiU. Sie lautete : y^Wir wolien d&ai Farber
Ahnesorge in Neumiinster zur Fortsetzung der Versuche, aus
Heede, oder aus Heede in Verbindung mit Wolle oder Baunk-
wolle, ein wohlfeiles und zweckmafsiges Bekleidungsmalerial
herzastellen, und eventualiter zur Einrichtung einer derfaUigen
Fabrik eine Summe bis zum Betrage von eintausend Tfaalern
aua der diesjahrigen Budgetsumme zur Forderung der Industrie
unter der Bedingung bewiUigl haben, dafs diese Summe dem
Fabrikkontroleur in AJtona^ Dr. Paulsen, angewieaen und un-
ter dessen Auisichl verwendet werde."
356 Industrie and Handel.
Nach Anschaffuog der benothigten Maschinen sum KraUen
und Spinnen der veredelien Heedei fing Abneaorge g^gen
Ostern dea Jahres 1847 an, aus derselben in VerbinduDg mit
Baumwolle, oder mil Wolle, Kleidungsstoffe su weben, wmu
er in Neumunster eine Fabrik eingeri(ihlet hatie. Den AfasaU
der ferligen Fabrikate iibernahm Herr Holler inr Rendaburg,
Besilser des Eisenwerkes, genannt Karlshiitte, welchen Dr»
Paulsen ersucbl halle, Ahnesorge bebiilflich su aein. Noch in
demselben Jahre sandte er Proben von veredeltem Flach^ey
Vim Hanf und von Heede, gebleichi sur Vermischling mit
Seidoi und auch verschiedenUich gefarbi, so wie endlich schon
ferlige Webseuge aur Indusirie-AuiMtellung nach Aliona.
Der bald darauf ausgebrochene unglUckliche Krieg mii
Dinemark hinderte Abnesorge mit der begonnenen Industrie
fortsufahren; seine Arbc»ter mubten Soldaten werden.
Um nicht an den Bettelstab su kommen oder gar ge*
swungen zu werden, gegen Dinemark zu fechten, reiste er
am 7. Oktober 1848 von Rendsburg nach England.
Am 18. Oktober in London angekommen> erkundigte aich
Ahnesorge sogleich, wie er es su machen habci um ein Patent
far seine Baumwollebereitung aus Heede su bekommen.
Man verwies ihn an einen der vorsiiglichsten Agenten
fiir Patente, Herrn Robertson , dessen Bureau sich No. 166,
Fleetstreet befindet. Dieser sagte Ahnesorge, er kenne Je-
mand, der wahrscheinlich seine Erfindung geme aufnehmen
und ihm sur Ausfuhrung derselben in England behulflsch sein
werde. Er schlug eine Zusammeiikunft mit diesem Herrn von
Als Ahnesorge am folgenden Tag zu Robertson kam, fand
er Herrn Claussen auf ihn wartend. Dieser war erfreut iiber
den Vorschlag Heede in BaumwoUe su verwandeln. Er
wlinschte Ahnesorge's Methode zu acquiriren und ein Patent
dariiber zu nehmen. Man kam wegen der kommerziellen Be-
dingungen uberein, welche am 23. und noch bestimmter am
30. Oktober schriftlich abgefafst wurden.
Ahnesorge fing schon am erst erwMhnten Tage seine Ar-
beit an im Hause No. 34, Great Charlotte street in Biackfriars
Die Flacbsbaamwolto auf der Lpndoaer Aaistellang. 357
I road, wo GUussen sirkulaire patentirte Slrickae^sUlhle im
I Gang ka&te untl wo «r seibst wohnte. Hier war es abo wo
die ersien Quaniitaim von Flaehs- und Hatifheede^ so wie
auch von langen Flachs* und Hanffaserni von Ahnesorge nach
seiner Meihode in England bearbeitet wurden*
Ein Theil der von Ahnesorge zu London verfeinerten
Flachsheede wurde lum Verspinnen mit Welle gemiacbt, nach
dazu geeigneien Fabriken versandt und aodann weiter an Zeug
verarbeilet. Auch erhielten die beriihmtM Flachsapinner, Ge^
briider Marshall zu Leeds, von Ahnesorge eine QuanUlai dea
von ibm in London zubereitelen Flaofaaes, welchen sie rcclii
gut fanden, wie ich seiches von ihnen seibst vemomaaen
habe. —
Zu einer fabrikmatBigen Bearbeiiang der Heede und des
Flachses kam es in London nicfai, weil es am. ndlhigen Kapi-
tal f^lte; sie wurde spaler in Yorkshire versucht.
Herr Ahnesorge war namlich dem Herm August Quitsow,
dnem gebornen Hamburger, von dem Hause QuiUow, Schle-*
singer und Coinp. zu Bradford, durch den oben erwahnten
Herrn Holler in Rendsburg empfohlen worden *).
Dieses Handelshaus erstand miltelst Meistgebotes ein ein*
gegangenes Fjirberei*Etablissement su Apperley Bridge, zwi-
aeben Bradford ond Leeds gelegea **), um Ahnesorge 4lort ara
beschMftigen. Er soUte sogenannies berliner WoUstickgam,
mit welchem Artikel jenes Haus Handel treibi, farben und
Heede <sowohl als Flachs naoh seiner Methode bearbeiien.
Im Jahre 1850 batten sich zwei Umstande ereignet, wetche
dem Vorschlag, ein Surrogat fiir BaumwoUe aus Flachs zu
liefein, sehr giiAslig schienen.
*) Das Haus Quitzow, Scblesinger und Comp. zu Bradford bat di9
Agentur des in der Nahe dieses Ortes befindlichen grolsen Eisenwer*
kes, genannt Low Moor. Es liiag in Angelegenheiten dieses Eisen-
werkes gewesen sein, dafs Herr Quitzow das Bisenwerk Karlshattd
btti K«nd«btirgbesoebte, dessen Benitzer Berr Holler iat.
««> fis.batte frqitier Nidley und Tborpe gebort.
firmans Buss. Archlv. Bd. XI. H. 3. 24
358 Induttfie und H»ndel.
Der me war ckr damalige aiifoerordenliich hohe Preis
der Baumwolle, so dafs ein Projekt, dieselbe theilweise durch
Flachs zu ersetzen, viel Anziehendes haben roufste. Der an-
dere war die angekiiDdigte Wellindustrie*Ausstellung, welohe
die yorlreflflichste Gdegenbeit darboi, die Flachsbaumwollewdt
und breii au eropfehlen und ein fiir ihre Anferligung genom-
menes Paienl zu einer ergiebigen Goldmine zu iiiachen.
AIs nun Herr Quilzow gegen Bnde des genannien Jah-
res die Bereilung dea BaumwoU-Surrogats aus Flachsheede
durch Ahnesorge ernstlich betreiben lassen woHte, fand es
sich, dafs Herr Clauasen eine Eingabe um ein Paleni liber
diese Sacbe gemacbi batle; es mufate also erst eine Ueber*
einkunft mil ihm gelroSen werden.
Nachdem dieses gesehehen^ bearbeitete Abnesevge zu Ap*
perley Bridge viel Heede und Flachs nach seiner Weise mil
Soda, bleichte sie und Qirbte einen Theil. Das Publikam hal^
ohne es zu wissen, seine kiinslliche Baumwolle geseben. Alle
die Musier^ welohe sowohl unter des Rilters Ciaussen, ab
unler Quitzo>w, Scblesinger und Comps. Namen fm KryniaU^
Pallast zur Schau ausgelegt waren, sind von Ahnesorge zu
Apperley Bridge angeferligl worden. Unler Claussen*s Namen
waren seine Produkte auf der sudwestiichen Gaiterie outer
No. 105 von Klatse IV ausgestellt; jene unler dem Namen
Quitzow, Scfalesinger und Comp. befanden sich unten in Klasse
Xli u. XV unler No. 178. Besonders gefielen dem Publikum
die verschiedenllich gefarbten Nualer dieser Ahnesorge'schen
Wolle. Niemand er{uhr aber, wer der geschiekle Anfertiger
derselben war.
Auf Herrn Claussen*s Verlangen mufste Ahnesorge zu Ap-*
perley Bridge auch gu(en langen Flachs zerschneiden und
bearbeiten, denn hierauf sollte vorziiglich der Vorschlag, die
damals so theure Baumwolle zum Theil zu ersetzen, begriin-
det werden, um zum Kaufen des im Februar des Jahres 1851
spezifizirten Palentes anzureizen.
Die oberste Handels^Behorde in England (the Board of
Trade) hatle von dem Flachsprojeki schon friihzeitig Kunde
Die Ftachsbaumwolle aaf der Londoner Ausstellung. 359
erhalten. Der S^krelair, Heri* Porter , hielt in der Torletzten
VeHBammlung der British Association bu Edinburg(l850) einen
Vofirag, in welchen) er sagte, man sei beschaftigt zu unter-
suchen, ob nicht der Flaehs ein Surrogate oder wenigstens
ein theiiweises Ersatzmaterial filr die mangelnde Baumwolle
abgeben konne^ was um so wichtiger sei, da, seit Abanderung
der Korngeselze, Flaehs vortheilhafler wie zuvor in dem Ver-
einigt^A Kdnigreiche gesogen werden konne.
Damii Claussen eine Geiegenheit habe zu seigen, dafs
sieh der von ihm vorgescbiagene Berscfamttene Flaehs aiif
BaumwoH-Masehinen kratzen und spinnen lasse, empfahl ihn
der erwahnie Herr Porter dem Prasidenten derHandels- und
Fabrik-Kammer zu Manchester, Herrn Thomas Bazley jun.,
einem vortrefffichen Manne, der, mit Herrn Gardner zusam*
men, Eigenthiimer der Baumwollspinnerei, genannt Dean Mills,
ohnweil Bolton, ist und auch einer der Kdnigl. Kommissare
fiir die Londoner Ausstellung war.
Da auf dieser Fabrik blofs bohe, feine Nummern gespon-
nen werden, so adressirte Herr Bazley den Ritter Claussen
an Herrn John Bright, den als Parlamentsglied so bekannlen
Quaker, weil er sich erfrigst um die Abanderung der Korn-
gesetee bemiiht hatte, und welober mit seinen Briidern zu-
sammen bei Rochdale unter derFirma: John Bright and Bro^
ihers eine Baumwollspinnerei , Weberei u. a. m. (Fieldhouse
Mills) besitzt.
Da hier gerade eine Spinnerei mit alien Maschinen stille
stand, so iiberlieCs der liberate Herr Bright dieselbe Herrn
Claussen gans zur Anstellung seiner Versuche und hier war
er mehrere Monate beschaftigt; man spann die vonAhnesorge
zu Apperley Bridge bereitete FlachsbaumwoIIe sowohl fiir sich
aHein als mit wirklicher Baumwolle gemiseht
Als ich den Herren Bright meinen Besuch machte, zeig-
ten sie mir das Lokal und mehrere der auf ihren Maschinen
erzeugten Produkte, von denen sie jedoch keinesweges eine
vortheilbafte Meinung batten.
Zu Apperley Bridge hatte Ahnesorge Anfangs eiiie Zeit
24*
360 Industritt HimI H»ndeL
lang nach seiner eigenen Melhode gearbeilet-, er i^ochte natn-
lich den Flaehs in einer Losung von kohlensaurein Natron,
zuweiien auch in mebr oder weniger enlkohlensauerler sol-
cher Lauge. Die zu Flachsbaumwolle bestiminte Heede wurde
bier immer mil kauslischer Lauge behandelt* Hierauf legte
man die Heede sowobl als den FlacIiB in init ScbweieUaure
verseUles Wasser. ,
Nun wurde von Ahnesorge verlangt, aach jene Prozedur
auszuuben, weiche Cioussen in^ die Spezifikalion seineaPalen-
tes aufgenommen hat^ und welcbe das Wander ganz voUkom-
mener Baumwollebildung aus zerschniltenem Flacbse bewirken
soUle.
Nach der Behandlung mil kauslischer Lauge wurde der
Hackerling ibit einer Lfisung von stark kohlengesaueriem Na-
tron (Bicarbonat oder wenigstens Sesquicarbona() getrankt und
dann, ohne Auslaugung, in verdiinnte Schwefelsaure gebrachL
Das hier erfolgende Aufbrausen nannle man den Spalluags-
Prozess (splitting process) und den angereisten Beachauern
wurde durch Claussen's damaligem Agenten, Herrn Thomas
Graves 9 erklarti der Hacksel werde in dem Augenblicke des
Aufbrausens in eine Unzahl von tauter gleich starken, unter
sich vollkommen iihniichen und den Baumwollefadchen ganz
analogen Fasern zerspalten *).
Ein soiches Experiment war am 26. Februar des vorigen
Jahres in der Versammlung des Konseiis der Ackerbau-Ge-
selifichaft gemachl worden. Die ,,splitting (coltonising) opera-
tion/* namlich das Aufbrausen, wurde als „a most beautiful
discovery" bewundert und im fiericht uber die Sitzung, wel-
'*') Za Apperley Bridge vorden durcb Hrn. Grafes auf den Boden einet
Ziibers einige Kupfer- nnd Zinkplatten gelegt, om aaf galvanische
Wirkong beim Termeinten Spalten des HackseU hinzudeuten. Man
«ehe den Morning Cbronide vom 27. Februar, — Dieses gescLab
wabrscheinlich, weil Claussen in der Spezlfikation semes Patentes
gesagt bat, das Aafspalten der Flacbsfaseni konne dnrcb elektrisehe
Wirkoog erreiobi werden«
Die FlachibanniWtolto anl der Londoner AoMtetlang. 361
cher nachher dem Pubttkum wieder vielfaltig vorgelegt wurde,
stand, das die Erfindang erlaulernde Experiment babe geschie-
nen, ein neues Beispiel nalbrlicher Magie su lielern.
Auffallend war es inir, auch sehr kenninifsvoile Manner
in England dieses Aufbrausen als elwas Wichliges ruhmen eu
hbren und es gait noch bei nieiner Abreise bei dem Haufen
fiir das Miraculum der Baumwollebildung aus Flachshackerling,
In einem ganz kiiraiich erschienenen VVerke des Herrn William
Digby Seymour iiber Runkelrubeii-, Flacbs* und Cicborien-
Kullur in Irian d> sagt der Verfasser auf Seite 120, im Besug
auf den ErGnder des splitting process: „ Verily, Chevalier
Claussen is a Deux ex machina/' Und hinsichllich des Nutsena
schreibi er: ,,der BaumwoUmarkt und der Wollmarkt sind
jetzly.wie der Flachsmarkt, dem Flachsbauer geoffnet. Durch
die , extraordinary invention' des Chevalier's Claussen wird
der aite Rival der FlachspQanze auf der letzteren eigenen
Feidern gescblagen, und der Flachs, statt der Baumwolle
Weg zu machen, ist in einen ahnlichen Stoff verwandelt'*
Da von Herrn Quitzovv die Flacbs* und Heede-Bearbei-
lung, die ihm sehr bedeutende Auslagen verursacht haben
mufe, ganz aufgegdien worden, Ckussen aber ein Projekt zur
Bildung einer Flacfaa-Kompagnie (Ciaussen's patent flax Com-
pany) deren Kapital sich von 250000 bis auf 500000 Pfund
belaufen soUte, veroffentlicht hat und sein Patentrecbt zu veN
kaufen wiinscht, also Geiegenheit braucht, seinen ,,Spaltpro-»
seas'' und das Bieichen, an Personen, welcbe Mitglieder der
Kompagnie zu werden oder das Privitegium theilweise zu
kaufen wiinschen mochten, zu zeigen, so hat er am Ost-Ende
von London, in Stepney Green, ein Gehaude, the Old Farm
House genannt, das friiher zu einem Armenhaus gehorte, ge-
mielhet.
Hier wird in den Kesseln der gewesenen Kiiche der Flachs
oder die Heede vorlaufig unter Herrn Abnesorge's Leitung in
Sodalauge gesotten und wenn kauflustige Besuchende kom-
men, so wird von dem so vorbereitetea Material eine gewisse
Quanlitat in einen Korb gelegt und dieser auf eine Zeit in
3^ iHduttrid and- HftttdvL
ien boUenien Kasten niit tier AuffSsung von doppelt koMen*
saurem Natron, datin aber vor dtn Augen der Anwesenden
in den daneb^n befindlichen Kasten mii Schwefeisatire her-
iibergehoben. Da entsteht nun durch die entweichende Koh-
lensaure das Brausen und Dr. Ryan, gewesener Lektor am
polytechnischen Institut, ein Mann von hiibschen Kenntnissen,
erklart, wie friiher Herr Graves zu Apperley Bridge, dab so
ebeo der ,, splitting process" vor sich gefat. Nun wtrd der
Korb in eine schwache Sodalosung, von da aber in die Bleich-
fliissigkeit, aus Chlorkalk und Bitlersah bereitet, daon in Was-
ser mii Schwefelsaure und xuletzt in reines Wasser beriiber
gehoben.
Vor meiner Abreise aus London war, in Folge der viel*
failigen Bemiihungen Claussen's und seiner Geliatfen, fiir
Amerika das Patentrecht von dem Londoner Hause: Macfar-
lane and Stapley (No. 133, Cheapside) gekauft worden. Audi
waren „ Licenses" fiir einzelne Orie in England genoimnen
und einige Herren gingen mil der Idee um, das Patentrecht
fur Schof tland zu eratefaen. Die Konigliche Flachs-Gesellschaft
in Irland scheint fiirs erste an der dorl seit mebreren Jahren
durch den verstorbenen Sehenck eingefiihrlen Melhode, nach
welcher bekanntlich der Flachs durch erwarmtes Wasser zur
weiteren Bearbeitung vorbereitet wird, fest halten zu wollen.
Ich habe die vorhergehende Auseinandersetzung bberaom-
men, urn die Wahrheit in Bezug auf die Claussen'schen An-
preisungen aufzudecken. MeineUeberzeugung ist, dafs Russ^
land des Ritters Claussen patentirte, verin«nte Verwandlung
von Flachs in Baumwolle nicht braucht.
Wir wollen unseren langen Flachs nicht zerhacken, son*
dem ihn lang bleiben lassen, und ihn dann auf dazu geeigne-
ten Maschinen spinnen. Mit vieler Freude sah ich bei William
Higgins and Sons in Salford bei Manchester und bei Herrn
Peter Fairbain in Leeds solche Maschinen in bedeutender Zahl
fiir Russland anferligen und es werden wirklich jetzt in Russ-
land an mehreren Orten Flachspinnereien angeiegt, was nicht
zu sehr gelobt werden kano, denn bis jetzt ging der auf rus-
Die FlacbsbaumwOlte «uf «ter Londoner AiiMtellang. 3Sg
siveh^m Boden erseogle Fiachs nach GrofabriCaanieft ubd Ir-
land, um AoH geaponnen zu warden. Herr Mertwago etaUirte
dia erate Spint^erei ohnw«ii Moskau.
Die Ciaussen'sche Behauptung, daft l>ei dem Eintauchen
von mi kohlensaurein Nalnim getranktem Flacha in Scbwe-
felsaure derselbe in Fas^n, wdche denen der Baumwolie vell-
kommen ahnlich sefen, gespalten werde^ ist eine Tiiaschung.
Der Bast des Flachaslengels kann bakannllich, dorch chemische
Beihiilfe, vermittelst sorgfaltiger mecbanisclier Bearbeitinig in
feine Fasern sertkeiil werden. Immer aber werden diese in
Bttiag aruf Durchmesaer and aufaere Farm mehr ader wetii-
ger von einander verachieden seini und nie werden sie die
voHkommeiie Homogeneitat derBaumwolleniaden haben, welcbe
das Erzeugnifs unnacbahmbarer achaffender Naturkraft sind.
Sollte man- in Husaland fein bearbeiiete Flachaheede mil
Baumwolie miachen nnd ate dann zu Zeugen verarbeiten woU
len, wie solchea Ahnesorge zu Neumtinaler tbat, so karni ea
leichl geacbehn und wir braucben daau Claussen^s Hulfe nickt
Wfr haben in Russkmd iSngat verstanden^ Heede in einen fei-
n^h, gewisaermafsen seiden*- oder baumwoltartigen < Sloff zu
verwandeln. Sthon vor inehr als vierzig Jabren schlug ein
eiflgebornei Russe vor, dieses durch Behandlung wok kau8ti«
scher Aschenlauge und Seife zu thun. Wir verstehen auch,
Flachsheede nicht weniger gut als anderswo zu bleichen.
Flachs liefert Gewebe, die zu Bekleidungen verarbeitet,
von alien hiezu gewohnlich gebrauchten Stoffen, das Warme
ableitende Vermogen im grofsten Maafse besitzen, wenn nicht
etwa die Faser der Urtica (Boehmeria) nivea, des sogenannten
chinesischen Grases, noch besser leitet, was ich bei Gelegen-
heit zu untersuchen wunsche.
Aus diesem Grunde istLinnen im schwiilen Somn>er, Baum-
wollenzeug aber, das schon weniger gut ableitet, bei kuhlerer
Witterung die angemessenste Bekieidung. Ein Gewebe aus
einer Mischung von Flachsheede und Baumwolie mufs im Be-
zug auf das Warmeableitungsvermogen zwischen beiden stehn.
Schaf- und andere Thierwolle leilen die Warme weit
364 Indoitrie and Handel.
schlecbter, als Fladbs und BaumwoUe. Stoffe aus veredelier
Heede mil Thierwolle gemischt, zu verfertigen, wie es ebien*
falls Ahnesorge vorschlug, kann swar fur gewisse Zwecke
geschehen^ ist aber eigentiich doch nichl empfehlungswerth.
Eben weil die Wolle ein schlechier Warmeleiter ist, vvird sie
uhs 80 niiizlich, denn wirhuUenuns, wenn in der Almo^hare
der Warmestoff nur sparlich vorhandeti ist, in StofTe aus die-
sem schlechten Letter ein, um uns die in unsrem Qrganisaius
erzeugle Warme nicht schnell entziehen zu iassen. Ist aber
die Thierwoile bedeutend mit Flachsfasern vermischt, welehe
gute Warmeleiter sind, so entschliipft langs diesen die Warme
aus dem Korper in die uns umgebende Atmosphare. Sie
rnufs es thun, weil ihr das Gesetz vorgesehrieben ist, sich,
wo es angeht, gleichmaCsig zu veribeilen.
Ich glaube hinianglich dargetban zu haben, dafs dasjenige,
was von der Flacbsbaumwolle, welobe wahrend der Londoner
Aus&tdlung so grotses Aufsehen erregte, elwa anweadbar sein
mSchte, schon friiher von Andem, in England aber ganz neoer«
dings von Herm Ahnesorge, vorgeseUagen worden, daCs aber
die von dem Rilter Claussen patentirte Zerstiickelung werth-
vollen Flachses, weder in Russland noeh anderswo eingefiihrl
werden mufs.
Baltische Skizzen oder vor fanfzig Jahren*}.
Cine lievlandische Volkskammer.
Die Miigdeslube, das Spinozimtnery die Aotichambre fUr
Bauern, die Valkskammeri haite vor funfeig Jahren etwaa
Urspriingliches ; es war ein Sliick esihnisGhen Lebens in einem
deulschen Hause. Wie Penelope auf Ithaka unter ihren Mag-
den, BO safsen auch in Lievland die adeiigen Dameti in der
Volkakammery umgeben von Cord en. Dies sind durchaus
keine maihemaiische Figureni sondem sonennlman dieFrohti-
magde. Wenn diese das Vieh beschickl hatlen, mufsien sie
in die Volkskammer und hier spinnen, nSheUi stricken oder
Gam wickdn von hoben Garnwinden mit Radern nach alleki
vier Weligegenden, Die gnadigeFrau fiihrte selbsl dieOber-
aufsichty schUef aber wohl mitunter dariiber ein und das be-
nulsten die diebischen Cordon und slopften sich von der
herrschaftlichen Woile in ihre Siriimpfe, was das Zeug hielt
Die Volkskammer im Hause meiner Grofseltern hatte in der
Thiire, die su den WohQsimmern fohrte, ein bysantinisch ge*
formtes Fensterchen und ein Was-isl-das. Sie dienlen sum
*) Brachstiick atiB einer SAimnlang von ethnographitchen Noyellen aat
den RuMiachen Oataee-Profinzen. Peterabarger Akadem. Zeitong
1852. No. 51.
366 Hifitortsch-lingaistiscbe Wistentchaften.
Ueberwachen und zu miindiichen Mitlheilungen , denn beitn
Oeffnen der gansen Thur drang ein unangenehmer Geruch
von Schafswoile, Gansefedern und Pergelqualm herein und
Katzen und Hunde, Amor und Nenzi, Kranzi und Moppa be-
nutzten immer die geoffnete Thur, sprangen herein und be-
schmutzten die Dielen, was meiner» in Beziehung auf Reiniich-
keii hollandiseh gesinnten, Xante die grofsie persdnliche
Beleidigung war und in ihren Augen iiberhaupt zu den schwar*
zesten Verbrechen gehorte, dessen Mensch oder Thier fahig
seid kanti. ,,Ktfinkl thich sonsi ttte ibr wolU ^ sptach tie
zu uns Knaben mit bewegter Stimme — aber wischt immer
eure Fiifse ab eher ihr hereinkommt! Ihr seht, mii meinen
Thranen wasche ich die Dielen!" Gewaschene Dielen ge-
horten in Lievland zu den meralischen Eigenschaften der
Hausfrau. Man legte durch alle' Zimmern von Thiir zu Thiir
eine lange Leinwand, so dafs man in den Zimmern sich Wege
bildete^ von denen Niemand bei Verm^idang schrecklicfaer
Schelte zur Seile weichen durfte. Hiefs es nun y^Premden
kommen/^ so rannte dneMagd, ats ob ihr derKopf bmnnte,
und rollte die sehmuizigen Leinwandslrafsen im Pluge auf;
und Irat der Besuch herein, so sirahHe ihm eine blefudend
reine Fufsdiele entgegen. Dafs man auf Leinwand absicbtlieh
treten solle, begreift ein B^uer sehwer. Wir waren bei un-
seretn Onkel zom Besuch, als ein Bole mit ganz durchnMfdten
Ftifden ankam. Er sollle seinem Herm einen Brief abgeben,
aber wie soHte er zu ihm gelangen? Das Zimmer war eng
und von der. Thiir bis cu des Onkels Schreibetisch lag tkm
die schonste Leinwand im Wege. — },Nun, her damit!** rief
mein OnkeL Der Bauer sann hin und her und endlick fiel
ihm ein Mittel ein. Er kam springend herbei, indam er iiber
die ziemlieh breite Leinwand naeh rechts mid links abwech-
seind ftirchterliche Satze nahm. Da mm seitie Fttfse sehau-
derhafi schmulzig waren und wie nasse Schwamme agirten,
so kann man sich leicht den Schrecken der Frau vom Hause
denken, die dazukam. ^Es ist um dieCrepance zu kriegen/'
rief sie aus. Der ungliickliche Bote wurde mit Sehimpf und
Bftltiiehe Skissen oder for tatik^g Jahren. S6t
Schande hinausgejftgt, aber wir Kinder lachlen tlber dte Bddcs^
spHinge des feinseinwoHenden Eslhen.
In der Volkskammer safs^n unsere MSgde um tme drei
Fufs hohe Stange, „die Fenerhand'' auf Eathnisch gebeis*
sen. Sie sieht auf einem Kreuzholz oder Klolz befesHgt und
besilzt oben an ihrer SptUe ein, wie ein liegendes 'Fragesei*
ehen gebogenes, Etsefiblech. In diese Feuerhand steokte man
min des Abends lange bremiende Pergel*) und erhdiUe die
Stube ziemlich gut, obtvohl mit ungleichein und flackerndeni
Lichte. AUe fiinf Minuten elwa mufste eio anderer Pergel
genemiuen werden und zu dem Behiif lag dn ganzes Bund
neben der Fenerhand. Diese Erleuehtung herrscbt durch gans
Liev- und Esthland und ist gewifii die tbeuersie Mielhode, da
aie die gewdhnliche Veranlassung zu Feuersbrimsteii abgiebt
Wir Kebten sie aber sefar. An eineoi Talglicki giebl es h8ch«
stens mitunier Diebe, Briefe, Trauernachrichten und blumen*'
ariige Formationen, aber das Schauspiel der Pergelflamme isi
ein bei weitem reicheres. Da isi bald eine kleine Expfosien
des Aetna, baid ein Thai Solfatara mii wirbelnden Rauchsau^
ten, bald ein Feuerwerk mit prachtigen roihen, gelben, griinen
und blauen Flammen, bald ein unerklarlicher Irrwisch, der
einen Zoli entfemt vom Pergel mitten in der Luft iSnaeil;.
Und das kniltert und knatterfc^ platzt, winselt und singt, als
ob tausend Salamander etnen Hexraaabbath in ihrem lufligen
Blemente auffiihrten.
Unter den Figuren, die sich meinem Oedachtttib aas jener
Zeit noch erhalten haben, sehe ich noch lebhaft ein toUes
Weib: Do lie Anno genannt, eine Vagabundin, die gewobn*
lieh im argsten Wetter umherlief und dann und wann bei
ans vorspracb, wobei sie von menief Grofsmutter ersi geapeisi
nnd getriinkl und dann gleich ans Wollekratzen gesetat wurde.
Da safs die unheimliehe Wahnsinnige, die wie Niobe alle ihre
*) Pergel' sind geschmeidige, lineal- abnliche^ diinne Brettohen von
Kienbolz, einen balben Klafter lang. Sie dienen, angezundet, znr
Rrlencbtung. Man hat aiieh Pergel- tor trockenem Birkefibolze.
368 Hlftorttcb-UngaiitbclM WiiMnaohalteti.
Kinder verloren haUe, aber nicht durcb die Pfeile Apollo*^,
sondern durch die barbarische Behandlung ibres Mannes, der
sie durch forlwahrende Mi&bandlangen umgebracbt hatle^ Die
Kranke war von einer fixen Idee gequSlt; sie sah iroikier ^wie
ihre Kinder geschlagen wurdcn, und gegen diesen Wahn iafc
Paskals Abgrund eine Wobltbat. Oft hielt sie mitien in der
Arbeit inne, borchte angstlich an der Wand und rief wiithend
aus: ^^Andres, schlag' nicht die Kinder!** Nie lachte sie, eia
ewigerGram lag in ihreoi wie gefrorenen Gesicht; eio angst-
licberBUck sals in den tiefen, grauen Augen und.beide Brau-
nen waren durch feste Runseln verbunden. Sie sah so elend,
so kummervoll y so grau aus, dafs wir Kinder sie immer mit
Mitleid und Furcht betrachteten, besonders wenn sie ankam
oder fortlief schauten wir ihr gern durcha Fenster nach um
zu sehen, wie sie heftig gestikulirend, mit den Raben, mit dem
Winde und den Wolken zankte und schrie. Doch lassen wir
die dolle Anno im dunkeln Winkel sitzeo und nahem wir
una der Pergelflamme und dem Magdekreis. Die eine spinnt
am schiiurrenden Woek; die andere rasselt am WebestuhJ;
Liao, die Sauhirtin, rupft eine Gans und erschreckt uns Kin->
der damit, dafs sie das todte Thier schreien lafst, indem sie
ihm die Brust lusammendriickL Jene hackt Kohl mit einem
Eisen, das wie ein romischesS gebogen und an einem langen
Stiel befeatigt ist, eine andre schiittelt wie eine Verftweifelnde
eine Bouteille Schmand, die nicht zu Butter werden wilL
Gehl die Kiichenlhtir auf, so erblickt man die Kochin und ihre
Gehiilfin mit nackten, blutigen Armen Wiirste fuUend oder
schwarsen Kek (Griitz-Blut-Kuchen) backend oder gegoroes
Hafermehl durch einSieb pressend zu dem gallertartigen
esthnischen beriichtigten Gericht Kihsell genannt, das der-
mafsen nach Ranch riecht^ schmeckt und aussieht, dafe man
versuchl ist es fiir gefrorenen Ranch zu halten. Aber moge
dieses Gericht immerhin Turken und Heiden, Christen nnd Chi-
nesen grauenvoll scheinen, so machtig sind unsere Jugend-
eindrucke und Gewohnheiten, dafs ich nach Kihseli eine Sehn-
sucht empGnde wie der Gronlander nach seinem Wallfisch-
Baltitdbe Skisxen od«r Tor l^nfsig Jftbn«ii. 8^
thran. Nur lievlandische OfengriiUe kanii aich inii. KihseU
messen.
Alle diese Gerichie konnen nur verstandea werden, wenn
man sie aucb auf lievlandisch iCst, d. h. mil Zucker und mit
Schmand; indem man den heifsen Ofenbrei mit eiskalier sau-
rer Milch , siifsem . Schmand und Zucker ibl, enUteht eine
gana neue Kombination von Gesohmacken, Warm und kalt,
sauer uod siifs wird gemeinsam empfunden — es ist fiir die
Zunge das, was eine Fuge von Bach fur's Ohr isl ; zerreifeeod
fiir den Laien, himmlisch fiir den Kenner. — Der Schmand
isl das Element der lievlandiachen Kiiche, Alles wird damit
angerichtet: Erdbeeren, Waffeln, Krebse, Rietschen, Wild, Ge-
miise und Sallat — kursum alle» Efsbare aus Luft, Wasser.
und Erde geralh zuletftt nach dem Durcbgange durchs vierle
Element, das Feuer, in das fiinfte lievlandische Element —
den Schmand und dessen Milcbsebwester — die Butter.
Aber welch' ein heller Ton? Glockcben bimmeln; die
Hunde bellen! Die Magde sehen einander an und werden
roth. Ist es doeb urn die W^ibnacbtseit und des Abends md
aUe Straisen voller Freier. Man hort die Klinke an der Voiks-
thiire gehn; Jemand scharrt und rauspert sich in der Kiiche;
endlich geht die letzle Thiir auf und der stattliche Reinh#ld>
Birkhuhn, ein Bauer in seinen besten Jabren und seiliem
besten Rock, trilt herein. Das Erste was er thut, ist, sich
tuchtig ausausi:hneutzen und den ErfoJg seines Man6vers
rait dem Pastel zu vernicbien. Darauf sagt er zu den Mag-
den: Terre, terre! Die Aniwort im krabenden Diskanl
laulel: Terre ju.mmal imine! — Das beilst: — Ja! was
heifst das eigentlicb? — Niemand kennt den eigentlicben Siqn
der eslbnischeti Begriifsungen. Terre — soil Thor sein (?);
imme, bebaupten tiichtige Gelehrte, ist das Futurum vom
Verbum sein, hiefse also: wird sein. Der GruOs sei eine
Nennung des alten Gottes Thor. Der Gegengrufis lautet:
terre Jummal nimme. — Da es ungewifs ist, ob die Al>
terthumaforschf^r upd Linguisten diesen Streit in dcin nacbsten
tausend Jahren schlichten werden, so fahre ich indessen in
870 Hlitorisdi-imgttistiiche WiMeDseikalba*
meiner Ereahlung fori. — Langere Pause. Der Esthe fmdel
es notbig sich nochmals und init einem noch trompelenarl^
gereti Ton zo schneutsen. — Die Magde fabren fort 6msig
Wolle su kraizen und die Bouteille Scbmand wird mtt ei&er
Wuih geschiitlell die in Personlichkeilen auszuarten drohh
Die Spinnrader drelien sich mii der Schnelligkeit von Radern
einer Lokomotive von Stephenson und das WeberscUffehen
fliegt durch den Aufschlag ktirrend und schwirrend vi^ie Odys-»
seus Pfeil dureh die swolf Ringe. Endlicb fragt das Birkhuhn,
ob es die Frau Probstin sprecben konne. — Keine von den
Magden macfat Anstalten seinen Wunscb zu reaiisiren, sie
affektiren alio eine ungeheure Gleichgiiltigkdt und sebeinen
mit ibrer Arbeit verwaebsen zu sein wio die damesischen
Zwiilinge. Endlicb wtrd die Gansefederpfluckerin LisOy ci de«
vant Saubirtin, abgesandt und baid tritt die Frao Propslin
mil deok Strickslrun^pf herein and griiisl berablassend , und
an ihrem Rocke bangt ibr Enkelcben und merkt sich alles
fiir das Feuilleton der St. Petersburgiscben Zeitung. Die
Prau Prdbstin riecht den Braien gleieh, denn sie hat eine
feine Nase -*- sie iafst sich aber nicbls merken. Guten Abend
Birkhubn^s Rdnboid ! (vor fiinfzig Jahr hatten dieBauem keine
FaaiiUennamen, der Name des Gesiades wurde nur im Gene-
tiv dem Taofnamen vorgesetzl).
„Gegrufst seien Sie, gnadige Frau des Propstesl"
„Es ist wobl rechl schlechtes Wetter draufeen?''
„Das Wetter und das Geschaft fragen nicht nacfa ein-
ander."
Hier wiirden gew5hnlicbe Frauenzimmw in dieFalle ge*
gangen sein und hfitten gefragt: Was fiir ein Geschaft?
Aber die Frau Pr5bstin ist eine ungew5hnlich klugeFrau;
sie begnligt sich daher zu sagen:
„Wie gebt es deinem Weibe?"
Der Bauer erzShlt nun eine Dorfgeschichte naoh der an-
deren, bios um unvermerkt auf seinen SchUtzling zu kommen,
seinen Nachbar Keskulla Pertel — d. b. Bartel mitlon
a us demDorf. — Jetzt, da der Name mit kitentioii genanal
^BalCiteke l^he^en od«r yt/r ftrnfeig hUstth. 37 1
ist, begrcfifen aile MMgde wer draufsen bei den Pferden A-ierl;
eine Ton- ihn^n aber, Leno (Helene), wird purpurroth. Die
Frau Pri)bslin scheini nicht das geringste Interesae an Kes*
kiilla Pertel eu iiehmen, «ondern fragt:
„Icfa denke dil fahrot ah den Strand naeh Fi^chen, du
kSnntesi mir dort bei Ralmo Thomas Bracfasen bestellen?**
„Nein gniidige Frau, naeh Fischen fahr ich nicht, ieh
suche eine Kuh, die sich verlaufen hat!**
Diplomatiseher KnalteflTekt! Zarter and sinniger konnte
das grofse Gebeimnifs nicht an derl Tag kommen. Die MSgde,
die bereits purpurroth waren, zeigen eine noch h5here his
jetat noeh nnbekennle Nuance ven Roth. Leno lauft schon
ins Biaue an. ths Birkhuhn ist ako riehtig ein Freiwerber,
aber wer von ihnen ist mil dem sinnigen Biide eirrer Kuh,
dieser Gefahrtin des civiiisirten Menschen, gemeinl?
„War es eine rothe oder schwarte Kuh?** fragte die Frau
PrSpstin.
Der WMbrwolf.
P6liaKarel war eine von den Figuren, die einem gansew*
Kirchspiel zwanzigJahr lang zn reden geben, und die sich in
die Traume der Kinder mischen. Es war ein schwarzhaari-
ger, gewaltiger, athletisch gebauter Esthe, der mit demKopfe
und der halben Brust tiber allem Volk emporragte. Sein
Haupthaar, das wie eine Steinkohle gl^nzte, fiei gescheitelt zu
beiden Seiten des dunkelbraunen Gestchts nieder, und Ilofs,'
wie ein Pferdeschweif so grob, aof die Schulter und den Nak-
ken. Betrachtet man das blonde und friedsame Esthenvolk
von heut zuTage, so sind es nur solche seltene Gesialten in
wailendem Bart und mit einem funkelnden Blidce aus kleinen,
tiefen, viereckigen Augenh(^hlen zwischen mSchtigen breilen
Backenknochen und einer Mtene voll Ironic undTficke^^— so
sind es, sagen wir, nur solche Ge^talten, die uns in Liv!ands
Vorzeit auruckyersetzen und sie uns venslehen lassen. Solche
nordisehe Riesen waren es, die* den Schwerdtrittern , Danen
I
[ 374 HiitorUch-lingnistische Wissenschaften.
>di« Hirten und Hunde erreichten ihn fast, da liefs das Thier
tids Schaf los und kroch zahnefletschend ins Gebtisch; alles
9
dfangle ihm nach und fiel mitPnigeln iiber ihn her; plotzlicfa
fiei eine Stimm«: Ich bin es ja, was schlagt ihr mich, ihr
{barren! -^ Erstaunt sahen sich die Hirten an; unter ihren
Priigeln halte sich dor Wahrwoif verwandelt und PdJIa Karel
eeigte ihnen lachelnd seine weissen, spitzigen Zabne.
Die Phantasie, dieses Kind ini Menschen, w>rd nie alter;
4!S bleibi sich in alien Landern und zu alien Zeiten gleich.
(Was „der Verstand der Verstandigen" nicht sieht, das. eben
^rsctieinl ^dem- kindlichen GeDfiiilh.'^ Funfzig Jabr zuriick oder
heute macht keinen Untel^chied im Giauhen an eine Welt jen-
seits unserer filnf Sinne. Die Wahrwolfe laufen in der Phan-
tasie des Landvolkes 1850 ebenao gut herum wiie 1800 und
in dieser Beeiehung miisste die Erzahiung heissen: So war es
Ufid so ist es noch.
Der geistreiche Landrichler S. von H. hatie uns mit sei-
ner allerliebsten, atherischen, in einem Doftineer von Jean
Pauischen Ideen und Esprit Pompadour einherschwebenden
Gatlin besucht, und nach dem Thee begaben sie sich ion
Kulschschlitten auf den Riickweg zu dem nahgelegenen Her-
renhof. Der Wcg von der Propstei ging bis zur grofsen Heer-
fitrafse und weiler hinilber in's Land* Der Hof aber 1^ an
der Strafse nur zwei VVerst vom Kreuzwege; die ganze Fahrt
lEonnie in einer Viertelstunde abgemacht sein. Aber es war
anders in den Sternen beschlossen -r- diese umflorlen sich
4iiit)li€h plot^lich, eine dunkele Wolke flog iiber die weite
4»aui«ilose Ebene, und wie Federn aus einem zerrisseoeB Pfiihl
^priihte nun ein diehter Schneefali daher; die Kalte war dabei
^sig, der Sturm hob den l6s«n Schnee von den FeMern und
toUte Pferde und Schlilten in eine Schneewoike ein*; man
sah nicht eine Pferdsiange vor sich; die Pferde aber spitzten
die Ohren und sohauderten und der Kutscher erbltckte ein
paar feurige Augen, die immer neben dem Schlitten sich gleich-
schneli fortbewegten. Es war ein Wolf. Nachdem der Kut-
scher und die Pferde dieses gieichsam konstatirt batten, nam-
^-1
BaltisdM Skitoen oiler vor fianfsig Jahren. 975
lich, daffi nur ein einsiger Wolf da war, selzlen sie die Fahrt
vollkomnien heikr fori, denn in Lievland, wo im Jahre 1814
allein in unsereni Kirchspiel fUnfundswansig Kinder von den
Wolfen aufgefressen warden — in Lievland hat ein Wolf
luchls 8U 4agen. Man Mrgert sich nur, dab man nie eine
Flinte bei sich bat, w<enn der „6niurock" oder^Langschwans''*)
sich an unsere Geselischaft anaohliefrt, and ims etne Streoke
lang naeh Hundeart begieitet. Indess hatte diesmal Isegrimn
doch den KutS4;ber aus dem Konaept gebradht; dieser rneinte
schon iiber den Kreuxweg hiniihergefahren zu tiein tod war
daher ungewiss ob er umwenden solUe oder nicht, ak plotsr
lieh die bohe Gestalt, wie. es scbien, von Pdlla KireU am
Schlitlen Mand. . Er aah aua wie der steineme Gaat im Dmi
Juan. Sein schwarser Eslhenrack, seine schwarzen Loeken
and die schwarze Pelzmiilse mit den fufshohen Puchsfellen bu
beiden Seilen, alles war mit Schnee inkrustirt. Man batie
ihft fiir einen riesenhalten Schtieemarm halten kofuittn. ,,Siiid
wir auf unserem ricfaiigen Wege?^' rief der Kutscher dem
Hexenmeister zu. — > ^Freilieh auf dem richtigem Wege zum -^
Gakkuk! — Fahrt nur zu!'* rief dieGestalt mit unheimiiehem
Lachen*
Der KuLicher wuaste nicht recht was er zu der dop|>elr>
sinnigen Rede sagen solkoy fuhr indess auf Gerathewohl wei-
ter. Sie befanden sich nun im argsten Schneegestober auf
ciner weiten und kablen Ebene, wo weder Busch noch Baum
stand, wie ein Boot ohne Kompass auf offenem Meere. Kein
Stein, nicht einmat die gespensiischen Stengel der Scbafgarbe
uberragten <lie Schneedecke als Merkzeichen des.Wegs. Die*
ser versehwand bald unter den Fiifsen der Pferde, cKe dea
Sohiitfen miifasam durch den tiefen Schnee zogen, und die
Lage wurde bedenkiieh. Die Kalte war empfindtich und die
zarte Frau schauderle vor Frost. Der Landrichter rief end-
lich dem Kutscher zu, die Jaglinien (Leinen) den Pferden zu
iiberlass^. — >,Wir sind vielleicht nur ein Paar Schritte vom
*) Halj kmib, ptik sabba.
25
376 Historisch-lingnistische Wissenschaften,
Gute/* sagte er, „e8 ware zu loll die Nacht auf offenem Felde
subringen zu miissen!" — Kaum hatte derKutscher die Lei*
nen schlaff hangen lassen, als die Pferde still standen, im
Winde schnaubten und dann wie von einer gemeinsamen Idee
belebt, eine ganzHch verschiedene Richtung querfeldein nah-
men. Der Kutscher beobachteie dies Mandver ebenso ver-
wundert wie ein Knabe einem Taschenspieler zusiehl, der
Werg verschlingt, und erwartete den Ausgang mit Spannung.
Nach einiger Zeit standen die Pferde still, senkten die Kdpfe,
kralzten OEiit den Vorderhnfen im Schnee, machten beide zu-
gleich einen machiigen Sprung und — siehe da derSchlitten
war, iiber einen verschneiten Graben, wieder giiicklich auf
einem festen Wege angelangt! Ein Stein fiel dem altenPferde-
lenker vom Herzen ; er war zugleich sehr stolz auf seine ZSg-
linge und schrieb sich zuletzl selbst und seiner Crziehung zu
Gute was nur der Instinkt vermocht hatte. Nan fuhr nun
auf dem unbekannten Wege, der doch irgend wohin rdhren
mufste, lustig weiler und endlich standen die Pferde in einer
wiisten und hiiglichen Gegend vor einem vereinzeiten Blok-
hauschen still. — „Nun — rief der Landrichter — wo sind
wir denn?*^ — „Das geht nicht mit richfigen Dingen zu —
meinte der alte Kutscher — wir sind auf dem Teufelsfelde,
hier stehi der <Saunn von Pdlla Kirel.*' — „Nun gut, wecke
ihn, dafs er uns den Weg zeigt" — „Wecken? Weiss der
< Himmel wo er jetzt im StOhm sich umhertreibt und wessen
Schafstall er umschleicht; er war ja am' Kreuzwege! — In
dem AugenbUcke winselte die kleine Thiir, ein Peuerschein
quoU aus derSpalte und hell beleuchtet von einer flackenden
Pergelfiamme stand Pdlla Kirel reisefertig. in der Mutze und
mit einer Peitsche in der Hand da. „Wir miissen uns schon
entschliefsen , ma chere, in des Hexenmeisters HShle zu tre-
ten — sagte Herr viin H. zu seiner Frau, — sie miissen sich,
meine Liebe, erwarmen.'* Die arme Dame konnte vor Frost
nicht sprechen, und der Mann nahm sie in seine Arme und
trug sie in die Hutte, wo es ganz warm war, aber schwarz
wie in einem Ofen. Herr von H. sah sich nach einem Stuble
Baltische Skizzen oder vor funfzig iahren. 377
Oder einer Bank urn, es waren aber keine anderen Sitze da
als ungeheure Feldsteine die aus der Erde hervorragten und
die nicht in die Hiiite gewSlst waren , sender n uber welche
diese mii Vorbedachi gebaut war urn gleich einige Mobel
zu haben ! Von der Lage herab hing ein ausgeweideies Schaf
wie bei einem Schlachter. Ein Knabe, spSrIich in Lumpen
gehiilh^ lag neben zwei Schweinen in einer Ecke und alle drei
schUefen. Der Esthe blieb in seiner (roUigen Sftellung und
blickte spSUisch auf die frierende Dame, Seine Lippen be-
wegten sich ais ob sie etwas still vor sich hinredeten
Arbeiten der Rossischen Geographischen Gesell'
schaft iiu Jahre 1851.
Am 11. October 1851 hielt die Russische Geographische Ge-
sellschaft ihre erste Herbst-Versainmlung, womit sie zugleich
in das siebepte Jahr ihres Beslehens (rat. Der Vice-Prasident,
General -Lieutenant Murawjew, legte hierbei einen Bericht
iiber die neuesten Arbeiten und Unternehmungen der Gesell-
schaft vor, aus dem wir Folgendes entnehmen.
Zu Irkuzk hat sich eine 5ibi rische Abtheilung gebildet,
die durch Reichsraths - Beschiuss vom 18. Juni 1851 bestaligt
worden und der die Regierung einen jahrhchen Zuschuss von
2000 S. R. bewilligl hat.
Der Grofsfiirst Thronfolger hat der Gesellschaft die Mog-
lichkeit gewahrt, den Professor Wallin zur Untersuchung des
inneren Afrika's abzusenden, indem er die Erlaubnifs des Kai-
sers dazu erwirkt und Herrn Wallinyvunter Beibehaltung sei-
nes Gehalts als Professor, eine Summe von 1000 S. R. aus
den Geldern der Alexanders-Universitat ausgesetzt hat. Herr
Wallin wird wahrscheinlich seine Reise im kunftigen Jahre
antreten.
Die Zuriistungen zurKamtschaiischen Expedition wer-
den eifrig fortgesetzt. Durch eigens dazu niedergeseizte Com-
missionen sind astronomische, physikalische , topographische,
geologische, botanische, zoologische und ethnographische In-
structionen ausgearbeitet worden; eine landwirthschafUiche
, J
Arbeiten d«r RoMisoheii Geographiscii«n GeselUcUaft ipi J. 1851. 379
ivird noch erwarlet. Diese umfangreichen Arbeilen, w^lcb^
die Gesellscbaft vornehrnlieh den Herren Oserskji, Nad^dinr,
Grigoijew, Reinecke, Kupfer^ Brandt, Fischer, Meier uod Ru-^
precht verdankt, warden nuninehr gesaminelt und ditirch den
Druck veroffenllichty um ^llen Freunden der Erdkimde dio
Mogliehkeit zu gewahren, der Gesellscbafi ihre Bemerkungen
und Zusalze uiiUutheiLen. Audi diese Expedition wird hof^
fentlich ihre Wirksamkeit im nach^leu Jahre beginnen.;
Bis dahin ist ebenfails die Beendigung der Untersuehun-
gen uber die devonische Region nu^geselzt worden, welche
voriges Jahr^von Herrn Helinereen begonnen Wurdeo. D^r
Bericbt uber dieselben konule v^egen einer Reise Heluier^ens
ins Ausiand der Gesellscbaft noeb nichl vorgelegt werden;;
der Pbin der kiinfligen Untersudiungen isi jedoeh deip Con^
seil nutgelheilt wcrden.
Die Bibliolbek und das Museum der Geselisdiafl werden
forlwahrend bereicbert. Besonders zu erwahnen sind eine in*
teressanle Sammlung kalmykiscber CostUaie, ein Geschei\k
des Beherrschera des Choscboniower Ulusses, Fiirsten Tju*
menew, eine von Herrn Diwow eingesandte bedeutende Kar-
tensamoilung, die zabireichen, von dem Correspondenten der
Geseilscbaft, Hieromonach Makarji, mitgelbeillen Materialien,
und endlich die der Gesellschafl iiberreicbten Arbeiten der
belgischen Akadeoiie und des Herrn Quetelet.
Die kartograpbiscben Unlernehmungen der Gesellschafl
sind im besten Fortgang begriffen. Der Ailas des Gouverne*
ments Twer wird zu Moskau in ebromobtbographiscbein Druck
unter Aufsicbt des General-Major Mendt berauisgegeben. Der
statislische Atlas von Russland erscbeini in Petersburg unter
der Leitung des Cooapilators, Herrn Miljutin. Djer e^huogra-
phische Atlas von Russland ist voUendet und erwartet zu sei-
ner Herausgabe nur den erkl^renden Text des Herrn Happen.
Die Situation der Karte des nordlicben Ural ist schoh ge-
stochen und es wird jetzt zu den Or(snani<en. geschritten. Der
Direktor des Geograpbischen Instituts m Weimar, Herr Fro-
riep, bat die ibo ubersabdlen Bemerkungen zur Correctur der
380 Physikaliseh- matbeinatitdie WiMentchafteib
im Auflrage der Geselischafi verferligten Generalkarle von
Asien empfangen. Von dem durch die Herren Boloiow und
Chanykow zusamtnengestelileD Atlas des nordwesUichen
Asiens sind die vier nordlichen Blatter feiiig; die beiden slid-
lichen werden jetzt vorgenommen. Von der Karte des Kas-
pischen Meeres ist das nordliche Blatt beendigt; das siidfiche)
an welchen jetzt gearbeitet wird, soil zur Grundlage der von
Herrn Chonykow entworfenen Karte des nordlichen Persiens
dienen.
Die von der Gesellschaft unternommenen Publicationen
befinden sich in folgender Lage: Die vierte Nummer des
Anzeigers (Wjestnik) ist zur Ausgabe fertig; der secfasie
Theil der Memoir en (Sapiski) wird zum Druck voii>ereitet;
fiir den zweiten Theil des statistischen CollectaDeums
(5bornik) liegen schon viele Arlikel vor. Der Druck des «r-
sten Theiles des ethnographisehen CoUectaneums ist
durch die Abwesenheit des Vorsitzenden der ethnographisehen
Abtheilung ins Stocken geralfaen, wird aber hoffentlich bald
nach seiner Riickkanft beendigt werden. Das Conseii hat
sioh mit der Pariser Soci^te Geographique in Verbindung ge*
setzt, um die Arbeilen der Gesellschaft auch fraozosisch her-
auszugeben, wogegen die deutsche Version eingehn soU. Von
dem erslen Bande des Reiseberichts der uralischen Expedition
sind bereits zwanzig Bogen gedruckt Der deutsche Text des
zweiten Bandes ist im Manuscript fast beendigt, und man
sucht jetzt einen zuverlassigen Uebersetzer ins Russische, in
welcher Sprache derBericht zuerst veroffenllicht werden soli;
unterdessen wird zum Xithographiren der zum Werke geho-
rigen Zeichnungen geschritten.
Was das geographiscbe und statistische Lexicon von
Russland betrifft, so wird Herr Frolow einen ausfiihrli-
chen Plan dazu voriegen. Die Uebersetzung der von der Ge*
sellschafl beslimmten Theile der Ritter'schen Geographic ist
bereits in Angriff genommen.
In Folge des von der Gesellschaft im Mai dieses Jabres
versandten Rundschreibens, haben die stadlischen Behdrden
Arbeiten der RusMichen Geograpliischen GeMlbchalt im J. 1851. 381
viele Maleriaiien asur UebersichI des irineren Bandels einge>>
liefert, die dem Redacteur dieser Schrift, G. P. Nebokin, zur
Verfiigung gestelU werden.
Die gleichfalls von der Geseiischafl erbetenen Nachrich-
ten iiber kiimatische Verhahnisse gehen ohne Unterbrechung
eiD und werden dem Herrn Porosehin verabfolgt, der die aus
denselben gezogenen Resultate kunftiges Jahr zu verSffentiiw
ehen verspricht Unterdessen hat das Conseil Mafsregeln ge-
troffen, den Beobachtern die nothigen Anweisungen zukommen
zu lassen und ihnen die Erwerbung gut reguiiHer Instrumente
zu erieichlern. Bericfate iiber Beobachtungen der Sonnen-
finsternifs durch die von der Gesellschaft dazu ausgeriisteten
Personen sind von den Herren Sawitsch und Semenow ein-
gegangen und werden von Herrn Schweizer erwartet. Ausser-
dem hat die Geseiischafl; in Folge des von ihr erlassenen
Rundschreibens eine Menge Bemerkungen iiber die Sonnen*
finsternifs von verschiedene Personen erhalten, deren Durch-
sicht Herr fi^awitsch iibernommen hat.
Vm die Ausarbeitung des WSrterbuchs der geographi-
schen Terminologie zu beschleunigen, hat das Conseil den un-
ter Leitung des Herrn J. W. Chanykow damit bescbafttgten
Personen fiir das kiinfUge Jahr eine Geldsumme ausgesetzt.
Die Abtheilung der physischen Geographic hat, unabhan-
gig von ihren anderen Arbeiten, den Plan eines eigenen Col*
lectaneums der physischen Geographic in Erwagung genommen.
Die ethnographische Abtheilung hat beschiossen, ausser
dein ethnographisehen Collectaneum , zur Bearbeitung und
Veroffentlichung von Materialien zur Geschichte der altrussi-
schen geographischen Ideen und geographischen Sprache un-
ter der Redaction der Herren Nadejdin und 5resnewskji zu
schreiten. F^mer gedenkt diese Abtheilung Berichte iiber die
bedeutendsten ethnographisehen Materialien abzustatten, welche
von der Gesellschaft erworben werden.
Die Anzeige der geographischen und statistischen Auf-
satze in den Journalen werden dieses Jahr beendigt werden.
Die Gesellschaft ist im Be^itz vieler wichtiger Arbeiten,
382 PhyBikalisch-Diathematisohe WisfeBsehaiten,
die sie zu veroffenllichen gedenki, und nameuilich: Beschrei-
bung des nordlichen Persiefls, von Blaremberg; Untersuchung
des Petschorischen Landes, von Latkin ; Uebersicht des 'nord-
lichen Ural, von Jurjew; meleorologische Beobacbiungen in
Beresowy von Abramow; Beschreibung Californiens, von ^-
oienow; Untersuchungen iiber die Nogajischen Tataren und
Turkmenen, von Archipow; Bericht iiber die VerleUiung der
Jukowschen Pramie im Jabre 1850, vonPoroschin; Uebersicht
des Kjachtaer Handed von Samoilow ; Bestimmung der oiiltle^
ren Lebensdauer in Ru^sland, von i$pa«tfkji ; Reiseuoliien uber
Kleinrussland, von Sementowskji; AbschaUung desGrundeigen*
(hums in Lieiland, von Waiujew; Notizen iiber die Kronbaueni
des Gouvernemenl Charkow, von Petrowskji; Notiz iiber den
Solikamsker Kreis, voa Lukanin; iiber die Creditansialten in
Russiand, von Lamanskji; uber den Zustand der Krondomai*
nen und BauerUi von We^eiowskji; Tagebuch einer Reise
naeh Persien, Buchara und Chiwa in den Jahren 1720 und
1725 von Florio Beneveni; Untersuchung des osllichen Ufers
des Kaspischen Meeres in den Jahren 1832. bis 1836 von
Kareiin.
Ausserdem siiid der Gesellschaft folgende ArbeileKi ver*
sprochen worden: Bericht iiber eine Reise naoh dem ^iidlicben
Ural, von P. J. NeboUin; Skizze einer Untersuchung d^r 5i-
birischen Kirgjaen * Steppe und der westlichen Abzweigwg^Q
des Tcbanscb^n, vop S^hrenk; Bericht iiber die vorlauiige
Untersuchung der devonischen Region, von Heknerseo; Phy-
sisehe Skizze dep Kaukasus und Transkaukasiens, von N. W.
Chanykow; Bericht iiber eine Reise nacfa Sudan, von Zen-
kovvskji; statistische Nachrichten von dem Konigreich Polen,
von Malkowskji; Blick auf die mythische P^riode der volks-
thiimlichen Kussischen Geographic, von Nadejdin; Monographic
des Fiirsienthuuss Bjelo-Osero, vonKorkunow; iiber die Now-
goroder, P^kower und Bjeloserer Registerbiicher, von Newo-
lin.; iiber das Registerbuch der Stadt Kasan, von Miijutin;
iiber die Bucher der alten Landinessung (^oschnoje pi«uio),
von Bjelajevv; Beschreibung der Stadte des eheinaiigen Gou-
Arbeiten der Riissischen Geograpliisdien Gesellscbaft im J. 1851. 383
vernemenis Moskau und seiner Kreise in den Jahren 1775 bis
1777, von Iwanovv; uber die Kennzeichen der Russischen Na*
tionalilat, von Kawelin; (iber das Hausgerath des Russischen
Volkes, von Jegunow; Zusammenslellung von ethnographischen
Nachrichten uber die Tschuwaschen , von Saweljew; Ueber-
sicht des Russischen Handels in MiUelasien, von NeboUin;
Reise des Rilters de Lanoy in die Oslseelander, von Sawel-
jew; iiber die vegelabilische Staiistik, von Schichowskji; die
Ebtie und Ftu^ im W^rs^n M^eri vm Talysip; ^r ilas Re*
sultak dcir UUten Y^^^^^^Mung in Rus^I^nd, von G^wskji;
iiber die geodatischen Arbeiten unter der Regierung Peler I.,
von Iwanow; Uebecsicht der historischen Enlwickelung der
geographischen Kennlnisse in Russland, vom 9. Jahrhundert
bis 2uf Regierung Peters L, von Bjelajew; JNd^rmaiprebe <te$
Getraideg in den ruasiseben Stiidlen im 18. JaitrboDdert, voo
Bjelajew; kriiiscjte UebersidM dier Werke Hyakiatb Bildchu*
rin^s iiber die VoikeracbafUn MiUdarsiienB, von Grigorjew; Be-*
rieht iiber 4ie TriaBguialion ia den . PolnischeD Landern und
den dreieehfeiten Baftd der M^ok^iren deS' militohriscb'^Uipogrd^
phiscben Depots, voa Boiolow,
Alb Schiiisse der Verbanrfluiigen Iheilte der Gehiilfe des
Vorsil&eoden in der ethnographicohen Abtheilung, Herr 5re^,
newskjv der Gesellicbaft eine inienessanbe Uebersichi der hiaio*
risohftn* S«bicksale 'utfd «ationdleii Liieratur der Transkarpt-
Ibisehen Ruasinen mit, die hauplMehlieh auf seina personlioheii
BeobachHmgco imd Unlersiiichuligefi gegrundai isfc und eioeo
Theil aeines groCsen Werkea iiber die Gee>gfaphie d«s Rci$»^
schen Spcaebe biUet
Ein Rossisches Urtheil fiber die Russische Ab-
theilung der Weltausstellung von 1851 *).
Die 8p8ie Erdffnung der Navigation auf dem Baltischen Meer
war, wie bekannt, Ursache, dafs die vorziiglichsten Gegen-
stande der russiscben Industrie^ die jeizi im Krysiallpalast dea
Hydepark dem Uriheii der Welt unterworfen sind, erst spat
von St Petersburg nach London kamen, und da die russische
Abtheilung (ebenso wie einige andre) nicht sum I.Mai be^i-
digt werden konnte, erregte die Aufstellung der grSfaem Ar-
likel und das Aufhiingen der Stoffe um so mehr die Neugier
der Besttcher. Wenn in alien Zweigen der vaterliiodischen
Industrie unsere Fabrikanten sich an der Londoner Weltaus-
stellung batten betheiligen wollen, so hatten einige Journal-
korrespondenten sicherlich nicht Ursache gehabt una denVor-
wurf zu machen, dafs'unsre Abtheilung nicbt ein volktandiges
Bild unserer Nationalihatigkeit giebt Eine kurte Uebersicht
der verschiedenen Gegenstande, welche unsere Tbeilnafame an
diesem Weltbasar bekunden, wird jedoch hinreichen, sowohl
die einseitigen Ansichten zu berichtigen, als auch die giinsti-
gen Urtheile des grofsten Tbeiles der aufgeklarten Manner,
welche unseren Leistungen voUe Gerechtigkeit wiederfahren
lassen, zu rechtfertigen. — Der mehrmalige Besuch der rus-
sischen Abtheilung von Seiten Ihr. Maj. der Konigin Victoria
*) Petersburger Akademische Zeitung 1851. Augost 1 u. f.
Gin Rusfl. Urtbeii iiber die Rasa. Abtheilang der WeUausstellung. 385
und des Prinzen Albert, wie der verwiUweten K6nigin der
Fransosen und der Herzogin von Orleans, und die Sorgfalt,
mil welcher die hohe englische Aristokralie die russischen
Waaren gepriift hat, wie auch das Interesse, welches das
Publikum ftir dieselben unausgesetzt zeigt, das sich jeden Tag
in dieser Abtheiiung einfindet, und endiich das richtige Urlheil
welches Kenner und selbst unsre sonstigen Nebenbuhler iiber
sie fallen, niachen es uns zur angenehmen Pflicht unsere ab-
wesenden Landsleute mit dem wahren Stande der russischen
Industrie auf diesem Sammelplata der Erzeugnisse aller 6e-
genden der Welt bekannt zu machen.
Die Gesammtzahl der russischen Aussteller in London
iibersteigt nicht 363. Wenn diese Zahl, im Vergleich mit an-
dern, Russland zunachst liegenden Manufakturiandetn, beim
ersten Ueberblick auch ziemlich unbedeutend erscheint, so
darf doch nicht iibersehen werden, dafs die Nummern der
andern Lander nur dadurch sich so sehr vermehrt haben, weil
Erstens, eine Menge Artikel eingesandt worden sind, die we-
der den Manufakturen noch der Landwirthschafl angehSren,
undZweitens, dafs darunter auch Baumaterialien (!) sind, deren
Transport, bei uns, aus weiter Feme bis zum Baltischen Meer,
mit grofsen Schwierigkeiten und ungewdhnlichen Unkosten
veikniipft gewesen ware. Beriicksichtigt man dies alles, so
wird man zugeben miissen, dafs der in diesem Betracht uns
gemachte Vorwurf, ungerecht ist Die Einladung zur Theil*
• nahme an der Wellausstellung annehmend, zog es Kussland
vor statt einer maafslosen Ansammlung aller seiner Produkte,
die in der ihnen zugemessenen Abtheiiung nicht einmalRaum
gdfunden hatten, nur solche Gegensiande einzusenden, welche
im Stande waren von dem gegenwartigen Standpunkt seiner
Industrie einen Begriff zu geben; und wenn Einige meinen,
dafs das Vermissen der Tuluaer Schwarzkunst aufSilber und
der Kleidertrachten der vielen verschiedenartigen Vdlkerschaf-
ten unsers ausgedehnten Vaterlandes ein grolser Mangel sei,
so kann dies nur relativ wahr sein. Aefanliche Vorwiirfe kann
man aber mehrern andern Landern auch machen, wenn man
386 fiKlutlrie uml Handel.
fleren gelieferie Saehe init der Lage ihrer Landeser&eugnisse
and ibrer eignen Bedurfnisse genau vergleicht. So seh^i wir
in der osierreichischen Ablheilung ebenfalis nicht di6 Trach-
ien der verschiedenen Volker dieses Kaiserihums (nainiicJi der
Kroaten, Dalinalier and anderer).
Wenden wir uns sp^ziell den in der russischen Ablhei-
lung der Weltaasstellung befindlichem Gegenstanden zuy so
glauben wir toerst bemerken su mOssen, dafs Rusaland in
inehrerer Hiosicht dem von der Konigl* Kommission suersl
als Leilfaden fur die Aussieller aufgeslellten Kiassensystem,
gefolgt ist.
In d«r ersten KJasse, d. h. unter den Mineralien nnd Me-
' (alien, hat Rusaland 25 Aussteller,- meist aus 5ibirien.
Tn der zweiten Klasse, d. h. in den Chemikalien und Farb-
stoffen, haben 22 lussiscbe Produzenlen die verschiedenen Ge-
genslande ausgeslellt, welche die gegenwartige Sl^ellung Russ-
lands in diesem fiir die Industrie so wichtige Zweige der
wissenschaftlicben Kennlnisse, sich befinden.
In der dritten Klasse, welohe die zur Nahrung be^timm-
ten Sloffe eoihalty haben 45 russische Gutsbesitzer, Kaufleute
und Bauern, und die Gorygoreekische Musterferme, die rus-
sische Abtheilung der Ausstellung mit verschiedenen Getraide-
arten auf dem Halm, und als Saamen, Mehl und Griitze, dann
allerlei Samereien, Fleiscbbouillon, Runkelriibenzucker, Ka-
viar u. s. w. ausgestattet.
In der vierten Klasse, welche die In Fabriken undManu-*
fakturen verwendeten Produkte des Pflanzen- und Tbierreichs
umfafst, sehen wir mehr als 50 Aussteller, welche den 5ud-
theii der russischen Abtheilung mit Hanf, Flachs, Borslen,
Thierhaar, Wolie, Seide, Baumwolle und Holtarten angefuUt
haben.
Die fiir Equipagen bestimmte funfleKlasse ist von unse-
rer Seite sehr schwach vertreten, indem hier, aufser der Hof-
Equipagenfabrik, nur drei Privat-Wagenbauer an der Ausstel-
lung Theil genommen und zwar nur solche Equipagen (vvie
Drosehk'en und leichte Schiitten) eingesandt haben, die weder
Hill Russ. Urtbeil iiber die Rum. Abtfaeilang der Weltausstellung. 387
von unsern Bedurfnissen noch von der Bedeutung des Wagen-
baues in den Hauptstadten Russiands einen BegriEf geben
konnen.
Dasselbe muss auch von der sechslen Klasse gesagt wer^
den, zu weicher die Maschinen und Werkzeuge gehoreo, und
in der, ausser vier kleiner Maschinen aus der Kaberliehen
Alexandrowschen Manufaktur und einem grofsen, vom War-
schnuer Fabrikanten Hekj^e gelieferten Apparal zum Zueker-
sieden im luftieerem Raum, nichis Bedeutendes aus Russland
vorliegl, wahrend die Mechaniker Riegel und Hopper, die
Schepelewsche Fabrik und mehrere Elablissements, diese Klasse
nichl weniger als der Zoilverein und Oesterreich, mit gros-
sen und kleinen Mascfainen uod Apparaieo batten ausstatten
konnen.
Blanke Waffen und Feuergewefare der Siatoustovvscben
Gewehrfabrik, wie aus den Fabriken von Kuschwinsk, Baran-
tschinsk , Nijne i«etsk und Kaukasien (in Allem von 10 Fabri-
ken), zieren die russisehe Abtheilung in der achten Klasse der
Weltausstell|ing.
In der neunien Klasse hat nur die eine Kronsfabrik zu
Artinsk Sensen eingesandt, und es isl zu bedauern, dafs weder
die Gebruder Batenop und Wilson in Moskau noch mehrere
der siidrussischen Gutsbesitzer, die sich schon seit einer Reihe
von Jahren durch Herstellung vortrefflicher Ackergerathe aus-
zeichnen, von ihren Produktionen etwas ausgestelll haben,
welche gewiss die Aufnaerksamkeii derKenner auf sich gezo-
gen hatten.
Fiir die zehnte Klasse haben 7 russiache Fabriken maihe-
maiische, physikaliscbe, musikalische und chirurgische Insiru-
mente eingesandt; unter diesen haben insbesondere die matbe-
tnatisoben Instrumenie der Admiraliiatsfabrik zu I^ora, und die
Recbenmaschine von Abraham Staffel zu Warschau, die Zu-
friedenheii der Experten und Sachkenner sich erworben.
In der elften Klasse haben die Fabrikanten Popow in Schuja
und Nottbeck in Finnland, Ersterer Mitkal, und Letzterer Miikal
und Baumwollengewebe sehr guter Qualitat ausgesiellt.
366 Indastrie and HandelJ
In der zwolften Klasse, zu der Wollengarn^ Tuche und
andere Wollen-Fabrikate gehdren, haben 20 russische Fabri-
kanten sich bei der Ausstellung betheiligt^ und das nicht bios
mit Artikein die, wie Einige behaupten, nur die Bediirfnisse
der Miltei- und hochsten Klassen befriedigen, sondern auch
init solchen welche zuni Gebrauch der nkderen Volksklasse
bestimiDt sind, wie: Bauerntuch aus dem Gouvemement Ra-
dom des Konigreichs Polen^ Tuch fius Kameelhaar von den
Gutem des Geheimeralhs Dnra^ow im Gouvernement Oren-
burg, Wollenkamlot oder die sogenannle Armjalschina der Na-
gai-Tataren und grobe Tuche von Transkaukaaien. — Im
Allgemeinen haben die meislien unserer Tuche and Wolien-
zeuge, sowohl vom Pubhkum ala von Kennern Lob eingeem*-
tet Letztere lassen nicht nur den Herrn Fiedler in Opatowka
und Tscheiwerikow in Moskau voile Gerecbligkeii wiederfah-
ren, sondern auch mehreren unserer Klinzower Tuchfabrikan-
ten, wie: bajew undAk^enow. In Belreff derKammwoIIwaa-
ren is! es angenehm zu erfahren, wie ailgemein die einstimnuge
Aeufserung isi, das man im Ausland sich durchaijs keine Vor-
siellung habe machen konnen von dem rasch^i Forlschritt,
den dieser wichtige Theil der Wollenltfduatrie bei una gemacht
habe. Die Gebriider Gutschkow und Wolner in Moskau ha-
ben das hiesige Publikum durch die VoUkommenheii ihrer
Metinozeuge, ihrer Tibets, ihrer Kaschemire und Mousseline*
de-Laine, in Erstaunen geselzt Die Armjatschina der Nagai-
Tataren und das dazu verwendete Kameelhaar und Gam daraus,
von den Baschkiren eingesandt, ziehen forlwahrend die Auf-
merksamkeii der Kenner auf sich, welche versicherni daft man
ahnliche Erzeugnisse in Europa noch nicht gesehen hat Das
von den Orenburgischen Kosakenweibem gesponnene Ziegen-
haar ist gleichfalls Gegenstand des ungeiheiiten Lobes des
Publikums und der damil handelnden Kaufleute.
Unsern golddurchwirklen Stoffen, besonders denen der
iSapojnikowschen Erben in Moskau, und den (zur dreizehnten
Klasse gehorenden) Seidenzeugen wird auf der Weltausstel-
lung voile Anerkennung gewShrt Von den 13 rusaiscben
Bin Russ. Urtlieil iiber die Rtiss. Abliieilung d. WelUuistellung. S&9
Ausstellern in diesei* Klasse, konnen sich die ineislen dea all-
gemeinen Lobes riihmen. Die Lyoner Pabrikanten bewundem
die Vollkommenbeit, und was wicbtiger ist, die Wohlfeilheit
der russischen Brokale und fiihren als besonderea Verdienst
derselben, den Glanz des Gold- und Silbergewebes und die
Originalilat und den ausgezeichneteu Geschmack der Desseina
an. Die vortrefllichen Farben, das tuchtige solide Gewebe
und der feine Geschmack der Desseins an den Seideneeugen
unseres ausgezeichneteu Pabrikanten, des Manufakturraths Kon*
draschew, hat seine Lyoner Rivalen so in Erstaunen geaetxt,
dafs, da sie ihn nicht niedriger als sich selbst stellen kSnnen,
sie doch vvenigstens in einigen seiner Zeuge eine Nachabmung
und selbst eine sebr gluckliche Kopie ihrer Muster beraas*
gefunden haben, als ob ein in einem fremden Lande, 2000
Werst von Lyon lebender Pabrikant, an das in Prankreich und
fiir dasselbe allein gellende Gesetz der Musterproprietat ge*
bunden ware. — Der Moskausche Pabrikant Laptew, welcher
Fabrikate aus russischer Seide ausstellt, ist ebenfalk nicht un*
beachtet gebiieben, obgleich seine Parben durchgangig dunkel
und die Muster nicht neu sind.
Von den zur viersehnten Klasse gehorenden Tauen, Strik-
ken und verschiedenen Leinwandsorten ist leider nur wenig
von Russland geschickt worden; das Segeltuch der Kaiserlichen
Alexandrowschen Manufaktur findet zwar verdiente Anerken-
nung, allein ihre Nachbarschaft wirft einen Schatten auf die
gleichartigen Erzeugnisse anderer russischen Pabrikanten. Im
AUgemeinen kimn man sagen, dais von den 12 Einsendern
(aufser der Alexandrowschen Manufaktur), nur das ausgezeich-
nete Tafellein des General-Majors von Mengden, belobt woo-
den ist
In der funfzehnten Klasse, welche Pabrikate verschiede*
ner Art, und insbesondere Shawls und kleine Tiicher enthalt,
sieht man einen von den verabsehiedeten Garde- Rittmeistem
Merlin eingesandten sehr schdnen Shawl von ausgezeichnetem
Gewebe und (iberaus geschmackvoUem Dessein; man bedauert
dabei nur, dafs dieses aufserordentliche Erz^ugnifs, das nicht
Ermans Russ. Arcliiv. Bd. XI. H. 3. 26
^90 Industrie und HandeU
Produki der Maoufaklurinduslrie ist, nicht seinem ganzen Werih
nach geschatzt werden kann. Ein unler den Arbeiten der
Orenburgschen Kosakenweiber befindlicbes Tuch aus weiOsem
Ziegenhaar, erregie nicht nur wcgen der Feinheii des Fadens
und des vortrefflichen Gewebes die Bewunderung, sondern
war auch so aufserordenilich billig laxirt^ dafs er gleich den
Tag nach Eroffnung der russischen Abtheilung verkauft wurde.
Ein anderes von den Fraulein Bondarewky's verferligtes Tuch
au3 Z^iegenhaar,. das den abnlicben scholUschen Tiicfaero weil
Yorgezogen wurde, ware ohne Zweifel ebenfalls verkauft wor-
deOy wenn der Preis angesetzl gevvesen ware.
Fur die sechzehnte Klasse, in welcher Leder, Felle und
Pferdege3chirr ausgesleilt sind und an der skh. 35 russische
Induslriellen b^theilig^ haben, verdienen wir den uns geaiach-
ten Vorwurf, dafs sehr wenig Juflen und Safiane eingesandt
worden 3ind, die einen Hauptzweig uuserer Gewerblhaligkeit
und einen der wichligslen G^genslande unseres in* und aus-
landiscben .HandeU bilden. — Die Gleichgulligkeit mil der,
xvie es scheixtl, un^ere l^ederfabrikanlen die Einiadiuig zur
Beschickung der Londoner Weltaus&tellung aufgeaommen ha*
bj&n, hat in Europa der falschen Ansichl Raum gegeben, als
sei diese Industrie bei uns in ganzlichem Verfall, wahrend
gerade das Gegentheil am Tage hegt, denn die fort\yahrende
Befriedigung aller iin ganzen weilen Reiche an diesen Artikel
gem^chten Anforderungen, wahrend bis zum Anfang des neuen
Jahrs hohe, dem Verbol gfeiche Zolle auf fremdes verarbei-
letes Leder lasteien und die Einfuhr des Pferdegeschirrs ganz-
hch verbolen war, beweist, wenn auch nicht die VoUkommen-
heit, so doch wenigstens die erforderliche Giite* und den Um-^
fang dieser Produktionen in Russland. In dieser Abtheilung
baben nur die gegerbten Kalbleder und jene aiit dem Fell-
haar (Rawdugi) des Fabrikanlen Skworzow in Moskau
und Miillers Sliefel aus War^chau, Anerkenpung beim PubU-
kum gefunden. Aufmerksamkeil erregten auch die gegerbten
S.chaffelle, die daraus verfertigten Tuluppen und die ^ibirischen
Zyobeirelle.
Kin Russ. Urtheil iiber die Buss. Abtlieilung d. WeltaaMtellung. 391
Unter den in Russland wohlbekannlen Papierfabrikanten^
welche Papier ohne Ende verferligen, haben Drei, Aristarchow,
der Staatsrath 5oIenikow und der Kaufmann Wargunin, ihre
Fabrikate nach London geschickl, die der Londoner Klassifi-
cation sufolge zur siebsehnten Klasse gelidren, in welcher auch
die von Herrn Dreger in Moskau verferligten chromo-lilho-
graphirten Zeichnungen russischer Allerthiimer aufgeslelll wor-
den sind. Diese letzteren erregen sowohl vvegen der Sujets
als auch der vortreffiichen Darstellung derselben, allgemeines
Interesse und ziehen in einem fort die Aufmerksamkeii der
Besucher des Glaspalastes auf sich, die es sehr bedauerni dais
nur ein Exemplar dieser in ihrer Art gewifs einzein dastehen-
den (durch wohlwollende Cntersliilzung des Grafen S. T. Stro-
ganow be(orderten) Ausgabe da ist, ieider ohne Preisangabe,
da mehrere sich das Werk zu verschreiben wiinschten. —
Das Papier ohne Ende^betrefl'end, wird das Schreibpapier ho-
herer Nummern aus der Aristarchowschen Fabrik einstimmig
seiner Qualitat wegen belobl aber zu Iheuer gefunden, wes-
halb man dam Papier des Kaufmanns Wargunin den Vorzug
giebt, das verhalinifsmafsig biiliger ist. Die nach SelPs Me-
thode praparirlen Schreibfedern des Herrn Rjabzewitsch in St.
Petersburg, ziehen trotz des slarken Gebrauchs der Metall*
feder in England, viele Kaufer an.
In der achtzehnten, vorziiglich den gefarblen und gedruck-
ten Stofien gewidmeten Klasse, haben 7 Moskausche und 2
Petersburgische Fabrikanten mit ihren vortrefilichen Produktio-
nen die russische Ablheilung der Ausstellung bereichert. Das
Urtheii der Kenner ist uns noch nicht bekannt, denen diese
Theilnahme unserer Fabrikanten wie Wasser zam Meere tra-
gen vorkommen mufs^ allein wir haben selbst einige Verglei-
chungen dieser Produktionen mit ahnlichen anderer Nationen
angestelU, und konnen dreist versichern, dafs die von Rabenek
und Moltschanow ausgeleglen Adrianopelrothen Game, Ku-
matsche und Jiicher die Koukurrenz der oslerreichischen,
schweizerischen und belgischen Fabrikanten voUkomnren aus-
halten ' konnen. Was die eigentlichen gedruckten Sachen be-
26*
392 Industrie and Haadel.
Iriffl) so vverden vielleichl die Desseins vom vorigen Herbst
und Winter nicht mehr neu sein, alien Anforderungen dieser
von den Russen ausgestelUen Fabrikate aber ist init alleni Fleifs
und sehr befriedigend entsprochen.
In Teppichen^ ausgenahten Sachen und Broderien, welche
zur peunzehnlen Klasse geh5ren, haben 9 russische Industriel-
ten ihre Ai*beiten dein Urlheil des Publikums vorgelegt. Un-
ter ihnen ziehen die, alle Auslander inleressirenden Waaren
der Siadt Tor/ok die allgeipeine Aufmerksamkeit auf sich, be-
sonders aber ein mit Gold brodirles Sammetkissen einer Tiflis-
ser Naberin> <S6pbia Popinow.
Zur zwauzigsten Klasse, die in dem englischen Kalalog
die sehr unbestimmle Aufscbrift ^^Gegenatande des personlicben
Bedarfs'* fiihrt, haben russischer SeiU 14 Industrielle beige*
sieuerL Hier inleressiren am meislen das Publikum und Hlie
Cxperten die gewalkten Striiuipfe aus den Gouvernements
Nijegorod und Archangel, das aus Filz gemachte Hausgeschirr
von Bartowskji in St. Petersburg, die translcaukasischen Filz-
miintel (Burki) und die Tabatieren Lukutins, dem man in Hin-
sicht der schonen Malerei auf denselben und der glueklichen
Nachahmung der schottischen Dosen vollkommene Gereditig-
keit wiederfahren lafst, nur wird deren Preis (bios im Ver-
gleich mil den Baierischen Dosen) uber die Maafsen hoch
gefimden. .
In der ein und zwanzigsten Klasse ziehen die vorlreffli-
cben Messer und Gabeln aus der Fabrik der Frau Jakowlew,
im Gouvernemenl Rjasan, die Aufmerksamkeit des Publikums
und der Kenner auf sich. Diese Fabrik war sonsi bei uns un-
let dem Namen: die Graflich Brogliosche bekannt
Wir wenden uns jelzt zur Durchsicht derjenigen Erzeug-
nissei welche in Wahrheil die Zierde der Ausstellung genannt
werden konnen. Diese von uns selbst ausgesprochene Mei-
nung wird Vielen wahrscheinlich als zu kiihn erscheinen.
Viele werden es fiir unmoglich halten, daf^ unser Vaterland
es anderen Landern zuvorthun oder sich ihnen gleichslellen
konne, besonders Frankreich, dem Gesetzgeber im Gebiel des
Etn Rats. Urtbeil liber die Ruts. AbtheilQng der Weltaasstellung. 393
Gescbmacks und der Mode : allein unsere Ansicht and Ueber-'
^eugang ist nicht Ausfluss palriolischer Eigenliebe, die jedoch
immerhin sehr verzeihiich ware. Die Gewifsheit unsers Vor*
rangs sliiUt sicb auf das Zeugnifs des PublikumS) das immer
aufs Neue zu unsern Malachiten^ Jaspissteinen, Mosaiken, Bron-
zeOy Porzellain- und Silbersachen und zum ausgeleglen Bril*
lanischoiuek gezogen wird. Mit Stolz baben wir den Dank
und die GluckwUnsche des Publikums und selbsl der Mitglie-
der der Koniglichen Kommission vemommen, welcbe behaup-
ten, dafs wir viel zum Erfolg der Aussteilung beigeiragen ba-
ben. ' Und dieser Erfolg, wir brauchen es nichl zu verheblen,
ergiebt sich aus mehrern Tausend Pfund Sterbng welcbe die
EintriUseinnahme vergrofsert baben. Und in der Tbat ist im
nordlicben Tbeil der russiscben Abtbeilung, der insbesondere
die sogenannten objels d^arts.enlbalt, jedes einzelne Stuck,
jedes Erzeugnifs, eine Perle der Aussteilung. Aber wie scbwer
ist es doch dem Gescbmack und den Anforderungen Aller zu
entsprecben, besonders den Journalisten es recbt zu macben?
Wabrend diese unsern Kunsterzeugnissen voile Gerecbtigkeit
wiederfabren lassen, linden sie dieselben viel zu scbSn und
viel zu grofsartig und nur gemacbt um Kaiserlicbe PalSste
auszuscbmucken, nicht furPrivalwobnungen; diese Leute wis-
sen nicht, oder woUen nicht wisseti, dafs nicht bios die rus-
siscben Herrscbaften, sondern auch unsere wobibabendre Kauf-
leute sich bequemer und grSfser einrichten als vie'le englische
Lords und Gentlemen.
In der drei und zwanzigsten Klasse, in welcbe die Sil-
berarbeiten, Edelsteine und vergoldeten Bronzen hingeboren,
haben wir 9 Aussteller: 3 Branzearbeiter, 4 Silberarbeiter und
2 Juweliere.
Die zwei Bronze -Kandelaber yon Krumbugel in Moskau
zeichnen sich durch die OriginaHtat des byzantinischen Styles
aus, mit dem jetzt zum erstenmal das englische Publikum be-
kannt gemacht wird. Die Gaste des Glaspalastes lassen ibnen
voile Gerecbtigkeit wiederfabren. Die Reinbeit der Zeichnung,
die Einfachheit des Gescbmacks ziehen sie an, nachdem das
394 Industrie nnd Handel.
krause Gewirr dea franzosischen bronse-rococo sie saUsam er-
iQiidel hat. Der Kandelaber von Stange mit «la\vischeii Krie-*
gern, in deinselben Slyl komponirt, hat gleichfalls die Augen
des Publikums auf sich gesogen, das sich nach Ansicht dieser
beiden Kunstprodukle iiberzeugt hat, dafs wir imn nicht mehr
dem fransosischen Geschoiack sklavisch foigen^ sondern un-
sere Kun$t in eine Epoche, die des russiscben Sty Is, geireten
ist. Eine in Silber ausgefuhrte Gruppe von ^asikow hat die
Vergleichung mil den beslen Produklionen der franzosischen
und englischen Silberarbeiter gliickiich ausgehalten. Die Ex-
perten, welche einen so ausgeseichneten Fabrikanleo iiiRuss-
land nicht ervvarteten, der Genie und Talent des Kiinstlers
mil der Meisterschafl des Handwerks in sich vereinigt, sind
von der Schonheit dieses Slucks iiberra^cht, um so-mebr ats
sie erfuhren, dafs diese Gruppe von dem - Fabrikanten selbst,
mil Hiilfe eines russischen Kiinstlers entworfen worden isL
Die Neuheit des Styls^ die Eleganz der *Zeichnung, die Pra-
vision in der Ausfiihrung der kleinen Details haben <Sasikaw's
europiischen Ruf begriindet.
Dafs die silbernen Arbeiten Werchowzow's aus Si. Pe-
tersburg wirklich getrieben, und nicht gegossen sind, und dafs
sie iiberhaupt das Werk russiseher . Arbeiler sind, will hier
Niemand glauben.
Die BriUianien der Uerren Kammerer und SaEligen ge-
fallen durch den edien und reinen Geschmack auGserordentlichy
und Kenner bevvundern die gluckliche Wahl der Rubinen,
welche einen der Grafin Woronzow-Daschkow. gehorenden
Schmuck unigeben. Die von Bolin ausgestelUen Priizioseo,
welche denen von Kammerer und Saftigen im Geschmack
nachstehen, uberlreffen dagegen in der Fassung Alios, was auf
der Ausstellung dem ahixlich ist, selbst das Diadem der Ko-
nigin von Spanien nicht ausgenommen, das der beriihmte Pa-
riser Juwelier Lemonier ausgestellt hat. Hoop, der.Erste
unter den Kennern in dieser Parlie, der die beste Sammlung
von Edelsteinen in England besitzl, hal gleich am.Tage nach-
dem Bolin's Arbeiten ausgestellt vvaren, eine seiner Armspan-
Bin Ross. Urtheil iiber die Russ. Abtheilnng der Weltausstellnng. 395
gen gekaufU Das Urlheil eines solchen Richlers ist gewifs
das beste Zeugnifs, welches fiir Herrn Boliu's Leisliingen ab<>
gelegt werden kann.
Die Poreellanvasen und ein Tisch der Kaiserlicben For-*
zellanfabrik sind die einiigen Vertreter- dieser russisehen In-
dustrie in der iunf und zwanzigsien Klasse und fessein das
Auge des Pubiikums durch ihre schone Malerei und dieGrofse
der Dimensionen. Die Kopie eines Gemaldes von Berghem
auf einer Porzeliantafel isl ein wahres Meistersliick. Des--
wegen hat die Jury diese Tafel unter die dreifsigste Klasse
gebracht, in welche nur die schonen Kiinste gehoren«
Die sechs und zvvanzigsle Klasse isl von uns wurdig re*
prasentirl, ungeachtet der geringen Zahl der AuSsteller. Miil-
ler's Parket*s iinden im Ptiblikuin grofsen BeifaJl und die Btl^
ligkeit derselben setzt Alle in Erslaunen. Dieser Umstand
alkin reichle hin das Publikum zti (ibei^eugen, dafs sie nichl
van Belgiern, sondern von Russen gemacht sind. Viele aus-f
serten den Wunsch ihre Wohnzimtner zu parketiren, was
ihnen jeUt wegen der Theurung der englischen und belgischen
parketirten Fufsboden unmoglich isl. Es ware wunschens-
werlh, dafs Herr Miiller hierauf RUcksicht nehmen mochie,
was ihm einen neuen Absatzkana) eroffnen k(^nnle. Ein all«r-
liebsles kleines Arbeitstischchen von Scfaonfeld fand gleich am
Tage nach Croffnung der Ausslellung einen Kaufer. Ein Schrank
des Herrn Ganibs ziehl taglich durch seine schonen Medallions
mil Porzellanmalerei und durch reiche Bronzeverzierung Jeder-
manns Augeii auf sich« — Die Wiirschauer Tapeken der Her*,
ren Vetter und. Rahn fallen sogar neben den Malachiten auf,
was ihre Wiirdigkeit hinlanglich bezeugt.
Die Malachitarbeiten der Demidowschen Fabrik, vielen
Pelersburgern, die sie vor ihrer Absendung nach London ge*
sehen haben, bekanni und von ihnen gehorig gewiirdigt, seizen
die aus alien Gegenden der Welt versammelten Beschauer in
Verwunderung; haufenweise drangt man sich nach der russi^
schen Abtheilung um dieses Wunder des Glaspalasles zu se-
hen. Ein Uebergang von der kleinen Brosche, welche der
396 Indostrie und Handel.
Melachil als kostbarer Stein zierl, bis zu kolossalen Thiirfld-
geliii schien ganz unmoglich; man wollte nichi glauben, dab
diese ThiirflUgel aus demselben Materia], das bisber als Sei-
tenbeil betrachlel wurde, gemacht seien. Die kleinen Sachen
derselben Fabrik- haben eine Menge Kaufer gefunden. Unter
diesen erwiihnen wir bios der Bronze-Abgiisse der Pferde des
Baron Klolh auf einem Piedestiii von griinem Marmor. Einer
der ersten Kunslkenner Englands, Lord Ellesmere, hat sie
gekaufl.
In der steben und zwanzigsten Klasse sehen wir wenig
Vertreler der russiscben Industrie; hier aber tritt der reelle
Werth an die Stelle der Menge. Uie kolossalen Produktionen
der Jekaterinburgschen Schleiffabrik und der Kolywanschen
Fabriken, die mit ihren Dimensionen alles verdunkeln, was
das klassische AUerthum uns binterlassen bal, sind dem euro-
paischen Publikum hinreichend bekannU Die Jaspis-Vasen
und Schalen der genannten Fabriken haben die Erwartungen
des Publikums nicht getauscht, das an ihnen alle Vollkommen-
beiten wiederfand, welche diese Produktionen immer auszeich*
nen. Kenner behaupteten, dafs das Dessein an den Vasen und
die Zwischenraume zwischen den Figuren und Pflanzenblattem
mit einem Diamatit geschnitten und poJirt seien, und wir wa-
ren gen5thigt ihnen eine lange Vorlesung tiber das Verfahren
der Fabriken zu balten, ehe wir sie von ihrem Irrthum be-
freien konnten.
Eine wahre Zierde aber der russischen Al>theilung ist eine
Schatiille mit Mosaik in alto relievo, aus der Kaiserlichen Pe-
terhofschen Schleiffabrik. Urn dasEntziicken aller Weit tiber
dieses Meisterstiick auszudrucken, miifste man ein ganzes Wor-
terbuch der Lobspriiche schreiben. Diese SchatuUe ist der
Gegenstand des Tagesgesprachs und wird dem Publikum zu*
gleich mit den ubrigen Wundem des Glaspalastes in dauem-
dem Gedachtniss bleiben. Mehrere Personen brachten den gan-
zen Tag vor diesem Kunstwerk zu und betrachteten es bei
allem moglichen LichtefTekt, Morgens und Mittags bei voller
Sonncnbeleuchtung, deren Strahlen den todten Steinen Leben
Kin Russ. Urtheil liber die Ross. Abtheiluftg der Weltansstellung. 397
zu geben schi^nen. ,,I should like to eat them'^ sagte der Prinz
von Wales als er die safligen Trauben an dem amethystenen
Zweiglein sah und dieses ungektinstelte Entzucken des K5nig-
lichen Kindes isl das beste Lob. Es ware unbillig iiber das
Kunstwerk den Kiinstler zu vergessen, sein Name isi Kakowin.
Er selbst isi hier, als redender Beweis der unerreichbaren
Vielseiligkeit des russischen Nachahmungstalents^ das alle
Zweige der Industrie und Kunst selbst die der florentinischen
Mosaik nichi ausgenommen umfafst.
Per Graf Tolstoi ist der einzige Vertreter unserer scho-
nen Kiinste, in der dreifsigsten Klasse. Die Erzeagnisse die-
ses Kiinstlers ersten Ranges sind schon hinlanglich in Europa
bekannt Die Zeitgenossen haben sie wurdig geschatzt und
ganz Europa hat den Palriotisinus des Mannes voile Gerech-
tigkeit wiederfahren lassen, der mit unsterblichen Griffel die
Weltbegebenheiten einer grofsen Epoche den Tafeln der Ge-
schichte ubergeben hal. Dem kunstlerischen Wertb der Ge-
daehtnifstafeln des Grafen Tolstoi hat Niemand den Ruhm
versagt Rivalen hat dieser Kiinstler nicht(?!); sein Name ge*
hdrt der Nachwelt an.
Vom TreSlichen dahingezogen, haben wir die neun und
zwanzigste Klasse bbergangen. Diese umfafst AUes, was un-
ter die andern nicht klassifizirt werden konnte. Von den rus*
sischen Erzeugnissen sind bier Waehs- und Stearinliehter und
Seife ausgestellt, Gegensiande, die dem Urtheil des Publikums
nicht unterliegen, und in der That ist es sehwer den Werth der-
selben nach dem blofsen AeuCsern zu taxiren. Dennoch haben
Kenner den Wachslichtern von Sapelkin in Moskau und den
Stearinlichtern von Pitancier in Odessa und Matthiessen in St.
Petersburg den Vorzug gegeben.
Nachdem gleicb im Anfang dieser unserer Durchsicht, in
der Kiirze die Zahl der Personen und Fabriken , die sich mit
rohen und halbverarbeiteten Produkten aus dem Mineral-,
Pflanzen- und Thierreich an der Weltausstellung belheiligt ha-
ben, angegdben worden, glauben wir, dais es unsern Lands-
leuten interessant sein wird auch zu erfahren, in vvelchem
398 Indailrie vnd Handel.
Umfang und in welcher Diversitat man diese, die solidesle
Quelle unsers Nationalreichihums bildende Prodifkle, dem Ur-
iheil des Publikums vorgelegl hat.
Die rohen Produkte, die nach der Einlheiliing der Konig*
lichen Konmiisston (eugleich mit den chemischen) in die ersle
Gruppe verselzt worden sind^ befinden sich^ getrennt von den
Fabrikaten, in der Siidhalfte der russischen Ablheilung der
Ausslellung, zwischen den Departemenlen der Vereinigten Staa-
ten von Nordamerika und des Deutscfaen Zollvereins. Fiir
9
dieFreunde der Landwirthschaft erhebt sich hier eine aus den
reichen Gaben des fruchtbaren Bodens Kusslands erbautePy*
ramide. Die Tische iangs den die russische Abtl^ilung be-
granzenden und mit Segeltuchen drappirten Wanden, sind mit
verschiedenen Proben unsers Hants und Flachses belegt Vor
der Pyramide, welche die Englander mit dem Namen y,Tro-
phee** beehren, sind Wollenfliefse ausgelegt; die Produkte des
Mineraireichs erfiillen das iiufserste Ende dieser Abtheilang.
Schon ein fltichtiger Ueberblick der Ausstellung unserer
Naturprodukte wird einen jeden Besucher des Glaspalastes
von dem Reichlhum und der Mannigfaltigkeit der Erzeugnisse
iiberfijhren, mit denen die giitige Vorsehung unser Vaterland
gesegnet hat. Sehet diese Getraide-Trophee^ ihr findet daran
dieFriichie alter Kiima. VomGipfel neigt sich derDonischen
Kosaken blaulichschillernder Waizen in voilen Garben herab,
und der Sachverstandigen Haupiaugenmerk ist auf sie gerich-
tet. Den Korper der Trophee (iillt eine reiche Sammlung von
Gelraidearten und Futterkrautern aus dem nordlichen Russ-
land, welche unser bekannter Freund der Landwirthschaft, Graf
Kuschelew, von seinem Gute bei St Petersburg geschickt hat
Diese Kollektion erfreut sich der allgemeinen Anerkennung
und zeugt von den in unserem LandJ^au seit den lelzleu 15
Jahren eingefuhrlen Verbesserungen, die wir den aufgekliirten
Bemilhungen des Uerrn Ministers der Reichsdomainen zu ver-
danken haben. Der Untertheil und die Stufen der Pyramide
sind milVasen beseizt, welche die Getraidekorner und andern
Samereien und vegelabilischen Produkte cnlhalten, die zur
Kin Ross. UrtbeH iiber dra Rum, At^tbeUang der WelCaasstellting. 399
Nahrung dknen oder in Fabrikea verarbdtet werden. Auch
bier findet der Beobachter P^odukle der versehiedensten Klir
mate, des Nordens Roggen, Uafer und Gerste heben Mais,
Reiss^ Saflor, Safr-aa und BaumwoUe des Sutacrslen Sildens. —
Kenner haben besonders den Hafer des jaroslawschen Guls^
besiUers Karnowitsth beitoeiit, wahrend sich das grofaere
Publikum mehr fiir die grUnen Erbsen der Bauern Mjagkow,
Chochlokow und Grigorjew im GouvernemenI Jaro^law, m*
teressirt und deren Biiligkeit und die einfache Art sie su kon-
serviren, bewundert Die Fleicbboaiilon des wologdaerBaiiers
Je/ow und der Kaviar der Herren VV^ewolo/ski sind Gegen*
stand wiederholter Fragen, wie, wann und womil der Kaviar,
trotz seiner schwar^eii: Farbe gegessen wird und wie theuer
die Bouillon wobl sein vviirde, ^enn oian sie von Je/ovv ver-^
schriebe*
Unser, den.Englandem langst bekannte, Flaehs undunser
Hanf Ziehen Kenner und. Kaufleule immer aufsNeueaOy welche
die in der russischen Abtheilung befindLichen ausgeaseichneten
ProbeQ dieser Materiale bewundern, obgleich hier und da das
Bedauern gehorl wird, dafs diese Produkte nicht immer in der
Gute ihnen von Russiand zugefuhrt werden 9 wie die Proben
hier gewahit sind. — Unsre WoUe, besonders die Vliefse der
Gorygorezkischen Musterferme und der Guter Schlofs Trikalen
und Bargam, werden den besten Clektoralwollen gleichgestellt.
Noch befriedigender und reicher erscheint unsere Ausstel-
lung in der Abtheilung der Mineralien. Einige der Kronsberg-
werke haben sehr lehrreiche geologische und metallurgische
Sammiungen eingesandi, die durch systematische Aufstellung
die Aufmerksamkeit der Fachgelehrten auf sich ziehen und es
ist keinem Zweifel unterworfen, dafs diese KoUektionen, nach
dem Schlufs der Ausstellung, einen ehrenvollen Platz in den
Museen Englands einnehmen werden. Das Plalteneisen und
Kupfer inTafeIn unsrer Privathiitten stehen unter den gleich-
arligen Artikeln anderer Lander, oben an. Das Plalteneisen
der Frau Ponomarew hat ein voUslandiges unbestrittenes Lob
geerntet und die kolossalen Kupferplatten der Herren Demi-
400 Indnatrie and Handel.
dow seUen darch ihre Grofse Jedermann in Erstaunen. Fiir
ihre Ausslellung verdienen die Herren Demidow den aufrich-
iigsten Dank Russlands. KeineMiihe^ keineAusgabe scheuend,
haben sie sich mii ihren koslbaren Produktionen, ak die edlen
Slreiter fiir Russlands Ehre, demUrlheil derWeli dargestelli.
Die sahllosen Besucher des Glaspaiastes bewundern die Man-
nigfalUgkeit der von den Herren Demidow ausgeslellten Ma-
teriale Und Indusirieerzeugnisse und erstaunen iiber den Reich-
thum des russiscben Bodens und iiber die Gewandibeit, mil
welcher der Russe die Gabon der Vorsehung ku benulzen
verstebt *).
Unsere chemischen Produkte haben wir in Gesellschaft
des Herrn Chevreuil durchgesehen. Die beilMiligen Aeiiliserun-
gen dieses Chemikers von europSischem Rufe liber einige in
der russiscben Abtheilung befindlichen Chemikalien, konnen
unseren chemikalischen Fabrikanten als scbmeichettrafte Auf-
munterung su weiteren Fortschritten in diesem bei una nocli
jungen Indusiriezweige dienen.
SchliefsHch konnen wir versichem, dab, ungeacfateb Kiirze
der Zeii und physische Hindemisse das Beschicken derWelt-
ausstellung erscbwert haben/ unsre Industrie dennoch in einer
sehr wiirdigen Art reprasentirt worden ist.
*) Von deoi Uralisclien Bulat, wegen deuen Wurdigaog wir friiber aof
die Londoner Aasstellang verwiesen Iiaben (in diesem Archive Bd. IX.
S. 535) scbeinen gar koine Proben dahin gelangt zu sein! B. ^
Nachrichten iiber die sogenannten Schwarzen
Kir^sen.
Die heutzutage vob den Schwarzen Kirgisen eingenommenen
Lander sollen ehemak latarische (nogajische) Stamme, die an*
geblich sesshaft waren, zu Bewohiiern gehabt haben. Als Be-
weis fiir die Wahrheit dieser Ueberlieferung fiihrt man Triim-
mer alter Befestigungen an, deren Spuren noch sichibar
Cinige Schwarze Kirgisen leiien ihre Abl^unft von den Noga--
jern; Andere behaupten, ihr Stammherr Kirgis-Bai habe mil
zwei SShnen, Alygen und Togai, und vielen ibm untertbani-
gen Geschlechtem, urn vor den Bedruckungen des Nogajer-
haupUings Mana« und seines Sohnes Sametei sicher zu sein,
von den Ufern des Ui in die Be'rge gen Stiden sich gezogen.
Der altere Sohn des Kirgis-Bai bemeisterle die Lander im
Quellengebiete des Amu-Darja, 5yr-Darja und einiger minder
bedeuiender Fliisse, die dutch das Land Kaschkar fliefsen;
der jiingere aber nahm mit den ihm untergebenen FamiUen
das Land um den See I^i-Kul in Besiiz.
AUe zu dieser Horde gehorenden Stamme nennen sich
schlechlhin Kirgisen. Kara-Kirgis, d. i. Schwarze Kir-
gisen werden sie von den iibrigen Horden und nahen Nach-
barn, z. B. den KokanderUi KaschgarerUi sogar von den Chi-
402 Historisch-linguistisclie Wissenschaften.
nesen geoannt. 6ei den Russen hcissen sieDikokamennye,
d. i. wildsleinige, wildfelsige. *)
Politisclier Zustand der Horde. Eine geringe Zahl
Schwarzer Kirgisen, die in den Bergen bei Karatigen und
Kaschkarien nomadisiren, bekennen sichals Unterlhanen Chinas;
doch bat die ganxe Horde bis 1843 den Chanen von Kokand
Tribut entrichlet; nachdeni aber ini Jahr 1842 die Bucharen
den Muhammed-Ali-Chan gelodlet^ und in. Kokand Unruhen
ausgebrochen, haben die uin den I««i-Kul weidenden vor-
nehmsten Geschlechler der Schwarzen Kirglsen sich unabhiin-
gig erklarly und die Kokander aus den* kleinen Forts mit Be-
satzungen von 40 — 60 Ma^n vertrieben, welche an den Fiiiss-
chen Karakol, BaAaun und Konur-Ulen errichtet .waren, urn
die Handelskaravanen zu beschiitzen und der Einsammlung
des Tributs Nachdruck zu geben.
Eintheilung und Regierung. Die ganze Schwatfte
Horde zerfalU in viele Geschlechler, von denen Bogu, 5ary-
Bagysch, Sulty u. A. die vornehmsten siad. Jedes Geschlecht
regierl ein Manap, der mit Stimroenmehrheit gewahlt wird.
Diese Wiirde ist nicht erblicb, sondern kommt vorzugsweise
an Sohne oder sonstige Blutsverwandlen eines au^etretenen
Manap, wenn Reichtfaum und personliche Vorziige sie ehr-
vtriirdig machen.
*) Aucb Dikie (Wilde) oder K am en n ye (Felsige, Felsenbewolmer)
allein, ?erstebt sicb immer mit dem Zusatze Kirgisy. Nacb Pater
Hyacinth nennt ein Stanim sicb selber Kara-Kirgis, Der Natio-
nulname Kirgisen,' welcber dem bier besprocbenen Volke allein
zukommt^ hi falscblicb aucb auf ihre (una viel besser bekannten)
nordliclien Naehbarn itbertragen worden, die meh selber Kaftak
nennen. Diese heissen bei den Chinesen Ha-sa-ki, jene aberKi-
li-ki-sfe Oder Ki-ki-sXe. MitErsteren baben die Cbioesen nicht
friiber als unter der beatigen Dynastie Bekanntschaft gemacbt, Lez-
tere aber (die wabren Kirgisen) waren ibnen scbon bekannt, ebe sie
ibre ost^ibiriscben Ursitze (zwiscben der 'Selenga and dem Jeni^ei)
verlassen batten.
Nachricbten uber die sogenannten Schwarzen Kirgisen. 403
Zahl der Bevolkerung. Uiese ist unbekannt, da die
Kirgisen selber sie nur annahernd berecbnen. Die Manap^s
Urman, D/antai und D/ankaralsch, welche 1847 den Wunsch
ausserten, russische Unterlhanen zu werden, berechiien die
ihnen uniergebnen Kirgisen auf 40000 Jurlen ; das Gescblecht
Bogu aber (unter dem Manap Buroni*Bai) soil 10000 Jurten
zahlen und 100000 Pferde.
Grenzen. Auf Karten bezeichnet man gewShnlich die
Schneegebirge, welche den See h^i-KuI umziehen, als Gren-
zen der Schwarzen Kirgisenhorde; allein die Kirgisen erken-
nen diese Grenzen nicht an und nomadisiren unbehindert osl-
warts voni b«i-Kul bis zur chinesischen Piquetstrarse (von
Kuldja nach Akxu), sudwarls bis zu deu unabhUngigen kleinen
Slaaten Badachschan und Karatigen^ west warts bis Kokand
und Taschkendy und nordwarts bis ins Gebirge Kungi-Ala-Tau
und am oberen Laufe des kleinen Flusses Tscharyn.
Berge. Die nicht groCse Laudstrecke auf welcher die
Schwarzen Kirgisen hausen, wird .in verschiednen Richtungen
von Bergketten, nicht selten schneebedeckten , durchschnilleni
welche im Norden Abzvsreigungeu des Belur-Tag sind.
Die erste Schneekette, vom Kaschkar-Dawan abgezweigt,
ziehl nordwarts; sie kriimmt sich um ein Quellengebiet des
Amu-Darja, 4as Alai heisst, wo sie unter dem Namen Te-
rekty-Dawan bekannt ist; alsdann zieht sie ostwarts, und
nimmty sich verzweigend, von den, ihren Fufs bespulenden
Fltissen verschiedne Namen an, als Ton^Burun, Toin-Tau
und Kogortyk « Tau. Die zweite Schneekette, mit dem Ge*
sammtnamen Kirgisnyn-Ala-Tau (Alatau der Kirgisen), nimmt
eine westliche Ricfatung, und zwar mit den verschiednen Be*
nennungen Ketmen-Tube, Karabura, Kendyr-Tau, Boroldai;
sie endet mit den Bergen Kara-Tau, bei der Stadt Akmet*
schet. Ostwarts theilt sich dieser Hohenzug, nach seiner Ver-
einigUBg mit dem Kungi-AIa-Tau, in viele Zweige, welche
das Quellgebiet des Hi umziehen und den gemeinschafllichen
404 Historitch- Unguis tische Wissenschafteri.
Nainen Musard-Dawan (Eis-Gebirg) fiihren. *) Einer die-
ser Zweige giebt sieben FItissen ihr Dasein und ist unier dem
Namen Ala-Tau (bunter B^erg) bekantit. Die driUe KeUe Kungi
Ala Tau vereinigt sich ostwSrts, auf dem Queliengebiete des
kleinen Flusses Tup, mit dem Kirgisnyn-Ala-Tau, und endet
im Westen mil unbedeulendeh Hiigeln, welche das rechte Ufer
des Flusses Tschu ausmachen.
Die Abdachungen der vornehmsten Bergriicken sind zu-
weilen mit Schnee bedeckt, im Sommer aber sehr tippige
Weideplalze und gewahren angenehme Zuflucht vor der Hilze.
Besonders merkwurdig ist die sudliche Abdachung des Kirgis-^
nyn-Ala-TaUy welche den allgemeinen Nanien <Syrt (Riicken)
oder 5ary Jas fiihrt, und auf welcher viele Slamme der
Schwarzen Kirgisen sogar dep ganzen Winter hindurch no-
madisiren, *
Alle die aufgeziihllen Bergketten haben naturlicbe Durch-
gauge oder vertiefte Einschnitte, die A«u heissen. In diesen
Vertiefungen (allt der Schnee schwach uiid schmilzt bald, da-
her man in jeder Jahreszeit, sogar mit schwerem Gepacke,
durch die Bergketten reisen kann.
Seen. Den Mittelpunkt des Gebietes der unabhangigen
Schwarzen Kirgisen bildet der mehrerwahnte Im-Ku1 (heisse
See). DieserSee liegt in einer ausgedehnten Ebene, die von
den Schneekelten Kungi und Kirgisnyn-Ala-Tau umgeben ist
Er hat Ueberfluss an Fischen und eine sehr fruchtbare, von
vielen Fliisschen, die mit Waldern und Gebiischen* gerSndert
sind, bewasserle CJmgegend. Von alien Seiten durch Schnee-
berge» geschirnit, gewahrt der I««i-Kul seinen wilden Anwoh-
nern ein sicheres Asyl, und die Fruchtbarkeit des Erdreichs
macht es zur Winterweide sehr geeignet. Der See hat seinen
') Daw an (far Dabagan) ist eigentlich niclit Gebirg oder Bergkette,
sondern Bergpaas, Bergstrafse, wie das chinesUche J::
Ling.
Nftchricliten iiber die sogenannten Scbwarzen Kirgisen. 405
Namen daher, weil er niemals cufriert Seinen Umkreia be-
rechnel man ^uf 450 WetsI, die Lange auf 2iX)y und die
grSIsle Breite auf 80. Er hat niedrige, sandige und dieilweiae
aumpfigei mii Rdhricht bewachsene Ufer. Das Wasser dee
Sees ist im Friihling und Sommer wenig cum Gebrauch ge-
eignet^ im Herbst und Winter nimmt es einen schlechten Ge-
ruch an; dasu ist es bitter und der Gesundheit scbadlich.
Die Tiefe des Sees isi unbekannt, man hUlt sie aber tiir be-
deutend. Viele ersShleni ein Theil vom SsUichen Ufer des
Imi-KuI set zur Zeit der Nogajer mit einigen Dorfem dieses
Volkes in ansehnlicher Ausdehnung in den See gestiint; und
hieraus will man die schiechte Beschaffenhat desWassers er-
klSren. Uebrigens hat diese Tradition etwas itlr sicb; denn
nach heftigen Stiirmen pflegt der See allerki biiusliche Ge*
rathscbaften aussuwerfen; so s.B. warfen seine Wellen im J.
1842, an der Siidseite des Sees, nicht weit vom Vorgebirg
«Kara Borun (Sdiwarxnase) einen ungeheuren kupfemen Kes-
«el ans Ufer, welehen Beamte von Kokand in Beschlag nah«
men und an den Hof schickten. Im vergangenen Sommer
fand man am nordlichen Ufer des Sees^ bei der Mtindung des
Fliissehens Ak-Su, nadi rinem Sturme, einen anderen Kessel,
der kleiner war als der erste, und jext von dem Stamme Sary
Bagyscb aufbewahrt wird.
Fiiisse. In den See Issi-Kul miinden viele kleine FliissOi
aus den oben erwiihnten Bergketten entspringend; die grSs-
sesten haben einen Lauf von nur 70 — 90 Werst Sie sind
im Allgemeinen rei^send, haben steiniges Betle und in ihrem
QuellengeUet steile, mit Tannenwaldung bewachsene Felsen-
iffer. Sie lassen sich zu jeder Jahreszeit durchwaten. Im
FriihUng enthalten sie sebr viele Fische, welche die Kirgisen
mit Stficken schlagen und in seltfdrmigen Sacken fangen. Die
vomehmsten dieser Fiiisse sind: Tup, Irgalang, Karakol, Irtyk,
Kysyl-5u, Juvki oder Souvki, Baskaun, Djlty-Ugus (?), Schar-
pyldak, Tong, Konur-Ulen, Ak-5^u etc. Von diesen haben Ir-
galang und Kysyl-iSu in ihrer Queilgegend heisse Quellen, die
EnMDS Run. Archhr* Bd. XI. B. 3. 27
406 HistorisGh-lingaiatlflche Wittenschaftei)*
Ara«an hasaen. *) Das Fiusscheo Juvki isi beiueikenswertJi^
well die vornehmsien Karawanen#lrafsen iiber <ta^elbe nach
Kaschkar und Kokand gehen. An verschiednep , in den I«#i*
Kul mundenden Fliitscben habeo die Kirgisea gegen 25 Was-
sermublen errichtet.
An den nordlichen Abhangen des Sehneegebirgea Kirgis*
jiing«-Ala-Tau enUpringi der groiise Flusa Tachu, welcher aua
den kleinen Fltissen Kotscbkar-iSwiy D/uiiigal*Schaniai undKa-
rakotschir entsteht. Indem dieser.Fluss die Schneekette durch*-
achneidel^ empiangl er an der rechlen Seile ^inen, aus dem
lii^i-Kulatrooienden kletnen Flusa Kutemaldy, ,Der Lauf des
Tschu iat oberhalb sehr reissend. Ufer und Beite $ind stei-
iug; uhierhalb atroiut er durch etne sand^e Elbene uad hat
immer Uriibes Wasaer. VonFisdien enihSU . ^r Welae, Zander,
den Karpfen Sasan u. s. w.
Am linken Ufer des Tscbii liegen %!^e\ kokaodiscJie Dif-
fer: Tokmak^Kurgan und Piscfapek, das erstere. 250, das aor
dere 360 Werst voa der Quelle. Nach Pi^cbpek komml aU-
jahrlich, im Friihling und Herbste, eiiie Abiheilong Kiptschaker,
um von den behachbarten Kirgisen Tribui einziisammeln.
Die bestandige Garnison dieses Ories ist nichl bedeu(end» dock
etwas starker ak die der iibrigeft. Man^versieheri, iias in
Pischpek slehende Detachement sei iin vorigen Sommer (1850)
10000 Reiter, mit einigen auf Kameelen trabsporlirten Ge*
schiitzen, stark gewesen. Von Pischpek an. werdcA die Ufer
des Tschu sandig; die .Lange des Flusses j^chatst man auf
900 Werst. •
Der FIuss Tatas ehtspringt in drei Quellen, die Utsch*
Kosch-iSai heissen, aus der Sehaeeketie, wekfae diesen Fluss
von dem Tschu abscfaeidet. An seiriem linken .Ufer» nahe den
Schneebergen, und 75 Werst vom Uraprung, baben die Ko*
•) Dieses Wort erinnert an arsian, wie die Mongolen jedes minera-
lisclie Heilwasscr nennen, arsprunglich aber das geweihte Wiasser in
Tempeln. — Zam Grande liegt Sanskrit, ra^^jana ein Trank der
Unsterbliebkeit. A. d. Uebers.
Nachriditeli nber die aot^aannteii Sckwinen Kirg:i8en. 407
kaadcr eiiie Fcstung Auvlie-Ta errichtel, dercn kltioe Garni-
son die nach Kokand il 8. w. al^ehenden Karawanen vor den
Ueberfallen der Schwarzm KirgiseB beackaizen soU. Der
Tala« drinigt in reissendem Laufe aus den Bergen » slrftmi
dutfeh sandige Steppen, und falit in den See Kara^KuL
Der Fluaa Tschirischik enlstrdmt dem Schneegebirge
Ketmen-Tiibe und nimmt eine westUche Ricbiung* Aaf aei-
nem linken Ufer, seiner Quelle beniicbbart| sleht ein kleiner
kokandiacher Kurgan > zmn Schutae der Karavanen und aur
Eintreibung dea Tributes von den nomadiBchen Kirgisen. M4n
sagti dieser Fluss babe goldhalligen Sand| und das Gold werde
miUelst ins Wasser gesenkien Teppichen eingesaaiiilell*
Der Fluss 5yr-Darja entspringt an den viudweslKcben
Abhangen der Schneeberge und entstebt aus den drei Fliis-
sen Naryn^ Gulisehan und Um. Der ersle kommt in Tie*
lei^ Queilen, die Taragai beissen, aus dem Gebirge Kirgis«
ning'Ala^Tauy unweit des Im-Kul, und ninunt eine wesUicbe
Richlung. Sem Lauf ist retssend* An der VereiAigung der
Karavanenwege^ oberbalb des kokandiscben Kurgans Kurtka
110^120 Werst vom Ursprong, hat man eine Balkenbrfickt
iiber ihn geachlagen, die jedoeh zu Uebersetoung bedeUtender
Lasten wenig verlasslich isl, Der Narya hat ungefahr 450
Werst Lange und his 150 iSa^en Breile. In seiner Quellge*
gend ist Ueberflusa an Banhols, und am unteren Laufe haben
die Kirgisen gtotse Ackerlelder. Der Gulisehan entspringt
den Schneeketten Ton-Burun und Toin-Tau, flieist ebenfalls
gerade nach Westen, vereinigt sicb bei der Sladt Usch mit
dem Urn, und 15 Werst oberhalb der Stadt Namangan mit
dem Naryn. So entstebt aus den drei Fliissen Einer, der
von jeAt ab iS'yr-'Darja heisst. Die Lange des Gulisoban be-
tragt 260 Werst, seine Breite bis 150 Sajen; der Strom ist
sebr reissendy das Bette steinig.
Die Ufer des Gulisehan und Naryn sind steil und un-
fruchtbari die Ebenen an ihrem Laufe aber. lehmig und firucbt-
bar an Getreide. Fast in alien Wohnorlen, die an diesen
Fliissen Uegen, kann man, gegen einen beslimmten Preis, auf
27*
40g Historisch-lingaistisohe Wissensdiaften.
Kahnen iiberfahren; an unbewohnlen Ufern aber werden die
Ueberfahrten durch Kirgisen unterhalten.
Der Hauptfluss von Kaschgar, Kara-Darja, hat zwei
Ursprunge: denTumen-5u (10000 Gewasser), welcher durch
die Stadt Kaschkar strfioit, und den, die gleichnamige StadI
durchatrSmenden Ak-5u (Weiaswi^ser). Der Ak*&i ist aus-
serordentlich reissend; er hai keineFufarten; dasBette ist mit
gewalligen Sl^nen angefUlU, dafaer zur Schififahrt nicht geeig-
net Der Tamen-Su hat an seinmn oberen Laufe Fuhrten;
oberh|db der Sladi Kaschkar sind an demaelben zwei Wach-
poaten zum Schutze der Kara vanen erricfatet: ein chmesischer
und ein kokandisdier ; der Abstand zviachen beiden belragl
nur 16 Werst
An der iinken Sette fftlit in den TUmen-Sd das Fiussch^
A«lyn*Arty8ch, an welcheai die Stadt Ariysch (Asret-Ailtan)
iiegt, und nahe der Mfindung das Dorf Maral - Bascbi^ merk-
wbrdig darum, weil hier in den Jahren 1847 und 1848 chir
nesisphe Truppen sich zusammemogen und iiber die rebeUi*
scben GhodjVs von Kaschkar einen Sieg erkampften. Dieses
Dorf liegt auf dem Wege von Ak-/Sa nach' Kaschkar; seine
Oei tlichkeit isi so beschaffen, dass pan die geraumige Ebene
kiinstlieh unter Waaler setzen und so die Bewegung eines
feindlichen Heeres wider Kaschkar verhindem kann. Unter
den ZuflOssen des Ak-5u sind die bemerkenswertheslen:
recht^r Hand das Fliisschen Kakschal, an welchem die Stadt
Turpan (Utsch-Turpan) erbaut ist; linker Hand der Musard,
an welchem 6 chinesische Wachposten in der Richtong von
Kuldja nach Ak-Su errichtet sind.
Die Ufer des Ak^5u sind steinig, abschfissig uitd fast bis
zur Mtodung ausserordentlich hoch. Dagegen ist das Land
zu beiden Seiten des Tiimen-iSu mehr eben, lehmig und stel-
lenweise salzhaltig; man kommt auf Kahnen bintiben
Von den nordlichen Abhangen der Schneekette Kungi-
Ala*Tau stromen: derTschilik^ Torgon, Talgar, UCsch-Almaty,
Ka«kelen und Kurtu; aus den Bergen Teke«*Tau: derTscha*
ryn mit seinen Zufliissen und der Tekea. Alle haben die
Nachrichten iiber die togenannlen Sehwaraen Kiiigisen. 409
Ricblung von Siiden nach Norden (den Teke^ ausgenommen)
und fallen von der Hnken Seite in den Fluss Uja (tli). In
ihrer Quellgegend giebt es Tannenwalder und Obstbaame;
Urjuk (eine Art Apricosen) und wilde Rebbn. Ihre Gewas-
ser sind reich an Fischen, die Thaler an Wiesen zur Hm-
amdte. Das Bette aller dieser Fltisschen ist steinig; dieUfer
sind am Ursprung felsig, am miUlerenx und unteren Laufe
mehr abgeflachL SteUen zum Durchwaten finden sich in jeder
Jahreszeit. Von der Miindung* des Flusschens Tsdbaryn er-
slreckt sich bis zur StadI Kul4/a (am oberen Ili) eine Keltic
chinesischer Colonieen und Wachposten.
Verbindungswege. Aus dem Lande der Sieben Fliisse
(Semirjetschinskji Krai) fiihren alle Karavanenwege nach
Kaschkarien iiber den Bergpass iSentasch, und treffen ztisam-
men an dem Kurgan Kysyl-Ungur. Auf diesen Wegen kann
man ohne Gefahr durch alle Gebirgspasse kommen, und die
Lasten auf Bauer wagen (teljegi) bis zum Kysyl-Ungur^ wel-
ter aber auf Packthieren schafifen. Das Durchwaten der klei*
nen Fliisse ist nicht beschweiiich.
Der Weg nach Kokand fiihrt iiber die Kurgane Pisch-
ken, Merke, Auvlie-Ta und die Stadt Namangan. F&r schwer^
Fuhrwerke ist er grofstentheik ungeeignet, und im Winter
selbst filr LasttMere beschwerlich, ob des tiefen Schnees ih
den Bergpassen.
Von Kokand nach Kaschkar fiihrt die kiirzeste Strafse
durch die Stadte Margelan und Usch. Auf derselben giebt
es nur 12 — 15 Uebergange; aber der eine davon (uber den
Terekty-Davan) ist aussersi beschwerlidi , und oft werden
ganze Karavanen durch Schneelavinen verschultet Um sol-
cher Gefahr zu entgehen, Ziehen viele Karavanen, wenn sie
dieses Gebirg erreicht habeui iSngs demselben siidwarts bis
Tallyk-Asu, wo ein gefahrloser Pass ist, und wenden sich,
nachdem sie diesen zuruckgelegt, der bisherigen Stralse wie-
der zu. Dann gehl es tiber die Kette Ton - Burun, und von
da langs des Flusschens Tiimen*&u nach der Stadt Kaschkar.
Der Umweg erfordert 10 Uebergange mehr.
410 Hittoritch-Unguistitobe Wissenaehafteii.
Vmi Kaschkar nach Ak«u isi der VVeg ziemlich bequem
und mift 14 cbinesischen Wachposten besest; aber von Ak«u
nacfa Kuldja ist er ^ausaerst beachwerlich. An dieser Strabe
haben die Chinesen 16 Wachposten errichtet, von denen 4
im Gebirge Musard*Davan stehen. Die Besatziuigen der Pi«
quels im Gebirge haben die Verpflicbtung, nach jedem Un-
wetter, die Strafee von Schnee und Eis su aaubeiDy auch
reis^nden Wiirdentragern und Karavanen das Geleite zu ge-
ben ; doch siehen letztere selten diesea Wegea, und Kaufleu-
im, die nicht chinesische Unterthanen sind^ ist er aogar ver-
bolen; daher reisen sie von Kasc&kar nach der Stadi Kara-
Schar, und erai von dort aus nach KuMja oder Urumd^a^ ein
u«i das doppelte langerer, aber eboner Weg.
Ausser den KaravanensCralsen durchschneiden mehr oder
minder bequeme Nomadenwege das Gd>}et der Schwarsen
Kirgisen in versehiedenen Richlungen.
Klima und Naturerzeugnisse. Zur Sommerzeii ist
das Klima bei den Schwarsen Kirgisen weit gemafsigieri als
in den Steppen des Landes der Sieben Fliisse; das Getreide,
welches in der GroCsen Horde in hocbstena 4 Monaten reift,
hat bei den Scbwansen Kirgisen wenigstens 6 Monale zur
Reife nothig. Auch der Winter ist nur im Gebirge voa Frost
begleitet; um den Issi-Kul steht die Temperatur immer ilber
Null. Schnee fiillt im November und schmilzt im Beginn des
Marz; Regen erfrischl den Boden vorzugsweise im Friihling,
daher die Viehseuche den Kirgisen beinabe unbekannt ist.
Waider von Bauholz, die Tanne ausgenommen, wacfasen
an den Abhangen, die von den Schneebergen Kungi und Kir*
gisnin-Ala-Tau in versehiedenen Richlungen ausgehen« Der
Transport des Holzes in Fuhrwerken ist slellenweise sehr be-
quem; zu Wasser aber kann es nicht fortgeschafft werden,
da die kieinen Fiusse mil grofsen Steinen angefullt sind.
AUerlei Obstarten, als Aepfel, Pfirsiche, Apricosen, Weintrau-
ben und Strauchbeeren, wachsen wild.
Von wildem Gelhier giebt es: Hirsche, Gemsen, Stein-
bocke, wildeSchafe, Anlilopen, Tiger, Panlher, Baren, Wolfe,
Nachrichlen iiber die sogenannlen Schwarsen Kirgisen. 4||
Fiiohse, Marder, Luchse, Vidfr^e, OUern and Haden^ von
GevSgel aber: Fasanen, Goldadler, H^bichte, Falken und
Andere.
Einige, in den I«ti-Kul milndende Flilsscheni b^Bonders
der Irgalan, soilen goldhaltigen Sand haben, was jedoch un*
erwiesen ist — Ciaen, zur Anfertigung von Waffen und Haus-
geralh^ verschaffea sich die Kirgisen in kleinen Stiicken uhd
mil sehr groben Werkteugen, aus schwarsem dickk8niig«m
Sande, der an den Ufern des Im-KuI gesammelt wird. «-
Blei kaufen sie vorzugsweke von chineaischen Sclaven, die
Tschanpan heissen, und das Bleierz am Ursprung des Fliiss*
chensKigin, unwdt Kuldja, ausschiirfen. Auch auf den Weide*
plStoen der Schwarzen Kirgisen soil Bleierz sich vorGndeny
aber, vermuthlidi aus Unwissenheit, unbearbeitet bieiben. —
Salz erhalt man vom Ursprung der FlUsse Tseharyn un4 Tschu,
auch an dem FHisschen Kelmen-Tiibe.
Die Berge, auf welehen^der Schwarze Kirgise weidet,
haben wahrscheinlich Ueberfluss an edlen Steinen; aber die-
ses Volk Mrdlss ihren Werlfa nicht zu schatzen. Im Jahr
1840 soil man in dem Fliisschen Ton einen durchscheinen-
den blauen Siein gefunden haben, der von Hand zu Hand
ging, bis ihn ein kokandischer Wiirdenirager fiir 1000 Til
kaufte. *)
Alterihiimer. Als Alterthiimer kann man die Triim-
mer alter Festungswerke and. die in ihnen gefundenen Miinzen
und anderen Dinge betrachteu. Im Jahre 1847 fand man in
solchen Triimmern langs des Fliisschens Kara-Kol % vergra-*
bene Silbermiinzen, von der Grdlse- eines halben Rubelstucks,
mil tatarischer Inschrift; und noch vor Kurzem wurde im
Flttsschen Schamai, das unweit des kokandiscfaen Kurgans
Tokmak m den<-Tschu miindet, onter den Ruinen eines alien
Tburmes, der Munar heissi, ein irdener Krug v^\l Miinzen
von der Gr5fee einer Silberkopeke enideckt.
*) Til heisst eine Goldiniinze yon y^ Loth, die 12 — 13 Ra^e! werth
ist.
412 Hiftorit€b*lingiiistiselie WistenscbaAw. <
Lebensweise, Sitten und Beschaftigungen. Die
Schwarzen Kirgisen fuhren, wo nicht gewisse Einwifkungen
Kokand*8 cu bemerken sind, in jeder Beziehung die Lebens-
weiee der ubrigen Horden. Ihr Oberkleid ist au& kaschkari-
8chen Stoffen genaht, das Unterkleid aus kokandischem und
chin^dischem BaumwolIenseUg, die Fubbekleidiing aus rolh-
gefarbtem russischem Leden IhreWaffea sind: eineArlBeile
Oder Slreitaxte^ Sabel, Piken und Flinien* Die Flinlen erhal-
ten aie aus Kokand; sie haben eine ansehnliche LSnge und
Schwere, aber Lunten stall der Schioaser. Hieb- und Stob-
waffen werden Iheils gekauft, llieils von den Kirgisen selbsi
verferiigt Aoch bereilen sie Sehiefspulver, das al>er so scUecht
ist, dab sie lieber in den benaehbarten Sladten von Kokand
und Kaschkarien um theueren Preis diesen Arlikel kaufen.
Fast alle Schwarzen Kirgisen beschafligen sich mit Ge-
treidebau, und zwdr in boherem Grade, als die Pseudo*Kir*
gisen von der GroCsen Horde. ' Die Erndte, wenn aucb nichl
ergiebig, ist fiir die BediirJEnisse der ganzen Bevolkerung bin-
reichend. Die Umgebungen des Ira-Kul, eben so die Thaler
der Fliisse Tschu, Talas und anderer, sind mil Triften bedecki
und vorzugsweise frudilbar an Getreide. Die Kirgisen saea
Weisen, Gerste und Hirse. Aus dem Weisen bereilen sie
Brod; die anderen Getreidearten dienen als Speise. Aus der
Hirse machen sie auch Busa und Branntwein. Arme Leute,
die keine eignen Aecker haben , nehmen bei den Reichen
Dienste und erhallen (iir die Arbeit eines Sommers 4 bis 6
Sacke Kom.
Zum Betriebe einer ausgedehnten Viehzucht ist scbon die
Oertlichkeit giinstig: das gebirgige Land gewahrt den Noma-
den in den heissen Sommermonaten KUhlung und gesuode
Lult Das Vieh ist im Ganzen von bester Zucht; die Pferde
sind stark und an Bergreisen gewohnt. Hammel werden viel
gezogen; dieKaufleute erhandein sie um bedeutende Summen
und schicken sie nach Kokand. Die russischen Kaufleute
liefern den Kirgi3en mit Vorlheil gegen ihre Rauchwaa-
Nachrichten liber die sogeoannleii Schwanen KirgUen. 413
ren russischen Nankin , Zita, giisseiserne Kessel^ 'TOlben
Die Sohwareen Kirgisen machen keine anderen Arbeiten
ab F]l£e> Pferdedecken, Saitei, und gewisse unenlbehrliche
hausliche Gerathschaften. Ihr Handel besteht baupUaehlich
im Tauscb ihres Vieben an KattflcMle aus Kascfakarien, RiM<-
land, Kokand und China. Sie sind im Ganxen woblbabender
als jhre Nacbbarn von der Grofsen Horde. Viele beguterte
Leute ertauscben allj&hrlicb im Chinesischen Reiche Sificke
Silber, die Jamba heissen, *) und welcbe sie nicbt wieder
veraussern, sondern fur sicb bewabren. Der Arme leidet bier
keine solcbe Noib, wie in den iibrigen Horden, da er im-
mer fur die malsigste Arbeit von den Reicben Brod erbal-
ten kann.
Abgaben. Die um denb^-Kul weidenden Stamme der
Kara-Kirgisen enlricbtelen dem Cbane von Kokand, ebe sie sicb
frei gemacht batten, von je 40 Stuck ihres vorbandenen Vie-
bes eines als Abgabe. Die ubrigen, innerbalb der Grenzen
Kokands und Tasebkends weidenden StSmme mussten friiber
und miissen noch jelit ein Stuck von 25 abgeben, doch mit
Ausnabme der Kameele. Diese Steuer oder Sakjat wird
durcb kokandiscbe Wiirdentrager eingetrieben, '"^) die ausser-
dem nocb, in ibren Recbten auf das Siegel des Cbans ge*
stiitzt, von jeder Jurte einen Hammel fur sicb fordem. Die
*) Dieses Wort ist obiie Zwelfel eine Verderbung des chinesisch.
jasn-pko, wie die grolsen Stiicke dieser Art genannt
werdea. Anm. d. Uebers.
**) Sakj4t ist nacb tiirkbcher Aasspracbe das arablsche olij
sak4t, was eigenttich e\ii frommes Werk, dann ein im Koran vor-
geschriebenes, den 40. Theii der Einkiknfte ausmachendes Aloiosen
bedeatet. Fiir weltliche Abgaben scheint es nur bei den ostlichen
Tiirken gebraacht zu werden.
414 Hiftorltch-Ungiiiidsche WiMemefaaftea.
Einlrdbung geschieht ohne Rii^kstcht auf die Miltel jedes
Kirgiseiii daher die Armen ihres letzten BesiUes beraubt wer-
den, suweilen auch ihrer Kinder, die sie entweder den Rei-
chen zu KnechtsdiensteOy oder den Wiirdentragern des Chans
ala Unterpfand iiberlassen. In jedem Herbste eracheinen an-
dere Wiirdenlrager, die von je dner Jurte zwei Hammel fiir
den Hof des Chans in Enipfang nehmen. Jede Eintreibung-
isi mit Erpressungen verbunden.
Ein tatarisches Lustspiel.
Der K a w k a s iheill in seinen Feuillelons zwei Lustspieie
mity die von dem Mirsa Feth-AliAchundow in tatarischer
Sprache geschrieben und von ihm se\hai ins Russische iiber-
setzt worden sind. Der Mirsa Achundow ist, wie wir aus
dem genannten BlaUe erfahren, ein geachteier tatarischer Ge-
lehrter und thSliges Mitglied der kaukasischen Section der
Russischen Geographischen Gesellschaft, von der ^r unter An-
derem beauftragi wurde, einen von Herm Chodsko verfafsten
inslructiven AufsatK Uber die Sonnenfinsternifs am 28. Jali
V. J. ins Tatarische zu iibertragen. Seine beiden Lustspieie
sind hSchst merkwiirdige Beitrage zur Sittengeschichte der
orientaiischen V5lkerschaften. In dem ersten^ Welches den
Titel: Molla Ibrahim Chalil, der Besitzer des Steins
der Weisen, (iihrt, ist die Hauptperson ein Betriiger, der
ein Elixir entdeckt zu haben vorgiebt, welches gepragtes Kup-
fer in Silberbarren verwandelt, und dem eine Gesellschaft
aus J^ucha (in der Provinz Scheki) einige Tausend Rubel in
Kupfer darbringt, in der Erwarlung, mitSilber beladen heim*
zukehren. Der tatarische Paracelsus schipkt die BittsteHer
fort, mit der Weisung, in dreifisig Tagen wieder zu kommen
und ihr Geld in Empfang zu nehmen. Am dreifsigsten Tage
finden sich die Nochiner wieder bei dem MoUa ein, den sie
bei der Zubereitung des Elixirs treffen, erfahren aber zu ihrem
Schrecken, dab sie durch ihre allzu friihe Riickkehr die Wirk-
416 Historisch-Iingaistische Wissenschalten.
samkeit desselben zerstort haben. „Aber wir sind ja nur Euren
Befehle nachgekommen*^, jammern die Armen, ^heule isl ge-
rade der dreifsigste Tag.'' — „Ich sagte Euch : in drei&ig
Tagen," erwiedert der Alchymist; „in dreifsig Tagen hei&t
aber so viel als nach dreifsig Tagen, mithin battel Ihr erst
am einunddreifsigsten kommen solien. Dadurcb, dafs Ihr scfaoiT
am dreiCsigsten erschienen^seid, ist Alles verloren.'* Es gebe
nur noch ein Miitel> ihre Fehler wieder gatzumachen; sic
miiCsteny bis der Verwandlungsprocefs des Meialls voUendet
sei, sich durchaus enthalten, ,,an einen Affen zu denken''; die
Gestalt dieses unreinen Thieres d&rfe sich ihrer Einbildungs-
kraft nicht vorstellen, wenn das Elixir seine Wirkung nicht
unwiederbringlich verlieren solle. NatUrlich wird es den Ge-
foppien gerade durch das Verbol unmoglich gemacbti nicht
an ASfen zu denken: ,^ie Volksstamme des Kaukasus/' ruft
einer von ihnen aus, ,»von dem kleinsten bb zam gro&len,
haben sich in scheulsliche Affen mil langen Schwanien ver-
wandelti die sich durch meine Phantasie dr&ngen, vor meinen
Augen herumtanzen;'' der Zauberkessel, in welcbep derMoUa
heimlidi ^^ein gewisses Krau^ wirft, springt, das Elixir geht
zu Grunde und die ungliicklichen Nochiner miissen unverrich-
leter Sache nach Hause wandem.
Wenn schon dieses kleine Lustspiel einen wahrhaft Aristo-
phanischen Humor eniwickelt, so ist das zweite Stiick, wel-
ches gleichfalls in Transkaukasien spielt, noch interessanter,
indem der Verfasser in eben so kiibner als originetler Weise
die Pariser Februar*Revolution benulzt, urn die Ka-
lasirophe herbeizufiihren. Wir glauben daher, bei der ganz
neuen Seite, von der sich hier die orientalische Literatur dar-
steUty keiner Entschuldigung zu bediirfen, wenn wir es unsem
Lesem voUstandig wiedergeben.
Es hei&t:
Bin tatarisobes Lntlspiel. 417
Monsieur Jourdan, der Botaniker, und Mast^Ali*
Sqbach, der beruhmie Hexenmeisler.
Personen:
Monsieur Jourdan, Botaniker aus Paris, 40 Jahr alt.
Gatam-Chan-Aga, Gutsbesitzer in Karabag, 65 Jahr alt
Schachrabanu-Chanum, seine Frau, 45 Jahr alt
Scharaf-Ni«a-Chanum, seine Slteste Tochter, 16 Jahr alt
Gultschegre, seine jungere Tochter^ 9 Jahr alt
Schachbas-Bek, sein Neffe und BrSutigam der aiteren
Tochler, 22 Jahr alt.
Chan Peri, Amme Scharaf-Ni^a-Chanum's, 40 Jahr alt
Der Derwisch Mast-Ali-Schach, beruhmter Hexenmeister
aus Persien, 50 Jahr alt
Gulam-Ali, dessen Schuler, 30 Jahr alt
J.
(Das Stuck spielt in Kariibag im Jahr 1848, im Winterlager
Takle-Muganlu.)
Scharaf-Ni^a-Chanum, in der zweiten Kammer des
Hauses, kaount WoUe und weaot ; neben ihr spielt ibre kleine
Schwester Giiltschegre.
Gultschegre. Schwesterchen ! Wamm weinsi du?
Scharaf-Ni^a-'Chanum (stofst sie fonsick). Geh* fort
Gultschegre (ludringUcb). Schwesterchen! Um Got^
teswillen, sage, warum weinst da?
Scharaf-Nitfa-Chanum. GdiVfort, sag' ich dir; lab
mich arbeiten.
Gultschegre. Du thust ja nichts, du weinst nur. Sage
mir, waruoi du weinst « . . • Du willst nicht? Dann ruP ich
die Mutter. Sage, warum weinst du? (Sie zieht der Schwester
den roUien Schleier vom Haupte.)
Scharaf-Nif a*Ohanum (giebt ihr einen hdftigen Stofs).
Geh* fort, Narrin! Sei still und lafs mich meine Arbeit fertig
418 HUtoriscMiagnktiscbe Winenscbaften.
inacheD« (Giilischegre falli auf den Riicken^ steht mil Gefichrei
wieder auf und ISufl zur Mailer.)
Scharaf-*Ni«a*Cfaa0iiin (allein). Ach! das tlumme
Kind geht imd sagt es der MuUer. GoU! wenn sie kommt
und frSgt, warum ich weine, was soil ich ihr antworlen ? Neio,
nie werde ich ihr von meinem Herzleid erzahlen ; lieber leugne
ich es und sage, dafs ich nicht geweint habe. (Wischt sich
die Augen mit einem Tuoh. In diesem Augenblick oSfnei sich
die Thiir und Schachrabaau-Chanum tritt mit ihrer jiingeren
Tochler ein.)
Schaehrabanu-Chanum* Scharaf-Ni«a! Warum bast
du dieses Kind gestofsen und es auf die Erde geworfen?
Scharaf^Nisa-Chanum. Moge dies Kind durch die
Erde sinken! Es horle nicht auf Mulhwiilen au treiben und
lieCs mir keine Ruhe; ich konnte nicht zwei Biischel Wolle
auskammen — immer irieb Giiltschegre Possen: bald riss sie
mir die WoUe aus der Hand, bald zog sie mir den Schleier
vom Haupte; endlick verier ich die Geduidi stiels sie eiwas
von mir, und sie fing an zu weinen und ging zu dir, sich zu
beklagen. Was ist da das Ungjiick?
Giiltschegre. Ich schwore dir, Mutter, sie*spricht nicht
di« Wakrheilb Sie beschaftigte sich gar nicht daniit, <Ke Wolle
zu kammen, sondem *weinte uDaufhSrlich. Ich sagte zu ibrt
weine nicht, sie aber stiefs mich von rich und warf micb zur
Erde. (Wisebt sick die Augen mit der Hand und weint)
Scbachrabanu-^Cfianum. Scharaf-Ni^a, vearum hast
du geweint? Was ist dir zugestofsen, dak du weinen solllest?
Gott sei Dank, dein Vater lebt, ddne Mutter lebt, ein sefao-
ner und junger Brautigsm stelii dir vor Augen ; du leidest an
nichts Mangel, weder an Speise noch an Kleiduog: iiber was
hast du denn zu weinen?
Seharaf-Ni«d. Ich sebwore es dir, MfttterciieTi, ich
habe nicht geWeint. (Kneift GUlfcsch^re.) M5ge die Erde
dich verschlingen : wann habe ich geweint? (Giiltschegre
stdfsl ein Schmerzensgeschtet aus«^ leb sebwfire es dir, Mut-
EIn tatarUcl^B LoalipieK 419
ler, ich habe nicht geweint. GoCt ^i Dank, mein Vater lebky
nieine Multer lebt: warum sollle ich dean wdnen?
Schachrabanu-Chanum (lachend). Warum fiigst du
Dichi hiniu, dalis du auch einen Brautigam in Aus9icht haat?
Scharaf-Ni^a-CbaDttm. .Welehen Bfauligam?
Schachranu-Chanum. Weldien BrSutigam? Uqd der
Sohn dein^s verslorbenen Oheims, SohachbasrBek, wesson
Brautigam ist er denn? Dein Vater Iiat die Absicbt^ «o Gott
will 9 in zwaniig Tagmi eine solche Hochieit ku veranslalti^m
dafs ganz Karabag vod ihrer Pracht reden soil. Vorgcstern
hat er seinem Freunde Kurban-Bek you Savdab gesc^rieben,
einige Bajaderen aus Sehemacha zur Hoohtdl konlmesD zu
hissen und sie ohne Saumen hierher zu schickeik
Scharaf-Ni«a-ChaDum (iaist die Uuteflippe hSngetiX
Bij! Mutter, was sprichst du? Sehabbaa-Bek reist in tehn
Tagen fort, uad ich wei& nidit urn wdcbe Hoch&eit der Va-
ter sich bemiiht*
Schachrabanu-Chanum (erataunl). Schaohbas Heist
fort? Wohin reist Schachbas? Mit wem reist er? Was
sprichst du? (Jm GotteswiUen, ersinne keine falsehm Ge^
rtichte. Jetzt i)eh' ich, da(s du in der That geweint hast Man
hat Recht zu sagen, dafs Madchen keinen Verstand habeti,
soadem nur Thranen in Ueberflusa. Sprich: wer hat dir ge*
sagt, dafs Schachbas fortreist?
Scharaf-Ni«a-Chanum (die Augen senkend). Er
selbst.
Schaehrahaii:U*iChattum. Gut! Wohin feist er deim?
Scharaf-Nita-Ghanum. kh wails nieht, ob nach
Frangi, ob nach Paris: moge der Name* verachwinden , ich
kaan ihn nicht aussprechen.
SchachrabanuoCbanum. Gut! Mit worn reist Schadi*
bas nach Paris?
Scharal-Niaa*Chanum. Mit unaerem Gaste, Mosje
Jourdan.
Schaachrabanu-Chanum. Mil dem Franzosen, der
hier iiberaU Rrauter und .Pflansen sanamelte? Was will er
420 Historiscli-.liAguUtwche Wisaenschftften.
mii dem ? Was hat er in Frankreich xu suchen und weicher
von aeinen Hunden hat sicb dort verirrL
Scharaf-Ni^a-Chanum. Ich weifo nicht MuajeJour-
dan hat es ihm in den Kopf gesetzt, dafs ii^ Paris alle Frauen
und Madcben mit unbedecklem Gesii^ht in Geselkchaft gehen,
und nochVieles hat er ihm gesagt* Jelst gebehrdet sich der
jimge Mensch wie ein Wahnsinniger und s|Micht: Ich mtifs
durchaa» nach Paris. reisen; erst bilte ich den Onkel um die
Eriaubnifs, iitid wenn er sie verweigerti- so spring* ich aufs
Pferd, setze iiber den Araxes, treffe mit Musje Jourdan su*
sammen und trete mit ihm die Spazierfahrt nach Paris an.
Schachrabanu-Chanum (sur jiingeren Tochler). Gul-
tschegre! 6eh* in die andere Sakia und rufe Schachbas zu
mir. Ich will doch sehen, wie es mit dieser Geschichte ist
(Giiltschegre lauft hinaas.) Ich habe dem Gatam - Chan • Aga
gesagt^ die Hochzeit bald anzuordneny weii sich bei diesem
Schachbas stets eine oder die andere Grille im Kopfe seigfe;
er hat aber nicht aaf mich gehdrt, sSgerie und sSgerie — und
jetzt haben wtr die Bescherung^ (Die Thiir offnet sich, und
Schachbas^Bek tritt ein mit Giiltsehegre.)
Schachbas«BeL Xante, was isl geschehen?, Etwas
Gtites?
Schachrabanu-Chanum (runselt die Stim). Schach-
bas! Man sagt, du reisest nach Paris. — Was ist das fiir ein
Gerucht?
Schachbas-Bek. Was ist dabei, wenn ich reise, liebe
Tante? Ich werde reisen und wiedersurfickkehreny und ftir
Scharaf-Ni^a-Chanum solche Mtitzen mttbringen, wie sie von
den franzSsischen Jungfrauen getragen werden.
Scharaf-Nisa-Chanum. Mir sind die Miitzen der
franzSsischen Jungfrauen nicht nSthig ; kaufe sie in Paris und
setze sie auf die Haupter der franz&sischen Madcben, fiir
welche du schneller als der Wind aus Karabag hinfliegen
wiUst
Schachrabanu-Chanum. Ja, sie spridit die Wahr-
heit: sie hat die Mutzen der franiosiscben Mfidchen nicht no*
Kin tatarischei f<astspiel^ 421
thig; wenn du sie kaubt, so knnnst du sie audi den franzS-
sischen Madchen selber schenken. Sage ipir jedoch: bisi du
selbstandig, hast du keinen aheren Verwandlen, dcr bei dir
Vaterstelle verCriU?
Schachbas-Bek. Verstehl sich, ohne die Erlaubiiife
des Onkels werde ich nicht reisen. Mmje Jourdan selbsi vrird
ihm urn seine Zustimmung biUen.
Schachrabanu-Chanum (sornig). Sehr gut! Du bisI
ganz verderbt worden undkennst wederMafs nochZiel mehn
Geh' nur; ich lasse sogleich Gatam-Chan-Aga rufen und
werde sehen, was fur ein Mensch dieAer Mu«je Jourdan ist,
der unseren Neffen verfiihrt hat und ihn mit nach Paris nimmt.
Ich schwore zu Gott| ich werde ihm ein solches Stiick auf-
spielen, dafs er nicht wissen soil, woher er gekommen ist, und
Paris selber vergifst. Ich rufe sogleich Gatam-Chan-Aga und
werde sehen, wie so du nach Paris reisest, wahrend nur
zwanzig Tage bis zu deiner Hochzeit bieiben.
Schachbas-Bek. Wir bieiben nur zwanzig Tage bis zu
meiner Hochzeit? Ich bin noch jung; ich will nicht so bald
Hochseit machen und mich hauslich niederlassen. Man wird
doch nicht niit Gewalt • . . •
Schachrabanu-Chanura ^schreiend). Ja wohl mitGe<»
wak! Pas ist unveroieidlich : deine Hochzeit hitte schon vor
twei Jafaren stattGnden soileUy ware nicht Scharaf-Niaa noch
zu JMng gewesen. Ihr jungen Leute verlallt bei ehelosem Le-
ben in alleriei Lasler und gebt euch dem Raube und dem
Diebdtahl hin. >
Schabbas-Bek. Aus Hunger und Durst wird man
wohl zum Dieb oder Rauber; ich aber leide, Gott sei Dank,
an nichts Mangel.
Schachrabanu-Ghanum (spSttisch). Ja, gewifs, ea
sind nur Bottler, welche rauben und pliindem. Um Gottes-
willen , raisonnire nicht; du hast dich ganz vom Wege ver-
irrt — - Gefae an deine Geschafte. (Schachbas-Bek geht mit
gesMnktem Haupte ab.)
Schachrabanu-Chanum (fiir sich). Sind etwa Gatam->
Brmaos Rnss. Arcbiv. Bd. XI. H. 3. 28
^22 Hittoriscli-liiigiiifitMcke Wisteaachaften.
Ohan-Aga und Schnchrabaiia-Chanum nichl inchr da, dafs
der ersle beste Frapzos den Schachbas veriiihren und mil sich
nach Parift schleppen sollte? (Zur Tochlen) Sage mir, Seha*
raf-Ni«a, ich habe vergessen: mil welchen Worien hai jener
Sammler von Krautern und Pflanten unscrn Schachbas be-
rUckt und zur Reiae nach Paris beredet?
Scharaf-Ni«a-Chanum* Er sagte ihm, dafs in Paris
die sch5nen Jungfrauen mil uoverhiilllen Gesichtern in Ge-
svUschafi gehen.
Schachrabonu-Chanuui. Wat noeh?
Scbaraf«-Nifa*Chanum. E> sagte m>cfa, dafs iqParis
die Madcben und Frauen mit den jungen Maanern tanzen,
sprechen und lachen.
Schachrabanu-Chanum (unwiliig), Ei! das sind
itnmer die namlichen Worte! Was hat er sonst noch ge-
sagl?
Scharaf-Nisa-Cbaoum. Andere Worte sind nicUt in
meineu) Gedachlnifs geblieben; ich weib nichl, waruin.
Schachrabanu-Chanum. Grofser GottI NeineToch-
ler! Wie soli ich Gatam^Chan^Aga sageo, dafo- sein Neffe
Schachbas -Bek sich in die Pariser JungfraiMn und Sch$neD
verliebi hat und mit Mujje Joiirdan aus KariSbag nieich Paris
reisen wili^ und dab seine sechzehnjahrige Tochter Scharaf-
Nisa-Chanum, auf Schachbas eifersiichtig » vor seiner Abteise
ihren Thranen freien Lauf la&t und Trauer unlegt?
Scharaf-Nisa*Cbanuni. Grofser Gdtt! Asche auf
mein Haupt: was spricht die Mutter! Die Erde verscfawin-
det unier ineinen Fiiben! Ich eile von hinnen. (Lauft fori.)
Schachrabanu-Chanum (zur jungeren T4»chier). GiiU
Ischegre! Geh', sage dem Vater, dafs er gleich zu mir kom-
men inlige ; icb bedarf seiner wegen einer wichligen Angele-
genheit Er spricht fainter der iSakla mil den Hirten. (Gul-
tschegre lauft hinaus.)
Schachrabanu-Chanum (allein). Was fur ein un-
dankbares Volk sind diese Franzosen! Nidii die mindeste
Dankbarkeit haben sie fiir erzeigte Wohlthaten. Und ich,
Bin tataritcbet Lufttpiet. 423
Th&rin, bereiiete jeden gesegneten Tag Sahne und Butter
zum Miltagbrod fur Muaje Jourdan, Pilau und Braten zum
Abendessen fur Mu«je Jourdan, auf daHs er nach seiner Heim-
kehr in sein Vaterland nicht sageu mochle: die Weiber des
Karabager Nomadenstammes seien rohe Geschopfe, die ihre
Gaste nicht zu ehren wissen* Und dann soil man den Leu-
ten Gutes thun: alle meine Wohlthaten hat der Wind fort-
geweht. (Gatam-Chan-Aga Jritt ein.)
Gatam-Chan-Aga. Zum Guten, Frau? Was giebt's?
Warum hast du mich so eilig rufen lassen?
Schachrabanu-Chanum (mit gerunzelter Stim). Was
kann es Gutes geben? Komm her und sieh: jener Sammler
von Krautern und Pflanzen, wegen dessen du so lange besorgt
warst, hat deinen Neffen beriickt und entfuhrt ihn mit sich
naeh Paris.
Gatam-Chan-Aga. Wie! Miuje JourdajinimmtSchach-
bas mit nach Paris! Wer sagt das?
SchachrabanuoChanum. Ich sage es. Er hat es
selbst Scharat^iM und mir bekannt.
6atam«>Chan-Aga (lacheod)* Ho, ba, ha! Sehachbas
weifs, dab deine Tochter ein zartliches Herz bat; er macbfce
sich lustig liber sie, imd sie ist wahrscheinlich durch seme
Worte in Kummer versetzt* Ha, ha, ha! Mutter usd Toch^
ier haben zusammen nichi Ar einen Heller Verstand und ge-
rathen bei jeder Nachricht aufser sich.
Schachrabanu-Chanum. Da selbst hSltst AUes fiir
Narrheiten. Er ist jnng; vielleicht hat dieser Franzos ihm
allerhand Marchen eriahlt und seinen Geist verwirrt, Dn hist
ein Mann : wird es Blutvergielseii geben, wenn du Beide ri^
und frags t: was ist das fur ein Geriicht?
Gatam-Chan-*Aga. Gaoz wohl, Frau! Schreie jDieht,
wenn du Allah liebst. Ich lasse sie diesen Augenbliek tufefi
und Irage sie in deioer Gegenwart aus. VerNere nur nicht
die Geduld!
28*
424 His tori sch-lingiiistisclie WiBsentchaften.
II.
(Die Scene verwandell sich in das ersle Gemach des Hauses.
Auf dem Fufsboden sind Matlen und Teppiche ausgebreitel;
in einer Ecke liegen Sacke mil Mehl, in einer anderen Kriige
mil Oel, in der drilten Kisten mil Wolle. In der iSakIa silzen :
Galam-Chan-Aga ; seine Frau, Schachrabanu-Chanum, den un-
leren Theil ihres Gesichts mil demSchleier bedeckl; Schach*
bas*Bek, auf den Griff seines Kindjal gesliilzl; Monsieur Jour-
dan^ auf einer Kiste, mil gekreuzlen Beinen, eine Cigarre
rauchend. Hinler dem Vorhang, der vor dem Belle hangl^
verbirgl sich Scharaf-Ni«a*Chanum, welche gekommen ist, um
das Gesprach zu behprchen.)
«
Galam-Chan-Aga. Hakim Sahib (Herr Doctor!) Man
sagl, dafs Ihr Unseren Schachbas mil nach Paris nunmt Was
ist das fur ein Geruchl?
Monsieur Jourdan. Ja, Galam-Chan-Aga, ick war
selbsl willens, Euch dies miUulheilen, weil es scfaade isl, dafs
ein so aufgeweckler junger Mensch wie Schachbas -Bek, der
andere Sprachen gelernt hal, nichl auch Franzosisch weifs.
Ich verspreche ihn nach Paris milzunehmen, ihm dorl die
franzosische Sprache zu lehren und ihn dann zu euch zurtick^
zuschicken. Er brennt vor Verlangeni diese Sprache zu er<^
lerneui und ich bin daher itberzepgl, dab er rasche Forlschritte
machen wird, um so mehr, weil er durch den Umgang mil
mir schon einige Phrasen kennl.
Galam-Chan-Aga (zu Schachbas -Bek). Schachbas!
1st es wahr, dafs du nach Paris reiseii wUlst?
Schachbas-Bek. Ja, Onkel Wenn Ihr die Erlaubnife
gewiihri, so reise ich mil Mn«je Jourdan und kehre wieder zu
Euch zuriick.
Galam-Chan-Aga. Wozu will mein Sohn reisen?
Schachbas-Bek. Um die franzSsische Sprache zu er-
lernen, Onkel.
Galam-Chan-Aga. Wozu soil dir die franzSsische
Bin teterisches LasUpidL 425
Spr/iobe dienen, Lieber? Fiir dich sind die arabische^ per-
nsche, talarische und rtissische Sprache nolhwendig, die du,
GoU sei Dank^ schon in den Scbulen erlernt ha$t und weifst
Schachbas-Bek, Onkel! Die fransosische Sfuracfae
ist fur micb sehr nolhig; denn ais ich vor^ges Jahr in Tiflis
war, wohki ieh auf Euren Befebl ging» um die Ermacbtigung
ton) Graben eines Canals su erhalten, wurde in alien Gesell*
schaflen Tarwerdi-Bek, Sohn des AI]awerdy*Bek, der in War-
schau FranzSsisch gelemt hatle, weil meihr g^ehrt, ais icb,
obgleich er, aufeer Franz5siscb und Taiariseh, keine andere
Sprache verslehi.
Galam-Chan-Aga. Mein Sohn! Du hist no^h ein
Kind: aUes dies iat Narrheit Dem Menscben isl Verdienst
nothig: durch die Kenntnifs von einer Sprache mehr wird
setn Verstand nicbi grofser, tind welche Sprache er auch re-
del, er mufs vor AUem \vissen^ was in der Welt vorgeht, die
Sili^i und Gebrauche der Menscben , wenn auch our eiwas,
kennen, und seine eigenen Geschafte zu fubren versiehen. -
Schachbas-Bek. Zu den Menscben gehoren aber auch
die Pariser; nach Euren Worien, Onkel^ isi es also nothig,
auch ibre Sitten und Gebrauche kennen zu lemen*
Gatam-Chan-Aga. Was ist dar^in Tadelnswerthes?
Leme auch ibre Sitten und Gebrauche kennen , wenn du
wilkt
Schabbas-Bek. In diesem Fall, wenn ich nicht nach
Paris gebe^ wie soil iel) aie kennen lernen?
Gatam-Chan*Aga. Sehr l^cht: eben so, wie ich sie
kennCi indem ich Mu^je Jourdan sab und seine Reden horte^
obgleich ich selbst, au&er in Karabag, sonst nirgends ge-
wesen bin.
Schachbas-Bek. Ich verstebe nicht, Onkel, wie Ihr
die Sitten und Gebrauche der Pariser kennt.
Gatam-^Chan-Aga. Ich wiU es dir sogleicb erklareti,
mein Sohn. Jch bin iiberzeugt, dads das Gegentbeil unserer
Sitten und Gebrauche die Sitten und Gebrauche derEinwoh-
ner von Paris darstellt* Zum Beispjeh wir farben uns die
426 HistorSseh'Uftgaistitdie WisBeiitchaften.
H8nde mit China, und ste nicht; wir seheartn uns dieKopfe,
and die la^sen die Haare wachsen; wir siteen £u Hause mil
der Miitie auf dem Haupt, nnd sie ohne Mtitze; wir essen
mil dtn Handen, ttnd sie mit L8ffein; wir nekmen SSenllich
Gesehenke, und die heimlich; wir glauben AUenii und sie
glauben an Niehts; unsere Fraoen tragen l^urse Gewander,
und die ihrigen lange; bei uns herrachl die Vielweiberei, ,und
in Paris die VieliB8nneret.
Sehachbas<^Belc. Onkel! Das babe ioh nichl ver-
standen«
Gatani-Chan-Aga. Warum nicht rerstanden, mein
Sehn? Die Vielweiberei bedeutet, dafe ein Mann stch nicht
mit ehter Fran begnOgt, und die Vielmannerei bedeutet, dafs
die Frau sioh nicht mit einem Manne begnfigt Die erslere
Silte herrschl bei uns, und* die letstere in Paris, oaoh den
Biiohern tn urtheiien, deren Infaak uns Musje Jourdan den
gansen Winter Uber enulhll hot. Das Uebrige beuitheile
nach derselben Rege), und lafs die unnutEe Reise aach Paris.
Monsieur Jourdan (sp&ttisch). Ha, ha, ha! Gatam-
Chan-Aga! Ich bewundere Eure LogiL Wie gebt es au,
dafs ein so kluger und scharbinniger Greis nkht sehon Mil-
glied irgend eines Raihs ge^vorden isl ! Obgleich ich aber
keine Wideriegung der von Euch auseinandergesetaten R^el
versuchen kann, so wiinschle ich doch mein^rseits etwaa vor-
subringen, wenn Ihr erlatd>t.
Gatain«Chan-Aga. NachEurem Wilien, Hakim Sahib.
£ure Worte sind uns angenehm*
Monsieur Jourdan (ernst); Gatam^Chan^Agai Ich
wtinschte Schachbas-Bek mil naeh Paris zu nehnsen, dor t per-
s5nlich fiir seine Erziehung Sorge zu tragen, ihm die frmsS-
sische Sprache und so viel als mSglich von den Wissenschaf-
ten zu lehren, ihn alsdann dem Kdnig vorzusteUen und, zum
Lohn fjir die mir von Euch erwiesene neunmonatliche Gast-
freundschafl, ihm von dem Konig ein Geschenk zu erbitten und
ihn Euch dann wieder zuriickzusenden. Dies steht in meiner
Macht, dieweil ioh Doctor und Mitglied . der Akademie der
s
Kill tateriidiet LMtepM. ^27
Wissensehaften bin, die sich unler dein peraonlichen SchuUe
defi KttiMgs befindei and defi Wahlwolleni Seiner Majesliii go-
niefftt. Da^ es nun aus Eurer Krklarung hervorgehl, dab Ilir
den Nttlsen des Reisens Jeugnet, so halte ich es nicht fur
iiberflOssig, Euch desst-n Vorlheile dilrch ein augenachctQliehes
Bsispiti su. beweisen. Wenn iob oicbt nach Karabag gdtooir
vim wUre (er nimmt aus seiner Tasche ma Heft , Sftiet es
und seigi auf einige sorgsam prapairirie Blatter and Pliant
fleif) -* wenn ich nichi nach Karabag gek#iiinieB >wace, so
w&rde ich nichI wissen^ dafs in den hiesigen Bergen dieae
Kr&ttUr Qffd Gewiehse exisliren. Bisber baben unsere Na-
turforscher und Bolaniker, die Herren Linnd, Touvnefori and
Jossieu, angenommcn, dafe man diese Krauter nur in dtn Ai-
pen, in Amerlka> Afrikaimd dco Bergen der Scbwelz ^) lui-
del; ieh aber kano, in Folge meiner za wiasenschaftlicben
Zweeken utttemoauBcnen Reiae naoh Karaliag, der Pariser
Akademie fafweisen, dafs jene Herren gans im Irrthuoi sind,
indem dine Krauter and Pflansm in grofeeoi Ueberfiufa un-
ier den Bergen von Karabag • angetneffen werden. Nachdem
ich so ihren Ursprung erforscht uod stini Nuti&en der Aers^le
ilire EtgtnscfaaQen durch Experiment iestgesetsft, gedeoke ich
^n neues Werk darHber beraussugeben und der Welt' vor-
auiegen. Dieses Kra«t, sum Beispiel (er aeigt auf eines voir
seinen KrSulem), ift, naoh deo von our angesteUlen Versu-
chen, aufserordentUch wirksam gegen Leibseboi^rsen. Nach
Herm Linne gehirt es zisr dritlen KiAsse,.naoh Herm Tour-
nefori Kur vierten, ich aber theiie es d«r sMveilen zu. Und
bier diese Pflanae ist aubetist niitalich bei Augenfistehi* Herr
Linni^ reofaneisie zur siebenten, .HerrTournefort »ur seehsten
Klasse, uod ich werde sie in die zehnte veraelzen. Okaes
Kraut dagegen schBefrt ein einaiges Miitel gegen Zabnscboier-
zen in sich. Herr Linne weist ihm einen Platz in der fiinf-
len, Herr Tournefort in der dritten, icb aber in der achten
*)'Wir erinnern bei dieser tatariscben Dantenung enropaischer Gelebir-
sanikelt, dafs wir iiberairwertlich 6bsrsetzen.
42B HistoriMA-tiiigvittiMlM Wisseiwchftfteii.
Kiiwse an. Aber hier ist ein aufserst interessanles Graschen ;
es war bisher in Europa nicbt bekannt und gali fur ^ rame*
rikanisches Gewachs ; bu meiner grdfsten Freude enldeckle icb
ea jedocA im Gebit^e von Karabag: es ist uogenieki ntilz--
lich bei ErkSltungen. Ich werde es der vierten Klasae zu-
Iheilen und von alien dieaen Pflanzen eine Besclireibuiig
anfertigen und verSffenttichen; dann wird mein Ruhm dea
Ruhm der Herren Unne und Brovm verdunkeln und mein
Verdienst um die Wissenschaft das Verdienst uberlreffen, wel-
ches sich jene gelehrte Societal Gernianiens durch die Enl-
deckung und Uniersuchung der Kartoffetkranklieit ooi das Va-
terland erworben hat.
6 a la m -Chan* A ga. Ich habe auch nicht ein Wort von
diesen Allen verstanden, Hakim-Sahib! Brafiu, Lonc^ Tufar —
weshalb haben sie sich die Muhe g^ebea , die Pflansen . in
Klassen eintutbeilen? Wer ist Kermanie, wer ist der Karlu-
fal^ woven ist er eri^rankt und was ist er fur ein grofaer Mann,
dafs man so ang^icfa besorgt ist nm sein -WoUsein und si»n
langes Leben? (Monsieur Jourdan lachU) Wojltlbr, Hakinae
Sahiby auch meinem Neffen dergleichen Raibsel lehren?
Monsieur Jourdan. Ich bin scbuldig, Gatam^Chan-
Aga! Ihr redet die Wahrheii; jetst . begreife ich» w^ fiir
eine Art Beispiel ich Eueh vorlq;en mufs. Nehmen wir also
jenen Gliicksritter, deasen Namen ich vergessen habe .und der
vor einem Monal auf einem Karabager Heng^ aus dem Ge-
seblecbte Al*etniasa zu Each kam und von Euch bewirthet
wurde: wenn er nicht nach Karabag gekemmen ware, wie
hatte er so grofsen Reichthum erwerben koonen?
Gatam-Chan-Aga. Das ist klar und v^rstandlich; Uir
sprecht, Hakim -Sabib> die lautere Wahrheit. Wenn er nicht
hierher gekommen ware, so hiitte er nie solohen Reichthum
erworben.
Schachbas^Bek. Tbeuerster Oheim, ich flehe Eudi
an, ich win'de mich um EuerHaupt: erlaubl mir, Mu#je Jour-
dan ^u begleiten. Wenn Ihr mein Gliick vvollt, so wjrd sich
eine so giinstige Gelegenheit vielleicht nie vvieder darbieten,
Bin tataritebw Loatspk^L 429
um so mehr^-als Uir und der Hdiim- Sahib Euch jeUt ver-
standigi habt und Beide den NuUen der Reisc anerk^nnt
Gatam-Cban-Aga (nadh kursein Bedeokeo). Herr
Doctor! In wie viel Zeit kann Schachbas-Bek nach Paris
gehen und auriicuehren?
Monsieur Jourdan. In einem Jabr, nicbl mehr, baii
er sicb aber weniger als ein Jahr dort auf, so wird der Zweek
der Reise nichi voUsiandig erreichl, da sein Hauplwunseh ist,
die fransosische Spraohe au erlernen.
Gatam-Cfaan-Aga (surFrau). Frau! Was isi da wei-
ier au Ihun? Mdge er reisen: ehe mam die MiiUe uaidreht,
isi ein Jabr verronnen. Wenn Schacbba^ an solcbes Kind
ist, dafs er durchaus nach Paris reisen und jene Siadt sehen
witty so sei es darunu Hakim-Sahib isi auch ein yersiSftdiger
Mann, bei dem er einige Kenntnisse o'werben, Gules und
Schlechtes sehen wird; von demKdnige wird er etnGeschenk
erhallen, am Ende eines Jahrs hierher zuriickkehren und wie-
der zu uns koromen, bis dahiu aber beschaftigen wir uns mit
den Vorbereilungen zur Hochzeit und feiern diese sogleich
nach seiner Ankunft
Schachrabanu*Chanum (mil Geschrei aufspringend).
Was Taselsi du, Mensch! Wo sind deine Gedanken? Ich will
nicht, dais er nach Paris geht, dafs er dort Kenntnisse erwirbt
und von dem franzSsischen Konig beschenkt wird. Diese
Worte sind nur ein Voifwand. Nicht deshalb will Schachbas
nach Paris reisen, sondem um ibit den dorligen Hadehen, die
sich mil unverhiilltem Gesicht in Geselischaft zeigen^ spa^ie-
ren zu gehen, sicb lu unterhallen, zu lachai- — ond weiter
ntcbts.
Ga tarn-Chan* A ga. Ei, Fraiu, gefnug! Um Gotteswil-
,len, schreie nicht. Was soli ich ttiun? Wenn dii kannat, so
lafs ihn nicht rmen« Eben so gut, wie man den beschwiog-
ten Vogel, der durch die Liifte fliegt, auflialten kann, wirst
du auch den Schachbas mit Gewalt zuriickbalten konoen;
wenn ich ihm die Edrlaubnifs versage, so springt er auPs Pferd
430 UiftoriiGli-^lliigoistisebe WiMeiuchaften.
und iibenBchreilet den Araxes. Wo soilen wir ibn dann aof^
suchen? Du weifst ja, wie halsstarrig er ist
Schax^brabanu-Chanum (mil nocb beftigerem Ge-
scbrei)* leh bin nocb balsstarriger als er. Nie werde ieb lei-
den; das er fortreisst. M5ge dieser Scbleier niebi mir, son*
dern einer Bajaderc gebdren, wenn ich den Scbaebbas nach
Paris reisen lasse!
Sebaebbas-Bek (spSlliscb). lob weifs nicbi, mit wel-
cben Wacben micb die Tanle gefangen haken wilL
SebachrabanU'-Cbanum (scbreii nodi lanter). • Wir
werden seben! Du enlsagst deinem Pbirie nicbi? Gul! Ich
bleibe aucb bei dem meinigen. Es wird sich sdiM leigen!
(gebl).
Gatam-Oban-Aga. Unglttek mil den Weibem! (Mon-
sieur Jourdan sebwetgt votler Verwundtrung, Scbacbbaa»J3ek
voil Unwillens.) *
(Die Scene ist an demselben Ort Schachrabanu-Chanum siizt
in der iSakla; neben ihr Scharaf-Ni«a-Chanum, Wolle kam-
mend; die Tbiir offnel sicb und die barfufsige Ainme Scbaraf*
Ni«a-ChanumV^ Chan Pari, Iritt ein.)
Chan Pari. Aalam-melik ! ^
Scbacbrabanu-Cbanuni. Aleikessaiam ! Chan Pari,
weibl 4lu, wio »cb die Saeke geendigi bat? (Scbaraf- Ni#a-
Chanum bSrI auf, die Wolle zu kaaimen.) DieSacbe ist da-
mit beoDdety dais Scbaebbas uftfeblbar naeb Paris reist Jelzl
bab* ich dich rufen lassen, damit du biergegen deinMtitel an-
wendost^ weiin du eities bast. Du weifst, Was Gatam>-Cban-
Aga fiir ein Mann ist: «o weieh wie Teig; anfinngs sprach er
gut} wurde aber plSlzlieb scfawacb und darcbeinige unsinnige
Worte Mu^je Jourdan's und Sebacbbas-Bek's selbst von Sin-
nen gebracbt. Jetzt nMifs ich sterben oder Scbacbbas von
dieser Reise zuriickhalten , denn icb konn niobt gleicbgiiHig
auf Scharaf-Nisa blicken, welche Tbranen vergiest. Wird
Goil es leiden^ dab Schaolbas zu seiueai VergiU^en niiek
Paris reist, wahrcnd hier ndn seohidinjahriges Kind nit ror
sigen Wangen achzet, Blut hustel, so gelb wie eine Quille
und dtinner als ein Faden wird?
Chan-Part. Chatrnm! (Md dasMillel, von deal ich dir
langst gesprochen habe? WaruniGataiii»Chan-*Aga oder ir-
gend eioen andern bitlen: sclucke in das benaobbarie Dorf
Agjiebedi za dem aus Persien dort ang^kommeDen Derwisch
Masl-Alt-Sehacfa ; m5ge der konimen und die Sache nach dei-
nem Gefailcn ^ ordnen* In seiner Zauberkanai liegl timo sokhp
Macht, dab er, wenn er ^rallte, meinen Alten atigenblicklieh
dazu brihgen konnte, skh ron mir seheidett au lassen^
Schachrabanu-Chanum. Cban Paril Auchichhabe
von seiner Zauberkraft gehSrl, bm aber noeh iavner unent-
scUossen. Erzahle mir etwas van seiMn Thalen^ wenn du
kannst; ich wiU sehen, ob mein Hen Glauben faaatn kann,
denn nnsere Angelegenhett ioi eine sehr schwierige.
Chan Pari. Chanun^! Hat er nicht die Frau des Ke-
rin-Kewcbi von Ag;;eb6di von ihrem Manne getrennt und mit
ihrem Liebhaber vemeiaigt? Hat ec nicht die ToclUer des 5a-
far-Ali von Mugan mit ihrem Geliebten verheirathet, indem er
ihreh Valer tSdtete, deraich der Ehe widersetzte? Hat er
nicht den Gatten ScbadiMnom's, der Tochter des Kerbalai-
Kenber von D^wasch, voa Reiner jahrelangen Reise zuriick-
gebrachti damit sich diese nicht in seiner AbwesenheR zum
zweiten Mai verebeliche? Nichta kann. aus seiaen Handen
enUchllijifen.
Schachrabanu-Chanum. In diffaen Falte, Cfaan-Paci,
mein Auge! sonde alig deio^ Sohn AU.Mordan in daa Dorf
Agjebedi zu Mast-Ali-Schach; lafe ihm sagen, dafs ieh ihn
erwwte^ verspfich Uim Aiks, was er veriangt — mit.einem
Wort, Mast- All -Schach mob hier, in diesem Gemacfa., sain,
ehe das Licht angeziindet wird.
Chan -Pari. Sogleich schicke ieh, Chanum! doch unter
der Bedingungy dafs Ga tarn- Chan -Aga und Schachbas * Bek
nichts von dem Besach Mast^ Ali-Schach's wissen m^gen. Der
432 Historisoh-liiigiilstiMhe Wusenscbaften.
Himmel vechitte^ dafs Schachbas-Bek ihn hier (inde: er wiirde
ihn lodtschlagen und aueh mich nicht uiiier den Lebendigen
iassen.
Schachrabanu-Chanum* Das verstehl sich! leh
gehe jetot gleich and schicke Gatam-Chan-Aga und Schach*
bas , nach den Ressheerden su sehen ^ und sage ihnen , sie
mSchien bei ihrer Riickkunft sicb in das zweite Geoiach ver-
fiigen, wo der ArbeiUtisch Scharaf-Nwa's stehli und sich dorl
schlafen legen, um keinen Preb aber in dieses Geinack kom-
men, wo ich die ganse Nacht fiber der Scharat-Nisa das Haupl
waschen und sie baden wolle. Duaber, Chan-Pari, steh' auf
und schicke deinen Sohn zum Derwiscb. (Gban-Pari gebl ab,
ihr nach Schachrabanu-Chanum.)
Scharaf-Nisa^^Chanum. O! Dank dir , Herr, fur deine
Gnade: Man Herz beruhigt sich ein wenig. MSge das Land
untergehen^ in welchem es keine Zauber* und HeKenkiinsie
giebi! Ohne den Derwisch, von dem meine Amme spriehl,
wiirde Musje Jourdan den Schachbas imfehlbar mil sich forl-
gefuhri und meine Tage in schwarzen Trauerfior gebiilll ha-
ben. (Die Thiir dffnel sich, und Scfaacfabas-Bek triU ein.)
Schachbas-Bek. Scharaf^Nisa! Dein Schmeri ist
der meinige. Weifst du, wekhen Scandal die Xante beut an-
gerithtel hai? In Gegenwart von Muqe Jourdan begann sie
den Onkel anzuschreien, so laul sie konnte, und auch mir zu
drohen.
Scharaf-Nisa*Chanuiii. Schachbas! Du selbst weifst
nicht, was du thust, und das Geschrei deiner Tant^ ist dir
nur so vorgekommen.
Schachbas-Bek. DeinSdmiers ist der meinigei, Scha-
raf^Nisa! Was hab* ich gethan?
Scharaf-Nisa-Chanum (lauft zu ihrem Arbeitstisch
und nimmt einige Blatter heraus). Schachbas! Wer hat mir
diese Bilder gebrachl? Hast* du sie mir nicht gebracht liiit
den Worlen: Das sind die Bildnisse Pariser Jungfra|ien.
Sieh, was es in Paris fiirSchones giebl! Diese Madcfaen und
Frauen • nehmen mit den Junglingen an den Gesellschaflen
Kin tatarweliei LQHspiel. 433
1
t
Theil! — Aus Schaam hab* ich sie deiner Xante noch nichi
gezeigt.
Schachbas-Bek. Bij! Scharaf-Nua, wie kindisch du
urlheilsl! Diese Bilderchen waren iwischen den BlaUern von
Mu9je Jourdan^s Biichern. Einst imiersuchie und diirchbliii*
lerle er seine Bocher, sah auf eioooal diese BilJer und sagie
mir, indem er sie aus den Biichern nahm: Hierninun sieniit»
zeige sie deiner Braui und sage ihr, dafs in diesem Jahr die
Pariser Frauen undM&dchen sich so kleiden; im vorigenJahr
haben sie sich anders gekleidet, und kiinftiges Jahr wird ihre
Tracht wieder eine andere sein: denn alle Jahre verSndem
sidi in Paris die Moden. leh brachte sie mit und gab sie dir:
was soil hieraus folgen?
Scharaf-Ni«a*Chaiiuni. Es folgt daraus, dafs du aus
Liebe zu diesen Jungfrauen von hier nach Paris fliegst, leich*
ter als der Wind.
Schachbas^Bek; Scharaf*Ni«a| was sprichsi du! Mo-
gen alle Madchen in Paris das Opfer eines deiner Haare
sein! Mil einer so schdnen Braui wie du hist) wiirde ich
selbst . die Houri des Paradieses nicht beachlen. Ich mochie
ohne dich nichi einen Tag leben.
Scharaf-Niaa-Chanum* Genug, um Gotteswillen!
Verschone mich mit soichen falschen Veraicherungen: Ein
junger Mensch, der nichi einen Tag ohne mich leben kSnnie,
wiirde nichi von hier nach Paris forlreisen. Du liebsi mich
nichi im Oeringsten!
Schachbas-Bek (siiirzi auf sie zu, schlingi seine Arme
um sie und kiilsi sie). Scharaf-Ni^a! Du hasi einen sehlim*
men Verdacht auf mich. Es ware besser, dafs du einen Pfeil
in mein Herz schdssest, als mir solche Worte zu sageo!
Wanim frags t du nichi ersi, aus welchen Griinden ich nach
Paris reise?
Scharaf-Ni«a-Chanum (machi sich aus seiner Umar-
mung los, mji Thranen). Warum soli ich fragen: ich weifs
selbst recht gut die Grunde deiner Reise. Hier sind ihre
Griinde und ihre Urheberinnen. (Drucki die Zahne zusam-
434 Historigeh-HiigoiBtisdie "Wissentcbaften.
men, zerknittert die Modebilder in den HSnden und wirfl sie
zu den Fiifsen Schachbas-Bek*s.)
Schaclrbas*Bek. Ich schwdre dii^s^ dicse sind nicht
die Urheberinnen. Du weiCrt es nichi: inetne Gefahrten ha-
ben alle durch Kenntnisse und Verdienste Ehre und Achtung
erworben und ihrGliick genuK^hi, ieh allein bleibe unbeachtet
in der Dunkelheil.
Scharaf-Ni^a-Chanum. Erstens ist dieses nichi die
Wahrheit. Wer von unseren Leulen hatte etwa durch Kennt-
nisse und Verdienste sein Gliick gelnacht? Die GliickHchen,
die vnv sehen , sind es Alle auf anderem Wege geworden *).
Zweilens, wenn du dienen willst, so geh* nach Tiffis und dann,
wenn es dir gefallt^ nach Moskau und Peietsburg, wofain un**
sere Hand dich erreichen und woher Nachricbten von dir zu
uns gelangen kdnnten; nach Paris aber gehl keioer von uns
und Niemand kommt von dort zu uns.
Schachbas-Bek. Du redest die Wahrheii; aber jedes
Ding wiU einen Vermittler haben. In Tiflis und jenen ande*
ren Sladten kennt midt Niemand: wer wird mir also dieGe*
legenheit geben, in Dienst zu ireien? Dieser Franzos binge-
gen ist ein guler Mensch, der mich liebt und meine Familie
kennt; er wird mich nach Paris nulnehmen, in der franzSsi-
schen Sprache unterrichten und dem KSnige v<M*steIlen: ich
werde Bekanntheit erlangen und nach meiner Ruckkunft iiber*
all eiiien Plato finden k5nnen.
Scharaf-Nisa-Chanum. Alle diese Wovte, so konst-^
reich erdacht^ sind nur Blendwerke, um mich leichter zu tau-
schen. Ist es wahrscheinlioh, dafs ein so schckier^ tapferar,
edler und khiger jungar Mann , wie do bisl, nicht in 'tiflis
eiiten Dienst finden kSnne?
Schachbas-Bek. Nach meinet* Riickkehr aus Paris
bin ich willens, nach Tiflis zu gehen und dort in Dieaste zu
treten.
*) Wie man sieht, ist der Miraa Achnndow ein feiner Satiriker/ Obige
RepFik ist fcostlicli.
Bia toteriedies LnilipieU 43^
Scharaf-Nisa-Chanum (die zur Erde geworfenen
Bilder mil Pufsen trelend). In Paris wird ein jqngec Mann,
wie du, sich nicht von dem EiDflufs dieser Verflihrerinnen
losmachen konneOj um na€h seiner Riickkehr eip ordentlicfaea
Leben zu fiihreo. Aber du Mirsi nie nach Paris gehen^ wemi
du geh^ii so ruhme dich desseo, und nicht jeUt (Man hort
die Slimme des Gatam-Chan-Aga, der den Schachbas rufi,
welcfaer schnell ai^ebt.)
IV.
(Ebendaselbst. In der Sakia sitzen Schachrabahu-Chanum;
Scharaf-Nisa-Chanum und die Amme der ietzteren, Chan-Pari.
Zehn Dhr Abends.)
Schachrabana-Chanum (unruhig), Chaa-Paiiy was
isl vorgef alien? Der Derwisch kommt nicht
Chan-ParL Machi Euch. keine 3orge, Chanum! er
wird gleich hiersein. (Die Tbiir ofoet aicfa, und Masl-Ali-
Sehaeh triti ein.)
Nasi-AIi-SchMh. <Selamuin-aJleikuni!
Schachrabaau-Chanum* AJeikessalam^ 6aba Der-
wisch! S^d willkomtteDi s«tsi Euck
iy}a8t*Aii-Scha€h (seizt sich). Chamiin! WekKeBe-
fehle Uir mir geben werdei, ich biik mil JSJopi mkiS^\e her
reili sie zu erfiUIen.
Sohachrs^baBU-Ch^inuDi. Baba Derwisch! Wegetn
etaer sebr gaingen und leicht^n Sache habe ich dich beuar
mhigt und m 4ir ^schickt . Die Angelegenheit ist dieses
Unser Schachbas hal sich ganz vom Hchtigen Weg« ai>ge*
wendet; wir haben einen Franzosen alsGast bei uns, dem er
sich anschliefsen und mil welchem er nach Paris reisen wiHi
mein rosenwangiges Kind> seine Braut, die in zwanzig Tagen
die Hochzeit erwartete^ in Thranen und Leid zuriickla^send.
So sehr ich und Gatam-Chan-Aga ihn auch bajtePi Alles war
vergebens! Jetzt bilt* ich dich^ mache es so, dafe unser
436 Historigcb-linguifititche Wissenscbaften.
Sehachbas nicht nach Paris reisen kann und dafe Mu«je Jour-
dan seine Absichl, ihn milzunehmen, aufgiebt.
Masf-AH-Schach. Chanum! Dies ist keinesweges
eine geringe und lerchle Saohei sondern im Gegenih«ii eine
sehr wichiige und miihsame Sache. Die Wirknng nieiner
Zauberkunst muss sich entweder auf Paris oder auf Mu#je
Jourdan erslrecken.
Schachrabanu-Chanum, Ich versiehe nieht^ Baba
Derwisch! Warum mufs die Wirkung deiner Zauberkunst
sich entweder auf Paris oder auf Mujje Jourdan ersttecken?
Mast-*Ali-Schach« Weil, wenn kh Schacfabas-Bek
beriihre> ich einem der Teufel befehlen mufs, sich seiner
Seele zu (leoiaehligen und den Gedanken von der beabsieh-
tigten Reise ihm aus den Kopf^ hii^auszuwerfen. Aber Sehach-
bas-Bek ist noch sehr jung, und ein solches Beginnen kann
i|in so erschreeken, dafs es eine Erschiitlerang in seineni
Verstande hervorbringt, oder er kann davon erkranken und
zuofi KrUppel werden.
Schachrabanu-Chanum^ Urn Gotteswilten, Baba
Derwisch, rede nichi solche Worte! AUe unsere Sorgen sind
nur dahin gerichtet, dafis Sehachbas sich nicht auf einen ein-
zigen Tag uns aus den Atigen entfernt. Wie kSnnen wir zu-
geben, dab ein Teufel sieb seiner Seeie bemSchtige?
Mast-AlioSehach. In diesemFalle, Chanumi mufs ich
den Teufehd und Gelstem befehlen, Paris zu zersloren, dort
dasOberste zu unterst zu kehren; damit Sehachbas-Bek seine
Absicfal, dahin zu reisen, aufgebe; oder ich myfe dem Stern
Merrich'^) befehlen, Mujje Jourdan den Kopf abzuhauen, da-
mil er den Sehachbas mclit nach Paris fahren mSge. Anders
ist diese Sache in keiner Weise zu eriedigen.
*) Es ist dies ein Stern, der ini Osten anter der Gestalt eines Menschen
bekannt isi, welcber einen blofsen Dolcb in der Hand bait. Er wird
oft fon d^n Zanberern angerofen, am ihre farcbtbaren Plane za er-
fiinen. Anm. d. Verf.
Bfn taCariitcbifts Lattspiel. j^^
Schachrabanu-Ohanufii. Isl das aber moglich/Baba
Dcrwisch? Konnt Ihr es wirklich ausfiihren?
Mast«Ali*-Schach. Das ist tneine Sache^ Chanuitf!
Was ist da zu zweifein? Habtlhr nicht gehSi^^ wie ieh eini-^
gen Geistem befoMen ha€e, in d^r Festung Schuscha Strei^
tigkeiten und Intriguen unter den MuUa's der Secten U«uli
und Scheichi anzuschiiren und ihnen nimmer Ruhe zu gd>eti^
well sie sieh unferstanden haiten, dem Volke mit lauter Stimoi^
von den Kanzein «u predigen, dars es nicht an Zauberer uint
Hexennieisier glauben m5ehte? War ich es denn nicht, de^
die Seele des Teulfels Keile/an , welcher unverg^eicfalich ist
in Ranken und Bosheiten, in den Kdrper des Aga Well -AH-
Kuli-Ogly versetzle * und ihn nach Siilgan schickte zum Ufl^
gliick der dortigen' CinWohner, die jetzt aus Farcht vol* Iseider
b6sen Zunge lind seinen Schelmenstreichen, weder Tag noch
Nacfat in ihren Hausern schlafen konnen? Aber hierdurch
hab' ich mich noch zu wenig an den Saijanern gerMcht^ die
micb voriges Jahr von sich trieben, mit der ErktarUng, dab
ihre Heimath der Wohnplatz frommer, rechtglaubiger Leute
sei, und dafs ich, ein Derwisch und Hexenmeister, sie nrcht
betreten diirfe. Allein was erzahle ich £uch dies? Ich kann
noch ganz andere Beweise meiner Macht anfuhren. HSrti
was ich vor elf Jahi'en unweit der Bezirke Nachitschewan
und Sckarur gethan habe: Ich kam an das Ufer des Araxes,
wollte Uber den Fluss selzen und nach Eriwan gehen, aber
die Bewohner jener beiden Distrikte hinderten mir, indem sie
erklSrten, dafs ich keinen Pass habe, ia(s ich folglick ein
Landstreicher sei, und dafs es gesetzlich verboten ware, der-
gleiehen gute Leute in ihr Land hereinzulassen — und da-
bei sind sie selber AUe ofFenkundige Spttzbuben. So viel ich
auch bat und beschwor, «ie schenkten mdnen Bitten kein
Gehbr, bis ich endKch die Geduld verlor und den Teufein und
Geistern befahl, alle Hauser der Bezirke Nachitschewan und
Scharur zu zerstSren und sie der Erde gieich zu machen.
Der Schlag war sq^ slark, data von ^er Erschutterung ein
Theil des Berges Ararat einsturztc und das Dorf Arguri ver*
finnans Russ. Archiv. Bd. XI. H. 3. 29
436 Hi8toriscli«-Uigui8UBGlie Winsenichaften.
$chuttete*)> desften uoschuldige Binwohner das Vergeben ih-
rer b5sen Nachbarn bii&en musslen^ Mil einem Worte —
ivenn tcb d«m Miraw*^) befehle: stiirze ein! wie kann er da
i^ht eins4urzeny und wenn ich d«in Araxes befehle: h5r* auf
aai^flief9.m! wie kann er da seinen Lauf forUeUen?
SchachrabanU-QhaAum (voll Ersiaunen). Golt! Be-
hiite una vor aolchein Ungluck!
Masl-Ali-Schach. Chanum! Die Nachi vergebt, es
isi keine Zeii su vertieren; sagei mir, wann Mu^je Jourdan
abreist?
Schacbrabanu*Chanum« Ii| aiebn Tagen*
Masi-Ali-Schach. Sehr wohl, Cbanum! Sogleich
.werd' ieh vor Euren Aagen das Bild der $tadl Paris aufstel-
l^n und 9s zerslSren, den DSmonen und Teufeln aber befeh-
ten, da(s sie auf dieses Signal im selben Moment das wirkiiche
Paris Kersiorea und dem Mu^je Jourdan die Nachiicbl bier*
von binnen 10 Tagen zukonunen lassen, damit er seine Ab*
sichiy Sahachbas-Bek hinzufQhren, aufgebe.. Oder ich werde
einen gesunden Hahn nehmen, ihn Mui|e Jourdan nennen und
ihm dea Kopf abscbneideui indem ich den Stem Merrich be-
auflrage, dem Muirje Jourdan in gleicber Weise den Kopf ab-*
^uhauen, um Scl.achbas-Bek von ihm zu befreien. Jelst mo-
gen Eure Gnaden mir nulr befehlen: wiinscbt Ihr, dafs ich
Paris aerstoren oder dem Musje Jourdan den Kopf abschnei-
den ladse?
Chan -Pari. Sowohi das eine, als.das andere, Baba
Derwisch: was sollen wir die Frankea und ibr Valerland
schonen?
Schachrabanu -Cbanum. Bij! Wetb! isl dein Hen
Von Stein? Was haben uns.die aituen Pariser gethan> dais
wir die Hauser iiber ihren Kopfen zersioreq, dafs wir Tau-
$ende von Menachen dem Uniergange weihen sollten? Die-'
$es,Trubsal hat nur jener Sammler von Kriiutern und Pflan*
*) Dies geschab wirklich dtirch das ErHbebea r^m Jahr 1837.
'-*'^> Kin liober Berg in Kara(>ag.
Km tataritches f.vsttpiel. ^g/f
ten, hitisje Jonrdan iiber ans gebracht (su Masl-Ali-'ScKaeh)
Baba Derwisch! Thu mit ihm, was dit vermagst: sohlieide
hier dem Hahne den Kopf ab, und dann befiehl dem Stern
Merrich, auch Mu«je Jourdan unmiUelbar nach seinem Ueber-
gang iiber den Araxes eu enlhauplen, damit Scbachbaa aileiil
bleibe und nach Hauae kehre Cs iat viel beaser, dafs eitt
Sehuldiger das Leben verliere, als dafs Tausende Ton Un«
scfauldigen ausgerotlel werden.
Scharaf-Ni«a»Chanuni. Mutter, meine Seeb! rede
nicht also. Mu#je Jourdan dauert mich, er ist ein aehr guter
Mensch; wShrend des ganien Sommera, ais ^r aich im Ge^
birge aufliielt, sandte er mir taglich durch Schachbaa Straus-
ser von verschiedenen Blomen und Gewachseni iadem er ihm
sagte: Nimm diese StrBufser, gieb sie dciner Braui und frage
sie, ob sie, so viele Jahre sie im Gebirge war, je solche BIu^
men und Pflansen angetroffen habe? Ausserdem schenkle er
mir einen Spiegel, auf dessen Ruckseite Blumen und Pflan*-
ten einer gewissen ,>neuen Welt^' abgebildet wareUi die im
Pariser Garten der Seitenheiten wachsen. Mit einem Worte^
er liebte mich wie eioe leibltche Tochter. tch tSdte micfa^
ehe ich zugebe, dafs man dem Muaje Jourdan den Kopf ab«*
schneide. Moge lieber Paris suGrunde gehen: was kiimmert
das una? Wenn die dortigen Madefaen und Prauen nicht AuC^
wieglerinnen waren, wenn sie nicht mit entblofsten Oesich-
tern gingen, so ware es Schachbas nie eingefallen, dahin su
reisen. M6ge Paris zerslort und die Pariserinnen ausgerottet
werden !
Schachrabanu-Chanum. Ich schwor's, ich weisa
nicht, wozu ich mich entschlieCsen soil! Uebrigens redet Scba*
raf-Nisa die Wahrheit: es ist Schade um Musje Jonrdan > er
ist ein guter Mensch und nor darin schuldig, da(s er Schach*>
has vom reeblen Wege abgebracbt and ihm den Gedankm
iMn der Reise nach Paris in^s Gehim legte» Es ist aber bf-
fenbar, dafs in Paris viele lasterhafte Menschen lebeni und daa
Sdneksat; bat uns den Baba Derwisch sugesandt, um sie durch
seine Zauberkunst zu bestrafen und zu Grunde au richten*
29*
440 Historiseb-linguistische Wissenscbaften.
(Sieb zu Mast-All-Schach wendend.) BabaDerwisch! Befiehl
den Geistern undTeufeln, Paris zu ergreifen und dasOberste
^u unterst zu kehren.
Masl-Ali<*Schach. Ich slehe mil dem Kopfe dafur,
ChaBum. Augenblicklich! (Zu Chan-Pari.) Chan- Pari, geh*
hinaus und sage meinem Schiiler^ Gulam-Ali, dafs er meinen
Sack sogleich von dem Pferde nehmen und bierher bringen
moge. (Chan-Pari geht hinaus.) Cbaniani'Wo befinden sieh
jetsii G«tam-Chan*Aga und Scbacbbas-B«k ?
Scbachrabanu-Chanum. Sie scbiafen in der andern
iSiikla, ermiidei van dem Beaufsichtigen der R^ssherden.
,Masi-Ali-Scbacb. Voa diesem Geheinmi^s miisseii
weder sie, nocb Andere jetet oder in Zukunfl etwas . erCabren,
wenn der Zauber nichi alle seine Kraft verUerensoiL
Scbacbrabanu-Chatium. Ueber diesen Punkt sei
mhig, Baba Derwisch. (Die Thiir oSbet sicb, und Guiam-Ali
triU'dn mii dem Sack; rait ihm Cban-Pari.)
G u 1 a m - A 1 i. Selamun-aldkum !
Mast-Ali-Schach. Aleikeasalam ! Lege den Sack auf
4ie Erde, binde ihn auf und nimm daraus die klemen Btetter
mit verschiedenen Abbildungen.
Gulam-Ali (leis6 zu Mast-Ali-Sebaeh). Was willst
du thun? (Er spricbt Persiscb,. damit die Anderen ttm hicht
verslehen.)
Masi^Ali^Schacb. Ich wilLeine Abbildung von Paris
aufstellen und den Teufeln und bosen Geistern befehlen> diese
Sladt in einem Nu zu zerstoren, wie ich vor den Augen die-'
ser Dame (nach Schachrabanu-Ckanum blinzebid) die Abbil-
dung derselben zerstSren werde.
. Gulam-Ali. Warum?
Mast-Ali-Schach. Urn hnndert neueTomans, dk ich
sogleich dafiir von dieser Chanum bekommen werde.
Guiam-Ali. Sehr wohl! Welcbe Feindschaft hat diese
Dame gegen die fi*anz5sische Sladt uiid deren.Bewohner?
Mast«Ali>Scbach. Das ist eine lange Geadiiefate;^
Ein tatari0oh4» LasUpieJ.
j€tst ki nidit.dieZeitt sie zu ertShke. Nimm lieber db film-
ier aus dem Sack.
GulaiU'^Ali. Sogleich; aber in keiner Weise kann mein
Verstand es begreifeo, dafs ^ine so fichwierige Sftche gelihg^
k&nne. Schen&est du etwa? Paris in eiDem Augenbliek aeN
atoren! Das vcrsteh' ich mcfat.
Mask*A]i*Schacfa (Idse und mil einem Lachelo)* Wie
so verst^hsk du nioht? Diese ehrenwerihe Chanum giebt mir f&t
diese Airbeit hunderl neue Tomans; eine Frist von aebn Ta««
gen ist festgesetzt, bis der.Erfolg meines Zaubers kund wird.
Naehdem ich die Tomans erhalten, werden meine Hande und
Fiifse nichl gebunden sein: sollte ich vor zehn Tagen. nichfc
iiber den Araxes setzen konnen, und wer wird Hiid) da auf-
suchen? Wenn ich in Sicherheit bin, moge danh gesoheben
was geschieht. Sollte Paris binnen zehn Tagen zerstorl wer**
den, so werden die Tomans olme Streit und Zank „im Ma-
geh verdaut werden bis zur vierten Verdauung*^ *); Und wie
kannst du wissen: vielleicht wird Paris bisdahin durcft irgend
einen seltsamen Zafall wirklich zerslori. Geschefaen etwa in
der Welt nicht manche ungewdhnliche Eretgnisse?
Gal am- All (die Bretter aus dem Sack tiehmend). Diese
leiztere Voraussetzung will mir durcbaus nicht in den Kopf.
Es isl ein unmoglicher Traum.
Mast-All-Schacb. In diesem Falle wird dein Ver-
stand die erate Voraussetzung fassen; Geld zu bekoni-
men. Du wirst doch nicht sagen, dafs auch dies ein leerec
Traum ist?
>
Gulam-AIi. 0! was das Geld betrifft, so ist keinZwei-
fel vorbanden.
Mast-Ali^Schach. Gut! Rege also meinenGeist hieht
mehr mil unniHzen Fragen auf, sondern gehe zu den Pferden
und erwarte mich. In einer Stunde werde ich nach vollen*
') PerewaijaUja w* jelodkje do tschetwertoi perewarki ~ wanrschein-
lich ein tatarisches oder persisches Sprichwort, nach welchem man
dort die Verdauung bei den Menschen, mit der bei den Wieder-
fcaaern vergleicht.
443 Hifltorbdi-lincBUliMske Wisieaiehafiea.
detem Gesehaft su Hr kommen : vnr setsan una daim eu Pfenle
vnd reiten fort (Gulam-AIi geht ab.)
Mast<-AIi-Schach (zu Chan-Pan). Tante Chan-Pari!
aleh' auf und riegle die Thur fesi su» dala keiaer herem
koaime (bei Seiie, wahrend Chaa-Pari ifie Thur verriegell)«
Dieses weiblicfae Geschlecht ist too wunderbar klagHcher uad
einfaltiger Natur; ohne alle Ueberlegang und Beurthmlung
glaubl es, dab ieh, in Karabag siixend, in emem einugen Mo-
ment die Stadt Paris aersloren oder dafs mein MerriiAi dem
Mu^e Jourdan den Kepf abschneiden kann!
Schachrabanu*Ghanum. Was sagal du^ Bab«l>ep-
wisch?
Masl-Ali^Schach. Ich lese einen Talisflimii Cfaanom,
urn den Erfolg des Unlernebflaeoa su sichem uad die Teufel
und Geisler von meiner Absicht zu unterrichlen. (Niinoil
einen Stab von der Erde und siehl damit einen Kreis.) Das
isi der Umkreis der Stadt Paris. ( Alsdann legt er' die Bretter
eins aurdas andere.und baui so zebn oder zwSlf kleineHiu*
ser zusammen.) Dies ist die Abhildung^ler Hauser und Ge-
bSude der Stadt Paris. Chanuml Ist es Euer Wille, dais ich
den Teufeln und Damonen befehle, Paris in nichts m ver-
wandeln und das Oberste zu unterst zu kehren?
Schachrabanu-Chanum. Ja! was anders ist zuma-^
chen, Baba Derwisch? Moge Gott den Urheber vxm allem
diesen bestrafen^ mit ^m Feuer von trockenem Reisig, untcar
vrelchem auch das nasse brennen mufs. Die armen Pariser
haben uns nichts Boses gethan; moge diese Siinde auf das
Haupt ihrer Frauen und Miidcben iailen, welche es sich er-
lauben/in Gesellschaft mit enlblofstetn Antlitz unter den jun*
gen Leuten zu verweUen, mit ibnen zu schwatzen und siq
vom geraden Wege abzulenken . . . Baba Derwisch! Fiihrt
Euer Werk aus.
Mast-Ali-Sch.ach. Chanum, beliebet den Teufeln eine
Belohnung fiir ihre Miihe zn schenken.
Sch^chrabanu-Chanum. Wqzu 4en Teufeln eine Be-
h)hnung, Baba Derwisch?
Kill toteriaelMt lituttpM, 443
Masi-Ali-Scbaeb. Ciianwii! Sind deini meiae IHeu^
fel persische Sarbasen, dais sie ttmaonat dietiai 9ollen, uad
bin ieh etwa Had/i-Mirsa-Aga« *), dafs ich Hinen nichts geben,
sondem sie nur scbellen und in Furcbt jagen sollie?
Schacbrabanu*Chanum. hi es mdglich, Baba Der-
wisch, dafs liad/i-Mirsa^Agaai den Sarbasen niehte gab, son^
dern sie nur schalt tind in Furcbt jagle?
Mast-Ali-Sciiach. Ich scfawor' es, Chanuni! EinsI
sah ich es in Teheran mil eigenen Augen, wie Had^-Mirsa-
Agasi auf dem PlaUe des Arsenals die Kanone in Augenschebi
nahm, die Minvarid (die Perle) heifst, und pldt&lieh von sie*
benhundert Sarbasen umringt wurde, die ihren Lobn forder-*
len. Had/i-Mirsa-Agatfi bdckte sich augenblicklich nieder, zog
von dedn einen Fufse den Panloffei und warf sich mft- taosend
scbeltenden Keden und Schimpfworlen wie ein Geier auf die
Sarbasen; diese aber flogeui gleich einer Schaar von Wach-
tfeln, vor ihm auseinander und zerstreuten sich nach alien
Seilen, so dafs Had;1-Mirsa-Agasi ntchi Einen von ihnen fan«-
gen konnlei lu seiner Kanone zuriickkehrte und, sich an die
dort steheiklen Chane wendend, sagle: „Meine Herren, habt
Ihr gesehen? Mil einem so furchteamen Heere weiis ich nichty
wie ich Herat nehmen soil Es ist gat, dafs ich mieh nicht
nnit dem Sabel auf sie warf, sons! kann man nicht wissen,
wo sie auf ihrer Flucht zum Stehen gekommen waren. Uebri**
gens isl dies nicht ailein ihrer Feigheit aususchreiben : sie wur-
den mil Zagen erfullt durch jene Rustam ahnlichs Unerschrok-
kenheit, mil der ich mich plotslich auf sie slurzte. Die Kuhn-
beit des Feldherrn schliefst eine grofse, geheimnifsvolle Kraft
in sich!" . . . Nun also Chanum! Hir miiisst nicht glauben,
dafs ich meine Teufel nur mit Fabeln fiiltere und out Pan-
*) nad/i-Mina-Aga«i, det persische Mazarin oder Fleiiry, war eln Der-
wiscli aus Briwan und der Hofmeister und nachherige aUmilchtige
MtnfaCer des verstorbenen Schacbs Muhammed-Mirsa. Unter seinen
Aaspieien fand die angluckliche Expedition nach Herat (1838) stott,
welobe den Zng der Knglfinder nach Afganistan her?orrief.
444 Historiscb- lingniBtu^ike WisMtiehafteii.
toffein in 4ie Flucfat. jage; im G^genlbeil mu(s ich sie bewir-
then^ sie liebkosen und ihnen wegen ihrerThateto sdimeichehn,
bis. sie nichi durch die Sehigabi-iSakib erschlag^B und vertilgt
werden*). . .
Schachrabanu-Chanum. Bis sie nicht durch die
Schigabi-5akib verlilgi werden? Was redest du, Baba Der*
wisch: werden sie d^nn in der.Thai diirqh die Schigabi-*<Sakib
vertilgt?, , . '
Masl-Ali*Sehach» Das ist eine schone Frage! Wie
k;ann es denn anders sein: die Teiifel und b&$eriQeister stiir*
zen so viele unschuldige Opfer in*s Verderben, j^rstoren ohne
Ursache die schonste Stadt, und fiir eine so gro{se SUode soli-
ten sie nichl durch GoUes Zorn besirafi werden?
Sohachrabanu-Chanum. Sebr vvohli Baba Derwisch:
ist dies aber der Fall, warum fiirchlen «ie denn Jiicbi fur ihr
Leben und entschliefsen sich zu einer solch^i Handlung?,
Mast-AIi*Schach. Er^lens, weil ich es ihnen befehle,
und zweitens weil sie dumm sind und weil es ihreNatur mil
sich bringty tjebles zu begehen. Gabe es keine Damonen, so
waren in der Weli k^ine Lasier, und Nieroand wurde die
Nachkommen Adani*s zu bosen Handlungen verfubr^n.
Scbacbrabanu*Chanuin. Du sprichsl 4ie Wahrbeili
Baba Derwisch. Wie viel isi es nothig, den.TeufeIn als Be-
lohnung zu geben?
Mast-Ali-Schach. Mehr verlang* ich nicbt, als Ihr
versprochen habt: hundert Tomans.
Schachrabanu*Ghanuin. Wiirde das nicht viel sein,
Baba Derwisch?
Mast-Ali-Schach. Das ist vorlrefflich! Ihr lafst eine
Sladt zerstSren, die tausendmal Tausend Tomans w^rlh ist>
und iindei es zu theuer, dafur hundert zu geben!
*) Sch]gabi-<Sakib beifsen die Sternschnnppen , die^ nach dem Glauben
der Musel manner, indem sie vom Himniet hegrabfallen , die Teufel
und bosen Geister ergchlagen, welcbe sich gegen den WiUen Gottes
auflehnen. Anm, d. V:erf.
1
Eki tatarilidies Ltisti^teh' 445
SchachrabanurChanum (zur Tochter). Scharaf#Ni«a f
Hole das KSsiehen mii Geld und gieb es mir. (Scharaf-^Nia^
springt aaf, h6ll das Kiislchen aus demBeli Aind giebi es der
MuUer, welche hunderl Tomans herausnimmt^) Mein Kindy
Soharaf-Ni^a! Fixr die HochseiUnUnkosten l>leibt dano kein
Geld iibrig.
Sjcharafv^Nisa. Thut nicbU, MiiUertheii^ vvir i^rkau-
fen noch etnige hundert Hammel, und es wird wieder Geld
da sein. '
Schachriibahu-Chanum. Du sprichst die VVahrheil,
mein. Kind: moge di6 Nase und das Ohr uhtergehen^ um den
Kopf zu reiten. (Zu Mast- Alt- Sdiacb.) Hier^ nithni) Baba*
Derwisch!
Masi-Ali-Schach (nimmt das Geld , steckt es in die
TaiBche, zieht ein Buch aus demSack, blalterl darin und halt
hek einigen mit Figuren bemalien Seilen an). Richtig! Paris
Iregt unter dem Zeichen des Scorpions ... Es ist eine ab*
gemachte Sache: daher konnle diese Stadt demUngiiick nicbt
entgehn; das kommt von dem Einfluss des Sternbildes. (Er
sieht daiin auf, nimmt einea grofsen Stock in die Hand und
wendet sich zu Schachrabanu - Chanum und ihrer Tochler.)
Chanum! erscbreckei nicfat Macbt Eueh das Herz- fest!
(Nimmt eine strenge Miene an uod singt mit lauter Slimme):
Degdegacha Filendi, Tubbel Kera Kirendi^ Tubbei Kuma Ku-
mucha^ Biendi, Jundi, Jandi. (Hierauf blast er nachrechts
und nach lint^s, ruft mit furchtbarer Stimme die Geister und
Teufel beim Namen und ertheilt ihnen seine Befefale.) Jame^
licha, Jaselieha^ Jabelicha! Erbebt Paris von seinem Platze
und wirft ea sogleich zur Erde, wie ich mit dieseih ScUage
dessen Abbild z^erstore. (Tritt einen Scbritt zuriick, sliirat
dann mit wilder Gebehi'de auf den mit Hauserchen beseli^ttB
Kreis und schlagt sie mit einem jgewaltigen .Streicb seines
Sloekes in Slucke.) Chanum! Seid Ihr jetat mit mir zu*
frieden ?
Schachrabanu-Chanum. Ja, Baba Derwisch, sehr
2^ufrieden; es. ist nur zu wiinsch^, dafs die Kunde von dem
446 HistorifeMingiiiftische Wiiteiitchaften.
Unlergang von Paris bei Zeiien zti Huije Jourdan gehnge,
damii er fur gich selbst sargen mid unsera Scbachbas in Rohe
laasen mSge. Uebrigen weiss ich nicht, wer ihin. die Nadi-
richt so schnell aus Paris bringen koimte.
Mast-Ali-Schaeh (lacbeod). Ha, faa, ha! Ghanum!
Ein Mann, der von bier aus in einem Augenblick Paris das
Obeirste w untersi kebri, kann er nicbt in einer Mimite, in
einer Stunde, in einem Tage, binnen sehn Tagen, die Kunde
hierher kommen lassen? Was Iraumi Ibr?
Schaehrabanu-Cbanum. Du redest die Wahrbeil,
Baba Derwiseh; aber wie angenehm war* es, weiin dicNach-
richi gleich su Musje Jourdan gelangte und wir von Vhm be-
freit wiirden.
(Es wird plStzfich heflig an die Thur geklopft; dann horl
man die sitlemde Stimme Monsieur Jourdan's. Mast^Ali-
Schacb rafft schneli seine zersciilagenen Bretterchen aosam-
men, legl sie in den Sack, wirfi ihn ^er die Schulier and
verstecki sich hinler den Vorhang.)
Monsieur Jourdan ((ahrt tori imnter befiiger an die
Tbiir zu klopfen und schreit): Gaiam-Cban-Aga! Scbachbas-
Bek! Oeffnet die Thiir!
Schachrabanu^Ghanum (springt erscbrocken auf, gebt
furchlsam an die Thiir und SAfiei sie; Sckariaf-Ni^a siUert
wie Espenlaub).
Ghan-Pari. Wai, Vaierchen! VVai, MuUercben!
Monsieur Jourdan (IriU ein). Wo isK Gatam-Ghan-
Aga? Wo isi Schachbas-Bek?
Schachrabanu-Gh'anum (hirchtsam). Ste seh/afen
beide In der niicbslen 5akla; heule haben sie die Rossheer-
den besichiigt, waren sehr mude und leglen sich fruhzeitig
schlafen*
llllonsieur Jourdan (laui, mil zitterhder Stimme): Gha-
num! Man muss sie augenblickiich wecken. Ich reise ab und
darf nicht zogern. Wehe iiber Paris! Wehe uber die Tuite-
rien! Wehe iiber die schone Hauptsladl! Wehe iiber das
schSne Konigreich! Mii Frankreich ist ein Ungldck geschehen.
Bill MiriiiA«i bmiipiel. 447
Sehachrabana«*Ghiiiui». HakimSalitbl WasgtebtV?
Was bt Yorgefallen?
Monsieur Jourdan. Paris kl TerwbsieM Die Tuile*
rien sind scrMdrt! Frankreioh bt su Giuiide gerichtet!
Schachrabaiiu*Chaauiii. Dank dir, 0 Herr!^ Das
bdEil, ich woUle si^n: GoU sehiUse uns vor Unglilek.
Monsieur Jourdan. Die sch5ne Haupisladt isi in
einem At^nUtck «u Grande geridilei! « . . Die Monarchie
ist verschwunden ! . • . Der Versland begreifi ea nieht: es ist
wie durcii Zauberei.
Schacbraba&ti«Ghanuni. Welcfae Zauberei? Ist denif
Paris durek. Zauberei serstori worden, Haium Sabib?
Monsieur Jourdan. Verstekt sick durcb Zauberei.
Ein unglaubliehes Breigniss: in einem Augenblid^ wird die
alle Ordnung der Dinge vernictilet, Paris tib^r den Haufen
geworfen*
(Bei diesen VVorien fangi Scharaf-^Nisa-Chanum an^ noeh
hefliger zu zittem, ohne die Augen von dem Vorhang abfeu-
wenden, hinter welcbem sich der Derwiscb Mast^Ali-Schach
versteckt hal.)
Ckan-Pari (leise). Wai, Vaterdien! Wai, Miillerchen!
(Au£ den Larm eilen (j^ani*Cban-*Aga und Scbachbas-
Bek herein.) <
Monsieur Jourdan (sich zu ihnen wendend). Ach,
Galam-Chan-Aga! Schachbas-Bek! Urn GoUeswillen sehait
mir schnell Pferde: ieh muss sogieicb reisen und darf nicht
saumen. lek bUle Euch^ mir das Geleit lu geben und iiber
den Araxes aelzen zu kelfen.
Gatam-Chan*Aga (ersiaunt). Hakim Sahib, was ist
vorgefellen? Was isl dieUrsacfa einer so plSlzliehen Abreiae?
Monsieur Jourdan. Paris ist verwaskel, die Tuilerien
zersiorl, die franzdsische Monarehie vernichiet, der KBtiig
¥ieifjagi. Diesen Augenbliek braehle mir Euer Bezirks- Asses-
sor ein Schreiben von dem englischen Consul in l^aurisj der
mil- diese Botschaft miliheilt nnd hinzufiigt, dais eben jeizt
ein Courier mit Depeschen nach London abgeht Er erwar«
448 Historisch^t-littgulstiBdhe Wistenslchafteii.
let iDioh am Ufer des Araxes:: bis zwSK Ubr mots ick ihti
erreichen, sonst reisl er ohne mich, und nachher wetde idi
allein. nichi so sdmeli torn Koaig • gelangen kihinetk Louis
Philipp ist oach England entfiohen. 0 GoU! Mein fioUl
Gaiaia^-Ckaa-Aga (mit B«ellir£ung). HiHuni Sahib!
Wer hat Paris verwtlsiet, wer die frusostscbe MonavcUe
z^rslort?
Monsieur Jour dan (in der grofeten Verzw«iAiMig). Der
Teufell Saianas! Dainone! B6sewtchier! Wie soil idi sie
nennen? Um GoUeswillen , Gatani*Chan'*Aga, lafst schnelt
Pferde saiteln: ich habe keine Zeii su veriieren.
(Bei diesen Worten sleigi das Erstaundn Gi^m-Chan-
Aga's bis zum hochsten Crrade; Scharaf-Nisa-Chanum zittert
iapinier heftier; Schackbas'^Bek bemerkl ihren Zuatand, wnn-
deirt sich dariiber und naheri sich ihr.)
S^rhachbas-Bek. Warum siUersl du? Ach doSchel-
min! Am Ende hast du Paris zerstoren lassen, dannl idi nicht
hinreisen mochte?
Scharaf-Ni«a«Chanum (mit leiser und bebender
Stimme, ohne die Augen von demVorhang absuWenden, hin-
iex welchem der Derwiseh versteckt isl)^ Neini ich schvvore!
Ich Bchwor^s beim Koran, bei der Seele meines Oheims — ,
ich weifs von nichts, ich bin an nichts schuldig!-
Schachbas-Bek (lachelad). Seht nur, wie hiibsch sie
sichrechtferiigt: warum zittersi du denn?
Schachrabanu^Chanum (zu Monsieur Jourdan). Hakim
3ahib! Wirst du auch unseren Schachbas milneiiinen?
Monsieur Jourdan. Was reden Sici Madame! Ich
weife selbst nicht wohin ick gehe : wie soUte ieh jel^t Schach-
bas-Bek mitnehmen woUen? ... Gala m*< Chan -Aga! Selzet
Euch scihneU ui Pferde ^ be^Ieilet mieh: vor Tagesanbruch
muds ich tinfehlbar am Araxes emtreffen.
Gaiam*ChaiirAga. Gehen wir, Schachbas! Was fur
ein Ungliick ist dies!
(Sie gehen beide ab, ihneh nach Monsieur Jourdan;
hierauf springi der Derwiach Mast^Ali^Sebach aus' seinem
Bin tatarisches Lostopiel.
449
Versteck hervor und iauft, ohne auf Jemand Acht zu geben,
davon.)
SchachrabanU'Chanum. Chan-Pan! sahest du» was
sich zugetragen?
Cban-ParL Ich sagte dir ja, dafs nichis aus den Han-
den dieses Derwisch enlschliipfen kann. Ich fiirchie nur,
dafs yon der Erschiitterung des Schlages, welcher Paris iiber
den HaulisB waif,. 0ui^ afi^rei^tUte^ ill' fK^;f«i^f^ wer-
den» wie der Theil des Ararat, der, nach der Erzahlung des
Derwisch, von der Erschutteriing des Schlages einstiirzte,
durch welchen die Besirke Nachilsohewan und Scharur zer-
stori wurden.
Schachrabanu-Chianum. Ja wohll Isi es hiemach
nicht wunderbar, dafs die Manner uns immer wiederholen:
Glaubt nicht an Hexerei und Zauberkunst! Wie isi es denn
mliglich, nichi zu glauben, wenn man. mil eignen Augen sdiche
Dinge sieht?
Chan -Pari. Ei, Chanuni! Wenn die Mfinner Versland
haiteii, wie wurden wir sie auf jeden Schrilt lausendmal bin-
ter's Licht fiihren und thun kSnnen, was uns bdiebt?
(Scharat-^Nitfa*Chanuiii spricht kein Wort, von Purcht und
Schreeken ergriffen.)
Einige Worle fiber den Bnddhismus.
Von
Herrn C. F. Koppen.
(Vergl. in dietem Bande S. 51 and 250»)
liiin grofser Umschwung in den SteaUrerhaltiiissm Indians
isi unmiilelbare Folge von Alexanders Eroberungazuge gewe-
sen, upd diese poliUsohe (Jmgestabung isl nicht ohiie ent-
schiedenen £i«Qu8s nuf die kircblieh - religioseo Zustmde ge-
blieben. Jeoer Umscbwung kniipft sich an den Namcn
Tschandraguptasi den die Griecben gewthnlich San-
drakottus nennen. **) So wenig nun auch die Beriefaie der
letzieren iiber ihn mil den indischen ubereinstimaien, da er
in der Erinnerung seiner Landsleute sum sagenhafien Heros
geworden ist, so laCst sich doch aus beiden der Hauplsache
nach dasselbe entnehmen, da£s er namlich als kiihner Banden-
fiihrer, emporgekommen durch personliche Tiichligkeit, gehal<>
ten und getragen von dem Nationaihafs gegen die fremden
li^roberer, den Macedoniern und ibren Creaturen die Herrschaft
im Penscbab entriss, und von bieraus die Gangeslander sich
tinterwarf, namenllich jenes Reich der Prasier> von welchem
Alexander am Hyphasis gehort haUe. Seine persSnliche Stel-
*) Doch finden sicb aach die dem Sanskritisciien Namen mebr annah-
rendeii Formen 2avSq6xv7nog and XavSqonvtxos, TmPali heifst er,
Diit Wegfall des r, Chandagatto*
Einigt Worte iiber ilen Bo<1dbiMiQS. 451
lung und Wirksamkeil, wie die VerhaUnisse des durdi ihn ge^
grundelen Reichjcs muklen aber den Fortsghrillen des Biidd«'
hismus in hehem Grade giinalig sein. ZuvSrderst war er kein
Kschalrya^ iiberhaupl kein Zweimalgeborener, sondern .wahr«
scheinlich &n Sudra/) seine Herrschaft also, nach Brahioani*
scben Begriffeny nicht bios illegitim, sondern schlechthin gott<«
losy daher er selbsi und die von ihra gegriindele Dynastie
natiirlich darauf hingewiesen, j«ier neuen Lehre Vof schub xu
leisien, die das Kastenwesen verwarf. Sodana dehnte sich
das Reich desselben iiber alle Lander zwischen Windhya und
Himalaya > von Guzerate bis osUich su den Miindungen des
Ganges und Godavery aus, ein Reich von einem Umfange,
wie bisher Indien noch keins gesehen, nach indischen Vorslel-
lungen nnd Herkommen eine Art von Weltreich. Es ging
milhin iiber die Grenzen des Gebietes lunaus, in welchem
ausschlieblich Brabmnniscbes Geselz und Kaslenthum gait
Auch dieser Umstand isi ohne Zweifel dem Wachslhum des
Bttddhismus fdrderlich gewesen; denn in einem Staale, der
bedeuiende nichl Urabmanische Volkerelemenie enthieli, konnie
unmSglich der bios nalionale, alles Fremde verachtende und
verabscheuende Brahmaismus einzige und exelunve religiBse
Grundlagen bleiben. Die Entslehung groGser Rdche schwSchl
ja iiberhaupt und lodtel zuleUl das nur Slamm- und Volks-
ihtimlichey und bricht allgemeineren Besiehungen und Prinei-
pien und Geislesriehlungen die Bahn. Die positive Sale die*
ses Salzes hat sich in Tsohandraguptas Reiche ganfz beson*
ders durch die fortwiihrende Verbindung mil dem Griechenthum
und mil dem Weslen iiberhaupt bewiesen. Nidit limsonst
batten Alexander und Nearchus die Strafsen des VSlkerver-
k^rs erdffnet: Indien trat aus seiner bisberigen Einseitigkeit
und Abgeschlossebeit beraus. Ein lebhafler Handel beganUi
namentlich mit Alexandria: vSlkerrecbtlicbe und freundscbaft<»
*) Homili genere natas heifst er beim Justin XV, 4. In dem inclischen
SehsQtpiele Miidr4-R4xaM wird er geradezn als Sudra bezeichnet
Vergl. Laimen I. c. 11, 196 ff. Benfey ^Indien** OS if.
452 Hittori8di<^Iingiii8tisoli« WiisenseliaDteii.
licjie VerhliUniss^ warden mit den griecbisch-maeedonischen
Dynaiten angekniipft. Die znverlassigsten Naehrichten uber
Tschandraguptas, sein Heer, seine HauptsiadI verdanken wir
bekanntlich dem Megasthene&i Gesandten des Seleukiis Nika*
ter, der l^gere Zeit am Hofe des grofsen Prasierkdniges bu
PaUaliputra verweille; Desgleichen finden wir bei dessen
Nachfolger Botscbafter von Antiochua Soter und Plolemaits
Pbilade^hus, indiscbe Gesandte dagegen in Babylon u.8.w. *)
Diese neubeginneiHle Ricblimg naeh Au&en, nadi dem Wesien
war esy die gemats der Eigenlhumlichkeit und religiSaen. An*
lage des indischen Gdsles in der bald darauf begianoiden
BaddbialisGliett Mission ibren reinsten Ausikuck und ibre voII«
konunenste Befriedigang finden soUie.
Mansiehty dieaufseren, poliliscb-soeialen Bet£ngungen, die
den Sieg des fiuddUsmus herbeifjihren und sidiem konnien,
waren vorhanden; es kam nur darauf an, die Folgerungeo
au^ denselben zu Ziehen.
Dies hat Tscbandragupta'sEnkelDharmashoka gelhan.
Er irat Menllich znm Buddbismus iiber und erhob diesen da*
duceh .zur Hof- und gewissermaaben zur Staalsreligion. Da^
nut beginnt eine andere Periode der Buddhistiseben Kirchen-
geschichte. Das Uebergewicbl der neuen Lehre tiber die
Brahmaniscbe war bierdurch enlscbieden* ein Ueiiergewicbl, das
sie, wenn man auf ibre welUiistoriscbe Wirksamkeil und die
Zahl ibrer Bekenner siehi^ bis auf den beutigen Tag behafup-
tet, Jm Heimathlanda selbsi aber nacb. etwa neunbunderi Jah-
ren verloren hat Die Buddbistiscbe Kircbe, bis dabin kaum
mehr als eine Bulsersekte neben vielen aaderen, wurde nun
zur bevorzugten, zur berrschenden Kirche, veich ausgestaltet
mit irdiscben Giitem und begabt mil politischem Einfids*
Dharmashoka hat daher in der Buddhistiseben . Kirchenge^
schichie genau dieselbe Sleilung^ wekhe Constantin der GvoOse-
in der christlichen einnimml: er ist der erste machlige Schirm-
vogt des »guten Gesetzes"*, oder — um buddbistiscb zu re*
— r
•) Plin. VF, 21,, 3.
Einige Worte iiber den Budilliisinus. 453
den ^ ^der erste „Rad umdrehende'* Grofskdnig gewesen*
Daher. ist er und 2war in noch hoherem Maafse ak sein
christliches Ebenbild, Lieblingsheid der glaubigen Historiker
und Legeiidenschreiber geworden. Sein Name lebt im M unde
aller Yolker) zu denen die Lehre Schakjaoitinis gedrungen
ist, der Singhalesen, Tibelaner, Mongoien, Ghinesen, Japa*
ncr u. s. w. "
In der Thai schekil Ashokas Eifer fiir die neue Religioii
und seine Freigebigkeit gegen die Diener derseiben grenzen*
los. gewesen zu sein. Reiehliche Alinosen wurden den Bet-
telmonchen gespendet — 60000 soil er taglicb gespeist har
ben, — zabllose Kloster und Thurme oder Tempelpyramiden
(Slhupa's) erbaut,'^) ja er soil dreimai sein ganses Land den
Prieslern^ geschenkl und es dmmai fiir alle ^eine SchaUe und
Kieinodien von diesen zuriickgekauft haben. **) Er liefs einen
sein^ Sohne zum Priesler und eine Techier zur Nonne wei^
hen, selzte ~- vvie wir uns ausdrilcken wiirden — ein eige-
nes Minisleriuiii . der Bekehrjuagen ein, und erliels mehrfache
Edikle binsichts der Beobachlung des Geselzes, die gesammell
und in Stein gehauen, in den verschiedenslen Gegenden In*
diens aufgestelU wurden. Diese Inschriflen, von denen- einige
vvieder aufgefunden, entzifferl und gedruckt worden sind, ha-
ben nicht bios ein palaographisches und linguislisches, sondern
ein grofses hislorisches Inleresse. Sie sind die iilleslen, wirk-
lich geschichllichen Urkunden Indiens, die bis jelzt enldecki
worden, und ein wesenlliches Ilulfsmitlel zur Ankniipfung und
Constituirung eini^r indischen Chronologie. Was den Inhalt
derseiben betrifft, so weht in ihnen — ganz anders wie in
den Ediklen Constanlins — noch der alle praclische, mora-
lische, auf da^ Hell der alhmenden Wesen gerichtele Geist
desBuddhismus: nichls von Mythologie und abslruser Dogma-
tik; wenige eiiifache Vorschriften uber den Cullus. Dagegen
*) Vonden letztern 81000, die bekannte Lieblingszalil der Baddbisten.
**) Foe Koae Ki 255. Dieselbe Angabe findet sich nach Klaproth aach
in dem nocli iiicht beraiisgegebenen Hiuan tbsang.
Ermans Ruaa. Archiv. Bd. XI. H. 3. 30
454 Historiicli-lingQUtische Witsenscbaften.
lesen wir, wie Ashoka Heilanstalten fiir Menschen und Thiere
anlegen, Wege bahnen, mil Baum^i bepflanzen, und Karawan-
seraien versehen lafst u. dergl. "J
Kauin halle der Buddhismus ini heiinalfaiiclien Indien
diiese Erfolge errungen, so begannen auch die Missionen. Wir
wissen aus dem Friiheren, dais die dritte allgemeine Synode
unter Dharmashokas Schutz %u Pattaliputra abgehalten wor*
den isl, und auf derselben wurde von den versammellen Va-
lern der Beschluss gefafst, die Lehre des Buddha zu fremden
Vdlkem su verbreiten. Giaubensbolen wurden zu diesem Ende
in alle Nachbarllinder abgeordtfet. Daiuals wurde vor alleoi
Ceylon bekehrl, die altesie Techier der BuddhisUsehen Kirche
und die treusle Bewahrerirr ihrer religidsen Urkunden, wobin
Ashokas Sohn , der zum Sthavira geweihle Mahendra nebst
vier Unterpriestern gesandi wurde. Desgleichen Kasehinir
und Kandahar durch den Sthavira Madhjantika und „yon ^
der Zeit an bia auf den heuligen Tag — heifst es im ^Maha*
vanso' **) — hai das Volk von Kaschmir und Kandahar im
Glauben festgehalten und geglanzi in gelben Kleidem.^' Das-
selbe bezeugt die ,,Chronik von Kaschmir'*, bekaonilich nichi
BuddhisUsehen, sondern Brahmanischen Ursprungs»f) Beide
Punkte sind sehr wichtige Stationen for die femeren Missionen
*) Der Ruhrn^ diese Inschriiten entziffert und gedruckt au Laben, ge-
"bubrt vor Allen J. Prinsej); neben ihm Lassen, Wes^ergaard u. a.
Vergl. Zeitscbrift fur Kunde des Morgenlandes U\, 173 If. und Las-
sen Alterthumskunde 215 ff. Neben den Insohrifton ist die am
wenigaten legendenbafte Quelle fur Asbokas Geschichte der Maba-
vanso c. 6. Eioe Nepaleaiscbe Legende dber ihn und das Bruchatiick
einer zweiten hat Burnouf iibeisetzt Introd. It riiist. du Euddhitme
p. 358ff.
••) c. 12. In der Epitome etc. von Tumour p. 60.
t) RAtdjatarangini , histoire des rois de Kascbinir ed. Troyer t. If, p. 12.
Sie zabit den Ashoka unter den Konigen Kaschmirs auf, woraos man
wobi den Scbluss gezogen , dais dieses Land mit zu dem Reicbe je-
nes Konigs gebort habe^ nnd sagt von ibm, dafs er. die Religion des
Buddha (la religion de Djina) angenonimen.
Einige WoHe uber den BaddhifmDS. 455
geworden, namentlich war Kaschmir die Briicke^ uber vvelcfae
der Buddhismus zu den nordosllichen Vfilkern , nach der ho-
hen Tarlarei und von dorl nach China vordrang. — Ei
wurden ferner von Pattaliputra Missionaire ausgesandt
nach dem Himavat, d. h. nach den Gegenden des Hi«*
malaja, vielleicht nach Nepal oder Butam, aber v(^ohl
noch nichi nach Tibet, denn dafs schon damals die
„ Sonne der Heligion'* uber das Schneeland aufgegangen sei,
davon weifs wenigsteus der Lamaismus selber nichts; ebenso
nach Wan awaso, worunler vermulhlich die bergigen Gegen^
den in der Mitle des Dekhan su verstehen sind, nach Apa-
rantaka, dem wesUichen Grenzlande, zu den Mah ratten
im Siiden, in das Land der Yon a oder Yavana, d. h. der
Griechen, endlich nachSowanabhumi, dem Goldlande, ver-
muthlich ebenfalls im Westen und Mahisamandaia, von
dem sich nicht mil Bestimtntheit nngeben lafst, wo es zu su-
chen ist. *) Alle diese Lander sollen damals den Buddhismus
angenommen habeii, — die Zahl der in jedem einzelnen der*
selben Bekehrten wird auf viele Tausende angegeben, — In*
dessen ob wirklich uberall bei den genannten V5lkern die
neue Heilslehre fesle Wurzein gefafst und wie lange sie sich
dort gehalten, dariiber fehlen uns i^^here zuverlassige Anga-
ben. Nur iiber Ceylon und Kaschmir besitzen wir in dieser
Hinsicht ausflihrliche Naohridhlen. Unler den Yavana*s sind
*) Im MahaTanso c. XII wird die ganze Mission folgendermaafseo za-
sammengefarst: He deputed the thero Majjhantiko to Kasniira and
Gandliara, and the thero Mahadevon to Mahiamandala. He depu-
ted the thero Rakkhito to Wanawasi, and similarly the thero Yona-
Dhammarakkhito (also einen Griechen) to Aparantaka. He de-
puted ]the thero Maha Dhammarakkito to Maharatta; the thero
Maharakkhito to the Yona country. He deputed the thero Maj-
jhimo to the Himawanta country; and to Sowanahhumi the
' two theros Sono and Uttaro. He deputed the (hero Maha-mahindo
(den Sohn Ashokas), together with his disciples, Ittiyo, Uttiyo, Sam-
balo, Bhaddasaloy saying unto these five theros; y^Kstablish ye In the
delightfnl land of Lanka, the delightful religion of the vanquisher.**
30 ♦
^gg Historiscli-lingnistiscke Wissenschaften.
hier wohl nur die Griechen am Paropamisus zu verslehen,
obwohl aus den gleich anzuftihrenden Insdiriflen Ashokas er-
helU, dafs er auch die gleichzeilige griechisch^macedonischen
Dynaslien des Weslen mit seinen Missionen nicht verschont
habe. —
Dies fiihrt uns auf die Besliniiiiung der Zeil, bei der wir
einen Augenblick zu verweilen haben, ehe wir in der Ver-
breilungsgeschichte des Baddhismus fortfahren. Denn Tschan-
draguptas, iiber den sich die indischen und griechischen Be-
lichte kreuzen und Ashoka mit seinen Inschriflen sind, wie
schon friiher bemerkt, die einzigen. Hallpunkte, an die sich
mit einiger Sicherheit der Faden der Buddhislischen Chrono-
logie anknijpfen, und nach welchem sich der Anfang derselben
wenigslens annahernd bestimmen lafst.
Die Singhalesen, deren Zeilrechnung hier alJein in Betracht
kommen kann, setzen Tschandraguptas Thronbesteigung. ge-
vvohnlich in das Jahr 162 nach dem Tode des Buddha (543
vor Chr.), d. h. in das Jahr 381 vor Chr. *) Wenn nun ihr
Tschandraguptas. und der Sandracottus des Megatshenes
wirkUch eine und dieselbe Person ist, so stellt sich hierbei so-
gleich ein handgreiflicher Fehler, ein Fehier vpn mindestens
60 Jahren heraus. Denn erst nach Alexanders Tode isl San-
dracottus emporgekommen^ ja der Anfang seiner wirklichen
Herrschaft, seines Konigthums ist nach der schon oben ange-
fiihrten Stelle kaum iiber die Aera der Seleuciden, die be-
kanntlich mit dem Jahre 312 beginnt, hinaufzuriicken. **)
Also Eins von Beiden: entweder Tschandraguptes ist
nicht identisch mit Sandracottus, oder die Rechnung ist
falsch.
. ♦) Vergl. nnter Andren Tumour I. c. 91 iind 100. In der Attfaakata
findet sich Has Jabr 172.
•*) Sic acqaisito regno Sandracottus ea tempestate, qda Seleacus
fatarae magnitadinis fandanienta jaciebat, beifst es bei Jastin I. c
Die Annahmen iiber das erste Jahr der Regiernng des Sandracottas
schwanken etwa zwisehen 312 ond 317 v. Chr.
VAnige Worte iiber den Baddhismas. 457
Derselbe soil nach ubereinstimmenden Berichten der Brah*
manen und Buddhisten 24 Jahre regiert haben/) sein Sohn
und Nachfolger Bindusara 28, so dafs Dharmashokas Tbron-
besteigung ins Jahr 214 nach dem Nirvana zu verlegen ware.
Dies Resultat ergiebt sich auch, wentl man die Regierungs*
jahre der sammtlichen Konige von Magadha von dem 8. Jahre
Ajatasalru's an , in welchem der Buddha gestorben sein soll^
wie sie in der oft erwahnlen Chr6nik von Ceylon angegeben
werden, bis aiif jenen Ashoka ziisammen zahlt. *'^) Nun heifsl
es zwar eben dort ausdruckiich , der Regierungsantritt des
leUleren sei im Jahre 218 nach Buddha erfolgt, f) indefs
dieser scheinbare Widerspruch hebt sich dadurch, dafs der
„goUergeIieble" Konig sich erst im vierten Jahre seiner Herr-
schaft, nach der Annahme des guten GeseUes, kronen hefs
und auch von da ab seine Thronbesteigung datirte. Dieses
Datum — Ashoka's Kronung 218 n. B. — isl eins der be-
kanntesten und gebrauchlichslen in der Buddhistischen Chro-
nologic und gewissermaafsen als Anfang einer eigenen Aefa
zu belrachten. Das Jahr entsprichl deln 325< vor unserer.
Zeitrechnung, und da er im Ganzen 37 Jahre, also nach sei-
ner feierlichen Kronung noch 33 geherrscht haben soli, so
mtifste er 292 v. Chr. gestorben sein.
Dagegen erhebt sich nun ein sehr wichliges und interes-
santes Zeugniss in zweien der Inschriften jenes Konigs. In
der einen wird ein Bijndniss mit dem Javana-Kdnige Ant-
jiaka und den ihm benachbarten Konigen erwahnt; in
der anderen erfahren wir die- Namen der lelzteren; denn es
*) fn Mabavanso I. c. stelit 34^ doch ist dies nach Lassen If, 62 eine
falsche Leseart.
**) In der Atthakata konimen 224 Jahre heraas.
t) Mahavanso V, p. 21. Be it known, that from the period of the death
of Bnddhjo, and antecedent to his installation, two hundred and eig-
theen years had elapsed. In the fourth year of his accession to his
sole sovereignty, this illustratiousiy endowed ruler caused his own
inauguration to be solemnized in the city of Pataliputto«
458 Hifttorisch-lingaiatische WiiseiuicliAften,
heifst dmin: ^^Der K3nig der Javana und weiter die
durch ihn vier (werdenden) K9nige Turamija, Anli*
gona und Maga befolgen iiberall die Gesetzvor--
schrift des goUergeliebteo KonigSv ") Ueber die Na-
men herrschl kein Zweifel mehr: **) es sind die griechischen
KoDige Anliochusy Ptolemaus, Antigonus-und Magas,
die hier — und zwar amllich — als Zeil- und Bundesgenos-
sen Ashokas aufgefuhri worden. Es fragt sich nur, von wel*
chen Konigen dieses Namens hier die Rede ist. Was zuvor-
derst den erslen unter ihnen betrifft, so kennt die Geschichte
keinen Konig dieses Namens vor Antiochus Soleri der im
Jabre 281 seinem Vater. Seleucus Nicator folgle, mitbin erst
11 Jahre nach dem angeblichen Tode Ashokas zurRegierung
kam, wodurch allein schon die Singhalesische Zeilrechnung
umgestofsen wird. Da sich beide Inschriflen erganzen^ so sind
offenbar diese vierKonige als gieichzeilig vorauszusetzen and
nur ein einzigesroal erscheinen in den griechisch-alexandrini-
schen Reichen vier .Konige, die jene Namen tragen, als Zeit-
genossen, namlich:>
in Syrien: Anliochus I. von 281—262
in Syrien: Antioehus 11. von 262 — 247
in Aegypten: Pioleinaus IL von 284 — 246
in Gyrene: Magas von 308—258
in Macedonien: AntigonuaL von 278 — 277
und zum zweitenmale von 266 — 240.
Der Zeitraum, in welchem das in den Inschriflen erwahnie
Biindnifs geschiossen sein konnle, reducirte sich demnach auf
die Jahre 278 — 274 und 266 — 258, in welchem Magas von
Gyrene starb. Ein anderer Magas, der Sohn dcs Ptolemaus
Euergetes, auf den man wohl den betreffenden Namen in der
zweiten Inschrift hat beziehen wollen, is( niemals Konig ge-
*) Joarnal of the Asiat scl. of Bengalen 1838 p. 156 ff. Lasicn 11,
p. 241.
) Friiber las oian den mittleren Namen im zweiten Edicte anders.
Vergi. Benfey 71.
Kfinige Worte iiber d«ii BoddliuiMt. 459
wesen, and gesetzt, dafs er gemeint sein konnle, so wiirde
jener Vertrag niir noch um einige 30 Jahre spaler zu daliren,
und miikte zwischen 224 und 221 abgeschlo^en sein,') mii-
hinv den Fehler in der Singhaiesischen Zeilrechnung nur ver*
grofsern. Wolile iibrigens jemand dieae leUtere -*• quand
meme — retten, so rnSchte er vielleicht einwenden, dafs ge«
gen den Anschein und gegen unsere Vorausaetzung die bei*>
den genannten Edicte nichls uiit einander gemetn hfiUen, und
dafa unler den im zweiten au^eflihrten Konigen Plolemaus
Lagi, nicht Ptoletnaus Philadelphus , ferner nicht Antigonua
von Gonnoi, sondern jener Anligonus, der bei Ipsus gefal-
len, endlich der schon erwahnle Magas, der 308 Konig von
Cyfene gevvorden, zu verslehen waren, die ja alle drei in der
Periode gelebt, in welche die GeschichCsbiicher von Ceylon
den Ashoka verselzen, und dafs foiglich jenes Abkommen mil
ihnen zwischen 308 bis 301, d. h. bis vor der Schlacht bei
Ipsus getroffen sein nitifste. Aber wo bleiben wir dann mit
dem Antijaka der ersteren Inschrift? Setzt er allein der
herkSmmiichen Chronologie nicht dieselben Schwi^rigkeilen
entgegen, wie in Verbindung mil seinen drei CoUegen? Und
miissen wir nicht schon seinetwegen ein Stiick aus derselben
herausschn eid en ?
Es giebt kein anderes Mitlel, und Ashoka kann eben so
wenig zum Zeitgenossen irgend eines Antiochus werden, seis
des I. oder 11. oder III., wie Tschandraguplas zum Zeitgenos-
sen des Seleucus Nikator, ohne dafs den Singhalesen etwas
in ihrer Rechnung geslrichen werde. Mit anderen Worten:
wir stofsen hier wiederum auf denseiben Fehler in derselben,
den wir schon bei der Festslellung von Tschandraguptas' Re-
*) Die Ja^ana-Konige, mit welchen er abgesclitossen, waren dann nam-
lich :
Ptolematis III. von 240—221
und desseR Sohn Magas,
Antigonog II. von 233*- 221 and
Antiochns der Grofse von 224— 176.
460 Hittorisch-lingnistische WiBsensebaften.
gierungsseil hervorgehoben haben. Denn damil mcfal bios
Ashoka mii einem Antiochus, sondern beide zugleich mil den
anderen drei Javana-Konigen zusammengebracht werden kon-
nen, miissen wiederutn einige sechzigJahre wegfallen, diesei-
ben s^chzig Jahre, welche nach der BuddhisUschen Zeitrech-
nung den indischen Tschandraguplas von dem griechischen
Sandracottus trennen. Die Summe derseiben ganz genau bis
auf ein oder mehrere Jahre bestimmen zu wollen, ist aller-
dings mifslich, doch der ganze Kaiserschnitt, ais solcher, durch-
aus nolhwendig und gerechlferttgt. *)
Der einzige Einwand, den man dagegen macben konnle —
und man hat ihn gemacht **) — ware folgender: ,>Der my-
thische Tschahdragoptas der Inder und der bislorische San-
dracottus derGriechen sind zwei ganz v^rschiedei^e Personen,
und der blofse Anklang der Namen, wie einige hochst ober-
flachliche und allgemeine Uebereinstimmungen in den beider-'
seitigen Berichten iiber sie, bcrechligen uns nicht, sie als iden-
tisch zu selzen und auf so ioosem Grunde chronologische
Gebiiude ^aufzufuhren. — Gewiss nicht^ obgleich die blofse
Aehnlichkeit jener Namen, an sich werthlos, immer noch eben
so viel werth ist, als die meislen indischen Chronologieen
mit ihren priesterlich-vvillkurlichen Einschaltungen, und Aus-
lassungen, ihren syslematischen, nach der Schablone, oft nach
*) Tumour undBqnfey Imben zuerst, so viel icli weifs, unabhangig von
einander nachgewiesen , dafs in der Aera von Ceylon ein ganz ent-
scbiedener Fehler von 60 — 70 Jahre steckt. Lassen niinmt 66 Jahr
an, indem er die Thronbesteigung Tscbandraguptas 315 vor Cbr.
setzt. Danacb stellten sfch folgende Zablenverbaltnisse heraus:
Tsdiandragnptas (247) von 315—291 ▼. Cbr.
Bindusara (287) von 291—263 v. Cbr.
Dbarmasboka (377) von 263 — 226 v. Cbr.
*) z. B. Troyer in seinem Comnientar znr Cbronik von Kascbmir (. 11^
der in nnerscbiitterlicbem Glauben an die Konigsverzeichnisse dieser,
seiner Cbronik, wclcbe ja nur bis 2448 v. Cbr. binaufgei^en , den
Buddba 1546 v. Cbr. stcrben und Asboka 1436 zur Rt^gierung gelan-
gen lafst. p. 399 -457.
Einige WorCe iiber den Boddhismns. 461
dem Decimalsysteme entworfenen Zeitbeslimmungen u. s. w.
Aber was hiUt es, den Tschandraguplas wegzuschaffen und
sein Verhaltnifs zu Seleucus aufzuheben, so lange nichl des-
sen Enkel Ashoka mit seinen Inschriflen uud seiner Verbin-
dang mil Antiochus und <3onsoi'ten beseitigt ist? Beide ste^
hen und fallen naliirlich mit einander. — Auch dazu findet
sich Rath. ,,Jene Inschriflen^' — so argumenlirt man weiler —
,,ruhren gar nicht von dem vielgepriesenen Ashoka^ iiberhaupl
von keinem Ashoka her. In keiner einzigen erscheint dessen
Name, sondern der Konig, von dem so viele Edikte, in den
verschiedenslen Gegenden Indiens auf Saulen und Felsen ge-
graben aufgefunden worden sind, nennl sich in seinen Inschrif*
ten selbslPijndasi „der Li ebe voile.'' Indeis abgesehn da-
von, dafs der Inhall jener Edicle nicht bios im Allgemeinen,
sondern in gant speciellen, einzelnen Beziehungen und That*
sachen mil dem iibereinstimml, was wir in den Legenden und
Geschichten von Ashokas Wirken und Thun lesen, abgesehen
davon, dafs in den Inschriflen selbst die Thronbesteig^ung Ko-
nig Pijadasi'S in das beriihmte Jahr von Ashokas Kronung
(218 n. Buddha) verlegt wird, *) isl die idenlital beider durch
eine Steile aus dem altesten Geschichtsbuche Indiens, dem
Dipavanso unwiderleglich nachgewiesen. '^*)
Wenn nun aber Pijadasi nar ein B«iname Ashcka's ist,
wenn mithin der „Hebevolle'' Konig, der drillen Generation
nach Alexander dem Grofsen vindicirt werden mufs; so ist da-
mit nicht bios die Falschheit der Singhalesischen Aera, die
sich unler alien der Wahrheit am meisten naherl,*dargelhan,
sondern ein posiliver, hislorischer Grund und Boden fur die
wirkliche, nicht mylhische, priesterlich-gemachte Feststellung
vom Zeilalter des Buddha. Denn wenn irgend eine Zahl in
der alteren einheimischen Geschichte der Inder feslsteht, so
ist es die, dafs Dharmashokn, in runder Summe, zwei Jahr-
*) z. B. in der insclirift von Girnar.
**) Von Turnour im VII. Bande des Jonrnal of tlie As. s. of Bengalen.
VU, 790.
462 HUtoritch-lingaistitche Wissenscbaften.
hunderte nach diesem Zeitalter gelebt hat. *) Um kurs su
sein — er selbst hat in seinen Regierungsacien — seine Kro*
nuDg 218 nach Buddha datirt; er konnte sich dabei vielleicfii
um ein oder mehrere Jabre, aber bei der verhiillnirsniarsigeii
KiirEe des Zeitraumes unmoglich um ein oder gar um z^vei
Menschenalter irren. Demnach ist das Nirvana jedenfalis in
das letste Drittel des 5. Jahrhunderls v. Chr. lu verlegen,
d h. in das Zeitalter der Perserkriege.
So weit von der Chronologie.
Mit dem Concile von Pattaliputra und der grofsen Mis-
sion ^etwa zwischen 250 und 240) beginnt die Trennung der
nordiichen und siidlichen Buddhisten. Indem wir dieAusbrei-
tung der Lehre nach Nordwest hin verfolgen, k5nnen wir
nicht ferner aus den Jahrbuchern von Ceylon schdpfen, die
sich seit jener Epoche ledigKch auf die Geschichte ihrer Insel
beschranken* Die Griechen aber sind, trotz des lebhaften
Handelsverkehres y seit Alexanders und Megasthenes Tagen
in der Kenntnifs Indiens wenig oder gar nicht vorgeschrit-
ten. **) Vergebens wiirden wir bei ihnen in den Jahrhunder-
ten> die um Christi Geburt herumliegen, Nachricbten liber
die religiosen Zustande der Ostbarbaren suchen. Daher sind
es — aufser einigen Angaben, die aus der Ghronik von Kasch-
mir oder aus Werken von Nepal und Tibet zu entnehmen
*) Die Legende too Nepal bef Barnouf setzt ibn 200 Jahre nach dem^
Ninr&na p. 4S2 ; in der vorhergehenden ist er offenbar mit Kalaahoka
Terwecbaelt. Die Singbalesiscben Angaben iiber, seine Thronbestei-
gung schwanken, me gesagt, zwiscben 224, 218 and 214 n. Baddha.
Dafs aber Ashoka imJ. 218 n.B. geboren sei, wie man bei Upbam
(The Sacred and Historical Books of Ceylon t. I, p. 53) lesen kann,
dieses angebliche Datum lindet sich nirgend, als nnr in der Upbam-
scben ^Uebersetzang" des Mahavanso, and ist ein Beweis (unter
handerten), mit welcher bodenlosen Liiderlicbkeit Upham aiid seine
Gehalfen die heiligen nnd historischen Biicher Ceylons — wie sie es
nennen '— iibersetzt haben.
**) Daraber klagt bekanntlich schon Strabo im Anfange des 15. Bucbi.
Er sagt, die Kaafleute, welchd zo seiner Zeit iiber Aegypten and
den Arabischen Meerbusen gingen, seien iinwissende Leute.
Binige Worte ober den BudiUiisiiiot. 463
sein mochten — die Chinesen die Einzigen^ welche una
Kunde geben von der ersten weitere Verbreiiung desBudd*
hismus in nordwesUicher Richtung, und diese ers.ie Periode
der Ausbreitung erstreckl sich bis zu dem Momente, in wel*
chem derselbe von Islam nach Oslen bin zuruckgeworfen oder
ausgeroUel wird. Sie geben uns zwar meislens nur diirre geo«
graphische und chronikalische Noiizen, aber diese Noiizen haben
den unschalzbaren Vorzug, dafs sie ihalsachlich, meisl sogar
amilich und andrerseiU genau chronologisch festgestellt sind.
Neben ihnen kommen die Buddhistischen Bauwerke in Be*
tracht, die in Landern, welche seil einem Jahrtausend unun-
terbrochen die Herrschaft des Muhammedanismus unterworfen
sind, handgreifiiches Zeugnifs ablegen fiir das fruhere Vorhan-
densein des Buddhiskiscben Cultus.
Die femere Mission scheint sich gieich anfangs mil
iiberraschender Schnelligkeit und Consequenz entwickelt
zu haben. Denn scfaon im Jahr 217 vor Christi, also kaum
dreibig Jahre nach dem Concile von Pattalipulra, erschien
der Sanianaer Sche H fang mil achlzehn anderen Glau-
bensboten bei dem beriihmten Kaiser Schi hoang ti| der die-
selben einsperren, indefs durch ein angebliches Wamder er-
schreckt^ wieder in Freiheit setzen liefs, — eine Angabe^ die
nichi wohl bezweifell werden kann, da sie ein von den Chi-
nesen seibsi erlebles Factum betriffl. *) Jene Priester kamen
aus den westlichen Gegenden, d. h. aus der hohen Tartarei
und Koko Noor,'^*) woraus folgt, dafs diese Lander schon
einige Zeit von den Missionen heimgesucht waren, ehe die
lelztern es wagen konnten^ den langen und gefahrvollen Weg
*) Foe Kooe Ki p. 41.
**) Dies wird aosdrncklich bericlitet; auch gab es keinen anderen Weg
zwiscbeo Indien and Schen si im nordiichen China, in welcber Pro^
vinz eben jene Glaabensboten anftraten. Indien war den Cbinesen
bis dabin voUig nnbekannt. Erst bandert Jahr spater wurde eine
Gesandtsohaft i||>gescbiokt^ um dasselbe anf dem Siidwege zu errei-
cben, maiste aber wegen aniiberwindlicher Schwierigkeiten wieder
nmkehren. Pauthier im Joiirn. As* IH. s^rie tVIlI, p. 261.
r
464 Ilistoriflch^iinguistische Wiasefiscbaften.
nach dem fernen Ostreiche einzuschlagen. Wir wissen frei-
lich nicht, ob und wie weit schon damais der neue Giaube
bei den Tartarenvdlkern feste Wurzeln gescMageti hat, und
ob die Juetschi, die spater als eifrige Anhanger desselben er-
scheinen^ sich schon zu demselben bekannt haben, ehe sie
ihre Wandrinig nach dem Westen begannen; doch unwahr-'
scheinlich isi dies durchaus nichl. So viel steht fest, dafs ein
Jahrhundert spater, als unler dem Kaiser Wu ti der Vertil-
gungskrieg gegen die Hiiingnu und damit zugleich die gros-
sen Eroberungs- und Entdeckungszuge gegen den Westen
begannen, die sich zulekzt bjs zum Caspischen Meere aasdehn-
ten, Buddhistischer Cultus in den Westlandern , selbst schon
am Oxus vorgefunden wurde. Damais (126 — 122 vor Chr.)
erfolgte von Seiten des Kaisers die benihrnte • Sendung des
Generals Tchangkhian zu den Juetschi, die von den Hiu-
ngnu gedrangt, nicht lange zuvor ihre Wohnsilze am oberen
Hoango aufgegeben und sich 4)ach Vertreibung der Ta hia
(der Dahae der Griechen und Romer) Transoxaniens bemach*
tigt batten. *) In seinem Berichte erwahnte dieser des Buddha
und Indiens^ als von woher die Ta hia mil Seidenstoffen ver-
sorgt wurden. **) Im folgenden Jahre (121 v. Chr.) brachle
der General Hou khiu ping von seinem Zuge gegen die
*) Klaproth Tableaux historiqaoB de TAsie p. 57ff. A. Remasat N.
Mclang. As. T, 221.
**) Foe Kone Ki I. c. Neumann in der Zeitsclir. f. K. d. Morg. Ul, 124.
Panthier 1. c. 260: Oa fait observer que, selon la relation de bar-
bares du snd-ouest, la premiere des annees Youan cheou (122 v.
C), le lieutenant general Tscliangkian dit, que lorsqu*!! fut envoye
chez les Ta-hia, il y vit des dtoffes de coton de Cliou (Ste tcbuan).
II demanda, d'on parvenaient ces objets. On lui r^pondit que c'etait
des royaumes du Chin-tou (Indien), sud-est, d*ou, en fatsant quel-
ques miiliers de 11, on pouvant atteindre le pays de Cliou. Hiernacli
ware es niclit die Expedition des Tchangkfiian , wie Rlaprotfa I. c.
, bebauptet, sondern wahrscbeinlich die Buddhistigijche Mission, w«lcbe
dem Seidenhandel zuerst den Weg nacb dem Westen gebabnt Jiat.
Vergl. A. Rennisat bistoire de la ville de KJiotan p. 53>.
Kinige Worte iiber den Buddhiflmus. 465
Hiongnu aus einein Lande wesUich vom Beluriag eine goldne
Slalue mit, vor welcher der KQoig jenes Landes Weihrauch
anBus&iinden pflegte. Uiese Biidsiiule wird von den chinesi-
schen Geschichtschreibern. fiir ein Bild d«s Buddha gehalten.
Zwei Jahr vor^ Chrisli Geburt schickten die Juetschi Budd-
hislische Schriften nach China; „dorl war damals — wie es
in den Annaien heifsl — die Lebre des Fo wohi bekannt,
aber man glauble nicht an sie." *) Ihre offlcielle Einfiihrung
auf Befehl des Kaisers Mingti erfolgte erst 65 Jahre nach
Chrisli.
Unlerdess batten die Jueischi, oder — wie sie von den
Griechen genannt werden — Indoscythen in dem letzten Jahrh.
vor Chris4i Kabul, Kophen, Kandahar und Kaschinir erobert,
also jene Gegenden^ aus denen, wie es scheint, schon vor
inehreren Generationen die ersle Kunde des Buddhisnius 2u
ihnen gedrungen war.
in Kaschmir selbst halte die neueingefiibrte Lehre — wenn
wir der oben erwabnten Chronik dieses Landes Irauen diir^-
fen — gleich unter Ashokas unmittelbaren Nachfolger eine
Niederlage eriebt, durcb die eben vielieicht die Priester der-
selben zahlreich zu den nord-westhchen Volkern getrieben
wurden, von welcher sie sich indefs schon unter deniselben
Konige wieder erholten. '*)
Von nun^ an nicht mehr angefochten gelangte sie bald zu
aufserordentlicher, wenn auch nur kurzer Bliilhe unter den
so genannten Turuschakonigen , d. h. unter den Konigen der
Jurtschi, namentlich jenem vielgenannten Kanischka, in
dessen Regierungszeit das vierle Concil fallt, das die siidli-
chen Buddhisten nicht erwahnen, und auf welchen eine neue
Redaction der heiligen Schriften veranslaltet sein soil, %400
Jahre nach dem Tode des Buddha, f ) Aus den vielen in den
Sthupas gefundenen Miinzen dieses Konigs hat man schliefsen
*) Foe Koue Ki Introd. XXXVIII.
*•) Histoire des rois de Kachmir p. 13, 17.
t) Nor die Mongolen setzen es 300 J. nach dem Nirvana. Vergl. oben,
466 Hittoriioh-lingmstische Wiflsensdiaften.
zu diirfen geglaubt, dafs er nicht ganz ein Menschenaller vor
Chrisli Geburt den Thron bestiegen, was mil der obigen all-
gemein gehaitonen Zeitberechnung der Chinesen und Tibeta-
ner und der von uns aufgestelllen Chronologie inn Ganzen
stimmen wiirde. ")
Unter diesem Kdnige soli aufser dem Vasumi tra, Voh-
sitzenden jenes Concils, auch der beruhmte Kirchenvater und
Heiiige Nagardschuna gelebt haben, der auf die Ge-
slaltung des ndrdlichen Buddhismus sowohl . hinsichts der
Doclrin, als der Hierarchie den entschiedensten Einfluss ge-
iibt zu haben scheint, und den wir bereits als Begrunder der
abslraclesten Phiiosophenschule kennen gelerat haben. Die
Tibelaner, Nepalesen und Chinesen setzen ihn 400, die sud^
lichen Buddhisten, welche ihn ebenfalls kennen, 500 Jahre
nach dem Nirvana, welche Angaben sich allenfalls vereinigen
lassen, wenn wir von der jetzteren die 60 — 70 Jahre abiie-
hen , welche die Aera von Ceylon iiberhaupt zu viel hat **)
Was fur VerMnderungen des Dogma's, der Diseiplin, desCul-
tus u. 8« w. damals im Einzelnen durdi ihn und durch das
das Concrl vorgenoinmen, dariiber fehlen uns freiiich .positive
*) Lassen I. c. 411 ff. In der Cbronik yon Kascbmir II, 19 beilst es:
Alors cent cinquante ans s*toient ^cortes depuis remancipation
da bienbearenx ^^^i^sinba etc. Ancb dies wiirde noch so ziemlicb
stimmen, wenn man voraussetzen diirfte, der Cbronikscbreiber babe
angenommen, da£B die Rinlabrung des Bnddhismns in Kasclimir and
das Nirvana der Zeit nacb zusammenfallen. Rine abniiche Sage
konimt ja nocb bei Hioan Tbsang vor, nach welcbem der oben er-
wabnte Apostel Kascbmirs Madbjantika (bei den Chinesen Mo tian ti
kia) za einem Sobuler Anandas gemacbt wird. Foe Koae Ki p. 381.
Es waren aisdann za jenen 150Jabren noch die 235 binzozoreolinen,
die nach der Aera Asbokas seit dem Nirv4na bis zur Mission yer*
ffossen sind, woraos sich ebenfalls beinabe 400 Jahre ergeben
warden.
**) Barnonf 447, 559, 571 a. a. Lassen I. c. and 57. Br beiat aocb
Nagasena. Die Chinesen nennen ibnNiga kotbona oderLoan^. Foe
Koae Ki 159 a. 162.
Kinige Worte uber den Bttddbiimut. 467
Nachrichlen, doch so viel scheint im Aiigemeinen schon jetst
behaupUt werden zu konnen, dafs eben in jener Epoche der
Dordliche Buddhismus seine spezifische, vom siidlichen unter-
schiedene Geslalt und Farbung erhailen babe, die sich spater
in Tibet zuin Lamaismus entwiekelte. Dies durfte sich auf
folgende drei Hauptpunkie reduciren lassen: 1) das System
der „grofsen Ueberfahrt^', als dessen Urheber eben Nagarad-
schura bezeichnet wird, und das jedenfalls in der eigentlichen
Heimath der Lehre zu Ashokas Zeit — wenn es iiberhaupt
schon existirle — noch wenig hervortrat, ward damals zur
bevorzuglen, zur herrschenden Schule. 2) Schivaistische Vor-
stellungen^ Gebraucbe und Ceretnonien fingen an in denBudd*
hisiBUS iiberzugeheny und sind mil den altesten Tanlras viel-
leicht schon ausdriickich von jeneniConcil adoplirt worden/)
3) Zum erslen Male scheini in dem gedachten Zeitpunkte die
Idee eines Palriarchenihums aufgetaucht zu sein. Bis dahin
halle in der Buddhislischen Kirche eine Art von Fresbyle-
rial* oder^ wenn man lieber will, Episcopal -Verfassung ge*
herrschty — das stellt sich in der Geschichte der drei allge^
meinai Concile unzweifelhafl heraus, — und es brauchi Uer
nicht wiederholt zu werden, dafs die Verzeichnisse der an*
geblichen Buddhislischen Patriarchen, sowohi das Chinesisch-
Japanische wie das Singhalesische, die iibrigens auch nicht
einmal mit einander libereinstimmea, in einer spateren Zeit
gemacht worden sind, gemacht, um den ununterbrochenen
*) Dariiber dafs die Vereinigung Ton SohiTa'ismas ond Buddhismas in
Kaschinir, wie im nordwestlieken Indien oberhaopt, Tor sich gegan-
gen, Burnoof 647 ff. In der „CbroBik von Kaachmir"" wird mehrmabi
erwfihnt, wie Buddbisticcbe Konige zagleich dem Scbivas Tern pel
und Bilder errichten. DaOi iibrigens in demselben Mumente dieHerr-
schaft der speculativen Scbnle und des Sbivautischen Gotzendienstes
beginnt, darin liegt, wie die Erfabrang oftniato gezeigt bat, keinet-
weges ein WiderapracJu Im Mittelaiter z. B. entwickeln sicb die ab-
atra^oate und abatroMtte Scbolaatik nnd der roheste Abei^laabe and
Ceremoniendielist in der katboUachen Kircbe gleiehzeitig Md gleich-
mafsig.
468 Historiscli^linguistische Wiisenschaften.
Fortgang der Inspirdtion in einer stiiUgen Reihe von Nachfoi-
gem des Buddha darzuslellen. Von einem allgemeinenOber-
hauptey von einer monarchisehen Spkze der Hierarchic ist
daher wahrend der ersten Jtkhffaunderte in der Buddhbtischen
Kirche so wenig die Rede, wie in der christlichen , sondern
die Synoden^ und auf ihnen die hohere Geistlichkeil, die Stha-^
viras und Archats iibten die lelzte EnUcheidung. Sehr na*
liirlich mag sicfa nun aber durch die Ausbreilung der Missio-
nen das Bediirfniss nach grofserer Einheit und Concentration
in der Leitung der kirchlichen Angelegenheilen gezeigt, ande-
rerseits die Konige der Juetschi^ deren Maoht sich bald itber
dasganze westlicheHindostan ausdehnle^ dieselbe aus politischen
Griinden begiinstigthaben; genug, Nagardschuna, der ja auch
in jenen Verzeichnissen der angeblichen Uberhaupter der
Buddhislischen Kirche seine Slelle gefunden hat, scheint in
Wirkiichkeit der Erste zu sein, den man mit einigem Rechte
den Namen eines Buddhistischen Palriarchen boilegen k&nnte/)
Ob und in wie weit seine sogenanntcn Nachfolger bis auf je*
nen Bodhidharma, der zu Ende des 5. Jahrhunderts n. Chr.
seinen Sitz von Indien nach China verlegt haben soil, histo-
rische Personlichkeilen sind, hat die Porschung erst noch zu
ermilteln.
Schon unter dem Konige, der nach Kanischka als Na-
gardschuna^s Zeilgenosse aufgefuhrt wird, scheint eine heftige
Reaction des Brahinanenthums gegen den BuddhisuHis einge-
treten zu sein, die mit vdHiger Verlreibung der ^^Betller" ge-
*) In der Chronik von Kavclimir lieifst es von ihui S. 173: Ensuite
(150 Jabr nach Buddha) Phenreux N4g4rdjuRa fut souverain de ce
pays etc. S. 177: Dans ce temps les Booddhas obtinrent Tasoendaflt
dans les pays, proteges par le sage Ndgdrdjona qui etait on Bodbi-
sattwa. Troyer zahlt ihn desbalb zu den Konigen Kaschmirs, doch
dagegen streitet scbon der Zusamincnbang jener Stellen* Jedenfalls
erscbeint Abbimanyu in der zweiteir als der Konig, unter welchem
Nagardschnna Beschotzer der Bauddbas gewesen. „ Souverain" ist
bier die UeberseUung fur fibamiswara, Herrn der Krde (pbntifex
maxim us). Vergl. Zeitscbr. fiir K. des Morgenl. Ill, 122.
Binige WorCe iiber den Biiddliittnds. ' 469
endigt So wenigstens berichiet die erwahnte Chronik. *) Ob
diese Vertreibung wirklich so schnell vof sich gegangen, ob
tlie Aus(4lgung der Kelzerei wirklich so radical gewesen^ wie
der rechtglSobige Verfasser derselben es darstelit, iSfsl sich
indess b«zweifeln ; *'*) wenn man auch zirgestehen muss, dafs
die Blothezeil des Buddhistischen Cultus in Kaschmir friiher
aafgehort habe, als in den Nachbarlandern.
Denn in Penschab und zwar in detijenigen Gegenden,
welche onmittelbar jenes Alpenthal begrenzen, mufs derselbe
wenigstens noch bis in das 4. - JahHiandert foHgedauert ha-
ben; das ist aus den Monzen, welche in den Sthupas zwi-
schen Indus und Hydaspes gefunden worden sind, bis zur
Evidenz erwiesen. f ) Noch ianger erhielt er sich in den Nat^h*
♦)S. 179— 186.
**) Vergl. S. 199 u. 120, wo es erzalilt wird, wie nach 140 Jahren nach
der Torgeblicfaen gShzltdien Ansrottong noch 1000 Buddhistuche
Kioater rerbratint worden. MahaTanso c. 12'lafat die Kaschmirer bis
aufaeine Z^it (qdi 600 n. CJir.) in „gelben Kleidern prangei|**>
und ein Chinese, der den Dschinggiscbaniden Hulagu anf seinenFeld-
. z'dgen begleitete,. nennt noch ini 13. Jahrhanderte Kaschinir „Ie
royaume de Fo** and fiigt binzn: „C*est Ik qu'^on voit des bommea
qui passent pour les successenrs de Chakia; lenr air antique et t^-
B^rable les fait ressembler h ces figures de Tha-^ma (Bodhidharma,
dea letzlen angeblichenPatnarcben) qu*oft yeit pieintet en diff^rents
, Ueax.** A. Remnsat N. M^ang. As. I, 170* Jener Chineae sprinht
allerdings nicbt als Augenzeoge. MogUch, dais in spateren Jabrbon^
derten der Buddbisnins zuni zweitenmale in Kaschmir eingedran|;en
' ist. Diese Fragen werden sich erst beantworten lassen', wenn der
' langersebnte Reisebericht desHiuan thsang erschienen sein wird, der
Kasebmir (im 7. Jahrhanderte) besuchte, and so vie! wir jetzt schon
wiisen , dbrt • noch vier von Asboka gebante Sthupas toriand. Foe
KooeKip.361.
t) Die romischen Miinzen, welche in den beiden sogenannten Manikyala
Topea ansgegraben worden, aind freilicb der Zett napb alio aus dem
Bnde der Repoblik, keine apat^ als aus Augustus Zeitaller. Die an-
deren sind griechisch-baktrische, indo-scytbische und Sassani-
diache, bei welchen letzteren die firklamng zwiscben Sapor If.
Ermans Russ. Archly. Bd. XI. H. 3. 31
^70 Hisioriscb-lingobtiscbe WissAnsdiaftfii.
barlandern westUch vom Indus, die densdben zugleidi mil
Kaschmir oder von doriher erhallen hait^n, in Kandahar,
Udyana, Kophene, Kabul, kurz iin gancen heutigen Afgha-
nis&aot wie im osUichen Beludachistan. Den SasaamdeOi wdche
im 3. Jahrhunderi n. Cbn diese Lander den Juelscbi entris*
sea, scheinl es qie gdungen tu sein, ihren Feuerdienst hier
zur Volksreiigion %u machen, obwohl der Verfall des Budd-
hismus, den wir tiberall tu Anfang des 7. JabrhunderU wahr-
nfhmen, diei^seiU des Indus woht hauplsachlich dem Bekeh-
rungseifer jener Konige und nicht> wie im eigenllichen Indien,
d^m Fanatismua der Brahmanen aiisuschreiben isi. Erst den
lidLenqerii des Islam sind die Jonger Shakyas hier yettig
wUrfegen.
Kandahar (Chinesisch Kian tho we'i oder Kian tho io)
war einer der besuchtesten und gefeiertsten Wallfabrsorte aus-
serhalb Magadhas. Hier und in seiner Umgebung zeigte man
viele heilige Slallenn welche der Fufs des Buddba belreien,
wo er naeh der Legendeeine Taube in Freiheit seUte, wo
er als Bodhisatwa sich aufgeopfert, um das Leben einer haib
verhungerten Tigerinn und ihrer Jungen su fristen, wo er
sich ein Auge ausriss, um es einem Blinden zu geben; hier
zeigte man ferncr Fufstapfen desselben, ein Stiick von seiner
Hirnschaale, einen Fetzen seines Gewandes, einen seiner
Zabne, Haare u. s. w., seinen Schatten in einer Groite, den
man nur aus dfr Fefne sehen konnte and der versehwand,
sdbald man sich naherle,. endlieh sein Almosengefafs, bis die-
ses von dem letztcn indischen Patriarchen nach China mit-
genommen, laut einer anderen Version (vielleicht von den
Sassanidischen Eroberern) nach Persien entfiibrt wurde. *)
Aber schon im Anfange des 6, Jahrhunder Is , als es von den
Chinesiachen Beisenden Sung yun tse nndHeek* seng besucht
(31O--380) tind Chotra Parviz (589) Mtiwankt. Vergl. Ritter in den
MonatsberiuhCen der Beiiiiier AlUidemie der Wisw^niehaften Ton 1837
p. 15.
♦) Foe Koae Ki p. 63, 83, 351, 353 e«c.
Rinigfe Worte iiber den Baddhitimi8. 47 1
wurde, zeigie sich 4iese Glorie im EriSschen; denn damala
herrschte dort ein K5nig, der selbsigereeht nor seinem McilhD
und seiner Nacht vertraute, das Geseiz des ¥o und die
Priester verachtete* Neben Kandahar gllmzte die Stadt und
das Kdnigreich Udyana (Chinesisch U Uahang*), das heu-
lige Piscfaawer und Kafristan, durch Buddhistische Herritehkeit
und U^figkeit. In den Tagen seiner Bliithe soil es 1400
Kldster und 18000 Geislljch« gezahit haben, deren Menge
sich jedoch zur Zeil der Tsang (seil 618 naeh Chr.) bereits
sehr vemrindert hatte. Ueber Kai>ul endiich legen bis auf
den heuligen Tag die vielen Sthnpas Zeugniss ab, weiehe in
sieiner Umgebung auf beiden Seiten des Stromas bis su den
Passeingangen des Hindu-Kuh entdeckt worden sindh
Von Kaschnyr aus ist die hohe Tarlarei bekehrt worden,
folglith nicht spater als in den ersten chrisUichen Jahrhnnderten^
wahrscheinlieh aber s<;hon langst vor Christi Geburi^ niimli^
bald nach dem Beginnen der Mission. Hier wurde Khotan
(ChinesisGh Yu thiao oder Ku sta na) zur Metropole der Re^
ligion. Wir besiUen ober cBeselbe ziemKth umstSndliobe chi*
nesisehe Relaironen, ") unler ihnen Legenden, in^weicben die
Erinnerung anfbewahrt wurde ^ wie der Dienst des Buddiia
von Kaschmir nach Khotan gebrachl^ worsen sei. '"^) Die Be-*
richterslatter werden nicht aiiide, von der Menge und Grofse
der KiSster, der Pracht des Cultus, dem Glanze der Tempel,
von Festen, Proeessionen, Weihungen, Heiligenbildern, Wun*
dem, Reliquien u. dergl. zu erzaUen, Fa hian^ der urns Jahr
4U0 die Stadt besucfate, schatzt die damalige Zahl der Priester
im Koni^eiche Yu thian auf mehrere 10000, f) von denen
viele der ,|grofsen Ueberfahrf' sich befleifsigten. Die Menge
der Kloster) sei nicht zif zablen'/der grfiiseren gebe es vi^
zehn, eins voA diesen beherberge 9000 M4tnche. An einem
*) Gesammelt tor A. R^musat in der sefaon erwaknten Hi6t(^re de la
ville de Khotan, lir^ des anmiles de la Chine. Paris 1820.
•♦) Ibid. p. 23, 40, 45.
f) „P!a8iears foix dix mille religieux.*' Foe Koae Ki p. 10;
31*
472 HiatorUch-iingui&tische Wisaenichaften.
ahdreli sei von drei Konigen 80 Jahre king gehaui wotdeii:
man sehe dorl die prachligslen Bildwerke und Venierongen
in Gold und Silber etc. In einem spiileren Berichte (v. 541),
isl nur noch von 100 Kloalern und mehr als 5000 Monchen
die Red^; aus einem andren, der erst im Jahre 938 abgefaCst
worden, er^ehen wir, dafs iioch zu dieser Zeit Budjdhiatisoher
Culius in. Khotan bestand^^) Wirklich i$l dort und in ^en
benaehbarlen Gegenden der Islaoi noch jeUt ^mit starken Budd-
histischen Elementen varselzt. **)
Aus denselben Betichten. erheilt, dafs dier Bmddhismus
einst iiber die ganze kleine fiuebarei oder sogenannte Tarla-*
rei' auagebreitel war, wesllieh bin bis Kascbgar und Yarkand,
ostlich iiber den Lopsee nach Turliaa und bis Hami; mit ihm
indiscbe Scfarift und CuUur. Auf diesem Y^ege ist er, wie
g^agl, naeh Cbina, andererseils iiber den Thianseban sum Hi
yorgedrungen. Iiii 4 Jahrhunderte — heifsl es *- sei ein Ko"
Qjg von Kouei*lseu, das man wohl fiir das heutige Biscbbalik
halt^ auf einem Kriegszuge bis nacfa Yarkand gekommen, habe
dort die Religion des Fo kennen gelerniund angenommen.
W^Y, in der ^Dsungarei ist dieselbe wohl nie roUig unlerge-
g^geni denn* noch in der Mille des 13. Jahrhunderte fand
Hulagu^ als er von Karakorum aus gegen den Oxus und von
da nach Chorosan und endlich nach Bagdad zog, bei den
Hoei-he oder Uiguren am Ili viele Buddhistische Tempel;f)
bald nachh^ aber begann ja nach Chubilais Bekehrung die
weite Verbreitung des Lamaismus.
Auf der andern Seile halte der Buddhismus bereiis vor
dem Anfange unserer Zeitrechnung denHindu*Kuh uberschrit-
ien und sich am Oxus und Jaxartes eiabilirt. Schon dieAb-
gesandten des Kaisers Han wu U soUen ja Spuren davon in
jenen Gegenden angelroffen habeo. Wie weit er in dieser
*) Histoire de Kliotan p« 80<
**) A. R^musat Recherches sar lea langaes tarlares 299*
t) Melang. As. 175. Sableanx histor. de TAsie 124. Reeh^rcli. sur lea
Tart. 290 if.
Binige Worte iiber den Buddbismas, 473
wesilichen Richtung seine friedlichen Eroberungen aosgedehnt,
und ob er wirklieh die Nordkfisle des Caspischen Sees, ja
das Schwarze Meer erreicht habe/) wetfs ich nicht zu sa^
gen; so viel aber isi historisch erwiesen, dafs er sich in ganz
Baclrien und in Sogdiana eine Reihe-vort Jahibunderlen be^
hauptet, und dafs er aoch hier ersl vom Islam iiberwunden,
verdrangl oder ausgeroUet word^n ist. Aus Ma tu an lin's
zusammengetragenen Notizen ersefaen wir z. B* dab Tokha*
res tan (Thu ho lo) sudlich vom Oxus (U biu oderWei) urn
516 buddhislisch war; desgleichen, dafs in Samarkand (Khang,
auch Sa ma eul kan) noch hunderl Jahr spater Budd&istiscber
CuUus, mii Schamanismus vei'selzt, neben Chrisilicben be-^
stand. '^*) Hiuan Ihsang, der zwischen 628 — 545 diese Lan-^
der bereiste, um heilige Schriflen und Reliquien zu sammeln,
und dessen Reisebericht bis jetzt nur aus diirftigen Ausaiigen
bekannt i«t, {and z. B. in Badakschanr (Fo ko) noch 100
Kidsler. t) Weitere Aubchliisse werden vermuthlich dieSlhu-
pas geben , die in der Nabe von Balkh und Samarkand enl-
deckt, iadefsy so viel ich weifs^ noch nicht er5ffnet worden
siad. ff) Unter den erateren*, die von grofsen Umfange sein
sollen, diirfte man vielieicht den untren Theil oder doch einen
Ueberrest von jenem ungeheuren Thurme wiederGnden^, von
dem die Chinesen behaupten , dafs er schon 292 y. Ghr. er-
baut aei. fff )
*) Wie dies B. Jaqaet behaaptet J. As. HI. s. t. IV, p. 150 ff.
**) N. M^lang. As. I, 224, 228 ff. Mir scheint wenigsteni, dafs dit; fol-
gendetiWorte avf christlichen Coltas in Samarkand zo beziehen sind:
lis adorent l^esprit diyin etc. Its racontent q a e I e f il s d e
Dieo est mort k la septidine lUTie, et qae »en ossenienis ont
M perdot. Sle Ziehen dann hapfig (in Proceition) am, nm die Ge«
beine von Gottes Sohn za suchen.
t) Foe Koue Ki 878.
tt) J. A». III. s. tyil, 402 ff.
ttt) Nenmann „Pilgerfalnrten Buddhistiseber Priester** in der ^Zeitscfarift
far histor. Theologie*' 3. Band p. 122. N. llt^L As 224. Foe Koue
Ki 84. Er maafs 350 Fnfe im Umkreise und war 80 Klafter liach.
474 Historiich-linguifttiicbe WiMentcbaften.
Wie weil Buddhislische Missionen in das weslUche Iran
und in die Euphratlander sur Zeit der Pariher mid spaler
unler den Sassaniden eingedrungen sind, iafst sieh bis jeUl
nichk entacheiden. *) Haben die griechiscb - aiexandrinischen
Konige^ namenilich Piolemaiia imd Antiochus dieaelben in ih-
ren LSndern zugelassen, wie Asbeka in seinen faischriften be«
hauptel? Haben in Alexandria Buddbiatiscbe Kliater beatan*
den? **) Haben Buddhislische Ideen niitgewirii^t sur Bildung
des ^testen, vorchristlicheo Uimchsordens im Occident, des
TherapeukenordeiUi iler an der Wiege des Chmlmthums ge-
standen hat?f) Sind in den gnostiscfaen und manichaischen
Systemen Buddhistische Lehrsatse wiederauerkennen? — diese
und ahnliche Fragen kann man vor der .Hand weder bejahen,
noch unbedingt aurickweisen. Nur die Thataache alebt feal,
dafs es vor Clemens von Alexandrien imd Prophyrius keinen
abendlandischen Schriftateller giebt, bei dem eiae un^wciCei*
hafte, vor jeder Kriiik haltbare Erwahniing des Buddha t aeU
ner Lehrer und seiner Anhanger ansUtreffen ware.
In China, wo der Buddhismus, wie erwabn^ vooa Kaiser
Mingli eingefahrfty gewann derselbe ungeachtei dea Widerslan-
'I I'll! 1
Aof die Zeitbestimmang seiner Urbaoung ist nicbts za geben, denn
die Chinesen baben bierbei nor die Aassage der Ueinen Juetscbi
niedergeschrteben. Diese aber konnten selbst nnnioglieb so geoan
wissen, wie alt jenes Gebaade sei, da sie erst im 5, Jabrb. ■• Gbr.
also etwa 700 Jabre nacb der angeblicben Erricbtung jenes Tbormes,
Balkb eroberten. Jedenfalls erbellt bieraus, dais der Baddbisdlus
ISngst Tor deoi 5. babrhandert in BaUb Eingang gefanden batte*
*) Bei Ma to an lin wevden Buddbistisobe Teropel und Pyramiden bei
den Pos se» d. i. den Persern erwabnt. N. MeU As. I, 248.
**) Bei einer Tempelweibe auf Ceylon in der Mitte des ^ Jabrbonderts
ft. Cbr., erscbeint eine Deputation aus A lasiadi, welcbes Lassen
fiir Alexandria bait t. If,' 434. Welcbes Alexandria ist aber gemeint,
das Aegyptische oder das am indiscben Kanbasus etc.?
t) Lebten wir noch in der Schelling-Creuzer'scben Zeit» so ware die
Aehnlichkeit des Klanges von ^Talapeaaen** and ^TeTapeaten"
yollg<iger Beweis» dafs der Terapeotea- und Essener-^^rdeA (denn
beide sind Eins), mithin aocb das Cbristentbam aas den Biiddbis-
' roos, Oder yielmebr aus der Uroifenbarung bervorgegaagen sei.
Ginige Worte tiber den Buddiiismas. 475
des von Setien der y^Gelehrten"', immer weiteren Boden, utid
erhieJt sich nicht nur trotz einer bluligen VerfoJgung (vom
J, 446) sondern erlebte nach derselben eine seiner glanzend-
sten Perioden. *) Von hieraus drang er iin 4. Jahrhundert nacb
Korea/*) wahrscheinlich nichl viel spaler nach Laos und
Kambodja^f) streifend auch wohl schon nach Japan, ob-
gleich er bier erst im 9. Jahrhunderte grofsere Fortschritie
machte. £r umfafste demnach schon in diesem, seinem erslen
Zeilalier welches die beiden Perioden der Concile und der
MidsiMiQR in 9kh begreift^ eiti Getftet, das yoiit gelbmi Ikkens
bis zum Caspischen, vom enllegensien Theile Hinterindiens
bis zur Kirgisensteppe reichle. Im 7. Jahrhunderte aus den
westlichen Besitzungen durch die Bekenner des Propheten zu-
ruckgeworfen, und in Indien selbst durch wiithende VerfoJgun-
gen fast vemichtet, grundet er einen neuen Mittelpunkt sei-
ner Herrschaft in Tibet und erlebt eine zweite Auflage ini
Lamajstnus.
*) ScboH U c. p.l79. Giittlaff .^Gescblcbl* toii CyAli'* 121, ]72ff.
*) Tableaux bist. de V^sie 77. Nacb dem sudosilicbeii Korea erat im
Jabre 528.
^) Die Zeit lafst sich nicbt genader bestimtnen. Nor so viel berichten
die Cbinesen, dafs er im J. 617 dorC sdioli tiete Anhaifger zabtte.
Aracan waf lanrgst tdnlhdieif aos bekelirl; j^tam efbielt dieLeffre
etBt 698 Toii C«yIofi> aus, Ifte tfiigetttllcli BiYmaitiseben 9lfiMiiie des
innerem 6ebirgslft*des sitidi cfrst im 12. Jabrbuaderte Boddhiateni ge<
worden. Crawford „Tagebach der Gesandtscliaft an die'Hofe von
Siaoi ond Kochincbina'' p. 506^ 565. d. Uebers. N. Mel. As. I, 81 o.
83. Stobr „Religionssysteme" etc. 290 if.
Bfdtisehe Skizzen oder funfzig Jahre
Der Wahrwolf).
PoUa Kar^l — sprach der Landrichler — dte E^re
hattest du dir nicht traumen lassen/ mich heule bei dir su
seben? Der Eslhe behielt seine Miitae auf dem Kopf und
lachte hfihnisch: „Beiin Regen reitet der Sacbse '^*)| imNebel
Irabl der Wolf." Frau v. H. zupfte ihrenMann beim Aerme],
und machte ihn auf den wilden Blick des Lostreibers auf-
merksam. Die Augen des Esthen leucbteten kaizenb^ft; der
Mann war in groiser Bew^ung imd zitlerle fortw&brend.
Er Jiat einen Anfall vom Sauferwabnsinn> spraeh der
Landrichter.
Eine sch5ne Lage, dachte die Baronin, erst verirrt unler
*) Siehe in dieaeni Bande S.365.
**) Das Wort Saks bezeichnet* dem Kithen iiberbaupt einen Herrn.
Vielleicbt kann man dieses damit erklaren, dais die ersten Euro-
paer, die Li|Iand „aufsegelten*% Bremer^ also Niedersacbsen
waren. Von diesen Sacbsen bezwungen, gaben sie dem Herrscben-
den iiberbaupt diesen Namen, und daher nennen sie aoch jetzt einen
Russen Ton Stando — wenne Saks — einen wendischen (rassischen)
Sacbsen.
Baldsohe SkiEzei^ oder fatifxig Jahr« zuriick. 477
VVolfen und dann in die Hohle eines wahnsinnigen Ungeheuers
zu gerathen!
Bist du krank, fragte Herr von H. den Esthen?
Von des Arroen Bier wird weit gesproeben — sagte der
Bauer wile in Phantasieen verfallen.
Und pielzlich, wie mit denHanden abwehrend> scbrie er:
y,RaUen, Ralzen, Rateen — o nichls ak bunderitausend Mause
und Ratzen *) — iort mil euch — seht ihr nieht, dafs grefoe
Sachsen in meiner H&tte sind -— wie passt ein goldner Sat-
(ei denn auf des Sdiweines ' Rflcken — oh oh oh ! — Gros^
ser General, Fiirst, Herr — gebt mir Brannlwein *-- BraniKl-
vi^ein — oh nur elwas Branntwein! Sechs Sch^iken habt Ihr,
und in Euren Kiichen trdpfelt Gotles Korn tagiicb in handerl
Fasser; a gebi mir tob Eurem Reichthom — gebt — gebl!''
Und mit einer flehendea Geberde warf sich der Koloss eu Bo^
den und umfafste die Knie des Landrichters«
Bring una nach Haufle, so will ich dir dein^ LSchker
da mil Branntwein anfiillen lassen, sprach Herr von H. und
leigte mit dem Finger auf ein Wzernes, buUenfSrmiges Ge--
fafey dus an einem Pfloek hing.
Der Esthe folgte mit den Augen der Richtung und slarrte
bulge das Geschirr an, sprang dann auf, nahm den holzernen
mit Fkchs umwickeken HolzslSpsel heraus und sab hinein. —
„Leer, leer! Nichls als Heimchen sind drinn: brauneRaupen
und bafslicbes Gewiirm ist hineingekrochen. -^ H5rl Ihr wie
^s krabbell drinn! Heraus ihr Pru»aken und Tarakanen.'* — «
Heflig schUUelle der Wahnsinnige an dem umgekehrten Ge-
schirr. — 9;Forl mil euch, ieh verAuche eUch in die Kalte von
Pochjala — unler dieSteine von Harrjen. Wein her! Brannt-
wein ! — Aber ich sebe wohl von Euch erhalte ich ebenso
viel als die Maus vom Wetzslein. Ich will Feuer bier an<*
machen und Euch mil Krucken-Rauch bewirthen.**
*) Im SauC^rwahnsinn glaubt der Kranke iiberall dergleidken Thiere za
selien.
478 HbtoriMh-lingawCiiche WiMenacIiftftoi.
Urjoh, urjob) unj la paljo
Tagga loa tonj la paljo!
(Uhui, Uhui wie viel Wolfe
Hiolerm Hause HaulemSnneken) *).
So schreiend buckle der WahnsiDnige sicfa zuiti Lehmofen
und blies wie ein Blasebalg iii die Kohlen^ um stmt Diohung
in's Werk su selten. In diesem Auge»blicke fiet der Baronin
ein^ dafs sie in ihreni Etui ein FJaschchen mil Hoffmanns-
trppfen halte. ,,Siehsl du, guler Karel"*! rief sie.mii freund-
licbster Stjmme, yisiehst du hier» ein scfaiines Miliel, nimm
davan tebn TropfeDt nnd du wirst sie loben/'
Der Kranke falste das Flascbchen, das in seiner Riesen-,
faust verschwandi und betrachiele uttd beroch es. — ,^Wenn
mm dir ein Ferkel anbielet, so halle den Sack offeo", nur-
mehe er, un4 in eiiiem Nu halte er. dea Inball ausgetrunken.
„Ach — rief er seufaend — war das mal ein sucker-
siifser Scbnaps! — 0 ga&dige Frau! — Was babl Ihr fiir
^nen goldenen Trank — ! — Ich kiisse Eiire Schuh und Eures
Kleides Schleppe* 0 wie mk nun wohl ist — alle RaUen
sind fort! — Komml herein, wer no^b draufsen ist! — Nun
ist Raum in meiner HiiUe."
Mil diesen Worten oSnete er die Tbttr, aus wdcher ein
dicker, weiCser Dampf mil Scbnee verniscbl in die Slube
schJug.
,,E6 hall's kein armef Hund drauben aus) Tonno ^ rief
er dem Kutscher su •*- w^nn du eiae Nase ¥0n Eisen hast,
so bleib draulseni ist sie aber von Fleisch und Bein,^ so konun
in den £auni abef lege erst den Pfetfden die Decken auf, da-
mit sie nicbl den Schnupfen krtegen!*'
Oer alle Tonne Irieb die Pforde an einen .elenden sehup-
penartigen Anbau> un4er dem ein Pferd vor einem Baum-
schlilten fertig angespannt war, bedeckte die Thiere mil wol-
*) Das Uijob ist ein Sclirei, mit ilem man Wolfe sclieuclit, daher urjo-
tama ernschiicbtern. — Urjoh war der Beschutzer der Heerden (?) —
Opferstellen heifsen Ubjo paicat •
BaHteohe Skizzen oder funfzig Jahre zgHick. 479
lenen gelben Decken und irat in die Hiiite, indem er halb
argei'lich vor sich hin murmelte: dre Nolh Ireibt den Ochsen
nach den Brunnen.
9,Nun, aller Junge, tritt naher an den Ofen» lacbie der
Esthe, Warm deine Pfoten ! Bist da dem Haljos (WaldgespensI)
b^egnel oder Usk du voU Branniwein gewesen, dafs du
meinen Saun fur den Herrnhof angesehen bast'\ fragie P4Ua
Kirel?
Der Kul^her hatle es vbrgezogen in der GdgeriwaH sei-
ner Herrschaft zu schweigen, aber seine Kutscherehre war an-*
getaalety und somit gab er eine derbe Anlwort, und es ent-
spann sioh nun zwischen b^den Esthen ein Gesprach, in
welchem £e Charaklere der swei Fraklionen unter d^n dama-*
ligen Esthen, der bei weitem zahlreicheren civilisirf en, und der
in urspriinglicher Rohheil verharrenden mit weoigen Ziigen
sich abzeichneten.
Freilich, sagte er, bin ich Jemand begegnet vnd wenn es
nicbt der Haljas*) war, oder der „wei($e Mana*', so warst
du es selbsL
— Fiihle mir an dem Pelz und an die MiMze <r- sagle
der Eslhe — sind sie nass?
— Freilich nicht — aber ieh sebe »wei Dinge — erslens,
daCs du io der Gegenwarl der gnSdigen Herrschaft deine
Miitze aufbehSltst, als ob du Eier drunter haltest, und zwei-
tens — dafs du wohl Herr zweier Pelze bist I
Der Kttiachor spielte durauf an, daia Pdlia Karel im Rufe
aland ein Wahrwolf zu sein.
PdJia Karel lacbte und sagie: und wie findesi du deun
mein Wolfsloch? Es isl doch recht tiichtig gebaut und mit
Moos gut verstopft?
Jeder lobt das Seine, der Bettler seinen Sack — sprach
TSnno hohnisch.
♦) Haljas Waldgeist, der in die frre fiihrt — weifse Mann — wafgc-
mecs — „der Scliwarze" ironiscli: Walgelino der weifse Vogel, d^r
Rabe.
480 Ijittoriioh-iinguistiscbe Wissenschaftenk
— Ich will dir was sagen Tdnno!
— Und was willsl du mir sagen?
— Nichf alle HiihneF kommen nuf die Stiege, nidit jedes
Mutterkind geiangl zum Embachufer. (Embach, von Eoima
die Mutter, der Strom bei Dorpat.)
— Nun freiiich, aber wie dasSchwein so derTrog, warf
T&nno spottisch ein.
— Und ein sanftes Schwcin ist des Sackes Nachbar enl-
gegnete derLostr^er mitnoch honischerem Licbeln ; OKerl,
du blast auf vielen FlSten! '
-— Du hast unsere Butter nie geschmeckt, Migte Tdnno;
anstatt hier in der Haide su. hocken einsam wie ein Gespenst,
soUteM dd lieber zu uns kommen and dem gmidigeii Herm
dienen.
•^ Ich will dir was sagen — sprach der Lostretber.
— Und was willst du mir sagen?
-*-» Ich will dir was sagen, aus dem Baren wird wohl
ein Spielmann — aber aus dem Wolf — nimmer! — Und
nun, da die gnadige Frau nicht mehr zittert, so wollen wir an
die Riickkehr denken.
— Getraust du dich uns in diesem Wetter aufs Gut zu
bringen, sprach der Landrichter.
— Nein, sagte der Lostreiber, ich kann es nichl und keia
Mensch verraag das, aber mein Pferd wird es thun.
— Nun, so eile und spann an.
— Es steht schon angespannt, bemerkle TSono. — Und
sag mir eigentlich, wie kommt es denn, dafs du reiseferlig
dastehst mil Peitsche und Miitze und dafs dein Pferd ange-
spann t ist?
— Ich erwartete Euch — sagte P6lla Karel mit der na-
t&rlichsten Miene von der Welt.
— Wie konntesl du uns erwarten?
— Die Geister hinlerm 5aun halten mir's durcbs Rauch-
loch zugerufej), sdgte Polla Kcirel tiickisch und zog den Lum-
pen aus der Oeffnung, indem er in die Nacht hinausblickte,
als ob er sich nach den Gespenstern umsahe.
Baltitdie Skizzeii oiler fonfzig Jahre jniriick. 481
Herr undFrau vonH. sahen sich verwundert an; Tdnno
aber wunderte sich nicht im geringsten, denn er hielt Polla
Karel fiir einen Zauberer, and somit war ihm nichts Wunder-
bares in dieser Rede. Herr y. H. aber dachte an das a^weiie
Gesicfat der Shetlander und reihte dieAhnung des Esthen an
jenes unerklarliche aber faklische Vorempfinden an, das vie-
len arktischeh VSlkern das Herannahen fremder Personen
verkiindet.
Man seUte sioh ein und Polla Kdrel warf sich derQuere
nach auf. seine niedrige Regge — eine Art Urschlitte&y der
eben niir aus zwei verbundenmi Sohlen besteht, tiuf denen
eine.Att Gitter von dtinnen Staben liegL
Munter ging es vorwarts, aber naob einigen Schritten
hielt der alte Tonno an und drehte sich zu Herrn von H.
*
henim.
— Herr, sagte er, ich weiCs niclii ob wir dem HSllen-
brand foigen soUen, er fahrt uns nur tiefer in den Nfiijasoo
(Hexenmorast) hinein ; er hat eine Richtung eingcschlagen, die
uns tiur vom Hofe entfernen kaun.
Der Lesireiber hatte auch angehalten und trat zum Kutsch-
schlilten«.
— Was folgst du mir nicht, alter scfawedischer Tropf
(Rotsi-Joll)?
— Weil du uns, weifs Goit wohin bringst und nichi
zUm Hof..
— Ich kenne den W^g zu Eurem Gate nicht, sagte der
Losirdber ironisch, und mein Pferd kennt ihn ebenso wenig.
— Aber >vo willst du uns denn hinbringen?
— Wo dean anders bin als zum Kruge? Den Weg
kennt mein Pierd auswendig, and wenn du ihm die Augen
verbinden wiirdest? Seid ihr erst beim Kruge, so seid ihr
auf der Landslrafse, und wenn ihr die erst habt, so kommt
ihr auch aufs Gut.
Die Griinde waren schlagend; die Gesellschaft machte
sich wieder auf den Weg und das kleine Esthenpferd brachte
sie, den Kopf dicht am Schnee haltend, durch .„Bu8ch und
482 HisCorUoh-linguUtiscbe Wissentcbaften.
Brack'' mil der Sicherheil einer langjahrigen Erfahrung zum
Kruge.
Reisende mil hellen Poslglocken zogen auf der Strafse
einber; eihe iMenge von Branntweinsfuhren *) bedeckUn den
ganzen Platz vor dem Kruge und Frau von H. fuhlle sich
uoi funf Jahrhunderle vorwarU gexiickt Hier war frdhliches
und geschafUges Leben und Weben und die eben im PoUa
Karels 'Saun mil Beben verbraChte halbe Slunde ersehien ihr
wie ein Trauna, wie ein Abenlheuer aus La Melte Fouque's
Romanen, das nur einer RiUerdanie aus dem XIIL Jabrbun-
derte unter Heiden und Zaubervdikern begegnen k5nnte.
Der Landrichler gab dem Lostreiber ein Paar Klubben-
marken (Geld aus Leder, das nech bis. eUva. 1830 nebsl Kup-
fer und Silberrubeln die Hauptmiinze in Livland ausmacbte)
und bald safs Pdlla Karel vor einem Stoof Branntwein und
sang rait ein Paar anderen Kerlen , die er zu Gasle geladen
halie, Lieder, in denen er nach Art der Esthen improvisirend
den .Vorfall erzablte. Der Landrichter war nach zebn Mhm*
ten schon gliickiich zu Hause angelangt, aber seine irrfahrt
verfehlte nicht Sensation im Kirchspiele zu maoheii*
Man hielt sich forlan mehr als je davon iiberseugl:
1) dafs Pdiia Karel einen Stiihm (Schneestnrm) erregt
unJ 2) da(s er des Landricbters Tonno die Augen verblen*
del habe.
3) Dafs er, wie es in den alien Prozefsaklen faei£il:
vorn Wabrwolf geloffen sei.
4) Dafs er die Unverscbamlheit gehabt den Herm Land-
richter nebst Frau Gemahlin^ geborene Baronesse von
F . . .y zf^m Guckuk fahren zu iasses.
5) Dafs dieses^ auch eingetroffen , indem die Herrsehafi
wirklich auf das Teufelsfeld gerathen sei.
*) Die OstseeproTinzen vtrsenden oder versandten eine grofse Menge
Yon Branntwein nach Narwa, Yon wo die Branntweinspachter ihn ab-
holen : da be/ jedem Pferde ein Bauer itt, so gleichen soIcb« Fnhren
immer einer kleinen Tolkerwanderiing.
Baltische 'Skizzen pcler funfeig Ja(bre znrilck. 483
6) Dafs cr gestandigermafsen si^ erwartet habe, weii ihm
seine Tonntid (Gespensler) es gesteckl und
7) schliefsKch bemerkteti alle Kutacher des Kirchspiels
mit einer Art Neid und einige aueh mil einem Seuf*
zer, dais es doch kein Pferd gabe zehn Meilen in der
Runde, dafs so ausgezeichnel gut den Weg zu sammt-
lichen Kneipen bin und suriick kenne, als Polla Ka-
rers M ausfacbner ! —
Einige Jahre spSter starb der Held dieser Geschichte im
Sauferwahnsinn. -
Man spannte zwei Pferde vor seinen ungeheuren Sarg,
aber sie waren — so erzahit die Sage — nicht im Slande ihn
forlzuschleppen ; man spannte nun ein drittes und endlich ein
viertes an, und naherte sich so langsam dem Kirchhof. PlStz-
lich biteben die Pferde slehen und konnten nichi vom Flecke.
2wei schwarze Raben batten sich auf den Sargdeckel gesetzt!
'Man lief zum KUster und holte ihn herbei.
Kaum sahen die Raben den alien ehrwurdigen Kusler
von weilem iibers Feld kommen, als sie krSchzend auf und
davonflog^i; die Pferde zogen jetzt den Sarg mit Leichtigkeit
vorwarts. Man verscharrte ihn in der entfernlesten Elcke des
Begrabnilsplatzes , wo eine Schaar von Brennesseln, Kletten
und Bilsenkraut Jiocb emporwucherte^ und eilte schnell fort;
abet* Jahrelang quSlle PdUa Kdrel als Revenant die Gemeine
und setzte sich des Nachts auf Pferde und Vieh^ so dafs am
Morgen dieses im Schwoifse triefend gefunden wurde.
Der Landrichler nahm den Knaben Polla Karers nach
des letzteren Tode an seinen Hof, urn ihn vom Hung^rstode
zu retten. Der Apfel war nieht weit vom Stamm gefallcn;
der Knabe war wild und verstockt.
Peep — sagte der gutmiithige Landrichter einst zu ihm —
du siebst wohin das Branntweinsaufen ftihrt, dein Valer zit-
terte immerfort und starb elendigKch; wirst du nun saufen^
wenn du grofs wirst?
— Ja — antwortete Peep! —
484 HittOTisdi-ltiiguittitGlie Wisttiuchallten.
Landschaftlirhes. Eine Efennjagd.
Eio anderer Charaklerzug Lievlands Vor funiug Jahren
waren die gewaltigen, tiefen^ wildreichea Walder. Die ra-
pide Zunahme der Bevolkerung, die Sorglosigkeii der Bauern,
die unbaraiheriig mit dem Hoize uii^gingen, die hfiuGgen Wald-
briifide, und endlich die Habsucht oder Nolh der Waldbesitzer,
die ganze Walder umhieben und verkauften — alle diese Ur-
sachen suaammengenammen haben das Land gleichsam ge-
schoren und die Schatten der Walder vernichtel; derEinfiuss
dieser Veranderuog isl nach vieleo Setlen bin filbibar. Es
scheint aaa den Untersuchungen der geiehrie&ten. Manner her-
Yoczugeheny dafs der Wassergpiegel des ungeheuren Peipas-
see's allmalxiig sich hebt in Folge der 'WiUderau8roUiing(?!).
Der Schneei der in dem Schalteq der Walder sonsi Imgsam
zerscbmolzy stiirzt jeUt in Stroinen pl^^Ukiich ins Becken des .
Binnensees und vermehrt unverbaltnifsmafsig seine Wasser-
weiige*
Die zweile Veranderung ist die, dafs Ackerland an die
Slelle der Walder geireken ist, und die waldbegranzAenOaseny
die eitt Gut umf^&teni si^d jelzt versehmolsen: die Walder
sind wie Coulissen zuriickgezogen und das Auge^ das Iruher
nur ein einzelnes Gut uberblickle, sieht jeti^t ein ganaes Kircb-
spieL Wer einige Zeit aus deoa Lande war, erkennt seine
Heimath nicht wieder; das Auge erblickt stait der heimlichen
verlomen kleinen Flache nun eine grafse Scene, ein wettes
Gelande mit nah und fernen Herrnhofen, Dorfern und Kirchen.
Ueberaii wallea und fluthen. uns Kornfelder entgegen, die be*
wi^lieh im Winde wanken wie die Meeneswellen, und mil
ihren schlanken Aehren arligst und eiligst den Reisenden xa
grufsen scheineo.
^ Etine dritle Veranderung ist, da£s mit den Waldern auob
ihre Bewohner sich suriickgezogen haben; ich meine nicht
sowohl die wackern Buschwachter als ihre vierfiifsigen Insasr
sen, die Baren und Eiennthiere; denn Fiichse und Wolfe lie-
ben bekanntlich die Nahe der menschlichen Wohnungen und
BftMische Skfzzen oifer fanfeig Jahre cnrBck* 485
hallen sich daher im Striffel (Busch) auf. Diese Thiere
haben sich daher itn Ganzen nicht vermtndert> obwohl jahr-
lich Tausende eriegt werden, aber der Bar und das Elenn
gehoren schon ftu den seltenen Jngdthieren.
Ich erinnere mich dafs ein junger Lievlander, der das
Gluck halle auf einer grofsen Jagd einen furchlbaren schwar-
zen Baren 211 erlegeh, so aufser sich vorFfeude war, da(s er
sich auf das getodtele Thier warf und es tartlich umarmte
und kQfste! — Kaltbliiliger handeite ein esthnischer Bauer,
der beim Holzhauen eine Barenhohle gefunden halte. « Er
elite nach Hause, lud eine alte, erbarmliche Flinle und be-
waffnete seinen vi^zehnjahrigen Sohn mil einem Beil. So
bewehrt zogen sie zum Walde, fanden die Hdhle, und der
Bauer schoss auf gut GlUck hinein. Der Bar, auf diese un-
sanfte Art erweclcl, kam hochst verdrufslich und blutend her-
aus, iiel uber den Bauer her und warf ihn zu Boden. Wah-
rend er sich mil ihm beschaftigte, sprang aber der tapfere
Junge herbei und versetzte dem Baren scharfe Streiche mil
dem Beil, aber'pl5tziich rief der Bauer unter dem BMren her-
vor: „lo silmaga, arra rikku nahka" — schlage mit dem Beil-
riicken, verdirb das Fell nicht!
Den braunen Landbaren siehl man in Lievland haufiger,
aber gezahmt, mit Barenfiihrern Kunstreisen roachen. Es be-
gab sich einmal, dafs ein Barenfiihrer einen retourfahrenden
Postknecht bal ihn aufzunehmen gegen einen Schluck Brannt-
wein. Der Handel wurde geschlossen, der Bar wurde hinten
am Schlilten angebunden, so dafs die Pferde ihn nicht sehen
konnten, man setzte sich ein und fuhr lustig weiter; der Bar
trabie hinterdrein. Beim ersten Kruge wurde angehalten und
die beiden Manner gingen hinein um zu trinken; der Bar wit-
terte unterdess einen Brodsack im Schlitten, der dem Post*
knecht geh5r(e und kletterte hinein um den Inhalt des Sackes
zu untersuchen. Kaum erschien das zottige Ungeheuer im
Schlitten als die drei Postgaule, von einem panischen Schrek-
ken ergriffen, Reifsaus nabmen. Der Bar verlor seine Geistes-
gegenwart nicht, sondem stellte sich auf die Hinterfiifse mit-
Brmana Rnss. Archiv. Bd. XL H. 3. 32
^g5 Historisch-lingnistisclie Wittentchaften.
ten in den Schlitten und klammerte stch mil den Vordertalzen
amSitzbrett fest, um welches die Jageleinen geschlungen wa-
ren. So ging es im vollen Jagen vorwarls. — Der Weg war
grubig; der Schlitten schleuderte und der' Bar, der nie nait
der Post gefahren war, balanzirte in Todesangst au{ dein nii*
gewohnten Fuhrwerke. Die Postgioeke am Krummhok rief
von alien Seiten Leute herbei, es sah lurchtbar und zugleich
komisch aus^ eine wahre wiide Jagd. So floben die, wie ra-
send, D5rfer und Hofen in gestreckter Kariere vorbei und end-
licl^ in den heimalhlichen Poslstall hinein, die Pferde im weis-
sen Schaum lind der Bar gnnz schwindliobt und verdutzL
Das Elenn ist nachst dem Auerochsen das grofste Thier
der nordischen Wiilder. Es bewohnt die unwegsamsten Wild-
nisse, aber im Sommer erscheint es ausnahmsweise und oft
in Gesellschafl von zweien oder dreien auf den bewohnlen
Flachen. Es schwimmt vortreffiich.
In Esthland warf sich vor vielen Jahren ein gejagtes
Elenn in die Ostsee; die Jager setzten sich in Bole und ver-
folglen es* Als das Thier anfing die Krafte zu verheren und
nirgends Land vor sich erblickte, kehrte es in einem groCsen
Bogen zum esthlandischen Ufer zuriick, wo es erlegt wurde;
es hatle dreifsig Werst mit einer aufserordentlichen Schnellig-
keit schwimmend zuriickgelegt. Im Winter, gewdhnlich im
Februar, nimmt man regelmafsige Jagden vor. sobald man
den Standort von Elennthieren erkundet haU Ich machte ein-
mal eine solche Jagd mit, theils aus Neugierde, tbeils zu
einem wissenschaftlichen Zweck. Vor hundeit. Jahren nam-
lich halte ein Konigsberger Naturforscher einen Pediculus
maximus Cervi Alces -^ elegantissimus — beschrieben, aber
man zweifelte an der Wahrheit dieser Beobachtung; die
Existenz des kleinen Geschopfes war in Frage gestellt, und
ich ubernahm bei dieser Gelegenheit die mogliche Ehrenret-
tung des K5nigsbergers und die definitive Bereicberung dieser
so mifsgiinstig betrachteten und uns doch oft so nahe stehen-
den Thierspezies.
Durch ein Mifsverstandnifs war auliser einem Freunde von
\
J
, BaltUehe Skizzeti oder funfzig Jaiire zuriielc. 487
tnir — einem beruhmten Schiitzen — Niemand sonsl erschie-
neiT, aber die-Treiber waren versaininell und die Jagd itiufate
jedenfalls beginnen. Wir fubren, leise flusterivd, in kleinen
Bauerschittlen dem Elennvvalde tu und stiegen in einer jun-
gen Holzung aus. Von hieraus wurde die Ketle der berats
versammellen Treiber in eineni grofsen Halbkreise durch den
Wald entsandl^ und wir Jager stellten uns unter den Wind,
dem Kreise der Treiber gegeniiber. Sobald alles in Ordnung
war, erschallte von dem Fiihrer der Treiber her etn Scfauss,
das Signal zum Beginn des Treibens und ein verworrener,
dumpfer, fernhallender Larm von Klappem, Menschenstimmen,
Geheul nnd Geklopfe — ein wahres Charivari — begann,
und erhob sich wie ein unermesslicher Schrei sum Himmel.
Der erste Brfoig war der, dafs sich aUerlei Vogel und Wald-
gefieder aufmachte, iiber uns wegflog und durch Krachsen
seine Verwunderul^g ausiudriicken suchte. • Mein Freund, der
berUhmie Jager, 'gab mir indefs zwei Doppelbiicbsen ; die eine
stelUe er an einen Baum, die andere gab er mir in die Hand
und fliisterte mir diese Worte eilig su:
„Sobald das Elenn den Jager siehl, so bleibi es eineo
Augenblick stehen, und kehrt dann rasch in den Wald zuriick
um durch die Treiber zu brechen; es ist daher Kegel gleich
zu schliefsen sobald das Thier sleht, die Entfernung mag sein
welche sie wUI. Die beste Schusswette ist fiir dich elwa 50
Schritl — aber wenn es auch mehr isl, du mufst doch schies-
sen. Verwundest du bios das Thier, so kommt es auf dioh
los iind stofst dich mit den Vorderhufen nieder. Du wirst
gespiefst wie eine Leipziger Lercbe. Merke dir auch, dafs
wenn das Thier nredergesiiirzt ist, man sich nichi gleich ihm
nabern darf. Ort schlagt es noch plolzKch krampfhaft mit den
Hinterfiifsen um sich, und diese. mit der ungeheuersten Kraft
gefiihrten Schlage sind absolut todlich. Ich habe es eriebt,
dafs eiq Bauer einen Schlag auf den Unierleib erhieit — er
hatte lederne Fausthandschuh im Gurt vorn stecken, und die
fand man ntKehber hinten im Riicken des Mannes — er war
qtier durchgeschlagen. Ferner merke dir; ist das erste Thier
32*
486' Uitlorifcb"'liiigiii8iUebe Wifgisiiicliaftefi.
erlegt oder isi es durchgegangen., so bleibe ruhig »tehen, es
kSiuien nocb andere aus dew Walde harvorkommen; iibrigens
ratbe ich dir das Thier grade durcbs Herz tu schiefsen, halte
auf den Hals links und ziele ruhig. Adieu ei bonne
cfaittice/'
Hiermil uberliefs inich mein Freud ineiDefiQ Schicksale
und schlich sich auf seinen StandpunkI, der etwa hunderl
Schritte von mir enlfernt und durch bereifte GrahneDbaume
geschieden war. Ich befand mich ganz allein> iin BesiU von
zwei DoppelbiJchsen von Lebeda und eines Jagddolches, an
dem ich su meinem nicht geringen Trost ein Messerchen und
Gabelchen von Silber erblickle. Es war kalt —. Eisfliiter
flaUerten durch dieMorgenluft; das unaielodische Geheul ver-
siimmie mich und die Grahnenbaume schienen weifse Giaceie-
handschuhe anzuhaben uiid mich spotUsch anzaseheo. So
dauerle es eine gute Slunde; ich siellte das kalte, unange-
nehme Gewehr an ein anderes Baumchen, gahnie und ver-
wiinschle alle Elennjagden. und besonders die gelehrlen For-
schungen^ von deren hoher Bedeutung ich mich ganz verg^b-
lich bemiiht hatte meinen spafshaft gestimmlen Jagdfreund zu
uberzeugen. Er foppte mich und^ ich musste , unwiUkiirlich
mitlachen.
So verging noch eine halbe Stiinde.
Pl5iz|]ch horte ich ein heftiges Stampfen; es war als ob
ein ungeheueres Pferd durch den Wald rannle, die Erde
drohnte. Ich erwachte aus meinem Sinnen und erblickte ein
prachlvoUes, mSchliges , Elenn gerade auf mich zu rennen.
Schnell grifF ich nach meiner Buchse ; die Bewegung verrieth
mich dem gescheuchlen Thier; es blieb wie angewurzelt sie-
hen und glotzte mich an. Die Enlfernung war weit.uber
hundert Schritt, fiir mich also eine ganz unsichere Sckuss-
weile. Aber eingedenk der Jagdregel, zielte ich nur einen
Moment und schoss ab. Wer schildert mein Herzpochen als
ich sah, dafs das Thier wie niedergedonnert zusammenstiirzte!
Ich war liber meinen Meisterschuss so verwundert/ dafs ich
schon im Begriff stand zum Thier zu laufen urn es zu uin-
Baltitch« SIdzsen o4«r ftnfeig Jabre zur&ck. 499
armen^ aacii der Manier des lievlandkchen Jagdj&Dgltngft,.
aber auf einmal fing das Thier an zu wiilhen utid mil diBii
Hmlerbeinen aussoscblagen, so dafsMassen sprtibendenSehnees
in der Luft herumflogen.
Ich blieb also siehen und wartete; aber kein anderes
Tfai^ erschien, im Gegentheil kamen von alien Sdlen schoo
die ^Treiber durch den Wald und nun naherten wtr una vor-
skhiig d«ni erieglen Elenn.
Hasl du geschossen, rief mein Freund?
Hast du geschossen, rief ich verwunderi?
Ah, so haben wir beide geschosaen und in demselben
Momehi *-^ ich glaubte einen zWeiten ScJiuss zu h5ren, aber
ieh dachle es ware der Wiederhall vom \Vald«.
lob borte auck so etwas, sagte ich, inir kam es aber. wie
ein Echo vor;
Nan, wir wollen gleich entscheiden wem das Thier ge-
hdrt Wo sieltest du bin?
Auf den Hats.
kh alich! '
Links oder reehts?
Natiiriich links, da liegt doch das Hers und zudem stand
mir das Thier en face; ieh konnte wiihien*
Ich zielte auch links, weil das Thier en profit zu mir
stand und zvvar mit der linken Seite; jck hatte es Tortreff-
lich, eine Schussweite von nnr secEsig Sehritt. — Wir wer**
den also wohl zwei Wunden finden.
Das voUkommen todte Elenn wurde nun genau unter-
suchl. Es hatte eine einzige grofse Schusswunde links lief am
Halse. Etner von uns hatte also gefehlt, oder unsere beiden
J^ugeln batten merkwiirdiger Weise eine Schusswunde ge-
macht!? — Wir schritten zur inneren Untersucbung^ urn au»
der Richtung des Schusskanals einen Schluss zu ziehen. W^er
beschreibt aber unser Erstaunen als bei der Eroffnung des
Magens etwas Glanzendes zum Vorschein kam, dafs sich bei
naherer Betrachtung als ein grofser Bleibolzen erwies; ein
Stiick Blei zweimal so grofs als eine Kugel. — Und wir
^gO Hiitoriich-liiig^ulltche WIsieiiidiaflefl.
hatten beide doch mit Kugein geladen. Nur Bauern sehies-
sen mit Bolzen!
Icb kann nicbt umUn su bemerken, dab mir schon oflera
•anguinische Personen vorgekommen und^ die bet der Enuih^
lung dieser Jagdgeschichte lebhafi ausriefen: Was! die beiden
Kugein batten sich also su einem Bolsen susammengebacken !
Icb mub gestehen, wir selbst waren einen Augenblick in
Verlegenbeit — wer hatte den geschossen? Samiel etwa um
uns Eu foppen? Zwei Erklarungsarten von derselben StSrke.
Die nahere Untersuchung klarte alles auf. Wir fanden
eine weibe, alte, Terharrschte Narbe im Magen. Das Thier
hatte also, vor Jahren vielleicht, einen Schuss von einem Bauer
erhalten und trag den Bolten seit der Zeit mit sicb im Leibe
herum. Wir sucbten nun nach unseren Kugeb, aber in der
Kalte eine sorgfaltige Untersuchung vonunehmen giog nicht
gut an. Wir klarten diesen Punkt nicht weiter auf, sondem
theilten uns bruderlich. — Mein Freund nahm das Fleisch und
besahite die ganze Jagd. Icb bekam den Kopf ^um Ausstopfen
und das Fell zu weiteren, wissenscbaftlicben Unlersucbungen.
Icb stellte sogleich einige Jungen zu diesem gelehrten Treib-
jagen an und versprach ihnen einen Silber*Rubel fur denPe-
diculus elegantissimusy aber die Jagd fiel negaliv aus. kh
glaube man miibte diese Untersuchung in der warmen Jab-
reszeit vomehmen und ich bin immer noch erbotig etwanigen
Sammlem den Preis auszuiahlen.
Versuche fiber die Anwendung der'Bikford'scheii
ZiindrdhreD, beim Schiefsen in den Bergwerken.
Von
Herrn Miklaschewskji *).
^eit dem Jahre 1613, wo man anfing Schielispulver beim
Bergbau ku gebrauchen^ ist man unablassig auf Abwendung
der Ungliicksfalle durch zufallige Entsiindung desselben bedaeht
gewesen. Diese Unglucksfalle ereignen sich namenllich:
1) durch Funken, wenn man ein eisernea Instrument «ir
Ladung des Schiefsloches gebraacht;
2) durch eine falsche Wahl des Schwefelfaden, der dann
zu schnell abbrennt uhd die Ladung entziindet ehe
der Arbeiter sich genugsam enifernt hat;
3) durch Unvorsichtigkeit der Arbeiter, die sich einem
nicht sogleich losgehenden Schusse nahern, entweder
urn ihn von neuem zu entzunden oder um ihn neu
anzusetzen.
Die Einftthrung kupferner Rfiumnadeln anstatt der eiser-
nen, hat die erste dieser Ursachen so ziemlich beseitigt. Da
man aber fast immer das Pulver lose und ohne Patronen ein-
bringt, wodurch einzeine Korner desseiben an den Wandun-
gen des Schiefslocha hangen bleiben, und da man zum Zusam-
menpressen des Pulvers ein eisernes Instrument nicht entbeh-
"> Gorny Jiiriial 1851. No. 9.
492 PhjfBikaligch-matliematitche Wissenscbaften.
ren konnle(?), so war auch diese Gefahr nicht vollsUindig zu
vermeiden.
In England bediente man sich, ehe die Bikfordsehen Zander
in Gebrauch kamen, eines Ladestempel, ddssen Ende aus
einer Legirung von 86TheilenKupfer und 14Theilen Zinn be*
stand. Diese ist barter wie das reine Kupfer, steht aber den-
noch dem Eisen weit nach (?).
Die zweite utid driite Ursache der Ungluckgfalle konnen
nur durch die Anwendung von Brandrohren oder Ziindern ver*
mieden werden, welche das Feuer zugleich sicder und iang-
saai an die Ladung millheilen.
Zu diesem Ende erfand Bikiord in Cornwailis, im Jahre
1831, die nach ihm benannten Zundrohren. Es sind diese
biegsame Rohren aus eineui leinenen Geweb^, desseii Langs-
laden einander aussersl nahe liegen. Dasselbe ist zweimai um-
sponnen, im Innern mit einem Faden dessen Umgaoge f Li-
nie und von aussen mit dnem anderen, dessen Umgiinge \
Linien von einander abstdien. DasAeussere der Robre wird
mit Holzthar ilberstriehen und mit einem U^erzug von 75
Theiten Salpeter, 13 Theiien Koble und 12 Theilen Schwefei
Jedes Meter der RohVe erhalt 11 bis 12 Gramm von dieser
Mischimg. Dergleichen Zundrohren brennen nun in der That
so langsam und pflanzen das Feuer so sicher fort, dafs sie
den Namen von Sicherheilsrohren in voUem Mafse verdienen.
Bikford erhielt ein Patent auf seine Erfindung, errichlete
in Cornwallis bei Redroot eine Fabrik von dergleichen Lun-
ten, welche dann auch sehr schtietl die aUgemeinste Anwen^
dung in den dortigen Bergwerken fanden. Man hat gefunden,
dafs seit der Anwendung derselben -fj^ der friiher in Corn-
wallis vorgekommenen Ungiucksfalle vermieden werden. Ein
so ausserordentlich giinsliges Resultat, verschaffte dann aock
diesen Zundrohren seit 1833 die Einfiihrung in Frankreieby
wo demnachst bis zum Jahre 1844 kein einziger Un-
gliicksfall vorkam*).
*) Combes. Traite de rexploitation de» mines. Tome I. -p. 248.
Versuclie uber di« Anw^ndung d«r Biklbrd^sctieit firandrolire etc. 493
Die Kussischen Bergwerksbehorden haben nun ebenfalls
dieses wichlige HiiifsmiUel zu beachten angefangen und mit
Bikforder Rohren^ die aus England verschrieben wurden^ Ver-
suche anstellen lassen. —
Es soUle durch dieselben enlschieden werdeo:
1) in welehem Mafse dergleicfaen Ziindrohren dieSicher-
heit der Arbeiter vemiehrlen, im Vergleich mit den
bisher angewandten Schilfrohren, und
2) welchen Nulzen die Bikforder Rohren auch in 5kono-
mischer Beziehung gegen die Sehilfrohren gewahrten.
In den Russischen Gruben sind Schierslocber von 10,5f
14 und 21 Engl. ZoU in Gebrauch. Die Versuche wurden
mit jeder dieser drei Arlen angestellt und sollen hier einzeln
aufgezahll werden.
Versuche mit Hzolligen SchiefslOchern.
Auf der zwolften >Sajen (84 Engl. Fufs) des ersien Pelro-
wer Ganges, wurden ISSchiisse angeselzt und davon 10 mit
Sehilfrohren und 8 mil Bikforder Rohren entziindet.
Beim Laden mit Sehilfrohren, verfuhr man wie folgl:
Nach vorhergegangener Austrocknung der Locher, deren
Miindungen 1,3 Engl. Zoll weit waren, wurden in jedes der*
selben 16 Sololnik (71,1 Gramm) Pulver geschuUet und die
an den Wanden des Loches anhangenden Kfirner mit einem
holzernen Slempel heruntergedriickt. Die Hohe welche diese
Fullung in den Lochern einnahm, war, wegen Verschiedenheit
in den Bohr-Schneiden, nicht ganz gleich, belrug aber im Mit-
tel nahe geilug 3,5 Engl. Zoll.
Nach Aufschiittung des Pulvers setzte der Arbeiler einen
Thonpfropfen von 1,75 Zoll, uber dasselbe und schlug dann
dieRaumnadel behutsam durch den Then und das Pulver bis
dafs e.r sie aufsitzen fuhlte^ zum Beweiss dafs sie 4as
Geaiein erreicbt hatte. Darauf wurden mil einem eisernen
Lader eine 6,1 ZoU hohe Lage feiner Trappstiicke (?) einge-
seizt und endlsch noch 1,8 Zoll hoch Thon. Dann wurde
die Raumnadel aus dem Bohrloch heraus genommen, mdem
494 PhyBlkalisch^inathematiscbe Wineiischaften.
man das andere Ende des Ladestockes in das Oer derselben
einseizte und ibr mil ziemlich starken Hammerscblagen Dre-
hungen nach beiden Seiten gab. Es entstand dadurcb ein
Kanal, dessen Durcbmesser ein Viertei von dem des Bohr-
ioches betrug. — Auf diese Weise wurden alle 10 Locher
geladen, woran zwei Mann 50 Minuten lang arbeitelen.
Di6 scbilfenen Zundrohren waren 8,8 Engf. Zoll lang und
man gebrauchle anstatt Scbwefeifaden ein 2,6 EngL Zoll Ian-
ges Siiick Birkenrinde, weicbes an dem etwas aufgerissenen
Ende der Ziindrohre befestigt wurde. Zu den 10 Schiefs-
iocbern wurden 5 Pfund Tbon verwendet, niit Einschluss der
Pfropfen auf den Ladungeni und 7 Pfund Trapp, so dais auf
jedes derselben iiberhaupt 1,2 Pfund laubes Gestein kam. —
Angeziindet wurde mil einem Talglicbt und es zeigte sich
die wabrend derselben von
die Dauer des dem Arbeiter in gewobniichem
Brennens Schritt zuriickgelegte Enl(eraung:
Scbiefslocb No.
. 1 32 Sekunden
12,5 Sajen = 87,5 E. F.
-— .
*
2 30
—
12 — = 84 - -
—
-
3 30
—
11,5 -^ =r 80^ - -
-^
m
4 33
—
13 — = 91 - -
_
-
5 35
—
14,5 — = 101,5 - -
—
-
6 32
—
16,5 = 108,5 - -
—
m
7 37
—
17,5 — = 122,5 - -
—
-
8 15
—
6,5 — = 45^ - -
—
-
9 20
—
10,5 — = 73,5 - -
—
-
10 17
—
8,5 — = 59,5 - -
im MiUel 29,1 — 12,2 — = 85,4 - -
Die Sprengung erfolgte obne Ausnabme. Man siebt bier-
aus, dafs die Gescbwindigkeit der Arbeiler beira ZuriiokEieKen
wabreiid des Brennens sehr nabe constant ist, und etwa^ in
der Sekunde 0,41 5a/en oder 2,9 Engl. Fufs betragt — Die
abgesprengte Masse, die aus ungemein derben Ersfubren-
dem Quarz bestand, wurde gesammelt, geforderl and iiber
Versiiche iiber die Anwendang d«r Bikfonrscben Brandrobre etc. 495
Tage gewogeo. Sie fand sich zu 63 Pud itnd somil zu etwas
iiber 6 Pud auf jedea Bohrloch.
Bei den obrigen'acht Schiissen wurden ebetiso viele Bik*^
(order Zilndrohren gebraucht, welche zusammen 0,10 Russ.
Plund wogen. Cs kammen daher auf eine jede 0,0125 Russ.
Pfund. Nachdem in jedes Lach V^ Pfund Puiver geschtittet
Mforden war, welches in dein8eli>en 1,8 Z. hoch sland, wurde
ein 14 Zoll langes Stuck Ziindrdhre eingesetzt und darduf das
librige ^^ Pfund Puiver aufgegeben« Die Ziindrdhre steckte
somit 1,8 Zoll tief iin Puiver. Man tuhrte darauf 1 Pfund
Lelten in das Ende jedes Schiefsloches mil Hiilfe eines hoi*-
sernen Laders und die Zundrohre blieb urn 1,8 Zoll hervor- '
ragend. —
Da man die Eigenschaften dieses neuen Hulfsmittels
noch*nicht genugsam kannte, so wagle man nicht mehrere
Schiisse zugleich anzuziinden, und lud daher auch jedesmal
nur einen derselben, worauf genau 4 Minuten vergingen, so
dafs im Vergleich mit dem alien Verfahren eine Zeitersparnifs
von 10 Minuten auf 10 Schusse oder von einem Fiinftel der
ganzen Ladungszeil slaUfand.
Man erhiell folgende Resultale:
der Arbeiter entfernte sich
die Dauer des wahrend derselben in g^'-
Brennens wShnlichem Schritle um:
Schiefsloch No. 1 30 Sekunden 12,5 Sajen = 87,5 E.F.
— - 2 28 — 12,5 — = 87,5 • -
3 29
14 -
= 98 - -
4 29
—
13,5 —
= 94,5 - -
5 26
—
11,25 -
= 78,7 - .
6 28
11,25 —
= 78,7 - -
7 27
—
13,5
= 94,5 - -
8 25
—
9,5 —
= 66,5 - -
im Mittel 27,75 —
12,25 — = 85,7 - -
/
Die Sprengungen erfolgten siimmtlich.
496 PhysikalMch-mathematisclie WitteHfeiiafteii.
Die Geffchwindigkeit des Riickzuges der Arbeiler ergiebt
sich nahe so wie friiher (3,1 E. P. in der Sekunde). Die ab-
gesprengle Masse vvurde wieder gewogen und fand sich zu
43 Pud oder zu 5,4 Pad auf jeden Schuss. Das Anziinden
geschah mil einer Talgkerze und man bemerkie dafs dabei
viel Zeit verloren ging, zum Theil weii etwas Pulver aus den
abgeschnittenen Enden der Ziindrohreti gefallen war. Es ist
iibrigens auch anderweitig bekannt, dafs Sefaiefspaiver durch
eine Flatnine weit schwerer zu entzttfiden ist, als mit
etnem Funken. Sobald die Ziindrohre in Brand ist, hdrt man
ein Zischen und sieht Rauch an ihrem vorragenden Ende» —
Combe sagt, in dem oben angefiihrlen Buche, dafs 2 Engi.
Fufs von den Bikforder Robren in 1 Minute abbremieii. Aus
den obigen Versuehen folgen 27,75 SekuDden fur 14 Engl.
Z. und somit fur 2 Fuls oder 24 Z. 47,57 Sekundeo, d* ii. um
12,4 Sek. oder em Fimftel weniger als nach jener Angabe *).
Versoche an den 1 4 Zoll tiefen Schiefsiochern mit schtt-
fenen Ziindrohren und Schwefeifaden.
Die Ladung wurde auf die gcrwdhnliche Weise voilzogen.
Der Schwefeifaden war 1,8 Zoll lang.
Der Schuss No. 1 brannte 55 Sekunden, wiihrend deren
der Arbeiter in gewohnlichem Schritt 22 Sajen = 154 E. F.
zurticklegle.
Die Schnsse No. 2 und 3 wurden zugleich angesteckt.
Die Ebcplosion des ersten erfolgte nach 1 Minute, die des
zweiten noch 5 Sekunden spiHer und der Arbeiter entfernte
sich in dieser Zeit in gewohnlichem Schritt um 26 5a;en oder
162 E. F.
Die Schiisse No. 4 und 5, die ebenfalls zugleich ange-
ziindet wurden, explodirten auch gleichzeitig nach 45 Sekun-
den, in denen der Arbeiter, in gewohnlichem Schritt, 19 5ajen
Oder 133 E. F. zurucklegte.
'*') In dem Russischen Aufsatzc stelit faUchlich „8 S<^kunc]en weniger."
Venaclie ub«r die Anwendung. lUr By^ford^tchen Braqdrolire etc. 497
Di€ Schusse No, 6 und 7 wurden zugleich angeiiifidet
und exptodirten der eine nach 55 Sekunden del* atidere uin
17 Sekunden spiiler — wahrend dieser(?) Zeit entfornle sich
der Arbeiter urn 37 Sajen oder 259 E. F.
Endlich explodirle der Schiiss No. 8^ 40 Sekunden nach
dem Anziinden als sich der Arbeiter urn 17 Sajen oder 119
Engl. F. eniferat halle. —
Der Schwefel und die Pulvergase verursachten einen un»
ertraglichen Geruch.
Versuche iiber 14 Zoll tiefe Schiefslocher niit Bikforder
Rohren und Anwendung von Pech.
Da man sich bisher von dem langsamen Brennen der
neuen Ziindrohren gemigsam iiberzeugt halle, so wurden die-
selben nun bis auf 12,25 Engl. Zoll verkurzl. Das Anziinden
geschah so wie friiher. Es wurden aber noch auf das Vor-
ragende Ende der Ziindrohre drei Tropfen Pech gegossen,
von dem wegen seiner vollkommenen Fiiissigkeil ein Theil
wieder abfloss. Man hat bemerkt, dafs das Pech das Anziin-
den der Rdhren erleichtert.
Die Schiisse No. 1 und 2 wurden gleichzeitig angeziin-
del und explodirten nach 26 und 29 Sekunden. Der Arbeiter
entfernie sich urn 15 Sajen oder 105 E. F.
Die Schusse No. 3, 4 und 5 wurden zugleich *) in Brand
gesetzt, beim Anziinden von No. & fing aber No. 3 schon an
zu zischen, d. h. das Pech war abgebrannt und ^as Feuer
erfasste die Rohre selbst. Die Explosion dieses Schusses er«
folgle 25 Sekunden spater, in denen der Arbeiter in gew5hn-
lichem Schritl 12 5ajenen oder 84 E. F. zuriickgelegt hatte.
No. 4 und 5 brannten einer uhmittelbar nach dem andren und
5 Sekunden spater als No. 3 ab, und der Arbeiter hatte sich
*) An Jieser ond an alien abnlichen Stellen hat der Verfauer offenbar
sagen wollen: nnmittelbar nach einander, anstatt zugleich,
wiewohl der Rassisdie Ansdrnck (wmjcstje) dem letzteren Begriffe
enUpricht. D. Uebers.
498 Physikaliscb' matkematiBchs Wissefnscbaften.
unierdessen (noch) urn 4 Sajenen oder 28 B. P. enlfernt.
Wenn der Pechuberzug dick genug ware, so kdnnte manviel-
leicht vier Schiisse zugleich ans&nden, fiinf wSren aber schon
gefahriich.
Def Schuss No< 6 wurde durch No. 5 beschadigl und
darauf No. 7 und 8 wieder gleichzeitig angez&ndeL Der er-
stere explodirte nach 20, der andere naeh 22 Sekunden, in
denen 14 Sajenen zuriickgelegt wurden.
Die Schiisse No. 9 und 10 wurden gleichzeitig angezun-
det und explodirten nach 20 und 25 Sekunden, in denen der
Arbeiter sich um 14,5 5a/enen = 101,5 E. F. entfernte.
Der Geruch war weit weniger erstickend als bei den frQ*
heren Versuchen.
Versuche mit 21 zolligen ^chiersidchern und Bikforder
Rohren.
Es wurden zwei 21 zoilige Schiisse in demselben Gesleine
angesetzt, derenLadung lOMinuten erforderte. Sie erhielten
17,5 Zoll lange Ziindrdhren und ein jeder 0,25 Russ. Pfund
Pulver. Ihr gegenseitiger Abstand betrug 4,7 E. F. Sie wur-
den zugleich angesteckt, erhielten je drei Tropfen Pech auf
die ZiindrShren und explodirten nach 35 Sekunden, in denen
20 Sa/en oder 140E. F. zuriickgelegt wurden. DieErzstucke
batten sich nicht v6llig losgel&st, sondem es waren nurSpal-
ten entstanden, welche eine sehr betrachtliche Miisse abgranz-
ten. Beide Schiisse wurden daher noch einmal geladen und
gaben darauf eine geniigende Sprengung.
Versuche mit 10,5 zolligen Schiefslochern und Bikforder
Rohren.
Es wurden endlich zwei 10,5z611ige LScher gebohrt und
ebenso wie die bisher erwahnten, geladen. Die Ziindrohren
zu denselben waren 8,75 E. Zoil und ihr hervorragendes Ende
1,75 E. Zoll lang.
Der Schuss No. 1 explodirte nach 17 Sekunden, in denen
sich 4er Arbeiter um 9,5 Sajenen = 66,5 E. F. entfernte.
Versoche iiber die Anwendoogr der BikfordNiobto Ztndrohren etc. 499
Der SchiissNo. 2 explodirte nach ITSekunden, in denen
10 Sajenen oder 70 E. F. zuriickgelegt wurden.
Wegen der geringen Tiefe dieser Schbsse wagte man
nicht sie gleichzeitig anzustecken.
Aus alien genannten Versuchen bat man etwa folgende
Resuila.te im ziehen:
1) Durch Anwendting der Bikforder Ziindrohren wird die
Gefahr bei der Schiefsarbeit voUstiindig beseitigt, in-
dem das Loch ohne eisernen Ladesiock gefiillt und
die Raumnadel unnolhig wird.
2) Diese Rohren leiten das Feuer mil Sicfaerheit und
langsam genug um dem Arbeiter das Zunickziehn bis
in die geh5rige Cntfernung zu erlauben.
3) Man kann dieselben uili 1,75 Zoll kiirzer maehen als
die Tiefe des Schiefsloches.
4) Sie brennen fast ebenso iange wie die Scbilfrohren,
an die man Sliieke Birkenrinde ansetzte.
5) Wenn man anstait der Birkenrinde, Siiicke Schwefel-
faden von 1,75 Zoll Lange an die S<ihilfrohren setzt^
so brennen diese fast doppelt so lange, als die Bik-
forder Ziinder mil Pech.
6) Wenn man das vorragende Ende der Bikforder Ziin-
der nicht verpicht, so kann man jedesmal nicht mehr
als einen Schuss anziinden , weil dann diese Ziinder
sehr langsam in Brand kommen.
7) Unter Anvvendung von Pech, kann man drei SchiefB-
locher- mil einemmal anziinden: vielletcht auch, wenn
das Pech geborig dickfliissig und die Arbeiter geiibt
sind npch itiehrere, jedoch kaum mehr als fiinf.
8) Bei tiefen utid natnentlich 28E8lligen Schiefsl5chern,
wird das Feuer zu langsam fortgepflan^t, wodurch ein
Zeitverlust enlsleht, der aber durch die Moglichkeit,
mehr Schiisse auf einmal anzuziinden, einigermafsen
compensirt wird.
9) Bei kurzen und namentlich 10,5 zoUigen Schiefslochern,
ermaiia Russ. Archiv. Bd. XI. H. 3 33
500 PbyfikalUch-matliemaiiAche WiMcnschliften.
pflanzt sich das Feuer ziemlich schnell *) fori — und
man muss fiir diese den gewohnlichen Ziindrohren,
wenn sie mit einem Schwefelfaden versehen sind, den
Vorzug geben.
10) Bei Anwendong der Bikforder Ziindrohren muss man
die Schiefslocher mit reinem Letten zu setzen, in dem
sich durchaus keine SUickchen Gestein befinden diir-
fen, d^nn diese konnten die Rohre zusammendfiicken
und abschneiden.
11) 1st aber der Ziinder auf solche Weise beschadigl, so
giebt es kein Miltel den Schuss wieder auszubessern.
Man muss ihn vielmehr ausbohren und von neuem
laden, hierdurch wird nicht blofs Z^itverlust, sondern
gewohnlich auch ganzliche Zerstorung des Ziinders
veranlasst
12) Da das Pech nur mit geringem Lichle und der Bik-
forder Ziinder ziemlich langsam brennt, so darf man
bei einer Verspiilung der Explosion nicht mit Sicher-
heit annehmen da(s derselbe verloscht isl. und sich
dem Schiefsloche naheren. Diese Unsicherheit wachst
mil der Tiefe des Loches.
13) Die Bikforder Ziinder enlwick«ln einen weit weniger
nachtheiligen Geruch als die Schilfrohren, die mit
Schwefelfaden versehen sind.
Nach vielen Versuchen von Bikford selbsi und von Le-
chatelet in Frankretch, soil die Kraft des Pulvers durch An-
wendung der neuen Ziinder um 20 bis 25 Procent vermehrt
werden. Sie schreiben dieses dem geringeren Durchmesser
des Ziindkanales zu. Da ein solcher Erfolg von betrachilicher
okonomischer Wichligkeit ware, indem er eine Verminderung
der Ladung zuliefse, so sind iiber denselben folgende b^son-
dere Versuche angestellt worden.
*) Im Rnssiscben steht dowolno skoro, d. b. wortlicb schnell genug,
soil aber yielleicbt bier so viel als zn schnell bedenten.
D. tJebers,
Versuche uber die Anwendung der Bikford'when Zondrohren etc, 601
I. Versuche mit Bikford'scheii ZundrOhren (in derTsche-
repanowe'r Grube) auf festem erzfiihrenden Quarz.
I. la Or-ten.
Es wurden 34 vierzehnzollige SchiefslScher angeselzt und
von diesen erhalten:
Erfolgreiche- Explosionen - 27 oder 0,7941
Blinde Explosionen « - 0,1765
Spallende aber -nichl lofsreifsende Explosionen 1 - 0,0294
Man verwendete hierbei-. Pulver 5,667 Russ. Pfund oder
das Pud zu 12,68 Rubel gerechnet fijr 1,8247 Rubel
Bikfordsche Rohren 28,5 Engl. Fufs oder fiir 0,2644 - *)
Die 34Schusse koslcn somit, wenn man die kaum merk-
lichen Ausgaben fiir eine sehr geringe Menge Pech vemach-
lassigt, 20891 Rubel oder jeder von ihnen 0,06141 Rubel.
Das durch dieselbe losgerissene Erzmiltel wog 182 Pud,
wonach ieder Schuss etwa 5,35 Pud eingebracht oder die
Sprengungs- Koslcn fur jedes Pud 0,01148 Rubel betragen
halten.
2. Beim Firstenbau.
Es wurden 33 Schusse in demselben Gesteine angeseUt
und durch sie erhallen.:
Erfolgreiche Explosionen 25 oder 0,7576
BUnde Explosionen 8 - 0,2424.
Nach den eben erwahnten Grundlagen belrugen die
Koslen fur . „ , ,
' diese 33 Schusse .2,02756 Rubel
Oder fiir 1 Schuss 0,06144 - ,. • ,
Es wurdfen durch dieselben losgerissen 147 Pud Errtnittel
Oder durch jeden von ihnen etwa 4,45 Pud wonach die Spren-
gungskosten fur jedes Pud 0,01329 Rubel belragen.
.) Da der PreU dieser Rohren in-.Ro^aland dem Verfawer nicht bekannt
ist, .0 ist der obigea Rech„u,g die Angabe der Ahnale. des m.ne.
IV. S^rie, tome 5 p. 126. zam Grunde gelegt, nacb dec da. Meter
derselben 0.1 Frank kostet. Anm. d. Vert.
502 FhysikalUch-mathematische WisseiiBcbftfilen.
3. Beim Solenbau.
Es wuiden wieder 33 Schiiase in demselben Gesteine
angesetzt und von ihnen erhalten:
Erfolgreiche Explosioncn 27 oder 0,8182
Blinde Explosionen 6 • 0,1818,
Die Kosten dieser Schiisse sind so \vie eben angegeben
and es warden durch dieselben losgerissen 135 Pud. MUbin
durch jeden Schuss 4,091 Pud. Die Sprengungskoaten betru-
gen fur jedes Pud 0,01502 Rubel
II. Versuche mit gewoholichen schilfnen Zundrohreii und
Schwefelfadeij.
I. In Or ten.
Von 34 ang^setzten Schiissen gaben:
Erfolgreiche Explosionen 31 oder 0,9117
Blinde Explosionen 3 - 0,0683
Es wurden verbraucht:
Pulver S6um Laden 5,667 Pfund fiir 1,8247 Rubel
desgl. zu den Zundrohren 0,101 - - 0,0325 -
Schwefelfaden 0,010 - - 0,0006 -
Schwefel 0,098 - - 0,0002 -
Verlust durch die Raumnadel 0,078 - - 0,0078 -
und es kosteten somit die 34 Scbiisse 1^8658 -
Oder jeder von ihnen 0,05488 Rubel.
Losgerissen wurden durch sammtliche SehOsse 264 Pud,
so dafs belrugen die Sprengungskoslen fur 1 Pud
0,00706 Rubel.
2. Beim Firsienbau.
Es wurden 33 Schiisse angesetzt die sammllich erfolg-
reiche Explosionen gaben. Nach den eben angegebnen Grund-
lagen betrugen die Kosien fur diesfelben 1,86878 Rubel
oder fur jeden Schuss 0,05632 Rubel.
Es wurden durch diese Schiisse losgerissen 285 Pud Erz
oder durch jeden Schuss 8,5025 Pud und es belrugen die
Sprengungskoslen fiir 1 Pud 0,00652 Rubel.
Versuche iibef die Anwendung' def BiiE!£ord*8Ghen ZundrObren etc. 503
3. Beiai Solenbau.
Es wurden 33 Schiisse angesetzt, die samnitlich erfolg-
reich waren und zusammen 156 Pud oder jeder einzelne 4,6
Pud Erz absprenglen. Die Sprengungskosfen betrugen daher
0,01191 Rubel fiir jedes Pud.
jEs folgt nun aus der Vergieiehung dieser Resultate ihit
den von -den Bikfordschen Rbhren erhallenen:
1) dafs durch die ersleren jedes Schiefsloch um 0,00657
Rubel theurer wird als bei Anwendung der gewohn-
lichen Zundr5hren;
2) dafs die Sprengungskosten fur jedes Pud Erz bei An-
wendung der Bikfordschen Ziinder 1,342 Rubel fiir je
100 Pud und bet Anwendung der schilfenen 0,849
Rubel fiir je 100 Pud betragen.
3) dafs 100 SchOsse mit Bikfordsi^hen Zundern 464 Pud
und 100 - - schilfenen Ziindem 705 -»
Erz losgerissen habe.
Der letztere Nachtheil erklart sich dadurch, dafs man bei
Anwendung der Bikfordschen Ziinder,' aus Furcht dieselben zu
beschadigen, das Schiefsloch weder mil Gesteinstiicken noch
uberhaupt so fesl zusetzen durfte, wie'bei den gewohnfichen.
Im Zusammenhange mil diesem unvollkoinmenen Abschluss,
war auch der Umstand, dafs von den Schiissen mit Bikforder
Zundern 20 vom Hundert, von den gewohnlichen dagegen
nur 2 vom Hundert blind explodirt^ d. h. die Propfen heraus
geworfen haben, ohne auf das ausserst fesle Geslein zu
wirken.
Etwas gunstiger fiir die neuen Ziinder sind folgende
vergleicbende Versuche in der SeKienower Grube aus-
^ gefaUen.
504 Pbyiikatisch-mathematische WitBenscbaften.
I. Versuche mit Bikfordschen Zuodern.
1. In Orleti.
In 20 Sajen Teufe wurden in einem Quarzig-*Kiesigen
Erzmiltel 50 Schiisse angeseUt, von denen erhallen wurden:
Erfolgreiche Explosionen 49 oder 0,98
Blinde Explosion 1 . - 0,02.
Es wurden daeu gebraucht:
8,33 Pfund Pulver fur 2,6833 Rubel
50 Eufs Zfinder - 0,3889 -
oder zusammen auf 50 SchSsse 3,0722 Rubel
oder 0,06144 Rubel fiir jeden Schuss.
Zusammen wurden durch dieselbe 645 Pud Erse abge-
sprengi oder durch jeden Schuss 12,9 Pud Erz, so daCs die
Sprengungskosten f&r je 100 Pud Erz 0,447 Rubel belrugen.
2. Beim Solenbau.
50 angesetzte Schiisse war^n sammtlich erfolgreich^ die
Kosten fiir dieselben so wie eben angegeben, und es wurden*
durch dieselben 620 Pud Erz abgesprengt, wonach die Spren-
gungskosten fiir je 100 Pud 0,497 Rubel belrugen.
«
II. Mit schilfenen Ztindern.
1. In Orten.
Es wurden 50 Schiisse angeselzl die sammtlich von Er-
folg waren. Nach den oben angegebenen Grundlagen koste-
ten dieselben -zusammen 2,7439 Rubel oder
je einer 0,05488 Rubel.
Es wurden durch dieselben abgesprengt 610 Pud Gestein
oder 12,2 Pud durch jeden Schuss, wonach die Sprengungs-
kosten 0,449 Rubel von je 100 Pud betrugen.
Versuche uber die Anwendimg der Bilibrd*8cheii Znndrohren etc. 605
2. Beim Solenbau.
50 Schiisse, die ebenso viel kosteleD, gaben 586 Pud E)rZ|
d. h. 11,72 Pude fiir jeden Schuss und die Sprengungskosten
zu 0,466 Rubel fiir je 100 Pud Erz.
Nach diesen Versuchen war
1) die Vertheuerung der Schiisse durch die Bikforder
Ziinder grade ebenso wie nach dem friiheren Verfah-
ren, namlich 0,657 Rubel auf 100 Schiisse.
2) Die mittleren Kosten von 100 Pud' Erz belrugen
0,487 mit Bikfordschen Ziindern
0,457 mit neuen Ziindern.
3) Je 100 Schusse haben in der S^emenover Grube los-
gesprengt 1565 Pud Erz mit Bikfordschen Rohren
und 1195 - - - den alten Rohren.
Es kann hiernach die Ladung verkleinert werden und
zwar anstalt der 16,67 Pfund, die auf 100 Schiisse verwen-
del wurden, bis auf 15,12 Pfund, und es wiirde dadurch der
Preis von 100 Schiissen mit den neuen Ziindern urn 0,503
Rubel verkleinert.
Der Einfluss den die Einfiihrung des neuen Verfahrens
auf die gesammte Schiefsarbeit des Smeinogorsker (d. i. Schlan*
genberger) Grubenbezirkes am Altai ausiiben wiirdci lasst sich
folgendermafsen iibersehen. Es wurden in diesem Bezirke im
Jahre 1849 angesetzt:
14zollige Schiisse 318308
21 zoUige Schusse 19821
zusammen 338229 Schiisse '
wobei gebraucht .wurden
zur Ladung 1051,92 Pud Pulver fiir 12548,67 Rubel
zu den Ziindern * 26,12 - - - 356,37 -
Schwefel und Schwefelfaden 7,89
Lunten 62,18 -
mithin zu 338229 Schussen 13975,11 Rubel
Oder fur 100 Schusse 4,132 Rubel.
Hatte man dieselben mit Bikfordschen Ziindern versehen
506 Physikaliseh-mathematisobe Wiiseii8cb«fleii«
und in Folge davon die Ladungen um 1,55 Pfund auf je 100
Schiisse verminderl, so wiirden sich die Kosten folgender-
mafsen gestelit baben:
zur Ladung ^0,70 Pud Pulver fiir 11858,62 Rubel
BikfordscheZiindrohren 32493,76 E.F. zu den
14 zSiligeit Schfissen f 07 • j o •
Bikfordsche Ziindrahiw 31796,3E.R zu den ^ ^'^^'^^^
14a6ttigen Schiissen
milhin zu 338229 Schussen 14572,94 -
fur '100 Schusse 4,308 Rubel
oder gegen die alte Anordnung ein Mehraufwand von nahe
an 4i Procenl.
Es isi bei dieser Gelegenheil auch die Brauchbarkeit der
Bikfordschen Zunder bei Sprengungen unterWasser durch fol*
gende Versuche gepriift worden. In dem feslen Erz/iihrenden
Quarz der Tscherepanower Grube wurden in einer eigens
dazu ausgehauenen Holung acht 14 zollige Scbiisse angesetzt
und mil Bikfordschen Rohren versehen, die, mit Ausnahme
ihrer Enden, 10 Stunden lang unter Wasser gelegen batten.
Es wurden darauf die Schusse selbst mit Wasser Ubergosseny
welches bis zu 3,5 ZoII uber ihren Mundungen stand. Die
Zunder haflen eine Lange von 17,5 ZolJ, von denen sich 12,26
ZoU in den Schussen, 3,5 ZoU im Wasser und 1,75 Zoli tiber
demselben befanden. Alle Schusse explodirfen erfolgreich und
es wurden von ihnen 38 Pud Erzmittel oder 4^125 Pud durch
jeden Schuss abgesprengt.
Drnck ron Gcorg Hoitner.
Uebersicht der Bergwerksindustrie in Russland.
Vom
General Tschewkin und Oberst Oserskji*).
WiewobI Russland scbon lange fiir seine mineralischen
Reichthiimer beruhmt ist, so hat sich doch der relative Werlh
derselben jetzt in mehreren Beziehungen weseDtlich geSndert
Die Darstellung und der Verbraticb von Meiallen sind in der
letzten Zeit^ sovvobl ioi wesUichen Europa als in Amerikai so
bedeulend gewachsen^ dafs Quantitaten die noch vor einem
Vierteljahrhundert grofsarlig schienen, jeUt zu den untergeord-
nelen gehoren. In Russland hat sich aber die Metallproduk*
tion, mit Ausnahme der Goldgewinnung, in weit geringerem
Maafse vermehrl. Es werden zu derselben bis jetzt nQcb
ausschliefslich Holz oder Holzkohlen gebraucht und sie ist
schon deshalb bei weitem zuriickgeblieben gegen die Produk-
tionen der West- Eur opaischen Lander, in denen mit fossilem
Brennmaterial geschmolzen wird. Sodann verlieren auch die
Russischen mineralischen Reichthumer durch die Art ihrer
*) Gorny Jurnal 1861. No. 9. Di«Be Abhandlang die sioh auf zuver-
lassigen and meist ofiizieUen Augaben grlindet, wnrde zaerst im J.
1850 fiir die Statistiscben Untersachongen uber Rossland, welche die
Russiscbe Geograpbiscbe Gesellscbaft heraosgiebt, geschrieben, i«t
aber for den spateren Abdrnck in dem Gorny Jnrnal bis zam Rnde
des Jabres 1850 TerToIUtaqdigt worden.
Anmerkung der Verfasser.
Ermans Ruse. Arcbiv. Bd. XI. H. 4. 34 '
510 Industrie und Handel.
Verbreitung, einen belrachtlichen Theil ihres Werthes. Sie
fehlen vielen der ungeheuer ausgedehnten Provinzen des Rei-
ches, und sind dagegen zusammengedrangt in den Uralischen
und iSibirischen, die von den Verbrauchsorten weit abstehen,
und zum Theil aucb der gehSrigen Transportmittel und andrer
zum vorlheilhaften Betriebe ndlhigen Bedingungen entbehren.
In den zuganglichen Theilen des Landes sind dagegen die
meisUnZweige des Bergwerksbetriebes aur unbedeutend, und
es hat derjenige der auf alle iibrigen einen aussersl wichli-
gen Einfluss uben wiirde^ der Steinkohlenbergbau, kaum an-
gefangen sich zu entwickehi.
In Russland gewinnt man: Gold, Silber, Kupfer, Eisen,
Kochsalz und in geringeren Mengen Platin, Blei, Sleinkohle
und Anthrasit. In dem Nertschinsker Revieren giebt es aus-
serdem Anbniche von Zinn-, Zinnober- und Zink*Erzen, die
aber iheils wegen der Entlegenheit des Vorkommens, iheils
wegen ihrer Armuth nicht benutzt werden *).
Wir wenden uns zuerst zum Eisen, als demjenigen Me-
talle welches auf die Bliithe aller Industriezweige von so be-
deutendem Einfluss ist, dais die Erzeugung und der Ver-
brauch desselben, einen Malsstab fiir die Gewerbthatigkeit dnes
Landes abgiebt.
Eisen wird in Russland theils auf Kaiserlichen, theils auf
Privai-Hiltten dargestellt Die ersteren', die hauptsSchiich
dem Verbrauche fiir Regierungszwecke zu genugen haben,
liefern jahrlich gegen 2 Mill, Pud Roheisen, aus welchen nach
Abzug der gegossenen Geschutze und HfiUenulensifien^ nabe
an I Million Pud Stabeisen gemacht wird. Dieses wird so
vorzugsweise fur die Armee und fiir die Flotte verbraucht,
dais nur ein Viertel davon zum Verkauf bleibl. Die PrivaU
hiiUen haben nach einem Durehschnitt aus dem letsten Jahr-
zehnle, jahrlich 11088000 Pud Roheisen geliefcrl, aus welchem
'*') Im Jabre 1850 sind von den Ononer Zinngroben im Nertschinsker
Kreise 23 Pud Zinn gewonnen wor<len.
Anm. d. Verf.
Uebersicbt der Bergwerksmdastrie in Rossland. 5|1
nach einem kleinen Abzug fur verschiedene Gusswaaren,
wiederum im Durchschnitt jahrlich 7370000 Pud SUbeisen
dargestellt warden. DieseZahlen slimmen sehr nahe mil der
Produktion ioi Jahre 1846 , fiir welches in den zwei ersten
Beilagen zu diesem Aufsalz, der Erlrag der einzelnen Hutten-
bezirke angegeben ist. Man ersiehi aus diesen spezielleren
Nachweisungen dafs mehr als f alles dargestellten Roheisen,
von den sogenannten Uralischen Hiitten herstammte und zwar
namenilich :
aus dem Permschen Goiivememenk 7836000 Pud
- Orenburger - 1712000 -
. VVjalkaer - 860000 -
- VVoIogdaer - 142000 -
oder zusammen 10550000 Pud,
Das Uebrige ist, ausser 350000 Puden von den Krons-
werken des Olonezer, des Altaischen und des Nertschinsker
Hiittenbezirkes, von den sogenannten Podmoskowischen (d. h.
in der Nahe von Moskau gelegenen) Privathiitten gewonnen
worden und namentlich:
in dem Kalugaer Gouvernement 870000 Pud
- Nijnenowgoroder - 766000 -
- - Tambower - 189000 -
- . Wladimirer - 143000 -
- - Rjasaner - 65000 -
- - Tulaer - 60000 -
- - Orlower - 60000 -
- - Pensaer - 54000 -
- Kostromaer - 9000 -
oder zuaammeii 2216000 Pud.
So werden denn aus den jahrlich erzeugten 13 Millionen
Pud Roheisen, 12 Millionen in fiinf Gouvernements (und so-
gar gegen 8 Millionen nur allein in dem Permschen) darge-
stellt, und nur die iibrige 1 Million in 11 verschiedenen Gou-
vernements.
In den letzten Jahren hat sowohl die Roheisenproduktion
34*
512 Industrie und Handel.
als auch das Frischen betrachllich zugenommen. Die Privat-
hiitten, die, wie schon gesagt, fast ausschliefsiich fiir alle pri-
vate Bediirfnisse in ganz Russland zu sorgen haben, baben
an Roheisen:
1832 8874000 Pud
und 1849 11556000 Pud
produzirt; mjthin um 30 Prozent mehr in dem lelzteren Jabre.
Indessen sind derartige Vergleichungen nicht mafsgebend, weil
der Betrieb auf den Privathiilten durch verschiedene Zufallig-
keiten beschrankt wird, so namenilich durch den Auslritt oder
die Sparlichkeit ihrer Aufschlagswasser. Die folgende Ver-
gleichung nach zweien sechsjahrigen Perioden ist dagegen
zuverlassiger.
Die mittleren jahrlichen Produktionen
baben betragen Roheisen Slabeisen
zvvischen 1838 und 1844 10481000 Pud 6926000 Pud
— 1844 - 1850 11682000 - 7710000 -
die Zunahme 1201000 - 784000 -
oder gegen 11^ Procenl Vermehrung in 6 Jahren.
Man ersieht hieraus^ dafs die Hiittenbesitzer sich um die
Vermehrung der Produktion bemiihen. Die Nachfrage nach
Eisen im Innern von Russland hat aber so sehr zugenommen,
dafs trolz des Erfolges dieser Bemiihungen, trotz der zuneh-
menden Einfuhr von Eisen aus Polen und Finnland*) und
einer betrachllichen Abnahme der Ausfuhr des Russischen
Eisens, die Eisen -Preise in den sogenannten inneren Gou-
vernemenls nicht gefallen, sondern im Gegentheil noch um
etwas gestiegen sind. Nach sorgfaltigen Nachfragen in alien
Gouvernements und Kreisstadten ist ein Pud Band -Eisen
durchschnittlich bezahit worden:
•) Die Bisenzufahr aus Polen and Finnland betrug um 1838 gegen
150000 Pod und jetzt 250000 Pud jabrlich. Die Aosfuhr ins Aas-
land, die sich 1838 auf 1100000 Pud belief, ist jetzt bis aaf 700000
Pod jabrlich gefallen.
Uebersiclit der Bergwerksindustrio' in Russland. 513
1838 beim Verkauf im Grofsen niit 1,57 Silber-Rubel
beim Deiailverkauf mil ' 1,71
und 1843 beim Verkauf im Grofsen mil 1,59
beim Deiailverkauf mil 1,73
Der Preis des Pudes isl demnach um 0,02 Rubel, d. h.
um elwa 1^ Procenl gesliegen.
Fiir verarbeileles Eisen (5orlowoe jeljeso) war die[Preis-
zunahme weit bedeulender, wie man aus den Borsennachrich-
len uber die Ni^nenowgoroder Messe ersieht
Auf diesem Jahrmarkle, wo jahrlich an 3^ bis 4 Millio^
nen Pud Uralischen Eisens verkaufl werden, bezahll man das
gewohnliche Bandeisen sellen mil mehr als 1 R. S. Die bei
dem Verlriebe im Innern stallfindende Erhohung des Preises,
die Stellenweise bis uber 2 Rubel gehl, riihrl Iheils yon den
mangelhaflen Verbindungsmillein im Innern des Landes, Iheils
von der Art des Handels her, welche durch die groCse Zahl
der Vermilleler unzerlrennlich isl von der Verlheuerung einer
Waare, die so gesuchl isl wie das Eisen. In den meisten
Gouvernemenls und vorziiglich in den wesUichen und siidlichen
verhinderl der hohe Preis desselben eine dem wirklichen Be*
durfniss und der Zahl der Bewohner angemessene Verbrei-
tung*). Eben aus diesem Grunde giebt es in Russland noch
ausserordenllich viele Oerllichkeiten und grofse Dislrikte, wo
*) Es kommt dorchschnitUicb auf jeden Bewohner ein jahrlicher Bisen-
verbraacb :
in Russland von wenig uber 6 Piund
in Preussen, Belgien und Frankreich gegen 40 -
in Nord-Amerika gegen 30 -
aitd in England mit Aasschluss der Colonieen, mehr als 120
Die Darcbschnitftspreise far 1 Pud Band- oder Stab- Eisen sind da-
gegen gegenwartig
in Preussen etwa 1,30 Silber-Rnbel
Belgien - 1,00
England - 0,55
Das Pud Waleser Eisen gilt jetzt in England sogar nur 0^45 S.-R.
Anm. d, Verf.
514 Industrie and Handel,
nur wenige Pferde beschlagen werden, wo Eisen weder an
den Wagen-Axen, noch an denRiidern^ noch sogar an den
Eggen zu finden und wo iiberhaupt das Eisen fur die Be-
wohner noch ein Gegenstand derSehnsucht und der hochslen
Versuchung zum Verunlreuen (iskuschenie) geblieben isl!
Zum Besten des Landes ist es somit aufs aufeerste er-
wiinscht, dafs das Eisen , namentlich der landliehen BevSlke-
rung, weit zugahglicher werde; es gehort aber dazu sowohl
eine Verminderung des Preises als eine betriichlliche Yer-
mehrung der disponiblen Menge dieses Melalles. Jeder be-
trachtiichen Vermehrung der Produktion auf den Russischen
Eisenhiilteu widersetzt sich aber aufs aufserste der jetzige
Zustand der Walder, indem auf alien diesen Hiitten nocK
mit Holz (Kohlen) gefeueri wird. Sie konnen ibren Belrieb
nicht verstarken, ohne zu einer Verarmung der VValder zu
fiihren, welche schon jetzt in vielen Gegenden enlweder ohne
weileres fiihlbar ist oder doch durch Enlfernungen von mehr
als 100 Wersl zwischen den HiiUen und den fur sie arbeiten*
den Meilern. Wahrend der lelzlen zwei Jahrzehnlen'hai zwar
sowohl der Betrieb der Eisenhiitten, als auch die Forstwirth-
schaft manche Verbesserungen erfahren, namentlich durch die
Verwendung von Birkenkohle, die friiher fasl ganz unbenuUt
blieb; die Zunahme der Eisenproduklion seit 1793 » d. h. seit
dem Jahre, in welchem die Ausfuhr des Russischen Eisens
mit 2300000 Pud ihr Maximum erreichle, hat aber dennoch
in 57 Jahren nur 2| Million Pud oder 40 Procent betragen,
und ist somit noch winter der gleichzeitigen Zunahme der Be-
volkerung geblieben.
Dieses Ergebniss beweist, dafs auch fernerbin keine wirk-
liche Hebung der Russischen Eisenindustrie zu erwarten ist,
wenn man fortfahrt sie mit Holz zu betreiben, anstatt sie mit
dem Steinkohlenbergbau auf angemessene Weise zu verbinden.
.In der Thai kann nur die Verwendung des fossilen
Brennma terials zur Darslellung des Eisens zugleich
die gehorige Vermehrung der Produktion und die nothige
Verminderung des Preises herbeifuhren , wie die Erfahrungen
- A
Uebersicht der Bergwerkflioduatrio in Russland. 516
in vielen westlich von tlussland gelegnen Landern aufs d«ul>
iichste beweisen.
So betrug z. B. in England die jMhtliche ProducUan, so
lange man mil Holzkoblen feuerte» nie iiber 6 Millionen Pud.
Sie sank liach Mafsgabe der Verarnxung der Walder und zvvar
im 17. Jahrhunderts bis zu 4 Millionen und um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts sogar bis zu 1 Million Pud. Man wandte
sich darauf zu den Steinkohlen und nacb den erslen Schwan-
kungen.^ die von einem neuen und damals noch vollig unbe-
kannten Verfahren unzertrennlich sind, erfolgte eine rapide
Vermehrung der Rolieisenausbeute.
Sie betrug in den Jahren:
1796 etwa 6 Millionen Pud
1806 gegen 16 - -
1826 . 37 -
1836 - 75 .
und 1846 etwa 140 -
d. h. mehr als das Zehnfache der Russischen Produktion,
welcbe sich doch 60' Jahr zuvor fast auf das Doppelte der
Englischen belaufen, und diese letztere durch eine Ausfuhr
von mehr ab 2 Millionen Pud jahrlich erganzt halte. Bei so
ungeheuerer Vermehrung des Erzeugten ist dann auch der
Preis desselben in entsprecbender Weise gesunken, Das Pud
Roheisen welches in England gegen Ende des vorigen Jahr-
hunderts mit mehr als 2 R. S« bezahlt wurde, kostet jetzt da-
selbst gegen 0,30 S. R.
Tn den Vereinigten Staaten wurden die Hohofen bis 1840
mit Holzkoblen betrieben und von ihnen an Roheisen erhalten
im Jahre 1830 J 1760000 Pud
1840 17250000 -
Es hatte mithin bereits eine betrachtliche Zunahme um 48
Procent in 10 Jahren stattgefunden. Von 1840, wo man sum
ersten Male Anihrazit auf den Eisenhutten gebrauchte, ist aber
die Production bis zu dem im Jahre 1846 erreichten Werthe
von 3l\ Million Pude und mithin um 142.50000 Pud in sechs
Jahren gestiegen; auch wurde etwa die Halfte dieses Zu-
516 Industrie and Handel.
wachses mil dem neuen Brennmaterial dargestellt. Sell die-
ser Zeit hat si'ch die Vervvendung des leUteren noch dadurch
bedeutend gehoben, dafs man in Pensilvanien, wo der Eisen-
betrieb am grofsartigsten entwickelt ist, durch vergleichetide
Versuche nachwiefs, wie die Ausbringung durch Antbrazit im
Vergleich mit der durch Hokkohlen, nur die Halfte des Aus-
lagekapilals erforderl *).
Eine ganz ahnliche Erscheinung wiederholte sich in Frank-
reich^ wo bis 1830 nur Holzkohlen zum Eisenbeiriebe gebrauchl
und nie mehr als 15^ Millionen Pud Roheisen dar^eslellt
wurden. Man fing darauf an, Sleinkohlen zu verwenden und
hat 1848 nur allein mit diesem Brennmaterial mehr als 15
Millionen Pud Roheisen erblasen. Die mittlere jiihrliche Pro-
duktion sUeg auf 15 Millionen Pud, und es wurden ausser
derselben noch 5 Millionen Pud Roheisen aus dem Auslande
eingefuhrL Es kam dazu noch, dafs die Darsteliong des Roh-
eisen mil Sleinkohlen um 30 Prozenl weniger kosiete als mil
Holzkohlen.
Auch in Belgien ist der Hohofenbelrieb mil Steinkohlen
seit 1830 imGange, und hat in den ersten 7 Jahren zu einer
Vermehrung der Roheisenproduktion um 4 Millionen Pud und
in den folgenden 8 Jahren, bis 1845, zu eiher neuen Vermeh-
rung um mehr als 8 Millionen Pud gefuhrt. Die Schmelzung
mit Holzkohlen ist dagegen allmalig bis auf 1 Million Pud ge-
fallen und es fand sich dieselbe um 40 Procent theurer als
die mit Steinkohlen.
Zum Hohofenbelriebe mit fossilem Brennmaterial, ist in
Russland das ausgedehnle Vorkommen des Donezer Anthra*
zites, welches wir unten naher zu erwahnen haben, ganz be-
sonders geeignel. Auf die Ausbeulung dieses Vorkommen in
*) lin Jahre 1846 wurden in Pensiiyanicn allein 15 Millionen Pud Roh-
eisen mit Holzkohlen und 7200000 Pud mil Anthrazit erblasen. —
Vergl. die 1848 in Pliiladelphia erschienene wichlige Schrift iinter
dem Titel: Statistics of coal by Richard Cowling Taylor.
A. d. V.
Uebersicbt der Bergwerksindastrie in Riissland. 517
dem Lande des Donischen Heeres, verwendet jetzi das Kriegs-
Minislerium besondere Sorgfalt, auch sind auf Veranlassung
des Statthalters von Transkaukasien, Knjas Woronzow, be-
reiis Versuche mil der Verwendung dieses Brennmateriales
zum Hohofenbetriebe gemacht worden, und es isl zu hoffen,
dafs das Siidliche Russland bald Vortheil Ziehen wird von mi-
neralischen Schalzen, durch welche sich viele andere Lander
weit mehr als durch Gold und durch alle iibrige Metalle be-
reicherl haben ! Wiirde aber ein Sud-Russischer Eisenbetrieb
nicht den Ural ruiniren?') Eine solche Befurchtung ist aber
schon wegen des oben erwahnten Mangels an Eisen in Russ-
land durchaus unbegriindel; die Erfahrung in den friiher ge-
nannten westlicheren Landern und besonders in Pensilva-
nien beweist, dafs die Eisenproduktion mil Holzkohle und mil
Steinkohie nicht blofs in ein und demselben Lande neben ein-
aiider fortbestehen, sondern auch wechselsweise sich einander
heben konnen, so wie auch, dafs iiberall die Abnahme des
Eisenbetriebes mit vegelabiiischem Brennmaleriale, nur allein
von der Abnahme der Walder herriihrte und somit von dem-
selben Umstande, der auch in Russland bereits zur Aufgabe
der ehemaligen Hutten im Tulaer und im Tambower Gouver-
nemenl veraniassl hat. So lange daher die Uralischen Hill-
ten ihren Waldvorralh mit gehdriger Vorsicht unJ Sparsam-
keit bewirthschaften werden, haben sie keinen Verfall zu be-
*) Diese Frage kann fticli offenbar nur auf die Bevolkerung der am
Ural belegenen Landestheile beziehen. — Da aber diese letztere
in iiberwiegendem Maafse nur der Uiitten wegen aus den begilter-
ten europaischen Provinzen, in diese weit armeren gebracht worden
isC^ 80 scheint uns grade in ihrem Interesse ein kunstlicher Schutz
des Uralischen Eisen betriebes gegen einen dankbareren in einer an-
derenGegend kaum ratbsani. Kr ware wohl ebenso wenig erspriels-
lich wie die MtCtel, die man in andren Landern zur Erhaltang von
Industriezweigen gebraucht hat, die sich nicht aas sich selbst zu
erbalten Termochten.
Anmerk. d. Uebers.
518 Industrie and Ha&d«J.
fiirchien, viel eher k5nnte derselbe einlreten, wenn sie anfin*
gen ibre Produktion unmafsig zu steigern und dadurch so-
wohl ifare Aussicblen auf Brennmaterial, als auch die Giite
ihres Eisens zu schwachen. Obne eine dergleichen Storung
wird das Uraliscbe Eisen noch lange den Absatz finden, den
es der Vortrefflichkeit der Magnelerae, aus denen es gewon-
nen wird, seiner dem enlsprecbenden Giile und der langjah-
rigen Gewohnung an dasselbe verdanki*).
Gold und Silber werden in Russhind fast ausschliefs-
lich in den Asiatiscben Provinzen, und zwar namentlich am
Ostabhang des Ural, in Sibirien und am Kaukasus gewonneD.
In den Europaischen Provinzen wird jeUt nur eine unbedeu-
tende QuantiUil Gold aus einigen Seifen an derWeatseite des
nordlicben Ural ausgebracfaL Die alien Gruben.des Arcfaan-
geler GouvernemenU und namenllicb eine Silbergrube auf der
Baren*Insel (medwe/i ostrow) im Weissen Meere, und die
Woizker Goldgrube in dem Kemsker Kreise nahe an der
Granze des Gouvememenl von Olonez, sind schon im vorigen
Jahrhundert aufgegeben worden. Die erstere ist nach einer
unbedeulenden Ausbeuie versoffen, die Kemsker Grube aber,
die man 1741 eroffnete und indenJahren 1772 und 1794 er*
*) Die Gutartigkeit des Uralischen Eiseni, eignet es besonders zur Fa-
brikation ?on Stalil and yon prath nnd trotz dem Termehrt siefa yoo
Jahr zn Jabr die Einfulir dieser beiden Krzeugnisse. Im Jabre
1846 sind in Rnssland 15000 Pud StabI fur 89000 S. R. eingefdhrt
. worden und im Jabre 1849: 27000 Pad fur 113000 S.R. and ebenso
an Drath 1846: fur 62000 und 1849: fiir 114000 S. R. Ebenso be-
merkenswerth ist die wacbsende Einfohr ?on Maaehinen, deren Anfer-
tigung doch gleicbiialls eine vortbeilbafte Bescbaftigung fpr die eignen
Eisenbutten abgeben konnte. Es sind namlich an Mascbinen einge-
fijhrt worden:
im Jabre 1841 fur 229000 S. R.
Jabre 1846 fur 1291000 S. R.
Jabre 1849 fur 1879000 S. R.
Anm. d. Verf.
|i Hiillen- und
isbeate zwiscben 18
I
ee
0)
bO
• tM
b4
^
ns
n
3
<y3
O
I
c
2|
4|
14
I
i
7635
i
I
19
176028
19
176028
19
17602S
Uebersicht der Bergwerksiadufttrie in Rassland. 519
neuerte, ist seil 1794 verlassen, nachdem sie in 36 Jahren nm*
184,5 Russ. Pfund Gold geliefert halte.
Im Asiatischen Russland wird jeizt Gold gewonnen in den
Gouvernements von Perm, Orenburg, Tomsk, Jeni«eisk und
Irkuzk und in den Kirgisischen Kreisen. Man hal es bekannllich
zuerst und zwar als ein Gangvorkommen, nahe bei Jekatrin-
burg im Jahre 1743 gefunden. Das Bauen auf diese Gold*
fiihrende Gange ist in den Beresower Gruben 1752 angefan*
gen worden und dauerl daselbst noch heule. Es erreichte
seinen grofslen jahVlichen Erlrag im Jahre 1810 mil 22,1
Pud ""). Seitdem aber die Auffindung von Goldseifen einen
weit wohlfeileren Weg zur Erhaltung dieses Melalles darbie-
tet**), werden die Beresower Gruben nur in soweit be*
baut, dafs sie mil zwei Pud jahrlichem Ertrages noch eben
sich selbst erhallen konnen f ). Ausser den Beresower Gruben
sind zu verschiednen Zeiten noch andre meist unbetrachUiche
Gangvorkommen des Goldes in Angriff genommen und eine
Zeit lang bearbeilet, nachher aber aufgegeben worden, so dafs
man 1823 am Ural 8 bebaute und 58 verlassene Goldgruben
zahlte.
Die Bearbeitung der Goldseifen wurde in den Jahren
1814 in dem der Regierung gehorigen Hiittenbezirken ange-
fangen, und 1819 in den Privalbezirken fortgeselzt 1819 be-
gann sie fiir Privatrechnung im Westlichen und 1838 ebenso
*) VergI, mit diesen and dan folgenden Angaben in diesem Archive
Bd. 11. S.528, IX. 636, X. 599. D. Uebers.
*) Nach den im Jahre 1847 abgelegten Recbnangen der Jekatrinbur-
ger, Gruben, betragen die blofsen Arbeitskosten far die Beresower
Brze, die i^x^^ ihres Gewichtes an Gold enlbalten, 151,44 S. R.
far 1 Russisches Pfund Gold. Das Wascbgold aas demselben Gru-
bendistrikte \rird dagegen, bei einem Gebalte der Seifen von nur
TVvWo* ^' i^°r 90,48 S. R. von 1 Russ. Pfund aosgebracht. Bei
gleichem Gehalte wiirde daher die Ausbringung des Waschgoldes am
10 Mai woblfeiler scin, als die des verer^eten von Beresow. A. d. V.
1) Wer aber eigentlich bei dieser Erhaltung eines nicht mebr iohnenden
Betriebes gewinnt, erfahrt man nicht. D. Uebers.
520 Industrie and Handel.
im OesUichen 5ibirien. Wahrend der ersten 6Jahre von 18 L4
bis 1820 lieferten die Seifen in den der Regierung gehorigen
Hiiltenbesirken an Legirtem Golde 24,25 Pud'^), wahrend der
nachsten 10 Jahre von 1820 bis 1830 lieferten die^ theils der
Regierung, theils an Private gehorigen Seifen an (doch wohl
reinem? d. Uebers.) Golde etwa 1670 Pud'*). Von 1830
bis 1840 lieferten die Uralischen und die West-5ibirischen
Seifen zusammen etwa an Gold 4003 Pudf), und man hat
endlich von 1840 bis 1850 aus den Uralischen, den West- nnd
den 0st-5ibirischen Seifen zusammen an Gold gewonnen
12638 Pud.
Von der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis zum Anfang
des Jahres 1851 sind ferner in Russland iiberhaupt, so wohl
*) Die au8 den Uralischen l^eifen der PriTatbezirke im Jahre 1819, d. b.
in dem ersten ihrer BearbeiCong erbaltnen, 0,425 Pud sindzar folgen-
den Periode gereehnet worden. In den Rnssischen Beigwerksberich-
ten wird das Gold unter den drei Benennnngen Schlicbowoe, ligatar-
noe nnd tschistoe soloto, d. h. Sandgold, legirtes Gold and reines
Gold aofgefdhrt. Unter Sandgold Tersteht man mit Einschloss der
Goldklampen denjenigen Zastand, in welchem man es nacb beende*
ter Wasche erbalt» Legirtes Gold nennt man die darch Schmelzong
des Sandgoldes eriialtenen Stncke oder Ganse. Bei dieser Schmel-
zung werden schon einige fremdartige Beimengongen abgeschieden
und daher das Gewicht am etwas vermindert. Unter reines Goid
yersteht man dagegen das Ton alien fremdartigen Bestandtheilen ge-
(rennte , welches man in dem Petersburger Miinzhofe theils aus dem
Legirten, theils aus Sibirischen Silbererzen erbSlt. Verschiedenheiten
in den Angaben der jahrlicben Aasbeute ruhren wohl meistens yon
den Gewichtsunterscbieden dieser drei Kategorien her, wiewobl die
definitiyen Abscbliisse sich immer aof die Menge des reinen Gol-
des beziehen. Anm. d. Yerf.
**) Der Ertrag der iSibirischen Seifen im Jahr 1929 ist trotz seiner Ge-
ringfugigkeit in dieser Rechnung mit inbegriffen.
Anm. d. Verf.
t) 44,83 Pud Gold wefche die 0st-8ibirischen Seifen 1838 und 1839,
d. h. yvahrend der zwei ersten Jahre ihrer Bearbeitung lieferten, sind
hier zar folgenden Periode gereehnet. Anm. d. Yerf.
Debersiclit der Bergwerksindustrie in Rassland. 52 (
aus dem vererzten iind Sandgolde, ab aus.dem Goldhaltigen
Silber^ an reinem Oolde ausgebracht worden:
Von den Uralischen theils der Regierung, theih an Private
gehorigen Gangvorkommen seit dem J. 1751 623,38 Pud
von den Uralischen Seifen seit 1814 7521,60 -
aus dem Altaischen Silber seit 1745 2470,95 -
nus dem Nertschinsker Silber seit 1752 77,85 -
aus den Altaischen der Regierung gehorig, Seifen
seit 1831 459,46 -
aus den Nertschinsker, der Regierung gehorig,
Seifen seit 1833 234,77 -
aus den an Private gehorigen 5ibirischen Seifen
seit 1829 9876,03 -
aus der Woizker Grube von 1745 bis 1794 4,61 -
aus dem Kirgisischen Siiber in den Jahren 1849
und 1850 0,97 -
in Allejn also bis zum Anfang des Jahres 1851 : 21269,43 Pud
reines Gold.
Von diesem Gesemmtertrage kommen 0,868 oder 18460
Pud auf die zweile Halfte der.Periode, in der er erhallen
wurde.
Nach einer so schnellen Entwicklung der Goldgewinnung
in Russland, ist auf eine fernere Vcrgrofserung derselben
kaum zu hoffen *),
Schon seit mehreren Jahren sind keine erheblichen Ent-
*) Dafs die SchnelliglLeit der Entwicklong an and fur sich nictits weni-
ger als eine Erklarung des Stillstandes derselben enthalt, ist doch
schon ofler erwahnt. Vergl. in dies. Arch. Bd. IX. S. 721, VI11.654,
VII.745a. a., wo aber zngjeich auf die von dem Goldwaschen unzer-
trennliclien Nachtbeile fiir die Bewohner eines schwach bevolkerteu
Landes bingewiesen wurde. Ks sind diese die, in ^ibirien ebenso
wie in vieien anderen Gegenden der Erde^ diesen Industriezweig be*
schranken werden, ehe nocb die Menge des ausgebrachten GolU sich
der wahrscheinlich vorhandenen merklich genahert hat.
D. Uebers.
522 iadostrie and Handel.
deckungen gemachl worden *), u n d die Lusi zum Goldsuchen
hat abgenommen **). Unlerdessen werden die bearbeiteten
Seifen allmahlich erschopft; der Gehalt ihrer Sande nimmt
fiihlbar ab und die Ausbeute der Privatbesilzer, namenllich
der Ost-Sibirischen, ist im Sinken. Diese ist von' 1371 Pud,
denen sie im Jahre 1847 gleichkam, im Jahre 1849 auf 1186
Pud, 1850 aber auf 1008 Pud'gesunken und es scheinl eine
fernere, vielleicht sogar schne]le, Abnahme bevorzuslehpn,
wenn sich nicht etwa die 5ibirischen Unlemehmer zu den
Grundregein der Bergwerksoconomie verstehen, nach denen
man raehr auf dieDauer desGewinnes, als auf dessen schnelle
Eriangung zu sehen hat. Sehr lehrreich ist in dieser Bezie-
hung die Bewirthschaftung der Uralischen Seifen, welche seit
mehr als 25 Jahren eine constante Ausbeute liefert, obgleich
der Gehalt der bearbeiteten Seifen belrachtlich "libgenommen
hat. Von legirtem Golde ist am Ural Iheils fiir die Kegie-
rung, theils fiir Privalbesitzer durchschnittlich ausgebracht
worden zwischen 1825 und 1830: 265 Pud jahrlicb und zwi-
schen 1838 und 1843: 300,5 Pud jahrlicli.
Wiihrend der folgenden fiinf Jahre betrug dagegen die
dortige Ausbeute an legirtem Golde:
1846 313 Pud
• 1847 334,5 -
1848 334 -
1849 342 -
1850 331 .
Der mittlere Gehalt der am Ural verwaschenen Sande
der sich zwischen 1814 und 1849 auf -^rj^jg belief, ist aber
*) Nur in dein derRegierong geliorig^ Nertschinsker Grnbendittrikt an
den Zafliissen der Schilka, hat man vor Karzem so ergiebige Seifen
gefiinden, daOs die Aosbente dieses Distriktes^ die von 1846 bis 1849
jahrlicli etwa 26 Pud betrag, im Jahr 1850 aaf 72 Pad gestiegen isU
Anm. d. Verf.
**) Hier soUte es wohl heissen: weil die Lnst 2am Goldsuchen abge>
noramen hat. D. Uebers.
^ite 522 u. f.
1850.
Gewonnen:
Gold.
Auf den Uralischen Privalv
desgl. in der Orenburger
Zusammen aus den B<
des Ural
legirles
149
52
26
16
. • • •
In den Bezirken:
der Kirgisen ....
von Tomsky Atschinsk, Miq
und Krasnojarsk . .
von Kansk , Nj;neudinsl|
irkuzk \
der Sudhalfte von Jenim^
der Nordhalfte von Jeni^e
von Werehneudinsk . .
von Olekma . . . . .
Zusammen auf den
schen Privatwerken
202
Waschgold
1
89
38
299
572
32
In
Ausserdem wurde
Plalina
Osmio - Iri
Ermans Russ. Archly. Bd. XI.
22
35
18
22i
8i
.10
5i
Waschgold
1034 I U
legirtes
1008 I 14
legirtes
1210 1 16
Uebersicbt der Bergwerksindostrie in Russland. 523
utn 1846 noch untir ^ti^Vtht gesunken. Ja es giebl dort so*
gar ganze Distriktc, in denen die Sande noch unter r^vVtrv
legirten Goldes enthalten und in dem Jakowlewschen Hiilten-
bezirk von Werchne Iseisk wurden schon seit mehreren Jah-
ren jahrlich 50 Pud aus Sanden gewonnen^ deren Gehalt im
Durchscbnilt TT^iTrinr belragt.
Der Zustand in dem sich die Uraliscbe Goldgevvinnung,
trolz der allgemeinen Verarmung der dorligen Seifen zu er*
hallen weiss, beweist am besten, dafs dieselbe sowohl in tech-
nischer als in okonomisoher Beziehung betrachtlich vervoU-
kommnet ist. Nichts destoweniger hat sie, wahrscheinlich in
derselben Weise wie die 5ibirische Ausbeute, ihr Maximum
erreicht*), und wird demnach nun die Goldgewinnung in
Russland Uberhaupt continuirlich abnehmen. Es ist
dieses das allgemeine Schicksal der Lander, die Gold aus Ge-
steinschutt oder Seifen gewinnen. So waren einst in Europa
viele Flussthaier und Schluchten wegen eines Goldreichihums
berubmt, dessen Ausbringung man nun schon lange aufgege-
ben hat*'*). In Brasilien wurden um die Mitte des vorigen
Jahrhunderls auf Waschwerken jahrlich 800 Pud Gold aus-
*) Es B€heint doch nicht dafs die Abnahnxi in beiden Gegenden ana
demselt>en Grunde erfolge, denn wahrend in dem beschrankteren
Uralnchen Gebiete in der Tbat die ergiebigeren Seifen sich allmalig
erschopfen werden, kann in Sibirien, wo offenbar viele Gold-
fiihrende Gebirgssysteme kaum erst dem Namen nach
bekannt sind, an ein ahnliche's Verbalten noch nicht gedacht wer-
den. Dort liegt yielmehr die nachste Ursache der Abnahme der Gold-
Produktion oiFenbar in dem Erkalten des Eifers der Privatleute fur
dieselbe, and die entferntere demnach hocbst wahrscheinlich darin,
dafs in jenen ausserst sebwach beyolkerten Gegenden, die nothige
Zaltl Ton Arbeitern entweder gar nicht mehr zn finden ist, oder doch
nicht zu Preisen die, neben den jezt betrachtlich erhohten Abgaben der
Goldsucher an die Regierung, den ersteren noch bedeutende Vortheile
Ubrig liefsen. E. .
*) Vergl. uber dieses Verhaltniss im Allgemeinen und namentlich in Bob-
men, d. Arch. Bd. Vlf. S. 745. D. Uebers.
524 Industrie unil Handel.
gebracht, wiihrend jelzt die entsprechertde Ausbeute nichi
ganz 50 Pud betragt.
Silbererze kommen in Russland mil Bleierzen vor,
und werden auch zu grofserem Theile mil diesen zusammen
verhiitteL Die vorzuglichslen Russ. Silber- und BleigruBen
liegen in 5ibirien. Es giebt aber auch Anbruche von Silber-
halligen Bleierzen in den sogenannten Kahlen (iohen (nag61-
nyja woswyschenosli) des Donezer Landes und am Ural, in
den Distrikten von Ni/ne Tagilsk, Sy^erlsk und Jekairinburg.
In dem letzteren sind von 1814 bis 1820 gegen 40 Pud Sil-
ber ausgeschmolzen worden. Seit der Entwicklung der Gold*
Industrie ist aber diese Produkiion aufgegeben und jeizl war-
den Silber und Blei nur am Altai und in dem Nertscbinsker
Kreise gewonnen, auch sollen eben amKaukasus und jenseils
des Irtysch in der Kirgisensteppe die dazu nolhigen Hiitteti
eingerichtet werden *).
Am Altai hat die Silbergewinnung schon 1743 angefan-
gen und seit 1785 haben die dortigen Hiitten nicht unter lOOO
Pud Silber in jedem Jahre gelieferti obgleich viele reiche Gru-
ben schon ersehSpft und andre nahe daran sind. — ZurAus-
bringung dieser 1000 Pud Silber wird in dem, 1849 ausgege*
benen, Reglement fiir die Altaischen Hiitten vorgeschrieben: in
jedem Jahre 5156000 Pud unsortirter Erze aus den in Betrieb
stehenden Gruben zu fordem und 3195000 Pud von den Hal-
den der frtiheren Baue, zusammen also 8351000 Pud, aus
welchen dann durch gehoriges Ausklauben 5352000 Pud zu
verschmelzende Erze mil einem Gehalt von 1449 Pud Silber
hervorgehen wiirden. Der Ueberschuss dieser lelztern Quan-
titat liber die jahrlich.ausgebrachlen 1000 Pud, der mehr als
30 Procent betragt, deckt den Abbrand und anderweitigen
Verlust, welche sowohl wegen der Schwerschmelzbarkeit der
Erze, als auch wegen des Mangels an Sulfareten und an Blei
in denselben, unvermeidlich sind. Der Mangel an Blei wird
zum Theil durch Beziehung von dergleichen aus dem Nert*
♦) Vergl. in rliesein Archive Bd. X. S. 156. D. Uebers.
Uebersiclit der Bergwerksinfluatrie in Rossland. 525
schiDsker Hulten gedeckl, auch versucht man jetzt es vonPe^
tersburg aus nach dein Altai zu schicken. Es sind zu diesem
Ende zunachst 25000 Pud auslandischen Bleies fQr 2 S. R.
das Pud gekaufl and Conlracle zuin Transport desselben nach
den Allaischen Hiitlen fiir 1,5 Rubel vom Pude geschlossen
v^orden. — Im Jahre 1849 betrug der Gehalt aller bekannt
gewordenen Erze in deiu Allaischen Bezirke 31148 Pud. Viele
Gruben und Schurfe sind aber noch nicht vollstandig unter-
sucht und enlhalteii wahrscheinlich noch unbekannte Vorrathe.
In dem NertschinsJcer Distrikt hat man schon seit 1704
angefangen, Silber zu gevvinnen. Bis 1747 vvurde aber davon
nur wenig und namentiich nicht uber 20 Pud jahrlich aus-
geschmolzen. Seit diesem Jahre ist die dortige Produktion
gestiegen^ hat 177^ ihr Maximum mit 630Puden erreicht und
darauf wieder continuirlich abgenommen, bis dafs sie in den
letzten Jahren wieder nicht ganz 200 Pud betrug. Seit 1804
haben dieselben Hutten jlihriich an Blei 10000 bis 20000 Pud
fiir den Altaischen Bezirk und ausserdem 3000 Pud zum
Verkauf geliefert. Es werden in den Nertschinsker Gruben
jahrlich gegen 600000 Pud Erz gefordert, welche durchschnilt-
hch sVttt Silber und ^V Blei enlhalten. Die Aufbereitung
dieser Erze besleht in Pochen und in einer Wasche,
welche etwa die Halfte ihrer Masse wegnimmt, so dais ihre
Yerschmelzung mil einem Gehalle von gegen tVtt Silber und
•2V Blei erfolgt. Die dortigen Vorralhe wurden 1840 auf
5215821 Pud Erz veranschlagl mit einem Gehalt von 1827
Pud Siiber und 158472 Pud Blei. In dem folgenden Jahre
(1850) sollte die Silberproduktion daselbst auf 100 Pud und
die Bleiproduktion auf 15000 Pud beschrankl werden, damii
die dadurch disponibel werdenden Krafle einen starkeren Be-
trieb der Gold waschen erlaublen, so wie auch die Entdeckung
neuer Erzvorkommen und die Unlersuchung der alien. Wirk-
lich ausgebracht wurden in dem Nertschinsker Bezirke wah-
rend des Jahres 1850 sogar nur 68 Pud Silber, und es ist
nun aufgegeben worden im nachslen Jahre die Produktion
Brmaas Rum* ArchW. Bd. Xi. H. 4. 35
526 Industrie rniil Handel.
femerhin und zwar bis aof 50 Pud Silber und 5000 Pud
zu beschranken.
Sowohl das im Altai als das bei Nertschinsk gewonnene
Silber enihall.Gold, welches in dem Pelersburger Miinzhofe
abgeschieden wird. Dieser Gehalt ist nicht constant und ent-
steht vorziiglich durch die Verschmelzung giildiger Silbererze.
Der Werth des S'tbirischen Silbers wird iibrigens dadurch be-
deutend vermehrt, so enthielten s. B. die im Jahre 1846 aus-
gebrachten 1194,25 Pud Silber, 46,67 Pud reines Gold and
von dem Gesammtwerth derselben der 1670000 S. R. belrug,
kamen
' 650000 S« R« auf das Gold
und 1020000 S. R. auf das Silben
Jenseits des Irtysch hat man in dem Karkaralischen und
Bajan Auler Kreisen der Omsker GrSnzprovins, ziemlich reiche
Anbriiche von Silberhaltigem Blei und in der Nahe derselben
Steinkohien gefunden. — Es sind daselbst ausgeschmolsen
worden :
von 1844 bis 1850 8741 Pfund Blei
und 1849 10,5 Pud Silber
auch sind von dort im Jahre
1850 14,75 Pud Silber nach Petersburg
geschickt worden. Die Verhuttung erfolgt mit Steinkohien
und es sind daselbst in der beaten Grube bis jetzt als vor-
handen nachgewiesen 50QD00 Pud Blei und gegen 525 Pud
Silber •).
Am Kaukasus sind die zum Kasbek und Elbrus gehSrige
Gebirgslheile sehr reich an Silberhaltigem Bleiglanz. Man
zahlt gegen 50 Anbriiche dieses Erzes. Auch kennt manSil-
*) Dieser Betrieb ist in den Kirgisisohen Distriktem far Rechnvng det
Comerzienralbs Popow aufgenommen worden, bei dem die Altai*
schen Hatten fur vier Jahr jahrlicli 10000 Pud Blei zu 2,8 S. R.
▼om Pude, frei bis zur Hutte bestellt haben. Die Vermehrung die-
ser Produktion wiirde die Bleitransporte yon Nertschinsk and yon
Petersburg bis zum Altai, unnothig machen.
Anm. i, Verf.
1
(Die Rassische Bergwerksindastrie. Tafel 5.) Za Seite 527 b. f.
fShrt
Aasgefobrt
ins Aasland:
8n,
Ziuammen
zam Werth
inSilber Ton
Gold and
Silber in
Barren for
Gold- and Silbennanzea.
ZoMmmen
zom Werth
in Silber von
e
1
AaslSndiscbe
Rnuiacbe
1
a
X
a
"S
D
es
J
a
08
2108344
3575458
1126499
1053777
5755734
feo
5529757
39274
1148610
1319151
>2508035
00
6981765
17794
850973
1077283
1946050
|36
30207087
15688
948398
376800
5340886
fe7
19235330
4512
1112729
310912
1428153
21
13586158
4230
1002511
193288
1200029
93
14609107
16961
1063142
613418
1693521
^2
22916397
12663
1463502
1573173
3049338
75
' 7868144
19214
•1118906
2081414
3219534
19
8041246
44355
1858189
5189166
7091710
34
8204663
71226
1349961
3552513
4973700
J3
7647903
4810461
1326849
8433523
14570833
/
I3eber8icbt der BergwerksinduBtrie in Rossland. 527
bervorkommen in Dagestan, in der Kubeter Gegend und in
den Daralagesischen Bergen, vorzuglich aber in Grusien bei
detn Achlalischen Kloster, wo bis um die Mitte deB vorigen
Jahrhun Jerts, jahrlich gegen 100 Pud Siiber ausgebracht wur-
den, jetzt aber der Betrieb ganz aufgehort hat, wegen angeb*
licher ErschSpfung der Grube. An alien diesen Orten wird das
Blei, vorzuglich zu Flintenkugeln, von den Cingebornen ohne
Riicksicht auf den Siibergehall ausgeschniolzen. Bei einem
der reicheren Anbriiche von Silberhaitigem Bleigianz in der
Alagirer Schlucht, 40 Werst von Wladikawkas, wird aber jczl
auf Kosten der Regierung eine Hiille angelegt, die furs ersle
jahrlich 100 Pud Siiber und 36000 Pud Blei ausbringen soli').
Bis 1851 ist iiberhaupt an reinem Siiber in Russland ge-
wonnen worden:
In dem Nertschinsker Kreise seil 1704 beim Pud
Blicken 24922,9954
In deal Altaischen Kreise seil 1745 beim Blickeu 82161,2385
Aus der Uralischen Siibergrube**) von 1814 bis 1820 40,7448
Aus dem der Regierung und den Priyalen geho*
rigen vererzten Golde vom Ural scit 1754 62,5439
Aus dem der Regierung und den Privat^n gebo-
rigen Waschgolde vom Ural, seil 1814 634,1787
Aus dem der Regierung gehorigen Waschgolde
vom Allai, seit 1831 57,6147
Aus dem der Regierung gehorigen Waschgolde
von Nerlschinsk, seit 1833 8,8306
Aus dem den Privaten gehorigen <Sbiri8chen
Waschgolde seil 1829 805,9415
Aus dem Golde von Woizk 0,4542
In Grusien von 1805 bis 18071) 2,3416
In den Kirgisischen Dislriklen seil 1849 22,1265
Oder zusammen 108719,0104 Pud = 4358760,416 Russ. Pfund.
*) Vergl. in d. Arcb. Bd. X. S. 156. D. Uebers.
**) Die logenannte Perwo-Blagodater die 20 Werst nordlicb von den
Berenoyimr Goldgangen im Jekatrinbarger Kreise liegt.
•f-) Beim Probeichmelcen.
35*
g28 Indastrie and Handel.
Die Russische SHbergewinnung gehort demnach nicht zu
den bedeutendereti , bringl aber dennoch durch ihre Dauer
einen erheblichen Gewinn. In dem letzien Jahrhundert sind
in den Altaischen und Nert^chinsker Hiillen fiir eiwa 130 Mil-
lionen S. R. Blicksilber ausgebracht worden, d. tu ttir etwa 5
Millionen mehr als der Werth des in 20 Jahren fur fibirische
Privalbesilzer ausgebrachten Goldes. -^ Jenes Sbirische Sil-
ber ist aber nicht allein wegen seines inneren Werlhes fiir
die Slaaiskasse *) beachtungswerth, sondem auch weil es eine
ausgedehnte Provins belebi, deren Bewohner nur allein
durch den Bergbau, durch diescn aber in mehr als gewohn-
Uchem Wohlstandei erhalten werdea.
Nach dieser Rechenachaft iiber die Russische Gold- und
Silberproduklion, isl es von Interesse> den Werlh von denje-
nigen Quantitalen dieser Metalle zu vergleichen die wahrend
der letzien 25 Jahre ausgebracht^ vom Auslande eingefiihrt
und in Rus»land gepragt worden sind. Von 1826 bis 1851
hat man an Silber und Gold zuaamoaen:
gewonnen fur 285769000 Silber*fiubel
vom Ausland eingefiihrt in Barren
Oder fremden Munzen - 189295000
ausgefiihrt - 48350000
so dads das Hinzugekommene den
Abgang ubersteigt urn 426714000*') -
Von diesen wurden zu Miinzen
gepragt fiir 340000000
Zu Medaillen gepragt - 1707000
In Barren ausgegeben * 39462000
Oder zusammen - 381169000
*) Nach'dem 1849 aosgegebenen Reglement for die Altaiscben Hatten,
betrogen sSmmtlicbe Ko8ten for die Antbrlngang tob 1 Pad Blick-
silber 560' S. R. und der Wertb dest^lben betrs^t, den Golgebalt so
angenommen wie man ibn 1846 gefnnden hat: 1510 S« R. A. d. V.
**) Von Rossischen Miinzen warden in diesen 25 labren auagefohrt
fur 105887000 S. R. ond eingefuhrt fur 117000000 & R. Dieser
Uebersclioss von 11113000 S. R. ist aber in dem obi^en Abschlass
nicht mit aafgenommen, da er nor als eine Rackkebr des in Mheren
Jahren uberschiissig aosgefiihrten zo beCrachten ist. A. d. V.
Uebersicht der BergwerksindasCrie in Russland. 529
Diese Summe bleibt hinter der vorgenannten deswegen
zuracky weil in dem Petersburger Miinzhofe ein bedeutendet
Theil der in einem Jahre gewonnenen MeUilIe erst in dem
folgenden verarbeitet oder ausgegeben wird *).
Es sind also inRussIand von 1826 bis 1851 fur 340000000
Silber*Rubel, an Gold und Silber ausgepragt worden. Um
aber auf die Menge derjenigen IVlunzen aus diesen Metallen
zu schliefsen, welche gegenwartig daselbsl tm Umlauf sind,
hal man noch das vor 1826 gepragte Geld, das vom Aus*^
land eingefiihrle und die Ausfuhr von Mtinzen in Betracbt zu
Ziehen.
Wahrend des Jahrfaunderts welches der Regierung der
Kaiserin Catharina II. vorherging, oder genauer von 1664
bis 1762 wurden in Russland gepragt:
Goidmunzen fur 2445000 S. R.
Silbermunzen fur 90535000 5. R.
oder zusammen fiir 92180000 S. R.
Diese Miinzen sind sammtlich bereits ausser Umlauf, theils
in Folge ihres Alters, theils auch weil jelzt ihr innerer Werth
ihren Nennwerlh iibersliegen haben wiirde.
Unter der Regierung der Kaiserin Catharina II. von
1762 bis 1796 wurden gepragt:
Goidmunzen fiir 15938000 S. R.
Silbermunzen fiir 70941000 S. R.
oder zusammen fur 86879000 S. R.
Unter der Regierung Paul I. von 1796 bis 1801:
Goidmunzen fur 2169000 S. R.
Silbermunzen fur 10018000 S. R.
oder zusammen fiir 12187000 S. R.
Die Goidmunzen aus diesen beiden Perioden sind ebenfalls
fast vollstandig ausser Curs. Von den Silbermunzen findet
*) Wie dieser CmsCand aiif das Resultat einer 25jahrigen Periode so
betraolitlich wirken kdnne, ist ant nklit klar, da in solcbem Zeit-
raame aller Wahrsoheinlicbkeit nach, eine Compensation jener einjah-
rtgon Diiferenzen batte erfolgen miissen. I>. Uebers*
530 Indoalrie ond HaadeU
man aber die Rubel-Stiicke noch jetti lieinliGh haiifig und
man kanti annehmen dafs da von ein Driilkeil, d» ii. gegen
27000000 S* R. im Umlauf sind.
(Jnler Alexander 1. von 1801 bis 1826 wurden gepragi:
Goldmiinsen ttir 43146000 S. R.
Silbermiinsen fur 110264000 S. R.
oder zusammen fiir 153410000 S. R.
Die Halben-Imperiaie aus dieser Regierung koinmen noch so
haufig vor, dafs man mehr als ein Viertel derselben als noch
vorbanden belrachlen kann, d. h. tur 11000000 S. R. Gold-
miinzen aus den genannlen Jahren und ebenso von den Sil-
bermiinzen aus denselben eiwa ein Drillel, d. h. fiir 37000000
Si]ber Rubel.
Von dem unler der gegenwarligen Regierung gepr$glen
Gelde diirften theils in Folge seines Alters, theils als Sold fiir
Russische Truppen im Auslande*) etwa ein DriUel der Gold-
miinzen oder fQr 750000007 S. R. und ein Secbstel der Sil-
bermiinsen, d, h. fiir 14000000 S. R. in Abzug zu bringen
sein — und man hat somit endlich als Gesammtmasse des
Rus^ischen (Gold- und Silber-) Geldes im Anfang des Jahres
1851 anzunehmen:
Goldmiinzen fur 190000000 S. R.
Silbermunzen fur 136000000 S. R.
oder zusammen fur 326000000 S. R.
Von diesen sind in der Bank der Statsschuldscheine fiir
nicht voll IQOOOOOOO S. R. niedergelegt **). Es mussen da-
her fiir mehr 226000000 S. R. im Umlauf sein. Diese Summe
scheint allerdings bed^ulend. Bei der grofsen Ausdehnung
des Reiches und dem alten Volksgebrauch, Geld zu ver-
sleeken und sogar zu vergraben, ist sie aber minder wahr-
nebmbar als man glauben sollle.
*) Dieser Poaten ist unter dem Nachweiss der Ausfnhr voo Grold uid
SUber nicht mit aufgenommen. Anm. d. Vert
**) Bin Theil der bei dieser Bank deponirt«n Werthe bestebt bekannt-
lieh in Gold- and Silberbarren. Anm. d. V«r£
Uebersicht der Eergwerk^indiisCrie in Rassland. ^l
An aualandi9cheii Manzen warden von 1826 bis 1851
nach Russland eingeluhrt fur 104436000 S. R.
aus — ' ausgefuhrl ftir 22751000 S. R.
und es blieben somii daselbsl fur 81685000 S. R.
Dieser betrachtliche Ueberschuss der -eingefiihrten Miin-
zen iiber die ausgefuhrlai, isi um so bemerkenswerther^ da
er auch wahrend der lelzten zwei Jahre nicht abnahm, wo
doch die Nachfrage nach Russischem Golde und Silber so
slark war, dafs die Regierung die Ausfuhr Russischer Miin*
z>ea eine Zeitlang heiutnle« Sie wurde erst im November 1849
wieder fm gegeben. Ein betrachliicher Theil der auslandi-
scben Miinien wird tibrigens zu Barren geschmolzen^ theils
fiir den Handel, iheiU zur Umpragung oder anderweiligen
Verarbeiiung *), Man kann demnach nicht niehr als ein Vier-
lei oder for 20000000 S. R. vpn diesem Zuwaehs als in Urn-
lauf gelrelen andehmeni und es isi somit endlich der Ge^
saodoitwerih der zu Anfang des J^res 1851 in Russland yor-
handenen Gold- und ^ilbermunzeB auf 346000000 S. R. zu
veraoschlagejs.
P latin a findet 9ich in Russland in Schuttlagern die theils
auch Gold fiihren, theils den GoldseiCen nahe liegen. Als Be-
gleitid* desGoldes konimt es, jedoch in geringen Mengen, in
vielen Uralischen und ^ibirischen Seifen vor. In betrachlii-
cher Menge wird es dagegen aus den eigenllichen Platinsei-
fen am Ndrdlichen Ural und namentlich in den Tagikker und
dem angrauzenden Hiittendistrikt gefordert ^*). Wahrend das
*) Gold- und Silberwaaren werden theits aas alten Brucbstucken nach
deren Umschmelzung in dem Probirhofe, theils aus Barren angefer-*
tigt. — Nach dem Berioht des Probirhofes fur 1846 wurden ^aselbst
geschmolzen 43 Pnd Gold and 2489 Pud Silber qnd an Waaren ga*
stempelt 12^ Pud Gold und 2726 Pud Silber. Dieses Gewicht be-
zieht sich auf yerschiedene Legirungen. Nach Reduktion desselben
auf die Bestandthcile erhalt man aber 56 Pud reines Gold und 250
Pud reines Silber oder zusammen fur 1 Million Silber- Rubel, die
wahrend eines Jahres (1846) zu den im Probirhofe dargestellten Bar-
ren Terwendet wurden. Anm. d. V^rf.
♦♦) Vergl. in d. Arch. Bd. H. S. 744, 111. S. 139. D. Uebers.
532 Industrie and Handel.
Gold vorzugsweise an der Ostseile des Ural vorkomtnl} Gndet
sich das Platin fast ausschliefslich an der WesUichen.
Seit 1824, d. b. seit der Entdeckung dieses Metalles in
Russlandy sind bis 1851 am Ural gefSrderl worden:
2061,7 Pud robes Platin
und davon 1990 Pud in dem Bezirk der Nijne-Tagiler
Hiitten 32 Pud in dem Bezirk der GoroUago-
daterHutten, und die iibrigen 39,7 Pud aus UraKschen Gold*
seifen.
Der Nj/ne-Tagiler Platinsehutt ist der reichste von alien
bis jelzt bekannten. Im Jabre 1829 hat er 91 Pad Plalin
geliefert und dabei einen durchschnitllichen Gehalt von -gVoir
seines Gewiebtes an diesem Metalle geseigt. In den folgeti-
den Jabren verminderte sieb zwar dieser Gebalt fortwabrend,
aber die jabrliche Ausbeute belief sich auf 100 und sogar 200
Pud, bis dafs im Jabre 1845 die Annabme des Platin in dem
Pelersburger Miinzbofe aufborte und die vorbandenen Mun-
zen aus diesem Metalle aus dem Verkebr gezogen wurden.
Diese Mafsregel veranlassle die Tagilsker Besitzer, die Platin-
wascbe ganz aufzugeben, obgleicb ibre Lager nocb eine be*
trSebtlicbe Quantilat dieses Metalles entbalten.
Kupfererze sind in Russland h^ufig. Der Ural ist reich
an dergleicben: die gr^fsten Vorralbe davon liegen aber in
den entfernteren Tbeilen von Sibirien, wo sie iibrigens noch
wenig benulzt werden. In friiberen Zeiten wurde in dem
Olonezer Gouvernemenl auf Kupfer gebaut. Das dortige
Vorkommen bestand aber in Nestern und ist, weil es nicbt
ausgedebnt schien, scbon lang&t aufgegeben.
In den an den Ural grSnzenden Gouvernements baben
die Kupfererze an der Westseite und die an der Ostseite des
Gebirges, einen durcbaus versebiednen Cbarakter*). An der
. Westseite in den Gouvernements von Wjatka, Perm und
Orenburg, sind viele Qegenden ausserst reicb an sandigen
*) Vergl. iiber dieses VerhaUniss a, a. Ennan Reise n. s. w. HMtorbcbe
Pericfat Bd. I. S. 351, D. Ueber»,
Uebersicht der Bergwerksindustrie in Rossland. 533
Kupfererzen , die schwach fallende Schichten von meislens 2
bis 28 Zoli und in seltenen Fallen bis %u 84 Zoll Machtigkeit
bilden; auf der Osiseite findet sich dagegen das Kupfer mei-
stens auf Gangen, unier denen jelzt die reichste Ausbeute
liefern der Gumeschewer in dem Hiiltenbezirk von Syserisk,
die Turinsker in dem Bezirke von BogoAlowsk, und der Rud-
jansker in dem von Tagil. In den Gruben die auf den letzle-*
ren bauen, ist unter andern eine ungeheure Malachitmasse von
elwa 30000 Pud vorgekommen. Nach einem DurchschniU
fiir das bis 1848 reichende Decepnium baben die Uralischen
Hulien jiihrlich gegen 250000 Pud Kupfer gelieferl und zwar
je zur Halfle die wesllich vom Ural gelegenen, und die der
Ost^Seite des Gebirges. Seil 1848 hat aber diese Produktion
ausserordentlich zugenommen, so dais am Ural ausgebrachi
wurden :
1848: 292000 Pud Kupfer
1849: 323000 -
und 1850: 338000 -
Es war vorziiglich eine betrachtlicbe Vermehrung des Belrie-
bes der zu den Tagiler Hiitlen gehorigen Rudjansker Gruben,
welche diesen Zuwachs veranlasste, denn in Folge derselben
haben jene Hiilten die vor 1848 jahrlich nur elwa 60000 Pud
Kupfer ausbrachten, im Jahre 1849 gegen 170000 Pud produ-
zirt. Es wird sich spiiter zeigen ob ein so gesteigerier Be-
irieb den Regeln der Bergwerks5konomie enisprichl.
An derWestseite des Ural^ wo die Kupfererze fast durch-
aus schwefelfrei sind, wird ein ausserst reines und debnbares
Kupfer gewonnen^ welches im Auslande, wohin man es absetzt,
zur Anfertigung von Bronce, Tombak und Messing dieni.
In dem Altaischen Hiittenbezirk werden jahrlich gegen
18000 Pud Kupfer ausgeschmolzen, d. h. eine gegen den dor-
tigen Reichthum an Kupfer -Erzen, hdchst unbetrachtliche
Quaniitat. Sie ist aber durch den in der Umgegend stattfin-
denden Mangel an Absatz beschrankt, denn seitdem die <Susu-
ner Munze eingegangen ist, die Altaisches Kupfer verarbeitele,
wird dasselbe nur zum Verkauf an Private ausgebracht.
534 Industrie and Bandel.
Bei Alsehinsk in dem Jeni^eisker Gouvernemeni^ in 4em
N^rtsdhiasker Hullenbezirk und in einigeo anderen Gegeaden
von <Sibiirien, ^ebi es viele anseholiche Anbrilche'vonKiupfer-
ersen Oder Schurfe auf dergleichen, die aber weder in Angriff
genommen, noch griindlich untersucht sind*
Die Vorberge des unleren Kaukasus, die sich von dcin
ostlichen Ufer des Goktschai-Sees in das Paschalyk von Karsk
erstrecken, 'sind ebenfalls reich, an Knpfeierzen. Auch sind
dergleichen in jener Gegend schon seit den altesten Zeiten
verschmolzen worden. Alte Baue und ungeheure Schlacken-
halden beweisen, dafs diese Produktion ehemals belraehtlich
gewesen ist. Seit der zu Anfang dieses JahrhunderU erfolg-
ten Wiederaufnahme derselben, ist sie in zwei Hiitten, der
Aljwerder und der Schambluger, betrieben worden, hat aber
nicht liber 5000 Pud Kupfer jahrlich und sogar 1846 nur
noch 3400 Pud betragen. In neuster Zeit sind in Transkau-
kasien 5 Kupferhiitten neu eingerichtet worden und zwar fiir
den Anfang auf 6000 Pud jahrlich (doch wohl fiir jede van
ihnen? d. Uebeis.) Diese Hiitten liegen in dem Bamoaker
Distrikt, in dem Kreise von Neu-Bajaset und in Karabaclu
Ihr Ausbringen ist noch gering, aber die Erzvorkommen die
sie benutzen, sind ergiebig.
In Russland iiberhaupl wurden nach einem DurchschniU
fiir die zehn lelzten Jahie, gegen 286000 Pud Kupfer jahrlich
gewonnen.
1849 wurden aber 340000 Pud
und 1850 - - 400000 Pud
dieses Metalles ausgeschmolzen, in Folge der oben erwahnten
Verslarkung des Tagilsker Betriebes.
Ein gegen 31000 Pud betragender Theii des Uraiischen
Kupfer wird in der Jekatrinburger Munze gepriigt, der grofsle
Theil desselben aber ins Ausland verkauft. — Diese Aus-
fiihr hat leider betriichllich abgenommen, indem sie durch-
schnililich fiir je ein Jahr betragen hat:
I
A
1
1
i
1
4
i
4
i
i
4
• d
I ,
Uebersicht der Bergwerksindastiie in Russland. 535
zwiscben 1820 und 1630 229000 Pud
— 1830 . 1840 192500 -
und — 1840 - 1850 90500 -
Die Englische Concurrenz ist vorzuglich Schuld an die-
ser Abnahme. Man ersieht tlieses aus den Berichten fiber die
Einfuhr in Frankreich, wo der Bedarf an fremdem Kupfer
von jeher am belrachtlichsten gewesen ist. Es sind nun da-
selbst von diesein Metalle durchschnittlich in je einem Jabre
eingefuhri worden:
von 1821 bis 1825 von 1841 bis 1845
aus Russland 181000 Pud 26500 Pud
aus England 9000 - 408500 -
aus andern Landern zu-
sammen 98000 - 125000 -
zusammen ' 288000 - 560000 -
Es ist die Anwendung der Sleinkoble welcbe in England
diese ungebeuere Sleigerung der Kupferproduktion zugleich
mil einer abnlieben Zunabme des Eisenbetriebes bewirkt hal.
An Kocbsalz ist Russland ausserordenllieh reieb, uhd
es wird daselbst dergleicben theils als Sleinsalz gewonnen,
Iheils als sogenanntes Niederscblagsalz (samajadotschnji sol)
aus Seen, theils endlich durch Coctur aus Soolen.
Von den Russischen Steinsalzvorkommen wurden
bearbeitei:
1) das von Uezk bei Orenburg,
2) das Kulpiner am Fufse des Ararat und
3) das von Nachitscbewan in dem Gouveniement von
Eriwan.
Die beiden ersten sind besonders reicb und es enthalt
namentlich von dem Ilezker, der durch Versuchsarbeiten be-
kannte Theil 74000000000 Pud Salz. Diesem ungeheuren In-
bait entspriebt aber die Ausbeute keinesweges, denn
wegen der Entlegenheit jenes Vorkommens und der Trans-
portschwierigkeilen, hat die letzte nach einem Durchschnitt
fur die letzten 10 Jabre nur gegen 1750000 Pud jahrlich
betragen.
536 Industrie and Handel.
Salzabseliende Seen giebt es vorziiglich in den Gouver-
nements von Tawris, Stawropol, Aslrachan^ Orenburg, Sche-
macha, in alien Sibirischen, sa wie auch in Bessarabien und
in den LMndern der Donischen, der Tscbemomorisehen und
der Uralischen Kosaken. Am ergiebigsten sind die Seen in
der Krym, in Bessarabien und der Eltoner in dem Asiracha-
ner Gouvernement. Die Grofse der Produklion andert sich
je nach den Vorrathen und nach dem Gerathen des Salzes,
dessen Absetzung bisweilen in mehreren Seen (derselben Ge-
gend) wegen regnerischen Welters, einige Jahre hintereinander
ausbleibt.
So sind z. B. aus den Krymschen Seen
1844 nur 3118400 Pud Sals
und 1845 - 34256000 -
gewonnen worden. Aus den Bessarabischen dagegen
1844 8307000 Pud Salz
und 1849 weniger als 1200000 - -
Nach einem Durchschniit fiir das letste Jahrzehnl belragt die
jahrlicbe Ausbeuie aus den Salzabsetzenden Seen in RussJand
20500000 Pud.
Die Russisehe Salzcoclur ist seii sehr alien Zeilen in Auf-
nahme. Es wird bei derselben iiberall mil Holz gefeuert, mil
Ausnahme der Siedereien des Charkower Gouvernements,
welche Steinkohle verwenden. Die versollenen Losungen
sind fast iiberall unierirdische Solen, doch wird auch durch
den Frost concentrirtes Meerwasser im Archangeler Gouver-
nement'^) verarbeilet,
Obgleich diese Salzsiedereien in neun verschiedenen Gou-
vernements liegen,. so sind doch die Permischen die bedeu-
tendsten, 'jndem sie zwei Drittel der Gesammlproduktion lie-
fern, d; h. nach einem lOjahrigen Durchschniit 7850000 Pud
jiihrlich, von denen etwa 2500000 auf die Krons- Siedereien
und das ubrige auf die Privaten kommen.
') Und bei Ochozk. D. Uebers.
Uebersiclit der Bergwerkaimlustrie in Riissland. 537
Die gesammle Salzproduktion in Russland erleidet be-
trachlliche Schwaiikungen, in Folge ihrer ervvahnlen Abhan-
gigkeit von der Enlwicklung des Niederschlags in den Seen —
man muss daher einer annahemden Bestimmung des MiUel-
'werlhes derselben, eine betrachtliche Anzabl Jahre zu Gninde
iegen.
Wahrend eines 20jahrigen Zeitraumes von 1819 bis 1839
betnig nun die inilllere jalirliche Ausbeut'e an den verscliie-
nen Saizarlen:
Pude
In den Siedereien Steins. Niederschlags. Oocturs. zusammen
der Regierung 953800 12160900 1580200 14694900
der Privaien — 403111 ^6480326 5883437
zusammen 953800 12564011 7060526 20578337
*
Es sind hierunter nichi rail begriffen die Seen des Gou-
vernement von Schemacha, dieseii 1835 von Pachtern aus-
gebeutet werden> und die der Kosakenlander. Zusammen
diirflen diese Seen etwa noch 900000 Pud jahrlich produzi-
ren und somit die jahrliche Salzprodukiion in Russland im
Mitlel aus den Ertragen von 1819 bis 1839 auf 21500000
Pude zu veranschlagen sein.
Seit dem zulettl genannten Jahre hal aber die Russische
Salzproduktion bedeulend zugenommen^ indem sie im MiUel
fiir 10 Jahr zwischen 1840 und 1850 an den drei genannten
Salzarten 30100000 Pud betragt. Zu dieser eignen Produktion
kommt noch eine Einfuhr von fremdem Salze, die durch-
schniltlich 4800000 Pud betragt, und die Sumrae des jlibrlich
verwendbaren Salzes erhebt sich daher auf elwa 35000000 Pud.
Der wirkliche Verbrauch erreicht aber nicht diese Granze.
Urn denseiben wenigstens in angenaherter Weise zu bestim*
men, hat man sowoM das verkaufte Salz, als das kostenfrei
verlheille zu beriicksichtigen. Zu dem ersteren gehorl alles
auslandische, indem dessen Einfuhr grade des leichteren Ab-
satzes wegen erfolgl. Von 1840 bis 1850 sind von derglei-
chen Salz 48300000 Pud eingefuhrt worden, und zwar in sehr
nahe gleichen Quantitaten wahrend der erslen und wShrend
538 iBdwtrie aad Haii<lel.
der Eweilen Hiilfke dieses Decennium. Man kai demnach den
jahrlichen Verbrauch an auslandischeiii Salse in Rossbnd auf
4&30000 Pud zu veranschlagen.
Das £um Verkauf kommende Sala von inlandisdier Eui-
slehang, gehdrt theils Privaten, theils der Regierang. Wah-
rend der letzten zehn Jahre belnig die Quanlilat, die man
den ersteren zu verkaufen erlaobte, zusammen 9600000 Pud,
von denen 4600000 auf die ersle und 5000000 auf die zweite
Halfle dieses Zeilraumes kamen, so dais der miUlere Ijah-
rige Betrag dieses Absaizes 960000 Pud betragt Der von
der Regierung ausgehende Salzverkauf unterbegi weit gros-
seren Fiuciuationen, als der eben genannte. Grade wenn der
Absalz in den Seen geriag ausfalll oder die Regierung eine
zu gro(se Veroiinderung ihrer Salzvorrathe zu befiirchlen hat,
wird dieser Verkauf bisweilen beirachitich v^erslarkt. So
z. B. im Jahre 1839, wo die Regierung nur 15900000 Pud
Saiz fabrizirt hatle, verkauRe dieselbe 29400000 Pud, wahreod
1846 wo man die Produktion in den Salzwerken der Regie-
rung bis auf 47700000 Pud gesteigert hatle, nur 34100000
Pud davon abgesetzl warden. Wahrend des Jelzlen Decen-
nium hat jdie Regierung uberhaupi 247500000 Pud Salz ver-
kauR und zwar 122250000 Pud wahrend der erslen, und
125250000 Pud in der zweilen Halfle dieses Zeiirauma. Der
Mittelwerlh des jShrlichen Verkaufs beArug denmacb 24750000
Pud* Nimmt man aber zur Biidung desselben auch das Jahr
1829 hinzu, wo jener Absalz bis iiber 29 Millionen wuchs *),
so betragt der Miltel worth 25170000 Pud.
Es kommt endiich hierzu noch das Salz, das ,die Re-
gierung kostenfrei verlheilt, und zu welchem qnter an-
deren das in den Kosakenlandern verbleibende, und unler der
genannten Summe des von der Regierung verkauften Salzes
nicht mil begriffene, gehdrt
Man erball demnaeh den Betrag
*) Er mnifl 29870000 Pdd bMragen habei^. D. Uebers.
Uebersicht der Bergwerkslndustri(^ in Rnssland. '539
des jShrlichen Verkaufs von ausliindischem Saize 4830000 Pud
des jcihrlichen Verkaufs von inland. Saixe durch
Private 960000 -
des jahrlichen Verkaufs von inland. SaIze durch
die Regierung 25170000 -
der Salz-Verlheilung durch die Regierung 1000000 >
zusammen 31960000 Pud
Oder nahe genug 32 Millionen Pud.
Der Unterschied dieser Sumtne von den oben fiir die Menge
des produzirlen und eingefuhrlen SaJzes erhallenen 35 Millio-
r>en Pud, entsteht durch den Verbrauch zur fortwahrenden
Verstarkung derVorrathe der Regierung. Diese beliefen sich
1839 auf 37700000 Pud und zu Anfang 1851 auf nahe an
69000000 Pud Salz, so dab sie* jahrlicfa in Durchschniil urn
2600000 Pud gewachsen waren.
Es bleibt jetzt schliefslich der Russische Sieinkohlen-
bergbau zu erwahnen, der nichi sowohl in seiner gegen-
wartigen, hochst beschrankten Geslalt^ als vielmehr \vegen
der Ausdehnung wichtig ist, die er dereinst erlangen kann.
Obgleich bekannllich Steinkohlen in dreierlei Formalionen, dem
Steinkohlengebirge, den Permschen Schichten und del* Jura-
formation vorkominen, so finden sich doch in der erslern die
machiigslen und wicfatigsten Ablagerungen derselben. In Grofs-
briitanien, Frankreich, Belgien und Deutschland zerfallt das
Kohlengebirge in zwei Ablheilungen, eine untere mSchtigere,
die aus Sandsleinen, Thonscbiefern und besonders aus aus*
serordentlich starken Kalkbildungen besteht, und der oberen
in der die Kalkscbichten seliener sind^ und dagegen Sand-
steine, Thonschiefer und Schieferlhone vorherrschen. Die
uniere Abiheilung) die man die Bergkalk- oder Kohlenkalk-
Formation zu nennen pflegt, isi ausserordendich ausgedehntf
enthait aber, nach den Erfahrungen im westlichen Earopa^ ge*
ringere Mengen brennbarer Subtstanzen. Die obere oder
eigentlich so genannte Kofalenformation (coal measures, lerraio
houiiler), ist nicht ganz so ausgedehnt wie die ehen genanoie^
aber weit Kohlenreicher. Im Europaisch^ Russland nimmt
540 Industrie unci Handel.
«
die Sleinkohlenformalion eine ungeheaere Oberfifiche ein, die
voai Weissen Meer bis nacli Kaluga und Tula reichU Sie
besteht bauptsachlich aus Kalken, die mil Sandateinschichten,
mil verhartetem Thone und Mergeln wecbsellagern und die
Bergkalkformation oder unlere Abtheilung des Kohlengebirges
reprasentiren.
Nordlich von den VValdaischen Bergen in der nacb dein
Weissen Meere und zu den Fliissen Pinega und Mesenj rei-
cbenden Fortsetzung dieser Formation ^ sind noch keine Koh-
len gefunden worden, auch scheint dieselbe dorl weniger enl-
wickelt wie in den Provinzen des MiUleren Russiand. Im
Nowgoroder Gouvernement kennt man Kohlenschichten an
einigen Stellen der Waldaischen HShen. Die eine derselben —
in dem Borowizer Kreise an dem Bache Prykscha, der in die
Bjelaja und mil dieser in den Msta mtindet — isi gegen 4,7
Engl. F. machlig. Man hat sie einigermafsen unlersuchi und
die Kohle zwar ziemlieh locker (rychiy) und kiesig, aber
doch zur Verwendung in Dampfmaschinen geeignet gefunden.
In den zur Umgebung von Moskau gehorigen Gouverne-
ments, ist das Vorkommen der Steinkohle ebenfalb ziemlieh
unbeslandig. Der Bergkalk der Gouvernemenls von Twer,
Moskau, Tula, Smolensk, Kjasan und Kaluga, fiilll ein grebes
Becken, in dem bisjetzi gegen 100 Kohlenvorkommen bekannt
sind. Schurfarbeiten mit denen aber noch nicht iiber 20 5a-
jen (140 E. F.) durcl»unken wurden, haben geseigt, dafs die
meisten Kohlenlager jenes Moskauer Landes zwiscfaen 7 und
14 Engl. ZoU machtig sind, dafs sie aber in einzeinen Fallen
auch 60 bis 70 ZoU Dicke erreichen. Die Kohle selbst isl
der Braunkohie ahnlichi kann aber xa vtelen Zwecken das
Brennholz ersetzen. Die Regierung hat mehreremale Unier-
suchungen der Vorkommen in diesem Becken ver^nstaltet*),
auch sind dieselben an verschiedenen Stellen in Angriff ge*
nommen worden, die Kohlen fanden aber nur wenig Absatz,
weil man in jener Gegend mit fossilem Brennmaterial nicht
umzugehen wusste und weil sich die FabrikbesitsKcr su dem i
•) Vergl. in d. Arch. Bd. IV. S. 435.
Uebersicht der Bergwerksfndnstrie in Rnsiland. 54}
sie liber das Anhalten der Kohlenfdrderung und (Iber die
Wohlfeilheit des neueti Brennmaierials im Vergleich mil Holz
und Torf gesichert waren.
An der Wesi-Seite des Ural hat man an verschiedenen
Stelien Kohlen in dem Kohlensandstein gefunden, welcher da-
selbst den Fufs des Gebirges aufmachi, so z. B. in den Hiit-
tendislrikien der Herren W^ewolojsi^ji und Lasarew am
linken Ufer der Kama und an der Tschusowaja. Dieses Vor-
kominen ist aber noch nicht gehdrig untersucht.
Am Ostabhange des Ural i^ennt man Kohlen bei der Ka-
mensker Hiitle, 90 Werst von Jekatrinburg und hat Versuchs-
arbeiten auf dieselben angefangen.
In iffibirien isi die Kohlenformation ausserordentlich ver-
breitet und enthalt wahrscheinlich einen ungeheuren Vorralh
von brennbaren Stoffen. In dem sogenannlen Salairsker Ge-
birge, welches zwisehen den Fliissen Tschumysch und Inja,
zweien Zufliissen des Obj, einen nordlichen Auslaufer des
Altai bildet, hat man dieselbe in seltener Entwickelung ge«
funden.
Das zwisehen dem Salairsker Bergzuge und dem Alatau
oder dem Toniskisch*Jeni«eitfkischen Gebirge gelegene Koh-
lenbecken ist eines der grofsartigsten auf der Erde. Es be-
ginnt bei der Abzweigung dieser beiden Bergzuge vom Altai-
schen Hauptgebirge und begleitet dieselben bis zu derNord-
8ibirischen Ebne, wo sie unter Angeschwemmtem verschwindet
An den Ufern des Tom^ der Inja und in den Thalem der
Mrasa und des unteren und oberen Ter«, die in den Tom
miinden, haben die Kohleniager mehrere Fufs Machligkeit, und
zwisehen der Tomsker, der Gawriiower und der Gurjewer
Hiitte bei den Dorfern Aphon und Beresow, sind zu Tage
ausgehende Schichten einigermafsen untersucht worden und
haben sehr gule Kohle gelieferl.
Auch im Siidostlichen iSibirien scheint die Sleinkohlenfor-
mation betrachtlich verbreitet. Bei Irkuzk geht sie an vielen
Stelien kenntlich zu Tage^ und 70 Wersi unterhalb der k-
kuzker Salzsiederei, die an der grofsen 5ibirischen Stralse
ErmaDB Ross. Archiv. Bd. XI. H. 4. 36
542 Indatftrle viid HatideL
liegi, hai man in der Baldnisker Scbluchl ein 9 FuCs siarkes
Kohlenlager aufgeschiossen* Auch jenseite dea Baikal sieht
man am linken Ufer der Selenga oberhalb Werchneudinsk und
bei Seienginsk das Kohlengebirge mil deutlicben Kohlenlagern.
Im Nertschinsker Kreise an der Scbilka und besonders am
Argun I haben einige dergleielien eine Ausdehnung von mehr
ak drei Werst, doch ist noch keines der dortigen Vorkommen
geniSgend uniersucht
In Folge der Enllegenheit, der schwachen Bevolkerung
und de$ Ueberflusses an Waldungen, werden in Sibirien die
mineralischen Reichlhiimer wohl noch. bis zu einer spaten Zu-
kunft unbenutzt bleiben.
Ganz anders verhallen sich aber in dieser Beaiehung die
Meoschenreicheren Siid-Russischen Lander und bedonders die
sogenannten Neu-Russischen Provinzen. In dieaen besiUi die
zwischen dem Don und dem Dnjepr iSngs dea Donez gele-
gene Gegend eine schneil wachsende Bevolkerung, der es je
mehr und mehr an Brennmaterial zu fehlen anfingt, wahrend
daneben die ergiebigsten Sleinkohlen vorkommen, die im Euro^
paischen Russland bekannt sind. Man nennt diese die Done-
zer Kohlenformation. Sie nimml aber die Distrikte von Do-
nezky Miuaak, Tscherka^k, so wie einen Theil des sogenannten
ersten DonischenKreises des Kosakenlandes ein, erstreckt
sich ausserdem iiber den 5lawjano«erbischen und Bachmuter
Kreis des Gouvernement von Jekalerino^law und reicht bis
ins Gharkower Gouvernement "). Fast alle Gesteine dieser
Gegenden gehoren zur Kohienformatioo, die demnach dort
eine OberMche von wenigstens 24000 Quadrat werst (nahe
490 Quadratmeilen) besitzt. Ihre westliche Halfle enthalt
eigentliche Steinkohlo und die Ssthche reinen Anthrazit **)•
*) Yergl. in diesem Archive Bd.I. S. 264 > 298, so wie iiber die Rus-
sische Kohlenformation uberhanpt: I. 309, 400; II. 395, 690, 708;
III. 139, 154; IV. Ill, 164, 395, 400; V. 136, 344, 691; VI. 280,
345, 553; VII. 630 n. a. D. Uebeni.
f^) Der Antbrazit nnterscheidet sich von der SteinkoMe doroh grofsere
Dichtiglceit, so wie darch einen grdjsern Gehatt an Kohle und einen
Uebereicht der BergwMtinduftrie in Russland, 543
In der MHle dieser Gegend findei man die brennbaren Fossi*
lien oft in einem Mitlelzuslande zwischen diesen beiden Exlre«
men. Die bearbeiteten Anbruche sind daselbsi bereils aus-
sersi xahlreich, denn es giebt allein von.Bauen.auf Anihrazit
einige Hundert m den vier siidwestlichen Kreisen desDo-
nischen Kosakenlandes, und unter diesen 130 welche KoUen-
schichlen von 2,5 bis 9 Fulis Machligkeit enlhaiien.
In Transkaukasien sind bis jeizt drei Steinkoblenvorkom*
men bekannt. Zunachst das von Tkwibul, 50 Went N WJich
von Kutais und 60 Werst von der Fahrstelle von Zeheni-
Zchale oder Morani am Rion, die 150 Werst von Redut-Kale
enlfernt ist. Dieses merkwiirdige Vorkommen gehdrt zur
Juraformation und besteht aus einem System yon Kohlen-
schichien, welches in AUem 50 Fofs machtig ist und auf 10
Fufs eine sehr gutartige Kohle enthilt, die schmeizbare und
zmn Transport geeignete Cokes liefert. Auf den iibrigen
40 Fufs bestehen diese Schichten aus weicher Kohle, die zum
Theil schiefrig und nur zum Verbrauch an Ort und Slelle
geeignet isL Zu denselben Jaraschicht^ gehSrt auch ein awei*
tes Kohlenvorkommen an dem obern Laufe des Kuban, 2 Werst
oberhaifo der Befestigungen von Chuoftara. Die Kohle bildet
dasetbst ein 2,3 E. F. miichliges Lager und wird als Heizmate*
rial fiir Wohnraume nach Pjatigortk und Stawropol geschafll.
Das drille Vorkommen ist das sogenannte Tabastaranery wel-
ches 40 Werst von Derbent gelegen, aber nocb nicht geho-
rig unlersucht ist. Die Nahe von Derbent und die Nachbar-
geringeren an Saaerstoff — wesbalb er ztim Verbrennen einen star-^
keren Laftzotritt erfordert, daher aber aach mehr Wfirme entwickelt.
Amii. d. Ver£
Man vergl. die Analysen der Kohlen and des Antbrazites yooi
Donez in d. Archive Bd. I. S.273, nacb denen ubrigens die erstern
auch mehr Wasserstoff enthalten wie der Anthrazit, and wohl darch
diesen weit eher als durch einen geringen und wahrscheinlicb stark
gebnndenen Sanerstoffgehah brennbarer sind, wie der Anthrazit.
D. Uebers.
36*
544 Indattrie and Handel.
schafk des Kaspischen Meeres, verleihen ihm eine besondere
Wichiigkeit
In den Umgebongen von Tiflis und Achalzych kennk
man Anzeigen von Braunkohlen, deren Bearbeiiung fiir jene
Siadte, in denen das Holz sehr theuer ist, von Bedeiitung
werden kSnnie.
An Torf isiRussland sehr reich. Man versteht aber des-
sen Benutzung nur in Kurland, Liefland und E&lland, id dem
Moskaucr.Gouvernement, so wie auch in geringem Mafse in
dem von Witebsk mid in der Umgegend von Petersburg. Am
Kauka^us wird bei Strawropol und auf den Hohen des Tur-
tschidag einiger Torf gestochen und in Daghestan von den
Russischen Soldaien benutat
Ein regelmafsiger Bergbau auf Steinkohlen wird demnach
nur im Siidlichen Russland betrieben und zwar theils von der
Bergwerksbehtirde, iheils von sogenannlen Kronsbauern, von
Privatleuten odervum Donischen Heere gehorigtn Personen.
Die Ausbeute ist kekieswegs bestandig, belragi aber jetzl un-
gefahr 3160000 Pud jahrlich, welche folgendermaben ver-
theilt sind:
. Die Gruben welche betrieben bringen jahrlich elwa
werden von: Steinkohle Anthrazil
a) der Bergwerksbehorde
1) die Lisitscher, 40 Wersi von
Bachmut am Donez 3OOOUO0Pud
2) die Uspensker, 25 Werst von '
der Luganer Giesserei 50000^ -
3) die von Gorodischtsche, im 51a-
wjanoserber Kreise, 50 Werst
von der Luganer Hiitte 30000 Pud
4) die Jekateriner in dem Doni-
schen Kosakenlande, bei der Je-
kateriner Niederlasssung 120000
b) von Kronsbauern
5) im Bachmuter Kreise bei den
Dorfern Jeljesnoe, Nikitowo und
Uebersicht der Bergwerksindostrie in Rassland. 545
bringen jahrlich etwa
Steiiikohle Anthrazit
Saizowo, etwa 30 Werst von
Bachmut 150000 Pud
c) von Privatbesilbesitzern *)
im Bachmtiter Kreise:
6) die Woronzow-Grube bei dem
Dorfe Alexandrowo, 40 Werst
von Bachmut und 160 Werst
von Berdjansk 125000 -
im Slawjano«erber Kreise:
7) der Bauern der Dorfer Geor-
giewsk undUspen^k, 19 und 25
Werst von der Luganer Hiitle 90000 -
8) des Gutsbesiizer Terentjew, 40
Werst von den Li«itschaer Gru-
ben der Bergwerksbehorde AQOOOST-
9) der zum Dorfe Annenskji, 60
Werst von Lugan, gehorigen 15000 -
10) des Gutsbesitzer Papkow bei
deal Dorfe Kra^ny Kut, 120
Werst von Taganrog 10000 Pud
d) des Donischen Heeres
11) die von Grusckewsk, 30 Werst
von Nowo Tsch\rka«k, bei dem
Dorfe Popowka und an dem
Bache Gruschewka, weiche ver-
schiednen Donischen Unterneh*
mem gehoren 2200000 -
zusammen SOOOOOPud 2360000 Pud
und an Brennmaterial iiberhaupt 3160000 Pud.
*)-H]er sind nur diejenigen Gruben erwalmt auf denen fortwabrend ge-
baut wtrd, andre nar zeitweise benntzte werden nicht aafgezablt, so
z. B. die Graben yon Pleschtocbejew und Rajewskji im Bachmnter
546 Industrie mid Handel.
Von diesen 3160000 Pud Kohlen werden 1500000 Pu
theils Eur Heizung von offentlichen und Privatgebauden ii
dem Asower Hafen und in denen des Schwarzen Meeres ver
brauchty theils auf den Dampfschiffeny die zwischen den Kau
kasischen und Krymschen Kiisten fahren, so wie aucb aul
einigen, die auf der unteren Wolga oder sogar auf dem Kas-
pischen Meere gehen. Das Uebrige wird in der* Nahe der
Forderungsorte verwendet. Die eigenlliche Steinkohle dient
in den Schmieden, so wie zum Betrieb der Luganer Hiitte
und der 5iawjaner Salzsiedereien. Der Anthrazit wird da-
gegen meist auf den Dampfschiffen und zur Heizung von
Gebauden gebraucht, obgleich sich, mitAusnahme von Nowo-
Tscherkask und von einigen Hafi^nst3dten» niir erst wenige
Privatleute mit dem fossilen Brennmalerial befareundet haben.
Die Gewohnheit und die ortlichen Gebrauche verhindern dies
so sehr, dafs selbst in den Dorfern in denen das Pud Slein-
kohlen nur gegen 0,03 S. R. koslet, dieselben nur id den
Schmieden gebraucht werden, wlihrend die Oefen der VVohn-
raume noch immer aus Holzmangel, mit getrockneteio Kuh*
mist (Kisjak) oder mit Stroh geheitzt werden. Es giebi sogar
Gutsbesitzer die selbst Gruben bearbeiten lassen und wdche
dennoch die geforderlen Steinkohlen nur zur Heitsung ihrer
Wohnungen gebrauchen, ihre Branntweinbrennereien aber mit
Stroh zu belreiben fortfahren, weil dieses die Gefafse weni-
ger angreife.
Ausser den im Lande geforderlen Steinkohlen werden in
' Russland auch aus England eingefiihrte gebraucht, vorzuglicb
in Petersburg, wohin gegen vier Fiinftel dieser in den lelzten
15 Jahren sehr verslarkten Einfuhr erfolgt. Nach den Engl.
ZoUiisten beirug das Gewicht der nach Russland gebrach-
ten Steinkohle im Jahre 1834 nur 35000 Tonnen, d. h. nichl
Kreise, yon denen eine jede gegen 10000 Pud jabrlich aasbringtj
nnd diePetrower bei einem m^rainischen Graozpoi^en, etwa SOWerst
von Tschogujew^ ans der jahrlieb 20000 Pad Kohlen gefdrdert werden.
Anm. d. Verf.
Debersicht der Bergwerksindustrie in Rossland. ^f
f^anz 2,5 Iflillionen Pud. Es «rhob sich aber bis 1839 auf
76000 Toonen und 1845 aut mehr als 150000 Tonnen oder
^egen 9^ Millianen Pud und betragt jetol mehr als 13000000
Pud jahrlich *). Die Russischen Zollberichie nennen Dicht das
Gewicht, sondern nur die Preise der eingefuhrien Kohlen und
diese betrugen im Jahre 1841: 519000 8. R., im MiUel fur
ein Jahr zwisdien 1842 und 1846: 6460Q0 S. R. und darauf
in den Jabren:
1846: 733297 S. R. von denen naeh deni Schvvaraen Meere
gingen fur 176578 S. R.
1847: 623919 S. R. von denen nach dem Scbwarten Meere
gingen fur 147898 S. R.
1848:. 1069559 S. R. von denen nach dem Schwarzen Meere
gingen fur 109502 S. R.
1849: 918679 S. R. von denen nach dem Schwarzen Meere
gingen fur 74976 S. R.
Wahrend der lezien vier Jahre hat sich also der jahrliche
Verbrauch von Englischer Steinkohle im Miltel auf 836000
S. R. belaufen, d. h. auf 130 Procent vdn dem jahrlichen
Verbrauch wahrend der vorhergehenden vier Jahre. Es kommt
hierzu noch dafs in derselben Zeil und namenllich seit 1845
die Kohlenpreise in England durch die Aufhebung der Aus-
fuhrsteuer von den Kohlen, bedeutend gesunken sind, wodurch
denn der .Zuwachs des eingefiihrten Quantum noch welt er-
heblicher ^ird.
Unter den jetzt im Sudlichen Russland beiriebenen Koh*
lengrubeuy sind die Gruschewer besonders beachlenswerth,
sowohl wegen ihrer geographischen Lage als auch wegen der
vortrefiUchen Eigenschaften des dortigen Anthrazites und der
^ Grofsartigkeit der Lager. Sie liegen 30 Werst von der Do*
nischen Anfuhrt bei Melechow und 60 Werst von dem Roslower
Hafen an der Miindung des Don. Die dortigen Kohlen wer-
den an Ort und Stelle mit 0,05 bis 0,01 S. R. das Pud ver-
*) D. b. mehr als das Yierfache der in Rassland geforderten Kohlen.
546 Industrie and Handel.
kauft und die Frachl betrSgt bis Melechow etwa 0,02 und bu
Rostow 0)03 S. R. vom Pud. Die fernere Versendimg von
Melechow stromaufwarU bis sur Katschaliner Anfahrt kostel
far das Pud 0,10 S. R.')
Der Seetransport von Rostow koslet dagegen fiir das Pud
bis Kertsch etwa 0^05 S. R., bis Sewastopol gegen 0,07 S. R.
und bis Nikolajew und Odessa etwa 0,09 S. R., so dafs die
Gruschewer Kohlen jetzt an der unteren Wolga fiir weniger
als 0,25 und in den Hafen des Schwarzen Meeres fiir nichl
ganz 0,20 S.R. vom Pud zu haben sind. Es ist nicht zu be-
zweifeln dalis bei gebSriger Entwicklung und Befestigung die-
ses Industriezweiges die genannten Preise und namentlich die
Frachten noch bedeutend zu ermafsigen waren, aber sogar in
dem gegenwartigen Zustande besilzt der Gruschewer Anthra-
zil bedeutende Vorziige vor jedem anderen Brennmalerial,
denn seine Giite wird von keiner der aus England oder aus
Amerika bekannten Koblenarten libertroffen. Er entbaft nach
vielfaliigen Untersuchungeu von 0,94 bis 0,96Kohlenstoff und
hinterlasst nur 0,02 Asche. Er ist ganz frei von Schwefel,
der die Geiafse angreifen oder Selbstenlzundungen bewirken
konnte. Seine Dichtigkeit ist groliser als die der Kohlen von
Newcastle, d. K der besten in England ; er ist daher dem Zer-
fallen weniger ausgesetzt, nimmt weniger Raum ein und
ist urn 22 Procent geeigneter zur Versendung als diese.
Seine Heizkraft iibertrifTt die der Newcastler Kohlen urn 10
Procent, so dafs bei gleichem Volumen der Gruschewer An-
thrazit das l,34fache der von den besten Englischen Kohlen
erzeugten Warme liefert. Noch weit betrachtlicher gestalten
sich diese Vorziige gegen die im Handel vorkommende ge-
wShnliche Englische Steinkohle. Es kommt dazu noch dafs
der Anthrazit weit gleichmafsiger brennt, mit einer concentrir-
*) Zwisclien Katschalinsk am Don and Dabowsk an der Wolga gtebt es
bekanntUch eine, leider aber nicht fur Dainpfwagen eingerichtete,
fiisenbahn. Anm. d. Verf.
Vcrgl. in d. Archiyc Bd. II. S. 476.
Uebersicbt der Bergwerksiaduft^e in Rattland. 549
lereD Hitze und reinlicher, weil er fast gar keiRen ThSr und
Kufs und nur sehr wenig Rauch und Asche giebt. Freilich
muss man ihn aber in Oefen in Brand setsen, die seirien, von
denen der eigentlichen Steinkohle ausserst verschiedenen,
Eigenschaften entsprechen, und man hat daza die Vorbilder
nichl sowohl in England zu suchen (denn dort wird nur in
Wales ein Anthrazit gebrannt, dessen Ausfuhr die Besitzer
der iibrigen Steinkohlengruben aus Furcht vor einer ihnen
ausserst gelahrlichen Concurrenz, auf alleWeise verhindem)*),
als vielmehr in Amerika und namenllich in Pensilvanien , wo
die Verwendung dieses vorziiglicben Brennmateriales so ent^
wickelt isty dafs dessen Forderung, die im Jahre 1820 mit
20000 Pud begann, sich 1840 auf 50000000 Pud und 1847
auf 180000000 Pud gehoben hat.
Diese ausserordentliche Zunahme des Belriebes ruhrte
vorzugiich von der Verwendung des Anthrazites zur Verhut-
tung der Eisenerze, welche nach siebenjahrigem Betriebe schon
inehr als 7000000 Pud ,Roheisen jahrlich lieferte. Eine ahn-
liche Erscheinung ist aber in den Steinkohlenbezirken fast
aller iibrigen Lander vorgekommen: so in England, in Frank-
reich, in Belgien und sogar in Deuischland, wo iiberall der
Kohlenbergbau die bewundernswerthe Bliiihe zu der er ge-
langt ist, nur allein dem Hohofenbetriebe mit fossilem Brenn-
materiale verdankt *'^).
Der Eisenbetrieb wirkte anfangs und zunachst auf den
Steinkohlenbergbau, in direkter Weise durch Mehrbedarf an
fossilem Brennmaterial, sodann aber durch Vermehrung und
*) So waren im Jahro 1842 unter 2723200 Tonnen Kohlen die nacli
London gebracht warden, nnr 1283 Tonnen Waleser Anthraut*
Anm. d. Yerf.
**) Eb 1st schon oben erwabnt worden, dais sicb die Eisenproduktion im
Westlichen Kuropa besonders seit 1830 gehoben bat, d. b. seit der
Einricbtiing der commerziellen Eisenbahnen. Eine Vergleichung der
Produktionen in diesem Jahre [mit ^enen von 1845 (d. i. das letzte
Jahr, fiir welches ans Berichte vorliegen) giebt folgende ResoUate:
650
Indaslm and JiMidcl.
ti^lfeiiere DaraleUuDg i^s Eisens, wodnrch aowohl die For-
4erung in 'den KoMoligruben erleichfaert wtrd, ala auefa be«
90ivl«ra 4er Traii^#rl auf Ciienbahtieo imd Dampfaehiffen,
Diese reeipr^ke Belebiing der Kohlen* imd der Eisenproduk-
lion wirkt ^eoso beguaaUgead auC alle QbrigeB Indusirie*
aweige, weiche dadufch nicht alletli nit Dampf oder Trieb-
kraft verseben werdkn, aoodern auch mit vervollkoinmneten
mechanischen Bettiebsweitaeugen nod . mit . dan HiUeln au
acbnellerem und wohlfeilereai Transport il^er Eraeugnisse.
Jenebeiden foasiten Korper, weicbe ' dia Natur selbat auHaupt-
hebelo dar gawerbliehen Leiiliiagan - des Meoachangeschlech-
tea ausersehen hat, findeii aiah oft durch ihr Vorkomimea an*
Es warden ge-
Steinkohlen
•
Roheisen
Eb gab an ferti-
wonnen in:
Jahr
Millionen Pad
gen Eisenbahnen:
Preussen
1830
1845
62
227
5*
14
1050 W«rst
Belgien
1830
1845
157
307
2*
9i
580 —
Frankreich
1830
1845
112
255
760 —
GroCsbrittanien
1830
1845
1000
2155
42
137
2850 —
Freistaaten
1830
1845
40
^ 273
111
Sit
7300 —
In 15 Jabren hatte sich also die Kobleniorderung anf das 24facbe
nnd die Eisenprodoktion auf das 3facbe gesteigert, und es waren an
Eisenbahnen mebr als 12500 Werst gebaut worden. — In dieseni
Aagenblicke betragen diese Zonabmen vorzuglicb iu der letzCeren
Beziebung bei weitem mebr, denn es waren z. B. in Frankreicb zd
Anfang 1851 gegen 3000 Werst Eisenbabn Yollendet, in Grofs-
brittanien am 31 December 1850 gegen lOOOO Werst and in Europa
iiberbaapt mebr als 16000 Werst. •— Dergleicben Beispiele gestalten
sich im Einzelnen noch weit scblagender. So hatte Glasgow 1830
gegen 140000 Einwobner^ nnd erzeogte aus seiner nicbsteii Uaige-
bang gegen 4 Millionen Pad Roheisen; 1840 war aber dessen Be-
Tolkerung aaf 368000 Seelen gestiegen and es warden 30 Millionen
Pud Roheisen aasgebi:^cbt, d. h. mebr als das Doppette der In ganz
Russland gewonnenen Qoantitat. A* d. V.
Ueberticht der Bergwerktindattrie in Rustland. g51
einander gebofHten. So weohtellagern in England ntchi seken
die Koblensehiditen mti Schiehlcn von Eisenenien und mil
feuerfesten Thonen und Sandsleinen sum Hfittenbetriebe. -^
Auch andere Kohlenbeairke aind, w«nn auch nicht itn gleih
cbem Maafee begiinstigt, im Besitse Ton Eisenerz^n uad die
Geognosie erklart einet iet werthvoNsien dieser Erae, den
SphSrosiderit, fur einen gewBhnfichen Begleiler der Kob*
Ien*)« Man kann demnach davauf reebaen, 'dab ein Kohlen-
reiches Land aocb Ene besilzt die, Wenn nicht das beste, dech
ein zu vielen Zwecken aus reiGbend<eft Eis en dia*zuateilen er-
laaben< Man ersiebi dBeaes auch daiaut, dab noch in kdnem
dergleicben L#ande eineainoial etngeriohteie Eiaenhiiile, ihren
Betrieb aus Mangd an Erzen eingeslellt hat^ wahrend doch
viele einzelne HiitUn und ganze Distrikle in Russland, wie
auch itn westlichen Europa, aufgehdrt haben zu schmelzen.
Das Brennmalerial ist demnach die Grundlage jeden Belrie-
bes und ein Land welches Kohlen von guter Besehaffenheil
in fast unersch$pflicher Menge besitzt, ist auch im Slande,
seine Eisenhiilten und mit ihuen zugleich tehfie Communica''^
tionsmittel und jeden seiner Industriezweige zu heben.
Grade in dieser Weise ist aber nun die Donecer Gegend
von der Natur begiinstigt. Der Anthrazit in derselben ist,
wie schon oben erwShnt^ von ausgezeichneter G(Ue und des-
sen Menge unerinesslich. Es geniigt daran zu erinnem, dafs
1 Kubikfub Anthrazit 3 Pud wiegt und dafs somit eine 2,5
Fufs machiige Scbicht dieser Substanz auf jeder Quadrat-
*) Beispiele yon reichen Bisenvorkoinmen in Steinkohlenbezirken^ liefern
yiele Orte in England, Wales and inBelgien, besonders aber in den
Umgebnngen yon Glasgow. Ein 2,5 Fofs niachtlges Lager von koh-
ligem Tboneisenstein , der anter dem Namen Biaekband bekannt \at,
blieb daselbsC Imge nnbeachtet, bis dab 1834 die Vergroberiuig des
Bisenbetriebes , zu Versnoben mit demselben anfforderte, and seit
dieser Zeit werden die Glasgower Hohofon, in denen siob die Eng-
liscfae Bitenprodoktionen jetzt yorzagtweise eoneentrirt, za grofsteni
Theiie von jenem Lager yersorgt -A. d. V.
552 Industrie unci Handet
werst mehr als 90000000 Pud derselben enthali. Wie yiele
solcher Quadratwerst aber vorhanden sind, wie viele zwei bis
dreimal inachligere Lager, wie viele Orie an denen iiberein-
ander mehrfache Wiederholungen derselben vorkommen, dies
alles haben Schurf- und Forderungsarbeilen zu entscheiden,
von denen jeUt kaum eine bis zu 175 Fufs Tiefe gedrungen
isty und dennoch haben <fiese jeUigen fast zu Tage liegenden
Baue schon von 130 Anbriichen eine solche Ergiebigkeit nach-
gewiesen dafs sie, wenn man nach der Unlersuchung von je
einer Quadralwerst urlheili, gegen 20 Tausend Millionen Pud
Steinkohle liefern konnen. Es ist dies dn fiir den Anfang
voUig ausreichender Vorrath. Man muss aber nun einen sol-
chen Schatz zu benutzen wissen und dazu ist ein Anfang al*
lerdings vorhanden , seiidem sich der Doaezer Anihrazit auf
dem Asowschen, Schwarzen und Kaspischen Meere gezeigt
und sow^ohl an der Wolga als auch sogar bei Moskau eine
erste Verwendung zum Eisenbetriebe gefunden hat *). Aliediese
Versuche, die, wie gewohnlich in Russland, von den Behor-
den veranlasst werden mussten, sind nur die ersten Steine zu
einem Baue, dessen Ausfuhrung nunmehr des Untemehmungs-
geistes und der ThStigkeit der Privatleute bedarf. Oiese
wiirden in der Ausbeutung des Donezer Kohlenbezirkes eine
aussersl lohnende Laufbahn finden, und zwar in gesteigertem
Ma£se jseit der Eroffoung der Petersburg-Moskauer Eisenbahn.
Es ist nicht zu bezweifeln dafs diese sofort bis zur Oka und
noch jenseit dieses Flusses forlgesetzt wird, d. h. bis in eine
Gegend, wo durch die Theurung des Holzes, die Vorlheile der
Verwendung des Anthrazites auf den Locomoliven einleuchten
werden, wie denn iiberhaupt die von Jahr zu Jahr abnehmende
Bewaldung die Anwendung eines fossilen Brennmaterials immer
"') Als*ein Beweiss Ton der Giite des Gnischewer Anthrazites, haben
wir noch anzufabren dafs er sogar in Moskau, trotz der hoben Trans-
portkosten, nach Yersnchen durch das Kriegsministerium , ein wohl-
feileres Heizmaterial abgiebt als das Holz. Bei zweckmafsiger Bin-
richtung der Oefen ersetzen dOPnd Anthrazit eine fi^ajen des besten
sogenannten 3scheitigen Holzes. A. d. V.
Uebersicht der Bergwerksindnttrie in Rotsland. 553
dringender machf^). 1st aber alsdann dieser Eisenbetrieb vom
Donez nur einmal im Gange, so wird das Bediirfniss sur
Fortsetzung der Eisenbahn von der Oka bis zum Aaowschen
Meere zwingen und eine solche Bahn ware von hSchstem
Nutzen, urn die waldlosen oder waldarmen Mittel-Russischen
Provinzen mit Brennmaterial zu versorgen, und ihre Er-
zeugnisse den sudlichen Hafen zuzufiihren. Es wiirden dann
nur wenige Jahre vergehen bis zur Vollendung eines Schie-
nenweges von dem Mittelpunkte von Russland bis zu dessen
sudlichetn Meere ^ und dies Alles wurde man dem Donezer
Anthrazite zu danken haben.
*) Die Einfuhrang des Grnschewer Antbrazites hat die Holzpreise in
Odessa von 100 bis 105 Papier- Rabel far die Kobik^a/en, anf 60
and sogar 50 P.-R. herabgesetzt, iind in <9ewastopol von 80 anf 30
Papier -Robel. — 30 Pud Antbrazit welche etwa 12 KabikfnljB ein-
nehmen, ersetzen daselbst eine Kubik«ajen, d. b. 343 Kubikfafs —
(nach den Annabmdn der Ross. .Forstbeamten entbalt die Kubik«a^*eii
darchschnittlicb nur 250 Kubikfufs Holz. D. Uebers.) — guten
Eichenholzes. Der Antbrazit ist also von fast 30mal kleinerem Vo-
lumen als das Holz und somit in hohem Mafse geeigneter zum Trans-
port. A. d. V.
: /
Uebertickt der Bergwerktindaftri^ in Rossland. 555
Bemerkungen zu den TafelD.
Zu Tafel 1.
1) Die Griinzen des Nertschinsker Haitenbeairkes sind so
unbestimml, dafs das A real des zu ihm gehorigen Lan-
des nicbt genau angegeben werden kann. Den Sil-
berhiiUensind an Waldung angewiesen 1193698 De«-
jalinen (d. h. 1 1459^ Quadrat- Werst oder etwa 233,8
Geogr. Quadrat-Meilen) und den Hohofen und Frisch-
feuern 196 Quadrat- Werst oder etwa 4 Quadrat-Mei-
len. und noch ein besonderes Stuck zurZimmerung in
den Eisengruben.
2) Die Sumroe der zu den Hiilten geh5rigen Landereien
ist nicht angefuhrt; sowobl wegen der mangelhaften
Kenntniss der Nertschinsker, als auch weil in andem
Distiikten der als Hiilten -Land angefiihrte Boden zu
grofsem Theil von den Bauern benutzt wird^ welche
den Hiitten zugeschrieben sind oder friiher zugeschrie-
ben waren und jetzt unter der Domainen-Verwaltung
stehen. So -giebt es i. B. nur allein in dem Jakatrin-
burger Bezirk gegen 48000 solcher sogenannten Krons-
bauern, zu denen mehr als 436000 De^jatinen Landes
gehoren.
3) Die den Hiitten zugeschriebenen Bauern haben jahr-
lich nach einer auf sie bezuglichen Verordnung {Swod
Sakonow oder Russ. Gesetzsammlung, Tom. VII.) von
15 bis 22 Arbeitstage fur jede Seele zu leisten.
4) Das in dem Altaischen und in dem Nertschinsker Be-
zirke ausgebrachte Silber enthalt Gold, welches in der
Petersburger Miinze ausgeschmolzen wird.
556 Indostrie nnd Handel.
5) In dem Allaischen und in dem Nertschinsker Bezirke
wird Blei besonders fur die Silberverhiittung darge-
stellt. Nur ein kleiner Theil desselben wird an iSibi-
rische Abnehmer verkaufL
6) Die Mange des Roheisen ist fur diese and auch fiir
die zwei folgenden Perioden nur annahernd besUmmt
worden.
7) Der Luganer Bezirk liefert kein Roheisen, sondem
entnimmt seinen Bedarf vom Ural aus dem Gorobla-
godater. Im Jahre 1832 wurden daselbst an Artille-
geratbschaften gegen 13000 Pud gegossen utid gegen
14000 Pud verschiedener Melallwaaren angeferligt
Im Mittel fur die Jahre 1838 bis 1843 wurden jahrlich
gegen 50000 Pud solcher Gegenstande theils gegossen,
theils anderweitig dargestellt. Es werden ausserdem
in dem Luganer Bezirk etwa 500000 Pud Steinkohlen
gefordert
8) Die Kamskowotkaer HiiUe besilzt keine Hohofen, son-
dern nur Frischfeuer fur die sie das Roheisen aus den
Gorobiagodater Hiillen (zu denen die von Kuschwa
gehort) erKalten.
9) Es sind hierunter an Stahlsorten begriffen: Rohstahl
oder sogenannter Uklad, Zementstahl, Rafinirslahl und
Gussstahl.
10) Ausserdem sind 1846 in dem Allaischen Bezirke fijrr
150000 S. R. Kupfermiinzen gemacht worden.
11) Ausserdem wurden 1846 dargestelll: 10 verschiedene
Maschinen (?), und an Mafsen und Gewiehten 339 Stiick
kupferne und 2497 Stuck eiserne.
12) Ausserdem wurden 1846 dprgesiellt: 25750 Sensen,
22375 Stiick VVaffen verschiedener Art, 3635 stahleme
oder kupferne Kaskets und 2011 Paar Armschienen.
13) Ausserdem wurden 1846 2 Dampfmaschinen verfertigt
14) Ausserdem wurden 1846 auf der von der Regierung
verpachteten Alwerder und Schambluger Hutle in Gru-
sien, 3407 Pud Kupfer ausgebracht.
Uebersicht der BeiigwerkslRdottrie in Rassland. 557
15) Ausser den hier genannlen Gegenstanden haben die
Eisenhiitten dargesteilt: Ballast der unler den ange-
gebenen Rolieiseninengen begriffen ist, und verschie*
dene Gerathschaflen Iheils zu eignem Verbrauch, theils
zum Verkauf. Diese sind ebenfalls in den angegebe-
nen Roheiseiunengen begriffen.
16) Die folgende Tafei giebt einen aligemeinen (Jeberblick
liber die Wirksamkeit der Hiitlen, in den der Re-
gierung gehorigen Kreisen wahrend der leUten vier
Jahre :
Es wurde 1847 1848 1849 1850
gewonnen: Pud Pud Pud Pud
Legiries Gold 185,18 203,61 191,81 241,12
Plalin 0,13 0,12 0,03 2,75
Goidhalt. Silber 1193,95 1136,13 1148,19 1068,45
Kupfer 42064 39558 49367 55562
Roheisen 2000000 2000000 2000000 2100000
Slabeisen 950000 950000 950000 950000
Das legirte Gold und das goldhallige Silber haben
gegeben:
1847 18^8 1849 1850
Pud Pud Pud Pud
Reines Gold 208,78 224,63 229,03 264,20
— Silber 1094,99 1040,87 1045,17 978,65
Zu Tafel 2.
1) Fiir die Wendejewer und Neplojer Hiitte sind fiber
die Zahl der Bewohner im Jahre 1847 keine Nach-
richten vorhanden, und daher nur die 1834 bei der
Volkssahlung gefundene angesetzl worden.
2) Zu dem Uralischen Ertrage im Jahre 1846 sind aus-
serdem 3 Pfund Osmio -Iridium hinzuzunehmen.
3) Von dem Roheisen ist durchschnitilich gefrischt
worden :
Brmans Buss. Archiv. Bd. ^I. H. 4. 37
558 Indoitrie and Handel.
zvvischen
jahrlich
1838 und 1843
1846
auf den Moskauer Hiitten 876172 Pud
1006233 Pud
auf den Uralischen
iHtitten 5930293 -
6498043 -
sLUsammen 6806465 Pud
7504276 Pud
Nach den in den J. 1843 bis 1847 eingezogenen Er-
kundigungen, wird iibrigens in einigen Gouvernements
noch jetzt das Sehmiede-Eisen direkt aus den Erzen
dargestellt und zwar namentlich:
in dem Gouvern. Wilna g^gen
6000 Pud
- - '
Wolynien
Miask
11300 -
6500 -
1 » 1
« 1 1
1 1 1
Archangel
Wologda
Jeniseisk
600 -
120 -
3400 .
r
Nowgorod
Olonez
11000 -
7000 -
zusamnien jahrlich 45920 Pud.
4) Das Dorchschnitts-Gewicht des zwischen 1838 und
1843 jahrlich gewonnenen Waschgoldes, ist fur die
siidliche und nordliche Halfte des Jeniseisker Kreises
zusammen angegeben, weil diese Bezirke erst seil
1845, in Folge der Zunahme der Goldausbeule, ge-
trennt sind.
6) UnterWasch- oderSandgold (Russ. Schlichowoje so-
loto) werden, wie schon oben gesagt, die unmiUelbar
aus den Seifen erhaltnen Korner versianden, unter le-
girtem Golde das Produkt einer erslen Schmelzung
dieser Korner, aus welchem in der Petersburger Miinze
das reine Gold geschieden wird.
6) Den Zusland der Goldgewinnung durch Private in den
Jabren 1847, 1848, 1849 und 1850 z^igl die funfte
der vorstehenden Tafeln.
7) Es sind auf Privathiitlen ausgeschmolzen warden an
Kupfer:
tJebersicht der Bergwerksintiostrie in RuAsland. ggQ
1849 291186 Pud
1850 338066 - und dagegen:
1847 222504 -
1848 262966 •
8) Auf PrivathiiUen sind iin Jahre 1849 Roheisen gegen
11^ Millionen Pud erblasen, und davon gefrischt wor-
den etwa 8 Millienen Pud. Im Jahre 1850 Roheisen
erblasen: 11792325 Pud und davon gefrischt worden:
8i MiUionen Pud
Zu Tafel 4.
1) Die der Regierung gehSrigen Salzwerke haben ge-
liefert :
1832: 16799913 Pud Salz
1^7: 19435552 - -
1848: 17821645 - >
1849: 19129735 - -
1850: 19050273 - -
2) Die Privat-Salzwerk% haben geliefert:
1832: 5099563 Pud Salz
1847 : 5318407 - , -
1848: 5888906 - -
1849:5360669 - -
•1850: 5778836 - -
3) In dem Lande des Donischen Heeres ist an Salz
gewonnen worden: Terbraucht worden:
1847 684000 Pud 500000 Pud
1848 658000 ^ 909000 -
1849 876000 - 672000 -
In dem Lande des Uralischen Heeres wurden wahrend
drei Jahren von 1845 bis 1848 223000 Pud Salz ge-
wonnen, und es ist in der vorstehenden Tafel fiir
1845 bis 1846 naherungsweise das Mittel aus der drei-
jiihrigen Ertragssumme angesetzt und auch der Ver-
brauch auf dieselbe Weise geschalzt worden. In dem
Lande des Tschernomorischen Heeres wurden 1848
37*
5Q0 Indottrie and HandeL
611000 Pud Salz gewonnen und 232000 Pud ver-
braucht.
4) Eingefiihrl worden ist an Sak:
1832 5127002 Pud
1847 4487426 -
1848 4587078 -
1849 5073647 ■
1850 4992203 -
5) Von der Regierung wurde Sab verkauft:
1847 25957256 Pud
1848 24852062 •
1849 25271803 •
1850 26677419 -
6) Von Privaten wurde aus Quelldn und anderen Vor-
kommen an Sals gewonnen:
1847 1015205 Pud
1848 1007624 -
1849 1140313 .
1850 1225891 -
7) Unentgeidlich verlheilt wurden an Sals aus den Ma-
gaunen der Regierung:
1847 324537 Pud
1848 442492 •
1849 341417 ■
1850 401637 -
8) Von Krymschen Sals wurde abgesetzt:
1847 1275215 Pud
1848 1760970 -
1849 1220445 -
1850 1641675 -
Nicolai Tornau's Werk liber die Gnindsatze
der muselmannischen Rechtswissenschaft.
(Oclav. 475 Seiten. Einleitung 49 Seiten. Aiphabetische Ver*
Eeichniss 87 Seiten.)
Nach dem Rassischen.
iJie Grundsatse der muselmaonischen Jurisprudens finden
eine griindliche und amfassende Behandlung in dem Werkc
des Herrn Nicolai Tornau: Ispolq/enie natschal Musulmans-
kago Sakono-wjedjenija. St Petersburg 1850. Wir entneh-
men eine nahere Erorterung dieses wichtigen Brzeugnisr
ses in der rechtswissenschafllichen Literatar der ^^Biblioteka dlja
tscbienija. Mai 185V% um so mehr da diese zugleich auch als ein
Hinweis auf die Bedeutung dienen kann, welche russischer-
seits dem genannten Werke fiir die Gerichlsbarkeit des siidost-
lichen Europas beigelegt wird.
Das Stadium der muselmannischen Rechtswissenschaft —
heifsl es in jener Beurtheilung — ist fiir Russland kein ge-
lehrter Luxus, kein Gegenstand einer blofsen Wifsbegier; es
hat einen bestimmten Werth und zwar im Interesse der vie-
len muselmannischen Stamme, welche in der Krym, in Sibi-
rien, besonders aber in dem orenburgiscben, dem kaukasischen
und transkaukasischen Gebiete leben.
Der vorliegende Gegenstand erregte in der Neuzeil mehr^
fach die Aufmerksamkeit der Gelehrten im Weslen von Europa.
562 Historiscb-linguistische Wissenschaften.
Fiir den letzieren haben jedoch ihre Arbeiten hieriiber
einen ungleich geringern Werth als fur uns, da seine nachste
Verbindung mil dem muselmannischen Volk sich auf Colonien
besclirankt. Die Crfahrung der Colonialverwaltung machte
jenen indessen die practisclie Bedeutung fiihlbar, ein Element
ganz kennen zu lernen, welches die inneren Verhaltnisse un-
ter den Anhiingern des Islam begreift und den Grund ihres
gesellschaftlichen und hauslichen Lebens bildet.
Die Arbeit des Herrn Toraau ist die Frucbt eines viel-
jahrigen Fleifses wiihrend seines Aufenthaltes im Qsten und
einer fiinf Jahre langen ununterbrochenen Theilnahme an der
Regierung des kaukasischen Gebietes. In dteser Zeit iiber-
zeugte er sich von der unumgangJichen Nolhwendigkeit einer
vollkommeneh Kenntniss aller geislliclien und weltlichen Ge-
setze der Muselmanner, die deren ofifentliches und Privatleben
ieiten und nach denen sie, auf Grund des Swod (Concordanz)
der russischen Gesetze, nicht allein unter einander ihre ge-
richtlichen Slreilfragen zu losen haben, sondern auch in an-
deren Fallen von den (russischen) Behorden gerichtet und
regiert werden miissen.
Die europaische Literalur der muselmannischen Rechts-
wissenschaft konnte Herrn Tornau fiir den Zweck seiner Far-
schungen nicht genugen. Bei der grofsen Mannigfaltigkeit der
liber den Osten von abendlandischen Gelehrten und Reisenden
gesammeiten Erfahrungen, vermag doch keiner der europai-
schen Slaaten sich eines Werkes zu riihmen (sic), welches
die muselmannischeRechtswissenschaft in alien ikr^n .Therien,
oder auch nur in irgend einem Abschnjlte, treu darsteilt, ge«
schweige eines solchen, das alle Eigenthumlichkeiten des Is-
lam, sowol in seinen dogmatischen als auch weltlichen Saizun-
gen, in sich fafst.
Unter den abendlandischen Gelehrten, welche sich mit
dem belreffenden Gegenstande beschaftigten, waren fiir Herrn
Tornau besonders beachtens werth: Dr. Borms, der bekannte
Orientalist Mourad/a d*Ohsson, Dulo und Pharaon, Macnagh-
ten and Professor Gans. Der erste schrieb: ),Recherches sur
Tornan's Werk iiber die Grnndsatse der muielm. RMfalswisienschaft. 563
ia cousiilution de la propriete lerriioriale dans lea pays mu-
suloians 1842". Als Mitglied der Administration von Algier
vermobkte Borms sich von der Richtigkeit seiner Annahmen
an Ort und Stelle zu iiberzeiigen. Sein Werk ist besonders
beachtenswerth wegen seiner griindlichen Unterscheidung aller
bisherigen, in das' Beehtswesen der Mohammedaner greifen*
den Arbeiten, von denen jedoch keine, nach seiner Aussage,
als ein sicherer Leilfaden fur das praktische Verhalten hierin
dienen konnte. M. d*Ohsson spricht'in seinem „ Tableau ge-
neral de TEmpire OttomanV mehrfach iiber das muselinannische
Recht, doch mil Benutxung nur einer Quelle, des Muitsek-el-
Ebehor, und nicht zum Zweck eines allgemeinen Ueberblicks
der muselmannischen Gesetzgebung, sondern einzig und allein
um eine Sammlung von denjenigen Privatrechten und Privat-
gesetzen zu liefern, welche im tiirkischen Reiche in Anwen-
dung kommen. Das Werk der Herren Dulo und Pharaon:
9, Droit musulman 1839'*, umfafst keineswegs alle Theile und
Einzelheiten des muselmannischen Rechtswesens; es bezieht
sich nur auf die sunnitische Secte und zwar unter deren
doppelter Gestaltung der Chanefiten und Malekilen. Dem-
nachst leidet es aufser an dieser UnvoUstandigkeit noch an
dem Fehler einer mil dem franzosischen Codex in Ueberein*
stimmung gebrachten Anordnung der einzelnen RechtCi wo-
durch es schwer verslandlich fiir uns und ganzlich unzugang-
lich fiir die MuselmSnner selbst wird. Die ,,Principles and
Precendes of Moohammedan Law. 1825" des Hrn. Macnagh-
ten, behandeln vorzugsweise das Erbrecht mit einer nur .bei-
laufigen Beachlung der anderen Gesetzesbestimmungen ; doch
besitzen sie besonders darin einen Werth, dab alle in ihnen
dargelegten Rechle sich durch arabische Urkunden belegen
lassen. — In- dem Werke des Herrn Professor Gans: „das
Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung 1824" wird zwar
bei der Vergleichung der Erbrechte, auch das muselmannische
beriicksichligt, indessen gesleht der Verfasser selbst, dafs ihm
hierzu die wichtigslen Quellen nicht zu Gebote standen. Aus-
ser diesen hier genannten Werken benulzte Herr Tornau auch
564 Hfttorisch-iingiiistiscbe WiBteitBclmften*
1) die Uebersetzungen des Korans in's Deutsche und Fran*
zosis^che; 2) die y,Historische Einleitung in den Koran '^ von
Dr. Gustav Weil 1844; 3) Fr. Kolb's „der Koran'' im Staats-
lexicon vonRotlek undWelcker; 4) Sale ^Observations hisio*
riques et critiques sur le Mahometisme dans les livres sacres
de rOrient''; 5) Chardin ^Voyage enPerse*"^; 6) Reinaud ^^Mo-
numents arabes, persons et turcs'*; 7) Eugene Sice y^Traite
des lois mahometanes dans les^ Indes Franfaises 1841''; 8)
Volney ^^Les Ruines 1822'*; 9) Le Comte de Warren ,,L'lnde
Anglaise 1844"; 10) Fr. John Shore ^^Notes on Indian affaires
1831". Das letzte und beste Werk uber die luuselmannische
Rechtflwissenschaft erschien in Russland, und zwar von Mirza
Alexander Kasem-Bek, Professor an der Kasanschen Univer-
sitat. Seiner Herausgabe des Werkes des chanefitischen Ge*
setzgebers von der Schule Sadr-uschariad: ^yMuchtassar-uI-
wikajet% fiigte er eine Einleitung bei, vvelcfae eine ausfiihriiche
und bestimmte Auseinanderselzung der Entwickelung und des
gegenwartigen Zustandes der muselmannischen Jurbprudenz
enthalt.
Diese Arbeiten iiber den betreffenden Gegenstand fand
HerrTornau in der rechtswissenschaflKchen Literatur vor, als
er die Ausftihrung eines Werkes unternahm, welches ein aU-
gemeines Bild der ganzen Lebensweise des muselmannischen
Volks, seines gesellschaftlichen und hauslichen Verhaltens, mit
Hinweis auf die dogmatischen imd weltlichen Principien sei-
ner Glaubenslehre und die seines biirgerlichen Rechtswesens,
liefern soUte. Als das Hauptziel seiner Arbeit betrachtete der
Verfasser indessen ihren praktischen Werth fiir dieRegierung
der muselmannischen Stamme im russischen Kaiserreich und,
dafs sich zu dem Ende Admini^trativpersonen und Richter mit
den von dem Geist der Religion innig durchdrungenen biir-
gerlichen Gesetzen des Islam vertraut machen mochten. Mit
Riicksicht hierauf voUzog der Verfasser auch die Darlegung
der erwahnten Grundsalze und zwar auf Grund der Gesetz-
biicher aus der Sekte „Schii", well, diese ihm mehr zugiing-
lich waren. Was dieSchriflen der sunnitiacben Sekte betrifft.
Tornaa*8 Werk iiber die Gnindgatze der rnaseim. Rechtawissensdiaft. 565
so benulEle er mehrere derseiben, doch einzig und aliein nach
den Auslegungen derjenigen Sunniten, von denen Glaubens-
genossen in dem iranskaukasischen Gebiele und anderen rus-
sischen Gouvernemenls leben. Ebenso in dem besonderen
Inieresse fiir die praklische Tauglichkeit seines Werkes hielt
es der Verfasser fiir angeeignet, einiger abweichenden Satzun-
gen der in den russ. Provinzen sich nicht vorfindenden Male*
kiten und Chanbeliten zu erwahnen, weil jene Abweicbungen,
deren Kenntniss fiir Russland ohnehin keinen praktischen VVerih
haty ofl nur zu Unverstandlichkeiten fiihren und die Veranias-
sung zu Feldern in der Vergleichung der festgeseUlen Rechls-
bestinimungen geben konnten.
Die Schriflen der muselmSnnischen Geiehrten, die Herr
Tornau zum Geg^nstand seiner Queiienstudien machle, waren
folgende: 1) ,,KiUbi Usuli din'', des Ispahanischen Mudjatechid
Aga- Mohammed -Bahir Medjlisi; 2) „Kilabi Scherchi Ejteka-
dat"» des Ibn Bobewei; 3) „D;omme Abbasi'% des Scheich
Becka-Eddin- Mohammed D/embel Ameli; 4) ,|Murschid*ul
awwam'', des Mirza Abul-Kabin bin Hassan D/ilani; 5) „Bist
bab'', des Hadji Mohammed - Bahir Medjlisi; 6) „Nei]-ul me*
ram'\ des Molia Achmed x^rdebili; 7) ,,Sawal we d/ewab"',
des Mudjetecbid Sessed Mohammed-Bahir Reschle". Die bier
getiannten Biicher sind Gesetz-Schriften der Schiitischen Sekte.
8) ,,ChamaI-Idjas'*, der sunnitischen chanefitischen Sekte; 9)
„Keschf-enwar'\ der sunnilisch-schafitischen Sekte; 10) „Ich-
telafot ui Imetil Erba", eine sunniliscfae Schrift; welche in
sich die vergleichende Ausiegung aller Gesetze der vier sun-
nitischen Seklen begreift. Ausserdem, vorziiglich fiir das Ka-
pitel iiber die Imanschaft und deren Verrichtungen, ferner fiir
die Darstellung einiger reiigioser Streilfragen und endlich fiir
das Kapitel iiber die Wanderung benutzte Herr Tornau noch
besondere Schriften musehnannischer Gelehrten.
Das Studium aller dieser Hiilfsquellen wiirde jedoch noch
nicht alle Schwierigkeiten seines Unternehmens ganz beseiligt
haben, wenn er sich nicht in zweifelhaften Fallen der unter-
sliitzenden Leitung erfahrener Personen, welche sich damals
566 Historisch -lingaistische Wissenscbaften.
in den muselmannischen Provinzen des Iranskaukasischen Ge-
bietes aufhiellen, erfreut hatte.
Die auf diese Weise gebildete „Darlegung der Grund*
satze der muselmannischen Rechtswissenschafr, brachte Herr
Tornau in zwei Theile: der erste enthalt den dogmatiscben
Theil der Lehre vom Glauben (lime Kelam); der zweite den
praktischen Theil der Lehre vom Glauben (Ebadat) und das
biirgerliche Rechtswesen (lime Gkh) in drei Biichem: Ekudat,
Eikaat und Echkam. Dem Werke voran geht eine Einleitung,
Diese und die dogmatiscben Lehrsatze des islamismus sind von
dem Verfasser zur Unlersuchung des aligemeiden Zweckes
der muselmannischen Rechtswissenschaft in facia dargelegl,
welcThe auf die ersten Principien, die Enlslehung und die ge-
genseilige Abhangigkeit aller Arten, sowol der religi5sen als
auch der biirgerlichen Gesetze unter einander hinweisen.
Die Einleitung beruht auf Ausspruchen des Korans seJbsl
und auf Angaben europaischer Gelehrten, hier vermochle der
Verfasser sich nichl von den Werken muselmannischer Rechts-^-
kundiger der verschiedenen Sekten leilen zu lassen, da sie
mehr oder weniger der Parlheilichkeit fiir ihre Auffassungs-
und Erklarungsweise untcrliegen. Der dogmatische und der
praktische Theil der Glaubenslehre grundel sich auf die mu-
selmannischen Rechlsschriften und die Untersuchungen der
Europaer.
Die grofsle Aufmerksamkeit verwandle der Verfasser, wie
schon vorher bemerkt, auf den biirgerlichen Theil der Ge-
setzbestimmungen. Dieser Abschniit ist fasl ausscliliefsiieh
persischen und arabischen Quellen enlnommen. — Er bc-
steht aus drei Biichem. . Das Buch Ekudat begreift in sich
die Geselze, welche sich auf biirgerliche Handlungen, Ver-
bindlichkeilen, Vertrage, Bedingungen beziehen, diedieUeber-
einslimmung beider contrahirenden Theile erfordern. Das
Buch Eikaat behandelt die Verbindlichkeiten, welche nicht
unfehlbar die beiderseilige Zusiimmung der Contrafaenlen ver-
langen; sie sind abhangig von dem frtien Willen ciner Per-
son, von welcher dann nur der Ausspruch ihres eigenen
Tornaa*s Werk iiber die Gmfidsatie der maselm* ReofatawissenscLaft. 567
Wunsches nach innerer Ueberzeugung gefordeii wird. Das
Buch Echkam enlhalt die Verordnungen und Satzungen, welche
zur Erfiillung und Wahrnehmung alien Museimiinnern vorge-t
schrieben s'md und sich eigens auf die Ordnung des biirger**
lichen, gesellschaftliehen und Privaliebens derselben beziehen.
Hierfaer gehoren unter anderen auch die Criminalsachen. —
Jedes dieser Bucher zertallt in Abschnitley j^der Abschnitt in
Kapilel.
Zu Anfang eines jeden Kapiiels sind die Quellen zu
den hier dargelegten GeseUen angegeben, und jedes arabische
und persisehe Worl isl im Text, um der Genauigkeit willen,
mit arabischen Buchslaben bezeichneL In der Aussprache der
arabischen und persischen Worter richteie sich der Verfasser
nach der gewdhnlichen arabischen, fiir das Persisehe zu*
meist nach der loi transkaukasischen Gebiete gebrauchlichen
MundarL
Der Nutzen und die Wichtigkeit dieses Werkes wird be-
soQders den russischen Beamlen in den von Museimiinnern
bewohnten Gebieten fiihlbar werden : fur sie ist die ,, Darle-
gung der Grundsiitze der muselmannischen Rechlswissenschafr
ein unschaizbares Werk. Das Buch des Herrn Tornau ist
durch die Vermittelung des Grafen Dmitrii Nikolajewilsch
Bludow auf Ko&ten der Typographic der zweilen Ablheilung
der Kaiserlichen Kanzellei gedruckl worden und dem Ver-
fasser wurde erlaubt es dem Kaiser zu wadmen. .
Als Probe iiber die Behandlungsweise des Gegenstandes
geben vvir hier den Anfang der Einleitung. Die Randglossen
und arabischen Benennungen, weiche im Original fast die
Halfte des Texles biiden, libergehn wir als unnolhig fUr den
Zweck dieses Auszugs.
„Zur Begriindung der muselmannischen Rechtswissen-
schaft, sowol der. geisUichen wie der biirgerlichen, dient der
Koran.
„Der Koran, in der (Jeberlragung : Buch oder das Lesen,
ist eine Sammlung von Suren oder Kapileln.
,)Der Zweck des Koran's war in religioser Beziehung:
568 Hiitorisch-lingnistiscbe Wisienscbaften.
den Gfitzendiensi unter den Arabern zu unterdriieken und
auszuroUen, in ihnen die Gefiihle der Sittlichkeil und die an-
geborenen Tugenden zu wecken und dieselben auf beslimmle
Gesetze und Gebrauche der Religion zu begriinden; endUch
dem Glauben der Hebraer, besonders dem Treiben der Rab-
biner^ ebenso der Liigenlehre der Gnostiker, der Sabellianer
und anderer Sekten entgegenzuwirken, aus welchen Jetzteren
Mohammed auch seinen falschen, verworrenen Begriff von
der christlichen Religion geschopft hatie.
9,Der neuen Lehre wurde die Benennung Islam beigelegt,
die in der Uebertragung ,,die unbedingte Unterwerfung unter
den Willen und die Befehle des Allerhochsien'' heifsL
y^Die Dogmata der Lehre und die Gesetze des Islamismus
sind andren Religionen entnommen: zumeist der mosakchen,
zum Theil der christlichen und der der alten Perser. Der
Theil iiber die Gebrauche des muselmannischen Glaubens
griindet sich sowol auf diejenigen, welche bei den Arabern in
der Zeit des Gotzendienstes iibtich waren, als. aach auf ()ie
jiidischen. Alles dieses wurde dem Geiste und den BegriffeD,
den Silten, Gewohnheil«n und Leidenschaften der Araber an-
gepafst und fand an vielen Slellen seinen Ausdruck in einer
so machtigen Beredsamkeit, als sie die Araber in ihrer Sprache
nicht kannlen und kennen und die Mohammed als Kennzei-
chen seiner Weissagung ausgab, indem er sich einen unge*
lehrten Pfophelen nannte.
„So wie der Koran von Mohammed zu verschiedenen
Zeiten verkundigt wurde: theils und besonders zur Verbrei-
tung seiner Lehre, theils in Falge von Zufalligkeiten in sei*
nem offentlichen und Privat*Leben, theils zur Auslegung
seiner vorhergegangenen Verordnungen , so findet sich auch
in den Suren (Kapitein) und Spruchen des Korans, weder eine
Verbindung noch eine systematische Ordnung.
,,Bei Lebzeiten Mohammed's bildele der Koran nicht ein
ganzes Werk, in Bezug auf die abgesonderlen Suren erwei-
lerle er sich durch Handschriften unter seinen Anbangern.
TornaQ*8 Werk uber die Grandsatze der matelm. Rechtewiuenachaft. 569
,,Nach dem Tode Mohammed's befahl der Kalif Abu
Bekr dem Send Ibn-Sebet, alle Kapitel in ein Gesetzbuch
zusammenzufassen und im 13. Jahre der Hegira (634 nach
Christi Geburt) wurde der Koran als voiles, in 114Suren ge-
thelites Ganse herausgegeben."
Am Schlusse des Werkes linden wir zwei Inhalts-Ver-
zeichnisse, ein kurzes and ein ausfuhrliches, und ein alpha-
betisches Register.
L. A.
Bericht eines russischen Handelsreisenden iiber
Taschkent *3.
Von Pelropawlowsk (im Gouvernement Orenburg) fiihrl cin
stark besuchier, ausgefahrener Weg nach Taschkent Man
kann sich hier nichi verirren, ausgenoinmen elwa in dem Ge-
birge Kara-tau, jenseits der^Forst 5usak, dessen Uebergang
ungefaiir sechs und dreilsig Stunden dauert. Sonst ist die
Strafse uberall so eben, dafs man in einem Tarantas darauf
reisen kann; die Waaren werden jedoch aile auf Kaineelen
transportirt, und zwar zu biliigen Preisen, indem man fiir
eine Last von sechzehn Pud einige 30 Rubet Papier zahlt.
Nachdem wir Pelropawlowsk verlassen, ziehen wir zuerst
gegen 500 Werst weit bis zum Akmotinskji-Prikas durch die
Steppe, in welcher die Russland unterlhanigeu Kirgisen no-
madisiren. Ueber Akmoly hinaus verfolgen wir den nach
Ajagus fiihrenden Weg liings der Kosakenlinie und wenden
uns sieben Piquets vom ersteren Orte rechts, bis zum Flusse
Sary-5u, der wohl 280 Werst von Akmoly entfernt sein mag.
Vom Sary-5u ab finden wir auf einer Strecke von 150 Werst
gute Fourage und keinen Mangel an Wasser. Desto beschwer-
licher sind die folgenden 250 Werst; man nennt diese Gegend
mit Recht die Hunger -Steppe (Golodnaja 'Slepj). In dieser
*) MitgetheiU von Herrn P. J. NeboUin in den Otetscbestwennyja
SapUki.
Bericht einea rassiftcben Handelsreisenden iiber Ta«chkent. 571
Hunger -Steppe, Bed-pak-dala, sind alle 40 bis 50 Werst
Brunnen gegraben. Eine solche Distanz in einer Tour zu-
riickzulegen, wiirde jedoch, namenllich bei heifser Witlerung,
kaum mSglich sein; man fiihrt daher Schiauche mit, die man
des Morgens mil Wasser fiillt. Nachdem man dann 20 bis
25 Werst gereist ist, halt man um die Miltagszeil an^ nimmt
den Kameelen die ihnen aufgepackten Wasserschlauche ab,
trankl die Pferde und kocbt Thee fiir die Caravane, wahrend
die Kameele und die Pferde das kargliche Gras abpfliicken,
das umher wachst.. Hierauf selzt man seinen Weg fort und
gelangt gegen Abend zum Brunnen, So geht es heule» so
morgen und ubermorgen fort; es wiederholt sich dieselbe ein-
formige Scene, bis wir den Tschui- Strom erreichen.
Der Tschui (Tschuja) ist kein kleiner Fluss^ und obgleich
er im Gebirge entspringt und seine Flulhen daher rein und
frisch sein miissten, so giebt ihm doch der Salzgrund, iiber
den er fliefst, einen brakischen Geschmack. Er. steht mit vie-
len Landseen in Verbindung, die mit Schilf bedeckt sind. In
den Monaten Marz und April, wo das Wasser im Flusse nie-
drig isty waten die Caravanen durch; im Mai und Juni aber,
bei hohem Wasser, macht maA aus dem Schilfrohr Floiise und
setzt so mit seinen Waaren auf das Taschkenter Ufer iiber.
Von der russischen Seite des Tschui bis zur nachsten
Taschkenter Festung, Susak^ rechnet man 80 Werst eines
hochst sandigen Weges. Ueber einen Raum von etwa 60
Werst erstreckt sich ein 5ak«aul-Wald, der indessen nur aus
verkriippeltem Gestriipp besteht. Auch hier sind an verschie-
denen Punklen Brunnen in den Sand gegraben ; wogegen 5u-
sak an einer Quelle liegt und auch durch Aquaducte mit
Wasser vom Berge Karatau versehen wird. Da hier nur we*
nigRegen falh, so bewassert man dieFelder aus diesenWas-
serleitungen drei- bis viermal im Sommer und erzielt hier-
durch gute Aerndlen. Man hat um'5usak drei Sorten Ge-
traide: Waizen, Gerste oder Arpa und Hirse.
Siebzehn Werst von S\xsak nimmt das Schwarze Gebirge,
Kara-tau, seinen Anfang, durch dessen Schluchlen die Ca-
572 Historisch-lingnistisehe Wissensehftften.
ravahen passiren miissen. Langs der ersten Haifte des Wegs
fliefst gutes Quell- und Schneevvasser. Unler Anderem siehl
man dor^^ einen grofsen Bach mit einem Grabmal zu Ehren
eincts Mannes^ der von den Kokanern als Heiliger verehrt und
Balyk-Tschala, d.h. Vater der Fischer, genannt wird. Neben
dem Grabe hat man einen kleinen Teich gemacht und Fische
hineingelassen; sie gehSren aile zu einer Sorle, nach Arl der
Golowlja (cyprinus orpha), und werden von den zunflchsl le-
benden Einwohnem gefiiltert, aber weder gefangen noch
gegessen^ da man dies fiir sundhaft hall. Rings um das Grab
hangen an den Baumaslen eine Menge Kleinigkeilen^ die von
Voruberreisenden dem Balyk-Tschata geopfert worden, als
Schaffelle, Stiickchen Tuch, Stncke> kleine Biischel Pferde*
haare u. dergl.
An diesem Grabmal vorbei Qberschreiten wir den Miliel-
punkt der ersten Haifte des Gebirges. Der Weg ist hier nicht
mebr sleil^ sondern fiir Wagen fahrbar. Die zweiie Haifte
des Kara-tauy in die wir jetzt hinabsteigen, beginnt wieder mit
schroffen AbhSngen, hinter denen sich Wasserfalle ergiefsen.
Die Aussichten von diesen Punkten sind wunderschdn. Von
5usak bis Asret betragt die ganze Entfemung acht»g Werst,
von denen die I^tzten vierzig, meist glattes, ebenes Terrain
sind. —
In Asr6l oder Turkestan, was dasselbe ist, flielst nur we*
nig Wasser von den Bergen, und zwar vornebmlich im Friih*
ling; es wird von den Kirgisen vom Geschlechte Kurema
aufgefangen, die in der Nahe des Gebirges leben und viel
Getraide saen. Hierdurch entstehen zwischen den Kirgisen
und Turkestanern Streitigkeiten , und sie fiihren gegen einan-
der bei ihrer Regierung Klage.
Ihre Manier, das Wasser aufzufangen, und es von den
niedriger gelegenen Punkten nach den hSheren zu leiten, um
Bie Aecker zu benetzen, ist ganz sinnreich* An der Seite des
vom Berge herunterstiirzenden Baches oder Fliisschens wird
ein Canal gegraben, dessen Mauern bergab allmalig hober
gemacht werden. Wenn die Erdarbeiten fast bis an den Fluss
Bericbt eiiiei roMiiclkeii Handdtreiiendeii Jah^t Tatchkent. 573
vorgeriickt sindi so wird unterhaH> der Stella, wo die Miin*
dung des Canals durchgehen mufs, em Damm von Steinen
errichlei, worauf man den Canal bis sum Flnsse fortfuhrl.
Der Flussi in seinem Laofe durch den Damm aufgehalten,
liber dessen Steinwand er sich keine Bahn zu brechen ver«>
mag, sucht einen anderen Ausweg imd ergiefst sich in die
Mtindung des Canals, die er foriwabrend anflillt. Das Was-
ser erbebt sich immer mehr und mehr, aber die Mauern des
Canals sind hoch und das Wasser kann sie nieht aberfluthen;
so steigt es allmahlig den Berg binauf, ftillt den ganzen Ca*-
nal, und man l^st es dann nach Beiieben iiber die Fol-
der ab.
Von Asrei hat man bis zur Haupt-HanJelsstadt des Ko-
kaner Reiches, Taschkent, etwa 260 oder 270 Worst. Unter-
weges treffen wir auf Wohnplatse ansassiger Taschkenter und
kirgisische Nomadenlager, auf mit Zittwersaamen besaete
Folder und Ackerland. Zwdlf Worst von Tasehkeni passiren
wir den Fluss Kal)a«. Jenseits des Flusses ziehen sich Pti^
vatgarlen und Grundsiiicke bin, tiberall von Canalon du^ch-
schniUen, urn die Vegetation in der regenlosen Jabreszeit 2u
befSrdem. Die Arbeit bat bier fast gar keinea Wferth, uttd
bei der DurAigkeit der Einwohner ist der Tagelohn so unbe-^
deutend, dais das Graben dieser Canale trotz ihrer grofsen.
Anzahl mit aufserst geringen Kosten verknfipft ist. Auch in
Russland wikden dergleichen Canale in manchen Gegenden
nutzlich sein, allein der Gewinn den sie briicbten, wiirde nie
die Kosten deeken. Man bat keinen Begriff von der Armuth
der Asiaten und von der Geringfugigkeit der Mittel, die sie^
zu ihrer Existenz brauchen. Das Volk ist arm, wild und un-
wissend ; es weifs ntcht, was seiner am morgenden Tage war*
tet — ob man ihn den heute erworbenen Bissen Brod lassen
oder ob derBek ifan nehmen wird, der die Leute ohneKecht
und Urtheil ibres Vermogens beraubt, sobald es ihm gutdiinkt.
Die letzten vier Werst von Taschkent ist die Slrafse mit
Garten besetzi; endlich gelangen wir bis zurStadtmauer, rei«
ten durch das Thor und treten in die Stadt dn.
Ermans Russ* Archiv. Bd. XI. H. 4. 38
574 ' Hisi^nscb-HiigttiftUaclie W«lseos«l)aCt«n.
. . Taachk^nt .is4> eine reiti-'asidUsehe Sladt. Difi. Sirafsen
^ind ki'umtQ vtnd so eugy dafs nur ein Wageo dm^fahren
kann; weiui aich svvei beg^gnen, qq kdoi%en $ie nichi vprbei*
kpmmen. Im Fruhliog isl der Schiaultz.granzenlos; dieStras*
sen sind nwt fur Reiter au pa9^irei>» deren P{erde sich kaum
alls den Sumpfen heraMsarbeilen konnen, in die aie bis iiber
die Kniee versinken/ LaDga den Strafiien zieht aich eine
Lehmmauer, die von dej) Hausern der Einwohoer und ande-
ren Gebauden nicht das mtndeste sehen lafsl. Die Hauser
sind innerhalb des Hofraums, binter der Mauer, gebaut, und
der aufsere Anbiick der Slraisen ial daher haehat monoton.
Bei einigen Hausern, deren man in Taschkent gegen viertau-
send ^hiti befinden sich auoh Obatgarten. Die aaiatischen
tjauser sind nicht grofs^ es wohnt darin nur der Eigenlhumer
pjsbsi ^^p.er Fanriilie; Quarliei'e an Fremde fia vermietben iat
nicht ublich.
., Das Leben der Tasehkenter, ^e allf^r Aai^teii) ist nach
unseren ; Begriffen armiich und unbequew. In ihr^n i>ehm-
h^Visern giebl es keine. Funster, der Wind blast uberail her-
ein, und als.einziges Miltei^ sich z^u warmeD, hai man einen
in? Ziaimer i^uf dem Fu£sJ^4«n zusammengelegten Hol%hau-
feni welchen man ansXeckt, uja die Speisen zu kochen, und
uoi welchen. sich dieFamilie kauea*t« ,Xische, SliibJe, Priiachen
pder Banke sind unbekannl^ d^r.Fufshodey \yird.iiiii PiUdek-
ken Oder prdinairen Teppichen bel>$gt, /anf welchen mau
^chlaft, ifst und . arbeilel. / :. -
Im Eaaeii aind die: Taaehkeikter;niichl lefiker. . Wenn aie
Plow (Pilau) mi Hammelfleisch haben, »q ial ea schoti .ein
^rofs^s Feat; in der Regel afaer. wird .Grilt^e Oder Mehl in
de;i. Kes^el geworfen, etwas Gemiise hinaugethan, dann noch
«in Hammelknochen eiag^kocht? und das Mahl iat ifertig-
Ihre Kleidung iat dieselbe, wie bei. den Buabaren:. ein
bis unler die Kniee reichendea Heaide» nach Art unserer
Frauenhemden, aber mit langen, weiten Aermein und einem
Schlitz, durch welchen man den Kopf steckt, und ohne den
fallenden Kragen, wie ihn dieTataren undKJrgisen zu Iragen
Bericht eiiiet rauUcken HandelAreiteadeji ul»er Taschkeiit 575
pflegeii; weite Hosen (Scharawary), um dtn Ltib fttttaoennen
gebttfiden; stall der Slriioipfe Saddalen (tschulgan, rusaisisb
onatechi) aus bi&ua>tvoU0iera Zeag, wia die ganaee Kieiduog;
hohe Sliefein bis aus Knie'und stela von schwarzer Farbe,
iiber. welohe jedooh griiae Scluihe voa dn^ iSaur igenannten
Lederarl ge^ogen werden. Ueber dem Hecnde tragi man
zuerst einen sehiecht«o, kumen und schmalen baumwoJlenen
Sohlafrock (ehalat) , mit Taschohen an der Brual und cinem
SchliU am Endb der Aerineln, etwa eine halbe Arschin hoher,
um sie beiai Wascbea bis an die ElltK>gen autiiokschlagen zu
konnen; Dieser Schlafreck wird an der Bcust mit Bandiirn
von gleichem Sloff befestigi und dureh eine hiibsche, breite
Scharpe zusamniengehallen. Oann kommt noch ein ziweiler
Rock, ge%vohnlicfa halbseiden; er ist ianger und breiter alsder
erste, hat gleiohfalk Bander,, wird aber meislens oSen geUra-
gen oder mit einer aweiten , breileren Scharpe umgurtety die
aus vier, fiinf oder mehreren unaufgeschnittenen Tiichern la
funf Kopeken das Siiick besteht. im Gurtei steckt immer von
der rechlen Seite ein bauinwollenes Tcischenluch, das jedoch
bios zum Slant dient, und von der linken ein kleines Mess«r.
Die Beamten Iragen links entweder ein*en kfuminen Oolch,
oder einen Sabel, oder ein langes IMesser init einem Griff von
Knochen oder Slein. Auf den geschoreneii Kopf wird zuerst
ein Kaljaposch, d. h. eine spilzige Miitze, und dann ein
Sail] a oder Turban von BaumwoJl^zeug geselzl. Bei kal*
ler VVilterung zieht man noch einen Tulup oder Schafpeiz
mil baumwoUenem oder haibseidenem Sloff iiberzogen an,
der'gleiehlails mil einer Scharpe umgiirlet wird.
Der Beherrscber von Kokan fiihrt den Titei eines Bek;
der jetzige bei/st Ckudojar-CbaD. £r ist noch einjunger
Mann und seine Maehl ist nicht grofs. . Alie Staatsgeschafte
stehen unler der Auisicht des Min-Baschi, dessen Amlsfikh-
rung jedoch gemeiniglich nur von kurzer Dauer ist. Da»
stehende Heer des Beks ist nicht sehr zahlretch. Wenn er
mit einem Nacbbar Krieg. fuiut, so wird eine Art von Land-
wehr (opollschenie) ausgehoben, und zwar meislens aus den
38*
576 Historisch-lingiriitische Wissenichaften*
in Kokand herrschenden Kirgtsen vom Slamme Kypischak,
indem die eigentlichen Kokaner^ besonders die Tadjiks , feige
sind. Zu Anfang des Kriegea werden der Armee 5arpai,
d. h. Rooke von roihetn Tuch, Beinkleider, Saltel, Stiefeln
und ein oder zwei Dukaten (tscherwonsy) pro Mann an Geld
ausgetkeilL Die Anfiihrer erhalten, je nach ihrem Range,
sehn bis iwanzig Dukaten ftir die ganse Dauer des Krieges,
d» i auf ekien Monat oder sechs Wochen;.llinger dauert bei
ihnen der Krieg nicht, da es an VorrStken fehlen and der
Mannsehaft auch die Geduld ausgehen wiirde. Die gemeinen
SoMaten bekommen ausserdem noch ein Pferd, wenn sie selbst
kein solehes haben. Die Armee beslehi nur aus Reiterei; In-
fanterioy wie bei den Bucharen, giebt es in Kokan nicbt. Die
AusrQstang der Truppen ist eiemlich mangelhaft; hat einer
eine Fiinte, so ist es gut, wenn nicht, so wird nicbt viel
darauf gesehen, falls er nur einen Sabei oder eine Lanse auf-
weisen kann. In der Stadt Kokan selbst findet man auch Ar*
liUerie: vier oder fiinf Kanonen und eihige zwanaig Jasaile
oder Falkonette. Sie werden auf Karren transportirt, an de«
ren .Achsen sie festgemacht und so abgeschossen werden.
Ich reiste einmal (es war im Jahr 1847) mit einer Cara-
vane nach Tasohkent. Wir kamen wohlbehalten bis nach5u-
sak; denn in unserer Steppe sind die Kirgisen jetst sehr
ruhig und die Caravanen haben nichts mehr zu fdrchten. In
Susak fanden wir einen uns entgegcn gesandten- Beamlen,
der uns nach Asret geleilen soUte. „Was soil dies bedeuten?'^
dachten wir und begannen den Boten auszufragen. Wir er-
fuhren, dafs der Bek-von Asret sich mit dem oberslen Bek
oder Chan von Kokan veruneinigt habe. Der Chan hatte von
ihm den Tribut eingefordert^ was jener verweigerte, mit der
Drohung, sich unabhangig zu machen, worauf der Chan ein
Heer von 20000 Mann zusammenbrachte, dessen Commando
er dem Bek von Taschkent, A«is> anvertraute. Der Bek A«is
nickte mit dieser Macht vor Asret^ umzingeite es und begann
in die Stadt hineinzuschiefsen, die ihm in gleicher Weise ant-
wortete. So wurde das Kriegssptel eine Zeitlang fortgesetzt,
Bericht eioea roisifdien HajKlebrei^eadeft naeh Tascbkent gi77.
obne dats es su irgend einem Resultat fiihrte. A^is wolUe
jedoch nicht utiverrichteler Saehe nach Hause kehren^ sog
sich also nicht zuriick und stand ein voiles balbes Jahr vor
der StadU * Endlich machten die Truppen des Chans eine
Bresche in der Lehmmauer, liefsen Wasser aus den Canalen
liinein, welches die Festdng uberschwemmte, und die Be\voh«-
ner von Asret ergaben sich; nur die Krieger setzlen sich in
der kleinen Citadelle fest, in der sich die Moschee des Sultans
Asret und das Grab Chodji • Achmels befinden, und schossen
von dort aus auf die Taschkenler. Da trat plotzlich ein
neuer, unerwarteter Umstand ein.
In Kokan wurde der oberste Minister, der Min-Baschi Mu*
sul-Man-Kul| von dem Chan abgeselzt und ein anderer Kyp-
tscbak an seiner Stelle ernannt. A^is, iiber den Slurz seines
Freundes Mu«ul*-Man-Kul, mil dem er im Einverstandnifs war
und in grofser Harmonic leble, aufgebracht, schrieb an den
Bek von Asret mit der Bilte, die Festung zu ubergeben und
den Krieg zu beendigen, und versprach dagegen, ihn dem Chan
nicht zur Bestrafung fur seinen Ungehorsam auszuUefern,
sondem nach Buchara zu enllassen. Der Bek von Asret. reiste
nach Buchara ab, der Bek Asis setzte seinen Slatlhalter in
Asret ein und kehrte mit seinen Truppen nach Taschkent
ziiruck.
Bald darauf schickte der neue Min-Baschi zu A^is-Bek
nach Taschkent mit dem Befehl, ibm zu gehorchen und ihn
in derselben Weise als seinen Vorgesetzten anzuerkenne.n,
"me den Ariihereii Min-Baschi MusuMVIan^Kul; allein A«is er*
kiSrte dem Boten, dafs er nichls von dem neuen Min-Baschi
wissen woUe. In Folge dessen wurde in Kokan ein neues
Heer ausgeriistet, welches sich gleichfalls auf einige zwanzig*
tausend Mann belief. Dieses ruckte vor Taschkent und um*
zingelte es, aber Asis*Bek schlofs alie There und weig^te
sich, die Truppen des Chans einzulassen. Lelztere sohritten
zum Angriif; die Bewohner von Taschkent vertheidtgten sich,
und das Schiefsen dauerte sechs Wochen. Wahrend dieser
ganzen Zeit war Taschkent blokirt. Als die Truppen des
578 Hifftorisch-lingfiiBttsche Wissenscbaften.
Ghans saben, dafs sie die Stadt nicht einn^men konnten,
machten sie sieh in der Nacht ^us dem Siaube iund kebrten
nach Kokati zoriick. Ab\s ethidlt sogleich' von ihrem Ruck-
zuge Kunde, glaubte aber nichl<dardny<saiid^rn Tiirchleter eine
Kriegsli\st;[ er Kefs daher die fiinwohnei? Fange nicbi aus der
Siadt herauiy um ihre Garten iind Aeckfer zu bedtellen, wo-
ven die -Yiaaehkenter allein ihren Onlerbalt gewinnem Aus-
serdiem le'gte ibnen A«k sur Be^reilung' derKrie^kosten eine
Steuer von dreifsig Silbermiinzen (zu 20 Kopeken) for jedes
Haus auf. Die SiSdter schickten ihrerseils heiinlich nach dem
Fort Krejutschi (zwischen Tasehkent und Chodjerrl) zu dem
dortigen Befehlshaber, urn seinen Schutz zu erbitten, mit dem
Versprecben, ihm ganz Taschkent zu iiberliefern*
Am 9. August 1847 begann zu Taschkenl ein Blutbad;
im Laufe von drei Stunden wurden gegen 800 Menschen todt-
geacbiagen. Man hat mir nie recht die Ursache erklaren kon*
nen, warum so viel Blut vergossen wurde. leh befand mich
damals selbst in Tasehkent, und da ich nicht wufste, ob ich
am Leben bleiben i;vurde, so vergrub ich alies, was ich an
Geld' bei mir halte, in der Erde in einer Ecke des Caravan-
serai. Am Morgen nach diesenfi Gemetzel langte der Befehis-
haber des Forts Krejutschi an und bemachiigte sieh Tasch-
kent^s. Unterdessen war in Kokan, nachdem die Armee des
Chans von ihrer erfolglosen Expedition gegen A^is-Bek zu-
ruckgekehrt war, der neue Min-Baschi semer Slelle enthoben
und der friihere, Mu«ul-Man-Kul, wieder in dieselbe eingesetzt
worden. A^is wurde nach Kokan eingeladen, wo er, man
wetfs nioht warum ^ in jedem Falle aber nicht iur sein altes
Vergehen, welches man ihm nicht mehr als Yergehn' anrech-
nete -— einige Monate nach seiner Ankunft umgebracht wurde,
wahrend die Stadt Taschkent, seit ihrer Einnahme durch den
Gouverneur von Krejutschi, von diesem regiert wird.
Ein solches Land ist Taschkent; man kepnt hier weder
Recht noch Gerechtigkeit, weder Ordnung noch Gesetz. Das
Reich Kokand ist auch kaiim ein Staat zu nennen; es ist nur
ein Lager oder Sammelplatz reicher und armer, aber durch-
Bericht eines riMsischen Uandelsreisenden nach Tasclikent. 579
gangig roher und wilder Asialen, im Vergleich mit welchen
die talarischen Bauern (inujiki-Tatary) in Kussland wahre
Gentlemen und aiifgeklarte Leute sind.
Fiir den russischen Kaufmann ist jedoch Taschkent ein
wichliges Land, und um so mehr durch seine haufigen Ver-
bindungen mit Kaschgar und Buchara. Nach Kaschgar wer-
den allwochentlich Caravanen aus Kokan abgefertigt, welche
den Bewohnern von unbekannten Gegenden russische Waa-
ren, Tuch, farbigc Pluf che, Cjillun.^ Mitkal .(gr^^be Miisseline),
rohes und gegossenes Eisen zufiihren. Es ist nur zu bedauem,
dafs die russischen Kaufherren nicht selber hinreisen, slall
ihre Prikaschtschiks zu schicken ; es wiirde ihnen ohne Zwei-
fel gelingen, bessere Tauschartikei ausHndig zu oiacbeu, als
die Welche jeUt aus Taschkent bezogen, werden, uad die
hauptsachlich in Baumwolle, einer sohlechien Sorte Krapp und
Thierfellen bestehen, wozu noch getrocknete Friichte und g'e-
druckte Baumwollenzeuge (wyboika), Busi und Chalate koitf^
men. Man wendei ein, dafs die Reiae mit biedeutenden Ge-
fahren und Beschwerden verbuoden ist Lel&teres, mag wohl
gegrundet sein, obwohl die Mtihseligkeiien eines Caravanen-
%uges durch die Sieppe am Ehde leichter zu «rtragen sind,
als. die .taglichen Qualereien des Weltleben^. Was aber. die
Gefahr betrifft, so sind die Zeiten vorbei, .wo soicbe lu bch
fiircbten war; heutzutage wird auf der ganzen Steppenreiae
weiler von den Kirgisen noch von andren Volkssiammen dem
Kaufmann ejn Harchen gekriimmt '^).
*) Ueber die Gefatiren, mit welchem fruhure Reisende in der Kirgisen-
steppe zu kampfen batten, vergi* Kaidalow^s „Karawan-Saf4«ki"
im ersten Bande des Arobiys, S. 124 ff.
Das Reich Kokand in seinem heutigen Zustande.
IjLokand begreift den osUichsten Theil des uoabhangigen
Turkestan : im Norden wird es durch eine unwirthbare Steppe
von ^ibiiien getrennt; im Westen granzi es an Ghiva und
Buchara; im Suden an Karaiigen, Darvas und Kulab; im
Osten an das Ghinestsche Turkesian.
Dieses Reich bilden folgende Gebiete: 1) das efaemalige
Fergana, zwischen Karatigen und dem linken Ufer des Oxus ;
2) Namangan, vom rechten Ufer des Sjr-Darja bis sum
Gebirge Ala»Tau; 3) Ghodjand, ebemals unabbangig, ^ber
schon mehr als.40Jahre milKokand vereinigt; 4) Uraiippa
(Urjutjupa), zwischen Chodjahd und Buchara, seit 1813 er-
obert; 5) Kurama, kleines Gebiet am rechten Ufer des .Syr-
Darja, zwischen Chod/and und Taschkend; 6) Taschkend;
7) As ret, das nordUchste Gebiet, stofst an die Steppe Bed-
Pak-Tala, auch „Hungersleppe" genannt.
Noch kann man hinzurechnen: 8) das Laud zwischen
dem See fialehasch und dem Ursprung des Syr-Darja, be-
wohnt von den Burnt oder Schwarzen Kirgisen; 9) die ost*
lichen Ahhange des Belur-Tag, welche ebenfalls diesem Volk
als Weideplatze dienen. Dieser gebirgige Strich gehort zu
Kokand, obwol er schon im Chinesischen Turkestan liegt.
Die am wesllichen Abhange des Belur-Tag liegenden Ge-
biete Karatigen, Darvas,^Kulab und Schugnan wurden 1830
durch kokandische Truppen erobert; allein ihre Abhangigkeit
Das Reich Kokand in aeinem Jientigfon Znttande, 581
ist in den lelzten Zeiien schwacher geworden, daher wir sie
nicbt zu den wirklichen BesiUungen des Chanes von Kokand
rechnen.
Das Land wird seiner grdfelen Ausdebnung nach von
hohen Bergketten durchschniUen. Im ostlichsten Theile erhebt
sieh der Belur-* oder Bului^Tag/) ein machtiger Asl des
Himalaja, welcher ungefabr unler 35'// N.B. und TSy/O-L.
von Greenwich, vom Hindu -Rusch sieh loslrennt, gegen Nor*
den ziehl, und nach einigen Abwdchungen und Ausbiegungen,
unter anderen Namen den Altai erreicbt Der Belur-Tag ist
mit ewigem Schnee bedeckt und fast unzuganglich : in der
Richtung von Kokand nach Kaschgar fiibrt nur ein Pass hin-
itber, der ausserdem nur fiir Pferde sieh eignet, keiheswegs
fur beiadene Kameele.
Etwa unter 40® N.B. ninrait der Belur eine schroffe Wen*
dung nach Osten und tritt in das Chinesische Turkestan, wo
er unter dem Namen Mu«-Tag (Ei^berg) bekannt ist. Hier
schneidet ihn die von iSemipalatinsk nacb Kaschgarien fiih-
rende Slrafse.
Auf der Strecke swischen dem Hmdu^^Kusch und dem
Ursprunge des Syr«I>arja entsendet der Belur nach Weston
viele Zweige, die stufenweise niedriger werden und soletzt in
den Ebenen von Baich und Buchara sieh verlieren. In den,
von diesen Zweigen gebildeten Thalem giebt es viele unab-
hangige Gebiete, unter deiien Karatigen das nSrdlichste und
Badachschan das siidlichste ist
Die Benfennungen Belur (Bolor)- Tag (krystallener Berg)
und Bulut-Tag (Wolkenberg) sind den Kokandern nicht un-
bekannt; aber der gewdhnlicbe Name dieses Gebirges ist bei
ihnen Kaschgar-Davan (Bergstrafse von K.). Ein Zweig
desselben, auf welcbem die bei Kokand in den 5yr-Dar|a
miindenden Fliisschen entspringen, heisst Beldy-Davan;
*) Das bekannto turkisGbe Wort for Berg kann man Tag (Tagh) and
Tao schreiben, da es beide Aossprachen bat
582 Hi8torisoli*«ling<ii84i»elie WisseiUKbaftet.
zwei andere Zweige, in <kh Umgebunjgen von i«fara und
Cbod/andy ^rborgeii ihre Namen y<6n .dieseti Siadien. :
Gieich bei seiner Umbiegung ins Gebiet des chinesiacben
Turkestan antseildet der Bolor weatw^rts den let^en . bedeu-
tenden Ast,.welcher, in viele Zw.«ige aitseinandergebend, die
g^inse. Land&treeke. .zwischen dam See Balchasch . und dem
reehten Uf^ des.>Syr-Darja anfuIlL Diese Berge. fuhren den
aUgena«inefi Nama:) Alaf Tau (bunlefi Gebirg). Der $ie be-
deckende Schnee schiniht im Sommer an vielettStt^Uen und
entblofst den etwas diinkebi Granit; 4n anderen, mehr. erh&h-
ten Stellen bleibt er durchs ganze Jahr liegen. i Etn Zweig
dieser Berge^ weicher den Balchasch umzieht und an den See
Ala-Kul sicb lehnl, fubrt ebenfalis den Namen Aia-Tau ; diese
Abzvveigung verbindet den Belur mit deth Altai. .
Das Chanat Kokand ist im Ganzen von. Oat nach West
gcneigt An den Grenzen Kascbgariens mit ewtg beschneiten
G^pfeln beginnend, ende^t seine Oberfl^che in derBocbarei mit
voUkommen flachen Sandbleppen^ abne andere Enhohungen als
vom Winde aufgeschiitlete Sandhiigel. . ,
Der beriibmie Sjrr^Darja vollendet in diesem Cbanate
iden grofseren .Theil seinea Laufes; nur der untere Theil,
nahe am Ausflass in den Aral, gehort zu.Cbiva, oder, betsser
gesagt^ er dient den unbandigen KirgiseDsla«imeQ» die * unter
Chiva's Schutze stehen, als Zuflaciht* l>er 5yr-Darja ent-
springt in den Bergen, welche Kokand von Kasohgarieiik tren-
nen, und zwar aus drei ZufliiBsen, von denclQi der Ala -Tau
zwei entsendet Etwas unterhalb ' ihrer Vereiiiiguilg b|it der
Flusis. scbon 200.iSa;en Brdte und erweiterl «ich ianik be$tan-
dig bis 400. In derGegend der Stadt Akmeisehei (AkTMe^d-
jiA) trennt sich eia bedeutender Arm, der Kuvan^Darja,
vom iSyr-Darja, und. mundet selbstandig in den Aral. Noch
fernere Theilungen gegen das. Ende seines i^^fs bin yemn;
gern den Wassergehalt desFlusses; docb soli er bis zum^Aral
scbiffbar bleiben. Seine Ufer sind liberalt sandig und un-
frucblbar, daher auch alle bedeutenderen Stadie von Kokand
nicbt am Flusse selbst, sondern in einiger Entfernung von
Das Reioli Ko^nd'in >s«i«eM •bflutiK»B Zaatonde. ggj
seinein Ufer liegen. Bei deni Alien gewiihrt der.i8yr«-Darj^
dem Feldbau unberechenbare Vi>rtheiie, icdem er miiteisi Ca*^
lialen, die aus ihm geleilet wetdien, die Felder befrochtel und
zur Besleilung erst fahig macht. '
Fast alle iibrigen Flusse, dae.Kdkand. bewQssern,'sind V»^
sallen desSyr^^Darja. Alle iassen sicfa durchwaten, ausgeoom*-
men im Friihling, wann ihre Wassermasse darch den itn
Gebirge schmelzenden Schnee vergrofeert wird* Aisdaan ver-
wandeln sich die zur Sommei^zeit fmsL ganzlich ausgetrockn^*
ten kleinen Fiiisse in breile und reissende SlFome. Diejenj*
gen unter ihnen, welcbe einen ansehnJichen Weg darch Ebeiien
und angebaute Gegenden inachen, zorsluckeltman zur Was*
serung der Felder in so vieJe Caniile, dass sie oft sich ver-
iieren, ehesie ihre Miindung erreicht haben.
Der FIussT&chu, welcher in gewissem Siune dieOrenze
Kokands gegeii Norden biMet, hat einen Lauf von b^inuhe
500 Wersl und ergiefst sich in den See Tele-Kul. Diesrer
Fluss ist jedoch nicbt tief, und in den Soini»eraionalen komr
men die Karawanen theils watend, theils auf Flolsen aus
Schilf hiDuber, die sie fur skh selber bauen. Niiiier der
Miindung besteht er aus einer Kette kleiner Se^n, die durch
Biiche zusammenhangen.
In einem so bergigen Lande, wie£okand^ kann daaGiiina
nicht gleichformig sein. .Im ostUdien Theiie, .an. disn Qudkli
des Belur-Tag, herrschi ewiger Winter, der keine Bniwick*-
lung organiachen Lebens gestattet. Die HoehtliaJer in den
Bergen Ala-Tau und Kaschgar-.Davan, . Weideplaize der
Schwarzen Kirgisen, sind im Winter; mil Sohnee bedeekt, .er^
freuen sich aber im Sommer eines sehr mafsigen, der Vieh-
tuchl iiberaus giinstigen Climas. Dasseibe kann tnaii von
Karatigen, Darvas und anderen Gebieten an den Abhangen
des Bolor sagen: je hoher ihre Lage, desto rauher ist ihr
Winter. In der Thalebene von Fergana dagegen fallt selten
Schnee, und obwol es daselbsl im December und Januar
Nachtfroste bis — 10° giebl, so steigt das Thermometer doch
bei Tage auf +8°, lO'^ und sogar 15'. In den Bergen um
gg4 EEiftorisGh-UngiiiBtisehe Winenschafleii*
Chodjand iind Tasehkend giebt es im Winter heftige Sturme^
weshalb man an vielen Stellen der Wege eigne Karvansarai's
errichiet hat, wo die Reisenden vor Wind und Kalte sich
schiitzen konnen. In Tasehkend ist der Soimner fast ebenso
schwul wie im eigentliehen Kokand; aber heftigere Hiize
muss man in den Steppen um Uratippa und weiter auf dem
Wege nach Buchara ausstehen.
Im MSrz bekleidet sich der Boden mit reichem Griin und
dttftigen Blumen; vor Anfang des Mai bliibt und duftet Alles«
Aber im Mai beginnt die Hitze starker zu werden und steigi
nach und nach bis auf 40^ Die Vegetation verbrennt in der
Sonne und wird von Winden fortgeweht, so dass nicht ein-
mat Spuren derselben zuriickbleiben ; der Blick des Wande-
rers fallt nur auf nackten Sand und auf Lehm, der von der
Hitze geborsten ist Einige Krauter kann man nur an Quel-
len, Bachen und in Bergschluften mit Mtihe find^n. In die-
ser Jahreszeit wird der Lehmboden so heiss, dass die Einge-
bomen uber ihren Stiefein noch eine Art Galoschen aus dickem
Leder tragen. Der morderische (?) Hauch des iSamuai^ wie
er nicht selten in Afghanistan weht, ist hier jedoch unbekanni;
die Kette des Hindu -Kusch bietet ihm ein uniibersteigliches
Bolhverk. Eine so ausserordentliche Schwcile und fast ganz*
liche Abwesenheit des Regens im Sommer thun iibrigens dem
Landbau keinen Abbruch: fast alle Getreidearten gedeihen in
Kokand reichiich. Mittelst der aus Queilen und Fliissen ge*
ieiteten Canale wassem die Bewohner ihre Felder etiiche Mai
im Sommer, und erhalten dadurch die Feuchtigkeit des Bo-
dens auf einer Stufe, welche die Erfahrung ihnen angewiesen
hat. Den Mangel an natiirlichen Wiesen ersetzen sie durch
kiinstliche Zucht des Grases, das so rasch wachst, dass man
es drei bis vier Mai in einem Sommer abmaht Im Septem«-
ber und October lasst die Hitze allmalig nach, die Nachte
werden feucht und kalt, und am Eiide Novembers zeigen
sich gelinde Froste, welche diese Jahreszeit auszeichnen.
Uebrigens hat man, wie oben gesagt, bei Tage bis 15^ Warme.
Da Kokand im Westen und Norden von . keiner Berg*
Das Reioli Kokand in a«in«in beiitigen Zuatande. 585
grenze beschiiUt wird, so finden die Nordwestwind^, welcbe
im Somraer aus den Steppen der Kirgis-Kaisak weheOt ^nf
ibrem Wege gar kein Hinderniss. Das Clima ist im Gansen
gesund; epidemische Krankheiien zeigen sich selten und die
Pest kennt man gar nicbt Im Jahre 1840 richteie die Cho*
lera in Karaiigen und den benachbarien Gebieien grolse Ver-
heerungen an ; auch aeigte sie sicb in der Ebeoe von Fergana,
besonders in den Stadten Kokand und Margaland; doch wa-
ten ihre Wirkungen bier weil scbwacber und borten bald auf.
In Tascbkend und unter den Sehwaraen l^irgisen wurde die
Krankheit nicbt verspurL In Kokand, Andedjan und anderen
Stadten, die nicbt weit vom Syr-Darja liegen, zeigen sicb im
Herbste Wediselfieber, was man dem in dieser Jahreszeit ein-
fallenden feucbten Wetter und der Gewohnbeit der Eingebor*
nen, in Lebinhausern zu wobnen, welcbe die Feuchtigkeit
leicht annebmen, zuschreiben puss. Diese Hauser baben meist
keine Dacber und werden in der Regenzeit ieck.
' Kokand ist reicb an Mineralien; aber die niedrige Cnltur-
stufe der Bewobner erlaubt ibnen nicbt, die in dw Eingfi*
weiden ibres Bodens vergrabenen Schatze voUstandig auszu*
beuten. *) Docb begreifen sie allmalig die Wicbtigkeit dieses
Zweiges des nationaien Woblstandes , und sind nach beisten
Kraften fiir seine Entwicklung tbatig*
Am Ursprung des Syr-Darja und seiner kleinen Zufliisse
findet man gediegenes Gold, das bisweilen ziemlich grofskpr-
nig isL In derselben Form trifft man es aucb in den Bergen
Kascbgar»Davan, siidlicb von Kokand, wo die Tad/iken es in
*) Der Pbiloaoph Seneca wnrd* es als Weilheit an ihnen rUbmen, wenn
Bie aaf ^Ue und jede Ausbeotung Verzicbt leisteten. ,,Dle Natar —
sagt er -*- hat das Gold und Silber, desgleichen das am dieser Me-
talle willen nie rahende l:Ci8en yersteckt, als war* es gefahrlich, sie
uns anzuvertrauen. Wir haben Dinge ans Licbt gezogen, nm deren
Besitz wir mit einander kampfen, wir haben die Ursacben iHiserer
Gefahren und ihre Werkzenge tief aus der Erde gewohU** a. s. w.
An Liieilius, Brief 94*
586 Historibch-linlgmstische Whifidnsdliaften.
Quellen und- BcHch^ti auf^Uchen und nach den Sladten sum
V^rkaufe ' bringen. Reich aft G«ld isl z. B. das Fliisschen
Tschirtschik, welches auf dei» Kendyr-Taa entspringt und un-
Wefil Tasijhkend itr dl^n Syr-*Ddrja 'miitidet Der Stailhaller
von Taschkend' hat eih sehr scharfsmniges Mittei, . dieses Goid
auszulyeaten, ercheht. An g^wissen Slellen senkfc man Tep-
piche,^die haafrigeSeite gegeti den Strain k«hrend,.ins Was-
ser^ dnd'lasst si6 eine ZeUlang in dieserLage. Die vt^n dein
rassenden ' Slroniei ehlfiihrten Qoldki^rnohen -bieiben 4n den
Haaren der Teppiche hangen, welche man dann wieder aus
dem Wassd'r leiebt^ trocknet unci ausklopft.
'Eine reiehhaltige Silberader befindei sich im Ala-Tau, an
der Nordseile des Syr-Darja, zwei Tageneisen von Namangan.
Die Eingebornen sucben dcis Silber in den Sommennanalen ;
wahrend der iibrigen Jahreszeiten herrscht dort heftige Kiilte
bei tiefem Schneefali. Hiernacb zu artheilen, muss die Hohe
der Berge, welehe diese Ader enlhalten, sehr betrachllich sein.
Vier Tagereisen von Natihangan, auf dem Wege zur
FefsttingKihnan-Tepe, wird'eine andere Silberader ausgebeu-
let. 1839 schickte der Chan Arbeiier hverher, welche 1000
Tscharik'Erz zu Tage fdrderlen: aus dteseti gewann man 100
Tseharik Blei, und aus dem Blei ein Tscharik reinen Silbers. Die
Arbeiten sind sehr beschwerltch ob des Mangels an Wasser
und der ungemein heftigen und kalten Winde, welche in die-
ser Gegend des Ala-Tau vvehen. Fast alle Werkieute kamen
erkrankl zuriick.
In Kokand wird auch alljahrlich eine Quantitat Kupfer
gewonnen, das zu ortlichem Verbrauche dient Die Kokander
erzahlen, es gebe bei ihnen ein Gebirgthal, das an Kupfererz
reich sei, dessen Luft aber ob ihrer Ungesundheit <Ke Arbei-
ler bald erkranken lasse. Die aus der Erde steigenden D'ampfe
haben einen slinkenden Geruch und erschweren das Athem-
holen (!).
Eisenerz liefern die Berge von Chodjand und, obwol in
geringerer Fiille, die Umgebungen von Taschkend. Das Blei-
erz im Ala-Tau wird soweit ausgebeutet, ais die Bediirfnisse
des Heeres erfordern.
Das Heieh Kokand. in Miaem beoti^eil-^ttiltonde. 587
Kokaiid dorf sich sehr schl)ner Turki$se lithmetii die viel-
leioht nur deiien von Badaohscban. nachsAeheo. Ofefl beslen
Tiirkis von rein bimtnelblauer Farbe und ohne allfiifremdartige
Beimischung £ndel man bei derStadt bfara uBdamUfsprdng
des kleinen Flusses, der durch Koikand.fliefst Die im Ge*
birge wobnenden Tadschikeh bringen diese edlen Sleine auf
die Markle von Kokand und Margalaod, wo die Aufkaufer aie
partieehweise vereinigen, schleilen lassen und in den Handel
geben. Auch die Berge von Cbod;and haben Tdrkiase in
Ueberfluss. Die geringsle Sorle dieses Steins ist griinlich und
weniger. rein; sie wird nach einerrel Form geschliSen und zum
bequemeren Delailverkaufe in Rohr gefafst. In .dcin Umge^
bungen Irfara's, in Bergen welcbe die Schwarzen Kirgisen
bewohnen, giebt es, ausser dem Tiirkis,' auch Smaragd, Hya*
cinih und Rubin. . In anderen Gegenden findet sich Lapis La*
Kulil Der Carncol .von Kokand wird sehr geschatet.
Sch\v«(ei jund Saipeter von einheimiseher Production wer*
den zu dem niedrigsten Preise verkauft: die Pulverfabrik des
Chans m Koband verbraucht eine ansehnliche Quaniitai der*
selben. Sakbrnche finden^sich zablreidi iin Koschgar-Davan^
bei Uscb. SelbsUbgesetztes. Salz wird. an vielen Orten eio*^
gesammelt, nauieiitlich auch in den Bergen Kendyr^-Tau, aut
dem .Wege von Chod/and nach Tasdikend
< Das PflanEonreicfa isl in Kokand ebenso ergiebig, wie das
minerafische, die Walder ausgenommen, an welchen fiihlbarer
Mangel, jst An vielen Stellen des Ala-Tau fihden sich zwar
Bauholz walder in grofser Zahl; aber die ForlschaBung des
Holzes ist so schwierig, dass die £ingebornen sehr wenig
Nutzen davon haben. Die niedereh Hohensiige sind dicht mit
Wachholder bewachsen, der, obwol zkmlich dick und zuwei*
len 7, ja 10 Fufs hoch, kein Bauholz abgiebl. Der. Wachhol-*
der des Gebirges und der iS^aksaul (ein kleiner, in Thalern
wachsender Nadelbaum), wie auch die zahlreichen Weiden-
arten, welche die Ufer von Quellen und Bachen beschatten,
dienen nur als Brennstoff und zu kleinen Holz«-Arbeiten. Der
gewohnliche Brennstoff ist Schilf (Kamysch).
588 Ifiiiteriscli^'liiigQiBtiMbe Wiasettsehaftoii*
Wenn aber an Bauholzwaidung empfindlicher Mangel ist,
so verstehen es dafUr Kunsi und Emsigkeit der Bewohner,
das Land mit Obstwaldern su bedecken, denexk das Clima von
Kokand so gimstig. Alle Stadte und Dorfer skid in gro&er
Ausdehnong von Garten umgeben, die durch Canale ihr Was-
ser erhallen. Die Aepfel Kokand's stehen denen von Samar-
kand, und die Birnen denen von Pischaver nicht nach. . Apri*
cosenbauroe bilden die Grundlage der kokandischen Garten,
und gewabren den Eingebornen, neben ihrem ortlichen Ge-
brauchy einen ertragiiehen Zwdg der-Betriebsamkeit. Ihr ge-
dorrkes Obsl wird untev dem NamenUrjuk in grotier Meftge
iibev. die Granxe verfiihrt Dasselbe kami man von den Man-
del- und PistacienbiiiuDen sagen, deren Friichte 2U weitem
Transporte geeignet simL Kirscben, Pflaumen und Pfirsiche
findel man in geringerer Fiille. Die Melonen und Arbu&en
von Kokand, besonders die in den UmgebungcQ von Anded-
jan wachsenden, haben im Morgenlande vor denen anderer
Gegenden den Vorzug^. Obwoi diese Friichte uherall, vom
Bosporus bis zum Indus, reichlich wachsen, so baben sie doch
nirgends eine solcke Grdlse und einen so angenefamen Ge-
schmaek, wie in Kokand. Weintrauben, von denen ein Theil
ausgefuhrt wird, zieht man aUer Orten. Es sind dieselben
Arten wie in der Tiirkei; da sie aber weniger sorgialtig ge-
zogen. werden, so schazt man sie in Russland nicht sehr und
verkauft sie zu niedrigem Preise. Die Hebraer von Kokand
machen einen Wein daraus, der einen slarken aromatiscfaen
Geruch hat.
Maulbeerbaume werden in Menge gezogen, da der Sei-
denbau vomehmster Industriezweig des Landes ist In Ko-
kand produciri man solche Quantitaten Setde, dass ohnerachtet
des ungeheueren.Absatzes derselben nach Indien, der Bucharei
und China alljahrlich noch ansebnliche Partieen in den Han-
den der Kaufleute bleiben. Eine bedeutende Quantitat kokan-
discher Seide wird auch nach Russland mid Afganistan aus-
gefuhrt Die nachlassige Bereitung schadet ubrigens ihrem
Das Reich Kokand in teinem lieutigen ZMtande. 589
relativen VVerthe sehr: im Handel wird die peraiache tind
bucharische Scide der kokandischen vorgezogen«
Fast alle Getreidearten gedeihen, Dank der guten kiinsU
lichen Bewiisserung^ im Ueberflusse. Der Weizen ist sehr
weiss und dickkornig; Gersie, Hirse, Reis undDjugara (cine
Art Korn, das Linsen od€r(?) Erbsen gleicht) bringen reich-
liche Erndte und lohnen die Muhe des Landmanns mit Wu-
cher. In guten Jahren kostet das Pud Weizen etwas fiber
einen Rubel B., das ^ud Reis 1 Rubel 30 Kap. B. u. s. w.
Zum Pferdefutter dient Djugara stalt des Hafers, welcher
unbekannt ist; sie kosiel gewohnb'ch 64 — 65 Kopeken das Pud.
Das gemeine Volk nahrt sich auch zum Theile von Djugara.
Die Verarbeilung der Wolle beschaftigt ebenfalls eine
Menge Hande und ist eine der vornehmsten Quellen des
Wohlstandes. Der drlKche Bedarf isl sehr grofs. Grobe
BaumwoUenzeuge werden hier ebenso allgemein fabricirt, wie
Leinwand in den russischen Dorfern. Mit diesen Zeugen be-
kleidet Kokand nicht bios die unterste Classe seiner eignen
Bewohner, sondern veraufsert sie auch in grofsen Quantitaten
an die Kirgisen. Ganze Schaaren Kaufleute zerstreuen sich
in den Steppen, welche Kokand von China und Russland
scheiden, und vertaiischen gestepple baumwollne Chalat's,
Kieidungsstucke und allerlei Arten Zeuge gegen Vieh^ Leder,
Woile^ Pelzwerk und Wagenschmiere. Das vornehmste Kauf«
mannsgut der von Kokand nach der russischen Granze abge-
henden Karawanen besteht in Baumwolle und baumwoU'enen
Zeugen, von denen einige, mit Seide vermischt, durch Leb-
haftigkeit der Farben und Daucrhaftigkeit der Arbeit sich aus-
zeichnen.
Die in Kokand gezogene Baumwolle ist dasGossypium
herbaceum. Ihre Fasern sind stark und elastisch, aber un-
gleich, grob^ und nicht leicht von fremden Stoffen zu reinigen.
Da der Same mit grofser Fahrlassigkeit dngesammelt wird,
so hort die Staade sehr fruh auf, zu tragen. An solchen
Orten> wo die Hilze nicht allzu stark ist, erndtei man die
Baumwolle oft vor ihrerReife ein und lasst sie an der Sonne
Brmans Ross. Archiv. Bd. XI. H. 4. 39
{^90 Hutorisch-lingaistiscbe Wiisenschaften.
ausirocknen. Da der Same in diesem Zostand fester mil der
Flocke verbunden isl, so wird die SonderuDg betder beschwer-
lich; die BauinwoUe wird uDrein, erhalt von dem Oele, das
die zuriickgebliebenen Samenkornchen ausscheiden^ eine gelb-
Irche Farbe^ und verdirbi leicht auf dem Transporte. Danim
sleht sie der aus Buchara und Chiva, ja selbst der persischen
nach, die doch fiir die schlechtesle in Miitelasien gilt Trotz
dem vermehrt sich der Absats in Russland mit jedem Jahre.
Kokand bringt sehr-viel Farberrohte hervor: ein Theil
derselben wird zum Farben einheimischer BaumwoIIenzeuge
verwendet, und der ganze Uebersehuss iiber die Grenze ge-
fiihrk, vorzugsweise nach Kaschgar^ von wo sie nach Indien
kommt.
Der Tabak gedeihl sehr gut. Man halt den bei Naman-
gan gezogenen fiir den besien* Der kokandische Tabak ist
gleicher Art mit dem Bucharischen ^ nimmt aber getrocknel
eine ganz gelbe Farbe an, wafarend der Bucharische immer
weisslich bleibt.
Die ortliche Lage von Kokand gcstattet den Eingebomen
keine ausgedehnle Viefazucht Die* Banern halten eine nicht
grofse Anzahl Hornvieh zu Feldarbeiten und um der Milch
und Butler willen, die allgemein verbraucht werden. Pferde
giebt es weit mehr, obwobl die Kokander sie nichi, wie die
Kirgisen, in Heerden Ziehen. Die Klepper des Landes sind
gleicher Race mit denen von Turkmenien und Buchara und
hab^n dieselben Eigensfchaften : Schnelligkeit im Laufe, Sehon*
belt der Gestalt, und die Fahigkeit lange Beschwerden zu er-
tragen. Die gemeinen Pferde von Kokand sind klein und glei-
chen den kirgisischen, sind aber weniger schnell und feurig. Die
nach Kaschgarien und Afgaoistan abgehenden Karavanen be-
dienen sich zum Lasttragen nur der Pferde , da die Kameele
nicht im Stande sind^ iiber die ungeheueren Gebirge, welche
diese Lander von Kokand trennen, mit Lasten zu gehen.
In ganz Turkestan werden zweibucklige Kameele erzo*
gen, welche besser Kalte ertragen, als die Dromedare, deren
man sich im Siiden des Hindukusch bedienl. Nur in Cfaiva
Das Reich Kokand in setnem beutigen Ziutande. 591
kennt man eine Art riescnhafler einbuckliger Kameele, die Nar
heisst Viele Handelsleute von Kokand unterhalten eigne Ka-
meele, Andere miethen sie bei den Kirgisen, am ihre Waren
forlzuschaffen. Diejenigen Karavanen, welche durch ebnes
Sleppenland nach Russland abgehen, beladen ihre Kameele mit
640 — 720 Pfund. Mit Anfertigung von Zeugen aus Kameel-
haar beschaftigen sich die Kokander \venig, desto mehr die
Kirgisen. Kameelhaar komml auch als Walte in Kieidungs-
slticke.
Die Heerden der kokandischen Kirgisen bestehen vorzugs*-
weise aus Schafen von derselben Zucht, die auch ihre iibri*
gen Stammverwandten ziehen. Der kirgisiscbe Hammel ist
hoch von Wuchs, hat einen 20 — 40 Pfund schweren FetU
sbhwanz, vertragt Hilze und Kalte gut, und bedarf fast gar
keiner Aufsicht. Er begniigt sich mit dem diirftigsten Futter,
kann lange diirsten, und folgt ohne zu ermiiden den beweg*
lichen Wohnungen seiner unst^ten Herren. Die Kaufleute
treiben die Sehafheerden durch die unfruchtbarsten Gegenden
der Steppen. Das Fleisch dieses niitzlichen Thieres dient den
Hirtenvolkem zur gewohnlichen Speise^ der Pelz dient ab
Kleidung bei kaltem Wetter; die Milch und der aus derselben
bereitete magere Kase (kiirt) ersetzen das Brod. Die WoUe
der kirgisischen Hammel ist grob und von geringem Wehrte;
allein sie wird sich verbessern, sobald man ihnen einige Sorg-
falt zuwendet. Die Heerden der Kirgisen sind verhaltnifsmas-
sig zahlreicher, als die Heerden der anderen Hirlenvdiker.
Eine grofse Zahl Hammel wird von den Kaufleuten und den
Kirgisen selber zum Verkaufe nach Kokand getrieben, wo sie
mit dem Reise die vornehmste Nahrung der Reichen wie der
Armen ausmachen.
Die Kirgisen unterhalten auch eine Anzahl Ziegen, die
mit den tibetischen grofse Aehnlichkeit haben. Die kirgistscb.
Ziegen sind aber h5her und starker als die letzteren. Sie ha-
ben eine rothlichgraue, sehr lange Wolle, und unter derselben
schones weisses Milchbaar, das zu feinem Gespinste und zur
Annahme heller Farben so gut sich eignet Die Bewohner
39*
592 Hittorisch^lingiiLitische Wissenschaften.
von Uriitiipa bereiten aus diesem Milchhaare Schawls nnd
Scharpen, welche deneti von Kaschmir gleich kommen und
sehr hoch geschatzt werden.
Die Kokander lieben die Jagd leidenschaftlich> und un-
terhalien viele Windhundei die von den in Europa bekannlen
elwas verschieden sind. Ibre beslen Hunde sind kurz behaarl,
ungemein schnell im Laufe, und unterscheiden sich durch haa-
rige Ohren und lange Haarflechten unler den Gelenken der
FiiDsei was ihnen ein rechl zierliches Ansehen giebt Diese
Art Hunde nennt man Tas (pers. Id si); es giebt aber auch
eine andere, von geringerem Werlhe.
Von Raubthieren kennt man Tiger und Parder: an der
gefahrlichen Jagd auf dieses Wild nebmen der Chan selber
und seine ersten Wiirdentrager TheiL Die Baren wohnen
in unzuganglichen Bergen, von wo sie aber haufige Einfalle
in die mit Hirse besaeten Felder ihun; daher unaulhorlicber
Krieg zwischen ihnen und den Eingebomen. Wolfe and aller-
lei Arlen Fiichse hausen in den umiiegenden Steppen, wo man
auch Eber, Antilopen und wilde Esel in grofser Zahl vorfin-
det. Pelzihierei mogen nun die Eingebomen sie selbst er-
beutet, oder von den Kirgisen bekommen haben, werden gros-
seniheils nach Kaschgarien ausgefiihrt (doch wohl nur ihre
P^Ize?).
In den Gebirgen giebt es viele Adler und allerlei Arten
Habichte. Die Eingebomen erziehen sie zur Jagd, geben aber
den aus der Kirgisepsteppe und den nachsten Orten 5ibiriens
empfangenen im Allgemeinen den Vorzug. Die Preise, die
man in Kokand ftir dressirte Falken und Habichle erlegt, ge-
hen bis ins Unverniiinflige*
In Kokand giebt es viele verschiedne Arlen Ganse und
Enten (zahme und wilde), Scfawane, Rebhiihner, und beson-
ders Wachteln. Am moisten aber riihmen sich die Kokander
ihrer Fasanen, die ungewohnlich grofs und von voraiiglichem
Geschmacke sind. Die Fasanenjagd ist die liebste Beschafti-
gung des heutigen Chanes; er widmei ihr nicht selten ganze
Monale, auf seinen vorbehaltenen Wieaen herum nomadisi-
Das Reich Kokand in seinein heutigen Zofttande. 593
rend, und mil einem Gefolge, das zuweilen einige iausend
Menschen betragt
Nachtigallen und einige andere Vdgei beleben die Garten
Kokands mit ihrem Gesange. Aucb wohnen sie zahlreich in
den uppig bewachsenen Schluchten des Kaschgar-Davan und
Ala-Tau. Ein Reisender, der diese Gegend durchwanderi,
gedenkt unwillkiirlich der bluhenden Schilderungen morgen-
landischer Dichter, und fiihlt sich in ihre Zauberwelt ent-
riickt.
Die Bevdlkerung Kokands besteht aus verschiednen tiir-
kischen Slammen, die nach einander in das Land eingedrun-
gen sind und daselbst Wohnsitze genominen haben. Die durch
Tschinggis - Cban bierher geflihrten Slamme — Unierlbanen
seines zweiten Sohnes Tschagatai — behaupteteri das reinste
liirkische Blut zu haben und rubmten sich ihrer Sprache, die
sich iin Munde ihrer Nachkommen erhalten hat Neue> das
Mongolenreich zerstorende Umwalzungen Mittelasiens fuhrlen
neue Ansiedier bierher, die mit den Ueberresten der alien Be-
v5lkerung sich vennischten. Zu Anfang des 16. Jahrhunderls
drangen die Usbeken aus dem Lande jenseit des 5yr-Darja
in das von Tamerlan gegriindete Reich, welches damals zum
Verfall sich neigte, und bemeisterten alles Land bis zum
Hindu-Kusch. Die heutigen Chane Kokaiids stammen aus dem
usbekischen Hause Ming. Ansserdem giebt es in den von
uns bezeichneten Grenzen noch andere Tiirkenstamme, die bis
heute nomadisch leben.
Eine nicht grofse Zahl Karakalpaken wohnt zerstreut
an den Ufern des iSyr-Darja, wo sieViehsucht und zumTheil
Landbau treiben. Sie hausen in Filzjurten, ziehen aber sel-
ten von einem Orle zum anderen. Sie verfertigen vorlreff-
liche Teppiche, die in der ganzen Kirgisensteppe Absatz
finden.
Ohasaken, in Russland und EuropaKirgisen genannt,
leben in grofser Anzahl um Taschkend und weiter nordlich
bis zum Flusse Tschu.
Burnt Oder eigentliche Kirgisen. bewohnen das Gebirg
594 Historisch-iinguistische Wissenschaften.
Ala^Tau und verbreiten sich siid warts bis 2un> Belur. Ein
Theil derselben^ 10000 Kibilken ausmachendi nomadisirt an
den Sstlichen Abbangen dieser Berge und reicbt beinahe bis
Kaschgar.
Tadjiken oder Perser, die Ureinwohner des ganzen
Landes von den Grenzen des chinesischen Reiches bis zum
Kaspischen See und Persischen Meerbusen^ bilden keinen. un-
betracbtlicben Theil der Bevoikerung. Sie fuhrten immer ein
sesshaftes Leben und waren ein handeltreibendes und betrieb-
sauies Volk. Einige Stadte und Dorfer sind ausschliefsUch
vonTadj'iken erbaut; in anderen wobnen sie initTurken ver-
mischt. Durch unaufhoiliche Ueberfalle wilder Horden ge*
draugt^ verlielsen die Tad/iken in Menge den flachen Theil
des Landes und zogen sich auf die unzuganglichen Hohen des
Belur-Tau, wo sie viele unabhangige Geineinden sliflelen.
Alle westKchen und ein Theil der osllichen Abhange dieses
Gebirges sind von Tad/iken bewohnt) welche die Turkestaner
unier dem Namen Goltscha kennen. Diese Tadjiken des
Gebirges haben den Islam angenommen, und sind iheils Sun-
niten, theils Schiilen. Alle sprechen einen besonderen Dialeki
der persischen Sprache.
Ausser den von uns aufgezahlten Slammen giebt es in
Kokand eine kleine Zahl in Sladlen und Dorfern zerstreuter
Hebriier^ die allerlei Gewerbe treiben. Der Wein wird nur
von ihnen bereitet. Einige Hindus, Afganen und Asialen an-
derer Gegenden leben in grofsen Sliidten vom Handel. Es
giebt auch Sclaven oder Leibeignc, jedoch in geringer Zahl;
auch ist ihre Lage hier nicht so hart, wie in Buchara und
Chiva; es sind Gefangene, die man bei Einfallen in Nachbar-
lander aufgegriflfen. Im letzten Kriege mil China wurden alle
Gefangene zu Sclaven gemacht.
Die Zahl der Bevoikerung Kokands zu bestimmen ist un-
moghch; der Chan selber und seine ersten Wiirdentrager
wissen sie nicht. Da die Auflagen von den Erzeugnissen und
vom Boden, nicht aber von den Personen genommen werden,
so halt man einen Census des Volkes auch nicht fur unum-
Das Reicli Kokaad in seinem li«utigen Zustande. 595
i ganglich, ja unter dem gegenwartigen VerwaliuogSBysleme
ti beinahe fiir eine Unmoglichkeit Vergleichen wir ubrigena
i den Anbau des Landes init seiner Ausdehnung uad ziehen
wir noch andere Umslande in Erwagung, so konnen wir wohl
B mil Sicherheit annehmen, dass die ganze Volkszabl, niit Ein-
I schluss der Abgaben entrichtendcn Kirgisenslamroe^ nicht un-
I ler anderlhalb Millionen Seelen belragl und in keinem Falle
zwei Miilionen iibersiteigt.
Die Verfassung der usbekischen Stamme war zur Zeit
ihrer Eroberung Turkisians vollkommen kriegerisch. Jeder
erwachsene Mann wurde als Soldal gerecbnet und die Ge-
sammtbeit des Volkes bildete das Heer. Die Benennungen
der heutigen Wiirden in Kokand erinnern an diese Einricbtung.
Der vornehmste Wiirdentrager ist der Ming-Bascbi
(Befeblshaber iiber Tausend), auf welchem beinahe die ganze
Last der Regierung rubt. Unmittelbar nach ihm folgen: der
Kuschbek (Falkner), Dalchay Pan«ad*Baschi (Befehls-^
haber liber 600)^ und Parvanatscbi. Die betreffenden Per*
sonen verwallen Districte, fiibren in Kriegszeilen einzelne
Heerhaufen^ zuweilen das ganze Heer^ und sitzen, wenn Friede
herrschty im Ralbe des Chans.
Gegenwartig giebt es in Kokand keinen Ming-Basclii^ und
zwar aus folgender Ursache. Die leUte Person, welche diese
Wiirde bekleidete, war ein gewisser Hak-Kuly, ein Mann der
sich um den Chan sehr verdicnt gemacht haile, insonderheit
wahrend des Kriegs mit den Chinesen, als Kokand in grofser
Gefahr schwebte. Hak-Kuly, in diesem Kriege Oberbefehls-
haber, fiihrte ihn einige Jahre ohne ansehnliche Verluste und
beendigte ihn auf eine den Umstauden nach sehr vorlheilhafte
Weise. Seine weiireichende Gewalt erweckte jedoch den
Hass der iibrigen Gunsllinge des Chans, und 3ie beschlossen
diesen Wiirdentrager zu stiirzen, koske es auch, was es wolle.
Chodja Datcha, der Erzieher des Chans, Amin der Schatz-
meister und Andere saglen ihrem Gebieler, Hak-Kuly babe,
mii seiner Herkunft sich bruslend, einmal geaussert, dafs er
den Thron Kokands eher beanspruchen konne als sein Herr*
596 Hutorisdi'-luigolstiiche Wiweiuchailen.
Der aafgebrachte Chan sprach seinem ersten Minister ohne
weitere Untersucbung das Urlheil. Am selben Abend w*urde
Hak-Kuly in den Palast gerufen; als er aber, nichts argwoh-
nendy durch den Garten ging, sliefsen ihn dori lauernde Mor.
der mit ibren Dolchen nieder. Die von ibm verwalleten
Aemter wurden sofort unter zwei Pan«ad*Baschi's verlheilt;
da aber die Wfirde eines Ming»Baschi sebr alt ist, so vermu-
thet man 9 sie werde wieder hergestelit werden. Was den
unglucklichen Hak-Kuly betrifft, so hielten ibn die Kokander
fUr einen ausgezeichneten fttann» und gedenken seiner noch
mit gro&em Bedauem.
Jiis^Baschi (Centurio), lUi^Baschi (Haupt von Funf-
zigen) und Tok«aby entsprechen unseren Stabs- und Ober-
officieren. Die iibrigen Beamten erhalten ihre Titel von den
Aemtern die sie verwalten.
Die ganze Armee bestehi aus Reiterei. Zur Friedenszeit
wohnen die Soldaten in Stadten und DSrfern, wo sie ihre
eignen Hauser haben und Feldbau und Gewerbe Ireiben.
Gleich den Kosaken in Russland .thun sie ortlieben Dienst und
werden zu allerlei Commando's verwendet. Aus der Kasse
beziehen sie Proviant und Fuller. Uebrigenssind dieKosten
ihres Unterhalts von Srllichen Umstanden abhangig.
Der kokandische Soldat reitet einen Klepper (argamak),
Oder, in Ermangelung dessen, ein anderes ieichles Pferd von
einheimischer oder kirgisischer Zucht; auf dem Riieken tragt
er ein^ Luntenflinte und an der Seite einen krummen Sabel.
Einige erganzen diese Bewaffnung mittelst einer Pike, deren
Schaft dtinne, aber nicht so lang ist, wie bei denKirgisen.
Die Kleidung des Kriegers besteht aus einem gesteppten baum-
vi^oUnen oder balbseidnen Chalak, ledemen Stiefein und weis*
sem Kopfbunde. Die Sattel sind im Ganzen ziemlich unbe-
quem, mit hohem Vorderbogen und ganz ohne Bogen von
hinten. Ein kleiner Beutel mitReis und getrocknetem Fleische
enthalt den ganzen Speisevorrath des miifsigen Soldaten, we-
nigstens so lange, bis die Pliinderung (eindlicher Heerden und
Dorfer ibm Gelegenheit verschafft, im Ueberflusse zu leben.
Das Reich Kokand in seinem hentigen Zustande. Wl
Auf dem Marsche dehnt sich das Heer in laager Masse^
einer Colonne ahnlich, aus, beobachtet aber keine militairUche
Ordnung. Doch geralhen die Ablheilungen der verschiednen
Fiihrer nichl durcheinanden An der Spilze der Leibgarde
(eines Corps von 2000 Mann) entfaltet man die furaUiche
Fahne aus Seidensloff» mil goldnen Quasten und Franzen.
Die iibrigen Truppentheile haben ihre eignenFahnen und eine
Art Bunischuk, bestehend ^us einem Lansenschaft mii ver-
goldetem Knaufe und einem daran befestigten Pferde- oder
Kuta«-Schwanxe> der mit grellen Farben bemali ist.*) Hinter
der Reiterei kommt eine kieine Artillerie auf Laffeten. Mil
dieser Art Geschiita haben unlangst erst russische Ausreisser
die Kokander bekannt gemacht Darnach fotgt Artillerie von
alter Fabrication — Faleonettei die auf zweiradrigen Arba*s
und auf Kameelen dem Heere nachgefiihrt. werden. Als Er-
ganzung der Artillerie dient eine kieine Abtheilung Schutzen,
ebenfalls auf Arba's^ und mit langen Flinten von grolsem Ca-
liber bewaffnet, von denen man nur mittelst zweizackiger
Sliitzen Gebrauch machen kann. Munition und Lebensmittel
auf Kameelen beschliefsen den Zug des Heeres.
Die kokandische Reiterei stiirzt unter Geschrei und in
gestrecktem Galopp auf den Feind los. Wie sie gegen euro-
paische Truppen bestehen wiirde, kann man nicht sagen;
in ihrem Lande aber gellen die Usbeken fiir verwegene Slrei-
ter. Sie werfen nicht sellen eine zwei- bis dreimal starkere
Schaar Kirgisen nieder, und haben mehrmals so wirksam in
chinesisches Fufsvolk eingehauen, dass es die Gewehre fort
und sich selbsi an die Erde warf. Gegen die Turkistaner
kampfen sie schon mit weniger Selbstvertrauen^ und kallblii*
tiger Widerstand bringt sie leicht in Verwirrung. BeimVer-
*) Der Kota« ist eine tibetiscbe Oclisenart, mit sehr langen herablian-
genden Haaren, deren Schwanz dem eines Pferdes gleicht. Er
Iieisst bei den Tibetern Jag, Jol und /ol-jag. Sein bemalter
Sdiwans vertritt auch bei den Cbinesen den Rosssdiweif.
598 His toriscti- ling uistische Wlssenschaften.
theidigungskampfe beselzen sie die Anhohen niit Ariillerie und
Falconetten, verbarricadiren ieicht ziigSngliche Orte mil ihrer
VVagenburg, und slellen hinler derseiben ihre Schiitzen auf.
Ein Theil der Reiterei siizt ab, und mischt sich unker leMere ;
die Schusse sind ziemlich gut gezielt, aber das Laden erfor-
dert viele Zeit. Daher Icann ihr Feuer nicht stark genug sein,
und ist nur fiir solche Truppen gefahrlieh, die mit ibneu auf
gleicher Stufe der Kriegskunst stehen.
' Die geehrtesten Geisllichen Kokands leilen ihr GeschJechl
von den ersten Chalifen und vom Propheten selber. Einige
der vornehmsten geisllichen Personen haben im Ralbe des
Chans beslandig ihren Silz. Es giebt kein anderes gescfarie-
benes Geselz als der Koran und die heiiigen Bilcher^ die ibm
als Auslegung dienen; daher die richterliche Gewait mil der
geisllichen zusainmenlliefsl und einen and denselben Personen
anvertraul wird.
Jeden gelehrten Muselmann, der in den Gebriiuchen und
Vorschriflen seines Glaubens erfahren isl, nenni man in Tur-
kestan Mull a. Ein Mulla, der an einer Moschee sich befin-
del und den Gottesdienst leitet, heisstlmam. Ausserdem giebi
es eine Classe geistlicher Herren unler dem Namen
Scheiche, die bei Tempein wohnen^ welche iiber den Gra-
bern heiliger Personen und Glaubenskampfer errichlet sind.
Dergleichen Gebaude werden hochgeehrt und ganze Schaa-
ren Glaubige wallen aus entrernlen Orten dahin. Viele Chod;Vs
und Scheiche hallen die in denselben begrabenen Heiiigen fiir
ihre Vorfahren. Als beslandige Hiiker dieser Monumente-woh-
nen sie fast ohne Unlerbrechung in der Nalie und wiihieu zu
ihrem Vorsteher einen Mann, der allgemein geachlel wird:
man betitelt ihn Scheich-uI-I^lam. Dieser wacht iiber die
VoUziehung der heiiigen Gebrauche und verlheilt einen Theil
der Gaben frommer Leute unter seine Milbriider^ zu ihrem
Unterhalte.
Kalender sind eine Classe Fanaliker die holie Miitzen
tragen und deren Mantel bis an dieFersen reichen. Die toll-
sten unter ihnen heissen Du van's. Sie fiihren eine einsiedle-
Das Reich Kokand in seinem beoUgen Ziutaiide. 599
rische Exbtenz uhd maceriren sich ofl in solchem Grade, dass
ihr Hirn vollstandig zerriittet wird. Barfuisig, mitHaaren die
ihnen wild iiber die SchuUem fallen^ mil den Lumpen alter
Kleider kaum nolhdurflig bedeckt, treiben sie sich unter Triim*
mern und auf Grabslaiten herum. Kein Winierfrost und keine
Sommerschwiile konnen sie zu Veranderung ihrer Lebens*
weise beslimmen. Die Du van's bringen Tag und Nacht ge-
duldig unler freiem Himmel zu, ohne jeinand urn Obdach zu
bilten und mil Mensqhen in Verkebr zu treten. Am Tage
gewahrt man sie sellen, aber bei einbrechendem Dunkel ver-
lassen sie ihre Schlupfwinkel, und treiben sich die ganze Nacht
bis zum Morgengebete auf den Gassen herum, die Blicke deni
Himmiel zukehrend und aus alien Kriiflen das Lob Gottes, des
' Propheten und der Heiligen singend.
Zuweilen erscheinl ein Duvan bei Tage vor irgend einem
Karavansarai oder in den Kaufladen, von einem Haufen zer-
iumpten Gesindels begleilel. Ciebt man ihm einige Geldstucke,
so verlheiil er sie gleich unler seine Suite, und behalt nur
soviet fiir sich, als hinreicht, seinen Hunger zu slillen. Es
versleht sich, dass diesen Fanatikern auch Mufsigganger bei-
gemengt sind, welche die Geringschiilzung zeillicher Giiier
nur als Maske vornehmen, um deslo freigebiger beschenkt zu
werden.
Die herrschende und von deni gebildeten Theiie der Na»
lion gesprochene Sprache ist das Djagalajische oder Oslliir-
kische. Es hat sich hier in gr5fserer Reinheit erhalten als in
den umliegenden Landern. Abulgasi, der Chan von Chiva,
schrieb in dieser Sprache seine Geschichte der Talaren; Ba-
ber, der Griinder des Reichs der Grofsmognle, die Denkwur-
digkeiten seines Lebens; und die dJagaUijischen Dichter ver-
trauien diesem Dialecte in woUonenden Versmafsen die Er-
zeugnisse ihrer reichen(?) und iippigen Phanlasie. Die iiber
Kokand verslreuten Nomadenslamme sprechen auch tiirkisch,
aber mil groliserer Beimischung fremder Worler, die in ihrem
Munde grobere Formen angenommen haben. Die Tadjiken
bedienen sich eines alien persischen Dialects.
600 Historisch-lingaistiBche WiBsenscbaften.
In der Sladt Kokand exislirt die vornehmsle Schule oder
Medre^e, angeblich mil ungerahr 1000 Schiilern. Andere, min-
der bedeutende Schulen sind in Taschkend, Margaland, Na-
mangan und anderen grofsen Stadten. Nach Vollendung ihres
Lehrcurses gehen die Schiiler su weiterer Ausbildung nach
Buchara und Samarkand.
Gegenstande des Unterrichts in diesen Lehranstallen sind :
arabische, persische und tiirkische Sprache^ Grammalik mit
Regein des Slils, Auslegung des Korans, Geschichie und Erd-
kunde. Da die Erdkunde aus aUen persischen Autoren ge>
schSpft ist^ so finden die Zogiinge, wenn sie in die Welt tre-
ten, einen sonderbaren Contrast zwischen der in Biichern be-
schriebenen und deijenigen, in welcher sie wohnen und handein
sollen. Das Lesen der Dichter in den erwahnien drei Spra-
chen ist Programm der kokandischen Bildung. Dann und
wann erseheinen zwar Leute, die in den Schulen von Philo-
sophie and Astronomic plaudern; da sie aber nur wiederge*
ben, was in alten arabischen und persischen Biichern skehl,
ohne auch nur ein Kdrnlein eigner Beobachtung hinzuzufugen,
so muss man diese beiden Wissenschaften in Kokand als nichl
vorhanden betrachten.
Die Einkiinne des Chans yerwalten * besondere hdchste
Wurdentrager^ unter welchen man den Mirsa-i Da f tar als
den vornehmsten nennen kann. Dieser "fuhrt ein Buch fiber
den aligemeinen Bestand der Kasse des Chans, macht die
Bilanz zwischen Einnahmen und Ausgaben, und simulirt er-
forderlichen Falles liber Mittel, um ungewohiiliche oder un-
vorhergesehene Ausgaben zu decken. Derselbe ist Minister
der offentlichen Bauten. Die Einkunfte des Chans bestehen
vorzugsweise aus NaturaJien, von denen ein Theil dnrch die
Statthalter der Districte zur Lohnung des Heeres verwendet
wird. Ueber den Rest verfugt der Sarkari Inak, der Be-
wahrer aller Vorralhe des Chans. Dieser WiirdentrSger ver-
sorgt den Hof und die zahlreichen Leibwachler und Hdflinge.
Die Abgaben in baarem Gelde kommen an den Mihtar
oder Schazmeisler, def auch iiber alle Kostbarkeiten seines
Das Reich Kokand in seinem lieotigen Zastande. fiQl
Gebieiers geselzt ist. Dies sehr wichtige Amt verleiht grofse
Macht am Hofe, ist aber auch gefdhrlich, denn es hatschon
Maochem, der es bekleidete, sein Leben gekostet.
Aus den mil Cerealien besaeten Feldern kommt ein Funf*
theil des Ertrags in die Kasse. Da die Einsammlung einer
so ungeheuern IVIenge Gelreide viele Leute und ansehnliche
Koslen erforderte, so verpachtet man sie gewohnlich an Pri>
vatpersonen, und behalt fiir den Schatz nur die nothwendige
Quantitat.
Wenn Grundstucke mil Reben, Baumwolle, Gemiisen und
anderen Gewdcbsen bepflanzt sind, so wird die Abgabe nicht
von den Erzeugnissen, sondern vom Boden selber genommen.
Als gewohnliches Mafs dient das Tanab, eine Ausdehnung
von 60 Ellen im Gevierte, daher die Auflage selbst im ge-
meinen Le^en so genannt wird.
Die Sleuereinnahme aus Stadten griindet sich auf die
Zahl der Hauser, Laden und gewisser Artikel der Production.
Im Ganzen wird aber die Aufiage in runder Summe beslimmt,
und die Burger r^chnen mil eiuander ab, so gut sie konnen.
So z. B. entrichtet die Stadt Tasehkend dem Chan ihre Steuer
von 3000 Hauserny obgleich sie jetzt an 20000 Hauser ziih-
len soli. Die Regierung weiss das^ aber sie vergrofsert nur
die gemeinsame Summe und macht keinen neuen Census.
Die nomadischen Volker miissen von 40 Stiick Vieh jb
eines abliefern; die Eintreibung dieser Abgabe ist aber mit so
grofsen Missbrauchen verbunden, dass z. B. die unlerwoife-
nen Kirgisen jahrlich beinahe ein Zvvanzjgtheil ihrer Heerden
abgeben.
Die Abgabe der Handelskaravanen wird durch die Stall-
halter selbst oder ihreDivan-Beg*s eingezogen. Der Beg-
lerbeg von Tasehkend reitet den Karavanen immer selbst
enlgegen, lasst sie ausserhalb der Stadt halt machen und ver-
zeichnet die Kaufleute und Allea, was sie mit sich fiihreo;
desgleichen den Preis jeder Waare. Dann erst darf die Ka-
ravane in die Sladt einziehen. Nach dem ersten geloslen
Gelde eriegen die Kaufer einen angem^ssenen Zoll. Hat der
502 Historisoh-liiigaistische Wissenscliaflen.
Beglerbeg oder cio Slatthalter eines tfnderen Dislrictes schon
bei Musterung der Karavane den Kaufteuten etwas abgenoin-
roen^ so wird ihnen dies nacbtragiich angerechnel und Tom
Zolle ftbgezogen.
Karavanen welche jenseit der Grenze herkominen, zahien
ein Viersigtheili d. b. je 2^^ Procent von der Summe, zu
welcher ihre Waaren laxirl werden.
Ausser den aufgezablten Abgaben, deren Quellen bekannt
sind| erhaU der Chan von den Statthaltern noch ansehnliche
Summen zu verschiednen zufalligen BedUrfnissen. Wenn der
Chan irgend einen WiirdenlrSger belobnen will, so giebl er
ihm oft eiD eigenhandiges Jarlyk> and befiehlt ibm, damil za
dem Slatthaller irgend eines Bezirkes zu geben. Nach Ueber*
reichung des Jarlyk*s zahlt der lelztere sofort die in demsel-
ben bezeichnete Geldsumme aus seiner eignen Kasse, und
macht sich dafiir in der Folge bezahU wie er immer kann.
Am haufigsten hat der Beglerbeg von Taschkend dieses
Schicksal, da seine bedeukenden Mittel dem Hofe bekannt sind.
Nicht wenig belastigend fiir die Statthaller, oder, besser
gesagt, fiir die ihnen unterworfen^n Bezirke, sind die Besuche
des Chans, obschon diese an und fiir sich Aufmerksamkeit und
Gnade bedeulen. Der Chan kommt bisweilen mil einigen
seiner Weiber, mil einem zahlreichen Gefolge von Hofieuten
iind drei oder viertausend Mann Soldaten. Ausser der Be-
kosligung einer so grofsen Menschenmenge ist der Wirlh noch
verpflichtet, einen jeden standesgemafs zu beschenken; selbst
die Spahi's und Leibgarden erhalten jeder ein Ehrenkleid.
Dasselbe ist der Fall, wenn ein Statthaller in Kokand er*
scheint, um „die leuchtenden Augen seines Gebielers zu
schauen^\ Keiner darf sich dem Chan mit leeren Hiinden
vorstellen, wenn er seinen Einfluss bei Hofe behaupten und
mit den Giinsllingen des Chans in Harmonic bleiben will.
Dafiir siehl denn der Hof von seiner Seite den Statthaltern
durch die Finger und gestattei ihnen alle Missbrauche die
nicht geradezu dem Vortheil des Chans entgegen sind.
Man hat in Kokand folgende Arten von Miinzen:
Das Reich Kokand in sAtftom heuttgen Ztistande. 6(^
Eine goldne, Till«^ die ekien Sololnilt (y, Lolh) wkgi.
Auf einer Seite derselben steht der Name des regierendett
Chans, auf der andern Jahr und Monat det Pragung. Mil
russischein Gelde verglichen, kommt eine Tille 12 Rubein 82
Kopeken Banco gleich.
Eine silberne, Tenga, deren 21 eine Tille ausmachen.
Stempel dem der vorigen gleich. Nach russ. Papiergelde un-
geiahr 61 Kopeken.
Eine kupferne, Pul, sehr nachlassig gepragt, und besliin-
dig ihr Gewicht und ihren Werth verandernd. Von dieser
Miinze gingen anfangUch 21 auf eine Tenga, spater 52 bis 53^
jetzt gar 140. Die Regierung verpachtet das Recht, diese
Miinze zu pragen.
Ausser den einheimiscfaen ftlunzen cursiren in Kokand:
hoUandische Ducaten, indiache Rupien, bucharische und einige
andere Geldstiicke.
Das gewohnliche Langenmab, Ges, kommt ungefahr 14
Werschok (also /^ Arschin) gleich. Entfernungea misst man
nach Tagereisen, sellen nach persischen Meilen (Farsach).
Gewichte sind: Batman = 10 Pud; Tscharyk oder
Tschairak ss 4Pud; Grevenka s£ 1 Pfund; Mi^kal = I
Solotnik (% Loht).
Fur Fliissigkeiten giebt es durchaus keine Mafse. Die
Erzeugnisse desBodens werden nach dem Tscharyk bestimmt;
Gegenstande von grofserem Wefart und kleinerem Umfang
aber nach dem Mi«kaL Die Unbestimmtheil der Mafse und
Gewichle ist eine Quelle haufiger Betriigereien im Handd
und ubt die Thatigkeit der Policet, welche Missbrauche dieser
Art streng verfolgi und die St:huldtgen am Orte des Verge*
bens bestraft
Kokand bildet, \vie Chiva und Bochara, eine Oase zwi-*
schen Bergen und Steppen, die keine ansassigen Bewohner
haben. Die Hauptmasse der Bevolkerung ist im Thale Fer-
gana, in Kuram, Taschkend und um Namangan ; auch die Um-
gebungen von Chod/and und Uratippa sind ziemlich bevolkert.
Dagegen sind die Steppen, welche Kokand von Bachara und
604 HittorUeh-lingiittlitche Wiatentchaileii.
Von Sibirien trennen, nur von noiDa<li0cben VSlkern bewohnl.
Im AJa-Tau und verschiednen Verzweigungen des Kaschgar-
Davan haben in gleichi&r Weise Kirgisensiammey durch grolse
Raume von einander getrennt, ihre Lagerplatse. Nur gegen
Karatigen hin ]«ben angesessene Tadjiken durchs Gebirge
verstreuty deren kleine Dorfer, znweilen nur drei oder vier
Gehdfte, auf unzuganglichen H5hen oder in tiefen Abgriinden
liegen. Die Bewohner dieser Gegend haben kein anderes
Lasithier, als den Esel ; oft aber tragen sie ihre Laaten selber.
Die Sladl Kokand, oder, wie die Eingebornen sprechen,
Chochan,*) ist noch gar nicht lange gegriindet; sie soil we-
nig iiber 100 Jahre existiren. In ihrer Umgebung giebt es
gleichwol Triimmer, welche bezeugen, daas hier vor Allers
irgend eine andere Stadt sich befand, die zur Zeit des Ein«
brudies der nordlichen Horden zerslort ward. Die Dynastie
der Usbeken, welche sich in Margaland festgesetzi halte, ver-
legte spater aus irgend einem Grunde ihre Residenz hierher,
und seitdem wuchs die Stadt sehr rasch heran.
Kokand liegt in einer Ebene an- zwei kkinen PJiissen,
welche, aus dem nachsten Abzweige des Kaschgar-Davan
kommend, friiher in den iSyr-Darja fielen, aber jetzt darch
Canale, die man zur Wasserung der Felder aus ibnen ieitel,
ganz erschopft werden. Die Stadt ist ohne aUe Befestigun-
gen. Sie wird groistentheils von den erwiihnten Fliisschen
eingeschlossen, iiber welche steinerne Briicken mil Thiirmen
fuhren, von denen letztere mehr zur Zierde, als zur Verthei*
digung da sind. In West und Ost dehnen sich bedeutende
Vorstadte aus, mit sehr vielen Garten und Rebenpflanzungen,
so dass man nicht leicht bestimmen kann, wo die eigenlliche
Stadt endet und wo die umliegenden Wohnorte anfangen.
Der Palast des jetzigen Chans ist ein zweistddkiges Gebaude
aus Backsleinen und von hiibschem Anseh^; es liegt mitten
in der Stadt und ist mit alien dazu gehoronden Gebiiuden
^) Die Cliinesen schreiben (Hesen Namon Ha o- ban (Cbtto-chan).
Das Reich Kokand in seinem heutigen Zostande. Q(|5
und Garten von einer bohen Mauer aus L^hm umsogen. Am
Eingang zumPalaste slehen einige alieKanoneOi die man bei
festlichen Gelegenheiten abfeuerL DieHauser der Privatleule
sind grofstenlheils ausLehm; da sie aber von aussen mil Ala-
baster uberstuckt sind, so haben sie ein recht zierliches An«
sehen und konnen von steinernen Hausem nicht unterschieden
werden. Im Ganzen sind sie ohne Dacher und haben die
Fensler dem Hofe zugewendet. Die Gassen sind eng, krumm
und kolhig. Man zahU bier an 100 Moscheen, alle aus ge-
brannten Ziegeln erbauU Kaufliofe, d. i. weitlaufige, viereckte
Gebiiude mil Kaufladen, giebt es sechs; in zweien derselben
handeln Bewohner der Stadi, die iibrigen vier aber sind be-
standig von kommenden und abgefaenden Karawanen einge-
noinmen. Hier werden die aus Indien, Tibel, Kascbgar, Bu«
chara, Afganislan und dem Kussischen Reicbe transportirten
Waaren im Grolsen umgelauschL Fabrikg^aude giebt es id
Kokand nicbt, die Schierspulver* und Papierfabrik ausgenom*
men ; sonst wird Alles von den Einwohnern in ihren Hausem
angefertigt Demohnerachtet lieferl Kokand eine betrachtliche
An«abl baumwoUener und halbseidner Zeuge, gegen welche
man von den Kaschgarern Thee, Porcelan und chinesische
Seidenstoffe; von den Afganen Zucker, Kaschmir-Shawls,
Gewiirze; von den Bucharen und aus Russland kommenden
Karavanen, europaische Erzeugnisse und insonderheit russische
Fabricate eintauscht. Die Stadt soil 25 Worst im Umfang
haben; die Zahl der Einwohner mag wohl auf 50 — 60000
sich belaufen. *)
Die Stiidie Tascbkend, Chodjand, Margaland**)
*) Der chinesische Verfasser des Si-jii ?cn-kien lo (erachien 1778)
berechnet (B. II, Bl.6) 30000F ami lien, was auf wenigstens 100000
Seelen za schliefsen berechtigte.
*) Nach Yorerwahnter chinesiscber Qaelle hatte diese Stadt (die der
Verfasser Margalang schreibt) 20000 Familien za Bewohnern^ and
Namangan (N aim an geschrieben), 10000. Das D/ihannoma schrcibi
M argil an fiir Margaland.
Srmans Russ. Archiv. Bd. XI. B. 4. 40
605 HistoTisch^-lingaistisclie WissenschaAen.
und Namangan sind fast eben so ausgedehnt, wie die Re-
sidene. Uralippa, von den Kokandern ftir eine sehr fesfe
Stadt gehallen, ist beriihmt ob seiner Shawls aas Ziegenhaar,
welche nfiit denen von Kaschiuir weUeifern. Andedjan,
die friihei'e Residene,' ist Geburlsort Babers, des lezlen der
Nachkommen Tamerlans, die iiber dieses Land geherrscht
haben. Usch, wo die Karavanen aus KaschgarZoll entrich-
ten', enlhait eine religiose Merkwurdigkeit : auf einem runden
hohen Hugel inmitten dieserStadt beBndel sich ein Stein von
Wdrfelform iiiit einer dariiber erbaulen Capelle, genannt
Tachiy*iSulejman, d. i. Thron des Salomo. Der Ueber-^
lieferung gemiifs soil Konig Salomo, in Begleitung der ihm
dienstbaren Geister durch die Luflraume fliegend, um die Zeit
des Morgengebets gerade iiber diesem Orte geschwebt, und
sofort sieh niederlassend, auf dem erwafanten Steine sein Ge*
bet verrichtet haben. Ein anderer gebeiligter Ort ist die Sladt
As ret,' bernhmt als Grabstatte des Sultans Chod;a Ahmed
Ja^avi. Das priichtige, von Tamerian uber der Ascbe dieses
Heiligen errichlete Gebaude neigt sich schon zum VerfaiJe.
DieStadtlsfara, einst reich und grofs, ist jetzt unbedeulend;
doch liegen eine Menge Dorfer um sie herum. Dies ganze
Land bildet einen sohonen GaKen , der von einem majestati-
schen Zweige des Kaschgai'-Davan besehaltet und von sehr
vielen auf diesem HShenzug entspringenden Quellen und
Fliisschen 4>ewassert wird. Die Bewohner I^fara^s und seiner
Umgebnngen sind Tad/iken.
An den Grenzen dieses Staates erheben sich mehr oder
minder bedeutende Festungen, mit stehenden Garnisonen,
welche voriiberziehende Karavanen beaufsichtigen und die zum
Raube geneigten Nomadenstamme beobachten. Wir erwahnen
hier einige dieser festen Plalze, die zu Abmarkung der Gren-
zen Kokands dienen. Akmetschet am 5yr-Darja schiitzt
die Grenze gegen Chiva. Unterhalb dieser Feslung liegen an
deoiselben Flusse; D^ena-Kurgan, 45 Worst von Akmet-
schet, und Kumys-Kurgan, 160 Worst vom gleichen Orte,
der aussersle Grenzpunkl. An den Wegen aus 5ibirien nach
Das Reich Kokand in seinem heutigen Zastande. 605
Taschkend Hegen die Ports iSusak undTschuIak-Kurgan;
iibrigens hat die kokandische Regierung in leUter Zeii vor
ihnen eine neue Befestigung am Flusse Tschu errichleL Ket-
man-Tepe liegl im Gebirge Ala-Tau neben dem See I^ri-
Kul; von da bis Namangan rechnet man 16 Tagereisen.
Kurtka erhebt sich am osllichen Abhange des Belur, etwa
zwei Tagereisen vonKaschgar. Jarmasar, eine fiir wichtig
geltende Festung, am Fufse des Kaschgar*Davan und nahe
dem vornehmsien Durchgange durch denselben, scfaiilzt den
Weg nach Karaligen. Urjutjupa^ Jam und Samin sind
die vornehmsien (esten PJaUe an der Seile gegen Buchara.
In der Parallele Chodjands schirmt Karaktschi-Kum die
Grenze.
40
Die Tschetschenzen und ihr Land.
Wenn es heutzutage ein Land in der Welt giebt, das sich
sehr verschiedenarliger, durch Sillen, Gewolinheiten, Sprache
u. s. w. von einander getrennter Slamme riibmen kann, so
ist dies ohne alien Zweifel das Caueasische. Aber diese Re-
gion, obgleich schon im fernsten Allerihume beriihmt, und
immer von Wissbegierigen, die ihre Mannigfalligkeit zu siudi-
ren bemiiht waren, ins Auge gefassl, ist noch wenig erforscbt
und in einigen Partieen fast ganz unbekannt, besonders da,
wo unruhige Slamme wohnen. Unter diesen spielen die
Tschetschenzen ob ihres Fanatismus und ihrer Ziigellosig-
keit eine wichtige Rolle. Dieser Stamm, weiland beruhmt
ob seiner Raubziige und jetzt mit seiner Verwegenheit prun-*
kend, versteckt sich an unzuganglichen, von der Nalur selbst
geschutzten Often. Das Land, in welchem die Tschetschen-
zen seit einer Reihe von Jahren hausen, ist unter deni Na-
men Tschetscbnja bekannt.
Als Grenzen der Tschetscbnja neb^t den dazu gehoren-
den Gemeinden dienen: im Norden der Fhiss Terek von dem
Vorposten Lipov«k ab warts bis da, wo die Sutija hineinfalU
und noch etwas weiter bis zu dem Fort Amir-Adji- Jurt; im
Oslen, das Gebiet der Kumyken bis zur Festung VVnesapna,
dann der Fluss Aktascha oder Kambulat, welcher die Tschet-
schenzen von dem Lesgischen Stamme iSalatau trennt; imSii-
den eine Reihe Berge des Lnndes Dagestan, bekannt unter den
Die Tscketsclieiizen unci ihr Land. 609
Nainen Nachtschilam, Tan^utadag u. s. \v,, welche TscheUchnja
von den Lesgischen Gemeinden Gumbei, Andi, Tschar-
bill, Tschamalal und Ankrall, und dem Lande der Chev^uren
abscheiden; im Westen die Lander der Inguschischen Stamme
Zori, Galgai, Galasch und Karabulak. Die nalurliche Grenze
Ewischen Tschelschnja und diesen zwei leUlen Stammen iai
aber nichl bestimmt
Mil einziger Ausnahme des nSrdlicben Theiis isl ganz
Tschetschnja von hohen Bergen ubersaet, welehe dichle Ur«
waldung deekt, vol! Schluchten und Abgriinden^ und gewahrt
ein eben so wilder als grofsartiges Gemalde, besonders im
Siiden^ an den Bergen 5uloi-Lama^ Nadilschi-Lama und Tan-
9ula-Daga, die wegen ihrer Hohe und Unzugiinglicbkeit be^
sonders merkwiirdig.
VVie an Bergen, so hat das Land auch an Wasser kei-
nen Mangel. Es ist in seiner ganzen Ausdehnuog von Fliis-
sen und Bergstromen durehschnitten, die meisi in den Schluch-
ten von Slid nach Nord wild einherbrausen. Unter den
Fliissen sind die merkwiirdigsien:
Der Terek, welcher, die nordliche Grenze bildend, von
der «Staniza Galinga bis Amir«Ac|;i-Jurt fliefst. Auf dieser
Strecke bietet er, mil Eintritt der Hitze, von Miite Mai bis
Ende Juli, wegen des schmeizenden Bergscbnees, ein er-
schiitterndes Scbauspiel; seine Wasser sind so reissend, dass
sie Baume entwurzeln und grofse Steine mit sich fortwalzen ;
und man hort ihr Tosen einige Worst weit. Ehe man Briik-
ken iiber den Strom gebaut haite, war auf dieser Strecke
alle Communication unmdglich. Dem gewaltigen Andrang
der Wasser konnte nicht einmal Artilierie widerstebn und
wurdeimmer umgestiirzl. Die Gefahr beim HinUbersetzea
wird noch gr5£ser durch die Ungleichheit des Bettys.
Dde iSundja. Sie fliefst von dem Aule Pliew ostnordr
ostlich beinahe mit derselben reissenden Schnelligkeit, wie der
Terek, bis zum Posien Bragun^ wo sie in jenen Fluss miin-
det. Sie nimmt viele Bergslrome auf, von denen der eine
Argun heisst. •
gJO Historisch-lingaistische Wissenechaften.
Ausserdetn halTscheUchnja viele heilkxaflige Quellen, die
aber von den Eingebornen gnr nichl geschatzt werden.
UinsichUich des Clinias und der Temperalur kann man
nichts Posilives sagen. Gesund muss das Clima wol sein, da
die ganze Tschetschnja mil hohen Bergen bedeckt isl, zamal
in ihren sudlicben Theilen, we der Schnee das ganze Jahr
liegt. Die Winter sind ziemlich rauh.
Tschetschnja mil den dazn gefa6renden Gemeinden wird
jetzt in zwei Theile getheill: Grofs- nnd Klein -Tschetschnja,
deren Grenze die Gonta und 5unja voni Dorfe Butun*Jurt
bis zur Einmiindung der 5unja in den Terek bilden. Die
Slaiiime und Gemeinden, welche in der Grofsen und Kleinen
Tschetschnja wohnen^ iheilen sich ausserdem noch in andere
kleinere Gemeinden die einander nicht sellen bekampfen. In
Beziehung auf Russland zerfalien die Tschelschenzen in fried-
liche, wilde oder ungehorsame, Berg* und Ebenenbewobner.
AUe reden ein und dieselbe Sprache.
Die am Terek angesessenen Tschetsckienzen sind die ci-
vilisirtesten unter Allen, ubrigens dem Witten ihrer Haiiptlinge
sclavisch unterthan. Sie unterhalten jetit Cordons am rechten
Ufer des Terek und entrichten den von ihnen verJangten Tri-
but ohne Weigerung. Mit ihren Stammverwandten gerathen
sie nicht selten in Kampf, besonder» wann sie den nissischen
Truppen sich anschliefsen wollen.
Ein anderer Stamm friedKcher Tschetschenzen bewohnt
die Ebenen an beiden Seiten der 5unja und vieler anderen
Fliisschen, welche von den Bergen fiiefsen und in die Sun/a
oder den Terek fallen. Diese Tschetschenzen bestehen aus den
Stammen Katschkalych , Auch, einem Theile der Karabulak,
und eigentlichen Tschetschenzen. Sie beweisen Russland nur
schwache Unterwiirfigkeit, und zwar wegen der Nachbarschafl
ihrer wilden Landsleute, denen diese 'friedlichen* auf ihren
Raubztigen immer gern beistehen.
Unter den wilden Tschetschenzen-Stammen^ die groCsten-
theils zwiscben Felsen und Schluchten hausen, sind die Mit-
schik und Mtschkeri am beruhmteslen.
Die TscbeUcheAzen und ihr Land. 6||
D^ Ueberlieferungen dieses Volkes .gemafs, war die
fruchtbare Ebene, welche vom nordlichen Abbang der Berge
Dageslans bis zur Sunja sich ausdehnt^ eheinals mil undurch-
dringlichem Urwalde bedeckt, der nur wilde Thiere zu Be-
wohnern hatle. In diese Ebene sliegen vor etwa zwei Jahr-
bunderlen aus den Bergen Uschkeria's einige Familien voin
Stamme Naschchoi herab, folgten dem Laufe derWasser und
liefsen sich in der heutigen Tschelschnja nieder, und zwar
auf den ergiebigen Feldern, die stellenweise am Argun, Schav*
don und anderen Zufliissen der Sui\Ja liegen.
Das Land I welches die Tschelschenzen einnahmen, bo(
alles zum Leben Nothwendige^ vol! jungfraulicher Krafle,
lohnte es immer d^n geringen Flei^s des Menschen. Die jung^
Gemeinde, von den aniiegenden Gebieten durcfa ewige Wal-
der und reissende Slrdme getrennt,,wuchs unmerklich heran,
ohne durch Kabarden, Kumyken oder Lesgier, die kaum yon
ihreni Dasein wufsten, beunruhigi zu werden. Als erste Be-
wohner dieser ausgedehnten und fruchlbaren Gegendi %yelche
ihren Bedarfnissen ganz geniigtCi nutzlen die Tschefaschenzen
sie wie eine Gabe Gottes, ohne irgend eine Vorstellung von
personlichem Grundeigenihum. Die Erde gehortCi wie Was*
ser und Luft, einem Jedeo, der sie nur umpfliigen wollle.
Auch in der Folge^ als ibre Familien sich luehrteui be-
wahrien die Tschelschenzen die Elemente ihres urspriinglichen
Gemeinwesens, das nicbt auf Gewall gegriindet, sondem
gleichsam zufallig, aus dem Zusammenwirken gegenseiliger
interessen entslanden war. Das Rechl auf peraonlichen Grund-
besilz war bei ihnen nichl vorhanden und ist es auch heulzu-
tage kaum. Ihrevon den Bergen herabgesliegenen Valer lies-
sen sich weder gieichzeilig, noch an denselben Orlen nieder:
jeder Neuangekommene wahlte, abgesondert von den Uebri-
gen, seinen Wohnori, und baute mil seiner Familie das an*
liegende Land, Die Familien vermehrlen sich und nahmen
weileren Raum ein, d. h. sie machlen grofsere Grundsliicke
urbar. Endlich kam es soweit, dass zwei verscbiedne Fami-
lien, die bis zu einigen hunderl Hausern von gleicher Her-
612 Historisch -Unguisttsche Wissenschaften.
kunft sich vermehrt hatten, mit ihren Pflugen anf den Aeckern
zusammensliefsen und also nothgedrungen ihre BesUzungen
abgrenzen musslen: auf der einen Seite gehofle das Land
einem Geschlechte, auf der anderen — einem benachbarten.
Aber das Land, welches unter diese klekten Stimme, oder,
wie sie in Tschetschnja heissen, To chumps/) verlheilt war,
wurde nicht unter die Glieder derselben yerparcellirt, sondern
blieby wie vorheri gemeinsames uniheilbares Eigenlhum des
ganzen Geschlechtes. Alle Jahr, wann die Zeit des Pflugens
kommt, versammelt sich die ganze Verwandtschaft auf ihren
Feldern und theili sie in so viele gleicbe Cuter, als der To-
chum Hauser zablt; dann verlheilt noch das Loos diese Par*
cellen unter ihnen. Wer in solcher Art seine jShrliche Par-
celle bekomoieni der wird ihr voUer Besitzer aufa ganze Jahr;
er kann sie selber anbauen, oder unter gewissen Bedingun-
gen an einen Anderen abtreten, oder endlieh brach liegen
lassen, wenn es ihm so gefallt
Hinsichtlich der Waldungen besteht bei den Tschelscben-
zen ein besonderes Recht: diese werden niemals unter ihnen
verlheilt, da sie nicht als nationaler Reichlhuoi gelten. In
Tschetschnja weiss man denWald nichi zu schatzen; denn er
ist so reichlich vorhanden, dass Keiner je Mangel daran ver-
spiirt: der Waid ist gemeinsamer und untheilbarer Besitz Al-
len Jeder Ankommling oder Eingeborne hat das voile Rechl,
ein Stiick Wald zu roden und in der Lichtung sich anzusie-
dein ; dann erst wird die von ihm angebaute Stelle unveraas-
serliches Privateigenthum.
Betrachten wir jetzt, was fSr Begriffe die Tsehetschenzen
von Eintheilung eines Volkes in Classen und von deren.Be-
ziehungen zu einander haben. Alle zum tschetschenzischen
Stamme geh^renden Auswanderer aus Itschkeri (vom oberen
Argun) bilden zusammen eine Classe freier Leule, ohne Un-
*) Im Persischen and Tarkischen ^^^^ tocLm oder tocbum a. v. a.
Same, Saat; finniscli touko.
Die Tschetschenzen und ibr Land, 613
terabtheitangcn in Fcirsten, Adei u. dergl. „Wir sind Us-
denja,*' sagen sie. Nimmt man das Wori Usden (Jesfi-^
don, d. i. von sich sdbst) im eigentlichen Sinne,'") so be-
zeichnet es einen Menschen als nur von sich abhangig. Aber
zur Bevolkerung des Landes geh5rl auch etne, zwar nicht
zahlreiche Ciasse persdnlichcr Sclaven, aus Kriegsgefangenen
gebildet Diese Ciasse wird vergrofsert durch die bei Ueber-
fallen aufgegriffenen Leule; und obschon die Lage der Ein^n
wie der Anderen fast gleich ist, so unterscheidet man sie doch :
die Ersteren heissen Lai's, die Anderen J emir's;**) denn ihr
Schicksal ist noch niefal fiir iminer bestimmt: ein Jesir kann
losgekauft werden und in seine Heimat zuriickkehren , wo-
gegen d«r Lai das unverausserliche Eigenthum seines Herren
bieibt. Die Lage des Lai in Tscheischnja ist unbedingleste
Knechtschafl: er ist Sac he seines Herren, der eine unbe*
grenzte Gewait iiber ihn bat ; und eines etwa erworbenen Be-
sitzes kann er nur so lange geniefsen, bis es seinem Herren
in den Sinn kommt, ihn fiir sich zu nehmen.
Zuweilen ereignet sichs, dass ein Sdave, aus Pui'cht vor
grausamer Bestrafung, vor seinem Herren flieht und bei irgend
einem machtigen oder geehrten Manne Schutz sucht. Dieser
nimmt ihn zu sich und veranlasst wohl den barbarischen Her-
ren, die Strafe zu mafsigen und hinfuro' barmherziger zu sein.
Hat er dessen Versprechen in diesem Sinne erlangt, so liisst
er den Lai zu ihm zuriickkehren. Aber der Beschiitzer des
UnglUcklichen darf ihn nichi gegen den Wiilen des Herren
bei sich bebalten, weil er sonst wegen Diebslahls belangt wird.
Trots der tiefen Emiedrigung, in welcher die Lai's leben,
*) Usden and jesiidon stimmen mit dem turkischen iM^^t us -den,
bei den ostlichen Turken s. v. a. k end i -den (ab ipso, ¥on selbst).
Das Wortchen iis (Kern, Selbstheit), begegnet nns aucb in dem Na-
menUsbek, der bachstablicb Selbstherr, d. i. sein etgner Herr,
alao Unabbangiger bedeutet. Anm. d. Uebers.
**) Lettteres Wort ist das arabische jjwm{ esir (Gefangener), wonir auch
die Tijrkefl im gemeinen Leben je«ir sprechen. Anm. d, Uebers.
614 Hiitoriscli*lingui8ti8€lie Wisieiischaften.
gilt sclavische Abkunfl nichi fur scbimpflich. Die Kinder
eines Freigelassenen haben alle Rechte urfreier I'scheUchen-
zen. Der Freigclassene selber triU nach seiner Freilassung
soforl in die Classe der Freien; aber als einseln steh^nder
Menscfay den man leicbl beleidigen kann, bleibl er ohne Ge-
wieht und Bedeutung, denn diese sind in TscbeUchnja, wie
in Dagestan, nur auf dn zablreiches Geschlecbl gegriindet.
Dies erklart den Umstand, dass die ineisien Freigelassenen
ihren gewesenen Herren nicht aufgeben, sondern eine seiner
Tochler oder weiblichen Verwandten heirathen, und als Glie-
der seiner Familie bei ihm sich ansiedeln. Wer einem Scla-
ven die Freibeit scbenken will, der muss ihm einen schrifUi-
cben, vom Kadi abgefassten und von ibm und zweien Zeugen
vidimirten Freibrief zuslellen. Dieselbe Formaiitat findet bei
Ausiosung eines Sclaven stall; das Losegeld wird dabei dem
Kadi eingehiindigt, der es dem Besilzer des Sclaven iibergiebt
Einen Freigelassenen nennt man As at.*)
Etwas wie eine Regierung war (vor Schamirs Zeil) bei
den TsHielschenzen fast gar nicht vorhanden. Jeder Tocbum,
jedes Dorf regierle sich allein, ohne nach den Angelegenhei-
ten der anderen zu fragen. Der Aelteste eines Geschlechles
wurde gewohnlich zum Vermiltler oder Ricbter in Streitigkei-
ten zwischen Bluisverwandten gewahlt. In grolsen Ddrfern,
wo mehrere Tochum's wohnlen^ wahlte jeder seinen Aeltesten,
und die Handel wurden von alien Aeltesten gemeinschafUich
geschlichtet. Uebrigens war der Wirkungskreis dieser Manner
sehr begranzt, und Gewall batten sie fast gar nicht. Wer da
woUte, der unterwarf sich ibrem Spruche ; wer aber sein Recht
sich selbsl zu nehmen gesonnen war, der umging die Aelte-
sten. Auch waren ihre Entscheidungen nicht verpflicbtend ;
meist hing es von den Streitenden ab, ob sie ihnen gemafs
handeln woUten. Dehmohnerachtet hielten die Tschetschen-
*) fst das persische ^t^t as 4(1 (frei), ein Wort, das sich im Norden
bis zu den Ostjaken verbreitet hat. Gastrins Ostjak. Sprachlehre,
S.80. Anin. d. Uebers.
Die Tsobetlclienzen ufid ilir Land. 6(5
zen das Gericht ibrer Aelteslen immer in Ehren iind es erbielt
sich bis auf Schamil.
Wichtige, ein ganzes Dorf belreffende Angelegenheiten
wurden in Volksversammlungen, bei denen Alles sich belhei-
ligle, verhandelt. Von parlamentariscber Ordnung war frei*
lich lieine Spur: ein Jeder spracb, weno es ibm eiofiel, und
des Geplauders, Geschreis und Larmens war kein Ende. Oft
ereignele sich*s, dass der VVot'tkampf mit einer argen Priige-
lei endete; das ganze Dorf zeifiel in zwei kiimpfende Parleien,
und die obsiegende Parlei veririeb unbarmherzig ihre Wider-
sacher, welche abziehen und anderswo sich ansiedeln niusslen.
Die Einladungen zu offentlicher Berathung waren nicht min^
der barbarisch, als die Beralhung seiber: wer irgend' eine
wichtige Sache zu besprechen gesonnen war, siieg aufs Dach
der Moschee und rief von dort aus das Volk zusammen, wie
die Gebeirufer Ihun. Zuerst kamen die miifsigen Leule, dann
die ganze mlinnh'che Bevolkerung, und Alles versammelte sich
auf dem PJatze vor der Moschee.
In den erslen Zeilen ihrer Niederlassung in der Ebene
baulen die nachmaligcn Tschetschenzen ruhig ihr Land ; deno
wenn auch die machiigen und rauberischen Nachbarn von ihrer
Existenz wussten^ so schenkten sie doch dem armen und zer-
streuten Hiiuflein neuer Ansiedler geringe AufmerksamkeiL
Die Tscbetschenzen selbst, thre Schwache fuhlend, lebien da-
mals friedlich, ohne jemand zu kranken> und versieckten sich
gleichsam in ihren Waldern. Diejenigen von ihnen, welche
den Kabarden oder den Kumyken benachbarle Wohnsilze ge*
nommen, begaben sich sogar aus freien SHicken unler den
Schutz der dortigen Haupthnge, um vor Bedruckungen sicber
zu sein. Sie zahiien ihnen eine kleine jahrliche Abgabe und
wurden dadurch zu ihren Glienien.
So lange die Tschetschenzen arm waren, liefs man sie
in Ruhe; als aber reiche Dorfer enistanden, als auf fellen
Triften ansehnliche Heerden wandelien, da verwandellen sich
ihre bis dahin friedlichen Nachbarn in unbiindige Rauber. Ein
Einfall in Tschelschnja war ein Fest fiir diese Bravo's: die
i'
616 Historisch-^linguistisclie Wtssenschaften.
Beule war ergiebig, fast immer sicher, und ausserdem mit
wenig Gefabr zu erlangen, da die ohnehin wenig zahlreiche
Bevolkerung weder Einheit noch Ordnung kannte. Wurde
das Vieh irgend eines Dorfes fortgelrieben, so kamen die Be-
wohner eines Nachbardorfes den Beraubten selten zu Hiilfe;
denn kein sociales Band verkniipfle die einzelnen Gemeinhei-
ten mit einander.-
Endlich beschloss man, einen starken und tapferen Fiir-
sten zu berufen, der Ordnung herstellen und die Feinde ab-
wehren sollte. Auf diese Art kam die beriihmte Familie der
Turlov^s *) aus Hunibet nach der Tschelschnja. Diese halten
ein zahlreiches Gefolge, immer bereit, mit ihnen wider aussere
Feinde zu ziehen, aber auch keimenden Aufruhr in der
Tschelschnja selbst sofort zu erslicken. Die Gewalt derTur-
lov*s befestigte sich schnell und trug ihre wohllhatigen Friichte.
Die Tschetschenzen, alie gleichmafsig einem fiirsUichenHause
unterlhan, erhielten nun zuerst Begriffe von nationaler Ein-
heit; die Nothwendigkeit, einerlei Dienst zu thiin und gemein-
same Last zu iragen, brachle sie einander naben Wenn der
Hauptling ins Feld zog, so mussten die Bewohner der umlie-
genden D&rfer sich ibm anschliefsen, und durflen es nichi
mehr bei dem Schuize ihres Privaibesilzes bewenden Jassen.
Tschelschnja wurde wieder wohlhabend und erholte sich un-
ter seinen Fiirsten. Die verwegenen Nachbam fanden bei
ihren Ueberfallen so kraftigen Widerstand, dass sie der mijh-
seligen und unsicbern Beute nachzujagen aufhdrlen. Bis da-
hin immer geplundert und bedriickt^ wurden die Tschetschen-
zen jetzt von ihrer Seite ein Schrecken der Nachbam; mit
dem Bewusslsein ihrer Krafl eniwickelte sicb> kriegerischer
Geist^ und ganze Haufen verwegener Freibeuter aus ihrer Mitte
begannen die Ebene der Kumyken und die Gegenden jenseil
des Terek beimzusuchen.
Der Name der Turlov's wurde in Tscketschnja allgemein
hochgeachtet ; aber ihre ganze Gewalt grilndele sich nur auf
*) Dieser Name ist bier offenhat* scUon russificirt.
Die Tsclietschenzen und ilir Land. 517
diese HochachtuDg; sie halte keine legale und durch Machi
befestigte Grundlage. Die TschetscheriKen hallen diese Haupl-
linge in der Epoche ihrer Armuth und Schwacbe berufen;
daher konnte man scbwer annehmen, dass, nachdem der Druck
vorbei war, die schwankende Macht derselben- sich immer in
Tschetscbnja aufrechl halten wiirde; dass die EriennUicbkeii
flir geleistele Dienste in einem balbwilden Volke seine ange-
borne Abneigung gegen Unterwurfigkeit und Liebe zu unge^
ziigelier personlicher Freiheit niederkampfen konne. Und so
kam es auch : die Bevolkerung wuchs schnell heran, der Wohl-
stand der Eingebornen mehrte sich alle Tage, und ihr kriege-
rischer Geist erhielt seine voile Entwickelung. Uin dieselbe
Zeii wurden die benachbarien Stamme zusehends schwacher
und sanken allgemach. Zwistigkeiten zwischen machtigen
Fursienbausem , gelegentliche Erfolge der Russen im Cauca*
suSy Verweichlichung und Sittenverderben drilckten die her-
vorragend gewesenen Kumyken und Kabardiner auf eine un-
tergeordnete Slufe herab, Ihre besten Parteiganger und ge*
ehrtesten Greise waren auf dem Schlachtfelde geblieben, oder,
die patriotische Sache preisgebend, zu den Russen iibergegan-
gen. Die Tschetschenzen ftirchteten sie niehi mebr, und mit
dem Bewustsein ihrer Starke erwachle ein Geist ungeziigeiter
Freiheit, den die au§gestandenen Drangsale bis dahin nieder-
gehalten. Sie belrachleten jetzt ihre Hauptlinge als lastige
Vormundery und enlzogen sich den Pflichten des Gehorsams
und der Ergebenheit; so dass die Turldv's das undankbare
Volk endlich verliefsen. Sie siedelten in die Tschetschenzen-
dorfer am Terek und an der oberen 5unja Uber, wo sie noch
lange Zeit der ihnen zukommenden Rechte sich erfreuten. Die
Regierung der Turlov's hatte, da sie fast niemals innere Ein-
richtungen beriihrle, an dem biirgerliehen Sein der Tsche-
tschenzen wenig geandert; nach ihrem Abzuge, oder besser,
nach ihrer Vertreibung war AUes noch wie um die Zeit der
ersten Niederlassung im Lande. Der ganze Unterschied be*
stand darin, dass, wo vormals eine einzelne kleine Meierei im
Walde gestanden, jetzt ein grofser Aul von einigen hunderi
[f
618 Hittori8ch<^lingat8tische Wiasenscliaften.
Hausern — zumeisl einem Geschlechle angehorend — sich
ausdehnte. Die Gesellschafl war angewachsen, ihre Verfassung
aber dieseibe geblieben.
Nachdem wir den burgerlichen Zustand der Tschelschnja
in aligeineinen^Umrissen geschilderl, ist es nothwendig, noch
ein Par Worle iiber die Tschetschenzendorfer am Terek und
der oberen Sunja beixufugen, als welche in vielen Sliicken
von den oben beschriebenen abweichend sind. Das linke Ufer
der iSun/a und das rechte des Terek, wo vor der Emporung
des Johres 1840 reiche tschetschensische Dorfer lagen, die,
wie man glaubt, erst entslanden, als die groCse und kleine
Tschelschnja schon sich gebiidet batten , — diese zwiscben
Terek und 5unja eingesdilossenen Lander waren ekemals
Eigenlhum der kabardischen Fursten, welche daaelbst ibren
Heuschlag halten. Die bier angesessenen tschetscbenziseben
Auswanderer musslen mil ibnen Verlriige abscblieCsen und fur
das Land^ welches sie nutzlen, gewisse Gebithren entricbten.
Anfangs begnugien sich die erwahnten Hauptltnge mil einer
geringen Abgabe vom Weizen, da sie seU>er allzu well ent-
feml wohnten; als aber die Anaiedler in der Folge sich ver-
mehrten und wohlhabend wurden, da verlegten viele kabar-
dinische HHuptlinge ihren WohnsUz bierher und braefaien su*
gleicb eine kiinstiiche feudale Verfassung^, wie sie in der
Kabarda bestanden, in das schiicbte und einforuiige Element
des tschetscbenziseben Gemeinwesens.
Wir woUen bier nicht in eine Betraebtung ibres burger-
lichen Seins eingehen, welches den socialen Einrichtungen der
Kumyken beinahe in Allem gleicb ist, sondern nur sagen, dass
die Macht der Hauptlinge in den drei Tscbetscbenzen-Gemein*
den, die bei dem Aufruhre von 1840 nicht iiber die iScinja
geflohen, gegenwarlig ihrem Untergange zuneigt, theils durcb
vussischen Einfluss, theils darum, weil das wohlhabender und
zahlreicher gc%vordene Volk einer Abgabe an Hauptlinge iiber-
driissig wird, die es bei keiner Gelegenheit scbiilzen konnen.
Es verdienl noch Bemerkung, dass in Tschetscbnja die
muhammedanische Geisllichkeit keinen Einfluss auf die Regie-
Die Tsclietschenzen and ibr Land. gl9
rung gebabl hat Dieses Land ist von alien zum Idam sich
bekemienden vielleicht das einzige, wo die Geistlichen nicht
so, wie ihnen zukam, geebrt wurden. Die Tschetschenzen
waren immer schlechte Moslimen^ bei denen die, fiir ihre
Silten zu strenge Schariat (das Geiietz des Propheten) nur
in seltnen Fallen Anwendung fand^ und das Meiste nach alien
Gewohnheitsrediten entschieden wurde. In einer solchen Ge-
selbchaft konnte ein Clerus nieht zu Macht und Anseben
kommen; er gerietb in Verfall und war, vor Schanul*s Ein*
biirgerung, arm und unwissend. Die Kennlniss der Scbrift
war Alies, was die ischeUchenzischen Mulla*s von den Unge-
lehrien auszeichnete und ihnen eine gewisse Achtung erwarb,
da sie allein schrifiliche Documente abfassen konnlen. Sonst
batten sie kelne besonderen Rechte und waren von den Welt*
lichen vollkommen abhangig. Eine Ordinirung zum geistlichen
Stande gab es nicht: jede Gemeinde wahlte sich irgend eincA
des Schreibens kundigen Mann^ der arabisch verstand^ und
machte ihn zu ihrem Mulla ; denn der Kirchendienst bedarf in
der muhammedanischen Religion keiner besonderen Vorberei*
tungy da er nur aus Gebeten besteht^ die einem jeden be-
kannt sind.
Die Entscheidung gewisser Handel nach dem Schariat
und die Abfassung schrifllicher Urkunden sind vornehmster
Beruf des Mulla*s einer Gemeinde; sonst unterschied er sich
in nichls von den Weltlichen. Bei der jahrlichen Vertheilung
der Grundstiicke erhielt er mit den iibrigen Bewohnern eines
Dorfes gleichen Anlheil, und wie alle Uebrigen, trieb er Ak-
kerbau und Handel. Besondere Einkiinfte bezogen die Mullahs
nicht vor SchamiPs Zeit, obgleich der Koran jeden MosHm
verpflichtet, alljahrlich |ein Zehniheil seines Gehaltes und ein
. Hundertlheil seines Viehs der Moschee "zu opfern. Diese Ab-
gabe heisst Sekat;'^) gewohnlich theilt sie der Mulla in drci
*) Bedeutnng: obT: aumdne des reyenus, qae le Coran ordonne a tout
masaiman, et qui consiste en un 40i5ine de son revenu.
D'Ohsson.
620 Historisch-linguistische WiMeflSchaften.
Pai (Antheiie): den einen nimml er fiir sich, und die zwei
iibrigen muss er den Armen, den Widwen und Waisen zu-
wenden. Ausserdem haben die Kaufleute alle Jahr yVW vom
jahrlichen Wachslhum ihres Capitals in die Moschee su liefern,
mag es nun in Geld oder in Waaren bestehn. Auch diesen
Beitrag Iheill der MuUa in einige Theile, von denen der cine
ihm selbst angehort und die iibrigen den Annen. Aber bis
heute ist man in Tschetschnja diesen, wie anderen religiosen
Pflichten, ob der allgemeinen Kalie gegen den Glauben, nur
wenig nachgekommen; und wenn einige goUesfurchlige Greise
einen Theil ihres Einkommens zu UntersUitzung der Armen
verwendeten , so handigten sie das Sekat nur sellen ihren
Mullahs aus, gewobnlich verlheillen sie es selber unter die
Hulfsbediirftigen.
In einigen grofsen DSrfern gab esMoscheen undMuUa's;
in solchem Fall wurde einer aus ihnen gewohnlich zum Kadi
erwahlt. Als solcher halte er vor den iibrigen MuUa's nur
das Recht, in seinem Districte Jusliz zu iiben, wahrend seine
iibrigen CoUegen auf den blosen KirehendiensI si^b beschraii*
ken mussten. Uebrigens gab es in Tschetschnja wenig^ Kadi's,
denn ihre Wahl erforderte einen Geist der Einigkeit, den man
mit Miihe herslellen konnie.
(Schluss in eineni folgenden Hefte.)
Aus dem Bericht der russisch - amerikanischen
Compagnie fiir das Jahr 1850 — 1851.
iJie Sjewernaja Ptschela theiil einen Bericht der russisch*
amerikanischen Handelsgesellschaft fiir das Jahr 1850 — 1851
mit, dem wir Folgendes enlnehmen '^):
Die Einnahme der Compagnie im J. 1850 betrug 752675
Rub. 65 Kop., die Ausgaben beliefen sieh auf 628628 Rub. 35
Kop. Von dem Ueberschuss warden 112260 Rub. zur Divi-
dendensahlung nach dem Verhaltnifs von 15 Rub. auf die
Aclie bestimmt; dem Reserve-Capital wurden 11226 Rub. ein-
verlisibt und 561 Rub. 30 Kop. zum Resten der Armen aus-
gesetzt.
Am 1. Januar 1851 befanden sich in den Colonieen im
Dienste der Compagnie ein Stabsoffizier und drei Offiziere der
Kaiserlichen Marine, ein Offizier des Berg-Ingenieurcorps, vier
Civilbeamte, dreifsig Personen geistlichen Standes. Das Dienst-
personal uberhaupt zahlte 686 Kopfe. Die Bevolkerung der
Colonieen bestand aus 9273 Mensehen, worunler 4823 mann-
lichen und 4450 weiblichen Geschlechls.
Davon waren:
Russen 505
Creolen 1703
*) Vergl. den Bericht aber das Jahr 1849—1650 in diesem Archiy
Bd.IX. S. 710 — 716.
Krmans Ruas. Arcbiv. Bd. XI. H. 4. 41
522 Historiscb-lingaistisclke WissenBchaften.
Aleuten 4051
Kenaigen 1070
Tschugalschen 1857
Kurilen 97
Neu- Archangel seibst halte 971 Einwohner, Russen» Creolen
und Aleuten. Der Gesundheilszusland war dort ungiinsliger,
als in dem vorhergehenden Jahre, obwohl sich durchaus keine
epidemische Krankheilen zeiglen.
Die Knfibenscbule zu Neu* Archangel wurde uuLaufe des
Jahrs 1850 von 43 Scbiilern; die Madchenschule von 45 Schii-
lerinnen besuchf. Das ),Seininarium'' hat te 27 Zogh'nge, worun-
ier fiinf Eingeborne. Aufserdem wurden auf Kosten der Ge-
sellschafl zwolf junge Leule in St. Petersburg in verschie-
denen Insliiuien erzogen*
Die J^gd wurde in alien Theilen der Colonic mit voll-
standigem Erfolg belrieben. Bei der Insel Tugidak wurden
fast eben so viele Bibern gefangen, wie im Jahr 1849. Der
im Jahr 1848 ausgesetzte Fuchsfang auf Kadjak und die Jagd
auf ZieselmSusp (jewraschki) auf der InseiUkamok wurde,
nachdem man diesen Thieren Zeit gegeben^ sich wieder zu
vermehrePy emeuerts und lieferte sehr befriedigende ResuUale.
Auch in) Ungaer Dislricte war die Ausbeute gut, nnr nicht
was die Wallrosse betriffty die seit einiger Zeit fast aufgehort
haben> sich auf der Halbinsel Alja^ka zu lagern. Desto er-
giebiger war die Seehund- und Steinfuchsjagd auf den Priby-
Ipw-Inseln, wo namenilich die Seehunde sich mit jedem Jahre
vermebren.
Der im Jahr 1850 auf einem Schiffe der Compagnie nach
San Francisco abgeferligte Gehiilfe des Directors vom Com-
toir zu Neu- Archangel J Herr Iwanow, hatle den Auflrag,
von Sutter den Riicksland seiner Schuld fur die Colonie
Ross einzutreiben, und wo m5gl]ch ein kleines Sortiment von
verschiedenen Waaren und Erzeugnissen der russischen Nie-
derlassungen, zum Werthe von 65579 Rubel Assignaten, so
wie drei holzerne, auseinander zu nehmende Hauser^ die zu
diesem Zwecke in Neu-Archangel erbaut worden waren, ab-
Au8 deni Berictit der russiscli-amerikanischen Compagnie. 623
zusetzen. Auf Abschlag seiner Schuld znhlte Sutter an Herm
Iwanow 7000 Piaster oder lOOOO Silberrubel und verpflichlete
sich, diese Sache deCnitiv mit detti in San Francisco ernann*
ten russischen Viceconsul Herrn Steward zu arrangiren, den
der Gesandte in den Vereinigten Slaaten, Herr Bodisko^
* angewiesen hatte, alle von ihtn abhangende Mafsregeln zur
• Eriedigung dieser Angelegenheit zu Ireffen. Von den nach
Californien gesandten VVaaren wurde der drilte Theil nebst
^ den Hausern verkauft, wovon eins auf dem 1849 inSanFran**
Cisco erworbenen Grnndsliick errichtet und initsammt dem*
selben losgeschlagen wurde. Ein Theil des EriSses ward von
Herrn Iwanow in Empfang genommen und die Eincassirung
'■ des Resles, um den langen Aufenthalt zu vermeiden, Herrn
Steward iiberlassen, welcher dies auch in der Polge bewerk-
: : stellfgt hat.
Wegen des hohen Preises der Lebensmittel in Californien
• konnle man dorl nur eine geringe Quanlitat P6kelfleisch etc.
einkanfen. Es wurden daher auf dem Schiffe „Knjas Men*
I. schikow'* 7700 Silberrnbel in auslandischem Gelde und 1 Pud
B 23 Pfund 45 Sololnik GolJstaub von San Francisco nachNeu*
0 Archangel gebracht. Die aus Californien erhaltenen Piaster
1 wurden den zur Weltumsegelung bestimmten SchiflTen der
g Compagnie, stall der Wechsel, tibergeben, um ihre Auslagen
I in den verschiedenen Hiifen zu beslreiten; der Goldstaub, def
I auf dem Schiffe „Alcha** nach St. Petersburg befordert und in
\ das Miinzamt abgeliefert ward, erwies sich hier als aus 1 Pud
7 Pfund 44 Solotnik 12 Theile reines Gold und 6 Pfund 56
Sololnik 76 Theile Silber bestehend, wofiir die Uauplverwal-
tung der Compagnie 16787 Rubel 59 Kopcken Silber erhielt.
Es geht hieraus hervor, dafs der russische Handel mitCalifor^
nien im Jahr 1850, obwohl von recht giinstigen Resultaten
begleitet, doch in geringerem Uinfang belrieben wurde, als im
Jahr 1849, in welchem dieser Handel durch die damalige
eigenthiimliche Lage Californiens besonderen Erfolg hatte. Zu
jener Zeit enlstand, zugleich mtt der pt5lzlichen Bereicherung
der Einwohner, ein aufserordentlicher Begehr fiir alle mogliche
41*
g^ Historisch-linguistische Wisscnscliaften,
Waaren, die zu hohen Preisen abgesel^t wurden; wogegen im
Jahr 1850 die Waarenlager in San Francisco mil den Fabri-
kaien und anderen Produclen der gansen W«U angefiilli wa*
ren, so dads man nur einen Theil der aus Neu-Archangel* ge-
schickken Artikel z\i vorlheilhaften Preisen anbringen konnle.
Die Abnahine der Bevolkerung der Sandwich -Inseln in
Foige der EpidetniC) welche dort 12000 Menschen hinraffte,
^nd der forlwahrenden Auswanderung nach Californien, hat
in Verbindiing mil der iibermafsigen Preiserhohung der ein-
heimischen Producte dieser Insein dem Gange des Handels
mit denselben eine veranderle Gestalt gegeben. Ausser der
Uebernahme des contractmar$ig zu einem sehr gunsligen Preise
eingekauflen Salzes, welches unter den gegenwartigen Um-
slanden den Hauptgegenatand der Ausfuhr nach den Colo-
nieen bildet, beschrankten sich daher die Handelsoperationen
der Compagnie auf den Insein im Jahr 1850 auf einen unbe-
deutenden Absatz von Colonialproduclen und den Einkauf von
Sandzucker, Syrup und anderen Arlikeln. Wahrend des Auf-
enthalts der Brigg „BaikaP' in Honolulu, besuchte sie der Kd-
nig der Sandwich -Insel mit seinem Minister der auswarligen
Angeiegenheiten und Reichskanzler. Der Commandeur der
Brigg, Herr Klinkowstrdm, bewirihete nach dortigem Ge-
brauch den K5nig in seiner Cajiile, bei welcher Gelegenheit
der Konig durch seinen Minister dem Capitain auftrug, in sei*
nem Namen den Hauptverwalter der Colonieen zu versichern,
dafs er stels bereit sei, den mit den Sandwich-Insein Handel-
treibenden russischen Unterthanen seinen Schula und Beistand
zukommen z|^ lassen.
Die EntwickeUing des Wallfischfanges in den Colonieen
hat seit langer Zeit die Sorgfalt der Direction in Anspruch
genommen, und in dieser Absicht wurde schon 1830 ein er-
fahrener amerikanischer Wallfischfanger, Thomas Barton,
berufen, der sich nicht nur verbindlich machte, Wallfische mit
der Harpune zu eriegen, sondern auch den Eingebornen den
Gebrauch derselben zu lehren. Nach seiner Ankunft wurden
ihm einige Wallfischbole und eine Abtheilung. Aleuten nnit
Aus dem Bericht der russifich-amerikaniBcIien Conipagiiie. 525
alien fUr den VValllischfang erforderfiehen Gerathschaften Eur
Verfugung gestelU. Im Laufe von funf Jahren beschSftigle
sich Barlon in alien Theilen der Colonie noit dem Wall&ch-
fang, aber seine Bemuhungen blieben ohne Erfolg und man
iiefs deshalb das Unternehmen im Jahr 1838 fallen. Unter-
dessen h5i*le die Direction nichl auf, den Forlgang des aus-
landischen Wallfischfangs im nordliclien Slillen Me^re mit
Aufmerksamkeit zu verfolgcn, und der Aufschwung, den er
nahm, iiberzeugte sie noch mehr von der Einlriiglichkeit die-
ser Industrie in den genannten Gewiissern. Die neu ange-
kniipften Handelsverbindungen derCompagnie mil Californien
und den Sandwich -Inseln, zu deren Unterhaltung ein grofser
Theil der Colonialflotille verwendei werden mufste, eriaubten
der Direclion jedoch nicht, sich 'zugleich mit dem Wallfisch-
fang zu beschafligen, und <iieser Betrieb wurde daher, wie
zuvor, den Eingeborenen tiberlassen, die ihn in sehr kleinem
Mafsslab und nur zur Befriedigung ihrer eigenen Bediirfnis&e
fortfuhrten. Die Aleuten, die sich hauptsachlich von dem
Fleisch und dem Felt der Wallfische nahren, fingen davon so
viel sie zu ihrem Unierhall nothig hallen und fauscbten an
die Compagnie nur das Fischbein aus, welches sie nicht be-
nutzten und welches mit den iibrigen Colonialproducten nach
Europa verschifft wurde. Die mil der Ausdehnung des frem^
den Wallfischfangs verkniipfte Anwesenheit einer grofsen An-
zahl auslandischer Fahrseuge in den Gewassem, welche die
russisch-amerikanischen Colonieen bespiilen, hatle inzwischen
manche fiir die Compagnie unangenehme Umslande zurFoIge.
Die Wallfischfahrer iandelen milunter an den Kiislen, ver-
suchten mit den Eingebornen Handel zu Ireiben, auf Pelzthiere
Jagd zu machen, Holz zu fallen u. dergl, und die Compagnie
sah sich gen5thigl, zur Beseitigung dieser Uebergriffe entschei*'
dende Mafsregein zu treffen. Es wurde also im Jahr 1844
einKreuzer zurAufsicht iiber die Wallfischfahrer ausgeschickl;
da sich indessen ein einziger Kreuzer fiir einen so weilen
Raum ungeniigend zeigle und die Unlerhallung von mehreren
der Compagnie zu lastig geworden ware, so hielt die Direclion
g26 HUtoriBok-lingaistiaehe Wissejucbaften,
es tiir das Zweckmatsigstei den Wallfischfang damil zu ver*
bindeOy und ordnele in di^ser Ahsicht den Bau mehrerer klei-
ner Fahrseuge an^ die, mil den nothigen Geratbschaflen ver-
sehen, den Fang in den verschiedenen Theilen der Colonie
betreiben und zugleich ats Kreuzer dienen solllen. Dieser
Plan war noch nicht zur Ausfuhrung gekommen, als die Com-
pagnie unterrichtei wurde> dais in Folge einer Vorslellung des
General •Gouverneurs von Ost-Sibirien, General -LieutenanI
Murawjew, der Kaiser seinen Willen zu erkennen gegeben
babe, einen russischen Wallfisehfang in den GewSssern des
Stillen Meeres unler unoiiUelbarer ftlitwirkung der russisch-
amerikanischen Cooipagnie zu begrilnden. Die Direction, der
die Absicht der Rheder von Abo in Finnland, einen Aciien-
verein fiir den Wallfischfang zu errichien, bekannt war *) und
der es hSchst wiinschenswerkh erschien, so erfahrene Seeleute
und Schiffsbaumeisler zu Theilnehmern an dieser Unterneh-
mung zu haben, Iral mil ihnen daruber in UnterhaDdlungen,
die zu der Bildung der Russisch-finnlandischen Wall-
fischranga-Compagnie, der erslen dieser Arl in Russ-
land, fiihrten, deren Statut am 13. December 1850 die kaiser-
liche Bestatigung erhielt. Aufser den Voriheilenj die von dem
Wallfischfange selbst zu erwarlen sind> ist dieses Unlemefa-
men der russisch-amerikanischen Compagnie besonders dadurch
wjchtigy dafs es die Verbindungen mil den Colonieen ver-
mehren und sie, ohne weitere Kosten von Seilen der Com-
pagnie, vor den Uebergriffen der auslandischen Wallfischfahrer
sichern wird,
Der erste zu diesem Zweck in Abo ausgeriislele Wall-
fischfahrer isl am 22. Juli 1851 von dorl abgesegelt und hat,
nachdem er in Bremen eingelaufen, urn sich mil dem erfor-
derlichen Apparat zu versehen und einige erfahrene Harpu-
nire an Bord zu nehmen, sich geradesweges nach Neu- Ar-
changel begeben, wo ihm der Hauptverwaltev der Colonieen
♦) Vergl. d. ArchW Bd.VI. S. 598 — 604.
Aqs dem Bericht der rassiscb-amerikaiuicfaeii CompagDie, 627
die Richtung bezeichnen wirdi in der er seine Operalionen su
beginnen hat.
Dem Berichte der russisch-amerikanischen Compagnie (iir
1849 war eine Merkatorsche Karte der Westkiiste von Sichay
zwischen dem Vorgebirge Omanney und dem Klokatschew*
Sunde, hinzugefiigt. Dem diesjahrigen isl eine nach den
neuesten Beobachtungen entworfene Merkatorsche Karte der
Beringskrafse nebst dem aniiegenden Theile des Eismeers bei*
gegeben, die mit An^ichlen verschiedener Inseln uii4 Kiislen-.
punkte versehen ist und auf der die Kurse der zur Aufsuchung
Franklin*s ausgesandten englischen Schiffe verzeichnet sind.
Schreiben eines Russen aus Californien^J.
I.
Insel St. Thomas (Westindien). 23. Aug. 1S51.
IM ach einer giiicklichen Fahrt von einundzwanzig Tagen ha-
ben wir auf der Khede der Insel St Thomas Anker -gewor-
fen. Es ist dies eine der schonsten Inseln Weslindiens und
gehSri den Danen. Wir geben hier die Post ab, setzen die
*) Der Verfasser dieser in No. Ill a. 112 der Sjewernaja Ptsclielk Ton
diesem Jahr initgetheilten Berichte ist Hefr Rott ache w, ein Mann,
der aich schon in aehr veracbiedenen Cari^ren veraucht hat. In aei-
ner Jagend beachaftigte er sich mit der Literatnr ond ab^etzte
Schiller'a „Wilhelm TelP ond Shakeapeare'a ,,Macbeth'* ina Rosaiache.
Hieranf trat er in den Dienst der rnaaiach-amerikaniacben Compagnie
nnd atand eine Zeitlang an der Spitze der Colonie Roa^, wo ihn der
bekannte Reiaende Daflot dj Manfraa besnchte (vergl. dieaes Archly
VI. 423). Wahrend aeinea mebrjahrigen Anfenthalta daaelbst worde
er mit den Angelegenheiten Californiena genan bekannt. Der erate
Entdecker der Californiachen Goldwaachen , Capita! n S otter ^ war
eine Zeitlang in Roaa bei Herrn Rottachew zn Gaat, ebe er seine
Anaiedlnng Nea-HelTetien aniegte. Nacb Roaaland znrSckgekehrt,
acheint ihm das Gluck in aeiner Heiniath nicht gelachelt zn baben,
da er aich entschlosaen hat, ea wieder in deni goldreichen Califor-
nien zu verauchen, wo er aber jetzt zn spat angelangt aein mochte,
urn noch nachzaholen , waa er friiber mit leichter Muhe hatte errei-
•ben konnen*. D. Uebers.
Schreiben eines Rdcsen aas CaKfornien. g29
nach Jamaica, Havana und Mexico bestimmlen Passagiere ans
Land und fahren dann, sobald wie Kohien eingenommen^ nach
dem amerikanischen Continent, nach Santa Maria, Cartagena
und Chagres weiter. In sechs bis sieben Tagen denke ich in
Panama zu sein. Die Fahri auf dem englischen Dampfschiff
isl herrlich. Der tropische Himmel, die wunderbare Natur
der Aequatoriallander ist wieder vor mir. Die Palmen und
Cocosbaume nicken mir mit ihren Wipfeln ins Fensier herein.
Meine Gesundheit besserl sich zusehends; ich weifs nicht wie
es mir ferner gehen wird, aber fiir jetzi ist mir wohl. Nach-
dem ich den Isthmus von Panama iiberschrilten habe, werde
ich mich in etwa funfzehn Tagen in San Franzisco befinden.
Heute Abend lichten vtrir die Anker. Die Reise geht iibers
Caraibische Meer (den mexicanischen Meerbusen). Ich bin
der erste Russe, welcher diese Tour macht; ich werde von
ihr reden, wenn ich sie hinter mir babe.
II.
Panama (Republik Nea- Granada). 6. Sept. 1851.
Aus der ersten Zeile meines Briefes wirst du sehen, dafs
ich von neiiem die Ufer des Slillen Meeres erblickt habe
•
Unsere Fahrt von England ins zum Isthmus von Panama war
aufserordentlich glUcklich. Unser machtiges Dampfschiff legte,
obwohl gerade nicht durch seine Schnelligkeit ber&hmt, in
vierondzwanzig Stunden einen Weg von 200 bis 225 Meilen
zuriick, und was kann man mehr verlangen? Nachdem wir
die Antillei\ verlassen, besuchten wir uolerweges die Kiisten
von Neu-Granada, Santa-Marta, Cartagena und Chagres. Frii-
her waren alle diese Punkte von den Spaniem stark befestigt,
weil tiber diese Landenge ihre Goldtransporte von Amerika
nach Europa gingen. Wenn man diese Ruinen ansieht, so
bewundert man die einstige Macht des jetzt so gesunkenen
Spaniens, und bewundert noch mehr die Kuhnheit der Fli-
bustier, welche sie anzugreifen pflegten. Heute sind die
630 Hwtorisch'lingiiistisehe WuseiMichftlles*
Festangsmauern mil Moos und Unkraut iiberwacbseOi und von
Seeraubern isl im ganzen Caraibischen Meer keioe Rede. In
Chagres wiithet das gelbe Fieber uird der Vomilo, wesbalb
ich mich nur zwei Stunden dork nufliielt. Fiir die nibige and
beqiieme Ueberfahri aus Europa muTste ich von Chagres nach
Panama mil MtihseKgkeiten ailer Art bezahlen. Jetsi ist hier
die Regenzeil; das Wasser im Flusse hat seine grofste Hobe
erreitht und ist ungemein reissend; von ungeheueren Baam-
stammen und Aesten versperrt, bietet er dem Canot des Wii-
den keine sehr angenehme Fahrt dar^ und doch ist dies die ein-
zige Art| in der man bier den Strom hinauf vordringen kana
Wenn das Boot umwirfti so lauft der Reisende, aufeer dem
Verlust seiner Bagage, Gefahr, einem Alligator in den Rachen
zu gerathen, oder am Ufer^ in dem spurlosen Urwalde Ame-
rika's, die Beule eines Jaguars zu werden. Von dieser leU-
ten Unannehmlichkeit sollten auch wir eine Probe habeo.
Mein Boot ward durch die Str5mung auf einem unter Was-
ser befindlichen Baumstamm geworfen. Der Indianer sprang
ins Wasser, stiefs das Boot ah, konnte aber selbst nicht wie-
der hineinkommen. Die Stromung trug uns fort, wahrend
der Fiihrer, die Alligaloren fiirchtend, ans Ufer schwamm*
Auf einmai hSrten wir ein furchtbares Angslgeschrei . . ^
sebnell wir konnten, eilten wir ihm zur Hiilfe, aber der Un-
gliickliche war nicht mehr zu sehen: der Jaguar hatte ibn
zerrissen und (ortgeschleppt ! '^)
Nach einer dreitagigen hdchst ermudenden Reise gelaag*
*) Dieses Abenteaer ktingt so romanhaft, dafs wir beinah glauben m^^
ten, ea babe Henrn Rottschew nor getramnt oder sei eine Kriao^'^'B
an die poetiseben Phantaaieen aeiner Jugend. In nUen B^vhten
engliscber und amerikantsclxer Reisenden nber die Deberfabrt ton
Gbagres naclr Panama ist nns wenigslens nichts derartiges voig<^
kommen. Wir bemerken hier iibrigens, dafs im Original von einem
Tiger die Rede ist, womit doch wohl der Jaguar geiiieint sein mm
der indefs bekannllicb dem Tiger der alien Welt an Kraft ofld »"
Wildheit nachsteht. D. Uebeft.
Scfacviben eines RtisMii aoa Californi«n. 631
ten wir zu der Orischafl Cruses , wo ich das Boot verlicfa
und ein Maullhier bestieg. Du weibty das ich ein geiibler
Mauleseltreiber bin: es wurde mir daher mSglich, in einem
Tage von Cruses nach Panama zu gelangen, wozu Manche
vier Tage gebrauchen. Wir haben zusammen die Ochoisker
Taiga gesehen, ich bin mil den Ufern des Jeni«ei und der
Angara bekannt, aber etwas, das diesem VVege gliche, ist mir
noch nicht vorgekommen. Der enge, mil Sleinen besaete
Pfad ist stellenweise so schmal, dafs ein Maullhier mit seinem
Reiter sich kaum durchwinden kann. Die Luft wird von dem
Geschrei der Thiere, Affen, Papageien, dem Zwilschem der
Vogel, dem Summon der Insecten belebt, mil einem Worle,
der Reisende befindet sich gleichsam in einer FeenwelU Und
welche Nalur! Sie zu beschreiben ist unmoglich;. man mufs
sie mit eigenen Augen sehen. Pistoleo, eine Biichse, ein gu-
les Messer sind indefs unentbehrliche Begieiler auf dieser
Reise. Uebrigens wiirde ich Niemanden ohne Erfahrung ra-
then, sich auf den Weg zu machen; es giebt hier viele »Spe^
culanten'\ die, ohne Cahfornien zu erreichen, es in den Ta«
schen der Reisenden finden. Vor kurzen wurden 7 Deutsche
unterweges wie die Hammel abgeschlachtel. Sie halten
schwere Koffer bei sich, in wekhen die Morder Gold zu 6nr
den glaubton. Allein die DouUcben kamen aus Europa, und
das vermeintliche Gold war nur ihr Tischlerwerkzeug, Die
Morder wurden festgenommen und in Panama erschossen: ea
waren Eingeborene von Neu*6ranada. Hierauf wurden neun
Amerikaner ahniichen Gelichlers eingefangen, die jedoch aus
dem Gefangnifo von Panama entkamen und wabrscheinlioh ihr
Gewerbe forlsetzen. Indem die Sladibehorde diesen Vorfali
anzeigt, fiigt sie die IrSsUiche Versicherung hinzu, dafs die
Schurken ohne Gnade gehangt werden wiirden, wenn man
ihrer nur habhaft wird! — Die Post nach Europa geht heute
ab und ich mufs daher mein Schreiben schiiefisen. Von hier*
aus haben wir Californien schon im Gesicht. Das letzle
Dampfboot brachte 1500000 Piaster Goldstaub mit; ausserdem
halten die Passagiere 400000 Piaster bei sich. Die Entdeckung
632 Hulorifleh-lingniftiMfae WitMBtchafUii.
und Ausbeute des Goldes ist in Californien noch
Zunehmen begriffen. Auch isi dort jetst Alles wohlfeil. £
sen Transport hab* ich selbsl gesehen, und es gehen derg!
chen iwei oder drei Mai des Monals hier durch. Erst
15. September werde ich diese Stadl verlassen, da kein Dam
boot eher abgeht.
in.
Californische Goldgruben, Flass Juba, Marderer'*fi Ba
10. November 1851.
Es wird nun schon beinah vierzehn Tage, dafs ich mid
in den Goldregionen Califomiens beBnde, und noch kann id
nicht 2U mir kommen vor Erstaunen iiber Atles, was ich sehe
Der Reichthum der Goldlager (ro«syp) ist wunderbar, un-
glaublich. Oft habe ich mich mil eigenen Aogen iiberzeugf,
dafs ein Teller Erde 10, 20, 40, ja 100 Piaster SchlichgoJd
giebt. Schuttlager von vier bis fiinf Solotnik auf huodert Pud
Sand werden hier gar nicht bearbeitet, weil die Goldwascher
in ihren elenden kleinen ,,Wiegen'' daraus nicht genug su
Tage fordern kdpnen, um ihren tUghchen Unterhalt zu bestrei-
ten, wahrend bei uns in iSibirien dergleichen Lager zu den
reichsten gezShIt werden. Die hiesigen Berge und Abhange
bieten iiberall, nach unseren Begriffen, reiche Aosbeute dar,
die aber in CaHfomien nicht beachtet wird. Was man hier
reiche Goldlager nennt, ist von Compagnieen in Besitz ge-
nommen, welche unermefslichen Gewinn daraus schopfen, in-
dem sie Alle*8 bei Seite lassen, was nicht fabelhafte Scbatee
versprichU Die Arbeilen werden hier uns&gbch schlecbt be*
trieben. Leute von alien Nationen, von alien Standen, welche
das Ungluck hierher verschlagen hat, graben und wlihlen
gleich Ebern in die Eide, und sobald sie nicht taglich 10 bis
12 Piaster verdienen, so lassen sie den Fundort im Slich und
suchen anderswo einen ergiebigeren. Mit gut geleitelen Ar-
beiten konnte viel, unglaublich viel geleistet werden, aber wie
•^
Sclureiben eines Russen aos CaiiforBien. 633
M soil man dies zu Slande bringen? IVfanche Beschwerden,
manche Leiden werde ich hier tragen miissen, doch hoffe ick
mil Gottes Hiilfe mein Ziel zu erreichen. Es ware recht gut,
wenn einer ' von unseren unternehmenden Capilalisten auch
nur auf kurze Zeil hierber kame. Ein SchuUlager von vier
bis funf Solotnik auf 100 Pud Sand ist leicht aufzufinden; es
giebt viele dergleichen, die man zu bearbeiten angefangen und
dann verlassen hat. Unsere vergessenen «ibirischen Butare
konnten sogar mil Vorlheil benutzt werden, meine Absicht ist
aber, die Arbeit mit Fassern (botschki) und Eggen (borony)
einzufiihren '') und mich einer reichen Compagnie anzuschlies-
sen. Wahrend ich michnach der Juj>a begab, ist P • . • w
nach Norden gegangen; ich bin sicher, dafs er seine Zeit
nicht umsonst vergeuden wird. Nachdem ich einige Zeit bei
Suiter zugebracht, uberzeugle ich mich, dafs er mir in nichts
behiilflich sein konne; er ist so arm, wielrus, und ausserdem
fast seiner Sione nicht machlig, Und dieser Mensch hatte
Millionen besitzen konnen! Es freut mich, dafs ich sobald
seinen Zustand kennen lernle ; die auf ihn gesetzte Hoffnung
ist zertriimmert, aber wie viele Hoffnungen virerden nicht im
Leben zu Schanden! . . . Die Regenzeit hat begonnen und
die Natur belebt sich zusehends. Das Wetter ist warm und
freundlich. •
IV.
San Francisco, 3. December 1851.
Erst geslern erhielt ich die beiden ersten Briefe aus
Russiand, vom Eude Juli und 15. August. — Es ist inleres-
sant, die Verschiedenheit zwischen den hiesigen Arbeiten und
den unsrigen zu beobachlen. Die Arbeiten in Califomien
werden gr5fstentheils durch zwei oder drei Genossen betrie-
ben. Zum Auswaschen gebrauchen sie vorzugsweise eine Art
*) Ueber dtese Maschinen vergl. das Arcliiv IV. 125 und Vf. 333.
634 Historiscli-lingnistisclie Wissenschaften*
kleiner Wiegen (rockers). In diescr elenden Maschine kon*
nen sie bei aller Thiitigkeit und iinler den giinstigsten Urn-
slanden nicht mehr als 150 Wedro Sand (5^920 Wedro = I
Eiiner)y bei einiger Entfernung des Schutllagers oder mangel-
hafler Wasserzufuhr kaum 100 Wedro Uiglich durchsieben.
Aus diesem Grunde miissen vereinzelte Arbeiter ausserordentlich
reiche Siallen aufsuchen, indem der mililere Gehalt von ftinf
Solotnik auf 100 Wedro Erde ihn kaum in den Stand setzen
wiirde, seine (Jnkosten zu decken, und noch weniger, elwas
zuriickzulegen. Die Erde welche nur diese Quaniitat Gold
enthaUy kann daher in Californien nur vermittelsl Maschinen
ausgewaschen werden; Alles aber was bier den Namen Gold-
wascbmaschinen fiihrt, isi von so ausserordenllicher Unvoli*
komnienheit, da(s es fast gar nicht in Betracbt kommt. Alan
kann nicht ohne Unwilien diese planlos aufgewuhlten , onsin-
nig zerstorien und verschUtlelen Lagerslatten betrachten.
Solche auf eigene Hand unternonnnenen Arbeiten haben den
verstiindigen Belrieb vollig gelodlet Mit saurer Muhe scharrt
der Goldsucher in der Erde, und wenn er sich in seinen Be-
rechnungen gelauscht sieht, so wandert er wie ein heimalh-
loser Landstreicher mit seiner Wiege von einem Ort zum an-
deren« Das Opter dieser Verwirrung werden vor Ailem die
Franzosen; da sie keine Associalioiftn bilden, so haben sie
hier auch nicht den mindesten Erfolg, und die Vicomtes und
Offiziere sitzen Heber am Spieltisch und beschafligen sich mit
verschiedenen kleinen Gewerben und Handwerken. Die Ame*
rikaner verslehen ihie Sache besser; an Associationen fehit
cs bei ihnen nicht, aber Goldwaschmaschinen haben sie doch
nicht erfunden. Die Geselischaften waschen Gold in Korben
mit Quecksiiber, in dem Giauben, dafs sich das Gold durch
diesen Prozess amalgamiren werde; sie verlieren aber so ^ine
Masse Quecksilber und zum wenigsten den vierlen Theil des
gewaschenen Goides. Welchen Reichlhum miissen die Lager
darbieten, um Arbeiten zu beiohnen, die in solcher Weise be*
trieben werden! Es kommt ihnen indessen auch ein anderer
Umstand zu statten: die Amerikaner sind hier im eigenen
:<
Schreiben eines Russen a us Californien. 635
Lande, zu Hause (obwohl der Beti'ieb allerdings Jedem ohne
Ausfiahme eroffnel ist); sie haben die besien Stellen inonopo*
iisirty so das Flussgebiet der Juba, wo, wie ich selbsl gese-
hen babe, ein Goldwascher aus einem einzigen Pud Sand auf
einem einfachen Teller von achtzig bis hundert spaniscbe Tha«
ler zu Tage forderte! Das Belt der Juba haben sie^ so gut
es angingy abgeleitet und arbeiten so lange, bis sie von dem
eindringenden Wasser verlrieben werden. Betrachten wir die
Sache von einem andren Gesichtspuncle. Ohne grofse Schwie*
rigkeit kann man hier Schutllager antreffen, die im Durch-
schnilt funf Solotnik Gold auf 100 Pud oder Weder Erde
geben; dergleichen Fundorte werden, wie schon gesagl, bald
aufgegeben. Eine ^ibirische Borona oder Botschka aber
wird bei dem ungewohnlich leichlen, lockeren, goldhaltigen
Boden ohne Miihe mit acht Arbeilern drei Tausend Wedro
des Tages auswaschen. Das Resultat dieser Arbeiten wiirde
sich auf 300 Piaster tiiglich stellen, wenn man jedes Wedro
zu 10 Cents rechnet Der Unlerschied im Verhaltniss zum
Beiriebe mit den hiesigen Mascbinen ware demnach oITenbar
ungeheuer.
V.
San Francisco, 29. December 1851.
Das neue Jahr ist vor der Thur, und ich sehe ihm mit
den begriindelslen HolTnungen entgegen. Wenn das Gliick
mir nur el was giinslig rst, so kann die Verwirklichung der-
selben nichl ausbleiben. Nach Besichligung der californischen
Gruben im Norden wie im Siiden bin ich mit der Absicht
hierher gekommen, eine Compagnie zur Ausfiihrung meines
Plans zu bilden. Hierzu wurde ich durch mehrere Ursachen
veranlafst, von denen die Unzulanglichkeit meiner Geldmillel
in erster Linie steht, und in zweiter die Nothwendigkeil> eine
Stiitze und Riickhalt in einem Lande zu haben, wo „derjenige
Corporal ist, der den Stock nimml'' (kto patku wsjal, lol i
I!
t
636 Hittorbch-lingaistische Wissensehafteir.
kapral). Der Zufall hat iiiich mit einem reichen, gebildelen
cbilesischen Kaufinann aus Santiago de Si. Arcos zusamroen-
gefiihrt, der die Unkosten, welche die ersle Einrichtung der
Arbeiten erfordert, zur Halfte ubernommen hat und beim erslen
Gliicksfall, der, bei den von uns getrofifenen Mafsregeln nicht
ausbleiben kann, mir einen Credit von 40000 Piastem bei
einem Banquier aui eroffnen verspricht. Nachdem ich den
Bau der . Maschinen in San Franzisco angeorduet und das
zu den Arbeiten Nolhige eingekauft, werde ich mieh in zwei
Tagen wieder an den Fluss Juba, nach Murderer's Bar, be-
geben , wo ich die ersten Nachforschungen anzustellen denke.
Es wird nicht an Miihe fehlen, aber die trSstliche Ziikunft
wird diese Miihe versiilsen. Meine Gesundheit, die sich in
der ersten Zeit nach meiner Ankunft befestigt hatte, ist von
neuem zerriittet; das Regenwelter, die farchlbaren SUirme
und Feuchtigkeit haben mich stark angegriffen; vielleicht wird
die warme Friihiingsiuft wieder heilsam auf mich wirken. Zu-
weilen ist mir schwermiithig genug zu Muthe; ich fiihre hier
ein volikommenes Einsiedlerleben , von Allem fern, was das
Herz befriedigen oder den Sinnen ' scbmeicheln kann. Von
Wein bin ich nie ein Freund gewesen, eben so wenig wie
von Karten, und wenn ich hier das Spiel in seiner abschrek-
kendsten Gestalt erbiicke, wenn ich auf offener Stra&e die
Spieltische sehe, an welchen Frauen sitzen, die, um die Vor*
ubergehenden anzuziehen, wie die Puppen herausgeputzt sind,
so wird mir formlich ubel und ich fliehe dieses abslofsende
Schauspiel.
VI.
San Franzisco, 27. Januar 1852.
Ich bin auf einige Tage hierher gekommen, um ein Pri-
vilegium und „ Caveat" (Patent) fur die erste Goldwasch-
maschine zu erlangen, die ich am Flusse Juba aufgestellt
habe. Morgen kehre ich abermals nach der Murderer's Bar
Schreiben eines Rilsseti ans Californieii* g37
zuriick und beginne dann ohne Verzug die Arbeit Es isl
mir schwer geworden, auf die Beine 2u kommeny da ich mick
in meinen Hoffnungen auf Sutter gelauscht fand, aber seitdem
idi die Verbindung mit dem Spanier eingegangen, stehen die
Sachen besser, und es fehlt jetzl nicht an Milteln zur Betrei*
bung des Geschafts. Mil einem Wort, es geht mir nunm^r
gut. Die Atmosphare, in der ich mich bewege, scheint mich
von neuem zu beleben. Die Arbeit ist hier geadelt und wird
nach Gebiihr belohnt. Und was ist dies auch far ein Land!
Jeder kann hier thun, was ihm gutdtinkt, so lange er nicht
die Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens verletzt. Die
Amerikaner haben Californien mit seinem Golde, seinen fabel-
haft fruchlbaren Gefilden entdeckt und in sein Wappen das
Wort: EvQfiwx mil iemMoiko: Labor omnia vincit gesetzt;
aber obwohl dieser Wahlspruch gut ist, so ist der Umstand
noch besser, dafs ein Jeder ihre Entdeckung beniitien darf.
Und wie vieie Poesie liegt in ihrer Anhanglichkeit an das
Positive! Uebrigens muls man, der Wahrheit zu Ehren, ge-
stehen, dafs nach den Amerikanern die franzSsisehen Colonisten
die tiichtigsten Geschaftsleule abgeben*). Die Vereinigung
dieser beiden Elemente hat Wunder zu Stande gebracht und
wird noch Wunder schaffen, namlich eine Colonisation, deren-
gleichen nirgend und niemals dagewesen ist Welcher
Schwarm von Menschen ergiefst sich in dieses Land! Im
Laufe eines Monats treffen schs bis acht Dampfbote hier ein,
welche alle mit Passagieren voUgepfropft sind und von denen
einige 1200 Menschen fassen konnen. Auf ihrer Riickreise
nehmen diese Schiffe allmonatlich vier bis fiinf Millionen Dol-
lars in Gold als Fracht mit, wozu noch gegen zwei Millionen
kommen, welche Privateigenthhm derReisenden sind und von
die&en in ihren Gurleln forlgelragen werden. Diese Summe,
*) Diese Bemerkung steht mit einem friiheren Aasspracb des Verfassers
in diametralem Widerspruch. Oder sollten hier vielleicht die fran-
zbsiscben Creolen aus Neo -Orleans, St. Loais und Canada gemeint
sein? D. Uebers
Brmans Buss. Arcbiv. Bd. XI. H. 4. 42
538 Historisch-lingiiistitobe Wisiemohaften.
mit zwolf mulliplicirt, tibersteigt den Jahreserirag (ui»erer)
(russiseben) IVlinen um das Vierfache, und weiui Australi^i
jetot nur die Halfte dteser Ausbeute liefern soUle, so wird
sich eiae gans ansehnliche Ziffer berausstellen. Indessen ha-
beii die StaaUekonomen Unrecht, sich dariiber su beunrtthi-
gen; es wird noch lange dauern, ehe mau GasseroUen und
Teller von Gold machen wird, und der reichliche ZuQufe
des kosdiaren Metalls dient nu^ auir Erfrischung der Volker.
VII.
Murderer's Bar, Fluss Joba, 23. Febr. 1B52.
Califomien ist ganz entscbiedcn ein Land , mil dem sich
kmn anderes vergleichen iStsi. Der Arme isi bier reicb, der
Reiche arm. In mancben Landem biilel der BesililoM um
Almosen, oder arbeitet fur ein Stuck Brod, wafarend er bier
fiir das geringsle Tageweric fiinf spanische Thaler, d. i. fiinf-
undzwanzig Papierrabel erhalt. Ueber welche Mittel muss
demnach der Reiche verfugen, um seine GeschSfte ununter-
brochen fiihren zu kSnnen? Das brennende Verlangen, schneU
reich zu werden, ratibt Vielen den Verstand. Leute, die mit
bedeutenden Capitalien hierher kamen, verheren oft AUes;
sicheren Gewinn konnen nur diejemgen hoffen, die, wean auch
mit geringen MHteIn, ihre Angelegenbeiten umsichtig betrei-
ben; Ich rede nicht von der Goldsucherei, da von spater. Man
kann hier, als Consument, fiir 40 Piaster den Mpnat anstan-
dig leben, wfihrend man als Producent leicht 200 bis 300
Piaster raonatlich erwerben kaiin« Es ist nichts weiler dazu
ndihig. als sich zur Arbeit zu entsehlielsen und eine Beschaf-
tigung zu wSblen. Der Amerikaner weifs sich bald einzu-
richten: einige Pfahle, ein Stuck Segeltuch als Zelt, ein Wa-
gon, zwei Maulthiere — und die Wirthschaft ist fertig. Sobald
er hiermit in Ordnung ist, legt er sich auf die Erzeugung von
Lebensmitteln: ein Huhn ist fiir ihn ein Capital von 4 bis 5
Piastern, ein Schwein 50 bis 80, ein Schaf 16, hundert Pfund
Schrelb«n ^ines Ritssen aU8 Californien. 539
Karloffeln 3 bis 5 Piaster. Wenn man die Fruchlbarkeit ded
hiesigen Bodens und den sicheren, lucraliven Absatft bei dem
ungeheiiren Strom von Einwanderern in Erwagung zieht, so
wird man leicht den Erfolg begreifen, der sich dem Unterneh*
mongsgeiste eines iVlannes, der nieht mil leeren Hiinden an-
kommt, darbietet. Geld macht Geld (denga dengu bjot),
sagt unser Sprichvvort. Und in der That, ohneGfeld \vird es
Einem auch hier schlecht ergehen. Ich wiirde es Niemanden
rathen, mil leerem Beutel nach Californien zu kommen; es ist
nicht niehr die friihere Zeil. Das amerikanische Go ahead!
lalst sich nur mit Geld verfolgen. Uebrigens, was man hier
auch anfangty Alles triigt Geld ein. Ein Jude brachte vor
einem Jahre 10000 Rubel Silber mit und hat sich seitdem ein
VeriDogen von einer halben Million erworben, indem er sich
nur mit dem Einkauf und der Uebersendung von Gold nach
Europa bescllaftigte, wofiir er Tratten auf Londoner und Pa-
riser Banqaierhauser ausstellte. Es ist unglaublich, aber wahr!
Er kehrt jetzt nach seiner Heimalh zur&ck. — Wenn irgend
einer von meinen Landsleoten, nicht gerade ein grofser Capi-
talist, sondern nur ein IVlann mit einigem Verm5gen, zu mir
nach Californien kSmcy so wurde ich ihm schnell und sicher
den Weg zu vortheilhaften Unternehmungen zeigen k5nnen.
Man wird vielleicht antworten: Alles was ich sage, set nichto
Neues; dergleichen sei iiberall zu haben. Das ist wahr, aber
nicht in so ungeheurem- Mafsstabe. Hier sind fiinf Procent
monatlich gesetzliche, ehrliche Zinsen, welche Niemandem
zum Vorwurf gemacht werden. Ueber den Fluss Juba, vor
meihem Feqster, wurde eine BrUcke gebaut. Der Untefneh-
mer liorgte dazu 10000 Piaster zu neun Procent monatlich,
d« h. 108 Procent das Jahr. Nachdem die Briicke fertig war,
legte er eine solche Taxe auf die Ueberfahrt und den Ueber->
gang, dafs er in vier Monaten das ganze ausgegebene Capital
mit den Zinsen wieder zuruckzahlen konnte. Am Eingang der
Briidce errichtete er ein Hauschen, in welchem seine Frau
den Zoll von den Reisenden einnahm, und wurde so schnell
zum Capitaliiten. Mitunter schlagen auch solche Speculatio-*
42*
g^ Hittori8€b-lingiii8tiscb« WiMenschaftea*
nen fehL i,Thut nichts'\ sagt dann der Amerikaner und be-
ginnt etwas Neues.
Nun eintge Worte iiber das Gold. Aus Californien werden,
nach den zuverlaasigaten Angaben, jahrlich 8O0O Pud Gold
auagefiihrty also mehr als viermal so viel wie in Russland zu
Tage gieforderi wird. So grofs ist der Erfolg der hiesigen
Nachgrabungen, Irotzdem dab die Arbeilen sich noch im Zu-
slande derKindbeit beGnden, indem man den gqldhaltigen Bo-
den ohne Ordnung oder System in alien Ricbtungen aufwuhlh
Gehorig angelegie, nach unsrer Weise gefuhrU Arbeilen konn-
ten, selbst bei geringem Capital, die erstaunenswerthesten Re-
BuUate geben; denn wo man sich nur hinwendet, iiberall isi
Gold zu finden, und zuweilen in unglaublichen Massen. Wie
schon erwahnt, war ich selbst Augenzeuge davon, da£s man
aus einem einzigen Pud Erde einen Goldwerth von 80 bis 100
Dollars, oder 400 bis 500 Papierrubel auswusch. Es ist nichts
leichter, als Land zu finden, welches 50 Kopeken Assignation
nen auf das Pud giebt; die Hauptschwierigkeit besteht darin,
die Sache in gehorigen Gang zu bringen. Mir wird es, trolz
meiner Sachkenntniss und trolzdem, dafs mir die Landesspra-
chen und das Land selbst bekannt sind, au&erst schwer fort-
zukommen, weil ich ohne Capital hierher kam. Ohne Zwei-
fel werd' ich mich durchschlagen , aber es kostet grolse An-
strengungen. — Die Quarze sind hier ebenfalls erstaunlich
reich; man findet mit leichler Miihe Arten, welche bis sechs
Cents vom Pfunde geben! Die mexicanischen Quarze, die
bisher fiir die reichsten galten, konnen sioh koines solchen Er-
trages ruhmen. Allein bei dem Mangel an Handen und bei
der UnvoUkommenheit der Arbeitsmethode ist auch diese
Reichhaltigkeit der Quarze nicht geniigeod; nur im grofsen
Malsstab unternommene Arbeiten konnen Gewinn bringen.
Ich schliefse mein Schreiben mit einem fliichtigen Blick
auf die politische Lage des Landes. Es ist eine hoehst merk-
wurdige. Wen findet man hier niehl? Exaltirte Demagogen,
rothe Republikaner sind hier so^ ruhig wie die Lammer. Man
bemerkt sie nichl; Niemand sieht sie an und sie beunruhigen
Schreiben eines Russen aos Californien. 641
Niemanden. Wird man glauben, dafs hier nichl Viele wissen,
wer eigenllich das Land regierl? JedeF, der, Gott weirs,
w6her, kommt, gehl an seine Geschafte, fiihrl sie, so gul er
es kann, und so lange er nicht die Bedingungen des ameri-
kanischen Gemeinwesens verletzt, hSrt er uberall ein freund-
liches Willkommen. In diesem Leben liegt viel Interessantes.
Das Gold hat Manche mit Californien bekannt gemacht, aber
in Russland kcnnt man es noch wenig, und ich glaube daher,
dafs diese Nachrichlen aus directer Quelle mil Theilnahme
gelesen werden diirften.
A. Rottschew.
Die Halbinsel Mangyscbiak.
Nacb dem Rnssischen
yon
Herrn I. M. Iwanow*).
(Mit einer Karte.)
llie von den nomadischen Kirgisen und Turkmenen bewohnle
Halbinsel Mangyschlak, geh5rt zur Nordlichen Halfte der Ost-
kiiste des Kaspischen Meeres. Ihre Begranzung ist, wie ge-
w5hnlich die der NomadenlSnder, unbestimmt, man kann in-
dessen dafiir etwa annehmen : nach dem Parallelkreis von dem
Mertwoi Kultuk (oder der Todten Buchl) bis turn Karagani-
schen Meerbusen und gegen Siiden bis zu dem Meerbusen
Alexander Bai, d. h.
von 47«62' bis bV2ff 0. v. Par.
und von 43« 6' bis 45' 18' Nordl. Br.
Beauftragt sich in Dienstangelegenheiten nach Orenburg
und von da nach den neu angelegten Festungswerken von
Nowo-Petrowsk, auf der Halbinsel Mangyschlak zu begeben,
verliefs der Verfasser Petersburg am 27. Mai 1846 *), Schlechte
Wege und sturmisches Welter verursachten unterwegs eini-
gen Aurenthalt. Bei Murom war die Oka 2 Werst breit. Herr
Iwanow bemerkt, dafs die ehemals beriihmte Muromer Wal-
') Sa|i]«ki RaMkago Geographitscbeskago obschtschestwa Tom I. na 1849.
**) Diese und die folgenden Daten sind in neuen Styl umgetetst.
Die HaUiiiuel Mangyscblak. £43
dungy die bei der nacfasten Station beginnt, zwar immer noch
70 Werst lang ist, aber selbsl an der Strafse nur von gerin*
ger Dichtigkeit und weiter im Innern so gelichiet, dafs man
das Rusaische Spriichwort ,,je weiter in den Wald, desto we-
niger Holz'* (daljsche w* Ijes^ menjsche drow), auf sie an-
Mrende* Es wurde daher dieser Wald sehr bald und noch ehe
ihn eine Eisenbahn erreicht, von der Erde verschwinden und
als Andenken an seine Existenz nur noch die ErwMhnung in
den Volkssagen und den Pflugsand, auf dem er gewachsen
ist, hinterlasseti. Bei Pransino iin Nijnei Nowgoroder Gou*
vernemeni, fand man die <Sura ebenfalis 2 Werst breit und
die Einwohner benutzten ^diesen Auslrill des Flusses, um das
Gekraide, welches den Winter iiber aufgekauft und nach ihrem
Dorfe gefahren worden war, auf die Wolga zu befordern.
Die Wolga selbst war bei Samara 8 Werst breit. Bei der
Fabrstelle bemerkte man den seltenen Fischreichthum jener
Gegend, denn die Landungsbriicke war mitHaufen von Ster^
Ijaden bedeckt, wahrend dieFahrleute bereits aus andern die
vortrefilichen Suppen xu ihrem Abendbrol kochten.
In Orenburg yerweille Herr h zwei Wochen lang und
begarai am 28. Juni die Reise iiber Gurjew langs der soge^
nannten Uralischen Linie nach dem Festungswerke Nowo-
Petrowsk.
Unterhalb der Stadt Uralsk verandert sich die LandschafI
sehr merklich , indem unabsehbare , waldlose und ausgedorrte
Ebenen an die Stelle der Berge und steilen Schluchten treien.
Nur wo der Ural bei hohem Wasserstand den Boden befruch*
tety siehen hohe Graser, Baume und Straucher — aber aus-
serhalb dieser Granze fehlt jeder Rasen und in einiger Enl-
fernung von dem Fiusse wird sogar das silberweifse Pfriemgras
(kowyl), welches der Orenburger Gegend eigenthiimlich ist,
durch Wermuth verdrangt, bis dafs weiter abwarts gegen die
Mundung des Ural auch dieser fehlt, und ein nackter durch
Hitze und Trockenheit gespaltener Thonboden iibrig bleibt.
Auf dem eigentlichen Delta des Ural treten unabsehbare Mas-
sen eines dicbt stehenden hohen Schilfes an die Stelle der
644 Hittoriich«*liiifiiifti8Ghe Wiiseiischafteii*
Wiesenkrauter. Dlese Vegetalion isi meht ohne Nutsen fur
die Bewohner der Umgegendy denn sie verfefUgen daraus
Umsaunungen und verwenden sie zurHeiiung ibrer Wohnun-
gen und zum Brennen von Ziegeln, Gyps, Kalk u. dergl.
In seinem unteren Laufe war der Ural noeh uberall aus-
geireten, auch oius&te man von Gurjew aus, 90 Werst su
Wasser fahren.
An der unteren Uralischen Linie besiehen die Wafanun-
gen aus Flechtwerk, welches mit Thon bestrichen ist. Sie
haben platte Dacher, sind ausserst klein und armlieh und fasi
voUstandig ohne Gerath; weil die Uralisehen Kosaken bald lo
der Steppe bald auf dem Wasser leben und daher ibre Hau*
ser nur ausnahmsweise besuchen. Weiden giebt es gar iiichf
und Acker- oder Gartenbau haben kaum an einzelnen Stellen
begonnen! Einige wild waefasende Krihiler gedeihen doch
vortrefflich in dem Flussihale, so z. B. die Luzerne die dorf
Wesel oder Ki^ljalka genannl wird und welcbe an Slellen,
wo sie zufallig einigen Thon oder Diinger gefunden hat, bis
3% Fufs hoch wii-d. Gegen Ende Juni's wurden einige kleine
Landsiiicke zu sogenanntea spaten Kraotgorten oder Bakischy
eingerichtet und man hoffte, dafs das Gemuse in denaelben
noch reifen wurde. Die in der dorligen Gegend s^ beriihm-
(en Garten und Weinberge des Kosaken Tolstoi zu &rai-
tschikowo, batten von der Ueberschwemmung viel gefitten.
Die Garten und Gemiisefelder werden iibrigens bier dureh
Pumpen bewassert, von denen meist vier verbunden und mit
Aermen , die auf einer gemeinsamen Welle sitzen, in Bewe-
gung gesetzt werden. Ueber der Welle steht ein Menseh der
durch sein Gewicht auf jene Aenne und denmaehst auch auf
die Pumpen wirkt. Nur in den Anlagen von Tolstof war
ein sogenannter Tschigir^ d. h. eine voUkommenere Asiatische
Bewasserungsmaschine. Der Austritt des Ural dauert von
EndeMai bisEnde Juli undes ist somit zu hoGfen, dafs, wean
einst die Bevolkerung und die Bediirfhisse in jenen Gegen*
den zunehmen soil ten , das Ural -Delta eben so angebaut und
fruchtbar werden wird, wie die Chiwaer Oase an der MiiD*
Die Halbintel MangyBchlak. 645
dung des Atnii-Darja. Es wird aber dariiber noch viel Zeil
vergehen, dean der Anwohner des Ural ist dutch eigenlhiiin-
liche Verhalinisse ein Fischer und Reiter geworden, der fiir
das Aieer uad die Steppe passt, aber keineswegs zum Ackerbau.
Zu Enjle des X VL Jahrhunderls zogen 600 bis 700 Wolga-
Kosaken nach dem Ural, bauten Uralsk und wurden der Kern
des jetzigen Granz^Heeres. Die Umgegend der Wolga blieb
damals noch lange nicbt frei von Angriffen, und dennoch wurde
die Landesgranze durch diese kohnen Abenteurer sehon In
eine Gegend hinausgeriickt, wo sie von fetndlichen Stammen
umgeben und ohne den fruchtbaren Boden blieben, auf dem
die Klein -Russischen Kosaken Ackerbau und Handel zu trei-
ben gewohni waren. So fanden sie ihren Unterhalt nur in
Fischfang und Viehzucht und unter dieser vorziiglich in der
Pferdesucht Unler forlwahrenden Kampfen mit ihren Fein-
den in der Steppe, von denen sie bei der geringsten Un-
vorsicht in die Gefangenschaft entfiihrt und grausam behandelt
wurdeo, und unter harten Enlbehrungen haben die Uralischen
Kosaken noch jetztganz eigenthumliche Fahigkeilen bewahrt
und namentlich die Kenntniss^ der Steppe, und an der unte-
ren Linie die des Meeres und Fiscfafanges, sodann einenCha*
rakterin dem Verschlagenheit, Wachsamkeil, Erfindungsgabe,
Abhartung, Geduld, Mafiugkeit, Geborsam und Religiositat her-
vorleuchten. Im Winter, wenn das Meer vor der Uralmiin-
dung zufriert, fahren sie zu Schlitten 50 bis 100 Worst von
Gurjew, und wenn die Dicke des Eises es eriaubt, auch noch
weiter, auf den Fischfang. Die Lebensmittel fiir sich und fiir
die Pferde fuhren sie mit sich, werden aber nicht selten, wenn
das Eis durch Stiirme gespalten wird^ auf den losgerissenen
Schollen ins offene Meer gefiihrt. Wenn ihm dann das Pferde*
futter ausgeht, pflegt der Kosak das Pferd zu todten, seinen
Schlitten mit derHaut desselben zu uberziehen und dann ge*
duldig zu erwarten, bis der Wind sich dreht und ihn an das
heimische Ufer zuriicktreibt. Nur wenige von ihnen siod im
Meere umgekomroen.
Die Kampfe mit den Nachbaren, nnd die Reisen durch
646 HiitoriMch-tinfaiiliBche WiMestehaftea.
die Steppe und auf den Fischfang, sind der Zunahme dieaer
BevSlkerung durch Geburlen keinesweges giinsftig gewesea.
Die wirklich eingetretene Vermehning derselben riihrt daher
Bur von ZuKiigen aus Rusdland, die namentKcb aus verfolglen
Altglaubigen (starowjeny) beatanden und wahrschoinlich aucb
von Strjelisen und dortigen (Jrbewohnern. In FoJge dieser
Entstehung sind sie denn auch von den jetngen Bewohnern
der innern Provinzen merkiieh unlerschieden, und es erscheinen
ihre Spracbe und Sitten wie AU*Russisehe mit Tatarischen
Beimengungen. So giebt es noch viele Uraiier die ein auf
Russische Weise gesehlachtetes Thier nicht essen, and weder
Kamel-Miich noch Kumy« trinken.
Sie hielten sich lange unabbangig, indem sie ihre Ange-
legenheiten nach eigenen Gesetzen von einem selbst gewahl-
ten Vorstande verwalten liefsen, und so bliebeii sie aueh un-
beriihrt von den cultivirenden Emfliisseny welche die iibrigen
Russen zur Zeit Peter I. erfuhren. Erst jetzi steht ihnen
eine Veranderung bevor, indem seit einigen Jahren zum er-
stenmal eine Knabenschule in Urakk erricbtel worden ist*
Ihren Fisdifang belreiben die Uraiier gemeinsain, und er
isl ihnen so wichtig, dab sie keine HandelsschiSfahrt auf dem
Ural gestatten, damit die Fische nicht geseheiK^t werden.
Der Landtransport ist nur zu gewissen Zeiten, wenn der
stellenweise thonige Boden aufweicht, sehr beschwerlich und
es werden dann Brod und alle sonstigen Lebensmittel sehr
selten und theuer langs der unteren Uralischen ^Liaie. Erst
nach Guriew gelangen sie zur See von Astrachan.
iSaraitschik das ehemals wohl eine zweite Hauptstadt der
Chane der goldnen Orde ausmachte und welches nach der
ZerstSrung dieses Reiches und der Einnahme von Astrachan
durch die Russen, zum Siiz des bis vor kurzem noch belracht-
lichen, jetzt aber gleichfalls untergegangenen Handds der No-
gaien wurde, besitzt jetzt nur noch Tnimmer ah Andenken
an seinen besseren Zustand. Man sieht dort naoientlich Ma-
homedanische Graber und die ErdwaUe der ehemaligen Stadt,
und findet Scherben von ailerlei farbigen Getafsen, Bruchstucke
Die Halbinsel Mangy«chlak« 547
voB gebrannten and ungebrannten Ziegeln, verbrannte Metalle
und Miinzen mit Tatarischem Geprage. Der Ueberlieferung
au Folge lag Saraitschik ehemals hart am Meere und es be-
steht der dortige Boden in der That aus einer, an der Kuste
selbst gegen 7 ZoU dicken Schicht des Tbones, den der Ural
bei seinen jahrlichen Anschwemmungen absetzt und welcher
auf Sand ruht
In Gurjew erfubr der Verfasser dafs das Postschiff, wel-
ches die Verbindung dieser Stadt mit Nowo^Petrowsk unter-
halten sollte, noch nicht angekommen, der Landweg nach
Astrachan aber durch den Austriti des Ural und der Wolga
ganz unfahrbar geworden war. Gurjewer Kosaken, die von
Astrachan kameo, scbilderten die Stromung der Wolga in ihrer
Miindung als ausserordentlich reissend/und erzahlten dafs im
Meere vor dieser Miindung und zwischen ihr und der des
Ural 9 ein 30 Werst breiter Streifen von vollslandig sufsem
Wasser stande. Spater, am 20. Juli, erfuhr dann auch Herr
Iwanow von den Fischern die er auf der Insel Kulala traf,
dafs selbst bei dieseri d. h. 200 Werst von Astrachan .und 30
Werst von dem Karaginer Meerbusen, ein Zutritt von Fluas*
wasser durch Abnahme des Salzgehaltes im Meere merklich
gewesen sei.
Das Fort Nowo-Petrowsk auf der Halbinsel Mangyschlak,
steht wahrend des Sommers, sowohl mit Astrachan als mit
Gurjew durch den Seeweg in Verbindung. Wahrend 4 bis 5
Wintermonaten hSrt aber diese auf und es trilt an ihreSlelle
nur die Reise durch die Steppen langs der NO.-Kiiste des
Kaspischen Meeres, die zwischen 750 und 800 Werst bis Gur*
jew betragt und ausserdem sowohl beschwerlich ist, als auch
ziemlich unsicher, weil sie durch die Weideplatze von Kirgi-
senstammen fuhrti die den Russen noch nicht „gehorsam und
ergeben**y d. h. noch nicht unterjocht sind. Der Seeweg be-
tragt von Nowo-Petrowsk nach Gurjew und naoh Astrachan
nicht ganz 300 Werst und schien deshalb dem Verf. zu einer
Taubenpost geeignet. Als das Postschiff in Gurjew ankam,
iiefs er daher moglichst viele Tauben und vorzuglich gepaarte
648 Historisch-liiigaistische Wissenschaften.
Mannchen derselben einfangeti. Er erhielt indessen nur acht
und untei* diesen eine nrit beschadigtem Flugel. Diese ^ur-
den darauf wabrend der Seefahrt in einem durcbsichtig ge-
flochtenen und mit einem Fischnets bedeckten Bauer an einer
erhShten Stelle desVerdeckes gestellt, damit sie den zu ^vah-
lenden Ruckweg keniien lernten. Am 14. Juli fuht* Herr I.
bei schwachem aber giinstigem Winde mit einem flachen Boot
aus der Uralmiindung nach dem Postschiff, welches 'nur 4
Fufs tief ging und daher bei der sogenannten Strjelezkaja
K6«a (Strelizer Sandbank) 100 Sajen von der nachsten Kiiste
und 15 Werst von Gurjew vor Anker lag. Gleich nachdem
sie unter Segel gekonunen waren, wurde eine der Tauben,
der man einen an den Stadthanptmann von Gurjew ad^ressir-
ten Zettel um den Hals gebunden hatte> freigelassen. Sie
riehtete ihren Flug direkt nach Gurjew. Am Morgen des fol-
genden Tages als man etwa 50 Worst von der Kuste entferni
war^ wurden zwei andere in Freiheit gesetzl. Sie umkreisten
das Schiff einigemaie ais ob sie sich umsehen woUten und
nahmen dann gleichfalls die Ricfatung nach ihren Bestimmungs-
ort; Drei von den iibrigen wurden an einem 80 Werst von
der Kiiste entfernten Punkte losgelassen und man sah bald
darauf eine von ihnen, deren Flugel beschadigt waren, ins Meer
fallen. Die beiden andem flogen wieder in der Richtung nach
Gurjew, bis man sie aus den Augen verlbr, kehrten aber nach
einer Viertelstunde nach dem Schiffe zuriick und setzten sich
zuerst auf den Mast und dann auf das Verdeck. Eine halbe
Minute darauf zeigte sich eine Weihe(kor8chun; Faico milvus),
die sie verfolgte. Gegen Abend erhob sich ein starker Sud-
wind der aber nach zwei Stunden in einen NW.-Wind uber-
ging. Dieser hielt 15 Stunden lang an und veranlasste das
Schiff vor Anker zu legen. Am 16. Juli ging man mit gon*
stigem Winde wieder unter Segel, legte mit demselben noch
etwa 20 Werst zuriick und liefs dann sowohl die letzten zwei
Tauben fliegen, als aueh das am vorigen Tage zuriickgekehrte
Paar, welches mit Gewalt von dem Schiffe getrieben wurde.
Von diesen nahm nur eine die Richtung nach Gurjew und
Die Halblnsel Mangyschlat. g49
kam nicht wieder. Die drei ubrigen kehrten um und wolilen
sich spSier durchaus nicht wicder von dem Schiffe verireiben
lessen.
Man bemerkte dafs die um den Hals gebundenen Zettel
ihnen missGelen^ und dafs sie sich diesdben mil den SchnS-
bein abrissen. Man lieCs sie frei auf dem Verdeck wo sie
noch einige Tage verblieben, darauf aber sich einem Fluge
wilder Tauben anschlossen und nicht wiederkamen. Man hat
nicht erfahren oh eine der vier richtig fliegenden, ifaren Be-
stimmungsorl erreicht hat, auch glaubt Herr L dafs man sie
dort nicht von den ubrigen Tauben unterschieden haben wiirde,
weil sie die ihnen uhigebundenen Zettel ohne Zweifel schnell
abgerissen hatten *).
Am 17. Juli gegen Mittag stieg der Loolse auf den Mast
und sah von dort die Kiiste von Mangyschlak. ,Er erkannte
namentlich die hier sogenannten Lbischtsche (die grofse Stirn)
d. i. das Karaganer Vorgebirge. Es ist dieses ein gegen 60
Sajen hoher Bergsug auf der Halbinseli der aus einer Enlfer*
nung von 50 Werst sichtbar ist und den von Astrachan kom-
menden Schiffern als Merkzeichen dienl.
Wahrend man sich der Kiiste naherte zeigte sich dieses
Vorgebirge, ostwiirts weithin verlangert, bis gegen denMeer-
busen 5arytasch, bei dem es in Nebel verschwamm, und
schien gegen Siiden bis nach Nowo-Petrowsk zu reichen.
Im Westen sah man stellenweise die lange Insel Kulala,
in deren Nordhalfle einige vereinzelte VVohnhauser mit
Scbauern und Sdioppen zur Aufbewahrung des Seehundsfett
und der Gerathschaftcn zum Fischfang slehen. Das Holz und
die Ziegel zu diesen Gebauden und sogar der Thon zu den
Oefen in denselben sind zu Schiffe von Astrachan gebrachl
worden. Man weiss nichi mehr, wann die Russen dieso In-
*) Man erfahrt nicb^^ ob die gebrauchten Taubin in Gurjew in Schla-
gen gehalten worden waren, und ob man demnach wenigst^ns Aus-
sicht batte auf einen weniger milsaigen Versach wie d«r nun wirk-
lich gemacbte. D. ITeben.
650 Historiscli-lingnistitclie Wistenscliaften.
sel genommen haben. Sie versichern aber dafs bis £ur An-
kunft eines Wachtschiffes in jener Gegcnd, mehr als 200 Mann
von ihnen auf der Insel zu ubenvintern pflegten. So konn-
ten sie sich ohne Furcht vor offenen Angriffen der Kirgisen
iind Turkmenen, im Friibjahr mit dem Fischfang und iai Herbsl
mit dem Robbenschiag beschaftigen. Durch Ueberlistung wur-
den aber dennoch viele von ihnen ergriffen und in Gefangen-
schafl gefiihrl. Jene Feinde benulzten die den Russen eigen-
thiimliche Arglosigkeit and gaben sich das Ansehn von Ihres-
gleiehen, indem sie zu den Fischerboten heranfubren. Sie
batten aber dann in dem Raume ihrer eignen Fahrzeuge
Starke Mannschaften versteckt, welche die Unvorsichtigen ohne
Muhe uberfielen. Dieser Menschenraub war erfolgreich genug^
denn unier 419 liefangnen die im J. 1840 in Chiwa befreit
wurden, waren 317 auf dem Kaspischen Meere genommen
worden.
Die Insel Kulala besteht aus zusammengeschwemmien
Seesand und Muschelfragmenten, die stelienweise mit Gestrauch
und mit einem diinnen Schilfrande bewachsen und von unge*
heuren Muckenschwarmen bewobnt sind. Auf eben diesem
Sande war aber im Jahre 1846 auch Hafer gewachsen und
reif geworden, den man beim Transport von dem Landungs-
platz nach den VorralhshSusern verslreut hatte.
Als das Postschiff auf die H5he des Tiumi-Karaganer
Vorgebirge gekommen war^ nabm es einen siidlichen Kurs an
und fuhr langs eines hohen, wilden Ufers. Von demselben
sab man eine niedrige Bank gegen Norden vorragen, die den
Karaganer Meerbusen theilweis begrenzt. Im Hintergrunde
desselben lagen die im Bau begriffenen Festungsanlagen von
Nowo-Petrowsk auf einem Hiigel.
Man fuhr nun mit frisebemNordwind nach diesen Gebauden,
an Steinhaufen und zum Theil mit Maulbeerbaumen bewach-
senen Schluchten welche das Karaganer Ufer bilden, voriiber,
bis dafs sich endlich der ganze Meerbusen in Gestalt eines
Halbkreises zeigte, mit steilen Felsklippen an seiner Ostseite
und an der Siidlichen einer niedrigen Sandebene, welche an
Die Halbinsel Mangytchlak. 05}
der Weslseile iiv eine ins Meer ragende Bank ubergeht. Diese
hat noch einen besonderen Aaslaufer gegen das Innere des
Meerbusen, den die Eingebornen Ailjak nennen, und welcher
durchaus nach Art einer Mole einen vor alien Winden ge-
schiitzlen Hafen hinter sich abschliefst
Als er ans Land gegangen war, sah der Verf. den gan-
zen Hafen mit ausgeschifften Giitem bedeckl. Auf der Bank
Ailjak lagen Waaren von einer Karawane und nicht weit von
denselben, die von Astrachan gebrachten Russischen Giiter.
Man hat von dieser Stelle bis nach den Festungswerken vier
W^rst eines ausserst sandigen VVeges, und pflegte daher die
ankommenden Gegenslande auf Kabne oder eigens dasu ge-
baute Frame umzuladen und an das Ostufer der Bai zu fiih-
ren, von wekhen sie dann, nach abermaliger Uttiladung, auf
einem guten und um eiue Werst kiirzeren Wege nach der
Festung gebracht wurden. Ausser dem doppehen Kraftauf-
wand bei zweimaligem Aus- und Einladen, gebrauchte man
zu diesem Verfahren auch doppelte Wachen. Herr Iwanow
beschloss daher sogleich an der Stelle des Ostufers, bei wel-
cher der gute Weg nach der Feslung beginnt, eine Landungsr-
briicke auf Pfahlen zu bauen, und auf dieser alle Outer gleich
bei der Ankunft ausladen zu lassen.
Der Weg von jener Stelle nach Nowo-Petrowsk fiihrt
liber einen ebenen, sandig-thonigen Boden, zur Linken dessel-
ben liiufl parallel mit ihm, ein von dem Karaganer Meerbusen
ausgehender felsiger Bergzug und zur Rechten hat man eine
sandige Ebene^ auf der Salzseen liegen. Der niichste an dem
Hafen heisst Bulak und ein anderer der Festung nahe liegen-
der, Kityk. Beide enlhalten ein rosig gefarbtes Wasser. Das
des Bulak ist aber dunkler und besilzt einen sehr auffallenden
Himbeergeruch (!).
In Nowo-Petrowsk fand der Verfasser die Feslungsmauer
vollendet, und ebenso ein Hospital. Die holzernen Kasernen,
die Hauser fiir die Offiziere, die Blockhauser vu a. waren Iheils
unter Dach, theils bis zu den Dachsparren fertig. Fiir die
steinernen Gebaude wurde das Material eben behauen und
652 HiBtori8ch*-liiigQi8tbclie WiMCnBdiaften.
iiberbaupl war die ganse Arbeit durch den Eifer des Ingenieur
Capt. Hennerich und durch den Fleiss der Mannschafi aits*
serordentKch gefordert
Herr Iwanow liefs nun den Bau einer h&lzemen Kirche,
der Kiiche, einiger abgesonderten Thurme u. dergl. anfangen,
sorgte dann fiir die Verbesserung des Weges auf dem das
Holzy die Steine, der Thon, das Wasser und andere Bau-
maierialien.undBedurfnisse von demHafen zu bringen waren,
und liefs endlich die Landungsbriicke an der Ostseiie des
Meerbusen anlegen, auf der dann schon in jenem Jahre bis
zum Ende der Schifffahrt alie Ausladungen vor sich gingen.
Es ware nicht schwierig daselbst eine steinerne Anfuhrl
anzalegen und sie mit einer Mole zu versehen, wodurch dann
ausser dem Ausladen an derjenigen Stelle, von welcher ein,
fttr Ftthrwerke geeigneter Weg, zur Festung fiihrt, auch noch
der Besilz zweier Hafen, eines Kriegs- und eines Handels-
hafen in demselben Meerbusen gewonnen ware. Die Asiaten
verladen namlich ihre Waaren direkt auf Kameele und finden
deshalb den alien Landungsplatz nicht so unbequem wie die
Russeui welche das Ausgeschiffte mit sogenannten Arby» d. i.
mit Kirgisischen Waaren transporliren* Durch soiche Tren-
nung des Handelshafen von dem Kriegshafen wilrden auch
alle(?) Veranlassungen zu Streitigkeilen mit den Eingebomen
fortfallen. Es wiirde auch sogar geniigen die Anfuhrt auf
Pfahlen zu bauen» wenn man sie nur durch eine steineme
Mole vor dem Eise schiitzte, denn es giebt dort weder hefti*
gen Wellenschlag noch starke Anschwellungen des Wassers.
Von Augi^t 8 bis September 20 zeigten sich, namentlich an
einem neben der intermislischen Landungsbriicke aufgesteUten
Pegely die groHsten Steigungen^ die bei starken Winden aus
NNW. und NO. vorkamen, nicht mehr als 2 EngUscbe FuTs
betrugen.
Wahrend des guten Fortganges der beabsichtigten Bauten,
war doch der dortige Aufenthalt der Bussen durch den Skorbul
sehr gefShrdet. Von der Garnison der Festung lit ten schon
30 Mann an demselben und es zeigten sich auch bei Vielen
Die Halbins^l Mangyschlak. 553
der ( neu angekommenen [?] ) Mannschaflen Symptome dieser
Krankheit. Der Garnisons-Arzt vonNowo-Petrowsk schrieb
siedem Gebrauche des Salzfleisches su, welches schnell ver-
darby weil man noch keine Keller oder Eisgruben haite, und
so wurden denn auch gegen die fernere Verbreitung folgende
diateiisehe Mafsregeln ergriffen ''):
Man vertheilte fortwahrend frisches Fleisch, liefsKwa^ an-
siatt Wasser trinken und brachte die Krankeo theifs in dem
eben voUendeten Hospilale, und theils in besonderen Kibitken
oder FilzzeUeUi so ^eraumig unter^ dafs sie sich gehorig be-
wegen konnten. Sie wurden ausserdem zum Baden in den
Salzsee gefiihrt Oiese Bader waren ihnen anfangs unange-
nehnii weil sie Schmerzen an den wunden Stellen ihres Kor-
pers verursachlen. Sie trugen aber nacb und nach zur Rei-
nigung und Belebung derselben bei. Den schwer Erkrankten
gab manKumy^, der, wie die iibrigen Lebensmitlel, von den
Kirgisen gekauft wurde. Man beobachtete ferner die mog-
lichsle Reinlichkeit, indem man die Kleider und Matralzen
iaglich in die Sonne hing und ausklopfle und sanuntliche Sol-
daien Iaglich im Meere baden hefs. Es wurden auch, um die
Frohlichkeit und Zuversicht unter ihnen zu erhalten, Spiele,
Gesange, Fahrten auf dem Meerbusen u. dergL veranstalteh
Diese Mafsregeln batten einen sehr (?) guten Erfolg. Es
starb keiner von den Skorbutischen, und unter der Garhison
von 719 Mann gab es gleichzeitig nur 72Kranke. Von die-
sen erklarte derArzt nur 17 am Orte selbsl unheilbar, welche
dann zu fernerer Behandlung nach Gurjew geschickt
wurden. Gegen Ende des September liefs die Krankheit be-
deutend nach, wozu vorziiglich die zu Ende des August er*
folgte Ankunft einiger Asirachaner Kauffahrteischiffe beilrug^
welche Wassermelonen^ Melonen, Knoblauch, Retlige u. dgl.
*) Ueber die aasaerordentliche Sterblichkeit ia den Raasischen Garni-
Bonen am Scbwarzcn Meere und in Transkaokasien nberbaupt yergl.
Q. A. Bodenstedt Tansend and ein Tag im Orient.
D. Umbers.
Brmana Rasa. Archiv. Bd. XI. H. 4. 43
g54 Historisch-lingnistische Wissenschaften.
bracbten. Von der'^MiUe des April bis «uin 3. November wa-
ren von der Garnison von Nowo - Pelro wsk iiberhaupt nur 2
Mann gestorben, obgleich dieselben mit beschwerlichen Arbei-
ten, wie mil den Festungsbaulen , dem Behauen der SleinCj
dem Heraufziehen derselben und der ubrigen MateriaKen auf
den steiien Berg, auf dein die Werke liegen u. s. w. beschaf-
ligt war. Man sieht demnach dafs bis zu jener Zeit, weder
das dortige Kiima nocb das Wasser der Gesundheit gescha-
dei hatte.
Bei Besichtigung der Umgebungen d^r Feslung fand naan
Spuren des Ackerbaues, den die Turkmenen vor 35 Jahren
daselbst belrieben. Cine Schlucht vor den Werken fiilU sich
wahrend des Schneeschmelzens mit Wasser und dieses wurde
von den Turkmenen in Teichen von belrachilichem Umfang
und in kleineren Gruben gesammeli und mitHiilfe der TscJii-
giren zur Begiefsung der thonigen Feider, in der Nahe jener
Behaller verwendel, die sie mil Arbusen (Wassermelonen),
Melonen, Mais, D/ugara, mit der in Chiwa sogenannfen
Jurun^a (Luzerne) u. a. besaet batten. Bei derAnkunft der
Russischen Garnison gab es kein Wasser mehr in jener ScMucht
und man versuchte desbalb dergleichen Gemiise bei den Salz-
seen zu bauen, wo zwar auch der Boden etwas salzig, daftir i
aber schon in vier FuCs tiefen Brunnen Wasser zu haben ist
Man zog im ersten Jahre ziemUch guten Kohl, Radieser, Ret*
tige, Gurken und einige Pud Luzerne die vom 30. Juli bis
zum 15. August gesael worden war.
Der Verf. suchte, soviet es die Kiirze der Zeit und seine
sonstigen Mitlel erlaubten, sich Nachrichten iiber die Ge-
schichle jener Gegend zu verschaffen. Es ergab sich dais die,
jetzt von den Kirgisen eingenommene, Halbinsel Mangyschlak,
friiher den Turkmenen und noch vor diesen den Mongolen
gehSrt hat.
Die Turkmenen von Mangyschlak, welche diese Halbinsel,
d. h. das zwischen Mertwoi Kulluk, dem Karaganer Meerbu-
sen und Aleksander Bai gelegene Land, noch zu Anfang des
gegenwartigen Jahrhunderts besafsen, zerfielen in folgende 5
Die HalbiBSel Mangytchlak* g55
Ablheilungeti : 1) Abdal, das war die slarkste von alien. 2)
Burunischuk. 3) Tschaudur. 4) Busatschi und 5)
Igdyr. Zwischen diesen nomadisirte die AblbeilungChodya,
die eine Art Priesterkaste ausmachte (die Russischen Fischer
nannien dieselben die Popowitschi, d.i. PopensShne) und von
MohamedsTochter: Falima, abzustammen vorgab. DieseTurk-
menen trieben Viehzuchi, Ackerbau, Handel und Gewerbe").
Der damalige Handel war viel betrachtlicher als der jeUige,
so namentlich noch wabrend der Napoleonischen Kriege und
der Continentalsperre. Die Turkmenen versichern daCs (jahr*
lich) 5000 Kameele mil Ladung fur Aslracban nach dem Ka*
raganer Meerbusen kamen und dafs diese, aus Waaren von
Mittel-Asien^ Persien und Indien bestanden. — Auf der Land-
zunge Ailjak gab es Niederlagen von Waaren und Geiraide^
vorrathe, und zur Beschiitzung derselben gegen rauberische
Angriffe eine Wache und eine steinerne Mauer queer iiber
die Landzunge. Vor 100 Jahren hat man auch auf der Hohe
Kurgantasch (auf der jetzt die Werke von Nowo-Pefrowsk
liegen), eine zweite steinerne Mauer mit kleinen Tbiirmen auf-
gefiihrt**). Die Turkmenen erhoben eine Steuer von den
eingefiibrten Waaren.
Die jetzigen Aeltesten dieses Volkes versichern, dafs sie
wabrend der Regierung des Kaiser Alexander, Gesandten nach
Russland geschickt und ein schriftliches Privilegium zur zoll-
freien Binfuhr von Getraide und Brod nach Mangyschlak, und
*) Aach dieses walirend der Russfscben Nachbarschaft Terodete und
yerwustete Land bat also fruber za den caltivirteren gebort
D. Uebers.
**) Es giebt an Tielen Stellen der Halbinsel Ueberreste Ton yerschiede-
nen Befestigungen. So war eine dergleicben in dem Bezirk Clianga-
Baba aaf einem Felsen angelegt, and wie man glauben solUe, iur
Nomaden ganz noeionebmbar. Dennoeh yersicbern die Kirgben, dafs
aie dieselbe eingenomraen haben, indem sie den Belagertea das Was-
ser abscbnitten. Die Turkmenen scbeinen es aucb gewesen zn sein,
die den Maulheerbaum znm Seidenbau auf Mangyscblak yerbfeiteten.
Anm. d. Verf.
43*
556 Historiflch-lingnistiscbe Wissenschaften.
zum Handel mil den Russischen Kaufleuten erhalten haben *),
Diese Bevorzugungen erregten indessen den Neid der Chi*
waer und die Habgier der Kirgisen, welche von den Chi^^aem
aufgestachell, ihre rauberischen Anfalle ofter und nachdrtick-
licher wiederhelten. Zum Ungliick fiir die Turkmenen iiraren
sie auch uneinig unUreinander, und Viele voh ihnen hatten
liber den Handel die Kriegswirlhschaft vergessen. So wurden
sie dann durch die drohenden Gefahren veranlasst, von
neuem Hiilfe bd der Russischen Regierung zu suchen, und
ihr dafiir die Ortschaften 5arylasch, Tjup Karagan und Alexan-
der-Bai zu versprechen.
Unler dem verdienslvollen Knjas Zizianow wurde darauf
im Jahre 1803 die Befesligung derKiiste des Karaganer Meer-
busen beschlossen. Wie die Turkmenen erzahlen, erhielt auch
die Abtheilung Abdal damais das Versprechen des Russischen
Schulzes — es war aber damais noch nichi an der Zeit, das
Oslufer des Kaspischen Meeres zu befesligen *% und es blieb
daher bei Planen fiir die Zukunft.
Die Turkmenen, welche sich selbst uberlassen blieben,
konnten unter fortdauernden inneren Zwistigkeiten keinen Wi-
derstand leisten. Die meisten von ihnen wanderten aus nach
Alexander- Bai und Karabugas. Von deii Tschaudur gingen
viele nabhChiwa und es folgten ihnen andre aus denAbthei-
lungen Buruntschuk, Busatschi und Igdyr.
Andre von den Ahdal und Burunischuk begaben sich 1813
in das Astrachaner Gouvernement. Sie treiben jetzt daselbsi
Viehzucht, indem- sie von den Tataren Weideplatze aufkaufen,
so wie auch Fischfang, an gepachteten Stellen. Sie werden
von sechs ihrer Stammesallesten regiert und leben durchaus
friedUch, indem sie sich, bis zu ihrer dereinstigen Riickkehr m
ihr Geburlsland, als Gaste der Russen betrachten* Nur die
*) Wie and seit wann die fruber Iierrscbenden Tarkmenen zar Anei^
kennnng der Russ. Regier. gebracbt wofden, Tergisst der Verf. za
sagen. Anni. d. Uebers.
♦•) Diese nicbt ganz verstandlicbe Stelle ist, ebenso wie das Folgende,
moglicbst wortlich ubersetzt. D. Uebers.
Die Halbintel MangytcLlak. 657
Abtheilung Cbod/a, die von Kirgisen und Turkmenen verehrt
wirdy hat ihre friiheren Weidepliitze zvvischen dem Karaganer
Meerbusen uad Aiexander-Bai bebauptet
Dicht bei der Russischen Festung (Nowo-Pelrowsk), sind
von einem Soldaten einige Dulzend Gold- und Silbermiinsen
gefunden worden, die sich durch ihr Geprage von den jetai'^
gen Chiwaer unterscheiden. Oer Verf. hat sie Herrn P. S.
5aweljew iibergeben, welcher sie demChanDjanibek der
Goldenen Orde zuschreibt. — Unter den Alterthiimem aus
den Ruinen von 5arai, der Hauptstadt der Goldenen Orde, die
jelzt in dem Domainen-Aml zu 5aratow aufbevvahrt werden,
ist unter anderen eine Art von Mosaik aus kleinen glasirten
Kacheln (iaraszy), die in ein muschliges Gestein gefiigt
sind. Dieses letztere ist -aber einem auf Mangyschlak vorkom*
menden sehr ahnlich und wahrscheinlich von dort genommen.
Es ist wenigstens von dem unteren Laufe der VVolga, und
wahrscheinlich auch aus dem Astrachanischen Gouvernement
kein ihm gleiches bekannt — wenn aber dort etwas Aehnli*
ches vorkame, so wurden es die Bewohner gewiss zu Funda-
menten und anderen Bauwerken gebrauchen. — Von einem
Fischer hatHerr L noch ferner gehdrt, dafs in derBucht von
5arytasch, in dem Hafen den die Eingebomen das Alte Man*
gysehlak nennen, mehrere eingerammte Pfahle stehen, aus
denen man auf das ehemalige Vorhandensein einer Landungs-
briicke an dieser Stelle zu schliefsen hat *).
In den Kirgisbchen Traditionen werden auch die berilhm-
*) Von jetzigen Kirgisen kann dergleichan Anlage nicht herriihren, denn
als man diesen bei der Anfgabe der Nowo-Alexandrower Befestigun-
gen, das Holz der dortigen Gebaade zu beliebiger Benntzang iiber-
lieOi, begnogten sie sich einige Stiick^ da?on zu Trogen ausznhdh-
len and die eisernen Nagel ausznziehen. Giner von ibnen, den man
befragte, von wem wobi ein gewisser tiefer Bronnen gegraben wor-
den sei, antwoitete obne Bedenken: „von Gott**. — So sebr liegen
noch jede langwierige Anstrengong und jede Arbeit welche vereinte
Krafte erfordert, ausserhalb der Begriffe dieses Volkes.
Anm. d. Verf.
658 HistoriBch-lingttistische Wissenschaften.
ten Chane der Mongolen, Tschingts und Tamerlan, noch na-
mentlich erwahnk^ und sie erinnern sich, dafs auch ihre jeUu-
gen Weideplatze einst von diesen beherrschi wurden. Bninnen
von mehr als 100 Fuls Tiefe, die mh Sleinen ausgelegt sind
und Resle von gleichfalls au8 Steinen gebaulen Verschanzun-
gen, so wie auch von Wohngebauden und Grabdenkmalern,
slammen wahrscheinlich von eben jenen Mongolen oder von
einem Yolke, welches noch vor ihnen die Oberhand halie.
Unter den Grabdenkmalern sind viele mil Inschriften, deren
Entzifferung durch gewandte Orientalisten gewiss viel Licht
liber die altere Geschichte jener Gegend verbreiten wiirde.
Mehrere dieser Denkmaler enthalten ausser den Inschriften
auch eingehauene Abbildungen verschiedener Gegenslande, die
wahrscheinlich die Beschiiftigung des Verstorbenen andeuten
sollten, so z. B. Sabel, Fllnten, Piken und PisloJen. Auf ^nem
derselben sieht man sogar einen Reiter, der mit zweien Hun-
den einen Panther verfoigL Diese Darstellungen sind lief und
mit Genauigkeit ausgehauen und biiden sum Theii hohe
Reliefs.
Fast auf alien alten Grabern ist der ^bre Theil des Denk*
sieines stufenformig gebildet, und an dem Kopf-Ende mit
einer Verliefung versehen, welche, wie die Kirgisen versi-
chern, an bestimmten Gedachtnisstagen mit Felt gefiiUt und
als Lampe gebraucht wurde. Diese Denkmaler sind alle ou-
ter sich parallel von SO. nach NW. gerichtet, so dafs das
Kopf-Ende nach der zuietzt genannten Himmeisgegend liegt
und daher gleichsam von Urgentscha gegen Ilil oder von
Chiwa gegen Astrachan '^). Auf den geachteteren Grabern
*) Yielleioht legte man aach die Verstorbenen mit dem Gesioht nach
Westen, d. h. gegen Mekka. Die Ringebornen sacbten desfalsigen
Fragen anssaweichen. Die Tarkmenen und sogar die Kirgisen von
Mangyschlak sind aber ziemlich eifrige Mahomedaner von Sonniti-
Bcber Confession and iJire Religiosilat ddrfte wohl dorcb die Chodja
den Nachkomnien yon Mabomed anterbalten worden sein.
Anni. d. Verf.
Die Halbinsel Mangyschlak. g59
liegen Haufen von Knochen und Hdrner des wilden Schafes
(welches hier Archar geqannt wird und, wie dieKirgisen ver*
sichern, in dein Karatau-Gebirge vorkominl)| so wie auch at
lerhand Zeugslucke. Auf einigen slehen auch Siangan, die
wahrscheinlich einst als Maste auf Schiffen gedieni haben,
welche an den dortigen Kiisten slrandeten. Dergleichen Stan*
gen deuten auf die Heiligkeit des unter ihnen liegenden
Todten.
Wann die Mongolen aus dieser G^gend verjagi worden
sind, ist unbekannU Wahrscheinlich falll aber die Besilznahme
der Turkmenen von der Osikiiste des Kaspischen .Meeres und
somii auch von der Halbinsel Mangyschlak, mil dem Ende der
Mongolischen HerrschafI iiber die Russen zusammen, und mil
dem voUstandigen Verfall der Goldnen Orde. Die Verbindun-
gen der Turkmenen mil den Russen und ihre Bitten sie
alsRussische Unterthanen zu betrachten, sollen, wie
sie selbsl versichern, schon unter Peter dem Grofsen stalt ge-
funden haben. Vielleicht war sogar die Expedition des Knjas
Bekowitsch nach Chiwa, nur eine Folge ihrer Bitten um Hiilfe.
Ihre eigne Angabe deutet insofern auf ein ahnliches Verhalt-
niss, als nach derselben die von Chiwaem angestifleten An*
griffe der Kirgisen auf jene Russische Expedition gefolgt sein
solien *).
Eine von dem Verfasser beabsichtigte Aufnahme und Be-
schreibung der Halbinsel, wurde mit Besichtigung der Umge-
bungen der Festung, so wie mit Erkundigungen und Versuchen
zur Annaherung an die Kirgisen und Turkmenen . begonnen.
Mit den ersteren wurde er bald nach der Ankunft auf Man*-
gyschlak bekannt. In dem Bezirke Changa-Baba, 30 Werst
von der Festung, wurde namlich in den ersten Tagen des
August (um Juli 20 alten Styles) von einem Kirgisen, Namens
*) Hier scheint der Verfasser mit sicb selbst im Widersprucb, indem er
die Angriffe der Kirgisen auf die Turkmenen zuerst als die Ursach
zur Unterwerfung der letzteren unter die Russen^ und dann als eine
Wirkung eben dieser Unterwerfung bctracbtet wissen will.
D. Uebers. "
QgO Historisch-lingaistische Wisaenschaften.
Tscbanke, ein GedachtnissfesI fur sanen Vater durch Pferde-
rennen gefeierl, Herr I. ausserte den Wunsch als GasI an
dieser Feier Theil zu nehmen und begab sich demnachst mil
3 Kosakenoffizieren und 20 Kosaken nach Changa-Baba. Sie
fanden fur sich ein besonderes Fils^-Zelt (Kibitka) aufgestellt,
welches bis auf die am Boden ausgebreiteten Teppiche, ganz
ohne Hausrath war. Den Ankommlingen wurden sogleich in
holzernen Schalen Erfrischungen gereicht, die aus Kuniy«, ge-
kochtem Schafsfleisch, Pilau uad Feit aus den Kurdjuk oder
dicken ScbafsschwSnzen bestand. Das Fleisch und das Felt
waren in feine Sliicke geschnilten. Wahrend dieser Bewir-
thung fanden sich noch gegen 10 Kirgisische Gaste in der
Kibilke ein, welchen der Verfasser dein Gebrauche gemafs, die
Fleisch- und Fellstucke einzuhandigen halte. Wenn sie sich
unter einander bewirthen, so beschmiert sogar der Eine dem
Andern die Lippen und das ubrige Gesicht mil Fell(!?), um
seine Zartlichkeit auszudriicken.
Gegen Abend versammellen sich gegen 300 Kirgisen
bei dem Zelte der Russen und es begann ein Ringkampf, bei
welchem dem Sieger ein Geldgeschenk ausgesetzt war. Die
jungen Kampfer umfafsten sich und erhoben einander auf die
gewohnliche Weise, sobald aber einer am Boden lag, ging der
andere seinen Preiss in Empfang zu nehmen. Jeder der Sie-
ger gab das erhallne Geld sogleich seinem Valer oder Fami-
lienallesten. Auf dieselbe Weise sah der Verf. mil aUen Ge-
schenken verfahren, die er spater an junge Kirgisen machle:
die Ehrfucdil vor dem .Aller brachte dieselben slels in andre
Hande. Er bewirlhele einmal einen 80jahrigen Bai, Namens
Bogatar, und gab den Enkeln desselben ein Paket Slucken-
zucker: sah aber soforl den AUen das Packchen 5ffnen und
mehrere HandvoU Zucker essen. Nach dem Ringkampfe ver-
brachlen die Kirgisen die ganze Nachl mil Fleisch-Essen und
Kumys*Trinken.
Am folgenden Morgen begann das. Pferderennen. Die
Bahn belrug diesmal nur 7 bis 8 Wersl, wird aber bei wich-
ligeren Rennen noch langer gewahlt. Es nahmen 7 Pferde
Die Halbinael MaligyioUlftk. 661
Tbdl und es waren ais Preiss ftir die Reiter des erslen Sie-
ger, ein Pferd und ein Ueberrock (Chalat), des zweiien ein
Kameel und des dritlen ein Ueberrock ausgeselzt DieRenn-
pferde wurden um so eifriger, je mehr sie sich dem Ziele
naherten, von den Verwandten ihrer Reiter und Besitzer durch
Zurufen und durch Peitschen, mit denen sie sie herzhaft tra-
fen, angelrieben. Wenn aber auch dies Mittel noch nicht ge-
nugle, so griff man einem solchen Thier an die Ohren, an
die Miihne und den Schwanz (!) *) um es schneller als die
iibrigen an das bezeichnete Ziel zu befordern (!!). Es waren
diese keine Racepferde, sondern gewohnliche Kirgisenpferde,
und die Besitzer erzahlten bei dieser Gelegenheit, wie sie drei
Jahre zuvor durch einen winterlichen Schneesturm, der 10
Tage lang anhielt, eine ungeheuere Menge Vieh verloren hat-
ten, so dafs z. B. diejenigen, die friiher 2000 und sogar 4000
Pferde besafsen, jetzt kaum 200 behalten hatten, und dafs bei
Vielen von 300 Ziegen und Schafen nur 7 Stuck iibrig ge-
blieben waren **).
Durch die genannie Reise gewann der Verf* das Zutrauen
der Kirgisen^ von denen ihn darauf viele besuchlen und ihm
aus Erkenntlichkeit allerhand Nachrichten und Geriichte iiber
Chiwa miitheilten. Er uberzeugte sich aber bei dieser Gele-
gcQheit, dafs die dorligen Nomaden nicht immer glaubwiirdig
sind, sondern zu betriigUchen Versicherungen und Ut^bertrei-
••
*) Es ist iiberhanpt scliwer za verstehen, wie die Umstehenden ein
Yorbeireimendes Pferd aof die geoannte Weise behandeln konnen und
ToUkommen unbegreiflich, wozo sie dasselbe an dem Schwanz hal>
ten toUten! D. Uebers*
) Kb ist wobi aazanehmen, dala diese merkwilrdige Sterblichkeit darcb
das Versohneien aller Weideplatze und nicht etwa durch die Kalte
Oder andere direkte atmospbariscbe Einfliisse eintritt. DerVer&sser
giebt aber hieriiber eben so wenig Aafschluss wie uber yiele andere
Verhaltnisse, die er beriibrt, ohne, wie es scheint, die Wicbtigkeit
der iboi so nahe liegenden Beobacbtangen gefiihU za haben.
D. Uebers.
662 HistorischolingaiBiisohe Wissenschaften.
bungen geneigt, wenn sie fiir ihre MiUheilungen eine Beloh-
nuDg hoffen.
In der Nahe der Fesiung scliienen ihni folgende Gegen-
stande besonders mcrkwiirdig:
1) Der zu alien dortigen Bauten angewendete muschlige
weisse Kalkstein. Er lasst sich leicht mil dem Beile
behauen, zerschlagen und iiberhaupt vortrefflicb bear-
beiten.
2) Die Salzseen. Der Niederschlag in denselben ist Ro-
senfarbig, von gutem Geschinack und zur Behandlung
des Caviar und der Fische tauglicb, jedoch, wie die
Fischereibesilzer versichern, nicht in der warmen Jab*
reszeit, ,|Weil er nicht sehr salzig sei**. Die Menge
desselben in zwei dieser Seen schatzt Herr I. auf
mehr als 10 Miliionen Pud *).
3) Das Wasser. In der Nahe der Salzseen sind die
Quellen brakisch und gehen deinnach wahrscheinlich
*) Er bestimmt diese!be folgendermafisen : um die Mitte des August
Termafs er die beiden Seen Kityk and Bnlak, Indem er fie auf eineni
aus 5 Brettern gebildeten Flosse befabr. In dem Kiljk betmg die
grofste Tiefe in jener Jahreszeit 1,75 Kngl. Fuls and die Dicke der
Salzscbicht von 1^75 bis 3,5 Engl. Zoll. Diese Dicke zeigte sich
gegen die Mitte des Sees grofiser als an deo Ufern. Man kann nan
die OberfiScbe des Sees za 162000 Qaadrat-S^ajen (za 49 Bngliscbe
Quadrat'Fuis) and die mittlere Dicke des iNiederscblages za 2,25
Zoll annehmen, and erhalt dann, wenn man das Gewicbt der Kabik-
343
Arschin (d. h. •—- Engl. Kubikfafs) des salzigen Niederschlages 50
^/
Pud setzt, fur die Menge desselben in dem Kityk 5800000 Pad. Der
See Balak (der zunachst am Hafen liegt), hat eine grolste Tiefe ?on
5,5 Engl. Fufs, seine Oberflache kann zu 166500 Quadrat-Sa/en and
die Dicke des Niederschlages in demselben zu 1,75 Engl. ZoU an-
genommen werden, wonacb das Gewicbt des letzteren 4682000 Pod
betragt. — Das Wasser dieses Sees enthielt dem Volamen nach i
Salz and f Wasser, and dem Gewichte nach 522 Salz aof 1260
Wasser. Die dad arch entstehende Losang ist so dicbt^ dais ein niit
40 Pfund beladner Mann leicht in dem See schwimmt.
Anm. d. Verf.
Die Halbinsel Mttagyachlak. 663
von jenen Seen au8« Oesttich von dem See Kityk
ist ab^er das Wasser fast vollig sufs. Es fliefst dort
theils inQnellen, theils wird es ausBrunnen enUiooi-
men, die kaum eine Arschin lief in die Gesteinschicht
reichen. Zu den Eigenlhumlichkeiten der Landzunge
Ailjak gehort aucfa, dais in dem Hafen zunachst an
derseiben ganz siiises und wohlschmeckendes Wasser
vorkommty obgleich man sowohi rings urn dem nahe
gelegenen See Buiak, als auch zwischen demselben
und dem Meerbusen nur salziges trifft. Ein dortiger
Arzt hat jenes auffallend frisdie Wasser Kalk- und
Eisenhallig gefundeu.
Urn die Mitte des September eriaubte endlich das Nach*
lassen des Skorbuls unter der Mannschaft dem Verfasser, die
beabsichtigte UntersUchung der Halbinsel, auch hatte er bis
dahin die ndthigen Bekanntschaften mil. den Kirgisen und
Turkmenen angekniipft. Am 21. September begann er die
Reise nach Alexander-Bai in der Begieitung von 20 Fufssol-
daten, die beritten gemacht waren, 50 Kosaken,.die von dem
Jesaui Chorotschin und dem Chorunja gleiehes Namens, ge-
fiihrt wurden, dem Fahndrich Skrjabin und dem Topogra-
phen Lawrentjew, welche zusammen die Aufnahme des Lan-
des besorgen sollten — oder zusammen mil 79 Mann, die
eine Spfundtge Einhorn-Kanone mit sicb fiihrten. Ausserdem
hatte Herr I. noch den Armenier Gera^im Turpajew als
DoUmetscher und Handelsverstandlgen, und einen Feldscheer
mit sicb, die beide der Expedition ausserordenllich niitzlich
wurden. Turpajew*) wusste iiberall den ndthigen Fleisch-
*) Gera^im Tarpajew der bereiti bei der Anlage der Festang Nowo-
Alexandrowsk, in der dortigen Gegend Handel trieb, ist bei den Bin-
geborenen anter dem Namen Kalasch oder KalaUch bekannt Aaf
welche Weise aas Gerasim, Kalatsch geworden ist, diirfte schwer sein
za entscbeiden. Man hat aber daran ein Beispiel der Irrthiimer, zu
denen die Verderbungen der Russiscben Namen durch die Asiaten und
die der Asiatischen darch die Russen Teranlassen konnen.
D. Verf.
564 HiBtoriscb-lingiiistische WisBCiiwchafteii.
vorrath ansuschaffen, und noch ausserdem den EUngebomen
so viel Lust zum Handel zu erregeUi dafs sie in jedes Lager
die verschiedensten Wadren yon selbst herbeibrachten. Dem
Feldscheer, der alle arztliehen Funelionen ausuble^ fehlte es
nie an Praxis^ denn die Eingebornen sind groCse Liebhaber vom
Curiren und brachten theils ihre Kranken oder Kriippel selbst in
das Lager, theils baten sie um arztliche Besuche in ihren Aulen.
Eine ausserordentliche Verbreitung der Syphilis unter den Kir-
gisen war bcsonders auffallend. Fast in jedeni Aule war Nach-
frage nach Quecksilber oder Sassaparil, welche die Kirgisen
das ^i^ostbare Kraut" nennen. Ausserdem wiithen auch zu
Zeiten unter ihnen die Pocken, gegen die sie noch keine
Impfung anwenden, und bisweilen ein epidemisches hitziges
Fieber.
Die ersten siebzig Werst wurden theils auf thonigem Bo-
den, theils auf fast ununterbrochnem Gestein zuruckgelegt und
dabei oft schrofife Felsschluchten iibcrschritten. Die Vegeta-
tion war iiberall armlich. und ein Wermuth bildete das vor-
zuglichste Futterkraut Schilf wurde nicht bemerkt und von
Holzgewachsen nor hier und da einige Straocbe. Das Was-
ser in Brunnen und Quellen war dagegen von gutem Ge-
schmack. Der Verfasser sagt, er babe Steinkohle in jener
Gegend erwartet, weil es Kreideschiefaten gebe (!!!) in
dem Bezirk Changa-Baba, und auf dem Wege zu dem soge-
nannten Kreidewinkel (Mjelowoi ugol) so wie auch, weil an
siidHcheren Punkten der Kaspischen Osdciiste Naphta vor-
komme.^ Er beaiiftragte deshalb seine Begleiter, alle ihnen
auflallenden Gesteine aufzuheben und ihm zu bringen, sagt
aber nicht, was er an denselben bemerkt habe.
70 Werst von Nowo-Petrowsk bei dem Bezirk Tjiilkiilu,
endeten die Weideplatze der Kirgisen vom Adajewer Stamme,
auf denen man sich bisher befunden hatte, und es begannen
die der Turkmenen von der Ablheilung Chodja. Aus Besorg-
niss den Chiwaern zu misfallen, oder aus einem anderen un-
bekannten Grunde, vermieden aber diese Turkmenen jede Zu-
Die Halbinsel M&ngyschlak. gg5
sammenkunft mit den Reisenden, indem sie ihre nomadisGheB
Ziige demgemafs verlegten.
Der Weg von Tjiilkulli bis Alexander- Bai ftihrte iiber
sanfte Hiigel, deren Hohe gegen den leUteren Ort noch ab-
nahm. Das Pferdefutter fand sich so wie wahrend der frti-
beren Reise, und das Wasser in den Brunnen war meistens
bitter und salzig. Bei einem der Tagemarscbe zwischen den
genannten Orten, fand sich ^ine Kanaelstute mit einem Jun-
gen zur Reisegesellschaft^ welche offenbar lange nicht getrankt
worden war und, wie Herr I. meint, die Carawane in der
Absicht begleitete, an dem nachsten Brunnen von dem fur
die Pferde zu sehopfenden Wqsser etwas abzubekommen.
Der Yerfasser sorgte fiir die Erfiiiiung dieses Wunsches und
bemerkte zu seiner Verwunderung, dafs das Kamel 12 Wedro
Wasser (4,15 Par. Kubikfufs) mit einemmal austrank. — An
den zur Karawane gehorigen Kamelen, mit denen oft bei heis-
sem Wetter Reisen von 50 Werst ohne Anhalten gemacht
wurden, fand er dagegen nicht bestatigt, dafs sie das Wasser
aus einer Entfernung von 2 Werst wahrnahmen, wie Buffon
behauptet. Er glaubt vielmehr, dafs dieses nur vonKamelen^
die 8fter einerlei Weg zuriicklegen, auf dieselbe Weise und
in demseiben Mafse gelte wie von Pferden.
,Wahrend des Rittes von Tjiilkulu nach dem Brunnen
Kalyn-Arbat kam ein Turkmene zu den Reisenden, der ihnen
frische Fische zum Geschenk brachte. Er betrieb den Fang
von dergleichen mit einigen Gefahrten bei dem Vorgebirge
Sagyndyt Die Turkmenen stechen die Fische mit dreizackigen
Speren, mit denen sie in einem bei 1 bis 2 <Sa;en Tiefe vor
Anker gelegten Boote sitzen un<l das Voruberziehen beobach-
ten. Herr L machte dem Ankommling ein Gegengeschenk
und zeigte ihm ein Mikroskop, welches er darauf zu
besitzen wiinschte „um die Fische auf dem Meeresgrund
sehen und sie besser fangen zu konnen'*'^). Die Turkmenen
) Es ist nicht wahrscheinlich, dafs sich ein geiibter Fischer — etwa
weil er zn den Asiatischen Volksstamoien gerechnet wird — aof
666 Historisch-lingnistische Wissenscliaften.
hatten iibrigens auch ohne dem keinen Mangel an Fischen,
indem sie in wenigen Stunden gegea 50 sehr grofse fingen **).
Sie wissen aber weder Caviar, noch Fischieim oder Wesiga
(Hausenbiase) zu bereiten. Derselbe Turkmen bewarb sich
auch um die Ankniipfung eines Tauschhandels^ zu dem er
Fische naeh Nowo-Petrowsk fiihren woilte. Er versicherte,
dafs man von Alexander- Bai bis zur Festung, mit Ausnahme
von 20 Wersl eines sleinigen Ufer bei Tjulkulii, die Bote
Ireideln konne.
Die zwei letzten Tagemarsche vor Alexander- Bai, die
mehr als 50 Werst belrugen, mussten langs des Karakul-Sees
zuriickgelegt werden, welch^r Glauber-Salz enthalL Zwischen
diesem See und der Meereskiiste ist der Sand stellenweise
mit Scbilf und Geslrauchen bestanden, und eine Fortsetzung
dieses Bodens reicht zuerst bis an das sogenannte Sand-Vor-
gebirge (Pesischany Mys) und dann auch bis zur Meerenge
von Alexander- Bai. Dieser Sand enlhalt siifses und wohl*
schmeckendes Wasser in einer Tiefe von etwa 5 Engl. Fufs
und die Turkmenen und Kirgisen haben diesen Umstand be-
nutzt, um zwischen den Sandhligeln einigen Feldbau zu irei-
ben. Sie gewinnen daselbst D/utara, Mais, Kiirbis, Melonen
und ausgezeichnet saftige Wassermeloiien (Arbusen), die nicht
selten 40 Pfund wiegen. Aus dem Safle derselben bereiten
die Turkmenen einen Arbusen-Med, der dem Verf. schmack-
bafter schien als das bei Zaiizyn iibliche Getrank derselben
Art Der Sandboden, auf dem dieser Feldbau gelingt, besteht
aus dem gewohniichen quarzigen Meeressand und aus kleinen
Muschelfragmenten. Ein ganz ahnlicher kommt auch in dem
Karaganer Meerbusen vor und da auch dort an dem Strande
kein Mangel an sufsem Wasser ist, so wurde man daselbst
eine so alberne Weise getauscht habe, vielmebr wird ihm wohl etwas
jener Aeasserung ahnliclies von den Rossen in den Mand gelegt
worden sein. D. Uebers.
*) Za welcber Art diese gehort haben mogen, lawt der Verfasser un-
erwabnC. D. Uebera.
Die Halbinsel Mangyschlak. 667
ohne Zweifel dieselben Gewachse wie bei Alexander-Bai Zie-
hen konnen.
Die Expedition verweille zwei Tage auf dem Strande von
Alexander-Bai, an dem Brunnen Kuoi Tsehinrau, indem sie
sich mil der Aufnahme und Recognoszirung der Umgebungen
beschaftigten. Der Brminen Kum Tschinrau ist 2 Sajen
(14 Engl. Fufs) tief in den Felsen gebauen und enihalt vor-
freffliches Wasser. In der Nahe desselben slehen an einer
Steile 12 Uferweiden von mehr als einer Klafter im Umfang,
und in etwas grofserem Abstande sieht man noch an zwei
Punkten Baume derselben ArL Sie sind von dem Vater des
jetzigen Bekturla-I«an oder Ischan, d. h. des hochsten Geisl-
iichen der Mangysehlaker Turkraenen gepflanzt worden, dem
die Russischen Fischer den Titel Archierei oder Erzpriester
beiiegen. Bei den Kirgisen und Turkmenen steht er ebenfalls
in besonderen Ehren, weshalb auch die bei der Expedition
befindlichen Kameeltreiber und Fuhrer urn die Eriaubniss ba*
ten, zu ihm zum Gebete zu gehen.
Unter den zunachst an dem Brunnen gelegenen Weiden
wurde der Verfasser auf ausgebreiieten Teppichen und Filz-
decken von dem Ischan empfangen, um den sich eine groCse
Zahl von armen Turkmenen und Kirgisen befanden, die in
dem Bezirk Alexander -^Bai nomadisiren. In seiner Kibitke
woUte er aber keine Russen aufnehmen um nicht die Eifer-
sucht der Chiwaer zu erregen. Ebenso verhielten sich spaler*
bin viele andere Kirgisen. Als Herr I. dem Ischan vorhielt,
dafs die geflissentliche Entfernung der Turkmenen von dem
VVege der Russischen Expedition wohl durch sein (des Ischan)
Beispiel veranlasst worden sei, indem auch seine eigene Fa«
milie von ihm in daslnnere der Steppe geschickt worden sei,
entschuldigle er sich mit den Umstanden, und gab seine
,/eifrigste Zuneigung^' filr die Russen dadurch zu erkennen,
daCs er die gesammte Mannschaft wahrend ihres zweitagigen
Verweilens, mit Melonen, Arbusen, frischem Fiscb und Schafs-
fleisch bewirlhete, die Geschenke ^aber, die ihm der Verfasser
568 Historisch -lingaistisclie Wissensrlmften.
nach dieser Bewirthung gab, unter die armen Kirgisen und
Turkmenen vertheilte.
Der jetzige Ischan ist von inittlerem Wuchse und kraflig
gebaut,' 40 Jahr alt und hat rothliches Haar und einen voUen
Bart von derselben Farbe. Seine Gesichlsfaibe ist, bis auf
viele Sommersprossen, sehr weiss und seine gesammte Phy-
siognomie mehr Russisch als Turkmenisch. Er trug einen
diinneni heilerbsenfarbenen Chalat aus eineoi von Kamelflaum
und Seide gewebten Zeuge. Seine Kopfbedeckung bestand
in einem weissen Turban (Tschaima)* Die ubrigen Turkmenen
tragen den gewdhnlichen Chiwaer Chalat und hohe cylindrische
Mtitzen aus schwarzen Schaffellen.
In der Nahe des Meerbusen von Alexander- Bai suchte
der Verfasser nach Spuren der Festung Bekowilsch, welche
einst daselbst geslanden haben soil. Er fand aber nur bei der
Bucht Aschtschi eine aus Sleinen gelegte, langlich runde
Schanze von 20 Sajen Lange und 10 5ajen Breite, die jelzl
fast ganzlich zerfallen war, auch wussten die Turkmenen
von k'einer anderen Befestigung in dieser Gegend. Diese
Schanze war offenbar ein alter Zufluchtsort der Piraten. Sie
liegt an einer felsig^n und an betrachtliche Meerestiefe granzen-
den Kiistenwand. Hart an derselben ist die See 4 F. und in
dem Abstande von 8 5. schon 11 F. tief. Nach der Aussage
der Turkmenen geht die Tiefe in der Bucht Aschtschi iiberhaupt
bis zu 12 und in der Strafse(?) bis zu 3 5a;enen. In dieser
Strafse herrscht bisweilen eine starke StrfSmung die, wieHerr
NikolsLji, der Vorsteher des Fischfangscomit^ in Astrachan,
der mehrere Jahre an dieser Stelie gelebt hat, meint, von
heftigen Winden herriihrt, welche bald in der einen, bald in
der anderen Richtung . langs dieses Meeresarmes wehen.
Durch eben solche Winde soil sich auch die starke Strdmung
erklaren, die man in dem Zugange des Karabugas-Golfe be-
merkt hat, mit dem Unterschiede, dafs diese letztere weit star-
ker sein muss, weil bei gleicher Breite der einftihrenden
Stralsen der Karabugas-Golf weit ausgedehnter ist^ als die
Bucht Aschtschi. Die Menge des ein- oder ausgetriebenen
Die Ha1bin»el Mangyschlak. (Jgg
Wassers muss also b«i diesem leizlem viel betrachtlicher sein
als bei dem ersten.
Anstatt der vergeblich gesuchlen Beste der Festang Be*
kowitsch^ fanden sich in dieser Gegend zwei Hohlenwohnun-
gen, welche von (Rus^ischen?) Einsiedlern angelegt worden
waren. Die eine derselben reicht bis elwa 14Fufs unter die
Erdoberflache und besleht aus etneoi gegen 18 E. F. langen
und breiten und 9 bis 10 Fufs hohen Ziminer, zu dem man
auf in den Fels gehauenen Stufen hinabsteigt. Die zweiie
dieser unterirdischen Wohnungen ist kletner als diese« Sie
liegen beide an dem VVege von dem Brunnen Kum Tscbin-
rau zu der Verschanzung hahe bei den Sanddiinen und haben
auch nach der Aussage der Turkmenen gewissen Einsiedlern
als Zufluchl gedient
Bei der Bucht Aschischi und zwar an der NO.-Seile
derselben, liegl eine bemerkenswerthe Schhicht, die Aschtschi-
Basch genannt wirdi. Von derBuebt trennt sie ein schwach
welliges und fast ebnes Terrain von nicht voU 2 Werst Breite.
Von dieser Flache, an welcher der hochste Punkt jener
Schlucht liegt^ reicht dieselbe bis an den Salz-Boden Ascbtsche-
5ai. Ein an Farbe und Geschmack dem Meerwasser ahnli*
ches Wasser, fliefst von dem oberen Ende der Schlucht nach
dem Aschtsche ' 6ai und ist wahrscheinlich nichts weiter, als
ein aus dem Meere inGllrirter Zufluss. Die Schlucht ist nach
obtrflachlicher Bestimmung, nach dem Augenmafs, bei dem
die Piken zur Vergleichung dienlen, 70 Fufs lief. Weilerhin
granzt an den Salzfleck Aschtsche-Sai eine zweite Schlucht,
die Ulu Aschlsche Bak genannt wird und, wie die Turkme-
nen versichern, von den Karatau- Bergen ausgeht. Der Bo-
den ist in diesen beiden Schluchten sumpfig und salzhallig —
und schien Merrn I. um wenigslens 8 Sa/en unler dem Mee-
resspiegel zu liegen *).
*) Es ware aber wiinschenswertb dafs die Strecke von der Bucht
Ascbtscbi bis za dem Ursprung der Scblaclit Aschtscbi- Basch nivel-
lirt and yon einem kundigen G^ognosten untersncbt wurde.
Anm. d. Verf.
Ermans Russ. Archiv. Bd. XI. H. 4. 44
570 Historiseh-lingiiittiiehe Wistemcbaften.
Dieser Umsland fiihrt zu der Frage, ob wirklich in dem
Kaspischen Meere und in der Wolga eine Wasserabnahme
staUfindet, wie man es gewdhnlich annimmt. Freilich giebt
es in beiden, Steilen wo die Tiefe abnimmi, aber es ist noch
keineswegs ausgemacht ob diefs nicht bios von Sandanschivem-
mungen herriihrty und ob nicht anstalt dessen andere Steilen
tiefer werden. Ein wahrend der Region des Zar M. Feodor.
fttr die Holsteiner (?) Gesandleni die nachPersien gingeti, ge«
bauteft Schtff, ging nor 7 Fufs tief , und dennoch beriibrle es
wfihrend seiner im August 1636 ausgefiihrten Fahrt von Ni/nei
Nowgorod nach Astrachan sehr oft den Boden und stiefs aui
Sandbankenw Das Schiff der Adier (Orel), welches im Juni
1669 von Nowgorod nach Kasan ging, setzte ebenfalls auf *).
Jetzt fahren auf derselben Strecke der Wolga, Schiffe von ge-
nau eben so grofsem Tiefgang. Was aber die Wasserabnahme
im Kaspischen Meer betriA, so wird man sie nur dann erst
Hir erwiesen halten diirfen, wenn man in betrachtlichem Ab-
stahde von der Kiiste and von der Woigamiindung, bei einer
Tiefe von 3 bis 4 Sh/en, wo die H^he des Wasserspi^els
weniger dureh Ae Winde geiindert wird (?), einen sleinemen
Pegel errichtet und Ablesungen an demselben machen lasst
Aile(?) sonstigen Wahrnehmungen iiber die Abnahme
der H5he des Kaspischen Meeres, scbeinen unsicher **). —
*) Vergl.Berg, Regierang des Zar Michail Feodorowirsch Th. 1. S.250;
desielben Regierang des Zar Al«|[«ei Michailowitoish Tb.1. S.260.
*'*') Der bocbste Punkt der Landzange, welohe die Bacht Ascbtocbi yon
der Scblacht AschtBcbi Baach trennt, scbeint aogar za der entgegen-
gesetzten Ansicbt einer Constanz der Hohe des Kasptschen Meeres*
spiegels zu fdhren. Die genanate Seklach^ der Saizbodea Asehtachi-
5ai and die LandziiDge> haben atoh doch gewlsa in einev seiir ent-
legnen Zeit gebildel, soiist wiirde eine entaprechende Ueberlieierang
Torhanden sein, wie die ober den eberoatigen Laiif des Aran. Die
geringe Hobe der liandzange ober dem Meeresapiegel least nan aber
keine irgend erbebliohe Senkung dea letzteren zn. Der Yerfasser
mass aber eine grondlicbe Entacheidong einem mit geogaoatiscben
Kenntnissen ansgeriisteten Beobachter aberlaasen.
Anm. d. Verf.
Die Halbinsol Mangyiclilak. g7|
Wie soil man sich nun die Enbtehung der Schludil Asehtachi*
Basch erklaren? Durch blofse VVasserwirkung scheint es nicht
moglicb. Will man aber annehmeny dafs die Laodzunge zwi**
scben der Bueht und der Schlucht durch unlerirdiache Krafte
gehoben worden ist — so konnte durch dieselbea auch die
genannte Oslkuste des Kaspischen Meeres bis zu der Miindung
des alien Oxus oder jeuigen Amu-Darja gesliegen sein. Die
Chiwaer versicherten ausdriicklich an Herrn Murawjew, dafs
vor 520 Jahreu der Lauf des Amu durch ein Erdbebcn ge-
anderl wurde — und, wie dem auch sein m5ge, so kann die
doppelte Mundung dieses Flusses uamoglich eine Fabel sein.
Mali weiss aus unzweifelhaflen Quellen, dafs alle Kanale des
Chanal von Chiwa, die vcn dem linken Ufer des Amu begin-*
nen und nach Weslen und Nord-Weslen verlaufen, eine starke
Stromung besitzen. Esgiebt also eine natUrlicbe Neiguog des
Bodens von jenem linken Ufer gegen das Kaspische Meer.
Ferner sind von dem alien BeUe des Amu noch Spuren vor-
handen und werden von den Eingebornen als solche gezeigl.
Die Russischen Gefangenen, die 10 bis 20 Jabr in Chitva ge«
lebt baben, sprechen alle von dem alien Belie dieses Flus«
ses, und Herr Murawfew sab sogar Resle von Wasserlalun'^
gen langs desselben. In der leizlen Zeit ist das Wasser in
dem gegenwarligen Belle des Amu coniinuirlicb gestiegen,
tiberschwemml allmalig die in der Unlerhalfle des Tbales ge«
legnen Sladle Kungrad und Chodjeili. DieBewohner dersel-
ben werden nach der Gegend, in der friiher die Sladl Ur-
genlsch an dem alien Laufe des Amu lag, iibersiedell. Diese
Gegend heissl jelzt Kunja-Urgenlsch. Es ist in ihr neuer-
dings ein befestigler Flecken angelegi worden. Nicht weit von
demselben enlspringl aus dem Amu der Fluss Laudan, der 300 S.
breit ist und einen kleineren Ausfiuss, der Scharkrauk von 60
S. Br. aussendet. Dieser rinnt sehr schnell bei Kunja Urgenlscb
vorbei, in dem alien Belle des Amu. Wahrend des Auslritt
des Flusses, der im J. 1846 stallfand^ ergofs sich das Wasser
aus der zulelzt genannten Abzweigung westwarts bis 5 Tage-
marsche, d.b. 150 bis 200 Worst unlerhalb undSW.-lich von
44*
ffj2 Historisch^lingQistisehe Witsenschafteiu
KunjaUrgenlsch durch jenes alte Flussbett. Reicht aber das
Wasser des Amu bis zui» Kaspischen Meere und kann der
alte Lauf desselben in einen schiffbaren Kanal verwandelt
werden? — dies ist eine ganz andere Frage, die grundliche
Beobachiungen an Ort und Stella iiber die Niveauverhallnisse
und iiber die VVassermengen erforderl '^).
In der Schlucht Aschlsehi Basch liegen, 8 Werst von
der Bucht Aschischi, Steinsalzschichten. Herr I. verfolgte
dieselben auf einer Slrecke von i Wersl, wo sie an ver-
schiedenen Punkten in 5 bis 7 Furs Tiefe und rait einer Miich-
iigkeil von 2,3 bis 5 Fufs sicblbar waren. Die Turkmenen
hauen daraus mil Beilen ibren Bedarf zuin Einsalzen der
Fische. —
Bei seinem Ruckwege wollte der Verfasser einen Plan
der Schlucht Ulu-Aachtschi-Basch au(nehmen> seine Begleiler
versicherten aber, dafs es in derselben durchaus kein Wasser
gebe und dafs man daher dieselbe nicht anders bereisen
konne als indem man den Bedarf der Menschen und Pferde
in Schlauchen mit sich fiihre. DieKarawane besafs nun aber
keine Schlauche, und konnte daher auch ihren Riickweg nqr
durch eine Gegend nehmen, die bei den Nachtlagern Wasser
darbote. Die drei ersten Miirsche fiihrlen durch Aule der
Chodja-Turkmenen, die sich jetzt nicht mehr vor den Russen
zuriickzogen. Hire Kibitken waren besonders reinlich, und
*) Soviel man aus den Erzablangen des Chiwaer Cban Abolgasi (in
dessen Gescbiclite der Tatariscben Stanime) erseben kann, bat der
Amii-Darja sein altes, bei Kanja-Urgentsch yorubergehendes Betf,
erst zn dessen Lebzeiten, d. b, nm die JVIitte des XVII. JabrbnnderCs
▼erlassen. Ist aber diese Angabe ricbtig, so konnte ja wobl jener
Floss seine MUndung periodisch yerandem, indem er bald in den
Aral- See flosse, bald, nacbdem er diesen gefullt bat, in dasKaspiscbe
Meer. Dieser natiirlicbe Lauf des Flusses konnte aber doch dorch
die Menschen, nacb Mafsgabe ibrer jedesmaligen Vertheilung ond
ihrer Mittel in etwas verandert ond dorch Aniage Ton Canaten in
einen, dem jedesmaligen Bedorfhiss entsprechenden > omgewandelt
worden sein. Anm. d. Verf.
Die Ualbinsel MangyscLlak. 573
sogar nicht ohne absichUichen Prunk. Ihr Inneres ist mil
Teppichen behangen und auf dem Boden liegen ebenfalls Tep*-
piche liber den Pilzmalten. Die Koffer und Schlafslellen sind
sauber gehalten und angeordnel; das rohe und geraucherte
Fleisch hangt nichl^ wie bei den Kirgisen^ ganz frei, sondern
ist siets mit reiner Leinwand so vollstandig umwickelt, dafs
man nur erraihen kann, was auf diese Weise bewabrt wird.
Mit einein Warte waren diese Turkmenischen Kibitken von
den Kirgisischen beinah ebenso sehr unterschieden , wie ein
Gartenhaus voA einer schmulzigen Bauerhiilte. Die Turkme-
nen von der Ablheilung Chodja beschaftigen sich vorztiglich
mil der Anfertigung von Teppichen. Die MateriaJien zum
Farben werden, wie sie versichern, von ihnen selbst angefer-
iigl und verwendet — am auffailendsten ist aber^ dafs sie,
irotz ihres wandemden Lebens, Teppiche von mehr als 12 F.
Breite zu Slande bringen. Es fehlt ihnen, urn diesen Erzeug-
nissen die hochste Vollendung zu geben, nichts weiter, als
schonere Muster und Instrumenle zum «bneren Scheeren. Bei
dem Brunnen Burjakly wurden die Reisenden von den dorti-
gen Turkmenen mit gesauerter Kamelmilch bewirthet, die
sehr reinlich bereitet und ebenso wobischmeckend als durst-
loschend war. '
In einem Turkmenischen Aule bei dem Brunnen I'ortu,
prlifte der Verfasser die geriihmte Sehkraft der Eingebornen.
Er lielis 50 5ajen von dem Lager zwischen niedrigem Strauch*
werk, eine diinne Kuthe in den Boden sleeken und setzte
einen Preiss aus fiir denjenigen unter den anwesenden Turk-
menen und Kirgisen, der sie zuerst sehen wurde. Sie blick-
len darauf iange und eifrig um sich, jedoch ohne Erfolg, bis
dafs derFahndrich Skrjabin, der in Folge seiner Beschaftigung
mit topographischen Aufnahmen sehr weitsichtig geworden
war, zuerst das Zeichen bemerkte. Die Kirgisen, die Turk-
menen und einige der Russischen Kosaken erkannlen es da-
gegen erst, als er ihnen die Richtung, in der sie es zu suchen
hatlen, zeigte. — Ein andres Mai wurde eine ahnliche Rulhe
in einer Mondscheinnachl nur lOOSchritl von demZelte aus-
574 HistorUcli'lingaistisclie WisseiiBchaften.
gesteckt und von den Kirgisen suerst in einem Abslande von
70 SchriU, von den Kosaken dagegen bei 60 Schrill Enlfer-
nung gesehn. Es scheint daher, dafs die Augen dieser No-
maden kaum inerklich besser sind, als die eines Europaers
der sich beim Aufnehmen, auf der Jagd oder auf detn Meerf
im Sehen geubi hat. Es ist freilich nichl su ieugnen, dafs
die Kirgisen und Turkmenen in der Steppe ein Schaf ^ ein
Kamel, ein Pferd, einen Reiter u.-dergl., weil frCiher als die
Russen bemerken und erkennen, diefs koinmt aber von ibrer
Gewohnheit gerade nach diesen in der Steppe gewohnlichen
Gegenstanden ausvusehen, und dadurch fiir diese ebenso eine
besondere Uebung su besilzen, wie der Seefahrer der ein
Schiff, und der Jager der ein Wild weit friiher als Andere,
erkennen. Man behauptel auch, dafs der Kirgise ein lebender
Kompass sei, d. h. dafs er die Richtung nach Norden anxu-
geben wisse, nachdem er mit verbundenen Augen sich wohl
hundertmai im Kreise gedreht habe. Zur Priifung der angeb-
lichen Fahigkeit wurde einer der geiibteslen Kirgisischen Fuh-
rer einige Mai im Kreise gefiihrt, nachdem man ihm die Augen
verbunden und ihm eine Belohnung vefsprochen hatte, wenn
er richtig nach den Mond zeigen wUrde. Er schien darauf
lange zu iiberlegen und wahlen, zeigte aber endlieh nach einer,
vom Monde grade abgewandten Richlung. Eben dieser Kir-
gise hatte doch die Karawane sehr oft bei Nacht ohne jeden
sichlbaren Weg und slets in der nothigen Richtung gefiihrt,
weil ihnen bei diesem Geschafl ausser der Weitsichligkeit auch
ihr Ortsgedachtniss, ihre Aufmerksamkeit und Ueberlegtheit zu
Hulfe kommen. Ein Kosaken -OfGzier der mii den Kirgiseo
als ihr Gefangner gelebt hatte, erzahUe dem Verfasser^ als ^e
ihn einst in einer ausserst finsteren und nebliclien Winternacht
gefiihrt und zuietzt uber die einzuschlagende Richtung lu
aweifeln angefangen hiiUen, sei einer von ihnen beim Ueber-
gange fiber einen gefrornen Bach vom Pferde gestiegen und
habe, nachdem er das Eis durchbrochen, seine Hand in das
Wasser gesteckt und dadurch sowohi die Richlung der Slro-
auingy als auch die des einzuschlagenden Weges erkannt.
Die HaUiinsel Mangyiclilak. ^ g75
iSi'lan erzahlle auch von einem ander^n Kirgisen^ der von deiu
Schneelicht erblindet war und dennoch eine Russische Mann-
schafl 150 W. weit rich(ig gefiibrl hatle. Man brauchte ihm
nur Eu sagen, wober der Wind webe(!?), wo sicb irgend ein
Grabhiigei, ein Uocker des Bodens eder etwas denoi abnlichen
Eeigte, 80 enUchi^d er sogleich iiber die zu wabiende Rich-
>ff *uog. —
,^ B^i dem Brunnen AachUchi-Basch^ drei Tageroarsche von
der Festung, kam die Reisegesellscbafl auf den Karawanen-
wegy der von dem Karaganischen Meerbusea nach Chiwa fiihrt
In dem Bninnen Aschtschi-Basch und in dessen Umgegend ist
das Wasser bitter, aber seitwarts von dem Karawaoenwege,
in einer felsigen Schlucht, findet sich ein poroses Gestein,
durch welches tropfenweise ein gelblich aussehendes aber vor-
treillich schmeckendes Wasser fliefst. ,,Dieses Gestein ist selbst
von gelblicher Farbe und von schwammahnlicher Bildung.
Solite es, wie das Maltaer, die Eigeosehaft das Wasser zu
reinigen, besitzen, so wird es gewiss dereinst eine industrielle
Wichtigkeit erlangen.'* —
Nachdem Herr 1. bei Alexander -Bai die Weidenstiiuime
von anderthalb Klafler im Umfang gesehen hatte, die auf dem
Sande nur allein durch menschliche Pflege gewachsen waren,
veranlasste er die Bewobner von Nowo-Petrowsk daselbst
Astrachanische Fruchtreiser (Astrachanskaja losa), Weinslocke,
Maulbeerbaume u. a. dergl. zu pflanzen. Sollten auch die er-
sten Versuche mil dem Garlenbaue bei Mangyschlak miss-
gliicken, so kann doch der endliche Erfolg nicht ausbleiben,
wenn man nach und nach die nothigen Erfahrungen uber die
Besonderheiten des dortigen Bodens und Klimas sammelt.
Nach seiner am 7. Oktober erfolgten Ruckkelir nach der
Festung, erfuhr der Verf. durch Nachfragen die der Uralische
Kosakenoffizier Iskender, ein mit den Sprachen der Einge-
bornen sehr vertrauter und von ihnen allgemein geachteter
Mann^ gemacht hatte, dafs er mit Recht an das Vorkommen
von Steinkohlen in dem Karatau geglaubt babe. Er beschloss
daher, trots der vorgeriickten Jahreszeit, noch eine Uutersu-
576 Historisch -tioguistische Wissentchafteii.
chungsreistf nach diesenr 150 Werst enlfernlen Gebirge zu
machen. Am 10. Oktober begab sich demgemafs die GeseJ/-
schaft in ihrer bisherigen Zusammensetzung auf ^lie bei dem
Karatau voriiberfiihrenden Karawanenslrafse nach Chiwa.
Wahrend des dritlen Tagemarsches wurden sie an dem
Brunnen Udjiik von Tschabiik, dem reichslen Kirgisen der
dorligen Gegend aufgenommen. Die Bewirthung bestand bus
Kumytf, frischem Kiise und einer eigenihudQlich zubereitelen
sanerlicben Butter. Man verlor indessen die Lust zuiii £ssen
und Trinken durch die Haare, die sich im Kumys nichi sellen
fanden und durch die Sliicke von rohem und gerauchertem
Fleische, die hi der Kibitke Uegen.
Fiinf Werst hinter dem Brunnen Udjiik erblickt man von
einer hohen Slelle in 60 Werst, die Ewei bochsten Punkie des
KarataUy die Kara-Tscheku und Utman heissen. Das Gebirge
Karatau (d. h. die Schwarzen Berge), beginnt mil dem soge-
nannten Karatautschik, d. h« dem kleinen Karatau, der 90
Werst von der Nowo-Petrower Feslung absteht Es ziehC
sich von diesem eine ununterbrochene Bergkeltej die allmah-
lig aufsteigt bis zu dem Berg Kara-Tscheku, dessen Hohe Herr
I. auf 350 Sajevk iiber dem Meere schatzt *).
Die Karatau- Berge erstrecken sich von W, nach 0. Ihr
Siidabhang besteht aus steilfallenden Schichten von Tafelschie-
fer und verschieden farbigem Thonschiefer. Parallel mit die-
sen Bergen streicbt der Aktau, d. h. die Weissen Berge, so
dafs zwischen beiden Ketten ein Thai von 2 bis 8 Werst Breite
bleibt, welches den Karawanenweg nach Chiwa enthalt. Der
Fufs der Aktauberge besteht aus Kreide, die an einzelnen
Stellen in 30 Sajen machtigen Massen ansteht, welche mit
einem ebenso machtigen Schichtensysteme von weissem Sand-
*) Der Yerf. fugt hinzii: „ich maclite eine Reclinung(!) iniUelst des
Messtisches and Proportionallinien^ — einAusdruck der aus mehre-
ren Grunden, vorziiglich aber deshalb keinen Sinn giebt, weil man
mit dem Messtisch keine Uobenwinkel messen, oline diese abe'r keine
Bohenanterscbiede geodatiscb bestimmen oder aacb nnr scbatzen kann.
D. Uebers.
Die Halbinsel Mangjscblak, 677
stein bedeckt sind. In dem Tbale findet man viele Anieigen
von Eisenerzen. Von dem Karatau komnien viele Quellbache
mit frischem Wasser, welches die Kirgisefi auf ihre mil Wei^
zen, D/ugara, Gerste u. a. besaeten Felder leiten. In dem
Gebirge selbst verdoppelte der Veyf., wie er sagl, seine An-
slrengungen zur Aufiindung von Steinkohle, indem er an ver-
schiedenen Slelien den Boden aufwiihlle. Er glaubte dann
auch wirklich das Gesuchte gefunden zu haben^ denn an den
Quellen des Flusses D/angilda, lag in einem isoiirten Hiigei
eine erdige Schicht die kleine Sliickchen Kohle enthieU.
VVahrend des Nachiiagers am 15. Oktober bei dem Brun-
nen Kerl, fiei eins von den Pferden^ die an die Kanone ge-
spannt und bis dahin durchaus gesund gewesen waren. Bei
der Besichligung fand man ^^ein gelbliches Wasser in seinem
Magen und in seinem linken Bein(!), das Herz ein wenig
angefault(!!) und die Leber und Lungen weich'*. Nach der
Aussage der Kirgisen war es von dem Genuss des sogenann-
ten Todeskraules (meriwaja trawa) gefallen* Niemand wusste
aber dieses Gewiichs, welches in den Thalem des Karatau vor-
kommen soil, zu zeigen.
Von dem Brunnen Kert wandten sich die Reisenden links,
und iiberschritten den Karatau in dem Thale des Baches 5iir-5u.
Dieses Thai durchscbneidet die Kette, von der die zweite
Halfte ebenfalls naeh 0. und fast auf derselben Linie wie die
erste slreicht. Die Kirgisen versicherten auch dafs sie, ebenso
wie diese lelztere, 60 Werst lang ist. Wiihrend des Ueber-
gangs ijber das Gebirge fand man die Steinkohle fast an der
Oberflache des Bodens *).
*) Die Kirgisischen Fiihrer yersicherten hartnackig, dafs itinen Ton
SteinkohlenyoTkommen Nichts bekannt sei, naclidem Herr I. sie ge-
fragt batte: „wo lindet nian bier die Krde oder den Stein der
brenni?" Als aber einer von ibnen gesebn hatte, wie er die zuerst
gefundnen Koblenstucke nnter seinem Tbeetopf verbrannten, sagte er
gerade berans: „icb sebe dafs die Russen Narren sind: denn(!)
icb lebe seit 50 Jahren bier und babe nicbt gebdrt^ dafs es einen
Stein Oder eine Erde giebt die brennen." Als aber der Verf. am
g78 Hiitorudi-ltngaittiiclie WiMenschafteB.
Um griindlichere Unlersuchungen anzustelieOi verweille
man einen Tag lang bei der Quelle Akmysch und besichligle
von dort aus die Umgegend. Die Kohle in dem Thale des
5ur-Sa fand sich an vielen Slellen in mehreren Schichlen, die
iibereinander und durch Thonsduchten getrennt lagen. Die
Kohlenschichten selbst sind 7 bis 42 ZoU machlig und fallen
merklich. Zwischen ihnen findet sich slellenweis^ eine alaun-
hallige Crde, welche die Eingebornen beim Zeugfarben ge-
brauchen* Wahrend des genannlen Aufenlhaltes wurde auch
der senkrechte Feisen Tschir-Kala untersuchl, der nahe bei
der Quelle Akmysch liegL Er besteht aus Sandslein und hat
eine Werst im Umfang. Es sind Slufen eingehauc;n um ihn
su besteigen und an seinem Fufse liegt eine aus Stein gebaule
Verschanzung -^ auf dem Gipfel aber Reste von Wohnttngen
und ein tiefes Loch, welches wahrsdieiniich als Brunnen ge-
dienl hat. In einer der Vertiefungen^ die man vielleichi als
Keller gebraucht, fand sich ein 17 Pfund schwerer Hamiscb.
Er war gans verrostet und mag wohl einem taptem Krieger
gehort haben, indem er an vielen Stellen durchiochert und um
die Locher offenbar von geronnenem Blul(?) so stark ver-
rostet war, dafs man die nachstgelegenen Ringe durchaus
nicht reinigen konnle. Der Feisen Tschir-Kala ist gegen 90
Sajen hoch. In der Nahe desselben finden sich Ruinen aus
gut ausgebrannten Ziegeln von 10,5 Zoll im Quadrat und 1,75
ZoU Dicke. Sie sind gewiss mil der in der Nahe vorkom-
menden Sleinkohle gebrannt worden, weil das Hob in der
folgenden Tage ^lie atn ^Siir 5u gefondene Steinkohle berbeibracbte
und mit derselben den Theetopf heizte nnd dasRsaen kochte, blickte
derselbe Kirgiae lange aaf daa Brennmaterial ond aagte daim: ^jetzt
sebe ich dafs wir Duoimkopfe aind, denn wir leben ao Tiele Jabre
bier and wissen nicbt, daXa ea einen Stein giebt der brennt** Er
fragte daraaf ob er wohl aeinen Sobn bei den Rnaaen in die Lebre
geben konne? Ea ist iibrigena wahracbeioUch, dafa dieae Leote ihre
Kenntnisa aus Furcbt Tor ihren, Stammgenoaaen yerb^rgen, denn ea
giebt in ihrer Spracbe ein Wort fiir Steinkohle, welcbea uber ihre
Kunde von dem Minerale keinen Zweifel laaat. Anm. d. Verf.
Die UaUiiiiMl Mangytclilak. 679
Umgegend spurlos fehll. Bei dem Riickwege wurde noch an
verschiedenen Punkten Sleiiikohle gefunden.
Am 18. Oclober, wahrend des Nachtlagers am Brunnen
5urKuduk fiel ein andres Pferd, welches wahracheinlich wie*
der von dem Todeskraut gegessen halle. Bei der Besichti*
gung fand aich in der Brust und in dem rechten Vorderbein
desselben gelbes VVasser **- auch waren die Milz und die
Lungen(!) weich.
An seiner Nordseile isl der Karaiau ebenso steii wie an
der siidlichen, aber anstall des Schiefers, der nur in den Ba-
chesbellen vorkommt, zeigt sich an den Bergabhangen ein ver-
schieden farbiger Thon. Parallel mil diesem Theil des Ge-*
birges slreicht ein andrer der, ebenso wie die siidlich gelegne
Ketle: Aktau genannt wird, und mit jener auch von gleicher
BeschaiTenheit scheint. In dem Thale zwischen dem Karaiau
und dem (nordlichen) Aklau Hegl ein 6 Werst breiler Sals-
boden.
In einer Schluchl bei dem Brunnen Burla, 50 Werst von
Nowo^Pelrowsk, findet sich, auf der halben Hohe der
Thalwand, eine alaunhallige Erde von gelblicher Farbe*).
Die Eingebornen gebrauchen sie, wie schon friiher erwahnt,
beim Zeugfarben. An einer andren Stelle derselben ISchlucht
soil diese alaunhallige Erde in einer Tiefe von 6 Arschinen
(14 E. F.) mil Naphtha gemengt sein, und auf einer anderen
schwarzen Schichl liegen. Wegen des anfangenden Winler-
wellers Rat aber der Verfasser diese Oerllichkeil nicht naher
untersuchl. Am 22. Oktober, bei seiner Ankunfl in der Feslung
erhob sich ein hefliger Oslwipd, der 15 Tage anhielt, auf dem
Kaspischen Meere vielen Schaden Ihal und einen fiir diese
*) In dfm Labowtoriain des Petersburger Bergwerkscorps hat man den
Alaungehalt dieser Krde nicht bestatigt gefunden, wohl aber darch
eine in der Orenbnrger Apotheke gemachte Analyse. Dies geschah
wabrschetnlich dordi eine Verwechselnng der Erde aus der Schlacht
Baria mit den ahnlich aossehenden, Ton anderen Punkten des Kara-
iau. Anm. d. VerC
g80 Historiseh-lingnistisebe Wissenscliaften.
Gegend ungewohnlich fruhen Winter bedingle. Iiu Ailgetuei-
nen ist hier der Wind von entscheidendem Einfluss auf die
Witterung, indem mii Oesllichem iind Nordostlichem Kalle,
mil Siidlichen, Sudosilichem und Sudvvestiichem dagegen
warmes Welter, Regen und Nebel eintreten. Die starksten
Hilzen ereigneten sich gegen Ende Juli. Sie betrugen bei der
Festung 36®R. (!). An niedrigen und sandigen Slellen war
aber die Temperalur noch weit hoher *). Im Laufe des Som-
niers halle man bei Nowo-Petrowsk dreimal Regen und eini-
gemai NebeL Die Eingebornen erklarten aber auch dieses
Welter fiir ungewohnlihh Irocken.
Auf dem Wege zumKaralau ttaf man iiberall auf noma-
dische Niederlassungen der Kirgisen vom Adajewer Stamme.
Sie nahren ihr Vieh fast nur mil Wiermuth: nur selten kom-
men mit demselben auch das Pfriemkraut und einige andere
(die sogenannten Ibelek und Ar/anik) vor. Von Thieren kommen
dort vor: Wolfe, gewohnliche Fiichse, fSi^or«ak (Canis Kor«ak),
wilde Pferde, Antiloepn, wilde Ziegen (Kehe?), wilde Schafe,
wildeKatzen, Hasen, Springhasen; Schneehiihner, Moven, Rei-
her (Zapli), Rothe Ganse, Enten, Schwane (von denen sich
ebenso wie von den iibrigen Zugvogeln besonders viele im
Herbst einstellen, bei ihrem Zug von dem Uralfluss gegen
Suden), Schnepfen, Trappen und wilde Tauben, Eidechsen,
Charaaleone, Schildkrolen, Schlangen, Skorpione, Taranteln
(deren Biss aber nicht t5dtlich ist, sondem nur eine brennende
Geschwulst erregt, die man durch Einreibung mit lAlzoi ver-
treibt). — Im Meere findet man nahe an der Kiiste Robben,
Store, Hausen, Delphine, Sc^hipy (eine Storarl), Elsen (ciupea
alosa), Karpfen u. a.
Die Russen fischen dort meislens mit Haken in der Tiefe
von 2 bis 3 5ajen — vi^elche ohne Koder aber moglichsl
scharf sind (?). In grofseren Tiefen werden kleine Fische aJs
*) Es ist kaum zu bezweifeln , dafs diese Beobachtungen in der Sonne
angesteilt und dalicr ganz werthlos sind.
D. Uebers.
Die Halbinsel Mangyschlak. 681
Kodcr gebrauchh Die Robben werden rnit Stocken geschla-
gen, indem man sich, wenn.sie auf dem Ufer liegen, heran*
schleicht und zwar von unter dem Winde^ weil sie sehr fein
wittern. Die Insel Kuiala war fruher zum Robbensehlag be*
senders geeignet — sie werden nber jelzl auch auf dieser
viel sellener.
Der Handel mil den Eingebornen wiirde sowohl fiir die
Russen, wie fiir die Eingebornen vortheilhaft werden; wenn
man ihn auf reelle Weise und mit Berucksichtigung der ort-
lichen Bediirfnisse fiihrle. Von Russischer Seite waren ein-
zufiihren: Korn, gegerbte Haule, versehiedne Zeuge, holzerne
Gefiifse und eiserne Geralhe, so wie auch fiir die Turkmenen
im Besonderen: scharfe Messer und Scheeren, Koffer, Nah«
nadein, Kamme, Spiegel, Tabacke u. s. w. Von den Einge-
bornen wiirde man dagegen erhallen: versehiedne Felle, Zic
gen- und Kamel*Flaum, Wolle und Talg, auch wiirden die
Turkmenen noch ausserdem liefern: grobes Tuch, Teppiche
und feines Kameltuch, auch ware es zur Belebung des Han-
dels noch besonders geeignet lebendige Schafe von den Ein-
gebornen zu kaufeuy und dieselben auf den Dampfschiffen
nach Aslrachan und nach Biriulschaja Ko«a zu schicken. Diese
Punkte werden in einem Tage erreicht und man braucht da-
her auf den SchifTen kein (?) Heu und kein Wasser fiir das
Vieh milzunehmen. Auf den Wunsch eines Russischen Kauf-<
mann, unlerhandelle Herr 1. mil den Kirgisen iiber die Liefe-
rung von Mangyschlaker Vieh, nach der Kahnykower-Festung
am Ural, wo gewohnlich der Handel mit Schafen gefiihrt
wird. Man gebraucht vier Hirlen und einen Fiihrer, um 4000
Schafe von Mangyschlak nach den genannten Punkt zu trei-
ben und sie forderten als Lohn fur jeden Hirten 6 Tsehetwert
Roggenmehl und fiir den Fiihrer 12 Tsehetwert; ausserdem
aber fur alle, zum Gebrauch wahrend der Reise, 1 Tsehetwert
Waitzenmehl — so dafs fur 1000 Schafe 34 Tsehetwert Rog-
genmehl und 1 Tsehetwert Wailzenmehl zu bezahlen waren,
d. h. ein mafsiger Preis, wenn nicht dabei der Verlust von 2
bis 3 Monaten, die zum Treiben gehoren, der Verlusl an Fett
632 Historiich-liiigiiMtiscbe WiMeiischaften.
den eine Reise von fasl 900 Werst vernrsacht, die Einbufse
an Schafen, die dutch Ermiiduiig und durch die Naehstellun-
gen der Wolfe erfolgt und das Risico su beachten waren^ dafs
die ganze Heerde von Freibeutern (sogenannten Barantow*
Uchik's) genommen wird. Es ist daher nicht zu bezweifelny
dafs die Kaufleule lieber I oder^ 1 /^ Rubel mehr fiir jedes
Schaf bezablen werden, wenn mm es ihnen direkt nach Astra-
chan liefert.
Es sleht auch zu erv^arlen, dafs der MiUel*Asiatische Han-
del und der mit Afghanistan und dem Oestlichen Persien, auf
dem geradeslen Wege uber Chiwa, Nowo-Petrovvsk, Aslra-
chan und langs der Wolga naeh Nijnei-Nowgorod vor sich
gehen wiirde. Fiir den VVaarentransport von Chiwa nach
Orenburg bezahlt man jeizt 2,5 bis 3,5 Rub* Assign, vom Pude,
und ebenso viel fiir den weiteren Transport bis Ni/nei-Now-
gorody so dafs die Lieferung von Chiwa bis Nijuei^-Novi^gorod
dber Orenburg fiir 5 bis 6 Rubel Assign, vom Pude erfblgt
Ueber Nowo-Petrov^sk ist sie bei weitem wohlfeiler. Im vo-
rigen Sommer bezahlte man von Chiwa bis Nowo-Petrowsk
und zuriiek etwa 30 Kopeken Silber oder nahe 1 Rubel Ass.
vom Pude. Von Nowo-Petrowsk bis Astrachan, wegen der
gegenwartigen Quarantaine-Mafsregein, welche die Fraehlkos*
ten verdoppelt und einen Mehraufwand von einem ganzen Mo*
nat herbeigefiihrt haben, kosiet der Transport eines Pudes
gleichfalls 1 Rb. Ass. — von dort bis Nijnei-Nowgorod kann
aber derselbe nicht voll 1 Rb. Ass. betragen *) und es erhebt
sich demnach die Frachl von Chiwa bis Ni/nei-Nowgorod auf
dem neuen Wege, selbst bei der jelzigen Einrichtung der
Quarantaine, auf nicht voll 3 Rb. Ass.^ und nach Abanderung
derselben auf nicht mehr als 2,5 Rb. A. Werden aber ein-
') Man nimmt hier das arithmet. Mittel aas ^n Preisen inr den Trans-
port Yon Nowo-Petrowsk nacb Nijnei and fur den in umgekehrter
Richtang stattfindenden. Die Fracht yon Astrachan nach Ni;nei betrSgt
]>5 R. A. ¥om Pud und bisweilen noch etwas mehr, die Rnckiracht
zwischen denselben Orten dagegen nur 0,5 bis 0,3 R. A. und biBWei-
len noch weniger. A. d. V.
Die Halbinsel Mangyschlak. 683
m
mal die Frachlpreise ermafsigt, der Handel vor Gefahren ge-
schijtzt und die Dampfschifffahrt mehr verslarkl, so wird sich
der Kaspische Handel oline Zweifel belrachtlich enlwickeln.
In dem ersten Jahre nach der Griindung von Nowo-Petrowsk,
gingen durch diesen Ort schon 1500 Kamele und es ist be-
merkenswerth 9 dafs die Mahomedanischen Pilger aus Millel-
Asien gewohnlich iiber denselben nach ihrer Heimalh zuriick-
kehren. DieHinreise nachMekka machen sie gewohnlich mit
Karawanen uber Meschged^ Teheran und Bagdad. Bei der
Riickkehr von Mekka gehen sie aber xuerst nach Alexandrien
und von dort iiber Conslanlinopel, Odessa oder Taganrog
nach Aslrachan, Mangyschlak und Chiwa. Im vergangenen
Sommer kamen 40 solcher Pilger Uber Astrachan nach Chiwa *).
^ Nowo-Petrowsk verliefs der Verf. am 4. November auf
dem Dampfschiff Kama^ welches seine lelzte Reise vor dem
nachsten Schluss der Schifffahrl machte. In den Wolgamiin-
dung^n war das Wasser durch Oslwinde so stark geschwol-
len, dafs es auf den seichtesten Sandbanken, auf denen man
oft nur 2 F. Tiefe findet, mehr als 8 F. hoch stand. Das ge-
nannte Dampfschiff welches 6 Fufs tief gehty erreichte daher
Astrachan ohne Aufenthalt am 6. November.
*) El handelt tich alio nm eine Frequenz die lelbst in der ddesten Ge-
gend ron Raropa nicht erwahnt werden worde, and fon deren com-
menieller Wicfatigkeit wokl auch nicbt die Rede lein kann.
D. Uebers.
Erinnerung an die Kisten.
Mm Anfang des Jahres 1848 herrschte ein sehr strMger Win-
ter hn Cauea^us. Unaufhorliche Schneestiirme fiilllen alle
Schluchten an der Ar^giia und am oberen Argun mil Lavi-
nen; die Communtcalion unter den Einwohnern dieser obne-
hin so schwer zuganglichen Orle war fast ganziich abgeschnif-
tea; einige Monate lang horte roan nur das Brausen des
Windes, das dumpfe Rauschen der von den EisschoUen hafb
gefesselten Wasserfalle, und dann und wann das Geheul irgend
eines hungrigen Wolfes. Einen traurigen Anblick gewahrlen
die Wipfel der Fichlen, welche bin und wieder aus deo
Schneemauern hervorraglen. Die aus furchtbarer Hohe von
steilen Felsen herabgesturzten Lavinen bildelen slelienweise
feste Gewolbe iiber den Belleh der Fliisse. Siatt der Dorfer
sah man nur die Spilzen der vom Rauche gescbwarzten
Thiirme. Es erforderle grofse Enlschlossenheit und viel Ge-
wohnung an Bergreisen, um in solcher Jahreszeil einen Zug
iiber das Hauptgebirg zu wagen.
Es war Marz. Die Schneeklumpen auf den Wegen be-
gannen sich zu senken und die Wanderung wurde jetzt noch
miihseliger; denn bei jedem SchriKe versanken die Lcute bis
an denGiirtel; dieAugen litten durch den unglaublichen Glanz
der, auf diesem endlosen Schneemeere zitlernden Sonnen-
sirahlen; das sleile Aufsteigen und die sehr diinne Bergluft
versetzten den Athem; Fiifse und Hande, ermiidet vomKampfe
mil den dichten Schneemasscn, versaglen den Dienst.
Erinnerang an die Kisteii. 6^5
Ich verliefs das vom frischen Griin seiner GSrten um-
gebene Tifli« mit ganzen Haufen Eingeborner, weicbe den
kommenden Friihling frohUch singend begriifsleny und sehiug
die Richtung nach Tioneta eiDy von wo ich durch Chevturien
und Scliatil nach Wladikawkas reisen solite.
Man muss einen ahnlichen Marsch versuchen, urn von
den uDglaublichen Beschwerden und Gefahren eine Vorstel-
lung zu erhalten, mit welchen wir zu kampfen batten, als
wir durch die Schlucht der Aragwa bis zum Dorfe Cbacho*
mat wanderlen, welches am Aufgang zum Hauptgebirge liegt
An einigen Stellen bildele der Schnee zu beiden Seiten der
Schlucht lothrecht abgeschniltene Felsen, und es gab keinen
anderen Pfad, als durch das mit ungeheuern Steinen angefiillte
Betle desFlusses, der brausend keine Wellen» sondern game
Massen Schaum dahinroUte. Wir fassten einander j)ei den
Handen und stiitzlen uns auf Stabe mit spitzen £nden. Stel*
lenweise bildete der Schnee Bogenwolbungen iib^r dem Flussc^
eine Art lebendiger Briicken, die wir passiren mussten --*
bei jedem Schrilte bebte die ganze mehrere Klafter hohe
Wolbung, und drohte, uns in das wiithende Wasser hinab-^
stiirzen %n lassen. Von sechs Uhr Morgens bis zur Abend*
dantmerung wanderlen wir eine Strecke von nur zehn Werst
und erreichten mit genauer Noth den Ort Chachmat
Nach einem solchen Marsche kiimmert man sich wenig
daruii), ob das Nachtlager mehr od^r minder bequem sei. In
der uns angewiesenen chevturischen ^akla waren Kiihe, Schafe^
ein Pferd, und Kinder von jedem Wuchse; das AUes larmte,
briillte, blockte, plarrte durcheinander; Haufen von Dtinger,
Kothpfiiizeny gerliucherte Schinken von Hammeln und Hirschen^
und Kriige mit aliem Kase bildeten den nicht-lebenden Inhalt
der Erdhiilte, und statt der Luft athmete man den Raudi,
welcher nirgends einen Ausgang fand und zu heftigem Niesen
reizte. Dehnoch verging keine Slunde, als ich, ohne auch
nur nieine Fussbekleidung abgelegt zu haben, in liefen Schlaf
versunken war.
Am Morgen klarle das Weller sich auf, das am Abend
Brmans Russ. Archiv. Bd. XI. H. 4. 45
ggg HistorUch - lingiiistische WisBenschaften.
vorher Irubc gewescn; der ganz reine bfauc Mimmel har-
tnonii'te wunderbar mit dein iveissen Schnee, welcher die
ganze Gegend iiberdeckte. Es war sieben Uhr, als wir un-
seren Marsch wieder antraten. Der Aufsteig begann. Mit
Verdruss werfe ich die Feder hin, deim meine Sprache isl zu
arm, um das wiederziigeben, was wir jetzt sahen und erfuh-
ren. Die allertrcueste Besclireibung wurde unwahrscheinlich
und iiberlrieben erscheinen; und wirklich isi es schwer zu
glauben, dass ein Mensch solche Beschwerden erlragen kann,
besonders Einer, der im Steppenlande geboren ist. Indem
wir einander Schrill furSchritt h^Ifen und unaufhorlich bis an
den Giirlel im Schnee versanken, konnlen- wir, trotz Schau-
feln und unsaglicher Arbeit der Chachmater, kaum um vier *
Nacbmiltags den Gipfei des Passes Welkelil erreichen, des
niedrigslen aller Passe iiber das Hauplgebirge. Es war
schoD ganz finster, als wir Schatil erreichten. Jelzt trennte
uns von Wladikawkas ein Raum, der nicht so viele pbysisehe
Hemmnisse darbot, und gleichwol noch schwieriger und ge*
(ahrlicber war, als der Zug bis Schatil. Dort hallen wir nur
mit beschwerlichem Wege zu kampfen; hier aber kam eine
Gefahr anderer Art hinzu: der Weg fiihrte durch einige uns
(den Russen) nicht huldigende Kisten*Ddrfer, dann durch die
Gemeinden der Gamgai, die Schlucht Gumasch und die Ebene
Tantscli, wo Inguschen wohnen. Diese, Ton den russischen
Befestigungen enlfernten Orte geslatten den Rotten benachbar-
ter Stiimme, die pliindernd und Gefangene abfiihrend eindrin-
gen, nur ailzufreien Zugang. Wir aber dachten: „dem Kiih-
nen hilft das Gliick," und brachen auf, begleitet von drei
Chev«uren, die des VVeges sehr kundig und von erprobter
Tapferkeit waren. Die Schatiier, als nahe Nachbam der
Kisten, leben in Freundschaft mit ihneh und sprechcn ihre
Sprache; bisweilen kommt es sogar zur Vermischung darch
Heirathen. Auf diese freundschaftlichen Verhallnisse verliefsen
wir uns am meislen. Anfangs ging der Weg das linke (Jfer
des Argun entlang; aber weiter ab wird die Schlucht von ab-
schussigen Felsen dergestalt eingeengt, dass man sie erst an
.J
Kriniieinng an die Kisten. 587
der Slelle passiren kann, wo der Bach Milcho hineinCaill;
darum hat man sich inehr links zu halien, unci ersleigl so eine
Hochflache auf welcher das ersle Kistendorf D/arego liegl;
Mreilefhin isi der Niedersleig in die, von sechs Dorfern der
Gemeinde Mitcho eingenommene SchluchU Zu unserer Be-
friedigung schien es, als wiiren die Einwohner ausgewauderl;
ringsum herrschte eine Stille, die nur das Brausen des slro-
inenden geschmolsenen Schnees unterbrach; bisweilen erschie*
nen einzelne Manner mil gezogenem Rohre, Weiber mil Rei-
serbundeln auf dem Rticken, oder junge Hirten, die einige
Schafe und Kahe dem Strome zulrieben. Nicht mehr als
sechs Werst hallen wir uns von dem letzten Chevjvuren-Dorfe
entfernt, und wie merklich verschieden zeigte sich schon die
Oertlichkeit, die Anordnung der Hauser, Physiognomic, Cos-
turn, Waffen und Sitten der Bewohner! In Chevstirien war
das Gebirg ganz Felsmasse, splirlich nul Fichtenwald bewach-
sen, den eine Schneedecke verhiilUe; hier war es weit niedri-
ger, nicht felsig, und fast ganz ohne Wald; die Dorfer waren
weniger gedrlingt, die Hauser denen in Chey^urien zwar ahn-
lich, aber von weil besserem Bau; runde Thiirme erhoben
sich an den Ecken jedes Dorfes.
Die Kislen sprechen die tschetschenzische Sprache, mil
einigen Abweichungen in der Aussprache; sie kleiden sich
Ischerkessisch, mil Palronen auf der Brusl ; ihre weissen Hem-
den sind den unsrigen ahnlich genahl, und haben Kragen, die
von vorn mil schmalem Zwirnband zugebunden werden. Die
Knopfe an ihrer Kleidung sind einfarbig, aus dickem Tuche.
Auf dem Kopfe Iragen sie die runde Ischerkessische Miilze;
an den FiiCsen eine Art Tschewjak's, mil fein geflochlenen
Riemchen slall der Sohle. Ihre BewaflTnung ist: ein ge«oge-
nes Rohr in (ilzenem Ueberzuge; ein Dolch von ungemeiner
Grofse in einem Gurtel aus Riemen, der slraff zusammenge-
zogen isl und die diinne Taille schon zeichnel; endlich ein
Pislol. Der Schaschka (des Tscherkessensabels) bedienen
sich nur die Wohlhabenderen.
Pferde giebt es hier nur wenige; dafiir sind die Kislen
45*
690 HistoriBch^linguiitisclie Wissentebaften.
Doifern der Galgai's. ,Die ganze Landslrecke bis dahin, wo
der Fiufts eine nordliche Wendung ins Gebiel der Galaaehen
niniint, bielet eine Reihe nicht holier, mil kleinein Gesrtriipp
bedeckter Hiigel: im Ganzen ist die Oertlichkeit sehr male-
rischy iiberaus verschieden von den vorher zuriickgelegleii
wild-einfonnigen Schluchten iind von den Wohnsilzen der
Galaseheni wo die Ufer felsig und abtchussig sind und keine
soiche Fruchlbarkeii zeigen. Die Galaschen nnterscheiden sicli
in nichls von den ubrigetiKislen; sie miissen nur wohlhaben-
der sein als ihre Nachbarn. Eine auffallende Rcinlichkeil in
der Kleidung, die Arbeit an den Waffen und die haufig uns
begegnenden Reiter waren ebenso viele Anzeigen, dass die
Eingebornen der (russischen) Regierung unlerwiirfig sind, und
aus ihrem fruchtbaren Boden und der nichl grofsen Enlfemun^
der Stadi Wladikawkas , wo sie ihre Erzeugnisse verkaufen,
Nulzen zu ziehen wissen. Die Weiber sehen viel besser aus,
kleiden sicb reinlicher, und weileifern mit den Tscherkessin-
nan in der Kunsi,. ihre Hemden und Archaluch*s mit gemus-
terteu Borten von eigner Arbeit zu schmiicken.
Als wir durch die Scblucht zogen, nahlen wir sehr ge-
fabrlichen Orten, wo Rauber zu hausen pflegen» und ergriffen
desbalb jede Mafsregel der Vorsicht; es war aber uberfliissig:
wir gelangten wohlbehalten durch einea dichten, den ganzen
Hohenzug am linken Ufer der Assa iiberdeckenden Wald, ob-
wol uns dies unglaubliche Anslrengungen koslele; denn die
haufigen Regengusse hatten aJle Pfadb. fast ungangbar ge-
macht, und die Fiifse versanken in dem lehmigen Kolh bis
an die Kniee. Am Abend erreichten wir eine Anhohe, von
welcher aus man die ganze gewaUige Ebene zwischen den
Fliissen Terek und Kuban und die Ausdehnung des Haupt*
gebirges vom Kasbek bis zum Elborus iibersehen konnle. Die
von Inguschen bewohnle Ebene Tar glich eher einem Theile
irgend eines Sleppen-GouvernemenlSy als der Niederlassung
eines caucasischen Stanimes: die holzernen Hiiuser mil ibren
StrohJachern und Plankenzaunen, die hier und dort weiden-
den Heerden konnlen einem auf den Gedanken bringen, man
Krinnerung an die Kisten. 69[
ii, ziehe durch ein Land mit ganz friedlicher Bevfilkerung; aber
ii bei jeder Heerd« lagen bewaffnete Hirlen; an den Eingangen
s^ der Dorfer standen Wachen, welche in der ganzen Gegend
t misstrauische Blicke iimherwarfen, und kein Bewohner ver-
^ liefs sein Haus unbewaffnel. Es uberraschte mich auf dieser
, Ebene die unzahlbare Menge Graber mit hineingestecktcn
H Fl^hnchen von allerlei Farben: diese Graber bargen erschla-
, gene Kanipfer.
^ Wir konnlen die Feslung Wladikawkas vor Einbruch der
I Nacht niehl erreichen. Hier bescbaute man lange unser Costiim,
das uns zerlumplen Baiguschen *) oder enllaufenen Gefange-
nen ahnlieh m<ichle, und noch langer hatte man Miihe zu
glauben, dass wir mit einem Convoi von nur drei Eingelior-
nen durch so gefahrliche Gegenden gewandert seien.
(Kawkas.)
•) So hcisscn in Tacliefschnja obrlaclilose Arme, die Von Raub und
Diehstalii leben.
Verbesserungen • zum elften Bande.
S. 343 Z. 13 ▼. a. statt CbolS-sate-nl-chalise ties ChuU^at nl-
chalt«e.
S. 421 Z. 18 ¥. 0. atatt wir lies wie?
S. 421 Z. 25 T. o. sUtt Yerfallt lies Terfallt.
S. 423 Z. 9 V. o. statt des ersten ? setze !
S. 424 Z. 13 T. o. statt nimmt lies nehmt.
S. 426 Z. 1 V. o, staU China lies C henna oder Henna.
S. 430 Z. 13 ¥. n. statt salam-melik lies salam-aleik (Heil ciir!)
S. 440 Z. 18 T. o. lies salam aleiknm (Heil euch!)
Drnck Yon Georg Reimer.
_i